Oberlandesgericht Köln Beschluss, 01. Juni 2015 - 2 Ws 299/15
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftbefehl des Amtsgerichts B. vom 06.08.2009 in Gestalt des Haftfortdauerbeschlusses des Landgerichts B. vom 10.07.2012, zuletzt in der Fassung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 05.06.2014, aufgehoben.
1
Gründe:
2I.
3Der Beschwerdeführer ist am 05.08.2009 vorläufig festgenommen worden und befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts B. vom 06.08.2009 seitdem, unterbrochen durch die Vollstreckung von 22 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe in der Zeit vom 04.11.2009 bis zum 25.11.2009, in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Köln.
4Die Staatsanwaltschaft B. hat unter dem 09.11.2009 Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge sowie gegen eine Mitangeklagte wegen Anstiftung zum schweren Raub erhoben.
5Nach Eröffnung des Hauptverfahrens am 04.01.2010 hat die 4. große Strafkammer als Schwurgericht des Landgerichts B. am 01.02.2010 mit der Hauptverhandlung begonnen. Nach 14 Hauptverhandlungstagen hat die Strafkammer den Beschwerdeführer am 11.06.2010 wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und im Beschlusswege die Haftfortdauer angeordnet.
6Gegen dieses Urteil, welches am 07.07.2010 schriftlich abgesetzt wurde, hat u.a. der Beschwerdeführer Revision eingelegt. Die Akten sind dem Bundesgerichtshof mit Verfügung des Generalbundesanwaltes vom 10.02.2011 übersandt worden und dort am 17.02.2011 eingegangen. Mit Verfügung des Vorsitzenden des 2. Strafsenats vom 02.03.2011 ist Termin zur Hauptverhandlung auf den 13.04.2011 anberaumt worden. Mit Urteil vom 25.05.2011 - 2 StR 605/10 – hat der Bundesgerichtshof das zu Grunde liegende Urteil des Landgerichts B. vom 11.06.2010 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts B. zurück verwiesen. Ausweislich der Urteilsgründe hat der Bundesgerichtshof die Beweiswürdigung des Landgerichts für fehlerhaft erachtet. Die Verfahrensakten wurden unter dem 03.08.2011 von dem Bundesgerichtshof an die Generalstaatsanwaltschaft Köln zurückgesandt. Bei dem Landgericht sind sie am 19.08.2011 eingegangen.
7Nach Durchführung einer neuen Hauptverhandlung, die am 01.12.2011 begonnen und an insgesamt 33 Sitzungstagen stattgefunden hat, hat die 1. große Strafkammer als Schwurgericht des Landgerichts B. den Beschwerdeführer am 10.07.2012 erneut wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und den Haftbefehl aufrecht erhalten. Auch gegen dieses Urteil, welches am 04.10.2012 schriftlich abgesetzt war, hat der Beschwerdeführer Revision eingelegt und diese mit Schreiben vom 12.11.2012 begründet.
8Die Akten wurden mit Stellungnahme des Generalbundesanwalts vom 26.02.2013 dem Bundesgerichtshof zugeleitet, wo sie am 19.03.2013 eingingen. Die Revisionshauptverhandlung wurde auf den 28.05.2014 terminiert. Mit Urteil vom 05.06.2014 - 2 StR 624/12 – hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Bonn vom 10.07.2012 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts K. zurückverwiesen. Insoweit hat der Bundesgerichtshof eine von der Strafkammer vorgenommene Zurückweisung eines Beweisantrages gemäß § 244 Abs. 3 S. 2 StPO als verfahrensfehlerhaft erachtet sowie bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers festgestellt. Der Bundesgerichtshof hat zudem mit Beschluss vom gleichen Tage den vom Verteidiger des Beschwerdeführers in der Revisionshauptverhandlung am 28.05.2014 nach § 126 Abs. 3 StPO gestellten Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls abgelehnt. Der Beschluss enthält die nachfolgende Begründung:
9„ Für die Frage der Fortdauer der Untersuchungshaft ist grundsätzlich das Tatgericht zuständig (§ 126 Abs. 2 Satz 2 StPO). Gemäß § 126 Abs. 3 StPO kann das Revisionsgericht den Haftbefehl dann aufheben, wenn es zugleich das angefochtene Urteil aufhebt und sich bei dieser Entscheidung „ohne weiteres“, das heißt ohne weitere Ermittlungen (vgl. BT-Drucks. IV/178 S.17), ergibt, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig wäre. Das ist hier – unbeschadet der langen Dauer der Untersuchungshaft – mit Blick auf den weiterhin im Raum stehenden dringenden Tatverdacht des Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge nicht der Fall (§ 112 Abs. 1 und 3, § 120 Abs. 1 StPO).“
10Nach Abschluss des Revisionsverfahrens sind die Verfahrensakten von der Staatsanwaltschaft Bonn, soweit aus den vorliegenden Akten erkennbar, unter dem 23.09.2014 an das Landgericht K. übersandt worden.
11Bereits mit dem an das Landgericht K. adressierten anwaltlichen Schriftsatz vom 23.06.2014 hatte der Beschwerdeführer beantragt, Termin zur mündlichen Haftprüfung anzuberaumen und den Haftbefehl des Amtsgerichts B. vom 06.08.2009 in der Fassung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 05.06.2014 aufzuheben, hilfsweise den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen. Zur Begründung wendet sich der Beschwerdeführer sowohl gegen die Annahme eines dringenden Tatverdachts, als auch gegen die Haftgründe und macht insbesondere geltend, dass die weitere Aufrechterhaltung des Haftbefehls im Hinblick auf den Zeitablauf des Verfahrens unverhältnismäßig sei und gegen den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verstoßen würde. Dies gelte namentlich mit Blick auf die über 14 Monate in Anspruch nehmende revisionsrechtliche Prüfung.
12Mit Beschluss vom 11.07.2014 hat die zuständige 11. große Strafkammer des Landgerichts K. diesen Antrag zurückgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, dass sich ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot mit Rücksicht auf die Komplexität des Falles nicht allein aus der zeitlichen Dauer des Revisionsverfahrens ergebe. Zu berücksichtigen sei auch, dass das Verfahren im Übrigen stets mit der erforderlichen Sorgfalt gefördert worden sei. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung sei auch zukünftig nicht zu besorgen, da nach „derzeitigem Stand [...] unter Berücksichtigung einer angemessenen Einarbeitungszeit in den umfangreichen Prozessstoff davon auszugehen“ sei, „dass mit der Hauptverhandlung Anfang Januar 2015 begonnen werden kann.“
13Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22.04.2015 (weitere) Beschwerde eingelegt und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen macht die Verteidigung geltend, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung sei auch darin zu sehen, dass die Strafkammer den für Anfang Januar 2015 angekündigten Hauptverhandlungsbeginn nicht eingehalten habe.
