Oberlandesgericht München Beschluss, 31. Okt. 2016 - 34 AR 132/16

bei uns veröffentlicht am31.10.2016
vorgehend
Amtsgericht München, 262 C 12300/16, 08.08.2016

Gericht

Oberlandesgericht München

Tenor

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Frankfurt am Main.

Gründe

I. Die Parteien sind als Handelsgesellschaften Formkaufleute. Mit ihrer Klage vom 13.6.2016 zum Amtsgericht München (Az. 262 C 12300/16) macht die im Bezirk dieses Gerichts ansässige Klägerin gegen die Beklagte Restzahlungsansprüche aus einem Handelskauf, nämlich Lieferung eines Spiegels (Kristall mit Blattgoldrahmen handgeschnitzt) und eines Kristalllüsters (Handguss Bronze hell), geltend. Gemäß den Auftragsbestätigungen lägen ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen zugrunde, wonach in § 6 als (ausschließlicher) Gerichtsstand München vereinbart sei.

Das Amtsgericht hat mit Klagezustellung unter Bezugnahme auf „LG Karlsruhe, O 60/96 KfH II, in: MDR 1997, 29“ darauf hingewiesen, dass es die Gerichtsstandsklausel als unwirksam erachte, weil sie auch Verbraucher und Vertragspartner umfasse, deren Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordere. Hieran ändere sich angesichts des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion auch dann nichts, wenn die beklagte Partei Kaufmann sei. Die Reform des Handelsrechts rechtfertige keine andere Beurteilung, weil hierdurch keine sachliche Änderung der Rechtslage zur Prorogationsfähigkeit der sogenannten Minderkaufleute habe herbeigeführt werden sollen.

Auf die Zuständigkeitsrüge der Beklagten und den Antrag der Klägerin hat sich das Amtsgericht München mit Beschluss vom 8.8.2016 für örtlich unzuständig erklärt und mit der im Hinweis gegebenen Begründung den Rechtsstreit an das Amtsgericht Frankfurt am Main verwiesen. Die Klausel sei nicht wirksam, von ihr würden nicht einmal Verbraucher ausgenommen.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main (Az. 32 C 2276/16) hat sich nach Anhörung der Parteien seinerseits am 13.10.2016 für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Es hält die Gerichtsstandsklausel für wirksam in den Vertrag einbezogen. Ihre Unwirksamkeit könne im kaufmännischen Verkehr namentlich nicht daraus hergeleitet werden, dass sie auch gegenüber Verbrauchern verwendet werde. Dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München fehle jede gesetzliche Grundlage. Dieses stütze seine Rechtsmeinung ausschließlich auf eine landgerichtliche Entscheidung aus dem Jahr 1996, ohne sich mit der einhellig ablehnenden Folgerechtsprechung und Literatur auseinander zu setzen und ohne dass sich entsprechende Argumente für die abweichende Rechtsmeinung aus dem Akteninhalt ergäben. Der Verweis auf eine an der bezeichneten Fundstelle nur im Leitsatz wiedergegebene - mit guten Gründen von herrschender Rechtsprechung und Literatur verworfene - Rechtsprechung komme dem Fehlen jeglicher inhaltlicher Begründung gleich.

II. Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 37 ZPO sind gegeben, nämlich einerseits der grundsätzlich bindende Verweisungsbeschluss (vgl. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) des Amtsgerichts München vom 8.8.2016 und andererseits der die örtliche Zuständigkeit verneinende Beschluss des angegangenen Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 13.10.2016 (vgl. BGH NJW-RR 2013, 764; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 37. Aufl. § 36 Rn. 23 m. w. N.).

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Frankfurt am Main, weil es an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München gebunden ist (vgl. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Willkür (zum Begriff etwa BGH NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9 m. w. N.) liegt nämlich nicht vor.

1. Gerichtsstandsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind bei Verwendung unter Kaufleuten nach ganz herrschender Meinung nicht deshalb unwirksam, weil sie auch im Verkehr mit Verbrauchern (nicht ausschließbar) verwendet werden. Die in der Kommentarliteratur (MüKo/Patzina ZPO 5. Aufl. § 38 Rn. 22; Bork in Stein/Jonas ZPO 23. Aufl. § 38 Rn. 20 bei FN 44; Musielak/Heinrich ZPO 13. Aufl. § 38 Rn. 12; Zöller/Vollkommer § 38 Rn. 22: „alle gegen LG Karlsruhe MDR 79 - gemeint 97 -, 29“) immer noch zitierte Gegenansicht des Landgerichts Karlsruhe ist vereinzelt geblieben. Sie erscheint auch unzutreffend, weil die Wirksamkeitsprüfung im Individualprozess gruppentypisch erfolgt (BGHZ 110, 241/244; Heinrichs NJW 1997, 1407/1412 f. bei FN 142; Vollkommer MDR 1997, 231/232). Denn Prüfungsgegenstand ist allein der Vertrag in seiner konkreten Verwendung. Eine abstrakte Kontrolle, wie sie im Unterlassungsklagengesetz durchgeführt wird (§ 1 i. V. m. §§ 8 f.) und zur Beanstandung der fraglichen Bestimmung führen kann, findet an dieser Stelle hingegen nicht statt.

