Oberlandesgericht Naumburg Urteil, 25. Aug. 2015 - 2 Ws 163/15

25.08.2015

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Stendal vom 4. Mai 2015 wird zugelassen.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Stendal vom 4. Mai 2015 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Dem Betroffenen liegt zur Last, als Führer eines Pkw am 13. Januar 2014 um 10:08 Uhr auf der B... Abschnitt 60, km 3,7 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h überschritten zu haben. Wegen dieses Vorwurfs erließ die zuständige Bußgeldbehörde am 8. April 2014 einen Bußgeldbescheid über eine Geldbuße von 120,00 Euro. Dagegen hatte der Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt. Diesen hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Dagegen richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er beanstandet, dass ihm durch die Verwerfung seines Einspruchs das rechtliche Gehör versagt worden sei.

II.

2

Der Antrag hat Erfolg.

3

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Dies ist geschehen, weil das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen ohne Sachprüfung verworfen und sich so der Möglichkeit begeben hat, dem Vorbringen des Betroffenen, das bei der Messung eingesetzte Messgerät sei nicht mehr ordnungsgemäß geeicht gewesen, nachzugehen.

4

Zum Verfahrensgang und zur rechtlichen Würdigung hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift an den Senat ausgeführt:

5

"Die zugrunde liegende Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht fand ohne Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers, Rechtsanwalt Sch., statt (Bl. 108 d. A.; Vollmacht Bl. 18 d. A.).

6

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem nach §§ 79 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaften und frist- und formgerecht eingelegten und begründeten und damit zulässig Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

7

Der Antrag hat auch mit der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge des Verstoßes gegen §§ 74 Abs. 2, 73 Abs. 2 OWiG Erfolg, §§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG.

1.

8

Die Rüge des Verstoßes gegen § 74 Abs. 2 OWiG, mithin das Gericht habe den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zu Unrecht verworfen, kann nur mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Eine solche ist hier erhoben, sie ist als Rüge des Verstoßes gegen das Recht des Betroffenen auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung und Verletzung des rechtlichen Gehörs auszulegen (Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 73 Rn. 16, 24; § 74 Rn. 48a ff.; § 80 Rn. 16b). Die Rüge ist ausreichend ausgeführt, da der Betroffene die Verfahrenstatsachen dafür, dass das Amtsgericht sein Ausbleiben nicht als unentschuldigt hätte ansehen dürfen, im Einzelnen so konkret dargelegt hat, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen zuträfe. Ohne Einblick in die Akten zu nehmen ist aufgrund der Benennung des Antrags auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen, der Beireichung der Vollmacht auf Rechtsanwalt Sch. und der Wiedergabe der tragenden Begründung des ablehnenden Beschlusses des Gerichts die Prüfung möglich, ob der Betroffene genügend entschuldigt war, weil das Gericht ihn hätte von der Pflicht zum Erscheinen entbinden müssen.

9

2. Die Rüge ist auch begründet, da die Voraussetzungen für die Verwerfung des Einspruchs ohne sachliche Überprüfung der Beschuldigung nicht vorlagen (vgl. dazu KK-OWiG/Senge, 3. Aufl., § 74 Rn. 38 ff., 55; Göhler/Seitz a.a.O., § 74 Rn. 48 b).

10

Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder wenn er erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht "weiter" zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag steht hierbei nicht im Ermessen des Gerichtes, vielmehr ist es verpflichtet, dem Antrag nachzukommen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (vgl. OLG Bamberg vom 30.10.2007 – 2 Ss OWi 1409/07, juris Rn. 17 ff. m.w.N.).

11

Der Betroffene hat in dem Entbindungsantrag vom 29. April 2015 die Fahrereigenschaft eingeräumt und erklären lassen, dass er weitere Angaben zur Sache oder zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht machen wird (Bl. 106, 140 d. A.). Die für einen wirksamen Entbindungsantrag erforderliche Vertretungsvollmacht für Rechtsanwalt Sch. hat vorgelegen (Bl. 18 d. A.; BayObLG vom 03.02.2000 – 2 ObOWi 638/99, juris Rn. 16; Göhler/Seitz a.a.O., § 73 Rn. 4).

12

Die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung wäre für eine weitere Sachaufklärung allenfalls noch dann dienlich gewesen, wenn hierfür seine "bloße physische Präsenz" genügt hätte (vgl. OLG Bamberg a.a.O., Rn. 18). Dies ist hier nicht der Fall, das Gericht hätte dem Antrag auf Entbindung nachkommen müssen.

