Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 02. Aug. 2012 - 8 UF 102/12

bei uns veröffentlicht am02.08.2012

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der am 21. Februar 2012 verkündete Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – W. unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin für die beiden gemeinschaftlichen Kinder folgenden Kindesunterhalt zu zahlen:

für das (am 27. August 2004 geb.) Kind J. :

für die Zeit ab Juli 2011 

93,1 % des Mindestunterhalts, jeweilige Altersstufe,
abzüglich hälftigen Kindergelds für ein 1. Kind
in Höhe von EUR 92 monatlich zurzeit,

für das (am 27. Februar 2007 geb.) Kind A. :

für die Zeit ab Juli 2011

93,3 % des Mindestunterhalts, jeweilige Altersstufe,
abzüglich hälftigen Kindergelds für ein 2. Kind
in Höhe von EUR 92 monatlich zurzeit.

Der weitergehende Zahlungsantrag wird abgewiesen.

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Beschwerdewert beträgt EUR 3.696.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin begehrt – in Verfahrensstandschaft für zwei eheliche Kinder – vom Antragsgegner Kindesunterhalt, und zwar für die Zeit ab Juli 2011.

2

Die Antragstellerin und der Antragsgegner haben am 23. April 2004 die Ehe miteinander geschlossen. Aus der Ehe sind zwei Kinder, nämlich

3

- das (am 27. August 2004 geb.) Kind J. und
- das (am 27. Februar 2007 geb.) Kind A.

4

hervorgegangen, um die es im vorliegenden Verfahren geht. Am 04. Januar 2011 trennte sich die Antragstellerin innerhalb der Ehewohnung, die sich in W. befand, vom Antragsgegner und machte gegen ihn beim Familiengericht ein Verfahren auf Zuweisung der Ehewohnung anhängig (5 F 211/11 AG Weißenfels).

5

Während des (am 15. September 2011 erledigten) Verfahrens zog der Antragsgegner am 01. Juni 2011 aus der Ehewohnung aus, so dass sich die beiden gemeinschaftlichen Kinder seitdem in der alleinigen Obhut der Antragstellerin befinden. Inzwischen wohnt die Antragstellerin mit den Kindern in D. und der Antragsgegner wohnt seit seinem Auszug aus der Ehewohnung in einem möblierten Zimmer in N. (Bl. 2 VkH-Heft Antragsgegner).

6

Mit Schreiben vom 04. Juli 2011 mahnte die Antragstellerin – als Vertreterin der Kinder – eine Auskunft über das Einkommen des Antragsgegners an.

7

Nachdem der Antragsgegner die Auskunft erteilt hatte, machte die Antragstellerin am 05. Oktober 2011 – in Verfahrensstandschaft für die Kinder – beim Familiengericht das vorliegende Kindesunterhaltsverfahren anhängig, in dem sie begehrte, den Antragsgegner zu verpflichten, für jedes Kind jeweils für die Zeit ab Juli 2011 Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des Mindestunterhalts abzüglich hälftigen Kindergelds zu zahlen.

8

Das Familiengericht hat dem Antrag nur teilweise stattgegeben und den Antragsgegner – auf Grund mündlicher Verhandlung vom 17. Januar 2012 – mit einem am 21. Februar 2012 verkündeten Beschluss zur Zahlung folgenden Kindesunterhalts verpflichtet:

9

für das (am 27.08.04 geb.) Kind J.
für die Zeit ab Juli 2011

 (zurzeit 2. Altersstufe):
 66,21 % Mindestunterhalt
 abzgl. hälftigen Kindergelds für ein 1. Kind
 i.H.v. EUR 92 monatlich zurzeit,

für das (am 27.02.07 geb.) Kind A.
für die Zeit ab Juli 2011

 (zurzeit 1. Altersstufe):
 65,94 % Mindestunterhalt
 abzgl. hälftigen Kindergelds für ein 2. Kind
 i.H.v. EUR 92 monatlich zurzeit.

10

Gegen diese – ihr am 01. März 2012 zugestellte – Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der am 28. März 2012 beim Familiengericht eingelegten und sogleich begründeten Beschwerde, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt.

11

Am 12. Juni 2012 wurde die Ehe der Beteiligten geschieden.

II.

12

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin (§§ 58 ff., § 117 FamFG) ist überwiegend begründet:

13

1. Die Antragstellerin kann Kindesunterhalt in Verfahrensstandschaft für die beiden ehelichen Kinder geltend machen, die sich in ihrer alleinigen Obhut befinden (§ 1629 Abs. 3 BGB).

14

2. Die Antragstellerin kann Kindesunterhalt für die Zeit ab Juli 2011 beanspruchen, weil sie – als Vertreterin der beiden Kinder (§ 1629 Abs. 2 BGB) – mit Schreiben vom 04. Juli 2011 eine Auskunft über das Einkommen des Antragsgegners angemahnt hat (§ 1613 Abs. 1 BGB).

15

3. Weil für jedes der beiden Kinder – für die Zeit ab Juli 2011 – nur Kindesunterhalt bis zu 100 % des Mindestunterhalts (§ 1612a BGB) abzüglich hälftigen Kindergelds (§ 1612b BGB) geltend gemacht wird, hat der Antragsgegner die gesetzliche Vermutung seiner Leistungsfähigkeit zu entkräften (vgl. Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Auflage, § 6 Rn 704 f. m.w.N.), wobei freilich eine Plausibilitätsprüfung durchgeführt werden muss, da der Antragsgegner nicht ohne Weiteres in der Lage ist, für jedes seiner beiden Kinder 100 % Mindestunterhalt abzüglich hälftigen Kindergelds zu leisten:

16

a) Der (am 18. Februar 1977 geb.) Antragsgegner ist gelernter Dachdecker. Er ist seit September 2008 als Berufskraftfahrer bei der Fa. G. an der B. Straße 26b in N. angestellt. Seit 01. Juni 2011 wohnt er in N. . Er erzielt bei (unstreitig) 40 Wochenarbeitsstunden (Bl. 32 d.A.) ein Festgehalt von (nachweislich) brutto EUR 1.750 monatlich (Bl. 11 ff. d.A.), das bei 0 Kinderfreibeträgen in seiner Lohnsteuerklasse 5 – in der er sich nach wie vor befindet – einem Nettoeinkommen von ca. EUR 1.003 monatlich entspricht (Bl. 11 - 22 d.A.), wie das Familiengericht zutreffend ausführt.

17

Das Familiengericht hat dem Antragsgegner zu Recht entgegengehalten, dass sich seine Leistungsfähigkeit angesichts der ihn gegenüber seinen beiden minderjährigen Kindern treffenden gesteigerten Erwerbsobliegenheit, nach der er zur Deckung des Unterhaltsbedarfs seiner minderjährigen Kinder „alle verfügbaren Mittel“ einzusetzen hat (§ 1603 Abs. 2 BGB), nicht nur nach seinen tatsächlichen Einkünften, sondern nach den ihm zumutbaren Einkünften bemisst (vgl. BGH, NJW 1994, 1002 ff. m.w.N.). Infolgedessen müsse er nicht nur (unter Berücksichtigung des Arbeitszeitgesetzes) bis zu 48 Stunden wöchentlich einer nichtselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen oder zusätzlich zu seiner Vollerwerbstätigkeit eine Nebenerwerbstätigkeit – wie Taxifahren, Kellnern, Zeitungaustragen usw., auch an Wochenenden (vgl. Palandt/Brudermüller, BGB, 71. Auflage, § 1603 Rn 41 f. m.w.N.) – aufnehmen (vgl. BGH, Urt. v. 03.12.08 – XII ZR 182/06; ferner Palandt/Brudermüller a.a.O., § 1603 Rn 32, 42 m.N.), sondern ihn treffe unterhaltsrechtlich auch die Obliegenheit, Möglichkeiten zur Verringerung seiner Steuerlast (insbesondere Wechsel in eine günstigere Lohnsteuerklasse) auszuschöpfen (vgl. Palandt/Brudermüller a.a.O., § 1603 Rn 40 m.w.N.).