14Die zuständige Strafkammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 29.04.2015 nicht abgeholfen und ergänzend auf die Belastungssituation der Kammer und die gleichwohl am 01.04.2015 erfolgte Terminierung der Hauptverhandlung an 33 Verhandlungstagen zwischen dem 06.08.2015 und dem 26.11.2015 hingewiesen.
15Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlageverfügung vom 15.05.2015 beantragt, die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts K. vom 11.07.2014 als unbegründet zu verwerfen.
16II.
17Das gemäß § 304 StPO als zulässige Beschwerde auszulegende Rechtsmittel gegen den Beschluss der 11. großen Strafkammer des Landgerichts K. vom 11.07.2014 ist begründet.
18Der Haftbefehl des Amtsgerichts B. vom 06.08.2009 in der Form des Haftfortdauerbeschlusses des Landgerichts B. vom 10.07.2012, zuletzt in der Fassung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 05.06.2014, war aufzuheben, da die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen, § 120 Abs. 1 StPO.
19In Übereinstimmung mit den Ausführungen des angefochtenen Beschlusses, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verweisen wird, hält auch der Senat die Voraussetzungen des dringenden Tatverdachts sowie des Haftgrundes der Fluchtgefahr bzw. des Haftgrundes des § 112 Abs.3 StPO weiterhin für gegeben. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist jedoch wegen einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes inzwischen nicht mehr verhältnismäßig.
20Verfahren, in denen sich ein Beteiligter in Untersuchungshaft befindet, sind von Beginn an sowie während der gesamten Dauer des Strafverfahrens (vgl.: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22.02.2005 - 2 BvR109/05 -, StV 2005, 220, 222) mit besonderer Beschleunigung zu betreiben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstärkt sich das Gewicht des Freiheitsanspruches des Untersuchungshaftgefangenen gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (BVerfGE 19, 342 (347); 53, 152 (158 f)), so dass damit auch höhere Anforderungen an das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes zu stellen sind (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 05.12.2005 - 2 BvR 1964/05 -). Entsprechend dem Gewicht der zu ahnenden Straftat können ggf. kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Allein die Schwere der Tat und die sich hieraus ergebende Straferwartung können aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden (BVerfG-StV 2005, 220 (224). Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Inhaftierten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse kommt es für die Bestimmung der Angemessenheit der Verfahrensdauer neben einer Analyse des Verfahrensverlaufs u. a. auf die Komplexität des Verfahrens, die Anzahl der beteiligten Personen sowie das Verhalten der Verteidigung an (vgl.: BVerfG, Beschluss vom 05.12.2005 a.a.O.).
21Trotz des schwerwiegenden Tatvorwurfs des Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge sowie der dem Angeklagten im Fall einer Verurteilung zu erwartenden lebenslangen Freiheitsstrafe rechtfertigt dieser Tatvorwurf bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung inzwischen nicht die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft.
22Der Beschwerdeführer befindet sich - unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafe - rund 5 Jahre und 9 Monate in Untersuchungshaft. Eine rechtskräftige Verurteilung ist trotz zweier erstinstanzlicher Entscheidungen des Landgerichts Bonn, die im Revisionsverfahren durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs jeweils aufgehoben worden sind, bislang nicht erfolgt. Diese außergewöhnlich lange Dauer der Inhaftierung rechtfertigt für sich gesehen zwar nicht die generelle Annahme, dass eine weitere Vollstreckung der Untersuchungshaft unverhältnismäßig wäre, zumal es sich vorliegend um einen besonders aufwändigen und schwierigen Indizienprozess handelt. Andererseits war jedoch auch zu berücksichtigen, dass sich das Verfahren lediglich gegen zwei Angeklagte richtet und der Aktenumfang dem eines üblichen Schwurgerichtsverfahrens in etwa entspricht.
23Die Prüfung des Verfahrensverlaufs ergibt, dass das Verfahren bis zum Erlass des Urteils des Landgerichts B. vom 10.07.2012 mit der gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist. Die Staatsanwaltschaft B. hat unter dem 09.11.2009 und damit bereits drei Monate nach der Verhaftung des Beschwerdeführers Anklage erhoben. Die zunächst zuständige Schwurgerichtskammer des Landgerichts B. hat weniger als zwei Monate nach Eingang der Anklage - am 04.01.2010 - über die Eröffnung des Hauptverfahrens befunden und binnen vier Wochen, am 01.02.2010, mit der Hauptverhandlung begonnen. Ein Urteil ist unter dem 11.06.2010 ergangen, welches am 07.07.2010 schriftlich abgesetzt war. Aufgrund der eingelegten Revisionen der beiden Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft sowie nach Vorlage der Revisionsbegründungen hat der Generalbundesanwalt die Akten dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt, wo sie am 17.02.2011 eingegangen sind. Am 25.05.2011 und damit binnen eines Zeitraums von rund drei Monaten nach Eingang der Akten hat der Bundesgerichtshof über die eingelegten Revisionen entschieden. Die Verfahrensakten sind am 19.08.2011 bei dem Landgericht B. eingegangen, wobei die nunmehr zuständige 1. Strafkammer den Beginn der neuen Hauptverhandlung auf den 01.12.2011 anberaumt hatte. Ausweislich der Akten stand einer noch zeitnäheren Terminierung entgegen, dass der Verteidiger des Beschwerdeführers im November 2011 aufgrund anderweitiger Termine verhindert war. Die zuständige Strafkammer hat die Hauptverhandlung, die von der Erhebung einer Vielzahl von Beweisen, unter anderem der Einholung mehrerer Sachverständigengutachten, geprägt war, nach 33 Verhandlungstagen mit Urteil vom 10.07.2012 abgeschlossen. Auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage begegnet die Verfahrensbearbeitung bis zu diesem Zeitpunkt unter Berücksichtigung des in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatzes keinen Bedenken, wobei der Senat ergänzend auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Beschluss Bezug nimmt.
24Hingegen war vorliegend auch festzustellen, dass das nach dem Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts B. vom 10.07.2012 folgende weitere Verfahren den Vorgaben des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen nicht mehr vollständig gerecht geworden ist. Dies ergibt sich bereits daraus, dass seit Absetzung des vorgenannten Urteils ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren und sieben Monaten vergangen ist, ohne dass ein rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens vorliegt bzw. - derzeit - noch nicht einmal mit einer erneuten Hauptverhandlung begonnen ist.
25Maßgebend für diesen Zeitraum ist zum einen die aus Sicht des Senats ungewöhnlich lange zeitliche Dauer des „zweiten“ Revisionsverfahrens. Die Verteidigung hat zutreffend darauf hingewiesen, das vom Eingang der Akten beim Bundesgerichtshof am 19.03.2013 bis zum Erlass des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 05.06.2014 ein Zeitraum von 14 ½ Monaten vergangen ist. Ergänzend bemerkt der Senat, dass bis zum Eingang der Verfahrensakten beim Landgericht K. im September 2014 eine Zeitspanne von weiteren drei Monate verstrichen ist.
