Oberlandesgericht München Beschluss, 07. Okt. 2016 - 14 U 1232/16

bei uns veröffentlicht am07.10.2016

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten zu 1) gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 15.02.2016, Aktenzeichen 23 O 2016/12, wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der Tenor in Ziffer 1 wie folgt neu gefasst wird:

1.1. Der Beklagte zu 1) haftet der Klägerin dem Grunde nach mit einer Quote von 50% für alle Aufwendungen, die der Klägerin aus Anlass des Arbeitsunfalls ihres Versicherten Christian L. vom 06.10.2011 entstanden sind und künftig noch entstehen werden, wobei der Anspruch der Klägerin auf die Hälfte der Höhe des zivilrechtlichen Schadens zuzüglich eines angemessenen Schmerzensgeldes beschränkt wird.

1.2. Der weitergehende Feststellungsantrag und die Klage gegen den Beklagten zu 2) werden abgewiesen.

2. Der Beklagte zu 1) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 61.008,49 € festgesetzt.

Gründe

Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 15.02.2016 und den Hinweis des Senats vom 04.08.2016 Bezug genommen. Die Klägerin erstrebt von den Beklagten als Gesamtschuldner den Ersatz von Aufwendungen in Höhe von 51.008,49 € zuzüglich Zinsen und die Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner sämtliche zukünftigen Aufwendungen zu ersetzen haben, die sie aufgrund des Arbeitsunfalls ihres Versicherten Christian L. vom 06.10.2011 zu erbringen hat, wobei der Anspruch auf die Höhe des zivilrechtlichen Schadens zuzüglich eines Schmerzensgeldes von mindestens 30.000 € beschränkt werde.

Das Landgericht hat mit dem angegriffenen Urteil ausgesprochen, dass der Beklagte zu 1) dem Grunde nach mit einer Haftungsquote von 50% hafte und der Beklagte zu 2) nicht hafte.

Der Beklagte zu 1) als Berufungsführer beantragt die Aufhebung des angefochtenen Grundurteils und die Abweisung der Klage gegen ihn.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung und im Wege der unselbständigen Anschlussberufung die Abänderung des angefochtenen Urteils dahingehend, dass der Beklagte zu 1) dem Grunde nach mit einer Haftungsquote von 80% haftet.

Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 15.02.2016, Aktenzeichen 23 O 2016/12, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten. Dabei war zur Klarstellung des Urteilsinhalts der Tenor neu zu formulieren.

Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.

1. Es trifft nicht zu, dass das auch vom Beklagten erkannte Stufenverhältnis der Absätze 1 bis 3 des § 12 BGV C 22 durch die Ziffer 4.3.1 der BGR 203 für „kurzzeitige Dacharbeiten“ außer Kraft gesetzt wird. Ziffer 4.3.1, die nur einen allgemeinen tabellarischen Überblick enthält, wird unter Ziffer 4.3.5 bezüglich des Anseilschutzes präzisiert. Diese Regelung präzisiert und erläutert den in § 12 Abs. 3 BGV C 22 verwendeten Begriff „unzweckmäßig“ dahingehend dass die Zweckmäßigkeit dann fehlt, wenn entweder bauliche oder sicherheitstechnische Gründe dem Anbringen von Auffangeinrichtungen entgegenstehen oder die auszuführenden Arbeiten einen geringen „Gesamtumfang“ haben, der nach oben auf „nicht mehr als 2-Personentage“ begrenzt wird.

2. „2-Personentage“ sind gerade nicht gleichzusetzen mit zwei Arbeitstagen. Sonst wäre der letztgenannte Begriff verwendet worden.

Das Unfallrisiko steigt eben nicht nur mit der zeitlichen Dauer der durchzuführenden Arbeiten, sondern auch mit der Anzahl der auf dem Dach arbeitenden Personen. Da im konkreten Fall für zwei Personen zwei Arbeitstage angesetzt waren, liegt eben gerade kein Gesamtumfang von 2-Personentagen, sondern ein solcher von 4 Personentagen vor. Das Anbringen einer Auffangeinrichtung hätte sich somit „gelohnt“. Nach der Auslegung des Beklagten, die im Wortlaut nicht die geringste Stütze findet, wäre dem Missbrauch dieser Ausnahmeregelung Tür und Tor geöffnet. Dann würde auch bei einem Einsatz von 10 Mann auf dem Dach über die Dauer von zwei Tagen noch ein bloßer Anseilschutz genügen.

Dies zeigt, dass in der BGR 203 aus gutem Grund von „2-Personentagen“ und nicht von zwei Arbeitstagen die Rede ist.