18

Andererseits kann dem Antragsgegner – abweichend von der Ansicht der Antragstellerin – nicht angesonnen werden, seinen sicheren, nach Schätzung des Senats auch angemessen vergüteten Arbeitsplatz, den er schon seit mehr als 3 Jahren inne hat, durch deutschlandweite Bewerbungen auf besser vergütete Stellen zu gefährden und zu Gunsten einer solchen Stelle – insbesondere in seinem erlernten Beruf als Dachdecker – aufzugeben (vgl. OLG Naumburg, FamRZ 1997, 311 f.). Denn es kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass ein neuer Arbeitsplatz genauso sicher wie sein jetziger ist, selbst wenn er besser vergütet wird; das Risiko, den neuen Arbeitsplatz nach einer Probezeit wieder zu verlieren, dürfte überwiegen, so dass, falls ihm keine Aufstockung des jetzigen sicheren Arbeitsplatzes auf 48 Wochenarbeitsstunden angesonnen werden kann, weil eine solche Möglichkeit für ihn nicht besteht, nur eine Nebenerwerbsobliegenheit angenommen werden kann (vgl. Palandt/Brudermüller a.a.O., § 1361 Rn 13 unter Bezugnahme auf OLG Schleswig, OLG-Report 2007, 325 ff. [zu § 1603 Abs. 2 BGB], wonach an die [gesteigerte] Erwerbsobliegenheit keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen). Eine andere rechtliche Wertung ließe sich auch schwerlich mit den – auch im Rahmen von § 1603 Abs. 2 BGB zu berücksichtigenden – persönlichen Bindungen des Antragsgegners zu seinen beiden Kindern, insbesondere mit seinem Umgangsrecht, vereinbaren, zumal bei den Zumutbarkeitserwägungen auch entstehende Kosten der Ausübung des Umgangs sowie Umzugskosten Beachtung finden müssen (Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Auflage, § 1 Rn 738 unter Bezugnahme auf BVerfG, FamRZ 2006, 469, 470).

19

Nicht zuletzt mit Rücksicht darauf kann dem Antragsgegner auch nicht entgegengehalten werden, nicht mehr wie „früher“ als Fernfahrer zu arbeiten und ein Nettoeinkommen von ca. EUR 1.800 monatlich zuzüglich Spesen zu erzielen, zumal der Antragsgegner höheres damaliges als sein jetziges Einkommen bestritten und die Antragstellerin ihr Vorbringen nicht spezifiziert hat, so das der Vortrag des Antragsgegners als zugestanden gilt. Im Übrigen ist Folgendes zu beachten: Zwar hat ein Unterhaltspflichtiger grundsätzlich kein Recht, aus beruflichen Gründen einen gut bezahlten Arbeitsplatz aufzugeben, welcher seiner Familie eine auskömmliche Lebensgrundlage bietet, und die Familie der Hilfe Dritter oder der Sozialhilfe zu überantworten; er muss sich unterhaltsrechtlich weiterhin als leistungsfähig behandeln lassen, wenn er ohne zureichenden Grund seinen Arbeitsplatz aufgibt, denn gegenüber der höherwertigen, aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes folgenden unterhaltsrechtlichen Verantwortung für die Familie muss das Recht des Unterhaltspflichtigen auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und Berufswahl zurücktreten (BGH, FamRZ 1983, 140 f.). Diese Rechtsprechung betrifft aber nur Fälle, in denen der Unterhaltspflichtige seine Erwerbstätigkeit ohne Rücksicht auf eine bereits bestehende Bedürftigkeit der von ihm abhängigen Familienangehörigen sowie ohne deren Einverständnis aufgibt, ihm also die Berufung auf einen im Widerspruch zur Rechtsordnung geschaffenen Zustand verwehrt ist (BGH a.a.O., S. 140). So verhielt es sich im vorliegenden Fall nicht. Da der Antragsgegner seinen jetzigen Arbeitsplatz bereits seit September 2008 – mithin seit der Zeit, als die Ehegatten noch nicht getrennt lebten – bekleidet (die Trennung erfolgte erst im Januar 2011), hat der Antragsgegner seine „frühere“ Arbeitsstelle als Fernfahrer nicht aufgegeben, ohne mit seiner Ehefrau, der Antragstellerin, übereingekommen zu sein, dass sie den Lebensbedarf für sich und die Kinder in stärkerem Maße als bisher von ihrem Nettoeinkommen (derzeit ca. EUR 2.210 monatlich), das sie als Chemikantin bei der T. GmbH in L. erzielt, mitbestreitet. Eine Verschiebung der Aufgabenverteilung zwischen den Ehegatten ist rechtlich zulässig (§ 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB), auch die Lebensstellung (§ 1610 Abs. 1 BGB) und damit die Unterhaltsansprüche der ehelichen Kinder wurden durch die gemeinschaftliche eheliche Bestimmung des Lebenszuschnitts der Familie angepasst. Die ehelichen Kinder müssen sich daher die Vereinbarung innerhalb der Schicksalsgemeinschaft der Familie entgegenhalten lassen, zumal der Antragsgegner, als er seinen damaligen Arbeitsplatz aufgab, davon ausgehen durfte, dass der Unterhalt seiner Familienmitglieder sichergestellt war, so dass ihm unterhaltsrechtlich kein leichtfertiges Verhalten angelastet werden kann (vgl. zum Ganzen Wendl/Dose a.a.O., § 1 Rn 767 unter Bezugnahme auf BGH, FamRZ 1983, 140, 141 m.w.N.).

20

Demnach ist das Familiengericht zu Recht von einem dem Antragsgegner anzurechnenden Einkommen von ca. EUR 1.400 monatlich ausgegangen: Durch den Wechsel von der ungünstigen Lohnsteuerklasse V in die günstigere Lohnsteuerklasse I, der ihm für die Zeit seit der Trennung der Ehegatten zusteht (§ 38b Satz 2 Nr. 1b EStG a. F. bzw. § 38b Satz 2 Abs. 1 Nr. 1a, bb EStG n. F.) und von der er steuerrechtlich (bis zum 30. November 2011 rückwirkend ab der Zeit der Trennung) Gebrauch machen konnte (§ 39 Abs. 5 EStG a. F.; § 39 Abs. 6 EStG n. F.; vgl. Schmidt/Drenseck, EStG, 30. Auflage, § 39 Rn 5), konnte der Antragsgegner bei einem Bruttoeinkommen von EUR 1.750 monatlich ein Nettoeinkommen von ca. EUR 1.230 monatlich erzielen. Bei einer Erhöhung seiner Arbeitszeit von 40 Wochenarbeitsstunden auf 48 Wochenarbeitsstunden oder der Aufnahme einer Nebenerwerbstätigkeit konnte – und kann – er ein Nettoeinkommen von ca. EUR 1.400 monatlich erzielen, wie das Familiengericht zutreffend annimmt. Infolgedessen ist das vom Familiengericht angenommene, bei Berücksichtigung des notwendigen Selbstbehalts des Antragsgegners (EUR 950 monatlich) für Kindesunterhalt verfügbare Einkommen von ca. EUR 450 monatlich nicht zu beanstanden. Der insoweit darlegungsbelastete Antragsgegner hat nicht dargetan, dass und ggf. aus welchen Gründen ihm die Ableistung von Überstunden oder eine Nebentätigkeit nicht möglich oder unzumutbar sein sollte. Hierzu hätte er spätestens aufgrund der Entscheidung des Amtsgerichts Veranlassung gehabt.

21

b) Auch den Gesamtbedarf der beiden Kinder (EUR 497 monatlich) hat das Familiengericht zutreffend berechnet:

22

Bedarf des (am 27.08.04 geb.) Kindes J.
(seit 08.10 in der 2. Altersstufe):
100 % Mindestunterhalt, 2. Altersstufe,
abzgl. ½ Kindergeld für ein 1. Kind, d.i. Zahllast von

 EUR 272 monatlich

Bedarf des (am 27.02.07 geb.) Kindes A.
(bis 02.12 in der 1. Altersstufe):
100 % Mindestunterhalt, 1. Altersstufe,
abzgl. ½ Kindergeld für ein 2. Kind, d.i. Zahllast von

EUR 225 monatlich

Sa.

EUR 497 monatlich

23

Er wird vom verfügbaren Einkommen des Antragsgegners (EUR 450 monatlich) zu 90,5 % gedeckt.

24

c) Vergleicht man die für Kindesunterhalt verfügbare „Verteilungsmasse“ mit dem vom Familiengericht angenommenen Gesamtbedarf der Kinder, so ergibt sich statt des vom Familiengericht tenorierten Kindesunterhalts (von 66,21 % bzw. 65,94 % des Mindestunterhalts abzgl. hälftigen Kindergelds) folgender Unterhalt:

25

für das Kind J. :

90,5 % von EUR 272 mtl. (wie vor), d.s. ca. statische EUR 247 monatlich,
d.s. umgerechnet in dynamischen Mindestunterhalt:

Zahllast

EUR 247 mtl.

zzgl. ½ Kindergeld

+ EUR   92 mtl.

Sa.

EUR 339 mtl.

d.s. 93,1 % des Mindestunterhalts 2. Altersstufe (EUR 364 mtl.),
von dem hälftiges Kindergeld für ein 1. Kind
(EUR 92 monatlich zurzeit) abzusetzen sind;

26

für das Kind A. :

90,5 % von EUR 225 mtl. (wie vor), d.s. ca. statische EUR 204 monatlich,
d.s. umgerechnet in dynamischen Mindestunterhalt:

Zahllast

EUR 204 mtl.

zzgl. ½ Kindergeld

+ EUR   92 mtl.

Sa.