26Weiter war insoweit festzustellen, dass das Verfahren nach Eingang der Akten beim Landgericht K., offensichtlich bedingt durch die Belastung der zuständigen Strafkammer mit weiteren Haftsachen, was im Frühjahr diesen Jahres auch zu einer vom Präsidium vorgenommenen Ableitung von (anderen) Verfahren geführt hat, nicht mit der vorliegend gebotenen besonderen Beschleunigung gefördert worden ist. Entgegen einem von der zuständigen Strafkammer im angefochtenen Beschluss zunächst für möglich erachteten Prozessbeginn ab Anfang Januar 2015 hat die Vorsitzende der Strafkammer erst am 01.04.2015 Hauptverhandlungstermine - beginnend ab dem 06.08.2015 - bestimmt. Zwischen dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 05.06.2014 und der erneuten Hauptverhandlung liegt somit ein Zeitraum von 14 Monaten. Soweit die Strafkammer in der Nichtabhilfeentscheidung vom 29.04.2015 ausführt, dass ein frühzeitiger Beginn der Hauptverhandlung, insbesondere der zunächst in Aussicht genommene Beginn im Januar 2015, aufgrund vorrangig zu bearbeiten Haftsachen nicht zu realisieren war, hegt der Senat Zweifel, ob dies den vorliegend erhöhten Anforderungen des Beschleunigungsgrundsatzes ausreichend Rechnung trägt. Im Strafverfahren gilt nicht nur der Grundsatz, der vorrangigen Bearbeitung von Haftsachen gegenüber Nichthaftsachen, sondern auch von besonderen Haftsachen gegenüber anderen Haftsachen (vgl.: BVerfG B., v. 05.12.2005, a.a.O. Rn 82; OLG Düsseldorf Beschluss vom 25.03.1996 - 2 Ws 86/96 -). Der Senat, dem die Belastung der zuständigen Strafkammer mit Haftsachen aus der Befassung mit Entscheidungen nach §§ 121 f StPO vor Augen steht, ist nicht bekannt, dass neben der vorliegenden Haftsache, die im Hinblick auf die außergewöhnlich lange Dauer der Untersuchungshaft als „besondere Haftsache“ anzusehen ist, bei der zuständigen Schwurgerichtskammer weitere besondere Haftsachen anhängig sind. Soweit dies nicht der Fall gewesen sein sollte, was der Senat hier nicht abschließend aufklären musste, wäre dieses Verfahren vor anderen Haftsachen vorrangig zu bearbeiten und zeitnah zu terminieren gewesen. Trotz der unbestrittenen Schwierigkeit und Komplexität des Verfahrens erscheint es daher zweifelhaft, ob die erst ca. sechs Monate nach Eingang der Verfahrensakten vorgenommene und mit einem zeitlichen Vorlauf von rund vier Monaten erfolgte Terminierung den Vorgaben des Beschleunigungsgrundsatzes noch gerecht wird. Im Hinblick auf die besonders lange Dauer der Untersuchungshaft wäre das Landgericht gehalten gewesen, alles in seiner Macht stehende zu tun, um eine gerichtliche Entscheidung über die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Tat so zeitnah wie irgend möglich herbeizuführen (BVerfGE 36, 264 (273)).
27Der Senat konnte offen lassen, ob die aufgezeigten Gesichtspunkte, jeweils einzeln betrachtet, vor dem Hintergrund des erheblichen Tatvorwurfs sowie der Schwierigkeit des Verfahrens bereits zur Annahme einer Unverhältnismäßigkeit der Haftfortdauer ausgereicht hätten. Im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung war jedoch festzustellen, dass die Förderung des Verfahrens seit der letzten Entscheidung durch das Landgericht B. im Juli 2012 nicht mehr den - an der ungewöhnlich langen Dauer der Untersuchungshaft zu messenden - erhöhten und zunehmend steigenden Anforderungen des Beschleunigungsgrundsatzes (vgl.: BVerfGE 19, 342 (347); 36, 264 (270)) entsprochen hat. Seit fast 2 Jahren und 10 Monaten hat eine Verfahrensförderung durch eine erneute Hauptverhandlung nicht mehr stattgefunden. Seit der (ersten) erstinstanzlichen Verurteilung durch das Landgericht B. vom 11.06.2010 sind sogar nahezu fünf Jahre vergangen, ohne dass das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen werden konnte. Gegenteiliges ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem weiteren hier zu erwartenden Verfahrensverlauf. Der Senat hat berücksichtigt, dass die zuständige Schwurgerichtskammer ab August 2015 regelmäßig zwei bzw. sogar drei Hauptverhandlungstermine pro Woche anberaumt hat und die Hauptverhandlung engmaschig durchführen wird. Diese sehr hohe Termindichte vermag jedoch die bis dahin eingetretene Verzögerung nicht mehr auszugleichen. Zudem ist nach dem bisherigen Verfahrensverlauf davon auszugehen, dass auch ein frühestens Ende November 2015 ergehendes Urteil erneut von einem der Verfahrensbeteiligten mit der Revision angegriffen werden wird, so dass ein rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2016 zu erwarten steht.
28Die im Rahmen der Gesamtbetrachtung festgestellte Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes zwingt daher vorliegend zur Aufhebung der Untersuchungshaft.
29An der Verpflichtung des Beschwerdeführers, sich dem Verfahren auch zukünftig zu stellen, ändert sich durch die vorliegende Entscheidung nichts. Sollte der Beschwerdeführer seinen Pflichten nicht nachkommen, so kann von den in § 230 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwangsmitteln Gebrauch gemacht werden.
30Im Hinblick auf den bisherigen Verfahrensverlauf, die seit Anklageerhebung vergangene Zeitspanne von mehr als 5 ½ Jahren sowie die erhebliche Bedeutung des vorliegenden Schwurgerichtsverfahrens sieht sich der Senat veranlasst darauf hinzuweisen, dass das Verfahren unabhängig von der Aufhebung des bislang zu Grunde liegenden Haftbefehls weiterhin vorrangig und beschleunigt zu fördern sein wird. Gemäß Art. 6 Abs.1 Satz 1 MRK hat jeder, nicht nur der inhaftierte Beschuldigte bzw. Angeklagte, einen unmittelbaren Anspruch auf Beschleunigung des Verfahrens (vgl.: BGH-NStZ 2003, 384; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl. 2014, Art. 6 MRK Rn 7), dem vorliegend durch einen zeitnahen Beginn und eine engmaschige Durchführung der erneuten Hauptverhandlung nachzukommen sein wird.
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BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe, die Angeklagte A. wegen Raubs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revisionen der Angeklagten und die zu Ungunsten der Angeklagten A. eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Die Rechtsmittel der Angeklagten sind mit der Sachbeschwerde begründet. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt gemäß § 301 StPO ebenfalls zur Urteilsaufhebung zugunsten der Angeklagten A. .
