Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 13. Aug. 2018 - 1 Ws 179/18

ECLI:ECLI:DE:POLGZWE:2018:0813.1WS179.18.00
bei uns veröffentlicht am13.08.2018

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss der 4. Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 27. Juni 2018 aufgehoben.

2. Der Angeklagten wird ein Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Benennung des Pflichtverteidigers bleibt dem Vorsitzenden der 4. Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vorbehalten.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die der Angeklagten darin entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

I.

1

Die bereits erheblich, auch einschlägig, strafrechtlich in Erscheinung getretene Beschwerdeführerin ist durch Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 15. März 2018, gegen das sie Berufung eingelegt hat, wegen Unterschlagung, Betruges sowie Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden. Zum Urteilszeitpunkt stand die Angeklagte aufgrund eines nachträglichen Gesamtstrafenbeschlusses des Amtsgerichts Kleve vom 4. November 2015, 307 Js 899/14 12 Ds 565/14, in dem eine Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten festgesetzt worden ist, unter laufender Bewährung. Durch den angegriffenen Beschluss hat das Landgericht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerdeführerin.

II.

2

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

3

Die Voraussetzungen zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen der Schwere der Tat gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO liegen vor. Dieser Beiordnungsgrund ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus der Schwere der verfahrensgegenständlichen Taten. Die Angeklagte ist wegen der unter Ziffer I. aufgeführten Delikte erstinstanzlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden.Die Grenze zur schweren Tat wird mittlerweile einhellig bei um einem Jahr Freiheitsstrafe gezogen, wobei die überwiegende Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, der sich der Senat anschließt, die Mitwirkung eines Verteidigers in der Regel als notwendig ansieht, wenn Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber ohne Strafaussetzung zur Bewährung droht.Einigkeit besteht darin, dass es sich bei der Straferwartung von einem Jahr nicht um eine starre Grenze handelt. Demgemäß kann unter besonderen Umständen auch schon bei einer Straferwartung von weniger als einem Jahr die Mitwirkung eines Verteidigers geboten sein. Es ist insoweit ebenfalls allgemein anerkannt, dass neben der Rechtsfolge für die verfahrensgegenständlichen Taten auch sonstige schwerwiegende unmittelbare oder mittelbare Nachteile zu berücksichtigen sind, die die Angeklagte infolge der Verurteilung zu gewärtigen hat. Hierzu gehört insbesondere auch ein drohender Bewährungswiderruf (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 16. Januar 2014 - 2 OLG 8 Ss 259/13, juris Rn 10, 11 und 14 m. w. N.). Denn mit einer Entscheidung über die Strafaussetzung im anhängigen Verfahren wird zugleich eine wesentliche Vorentscheidung darüber getroffen, ob die früher zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe zu widerrufen ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. März 1991 - 3 Ss 201/90, juris Rn. 9). So liegt der Fall hier. Infolge der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten wegen der verfahrensgegenständlichen Taten muss die Beschwerdeführerin mit dem Widerruf der Bewährung hinsichtlich der noch nicht erlassenen Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 4. November 2015 rechnen. Die ihr somit summarisch drohende Gesamtstrafvollstreckung beträgt 1 Jahr und 2 Monate und kennzeichnet die verfahrensgegenständlichen Taten als schwer, da ihr ein Freiheitsentzug von mehr als 1 Jahr Freiheitsstrafe droht.

4

Soweit teilweise von der Rechtsprechung zusätzlich verlangt wird, dass im Falle der Schwere der Tat die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten berücksichtigt werden müsse, kann dieser Ansicht nach Auffassung des Senats nicht gefolgt werden. Dagegen sprechen sowohl der eindeutige Wortlaut des § 140 Abs. 2 StPO, der drei alternative Möglichkeiten für eine Pflichtverteidigerbestellung vorsieht, als auch systematische Erwägungen. Denn nach § 140 Abs. 2 StPO soll das Fehlen der Fähigkeit, sich zu verteidigen, nur dann Berücksichtigung finden, wenn entsprechende Defizite vorliegen. Dann kann aber das Nichtvorliegen solcher Defizite nicht zum Ausschluss der Beiordnung nach einem der anderen in Abs. 2 erwähnten Anordnungsgründen führen (vgl. Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 140 Rn. 60).

5

Der Senat hat eine Bestellung des Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger nicht vorgenommen, da aus der Akte nicht ersichtlich ist, ob dieser den anberaumten Hauptverhandlungstermin am 13. September 2018 wahrnehmen kann.

III.

6

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.

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Referenzen - Gesetze

Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 13. Aug. 2018 - 1 Ws 179/18 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Strafprozeßordnung - StPO | § 140 Notwendige Verteidigung


(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn 1. zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last g

Referenzen

(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn

1.
zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;
2.
dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3.
das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4.
der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
5.
der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
6.
zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
7.
zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8.
der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
9.
dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;
10.
bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
11.
ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

(2) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

(3) (weggefallen)

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.