EUR 296 mtl.

d.s. 93,3 % des Mindestunterhalts 1. Altersstufe (EUR 317 mtl.),
von dem hälftiges Kindergeld für ein 2. Kind
(EUR 92 mtl. zurzeit) abzusetzen sind.

27

D.h., auf das Rechtsmittel der Antragstellerin ist die angefochtene Entscheidung entsprechend zu korrigieren.

28

d) Abweichend von der Ansicht des Antragsgegners besteht keine Verpflichtung der Antragstellerin, neben dem von ihr geleisteten Betreuungsunterhalt für die Kinder (§ 1606 Abs. 2 Satz 3 BGB) auch den Barunterhalt (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB) zu übernehmen. Die Voraussetzungen der Bestimmung zu § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB sind nicht gegeben. Bei der Bestimmung zu § 1603 Abs. 2 Satz 3 handelt es sich um eine Ausnahmebestimmung, denn nach der Grundsatzvorschrift zu § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB hat nur der nicht betreuende Elternteil Barunterhalt zu leisten; mit Rücksicht darauf müssen die Einkommensunterschiede des betreuenden und des nicht betreuenden Elternteils, um zur Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung zu § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB zu gelangen, „erheblich“ sein (NK-BGB/Saathoff, § 1603 Rn 24). Der Senat nimmt – in ständiger Rechtsprechung – an, dass der betreuende Elternteil etwa über das dreifache Einkommen des nicht betreuenden Elternteils verfügen muss, um letzteren von der Haftung für Barunterhalt freizustellen (so auch Palandt/Brudermüller, BGB, 71. Auflage, § 1603 Rn 46 unter Hinweis auf § 1606 Rn 16, wo u.a. auf Büttner, FamRZ 2002, 743 verwiesen wird). Dies kann bei einem der Antragstellerin – nach dem gebotenen Wechsel von der Lohnsteuerklasse III in die Lohnsteuerklasse II – anzurechnenden Nettoeinkommen von bis zu EUR 2.689 monatlich (Bl. 129 d.A.) und dem dem Antragsgegner nach dem Steuerklassenwechsel anzurechnenden Nettoeinkommen von ca. EUR 1.230 monatlich (siehe oben) nicht angenommen werden; dies gilt erst recht, wenn man dem Antragsgegner – wie oben angenommen – bis zu 48 Wochenarbeitsstunden zumutet und ihm ein Einkommen von ca. EUR 1.400 monatlich anrechnet (siehe oben). Hinzu kommt, dass die Antragstellerin als gelernte Chemikantin ihr Einkommen nur deshalb erzielt, weil sie als Anlagenfahrerin im 3-Schicht-Betrieb bei der Fa. T. in L. arbeitet; sie muss, um die Kinder betreuen zu lassen, nicht nur einen Hortbeitrag und Kindergartenbeitrag leisten, sondern auch ein Kindermädchen bezahlen.


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Bundesgerichtshof Urteil, 03. Dez. 2008 - XII ZR 182/06

bei uns veröffentlicht am 03.12.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XII ZR 182/06 Verkündet am: 3. Dezember 2008 Breskic, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

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(1) In Ehesachen und Familienstreitsachen hat der Beschwerdeführer zur Begründung der Beschwerde einen bestimmten Sachantrag zu stellen und diesen zu begründen. Die Begründung ist beim Beschwerdegericht einzureichen. Die Frist zur Begründung der Beschwerde beträgt zwei Monate und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 sowie § 522 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(2) Die §§ 514, 516 Abs. 3, § 521 Abs. 2, § 524 Abs. 2 Satz 2 und 3, die §§ 527, 528, 538 Abs. 2 und § 539 der Zivilprozessordnung gelten im Beschwerdeverfahren entsprechend. Einer Güteverhandlung bedarf es im Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren nicht.

(3) Beabsichtigt das Beschwerdegericht von einzelnen Verfahrensschritten nach § 68 Abs. 3 Satz 2 abzusehen, hat das Gericht die Beteiligten zuvor darauf hinzuweisen.

(4) Wird die Endentscheidung in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wurde, verkündet, kann die Begründung auch in die Niederschrift aufgenommen werden.

(5) Für die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Fristen zur Begründung der Beschwerde und Rechtsbeschwerde gelten die §§ 233 und 234 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung entsprechend.

(1) Die elterliche Sorge umfasst die Vertretung des Kindes. Die Eltern vertreten das Kind gemeinschaftlich; ist eine Willenserklärung gegenüber dem Kind abzugeben, so genügt die Abgabe gegenüber einem Elternteil. Ein Elternteil vertritt das Kind allein, soweit er die elterliche Sorge allein ausübt oder ihm die Entscheidung nach § 1628 übertragen ist. Bei Gefahr im Verzug ist jeder Elternteil dazu berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind; der andere Elternteil ist unverzüglich zu unterrichten.

(2) Der Vater und die Mutter können das Kind insoweit nicht vertreten, als nach § 1824 ein Betreuer von der Vertretung des Betreuten ausgeschlossen ist. Steht die elterliche Sorge für ein Kind den Eltern gemeinsam zu, so kann der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen. Das Familiengericht kann dem Vater und der Mutter nach § 1789 Absatz 2 Satz 3 und 4 die Vertretung entziehen; dies gilt nicht für die Feststellung der Vaterschaft.

(2a) Der Vater und die Mutter können das Kind in einem gerichtlichen Verfahren nach § 1598a Abs. 2 nicht vertreten.

(3) Sind die Eltern des Kindes miteinander verheiratet oder besteht zwischen ihnen eine Lebenspartnerschaft, so kann ein Elternteil Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil nur im eigenen Namen geltend machen, solange

1.
die Eltern getrennt leben oder
2.
eine Ehesache oder eine Lebenspartnerschaftssache im Sinne von § 269 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zwischen ihnen anhängig ist.
Eine von einem Elternteil erwirkte gerichtliche Entscheidung und ein zwischen den Eltern geschlossener gerichtlicher Vergleich wirken auch für und gegen das Kind.

(1) Für die Vergangenheit kann der Berechtigte Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur von dem Zeitpunkt an fordern, zu welchem der Verpflichtete zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aufgefordert worden ist, über seine Einkünfte und sein Vermögen Auskunft zu erteilen, zu welchem der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist. Der Unterhalt wird ab dem Ersten des Monats, in den die bezeichneten Ereignisse fallen, geschuldet, wenn der Unterhaltsanspruch dem Grunde nach zu diesem Zeitpunkt bestanden hat.

(2) Der Berechtigte kann für die Vergangenheit ohne die Einschränkung des Absatzes 1 Erfüllung verlangen

1.
wegen eines unregelmäßigen außergewöhnlich hohen Bedarfs (Sonderbedarf); nach Ablauf eines Jahres seit seiner Entstehung kann dieser Anspruch nur geltend gemacht werden, wenn vorher der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Anspruch rechtshängig geworden ist;
2.
für den Zeitraum, in dem er
a)
aus rechtlichen Gründen oder
b)
aus tatsächlichen Gründen, die in den Verantwortungsbereich des Unterhaltspflichtigen fallen,
an der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs gehindert war.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2 kann Erfüllung nicht, nur in Teilbeträgen oder erst zu einem späteren Zeitpunkt verlangt werden, soweit die volle oder die sofortige Erfüllung für den Verpflichteten eine unbillige Härte bedeuten würde. Dies gilt auch, soweit ein Dritter vom Verpflichteten Ersatz verlangt, weil er anstelle des Verpflichteten Unterhalt gewährt hat.

(1) Ein minderjähriges Kind kann von einem Elternteil, mit dem es nicht in einem Haushalt lebt, den Unterhalt als Prozentsatz des jeweiligen Mindestunterhalts verlangen. Der Mindestunterhalt richtet sich nach dem steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimum des minderjährigen Kindes. Er beträgt monatlich entsprechend dem Alter des Kindes

1.
für die Zeit bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahrs (erste Altersstufe) 87 Prozent,
2.
für die Zeit vom siebten bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahrs (zweite Altersstufe) 100 Prozent und
3.
für die Zeit vom 13. Lebensjahr an (dritte Altersstufe) 117 Prozent
des steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimums des minderjährigen Kindes.

(2) Der Prozentsatz ist auf eine Dezimalstelle zu begrenzen; jede weitere sich ergebende Dezimalstelle wird nicht berücksichtigt. Der sich bei der Berechnung des Unterhalts ergebende Betrag ist auf volle Euro aufzurunden.

(3) Der Unterhalt einer höheren Altersstufe ist ab dem Beginn des Monats maßgebend, in dem das Kind das betreffende Lebensjahr vollendet.

(4) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat den Mindestunterhalt erstmals zum 1. Januar 2016 und dann alle zwei Jahre durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, festzulegen.

(5) (weggefallen)

(1) Das auf das Kind entfallende Kindergeld ist zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden:

1.
zur Hälfte, wenn ein Elternteil seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2);
2.
in allen anderen Fällen in voller Höhe.
In diesem Umfang mindert es den Barbedarf des Kindes.