I.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer war die Angeklagte A. , die in einem Eroscenter in Bonn als Prosti- tuierte arbeitete, mit dem Mitangeklagten S. befreundet. Beide befanden sich in finanziellen Schwierigkeiten. Die Angeklagte A. wusste, dass V. , die ebenfalls in dem Bordell als Prostituierte beschäftigt war, größere Bargeldbeträge in ihrer Handtasche aufbewahrte. Sie forderte den Mitangeklagten S. dazu auf, ihr bei der Zueignung des Geldes zu helfen. Dieser erklärte sich dazu bereit, weil er selbst Geld benötigte und weil er sich der Angeklagten A. verpflichtet fühlte, nachdem ein Geldbetrag, den sie ihm anvertraut hatte, abhanden gekommen war. Nach dem Tatplan sollte der Angeklagte S. als angeblicher Kunde die Prostituierte V. in ihrem Zimmer im Bordell aufsuchen, sie niederschlagen und dann das Geld wegnehmen. Die Angeklagte A. rechnete mit einer Beute von 40.000 Euro. Sie wusste, dass V. am Sonntag, dem 28. Juni 2009, verreisen würde. Daher wurde die Nacht von Freitag, dem 26. Juni, auf Samstag, den 27. Juni 2009, als Tatzeit ausgewählt. Die Angeklagte A. riet dazu, dass der Angeklagte S. eine Kopfbedeckung tragen sollte, damit er auf den Übertragungen der Überwachungskameras im Bordell nicht zu erkennen sein sollte. Außerdem forderte sie ihn dazu auf, ein langärmeliges Hemd zu tragen , damit das Opfer ihn nicht an seinen Tätowierungen an den Unterarmen erkennen könne.
- 3
- Der Angeklagte S. begab sich gegen 02.00 Uhr in der Tatnacht zu V. und ließ sich zunächst von ihr massieren. Dann versuchte er, sie niederzuschlagen. Dabei kam es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Angeklagte S. das Opfer auf das rechte Auge schlug. Danach stülpte er der Geschädigten eine Plastiktüte über den Kopf, wickelte ein Stück Vorhangstoff im Halsbereich darum und drückte das auf dem Bett liegende Opfer mit seinem Körpergewicht nieder. V. erstickte. Dann entwendete der Angeklagte S. Bargeld in unbekannter Höhe, mindestens aber 15.000 Euro, und verließ den Tatort.
- 4
- 2. Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Mordes zur Ermöglichung einer anderen Tat und aus Habgier in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge, die Angeklagte A. (nur) wegen Anstiftung zum (einfachen) Raub verurteilt.
- 5
- a) Nachdem Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss noch von einer Tatzeit am Nachmittag des 27. Juni 2009 ausgegangen waren, hat die Schwurgerichtskammer nach entsprechendem Hinweis in der Hauptverhandlung unter anderem ausgeführt, es sei von einer Tatzeit in den früheren Morgenstunden des 27. Juni bis etwa 03.00 Uhr auszugehen. Ein Besuch des Angeklagten S. in dem Eroscenter in der Nacht sei von diesem eingeräumt worden und durch Funkzellendaten belegt. Für einen weiteren Besuch nach 14.00 Uhr desselben Tages gebe es dagegen weder Zeugenaussagen noch objektive Anhaltspunkte. Angesichts der Tatsache, dass die Angeklagten in der Nacht vielfach durch SMS miteinander kommuniziert hätten, wäre eine entsprechende Telekommunikation bei einer späteren Tatausführung auch ab 14.00 Uhr zu erwarten gewesen; daran fehle es jedoch.
- 6
- b) Das Landgericht hat sich nicht im Stande gesehen, auch der Angeklagten A. die Tötung des Opfers zuzurechnen. Zum Umfang der nach dem Tatplan anzuwendenden Gewalt habe die Schwurgerichtskammer nur feststellen können, dass der Angeklagte S. das Opfer habe niederschlagen sollen. Die Tatbeiträge der Angeklagten A. hat sie der Einlassung des Mitangeklagten S. entnommen. Auf dieser Grundlage hat die Kammer die Angeklagte A. als Mittäterin eines (einfachen) Raubes verurteilt. Den Vorsatz eines schweren Raubs nach § 250 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 3 Buchst. a StGB hat das Landgericht ausgeschlossen. Auch die Verursachung des Todes von V. sei vom Vorsatz der Angeklagten A. nicht umfasst gewesen. Eine leichtfertige Mitverursachung des Todes durch sie scheide aus, weil sie davon habe ausgehen können, dass der Mitangeklagte S. das ihm körperlich unterlegene Opfer habe überwältigen können, ohne es zu töten.
II.
- 7
- Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft. Dies führt aufgrund der Sachrüge der beiden Angeklagten zur Urteilsaufhebung. Auf die zusätzlich erhobenen Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht mehr an. Die zuungunsten der Angeklagten A. eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft führt aus demselben Grund gemäß § 301 StPO zur Aufhebung des Urteils zu deren Gunsten.
- 8
- 1. Das Landgericht hat die Tatzeit im Urteil gegenüber Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss geändert, dies aber nicht rechtsfehlerfrei begründet. Der Rechtsfehler betrifft beide Angeklagte in gleicher Weise, weil die Handlung des Angeklagten S. der Angeklagten A. zugerechnet wurde, soweit sie mit dem festgestellten Tatplan übereinstimmt.
- 9
- a) Bei der Annahme, im Fall einer Tatausführung am Nachmittag des Tattages wäre mit einer Telekommunikation zwischen den beiden Angeklagten zu rechnen gewesen, wie sie für die Nachtzeit festgestellt wurde, hat die Schwurgerichtskammer vorausgesetzt, dass sich die Tatbegehung im Sinne der Feststellungen zugetragen und der Angeklagte S. das Opfer getötet hat. Insoweit liegt ein Kreisschluss vor, da hierbei die Täterschaft des Angeklagten S. beim Raubmord zur Widerlegung einer abweichenden Tatzeitannahme vorausgesetzt wurde. Dies wäre aber erst nach einer für die Festlegung von Tat und Täter erforderlichen Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise zu beurteilen gewesen. Das Landgericht hat dagegen die Tatbegehung in der festgestellten Weise zur Voraussetzung der Widerlegung einer von ihm selbst ausgeschlossenen anderen Tatzeit gemacht. Dies ist rechtlich zu beanstanden.