3. Dem Beklagten ist auch der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen.

3.1. Der Verletzte L. stürzte von einem Dach über mindestens 4 Meter in die Tiefe. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die hier in Rede stehende Unfallverhütungsvorschrift den Schutz vor tödlichen Gefahren betrifft, ganz sicher nicht. Ein Sturz aus mehr als drei Metern Höhe kann immer tödlich sein. Die Relativierung der Bedeutung der Schutzvorschriften in § 12 BGV C 22 ist somit schlicht unverständlich. Sollte der Schriftsatz vom 30.09.2016 an dieser Stelle den Meinungsstand des Beklagten zu 1) widerspiegeln (und nicht nur persönliche Überlegungen seines Prozessbevollmächtigten), wäre dies ein weiterer Hinweis auf ein noch immer mangelhaftes Gefahrenbewusstsein.

3.2. Das Fehlen von Montageanweisungen, wie dies in dem als Anlage K 14 vorgelegten Protokoll moniert wird, hat nichts mit dem Montageplan, der als Anlage B 1/2 vorgelegt wurde, zu tun. Der Montageplan hat den fachgerechten Dachaufbau zum Gegenstand. Die in Anlage K 14 unter Ziffer 9 angesprochene Montageanweisung betrifft „klare Konzepte für sichere Arbeitsweisen auf den jeweils unterschiedlichen Dächern“, sollte schriftlich vorliegen und „alle erforderlichen sicherheitstechnischen Angaben“ enthalten. Eine solche schriftliche sicherheitstechnische Anweisung liegt offensichtlich bis heute nicht vor.

3.3. Das Vergessen des in erster Instanz mitbeklagten Beklagten zu 2) wurde vom Landgericht als einfache Fahrlässigkeit eingestuft. Insoweit ist das landgerichtliche Urteil rechtskräftig. Ob der Senat dies auch so gesehen hätte, kann daher dahinstehen. Dieses versehentliche Vergessen ist aber - dies wurde im Hinweisbeschluss unter Ziffer 3.1. dargelegt - gerade die Folge einer fehlenden klaren Richtlinie mit den dazugehörigen Kontrollmechanismen. Deren Fehlen hat der Beklagte zu 1) zu vertreten.

3.4. Es entspricht auch nicht den Tatsachen, dass dem streitgegenständlichen Vorfall nur eine einzige Rüge seitens der zuständigen Aufsichtsbehörden vorangegangen wäre. Die Anlagen K 3 und K 4 mögen die selbe Baustelle und die selbe Kontrolle betroffen haben (J.). Dies trifft auf die sofortige Einstellung der Arbeiten am 08.04.2010 (Anlage K 5) schon nicht mehr zu. Betroffen war dort eine Baustelle in N. i. N.. Dieser zweite Vorfall ereignete sich nur eine Woche nach dem Erlass des Bußgeldbescheids gegen den Beklagten in der J. Angelegenheit.

Dass gegen einen der beim Beklagten beschäftigten Bauleiter zudem drei Bußgeldbescheide wegen fehlender Sicherheitseinrichtungen ergehen konnten, zeigt ebenfalls auf, dass es vor dem Unfall des Geschädigten L. nicht nur eine (1) behördliche Abmahnung gegeben hat.

Dass die weitere Baueinstellung vom 30.08.2012 (Anlage K 6) nach dem hier streitgegenständlichen Unfall lag, ist richtig. Der Vorgang ist aber gleichwohl ein Indiz für den unzureichenden Stellenwert der Arbeitsplatzsicherheit im Unternehmen des Beklagten.

3.5. Der Senat nimmt zur Kenntnis, dass es sich beim Sachvortrag zum rechtmäßigen Alternativverhalten nicht um solchen des Beklagten, sondern nur um Überlegungen seines Prozessbevollmächtigten handelt.

Dies lässt aber den Kern der Argumentation des Senats unberührt: Wenn die Mitarbeiter des Beklagten bei Missachtung der Sicherheitsvorschriften mit arbeitsrechtlichen Sanktionen hätten rechnen müssen, hätten sie diese Regeln nicht missachtet. Wenn aber ein Bauleiter auch nach drei Bußgeldbescheiden wegen Missachtung der Sicherheitsbestimmungen immer noch Bauleiter ist, dann signalisiert dies, dass das Regelwerk innerbetrieblich als unverbindlicher Vorschlag betrachtet werden darf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung des § 3 ZPO bestimmt. Für das Grundurteil zum Zahlungsantrag (hinsichtlich des Feststellungsantrags ist es ebenso wie bezüglich des Beklagten zu 2) ein Teilendurteil) ist der Streitwert der Hauptsache maßgebend. Den Feststellungsantrag bewertet der Senat mit 10.000 €.

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Referenzen - Gesetze

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen


Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Referenzen

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.