(2) Ist das Kindergeld wegen der Berücksichtigung eines nicht gemeinschaftlichen Kindes erhöht, ist es im Umfang der Erhöhung nicht bedarfsmindernd zu berücksichtigen.

(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.

(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 182/06 Verkündet am:
3. Dezember 2008
Breskic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt voraus, dass der Unterhaltspflichtige
die ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu
finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen hat und bei genügenden
Bemühungen eine reale Beschäftigungschance bestanden hätte.

b) Trotz der nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber
minderjährigen Kindern können dem Unterhaltspflichtigen fiktive Einkünfte
aus einer Nebentätigkeit nur insoweit zugerechnet werden, als ihm eine
solche Tätigkeit im Einzelfall zumutbar ist.
BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 - XII ZR 182/06 - OLG Naumburg
AG Zeitz
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Dezember 2008 durch den
Richter Sprick, die Richterinnen Weber-Monecke und Dr. Vézina und die Richter
Dose und Dr. Klinkhammer

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Naumburg vom 26. Oktober 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die Zeit bis 31. Juli 2008 betrifft, nachdem der Rechtsstreit für die Zeit ab dem 1. August 2008 übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Parteien streiten um die Höhe des vom Beklagten geschuldeten Kindesunterhalts.
2
Der Beklagte ist der Vater des am 6. April 1990 geborenen Klägers. Er ist außerdem seinem am 16. Mai 1992 geborenen weiteren Kind unterhaltspflichtig. Aus einer Vollzeittätigkeit erzielt er monatliche Nettoeinkünfte in Höhe von 1.157,69 €. In der Zeit bis zum 14. November 2005 lebte der Beklagte in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und musste Wohnkosten in Höhe von monatlich 266,94 € aufwenden. Seit dem 15. November 2005 wohnt er allein und muss für die Wohnkosten incl. Stellplatz/Garage monatlich 318,45 € zahlen.
3
Mit Jugendamtsurkunde vom 5. Juni 1990 hatte sich der Beklagte verpflichtet , an den Kläger monatlichen Unterhalt in Höhe von 155 DM zu zahlen. Nachdem das Jugendamt ihn aufgefordert hatte, ab Mai 2004 für den Kläger monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 147 € zu zahlen, zahlte der Beklagte diesen Betrag und verpflichtete sich mit Jugendamtsurkunde vom 3. August 2004 zur Zahlung dieses Monatsbetrags.
4
Zuvor hatte der Kläger den Beklagten mit Schriftsatz vom 20. Juli 2004 aufgefordert, Auskunft über seine Einkommensverhältnisse und Wohnkosten zu erteilen und den sich daraus ergebenden Unterhalt zu zahlen. Im Rahmen der Stufenklage verlangt der Kläger nach Erledigung der Auskunftsstufe von dem Beklagten über den mit der Jugendamtsurkunde anerkannten Unterhalt hinaus weiteren Unterhalt, nämlich insgesamt in Höhe von 100 % des Regelbetrags der 3. Altersstufe gemäß § 2 der früheren Regelbetrag-Verordnung.
5
Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die - vom Oberlandesgericht zugelassene - Revision des Beklagten, mit der er sein Klagabweisungsbegehren weiter verfolgt.
6
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien den Rechtsstreit für die Zeit ab dem 1. August 2008 übereinstimmend für erledigt erklärt.

Entscheidungsgründe:


I.

7
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung bei Juris (OLG Naumburg - 4 UF 33/06) veröffentlicht ist, hat die Klage für zulässig und begründet erachtet. Der im Zeitpunkt seiner Entscheidung 16-jährige Kläger sei bedürftig, weil er sich nicht selbst unterhalten könne und auch nicht über Vermögen verfüge. Der Beklagte könne sich gegenüber dem Anspruch auf Kindesunterhalt nicht auf eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit berufen. Er habe nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB alle verfügbaren Mittel zu seinem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Von ihm seien alle zumutbaren Anstrengungen zu erwarten , um seine Leistungsfähigkeit zu erhalten bzw. herzustellen. Um den Regelunterhalt sicherzustellen, sei der Unterhaltspflichtige grundsätzlich auch zur Übernahme einer Nebentätigkeit verpflichtet. Diese Pflicht entfalle nur bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall. Zwar schränke die Unterhaltspflicht den Unterhaltsschuldner in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheit ein. Diese sei jedoch nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung geschützt, zu der auch das Unterhaltsrecht gehöre, soweit dies mit Art. 6 Abs. 1 GG im Einklang stehe. Zu einer Nebentätigkeit sei der Unterhaltsschuldner nur verpflichtet, wenn und soweit ihm die Aufnahme dieser zusätzlichen Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zumutbar sei und ihn nicht unverhältnismäßig belaste. Diese Grenze sei vorliegend nicht erreicht.
8
Dem Beklagten sei neben seiner vollschichtigen Erwerbstätigkeit das Austragen von Zeitungen, Zeitschriften oder Werbematerial an den Wochenenden zumutbar. Dabei sei zu berücksichtigen, dass er seinen Arbeitsplatz am Wohnort habe und an den Wochenenden nicht arbeite. Zwar sei neben der zeit- lichen und gesundheitlichen Belastung durch eine solche Nebentätigkeit im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung auch zu berücksichtigen, ob eine Beschäftigungsmöglichkeit überhaupt vorhanden sei. Dafür, dass keine entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit bestehe, sei allerdings der Beklagte darlegungsund beweisbelastet. Weil es an Vortrag hierzu fehle, sei das Familiengericht zu Recht von einer zumutbaren Nebentätigkeit ausgegangen und habe das dadurch erzielbare monatliche Nettoeinkommen zutreffend gemäß § 287 Abs. 2 ZPO auf 150 € geschätzt. Zusammen mit dem vorhandenen Erwerbseinkommen sei deswegen von einem fiktiven monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von 1.307,69 € auszugehen. Anhaltspunkte für berufsbedingte Aufwendungen seien vom Beklagten nicht vorgetragen.
9
Für die Zeit bis Juni 2005 sei ein notwendiger monatlicher Selbstbehalt in Höhe von 775 € und für die Zeit ab Juli 2005 ein solcher in Höhe von 820 € zugrunde zu legen. Dieser Selbstbehalt sei allerdings wegen der darin enthaltenen und vom Beklagten nicht ausgeschöpften Wohnkosten zu kürzen. Zwar habe der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass es grundsätzlich der freien Disposition des Unterhaltspflichtigen unterliege, wie er die ihm zu belassenden Mittel nutze. Diese Rechtsprechung betreffe allerdings den Elternunterhalt und nicht den notwendigen Selbstbehalt gegenüber einem minderjährigen Kind. Darin liege ein zu beachtender Unterschied. Denjenigen Oberlandesgerichten, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch auf den notwendigen Selbstbehalt übertrügen, sei nicht zu folgen. Für die Zeit des Zusammenlebens mit seiner Lebensgefährtin sei nach dem Vortrag des Beklagten zu unterstellen, dass er die geschuldete Miete allein gezahlt habe. Die Miete habe aber schon in dieser Zeit deutlich unter dem im notwendigen Selbstbehalt enthaltenen Betrag gelegen. Soweit der Beklagte jetzt eine Zweizimmerwohnung mit einer Kaltmiete von 5 €/m² bewohne, sei darin keine Einschränkung des sonst üblichen angemessenen Wohnkomforts zu erblicken. Der notwendige Selbstbehalt sei deswegen für die Zeit bis zum 14. November 2005 um monatlich 93 € und für die Zeit ab dem 15. November 2005 um monatlich 62 € zu kürzen.
10
Die vom Beklagten geltend gemachten Kreditkosten von monatlich 35 € für den Kauf einer Küche seien nicht zu berücksichtigen. Zwar könne die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen durch die Tilgung von Verbindlichkeiten in beachtlicher Weise eingeschränkt sein. Dies gelte aber grundsätzlich nicht, soweit es sich um Kosten der privaten Lebensführung handele. Nur wenn und soweit eine Anschaffung für eine normale Haushaltsführung dringend erforderlich sei und nicht mit den zur Verfügung stehenden Mitteln finanziert werden könne, komme ein Abzug in Betracht. Dies setze aber voraus, dass die Aufnahme der Verbindlichkeit unvermeidbar gewesen sei, was der Unterhaltspflichtige im Einzelnen darzulegen habe. Der Beklagte habe zwar vorgetragen, dass mit dem Darlehen eine Küche angeschafft worden sei, weil er sich von seiner Lebensgefährtin getrennt und für seine neue Wohnung eine Küche benötigt habe. Im Hinblick auf seine gesteigerte Unterhaltspflicht aus § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB sei es ihm aber zumutbar gewesen, eine kostengünstigere gebrauchte Küche anzuschaffen.
11
Für die Zeit ab Juli 2004 sei der Beklagte deswegen auch neben der Unterhaltspflicht für sein weiteres Kind in der Lage, dem Kläger Unterhalt in Höhe von 100 % gemäß § 2 der Regelbetrag-Verordnung zu zahlen.