13

Ob der Tatrichterin dieser Antrag bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung tatsächlich zur Kenntnis gelangt war, ist hierbei unerheblich (OLG Bamberg a.a.O., Rn. 20). Maßgeblich ist allein, dass nach Aktenlage der Antrag das Amtsgericht am 29. April 2015 um 16:35 Uhr erreicht hat (Bl. 106 und 140 d. A.) und deshalb bei gehöriger gerichtsinterner Organisation ihr rechtzeitig zugeleitet hätte werden können. Die Richtigkeit der Angaben in der Faxzeile des Schriftsatzes vom 29. April 2015 ist bisher nicht überprüft worden.

14

Das Unterlassen der rechtzeitig und begründet beantragten Entbindung des Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung am 4. Mai 2015 durch das Amtsgericht war demnach rechtsfehlerhaft und sperrte die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG (vgl. KK-OWiG a.a.O., § 74 Rn. 36)."

15

Diesen zutreffenden Ausführungen tritt der Senat bei.


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Referenzen - Gesetze

Oberlandesgericht Naumburg Urteil, 25. Aug. 2015 - 2 Ws 163/15 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 80 Zulassung der Rechtsbeschwerde


(1) Das Beschwerdegericht läßt die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 2 auf Antrag zu, wenn es geboten ist, 1. die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, soweit Abs

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 74 Verfahren bei Abwesenheit


(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 73 Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung


(1) Der Betroffene ist zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet. (2) Das Gericht entbindet ihn auf seinen Antrag von dieser Verpflichtung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, daß er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sac

Referenzen

(1) Das Beschwerdegericht läßt die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 2 auf Antrag zu, wenn es geboten ist,

1.
die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, soweit Absatz 2 nichts anderes bestimmt, oder
2.
das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

(2) Die Rechtsbeschwerde wird wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht und wegen der Anwendung von anderen Rechtsnormen nur zur Fortbildung des Rechts zugelassen, wenn

1.
gegen den Betroffenen eine Geldbuße von nicht mehr als einhundert Euro festgesetzt oder eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art angeordnet worden ist, deren Wert im Urteil auf nicht mehr als einhundert Euro festgesetzt worden ist, oder
2.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder im Strafbefehl eine Geldbuße von nicht mehr als einhundertfünfzig Euro festgesetzt oder eine solche Geldbuße von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war.

(3) Für den Zulassungsantrag gelten die Vorschriften über die Einlegung der Rechtsbeschwerde entsprechend. Der Antrag gilt als vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde. Die Vorschriften über die Anbringung der Beschwerdeanträge und deren Begründung (§§ 344, 345 der Strafprozeßordnung) sind zu beachten. Bei der Begründung der Beschwerdeanträge soll der Antragsteller zugleich angeben, aus welchen Gründen die in Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. § 35a der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

(4) Das Beschwerdegericht entscheidet über den Antrag durch Beschluß. Die §§ 346 bis 348 der Strafprozeßordnung gelten entsprechend. Der Beschluß, durch den der Antrag verworfen wird, bedarf keiner Begründung. Wird der Antrag verworfen, so gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen.

(5) Stellt sich vor der Entscheidung über den Zulassungsantrag heraus, daß ein Verfahrenshindernis besteht, so stellt das Beschwerdegericht das Verfahren nur dann ein, wenn das Verfahrenshindernis nach Erlaß des Urteils eingetreten ist.

(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Es genügt, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 der Strafprozeßordnung erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden.

(2) Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.

(3) Der Betroffene ist in der Ladung über die Absätze 1 und 2 und die §§ 73 und 77b Abs. 1 Satz 1 und 3 zu belehren.

(4) Hat die Hauptverhandlung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ohne den Betroffenen stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Es genügt, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 der Strafprozeßordnung erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden.

(2) Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.

(3) Der Betroffene ist in der Ladung über die Absätze 1 und 2 und die §§ 73 und 77b Abs. 1 Satz 1 und 3 zu belehren.

(4) Hat die Hauptverhandlung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ohne den Betroffenen stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.

(1) Der Betroffene ist zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet.

(2) Das Gericht entbindet ihn auf seinen Antrag von dieser Verpflichtung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, daß er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist.

(3) Hat das Gericht den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden, so kann er sich durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen.

(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Es genügt, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 der Strafprozeßordnung erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden.

(2) Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.

(3) Der Betroffene ist in der Ladung über die Absätze 1 und 2 und die §§ 73 und 77b Abs. 1 Satz 1 und 3 zu belehren.

(4) Hat die Hauptverhandlung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ohne den Betroffenen stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.