- 10
- b) Das Landgericht hat auch Zeugenaussagen zu einer Beobachtung des noch lebenden Opfers zu einem späteren Zeitpunkt, für deren Richtigkeit "starke Argumente" sprechen, nicht in tragfähiger Weise widerlegt. Die Zeuginnen U. und Ad. haben, wie das Landgericht dargelegt hat, nach ihren Bekundungen das Opfer noch gegen 14.00 Uhr am Samstag nach der Tatnacht lebend gesehen, also rund zwölf Stunden nach der festgestellten Tatzeit. Zur Begründung seiner Annahme, diese Zeugenaussagen seien objektiv unrichtig, hat das Tatgericht auf "Widersprüche" zwischen den Angaben der beiden Zeuginnen verwiesen. Diese Begründung ist nicht tragfähig.
- 11
- Nach den unter Eid gemachten Angaben der Zeugin U. war die Geschädigte am Tattag "gegen 14 Uhr" mit einem Badehandtuch bekleidet zum Duschen in die Kellerräume gegangen und etwa 20 Minuten später wieder zu ihrem Zimmer hinaufgegangen. Nach den Angaben der Zeugin Ad. war eine Frau mit Badetuch, bei der es sich auch nach Ansicht des Landgerichts gegebenenfalls nur um die Geschädigte gehandelt haben konnte, genau um 14 Uhr die Treppe hinaufgegangen; ihr sei kurze Zeit später ein Mann gefolgt. Hieraus lässt sich der vom Landgericht angenommene Widerspruch nicht konstruieren. Zudem hat es nicht erwogen, dass die Beobachtung, dem Opfer sei nach dem Duschen beim Hinaufgehen zu seinem Zimmer ein Mann gefolgt, ebenfalls in das Bild einer in jenem Zimmer begangenen Tat passen könnte.
- 12
- Soweit das Landgericht ausgeführt hat, bei dem von den Zeuginnen berichteten Beobachtungszeitpunktes könne es sich um eine Verwechslung handeln , weil es sich bei dem Vorgang um ein übliches Geschehen gehandelt habe , vernachlässigt dies, dass die Beobachtungen der Zeuginnen unmittelbar schon am Tattag gegenüber den ermittelnden Beamten geäußert wurden, insoweit sehr zeitnah entstanden sind und für die Zeuginnen im Zusammenhang mit der Entdeckung eines Mordes standen. Wenn das Landgericht eine Ver- wechslung der beobachteten Person oder des Beobachtungszeitpunkts durch die Zeuginnen für "wahrscheinlich" gehalten hat, so reicht dies überdies zur Begründung einer Verurteilung der Angeklagten nicht aus. Das entlastende Indiz müsste angesichts der getroffenen Tatzeitfeststellung sicher widerlegt sein, um die Indizienkette bruchlos zu schließen.
- 13
- Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das angefochtene Urteil auf den genannten Fehlern beruht.
III.
- 14
- Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet, soweit sie zu Ungunsten der Angeklagten A. eingelegt wurde.
- 15
- Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist keinen Rechtsfehler zu ihrem Vorteil auf. Es ist insoweit nicht davon auszugehen, dass das Landgericht wesentliche Aspekte, die sich aus den Feststellungen ergeben, bei seinen Erwägungen zur Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise übersehen hat.
- 16
- Das Landgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht zu Unrecht davon abgesehen, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB zu prüfen. Es war zwar aus der Sicht der Angeklagten A. bei der Ausführung der geplanten Tat mit einem Schlag des Angeklagten S. gegen den Kopf des Opfers zu rechnen. Dadurch konnte er das Opfer aber nicht ohne weiteres in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringen (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB). Eine solche setzt zwar keine schwere Körperverletzung voraus, sondern kommt auch bei sonst einschneidenden oder nachhaltigen Beeinträchtigungen der Gesundheit in Betracht (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 28), wie etwa bei einer längeren Arbeitsunfähigkeit als Tatfolge. Es fehlt nach den Feststellungen aber an Hinweisen darauf, dass eine solche Folge nach dem Tatplan konkret zu erwarten war. Nur in diesem Falle hätte sich http://www.juris.de/jportal/portal/t/2b4d/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=41&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE040504307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 9 - das Landgericht dazu gedrängt sehen müssen, auch eine der Angeklagten A. gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnende Qualifikation der Tat nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB zu erörtern.
- 17
- Es liegt ferner kein Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten A. darin, dass die Strafkammer die §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erwähnt hat. Für eine vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 StGB), die dem Tatplan entsprach und die der Angeklagten A. gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen wäre, fehlt ein Strafantrag oder die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Verfolgung auch dieses Vergehens durch die Staatsanwaltschaft (§ 230 Abs. 1 StGB). Eine gegebenenfalls als Offizialdelikt zu verfolgende gefährliche Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) drängte sich nicht auf. Dieses qualifizierte Körperverletzungsdelikt setzt einen für das Opfer unvorhergesehenen Angriff voraus , der von einem planmäßigen, auf Verdeckung der wahren Absichten berechneten Vorgehen gekennzeichnet ist (vgl. Senat, Urteil vom 15. September 2010 - 2 StR 395/10). Dafür fehlt es an konkreten Hinweisen in den Feststellungen zum Geschehen bei der Angriffshandlung.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hatte in einem ersten Urteil den Angeklagten S. wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe , die Angeklagte Z. wegen Raubs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Nach Aufhebung dieses Urteils und Zurückverweisung der Sache durch Urteil des Senats vom 25. Mai 2011 – 2 StR 605/10 – hat das Landgericht den Angeklagten S. erneut wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe, die Angeklagte Z. wegen Raubs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revisionen der Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde. Die Rechtsmittel sind begründet.
A.
- 2
- I. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Angeklagte Z. , die in einem Bordell in Bonn als Prostituierte arbeitete, mit dem Mitangeklagten S. befreundet. Beide befanden sich in finanziellen Schwierigkeiten. Die Angeklagte Z. wusste, dass V. , die ebenfalls in dem Bordell tätig war, größere Bargeldmengen bei sich aufbewahrte. Die Angeklagte Z. entwickelte den Gedanken, der Angeklagte S. könne V. als Kunde aufsuchen, sie niederschlagen und das Geld wegnehmen. Der Angeklagte S. fühlte sich für das frühere Abhandenkommen von Geldbeträgen der Angeklagten Z. verantwortlich, er war schwerkrank und stand vor einer gescheiterten wirtschaftlichen Existenz. Vor diesem Hintergrund war er bereit, mit Hilfe der Angeklagten Z. die Idee des Raubüberfalls in die Tat umzusetzen.
- 3
- V. war zu dieser Zeit die einzige Prostituierte im dritten Stock des Hauses A des Bordells. Die Angeklagten wussten, dass sie am Sonntag, dem 28. Juni 2009, in ihre Heimat reisen und das Geld mitnehmen wollte. Daher wurde die Nacht von Freitag, dem 26. Juni, auf Samstag, den 27. Juni 2009, als Tatzeit ausgewählt. Der Angeklagte S. begab sich gegen 01.46 Uhr zum Zimmer des Tatopfers, das zunächst nicht anwesend war, sondern die fällige Miete bei den Wirtschaftern bezahlte und eine Kollegin aufsuchte. Der Angeklagte S. wartete daher im Kontakthof im Erdgeschoss des Bordells, bis ihm die Angeklagte Z. gegen 02.00 Uhr durch Kurznachricht auf elektronischem Weg mitteilte, er könne nun hinaufgehen.