II.

12
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand. http://www.juris.de/jportal/portal/t/101q/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=11&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR005330950BJNE038103301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 7 -
13
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Klage auf weiteren Kindesunterhalt nach § 323 Abs. 1 und 4 ZPO als Klage auf Abänderung der vom Beklagten errichteten Jugendamtsurkunde für zulässig erachtet. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist eine neue Leistungsklage auf Unterhalt nur dann zulässig, wenn keine Abänderungsklage zu erheben ist. Eine Nachforderung im Wege der Leistungsklage ist danach nur dann möglich, wenn sich der schon vorliegende Unterhaltstitel eindeutig nur auf einen Teilbetrag des geschuldeten Unterhalts beschränkt (Senatsurteil BGHZ 94, 145, 146 ff. = FamRZ 1985, 690 f.). Dabei spricht im Zweifel eine Vermutung dafür, dass in einem Vorprozess der Unterhalt in voller Höhe geltend gemacht worden ist (Senatsurteil BGHZ 98, 353, 357 f. = FamRZ 1987, 259, 262; vgl. auch Wendl/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 10 Rdn. 151 f.). Das gilt auch, wenn der geschuldete Kindesunterhalt in einer Jugendamtsurkunde nach den §§ 59 Abs. 1 Nr. 3, 60 SGB VIII festgelegt worden ist. Entsprechend hat der Beklagte in der Jugendamtsurkunde vom 3. August 2004 unter Abänderung der früheren Jugendamtsurkunde den aus seiner Sicht vollen geschuldeten Kindesunterhalt titulieren lassen. Höherer Unterhalt kann deswegen nur im Wege der Abänderungsklage geltend gemacht werden (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 2003 - XII ZR 115/01 - FamRZ 2004, 24).
14
Daraus folgt aber noch nicht, welchen materiellen Voraussetzungen die Abänderungsklage unterliegt. Denn bei einer nach den §§ 59 Abs. 1 Nr. 3, 60 SGB VIII errichteten Jugendamtsurkunde handelt es sich um einen Vollstreckungstitel im Sinne des § 323 Abs. 4 ZPO, dessen Abänderung mangels Rechtskraft nicht den Beschränkungen des § 323 Abs. 2 und 3 ZPO unterliegt (BGHZ GSZ 85, 64, 73 ff; Senatsurteile vom 11. April 1990 - XII ZR 42/89 - FamRZ 1990, 989 und vom 27. Juni 1984 - IVb ZR 21/83 - FamRZ 1984, 997 f.). Der Umfang der Abänderung richtet sich deshalb allein nach materiellem Recht. Liegt der Jugendamtsurkunde allerdings eine Vereinbarung der Par- teien zugrunde, können diese sich davon nicht frei lösen, sondern sind im Rahmen der Abänderung auf die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) verwiesen (Senatsurteil vom 2. Oktober 2002 - XII ZR 346/00 - FamRZ 2003, 304, 306). Fehlt es an einer solchen Vereinbarung bei der Errichtung der Jugendamtsurkunde, kommt eine materiell-rechtliche Bindung allenfalls für den Unterhaltspflichtigen in Betracht, der die Urkunde einseitig erstellt hat. Ob eine solche Bindung als Folge eines Anerkenntnisses dazu führt, dass der Unterhaltspflichtige sich nicht frei, sondern nur bei Änderung der Verhältnisse von der Unterhaltspflicht aus der Jugendamtsurkunde lösen kann, kann hier dahinstehen. Der Unterhaltsberechtigte, der an der Errichtung der Urkunde nicht mitgewirkt und deren Inhalt auch nicht zugestimmt hat, ist materiell -rechtlich nicht daran gebunden und kann deshalb uneingeschränkt Abänderung auf der Grundlage der aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse verlangen (Senatsurteil vom 29. Oktober 2003 - XII ZR 115/01 - FamRZ 2004, 24; vgl. auch Wendl/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 10 Rdn. 168).
15
Nach diesen Grundsätzen hat das Oberlandesgericht die Begründetheit der Abänderungsklage zu Recht ohne Bindung an den Inhalt der Jugendamtsurkunde allein nach den gegenwärtigen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beklagten beurteilt. Der Kläger hatte dem Inhalt der Jugendamtsurkunde vom 3. August 2004 nicht zugestimmt und den Beklagten schon zuvor mit Schreiben vom 20. Juli 2004 zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse aufgefordert. Das steht einer einvernehmlichen Errichtung der Jugendamtsurkunde entgegen, da der Kläger Auskunft mit dem Ziel eines höheren Unterhalts verlangt hatte.
16
2. Ebenfalls zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Unterhaltsbedarf des seinerzeit noch minderjährigen Klägers jedenfalls den mit der Klage begehrten Regelbetrag nach § 2 der früheren RegelbetragVerordnung erreichte (vgl. Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 127 d). Seit Januar 2008 beläuft sich der Unterhaltsbedarf für die Dauer der Minderjährigkeit jedenfalls auf die Höhe des Mindestunterhalts nach § 1612 a BGB i.V.m. § 36 Nr. 4 c EGZPO.
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3. Soweit das Berufungsgericht dem Beklagten ein unterhaltsrelevantes Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 1.307,69 € zugerechnet und ihn in Höhe des begehrten Unterhalts für leistungsfähig gehalten hat, hält dies den Angriffen der Revision allerdings nicht stand.
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a) Unstreitig erzielte der Beklagte lediglich ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.157,69 €. In diesem Nettoeinkommen sind Zuschläge enthalten, die sich für die zugrunde liegende Zeit von Juli 2004 bis Juni 2005 aus insgesamt 135 Überstunden ergeben.
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b) Soweit das Berufungsgericht dem Beklagten weitere fiktive Nettoeinkünfte in Höhe von 150 € monatlich zugerechnet hat, trägt die Begründung diese Entscheidung nicht.
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aa) Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Eltern, die sich in dieser Lage befinden, sind gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (sog. gesteigerte Unterhaltspflicht). Darin liegt eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht. Aus diesen Vorschriften und aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt auch die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können deswegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden. Trotz der nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern muss die Anrechnung fiktiver Einkünfte aber stets die Grenze des Zumutbaren beachten. Übersteigt die Gesamtbelastung des Unterhaltsschuldners diese Grenze, ist die Beschränkung seiner Dispositionsfreiheit als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsgemäßen Ordnung und kann vor dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen (BVerfG FamRZ 2007, 273 f., 2006, 469 f. und 2003, 661 f.).
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bb) Voraussetzung einer Zurechnung fiktiver Einkünfte ist mithin, dass der Unterhaltspflichtige die ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen hat und dass bei genügenden Bemühungen eine reale Beschäftigungschance bestanden hätte.
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(1) Im Rahmen der Zumutbarkeit einer Nebentätigkeit sind zunächst die objektiven Grenzen einer Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung des Umfangs der schon ausgeübten Vollzeittätigkeit zu berücksichtigen. Übt der Unterhaltspflichtige eine Berufstätigkeit aus, die 40 Stunden wöchentlich unterschreitet, kann grundsätzlich eine Nebentätigkeit von ihm verlangt werden. Denn wegen der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB muss der Unterhaltspflichtige sich mindestens an der Höchstgrenze der regelmäßigen Erwerbstätigkeit orientieren, die gegenwärtig noch 40 Stunden wöchentlich beträgt. Allerdings sind im Rahmen der objektiven Zumutbarkeit auch die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes zu beachten. Nach § 3 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten. Ausnahmen kommen nur in engen Grenzen in Betracht. Nach § 9 Abs. 1 ArbZG dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen grundsätzlich nicht beschäftigt werden. Damit ist die wöchentliche Arbeitszeit regelmäßig auf (6 Tage x 8 Stunden =) 48 Stunden begrenzt, wobei nach § 2 ArbZG die Arbeitszeiten bei verschiedenen Arbeitgebern zusammenzurechnen sind. Lediglich in mehrschichtigen Betrieben kann der Beginn und das Ende der Sonn- und Feiertagsruhe verschoben werden. Darüber hinaus sieht § 10 ArbZG Ausnahmen für bestimmte Arbeiten vor, die nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Mit diesen Vorschriften ist aus objektiver Sicht die Obergrenze der zumutbaren Erwerbstätigkeit auch für die Fälle vorgegeben, in denen der Unterhaltspflichtige nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB gesteigert unterhaltspflichtig ist (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 2008 - XII ZR 101/05 - FamRZ 2008, 872, 875 und BVerfG FamRZ 2003, 661, 662).
23
Das Berufungsgericht hat schon nicht hinreichend festgestellt, ob und in welchem Umfang die Vollzeittätigkeit des Beklagten die regelmäßige Arbeitszeit von 40 Wochenstunden erreicht oder gar übersteigt. Die vorliegenden Monatsjournale für die Zeit von Januar bis Mai 2006 legen die Annahme nahe, dass die regelmäßige Arbeitszeit des Beklagten 40 Wochenstunden beträgt. Das unterhaltsrelevante Einkommen haben die Instanzgerichte aber auf der Grundlage der Einkommensnachweise für die Zeit von Juli 2004 bis Juni 2005 ermittelt, die neben dem Festgehalt und sonstigen Zulagen sogar Vergütungen für insgesamt 135 Überstunden enthalten.