2. Indessen sind nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGH NJW-RR 2002, 1498; NJW 2003, 3201; siehe auch OLG Schleswig NJW 2006, 3361/3362) Verweisungsbeschlüsse wegen Willkür nicht deshalb ohne Bindungswirkung, weil sie von einer bekannten bzw. „ganz überwiegenden“ oder „fast einhelligen“ Rechtsauffassung abweichen. Denn dem deutschen Recht ist eine Präjudizienbildung grundsätzlich fremd (BGH NJW-RR 2002, 1498/1499). Vielmehr bedarf es zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen (BGH a. a. O.; vgl. auch BGH NJW-RR 2015, 1016 Rn. 11). Solche Umstände fehlen.

a) Das Amtsgericht München hat seine Rechtsmeinung unter Berufung auf die Ansicht des Landgerichts Karlsruhe näher begründet und dazu vorab mit Klagezustellung einen rechtlichen Hinweis erteilt. Die Beklagte hat sich diesem ohne weiteres angeschlossen, die Klägerin ihrerseits, ohne die gerichtliche Klauselbeurteilung in Frage zu stellen, schließlich vorbehaltlos unter dem 1.8.2016 Verweisung „an das zuständige Amtsgericht Frankfurt/Main“ beantragt. Es fällt zwar auf, dass das Amtsgericht München die ganz herrschende und die eigene Zuständigkeit begründende Gegenansicht in seiner Hinweisverfügung wie in seinem Verweisungsbeschluss mit keinem Wort erwähnt, obwohl sie - auch im Kontext mit der Meinung des Landgerichts Karlsruhe (die im Übrigen unter MDR 1997, 29 mit Sachverhalt und den wesentlichen Entscheidungsgründen publiziert und beispielsweise auch über juris abrufbar ist) - nicht übersehen werden kann. Ergeht die Verweisung aber im Einvernehmen beider Parteien, ist mit dem Vorwurf von (objektiver) Willkür Zurückhaltung zu üben. Begründungsdefizite rechtfertigen in diesem Fall nicht den Vorwurf der Willkür (BGH NJW 2003, 3201/3202; siehe auch BGH NJW-RR 2008, 1309 Rn. 10 für den umgekehrten Fall, dass sich beide Parteien für die beantragte Verweisung auf die vertragliche Gerichtsstandsvereinbarung berufen).

b) Von der vom Amtsgericht Frankfurt am Main im Vorlagebeschluss zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (MDR 2014, 1106) weicht der Senat nicht ab. Dieses Gericht erachtet Willkür dann als gegeben, wenn ein Verweisungsbeschluss von einer beinahe einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Fachliteratur abweicht (wovon für die strittige Frage hier ausgegangen werden kann) und sich mit dieser Meinung auch nicht auseinandersetzt. Gleichzeitig verlangt aber auch das Oberlandesgericht Hamm einen konkreten Umstand, der das Gericht zur Auseinandersetzung veranlasst (MDR 2014, 1106/1107), etwa den Hinweis einer Partei und das fehlende Einvernehmen über die Verweisung des Rechtsstreits.

c) Mit der ausgesprochenen Verweisung muss es deshalb sein Bewenden haben.

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Referenzen - Gesetze

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 36 Gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit


(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt: 1. wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist;2. wenn es mit Rücksich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 281 Verweisung bei Unzuständigkeit


(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers

Zivilprozessordnung - ZPO | § 37 Verfahren bei gerichtlicher Bestimmung


(1) Die Entscheidung über das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts ergeht durch Beschluss. (2) Der Beschluss, der das zuständige Gericht bestimmt, ist nicht anfechtbar.

Referenzen

(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:

1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist;
2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei;
3.
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist;
4.
wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist;
5.
wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben;
6.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.

(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.

(1) Die Entscheidung über das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts ergeht durch Beschluss.

(2) Der Beschluss, der das zuständige Gericht bestimmt, ist nicht anfechtbar.

(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.

(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.

(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.