- 4
- Der Angeklagte S. ließ sich von dem Tatopfer massieren, wobei sie ihn mit Babyöl einrieb. Als sie ihm bedeutete, dass die Zeit zu Ende sei, versuchte er sie niederzuschlagen. Dabei fiel eine Flasche mit Olivenöl vom Fensterbrett und zerbrach. Der Angeklagte S. schlug die Geschädigte ins Gesicht. Dann stülpte er ihr eine Plastiktüte über den Kopf, wickelte ein Stück Vorhangstoff , das er vom Fenster losgerissen hatte, darum und drückte das auf dem Bett liegende Opfer mit seinem Körpergewicht nieder; es erstickte.
- 5
- Danach entwendete der Angeklagte S. Bargeld aus dem Schrank der Geschädigten. Nach Verlassen des Tatorts informierte er die Angeklagte Z. und fuhr mit dem Taxi nachhause, wo er gegen 03.28 Uhr eintraf. Unterwegs entsorgte er sein Hemd und eine Kappe, die er zum Schutz vor einem Wiedererkennen auf Videoaufnahmen der Überwachungskameras getragen hatte, in einer Mülltonne.
- 6
- II. Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Mordes zur Ermöglichung einer anderen Tat und aus Habgier in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge schuldig gesprochen, die Angeklagte Z. des Raubs, weil hinsichtlich der Tötung ein Mittäterexzess vorgelegen habe.
- 7
- Nachdem Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss von einer Tatzeit am Nachmittag des 27. Juni 2009 ausgegangen waren, hat die Schwurgerichtskammer angenommen, es sei von einer Tatzeit am 27. Juni 2009 zwischen 02.00 und 03.00 Uhr auszugehen. Eine spätere Begehung der Tat durch den Angeklagten S. hat es ausgeschlossen.
- 8
- Ein Besuch des Angeklagten S. in dem Bordell zu jener Zeit sei von diesem eingeräumt worden; für einen späteren Kontakt mit dem Opfer fehle ein Hinweis. Noch am Nachmittag des 27. Juni 2009 hätten Müllbeutel an der Türklinke des Zimmers der Getöteten gehangen, die von der Reinigungskraft am Vormittag dort hingehängt worden seien, vom Opfer aber ins Zimmer mitgenommen worden wären, wenn es noch gelebt hätte. Der Fernseher sei bei der Entdeckung der Leiche am Nachmittag in Betrieb gewesen mit einem Programm , das für die Getötete, die nicht deutsch verstand, nur in der Tatnacht, aber nicht am Vormittag von Interesse gewesen wäre. Keine der dem Opfer nahestehenden Kolleginnen hätte sie am Samstag noch gesehen, obwohl nach ihr Ausschau gehalten worden sei. Auch die Reinigungskraft habe sie nicht mehr bemerkt. DNA-Spuren unter den Fingernägeln der Getöteten stammten nur von dem Zeugen C. , der sie gegen Mitternacht aufgesucht hatte, aber als Täter ausscheide, und von dem Angeklagten S. , der sie danach aufgesucht habe. Die Angeklagte Z. habe am Samstagmorgen der Zeugin Cu. berichtet, ihr habe das Tatopfer mitgeteilt, es wolle an diesem Morgen ausschlafen. Auch habe die Angeklagte Z. die Zeugin Cu. zu einem gemeinsamen Flohmarktbesuch aufgefordert und dabei versucht, möglichst lange dort zu verweilen. Dies deute darauf hin, dass die Angeklagte Z. vorher vom Tod des Opfers erfahren habe.
- 9
- Soweit die persönlich glaubwürdigen Zeuginnen U. und A. wiederholt auch unter Eid angegeben hätten, sie hätten die Getötete noch gegen 14.00 Uhr am 27. Juni 2009 auf dem Weg zur Dusche im Keller oder von dort in den dritten Stock gehen gesehen, habe es sich um unbewusste Erinnerungsfehler gehandelt. Bei der Zeugin U. sei der Erinnerungsfehler durch falsche Zuordnung eines alltäglichen Vorgangs zur ebenfalls wiedergegebenen Beobachtung eines Mannes, der in den dritten Stock hinaufgegangen sei, entstanden. Dies sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Zeugin D. davon berichtet habe, von einem ähnlich aussehenden Mann in der Vorwoche verletzt worden zu sein. Bei der Zeugin A. sei der Zuordnungsfehler anschließend bei ergänzenden Rekonstruktionsversuchen entstanden. Der Fehler werde durch fehlerhafte Beschreibung der Badeausstattung belegt.
- 10
- Der rechtsmedizinische Sachverständige Dr. H. habe die Todeszeit anhand der Leichentemperatur auf einen Zeitraum zwischen 07.08 Uhr und 13.32 Uhr am 27. Juni 2009 eingegrenzt. Dies begründe jedoch keine absolute Sicherheit, sondern „lediglich in 95 %“ der denkbaren Fälle. Die Todeszeitberechnung basiere zudem auf der Annahme einer konstanten Raumtemperatur von 27,5 Grad Celsius, wie sie vom Sachverständigen um 01.47 Uhr am 27. Juni 2009 am Tatort gemessen worden sei. Die Entwicklung der Raumtemperatur im Lauf des Tages sei jedoch nicht konkret feststellbar; das Gericht sei von einem Absinken der Temperatur in den Abend- und Nachtstunden überzeugt.
- 11
- Eine Tötung des Opfers durch die Angeklagte Z. scheide aus, weil keine DNA-Spuren von ihr am Tatort gefunden worden seien, ferner weil sie körperlich zur Tatbegehung nicht in der Lage gewesen wäre und schließlich, weil sie am Vormittag des Samstag zusammen mit der Zeugin Cu. den Flohmarkt besucht habe. Hinweise darauf, dass sie kurzfristig einen Dritten zur Durchführung der Tat bewegt haben könnte, seien nicht ersichtlich.
- 12
- Aus dem vom Angeklagten S. eingeräumten Tatplan eines Raubüberfalls , aus der Tatsache eines Aufsuchens des Opfers zwischen 02.00 und 03.00 Uhr am 27. Juni 2009, daraus, dass DNA-Spuren des Angeklagten unter den Fingernägeln der Toten sowie an einem Ende des Vorhangstoffs und auf Papiertüchern auf dem Boden des Tatzimmers gefunden wurden, schließlich aus Maßnahmen des Angeklagten S. zur Spurenbeseitigung sei auf dessen Täterschaft zu schließen.
B.
- 13
- I. Die Revision des Angeklagten S. ist mit einer Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde begründet.