24
(2) Im Rahmen der Zurechnung fiktiver Nebenverdienste ist weiterhin zu prüfen, ob und in welchem Umfang es dem Unterhaltspflichtigen unter Abwägung seiner von ihm darzulegenden besonderen Lebens- und Arbeitssituation einerseits und der Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten andererseits zugemutet werden kann, eine Nebentätigkeit auszuüben (vgl. BVerfG FamRZ 2003, 661, 662). Auch die insoweit relevanten weiteren subjektiven und objektiven Voraussetzungen der Zurechnung fiktiver Einkünfte hat das Oberlandesgericht nicht hinreichend gewürdigt.
25
Zwar hat es in zutreffender Weise in seine Entscheidung einbezogen, dass der Beklagte an den Wochenenden nicht berufstätig und deswegen grundsätzlich samstags nicht an einer Nebentätigkeit gehindert ist. Soweit es weiter darauf abstellt, dass sich der Arbeitsplatz des Beklagten an seinem Wohnort befindet, spricht auch dieser Umstand gegen eine übermäßige Belastung durch die in Vollzeit ausgeübte Berufstätigkeit. Für die Zumutbarkeit einer Nebentätigkeit sagt dies allerdings noch nichts aus, solange ungeklärt ist, ob auch die Nebentätigkeit am Wohnort des Beklagten möglich wäre. Völlig unberücksichtigt hat das Berufungsgericht gelassen, dass der Beklagte der Vater des Klägers und eines weiteren Kindes ist und Art. 6 Abs. 2 GG ihm nicht nur das Recht zum Umgang einräumt, sondern auch eine entsprechende Pflicht auferlegt (vgl. BVerfG FamRZ 2008, 845, 847 ff. und Senatsbeschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 225/06 - FamRZ 2008, 1334 f.). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte seit dem 15. November 2005 wieder allein lebt und auch seinen Haushalt allein führen muss, was zwischen den Parteien unstreitig ist.
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Das Oberlandesgericht hat deswegen nicht unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände geprüft, ob dem Beklagten neben seiner vollschichtigen Erwerbstätigkeit, eventuellen Überstunden, der Kontaktpflege mit seinen Kindern und der Belastung durch die Haushaltsführung überhaupt genügend Zeit für eine Nebentätigkeit an Samstagen verbleibt.
27
(3) Schließlich halten auch die Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach der Beklagte eine zumutbare Nebentätigkeit finden und daraus monatlich 150 € netto erzielen könnte, den Angriffen der Revision nicht stand.
28
Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt neben den nicht ausreichenden Erwerbsbemühungen eine reale Beschäftigungschance voraus. Die Gerichte müssen deswegen prüfen, ob es Nebentätigkeiten entsprechender Art für den Unterhaltspflichtigen überhaupt gibt und der Aufnahme einer solchen Tätigkeit keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen, für die der Unterhaltspflichtige darlegungs- und beweispflichtig ist (Senatsurteil vom 22. Oktober 1997 - XII ZR 278/95 - FamRZ 1998, 357, 359; BVerfGE 68, 256, 270 = FamRZ 1985, 143, 146).
29
Auch die Höhe der fiktiv berücksichtigten Einkünfte hält einer rechtlichen Kontrolle nicht stand. Denn das Oberlandesgericht hat dem Beklagten Nettoeinkünfte in Höhe von 150 € monatlich angerechnet, ohne im Einzelnen darzulegen , wie diese sich errechnen. Weil das Berufungsgericht weder den vom Beklagten durch eine Nebentätigkeit erzielbaren Stundensatz noch den Umfang der ihm zugemuteten Nebenerwerbstätigkeit genau bemessen hat, kann die Entscheidung nach dem auch verfassungsrechtlich gebotenen Maßstab der Zumutbarkeit nicht überprüft werden. Die Begründung des Oberlandesgerichts trägt deswegen die Zurechnung der angesetzten fiktiven Einkünfte nicht.
30
4. Soweit das Berufungsgericht eine Berücksichtigung der Kreditverpflichtung des Beklagten abgelehnt hat, hält dies im Ergebnis der revisionsrechtlichen Prüfung stand. Allerdings kann die Begründung des Oberlandesgerichts nicht überzeugen. Denn der aufgenommene Kredit beläuft sich ohnehin nur auf knapp 900 € und die monatliche Rate beträgt lediglich 35 €. Wenn das Oberlandesgericht meint, den Beklagten treffe aus unterhaltsrechtlicher Sicht eine Obliegenheit, eine kostengünstigere gebrauchte Küche anzuschaffen, hätte es folgerichtig Kreditraten für deren Kosten berücksichtigen müssen.
31
Im Ergebnis können die Kreditraten aber deswegen unberücksichtigt bleiben, weil es sich wegen der geringen Höhe um Kosten der privaten Lebensführung handelt (vgl. auch Senatsurteil vom 30. August 2006 - XII ZR 98/04 - FamRZ 2006, 1511, 1514 f.). Diese sind von dem verbleibenden Einkommen zu tragen und können unterhaltsrechtlich nicht berücksichtigt werden.
32
5. Soweit das Berufungsgericht den Beklagten wegen eines im Einzelfall herabzusetzenden Selbstbehalts für voll leistungsfähig erachtet hat, hält dies den Angriffen der Revision nicht stand.
33
a) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass bei der Bemessung der Leistungsfähigkeit des Beklagten wegen seiner gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber dem minderjährigen Kläger nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB lediglich der notwendige Selbstbehalt zu wahren ist (Senatsurteil vom 9. Januar 2008 - XII ZR 170/05 - FamRZ 2008, 594, 596 f.). Dieser betrug nach den Leitlinien des Oberlandesgerichts für erwerbstätige Unterhaltspflichtige zunächst monatlich 775 €, ab Juli 2005 monatlich 820 € und beläuft sich für die Zeit ab Januar 2008 auf monatlich 900 € (vgl. FamRZ 2003, 1722, 1725, 2005, 1361, 1362 und 2008, 359,363 jeweils unter Ziff. 21.2).
34
b) Zwar ist im Selbstbehalt ein jeweils konkret aufgeführter Anteil für Wohnkosten enthalten. Soweit das Oberlandesgericht den Selbstbehalt des Beklagten wegen der tatsächlich geringeren Wohnkosten herabgesetzt hat, widerspricht dies aber der Rechtsprechung des Senats. Danach ist dem Unterhaltspflichtigen gegenüber seinen minderjährigen Kindern der notwendige Selbstbehalt zu belassen, auch wenn die Wohnkosten den insoweit im Selbstbehalt berücksichtigten Betrag unterschreiten (Senatsurteil vom 23. August 2006 - XII ZR 26/04 - FamRZ 2006, 1664, 1666). Es unterliegt grundsätzlich der freien Disposition des Unterhaltspflichtigen, wie er die ihm zu belassenden, oh- nehin knappen Mittel nutzt. Ihm ist es deswegen nicht verwehrt, seine Bedürfnisse anders als in den Unterhaltstabellen vorgesehen zu gewichten und sich z.B. mit einer preiswerteren Wohnung zu begnügen, um zusätzliche Mittel für andere Zwecke, etwa für Bekleidung, Urlaubsreisen oder kulturelle Interessen, einsetzen zu können. Diese Lebensgestaltungsautonomie kann dem Unterhaltsschuldner auch gegenüber Unterhaltsansprüchen für ein minderjähriges Kind nicht verwehrt werden.
35
c) Eine Absenkung des Selbstbehalts käme danach allenfalls für die Zeit bis zum 14. November 2005 in Betracht, in der der Beklagte in einer Haushaltsgemeinschaft mit seiner früheren Lebensgefährtin wohnte. Denn nach der Rechtsprechung des Senats kann der Selbstbehalt eines Unterhaltspflichtigen wegen einer infolge gemeinsamer Haushaltsführung tatsächlich eintretenden Ersparnis herabgesetzt werden, höchstens jedoch bis auf sein Existenzminimum nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen (Senatsurteil vom 9. Januar 2008 - XII ZR 170/05 - FamRZ 2008, 594, 598). Eine solche Herabsetzung kommt in Betracht, wenn der Unterhaltspflichtige in einer neuen Haushaltsgemeinschaft wohnt, dadurch Kosten für die Wohnung oder die allgemeine Lebensführung erspart und sich deswegen auch sozialhilferechtlich auf einen - im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft - geringeren Bedarf verweisen lassen müsste. Selbst wenn der Beklagte die relativ geringen Kosten der Wohnung hier allein getragen haben sollte, schließt dies eine gewisse Ersparnis durch die gemeinsame Haushaltsführung nicht aus. Ob und in welchem Umfang eine solche Ersparnis eingetreten ist, bedarf der tatrichterlichen Feststellung.
36
6. Das Berufungsurteil kann deswegen keinen Bestand haben.
37
Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Zurechnung fiktiver Einkünfte weder dem Grunde noch der Höhe nach. Im Rahmen der Leistungsfä- higkeit des Beklagten hat das Berufungsgericht dem Beklagten abweichend von der Rechtsprechung des Senats jedenfalls für den Zeitraum seines Alleinlebens einen zu geringen Selbstbehalt belassen.
38
7. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
39
Das Berufungsgericht muss bei der Prüfung der Zumutbarkeit eines Nebenerwerbs alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigen und die Höhe eines eventuell erzielbaren weiteren Einkommens in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise ermitteln. Sollte es dem Beklagten nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles ein Einkommen aus einer fiktiven Nebentätigkeit zurechnen, wird es insoweit auch pauschale berufsbedingte Kosten berücksichtigen müssen, weil ein konkreter Vortrag hinsichtlich fiktiver Einkünfte nicht verlangt werden kann.
40
Auf einen erhöhten Unterhaltsbedarf des Klägers ab Eintritt der Volljährigkeit am 6. April 2008 bis zum Ende des Unterhaltszeitraums am 31. Juli 2008 wird nach § 1612 b Abs. 1 Nr. 2 BGB das volle Kindergeld anzurechnen sein. Im Rahmen der Leistungsfähigkeit wird auch ein Nachrang gegenüber dem am 16. Mai 1992 geborenen weiteren Kind des Beklagten zu prüfen sein (§ 1609 Nr. 4 BGB).
Sprick Weber-Monecke Vézina Dose Klinkhammer

