Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 16. Juli 2015 - 1 A 1851/14
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten der Klägerin abgelehnt.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf die Stufe bis 19.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Auf der Grundlage der maßgeblichen Darlegungen der Klägerin ist die Berufung nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 VwGO wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils oder grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen.
31. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Abgeltung von Urlaubsansprüchen für den Zeitraum hat, in dem sie zwischenzeitlich zur Ruhe gesetzt war. Dagegen wendet die Klägerin ein, sie sei schon zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums wieder dienstfähig gewesen und müsse daher auch hinsichtlich ihrer Urlaubsansprüche wie eine aktive Beamtin behandelt werden. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG sei entsprechend anzuwenden.
4Dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Schon das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die unmittelbare Anwendung der genannten Vorschrift nach der Rechtsprechung ein aktives Beamtenverhältnis voraussetzt und dass eine Ruhestandsbeamtin keinen Urlaub benötigt, um ihren Dienstpflichten zeitweilig nicht nachkommen zu müssen. Eine analoge Anwendung von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG kommt hier schon deswegen nicht in Betracht, weil die Sachverhalte nicht vergleichbar sind: Ein Ruhestandsbeamter hat im Gegensatz zu einem aktiven Beamten keine Urlaubsansprüche. Letztere sind für Ruhestandsbeamten auch nicht erforderlich, um den „Schutz der Sicherheit und der Gesundheit“ von Ruhestandsbeamten durch „angemessene Ruhezeiten“ zu gewährleisten (siehe dazu Nr. 2 und 5 der Erwägungen der Richtlinie 2003/88/EG). Soweit die Klägerin die Interessenlagen der betroffenen Beamten anders einschätzt, erläutert sie ihre Gründe dafür nicht substantiiert und setzt sich nicht hinreichend mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts auf Seite 5 des angefochtenen Urteils auseinander.
5Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, wegen ihrer rechtswidrig verspäteten Reaktivierung müsse die Beklagte sie so stellen, als sei sie schon während des streitgegenständlichen Zeitraums wieder aktive Beamtin mit Urlaubsansprüchen gewesen. Wie sich aus den Gründen des Senatsbeschlusses vom heutigen Tage im Verfahren 1 A 1850/14 ergibt, steht der Klägerin jedoch kein entsprechender Schadensersatzanspruch zu. Daran ändern auch die von der Klägerin übersandten Stellenausschreibungen der Deutschen Telekom AG nichts.
6Die Erklärung im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2011 im Verfahren 12 K 3035/10 beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erfasst nicht die hier streitgegenständlichen Urlaubsabgeltungsansprüche. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht betont, dass diese Erklärung vom Wortlaut her nur Personalentscheidungen erfasst. Dazu zählen nicht Urlaubsabgeltungsansprüche, weil sie nicht den persönlichen Status der Klägerin betreffen. Hinzu kommt, dass ausdrücklich nur „spätere“ Personalentscheidungen gemeint sind, d. h. solche, die nach dem Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung im Dezember 2011 entstehen. Auch dies trifft auf die streitgegenständlichen Urlaubsabgeltungsansprüche nicht zu, weil sie einen bereits vergangenen Zeitraum betreffen (April 2002 bis Juli 2009).
72. Die Berufung kann auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden.
8Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung des Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird. Ist die aufgeworfene Frage eine Rechtsfrage, so ist ihre Klärungsbedürftigkeit nicht schon allein deshalb zu bejahen, weil sie bislang nicht obergerichtlich oder höchstrichterlich entschieden ist. Nach der Zielsetzung des Zulassungsrechts ist vielmehr Voraussetzung, dass aus Gründen der Einheit oder Fortentwicklung des Rechts eine obergerichtliche oder höchstrichterliche Entscheidung geboten ist. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt deshalb, wenn sich die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsmethoden und auf der Basis der bereits vorliegenden Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt.
9Vgl. Beschluss des Senats vom 13. Oktober 2011– 1 A 1925/09 –, juris, Rn. 31 m. w. N.
10Die von der Klägerin aufgeworfene Frage
11der teleologischen Ausweitung der Anwendung von Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG auf Sachverhalte, bei denen es um die Gleichstellung rechtswidrig nicht reaktivierter Beamter mit den in unmittelbarer Anwendung der Richtlinie erfassten Personenkreise geht,
12hat keine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne. Sie lässt sich auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsmethoden und auf der Basis der bereits vorliegenden Rechtsprechung ohne Weiteres mit folgenden Erwägungen verneinen:
13Als Arbeitnehmer im Sinne des Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Um zu verhindern, dass dem Arbeitnehmer wegen der Unmöglichkeit, nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses bezahlten Urlaub zu nehmen, jeder Genuss dieses Anspruchs, selbst in finanzieller Form, verwehrt wird, sieht Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 vor, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Vergütung hat.
14Vgl. EuGH, Urteil vom 3. Mai 2012 – C-337/10 –, ABl. EU 2012, Nr. C 174, 4 = NVwZ 2012, 688 = juris, Rn. 23, 29.
15Ruhestandsbeamten sind keine Arbeitnehmer in diesem Sinne und haben auch keine Urlaubsansprüche. Letztere sind für Ruhestandsbeamten auch nicht erforderlich, um den „Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer“ durch „angemessene Ruhezeiten“ zu gewährleisten (siehe dazu Nr. 2 und 5 der Erwägungen der Richtlinie 2003/88/EG). Da die Sachverhalte in keiner Weise vergleichbar sind, liegen die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Vorschrift hier nicht vor.
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1, 3 GKG und folgt der des Verwaltungsgerichts.
17Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig, § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.
(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.
(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.