- 14
- 1. Das Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler, weil das Landgericht einen Beweisantrag zu Unrecht gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO zurückgewiesen hat.
- 15
- a) Die Verteidigung des Angeklagten S. hatte einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache gestellt, dass die um 01.47 Uhr am 28. Juni 2009 im Tatzimmer gemessene Raumtemperatur durch Wärmezufuhr aus einem überhitzten Nachbarraum, durch Körperwärme der bei der Tatortarbeit in dem kleinen Zimmer anwesenden Perso- nen und durch Abstrahlungswärme elektrischer Geräte und Lichtquellen mitverursacht worden sei. Dies hätte der Annahme des Landgerichts entgegengestanden , bis zum Zeitpunkt der Messung sei es zu einer erheblichen Absenkung der Umgebungstemperatur gekommen, weshalb die Rückrechnung der Todeszeit durch den rechtsmedizinischen Sachverständigen auf einen Zeitraum zwischen 07.08 und 13.32 Uhr am 27. Juni 2009 anhand einer konstanten Umgebungstemperatur von 27,5 Grad Celsius nicht maßgebend sei. Der Sachverständige hat auch andere Zeiträume für den Todeseintritt als Ergebnis von Kontrollrechnungen mit abweichender Temperaturkonstante mitgeteilt, die bei geringerer Temperatur einen späteren, bei höherer Temperatur einen früheren Zeitraum des Todeseintritts ergeben hatten.
- 16
- Das Landgericht hat den Beweisantrag zurückgewiesen, weil es an Anknüpfungstatsachen für ein Gutachten fehle. Der Sache nach wurde damit das beantragte Beweismittel als völlig ungeeignet im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO angesehen. Ergänzend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass weder die Körperwärme anwesender Personen noch elektrische Geräte zu einer merklichen Erhöhung der Raumtemperatur geführt haben dürfte; vielmehr sei nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die Raumtemperatur „bis zur Messung des Sachverständigen um 01.50 Uhr im Vergleich zum Todeszeitpunkt gesunken“ sei. Im Urteil ist die Schwurgerichtskammer unter Erör- terung der Gegebenheiten am Tatort von einem Temperaturabfall gegenüber der Tagestemperatur ausgegangen.
- 17
- b) Diese Begründung der Zurückweisung des Beweisantrags trägt nicht. Zwar sind Einzelheiten der Temperaturentwicklung im Tatzimmer nach mehreren Jahren nicht mehr genau rekonstruierbar. Wohl aber wäre die Frage, ob im Einklang mit der Beweisbehauptung der Verteidigung von einer Mitverursachung der Raumtemperatur durch die von der Verteidigung angeführten Umstände mit der Folge, dass bis zum Messzeitpunkt kein erheblicher Tempera- turabfall zu verzeichnen war, anhand der räumlichen Gegebenheiten des Zimmers unter dem Dach, der Wirkung der Körpertemperatur der zahlreichen am engen Tatort anwesenden Personen und der Abstrahlungswärme elektrischer Geräte und Beleuchtungseinrichtungen, ferner von der Außentemperatur und den Belüftungsmöglichkeiten mit Sachverständigenhilfe zumindest genauer zu beantworten, als es die Schwurgerichtskammer „bei lebensnaher Betrachtung“ selbst getan hat.
- 18
- Die Annahme, das angebotene Beweismittel sei ungeeignet, weil es an aussagekräftigen Anknüpfungstatsachen fehle, ist auch deshalb rechtsfehlerhaft , weil das Gericht selbst Anknüpfungstatsachen für seine Annahme herangezogen hat, dass in den Abend- und Nachtstunden bis zur Temperaturmessung eine Absenkung stattgefunden hat. Ist die Möglichkeit der Feststellung von Anknüpfungstatsachen nicht generell ausgeschlossen, kann ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht mit der Annahme völliger Ungeeignetheit des Beweismittels zurückgewiesen werden (vgl. Senat, Urteil vom 5. Mai 1999 – 2 StR 58/99).
- 19
- c) Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Die nach den Urteilsgründen entscheidungserhebliche Tatzeitfeststellung des Landgerichts widerspricht im Kern der Todeszeitberechnung durch den rechtsmedizinischen Sachverständigen. Das Urteil lässt nicht erkennen, dass die Todeszeitberechnung für das Landgericht ohne jeden Beweiswert war; dann kann die Berechnungsgrundlage bei der Umgebungstemperatur nicht durch Ablehnung einer bauphysikalischen Nachprüfung der Gegebenheiten offen gelassen werden, sofern das Tatgericht nicht im Zweifel zugunsten des Angeklagten von einer ihm günstigen Berechnungsweise ausgehen will.
- 20
- 2. Auch die Beweiswürdigung des Landgerichts weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten S. auf.
- 21
- a) Die Schwurgerichtskammer hat angenommen, die Zeuginnen U. und A. hätten sich geirrt, als sie im Vorverfahren gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten und im Hauptverfahren unter Eid jeweils ausgesagt haben, sie hätten die Getötete noch gegen 14.00 Uhr am 27. Juni 2009 gesehen. Zu diesen Indiztatsachen sind Darstellungsfehler zu verzeichnen, auf denen das Urteil beruhen kann.
- 22
- aa) Das insoweit nicht sachverständig beratene Landgericht hat hervorgehoben , „nach aussagepsychologischer Erkenntnis“ könnten Erwartungen zum Ablauf eines Ereignisses zu selektiver Wahrnehmung und Erinnerung führen. Solche Erwartungen beruhten auf Ereignisschemata oder „Skripten“, in denen Ereignisse in ihren Grundzügen festgelegt seien und Leerstellen („slots“) für bestimmte Arten von Personen, Objekten oder Handlungen verblieben, wobei die Auswahl von Inhalten, die zur Füllung dieser Leerstellen in Frage kommen , vorgeprägt seien. Die Schwurgerichtskammer gehe von einem fehlerhaften Auffüllen von Leerstellen aus. Dazu hat sie unter anderem eine Inhaltsanalyse der Angaben der Zeuginnen vorgenommen. Gegen diese Überlegungen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
- 23
- Auch eine aussagepsychologische Untersuchung, die das Landgericht nicht herbeigeführt hat, könnte „falsche Erinnerungen“ nur durch Suggestibilitätskontrolle und Informationsquellenüberprüfung, nicht durch Aussageninhaltsanalysen feststellen oder ausschließen (vgl. Greuel in: Egg [Hrsg.], Psychologisch -psychiatrische Begutachtung in der Strafjustiz, 2012, S. 33, 49). Realkennzeichen oder Lügensignale sind in Pseudoerinnerungen ebenso anzutreffen wie in anderen Erlebnisbeschreibungen. Eine Kontrolle der Suggestibilität der Zeuginnen hat das Landgericht nicht selbst durchführen können. Die zusätzlich erforderliche Überprüfung der Quellen für eine mögliche Erinnerungsverfälschung hat es nicht lückenlos vorgenommen. Für die Annahme einer objektiv falschen Aussage gleich zweier Zeuginnen zu derselben Tatsache auf- grund desselben Wahrnehmungs- und Erinnerungsfehlers hätten die Fehlermöglichkeiten auch miteinander und mit dem sonstigen Beweisbild, zu dem auch die Tatzeitbestimmung gehört, abgeglichen werden müssen; daran fehlt es im angefochtenen Urteil. Im Ergebnis hat das Landgericht nicht die wesentlich geringere Wahrscheinlichkeit dafür berücksichtigt, dass zwei Zeuginnen, die unabhängig voneinander zeitnah nach dem fraglichen Ereignis vergleichbare Beobachtungen beschrieben haben, jeweils einem Erinnerungsfehler unterlegen sein könnten.