Vorinstanzen:
AG Zeitz, Entscheidung vom 28.06.2006 - 6 F 342/04 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 26.10.2006 - 4 UF 33/06 -

(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.

(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.

(1) Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung.

(2) Ein Ehegatte ist nicht verpflichtet, dem Verlangen des anderen Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft Folge zu leisten, wenn sich das Verlangen als Missbrauch seines Rechts darstellt oder wenn die Ehe gescheitert ist.

(1) Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt).

(2) Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung.

(1)1Für die Durchführung des Lohnsteuerabzugs werden Arbeitnehmer in Steuerklassen eingereiht.2Dabei gilt Folgendes:

1.
In die Steuerklasse I gehören Arbeitnehmer, die
a)
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und
aa)
ledig sind,
bb)
verheiratet, verwitwet oder geschieden sind und bei denen die Voraussetzungen für die Steuerklasse III oder IV nicht erfüllt sind; oder
b)
beschränkt einkommensteuerpflichtig sind;
2.
in die Steuerklasse II gehören die unter Nummer 1 Buchstabe a bezeichneten Arbeitnehmer, wenn bei ihnen der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b) zu berücksichtigen ist;
3.
in die Steuerklasse III gehören Arbeitnehmer,
a)
die verheiratet sind, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte des Arbeitnehmers auf Antrag beider Ehegatten in die Steuerklasse V eingereiht wird,
b)
die verwitwet sind, wenn sie und ihr verstorbener Ehegatte im Zeitpunkt seines Todes unbeschränkt einkommensteuerpflichtig waren und in diesem Zeitpunkt nicht dauernd getrennt gelebt haben, für das Kalenderjahr, das dem Kalenderjahr folgt, in dem der Ehegatte verstorben ist,
c)
deren Ehe aufgelöst worden ist, wenn
aa)
im Kalenderjahr der Auflösung der Ehe beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig waren und nicht dauernd getrennt gelebt haben und
bb)
der andere Ehegatte wieder geheiratet hat, von seinem neuen Ehegatten nicht dauernd getrennt lebt und er und sein neuer Ehegatte unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind,
für das Kalenderjahr, in dem die Ehe aufgelöst worden ist;
4.
in die Steuerklasse IV gehören Arbeitnehmer, die verheiratet sind, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben; dies gilt auch, wenn einer der Ehegatten keinen Arbeitslohn bezieht und kein Antrag nach Nummer 3 Buchstabe a gestellt worden ist;
5.
in die Steuerklasse V gehören die unter Nummer 4 bezeichneten Arbeitnehmer, wenn der Ehegatte des Arbeitnehmers auf Antrag beider Ehegatten in die Steuerklasse III eingereiht wird;
6.
die Steuerklasse VI gilt bei Arbeitnehmern, die nebeneinander von mehreren Arbeitgebern Arbeitslohn beziehen, für die Einbehaltung der Lohnsteuer vom Arbeitslohn aus dem zweiten und einem weiteren Dienstverhältnis sowie in den Fällen des § 39c.
3Als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig im Sinne der Nummern 3 und 4 gelten nur Personen, die die Voraussetzungen des § 1 Absatz 1 oder 2 oder des § 1a erfüllen.

(2)1Für ein minderjähriges und nach § 1 Absatz 1 unbeschränkt einkommensteuerpflichtiges Kind im Sinne des § 32 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3 werden bei der Anwendung der Steuerklassen I bis IV die Kinderfreibeträge als Lohnsteuerabzugsmerkmal nach § 39 Absatz 1 wie folgt berücksichtigt:

1.
mit Zähler 0,5, wenn dem Arbeitnehmer der Kinderfreibetrag nach § 32 Absatz 6 Satz 1 zusteht, oder
2.
mit Zähler 1, wenn dem Arbeitnehmer der Kinderfreibetrag zusteht, weil
a)
die Voraussetzungen des § 32 Absatz 6 Satz 2 vorliegen oder
b)
der andere Elternteil vor dem Beginn des Kalenderjahres verstorben ist oder
c)
der Arbeitnehmer allein das Kind angenommen hat.
2Soweit dem Arbeitnehmer Kinderfreibeträge nach § 32 Absatz 1 bis 6 zustehen, die nicht nach Satz 1 berücksichtigt werden, ist die Zahl der Kinderfreibeträge auf Antrag vorbehaltlich des § 39a Absatz 1 Nummer 6 zu Grunde zu legen.3In den Fällen des Satzes 2 können die Kinderfreibeträge für mehrere Jahre gelten, wenn nach den tatsächlichen Verhältnissen zu erwarten ist, dass die Voraussetzungen bestehen bleiben.4Bei Anwendung der Steuerklassen III und IV sind auch Kinder des Ehegatten bei der Zahl der Kinderfreibeträge zu berücksichtigen.5Der Antrag kann nur nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck gestellt werden.

(3)1Auf Antrag des Arbeitnehmers kann abweichend von Absatz 1 oder 2 eine für ihn ungünstigere Steuerklasse oder geringere Zahl der Kinderfreibeträge als Lohnsteuerabzugsmerkmal gebildet werden.2Der Wechsel von der Steuerklasse III oder V in die Steuerklasse IV ist auch auf Antrag nur eines Ehegatten möglich mit der Folge, dass beide Ehegatten in die Steuerklasse IV eingereiht werden.3Diese Anträge sind nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck zu stellen und vom Antragsteller eigenhändig zu unterschreiben.

(1)1Für die Durchführung des Lohnsteuerabzugs werden auf Veranlassung des Arbeitnehmers Lohnsteuerabzugsmerkmale gebildet (§ 39a Absatz 1 und 4, § 39e Absatz 1 in Verbindung mit § 39e Absatz 4 Satz 1 und nach § 39e Absatz 8).2Soweit Lohnsteuerabzugsmerkmale nicht nach § 39e Absatz 1 Satz 1 automatisiert gebildet werden oder davon abweichend zu bilden sind, ist das Finanzamt für die Bildung der Lohnsteuerabzugsmerkmale nach den §§ 38b und 39a und die Bestimmung ihrer Geltungsdauer zuständig.3Für die Bildung der Lohnsteuerabzugsmerkmale sind die von den Meldebehörden nach § 39e Absatz 2 Satz 2 mitgeteilten Daten vorbehaltlich einer nach Satz 2 abweichenden Bildung durch das Finanzamt bindend.4Die Bildung der Lohnsteuerabzugsmerkmale ist eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen im Sinne des § 179 Absatz 1 der Abgabenordnung, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht.5Die Bildung und die Änderung der Lohnsteuerabzugsmerkmale sind dem Arbeitnehmer bekannt zu geben.6Die Bekanntgabe richtet sich nach § 119 Absatz 2 der Abgabenordnung und § 39e Absatz 6.7Der Bekanntgabe braucht keine Belehrung über den zulässigen Rechtsbehelf beigefügt zu werden.8Ein schriftlicher Bescheid mit einer Belehrung über den zulässigen Rechtsbehelf ist jedoch zu erteilen, wenn einem Antrag des Arbeitnehmers auf Bildung oder Änderung der Lohnsteuerabzugsmerkmale nicht oder nicht in vollem Umfang entsprochen wird oder der Arbeitnehmer die Erteilung eines Bescheids beantragt.9Vorbehaltlich des Absatzes 5 ist § 153 Absatz 2 der Abgabenordnung nicht anzuwenden.

(2)1Für die Bildung und die Änderung der Lohnsteuerabzugsmerkmale nach Absatz 1 Satz 2 des nach § 1 Absatz 1 unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Arbeitnehmers ist das Wohnsitzfinanzamt im Sinne des § 19 Absatz 1 Satz 1 und 2 der Abgabenordnung und in den Fällen des Absatzes 4 Nummer 5 das Betriebsstättenfinanzamt nach § 41a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 zuständig.2Ist der Arbeitnehmer nach § 1 Absatz 2 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, nach § 1 Absatz 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln oder beschränkt einkommensteuerpflichtig, ist das Betriebsstättenfinanzamt für die Bildung und die Änderung der Lohnsteuerabzugsmerkmale zuständig.3Ist der nach § 1 Absatz 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandelnde Arbeitnehmer gleichzeitig bei mehreren inländischen Arbeitgebern tätig, ist für die Bildung der weiteren Lohnsteuerabzugsmerkmale das Betriebsstättenfinanzamt zuständig, das erstmals Lohnsteuerabzugsmerkmale gebildet hat.4Bei Ehegatten, die beide Arbeitslohn von inländischen Arbeitgebern beziehen, ist das Betriebsstättenfinanzamt des älteren Ehegatten zuständig.

(3)1In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 hat der Arbeitnehmer den Antrag für die erstmalige Zu-teilung einer Identifikationsnummer (§ 139b der Abgabenordnung) beim Wohnsitzfinanzamt und in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 beim Be-triebsstättenfinanzamt zu stellen.2Die Zuteilung einer Identifikationsnummer kann auch der Arbeitgeber beantragen, wenn ihn der Arbeitnehmer dazu nach § 80 Absatz 1 der Abgabenordnung bevollmächtigt hat.3Ist dem Arbeitnehmer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 und 2 bereits eine Identifikations-nummer zugeteilt worden, teilt das zuständige Finanzamt diese auf Anfrage des Arbeitnehmers mit.4Eine Anfrage nach Satz 3 kann auch der Arbeitgeber im Namen des Arbeitnehmers stellen.5Wird einem Arbeitnehmer in den Fällen des Satzes 1 keine Identifikationsnummer zugeteilt, gilt § 39e Absatz 8 sinngemäß.

(4) Lohnsteuerabzugsmerkmale sind

1.
Steuerklasse (§ 38b Absatz 1) und Faktor (§ 39f),
2.
Zahl der Kinderfreibeträge bei den Steuerklassen I bis IV (§ 38b Absatz 2),
3.
Freibetrag und Hinzurechnungsbetrag (§ 39a),
4.
Höhe der monatlichen Beiträge
a)
für eine private Krankenversicherung und für eine private Pflege-Pflichtversicherung, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung eines nach § 3 Nummer 62 steuerfreien Zuschusses für diese Beiträge vorliegen,
b)
für eine private Krankenversicherung und für eine private Pflege-Pflichtversicherung im Sinne des § 10 Absatz 1 Nummer 3 Satz 1,
5.
Mitteilung, dass der von einem Arbeitgeber gezahlte Arbeitslohn nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Lohnsteuer freizustellen ist, wenn der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber dies beantragt.

(4a)1Das Versicherungsunternehmen als mitteilungspflichtige Stelle hat dem Bundeszentralamt für Steuern nach Maßgabe des § 93c der Abgabenordnung die in Absatz 4 Nummer 4 genannten Beiträge unter Angabe der Vertrags- oder der Versicherungsdaten zu übermitteln, soweit der Versicherungsnehmer dieser Übermittlung nicht gegenüber dem Versicherungsunternehmen widerspricht; das Bundeszentralamt für Steuern bildet aus den automatisiert übermittelten Daten die entsprechenden Lohnsteuerabzugsmerkmale.2Abweichend von § 93c Absatz 1 Nummer 1 der Abgabenordnung sind die Daten bis zum 20. November des Vorjahres, für das die Beiträge maßgeblich sind, zu übermitteln.3Bei unterjährigen Beitragsänderungen sind die Daten dem Bundeszentralamt für Steuern zeitgleich mit der Mitteilung der Beitragsänderung an den Versicherungsnehmer zu übermitteln.4Ändern sich die nach Satz 2 übermittelten Daten infolge von Beitragsvorausleistungen, sind die geänderten Daten bis zum letzten Tag des Monats Februar des laufenden Jahres dem Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln.

(5)1Treten bei einem Arbeitnehmer die Voraussetzungen für eine für ihn ungünstigere Steuerklasse oder geringere Zahl der Kinderfreibeträge ein, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Finanzamt dies mitzuteilen und die Steuerklasse und die Zahl der Kinderfreibeträge umgehend ändern zu lassen.2Dies gilt insbesondere, wenn die Voraussetzungen für die Berücksichtigung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende, für die die Steuerklasse II zur Anwendung kommt, entfallen.3Eine Mitteilung ist nicht erforderlich, wenn die Abweichung einen Sachverhalt betrifft, der zu einer Änderung der Daten führt, die nach § 39e Absatz 2 Satz 2 von den Meldebehörden zu übermitteln sind.4Kommt der Arbeitnehmer seiner Verpflichtung nicht nach, ändert das Finanzamt die Steuerklasse und die Zahl der Kinderfreibeträge von Amts wegen.5Unterbleibt die Änderung der Lohnsteuerabzugsmerkmale, hat das Finanzamt zu wenig erhobene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachzufordern, wenn diese 10 Euro übersteigt.

(6)1Ändern sich die Voraussetzungen für die Steuerklasse oder für die Zahl der Kinderfreibeträge zu Gunsten des Arbeitnehmers, kann dieser beim Finanzamt die Änderung der Lohnsteuerabzugsmerkmale beantragen.2Die Änderung ist mit Wirkung von dem ersten Tag des Monats an vorzunehmen, in dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderung vorlagen.3Ehegatten können im Laufe des Kalenderjahres beim Finanzamt die Änderung der Steuerklassen beantragen.4Dies gilt unabhängig von der automatisierten Bildung der Steuerklassen nach § 39e Absatz 3 Satz 3 sowie einer von den Ehegatten gewünschten Änderung dieser automatisierten Bildung.5Das Finanzamt hat eine Änderung nach Satz 3 mit Wirkung vom Beginn des Kalendermonats vorzunehmen, der auf die Antragstellung folgt.6Für eine Berücksichtigung der Änderung im laufenden Kalenderjahr ist der Antrag nach Satz 1 oder 3 spätestens bis zum 30. November zu stellen.

(7)1Wird ein unbeschränkt einkommensteuerpflichtiger Arbeitnehmer beschränkt einkommensteuerpflichtig, hat er dies dem Finanzamt unverzüglich mitzuteilen.2Das Finanzamt hat die Lohnsteuerabzugsmerkmale vom Zeitpunkt des Eintritts der beschränkten Einkommensteuerpflicht an zu ändern.3Absatz 1 Satz 5 bis 8 gilt entsprechend.4Unterbleibt die Mitteilung, hat das Finanzamt zu wenig erhobene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachzufordern, wenn diese 10 Euro übersteigt.

(8) Ohne Einwilligung des Arbeitnehmers und soweit gesetzlich nichts anderes zugelassen ist, darf der Arbeitgeber die Lohnsteuerabzugsmerkmale nur für die Einbehaltung der Lohn- und Kirchensteuer verarbeiten.

(9) (weggefallen)

(1) Die Abkömmlinge sind vor den Verwandten der aufsteigenden Linie unterhaltspflichtig.

(2) Unter den Abkömmlingen und unter den Verwandten der aufsteigenden Linie haften die näheren vor den entfernteren.

(3) Mehrere gleich nahe Verwandte haften anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Der Elternteil, der ein minderjähriges Kind betreut, erfüllt seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch die Pflege und die Erziehung des Kindes.

(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.

(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.

(1) Die Abkömmlinge sind vor den Verwandten der aufsteigenden Linie unterhaltspflichtig.

(2) Unter den Abkömmlingen und unter den Verwandten der aufsteigenden Linie haften die näheren vor den entfernteren.

(3) Mehrere gleich nahe Verwandte haften anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Der Elternteil, der ein minderjähriges Kind betreut, erfüllt seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch die Pflege und die Erziehung des Kindes.

(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.

(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.