- 24
- bb) Die gedächtnis- und aussagepsychologischen Überlegungen des Landgerichts sind auch für sich genommen lückenhaft.
- 25
- (1) Der Zeugin U. hat die Schwurgerichtskammer einen „doppelten Irrtum“ zugerechnet, weil diese einerseits zu Unrecht angenommen habe, am Nachmittag des 27. Juni 2009 den vermeintlichen Täter gesehen zu haben, und andererseits zu jener Zeit auch das Opfer noch gesehen haben wolle. Zur Begründung des Zuordnungsfehlers aufgrund von Gesprächen der Zeugin U. mit der Zeugin D. ist im Urteil angemerkt, bei der eine Woche vorher erfolgten Verletzung der Zeugin D. durch einen ähnlich aussehenden Mann habe es sich für die Zeugin U. nur um ein „Randgeschehen“ gehandelt. Die Verletzung im Gesicht der Zeugin D. sei für die Zeugin U. andererseits ohne weiteres zu sehen gewesen.
- 26
- Bei diesen Erwägungen hat das Landgericht nicht erörtert, dass alle unmittelbar nach der Entdeckung der Leiche vorgenommenen Rekonstruktionsversuche der Zeuginnen im Zusammenhang mit dem Mord und der Tätersuche gestanden hatten. Daher waren die Verletzung der Zeugin D. durch einen südländisch aussehenden Mann, die Wahrnehmung eines ähnlich aussehenden Mannes am 27. Juni 2009 und die Wahrnehmung des Tatopfers in un- mittelbarer zeitlicher Nähe hierzu nicht ohne weiteres als Randgeschehen einzustufen.
- 27
- Das Landgericht hat ferner darauf verwiesen, die Zeugin U. habe das Badetuch falsch beschrieben, mit dem das Opfer zur Dusche gegangen sei, und sie habe von einer Badehaube gesprochen, die später nicht im Zimmer gefunden werden konnte. Wäre die Zeugin aber nur einem Erinnerungsfehler hinsichtlich des Beobachtungszeitpunkts erlegen, so wäre die gegebenenfalls aufgrund eigenständiger Erinnerungsfehler hinsichtlich der Details falsche Beschreibung der Badeausstattung ohne besondere Aussagekraft. Nur die Getötete war zur fraglichen Zeit im dritten Stock des Bordells in einem Dachzimmer ohne Dusche tätig und nur sie pflegte zum Duschen in den Keller zu gehen.
- 28
- (2) Ähnlich unzureichend begründet ist die Annahme eines Erinnerungsfehlers der Zeugin A. . Diese hatte berichtet, sie habe gegen 14.30 Uhr am 27. Juni 2009 aus der Tür ihres Zimmers im zweiten Stock eine nur mit einem Badetuch verhüllte Frau auf demWeg nach oben gehen gesehen. Dies wurde von der Zeugin mit dem Erscheinen eines Stammfreiers in zeitlichen Zusammenhang gebracht. Die Bedeutung dieses Zusammenhangs hat das Landgericht nicht erörtert.
- 29
- Den Inhalt der Aussage der Zeugin A. hat die Schwurgerichtskammer auch damit in Frage gestellt, dass sie das Gesicht der Frau nicht gesehen habe und ihr Badetuch nicht habe beschreiben können. Darauf kam es aber nicht notwendig an, weil zu jener Zeit nur die Getötete im dritten Stock als Prostituierte tätig war und nur sie von dort in den Keller zum Duschen zu gehen pflegte.
- 30
- Die Annahme eines Zuordnungsfehlers der Zeugin A. hat das Landgericht schließlich darauf gestützt, dass „eine Kollegin bekundete, das Op- fer gegen 14 Uhr noch zum Duschen gehend gesehen zu haben“. Ob die Zeu- gin A. aber überhaupt in Gespräche über das unter den dort arbeitenden Thailänderinnen erörterte Thema eingebunden gewesen und damit einer Informationsquelle für eine Erinnerungsfälschung ausgesetzt war, ist nicht festgestellt. Damit ist die Annahme des Landgerichts, es habe sich um einen sekundären Erinnerungsfehler auch bei der zweiten Zeugin zur Alibifrage gehandelt , nicht lückenlos belegt.
- 31
- (3) Fehldeutungen bei der Wahrnehmung und Erinnerung von zunächst alltäglich wirkenden Ereignissen sind theoretisch immer möglich (vgl. Kühnel /Markowitsch, Falsche Erinnerungen. Die Sünden des Gedächtnisses, 2009, S. 78 ff.). Sie dürfen im Prozess aber nicht ohne weiteres - im Ergebnis mit belastender Wirkung für einen Angeklagten - unterstellt werden. Die Annahme von beiderseitigen Erinnerungsfehlern bei den Entlastungszeuginnen ist aber vom Landgericht letztlich unterstellt worden. Das wird aus der Behauptung deutlich, die Beschreibung der Verhüllung der beobachteten Frau mit einem Badetuch durch die Zeugin A. „würde auch auf ein halblanges trägerloses Sommerkleid passen“. Für eine solche Vergleichsbetrachtung bestand kein nachvollziehbarer Anlass, denn die Annahme, eine fremde Frau in einem solchen Kleid sei zu jenem Zeitpunkt in den dritten Stock hinaufgegangen, wo sich allein das Zimmer der Getöteten befand, ist rein spekulativ und fern liegend.
- 32
- b) Die Ausführungen zur Tatzeit und zur Bestimmung der Todeszeit begegnen gleichfalls rechtlichen Bedenken.
- 33
- Das Landgericht hat angenommen, die rechtsmedizinischen Feststellungen seien mit der Tatzeit in den frühen Nachtstunden „ohne weiteres kompati- bel“ (UA S. 67 f.) und „plausibel vereinbar“ (UA S. 91). Das ist nicht nachvollziehbar ; denn als Tatzeit ist der Zeitraum zwischen 02.00 und 03.00 Uhr festgestellt worden, die Rückrechnung anhand der Leichentemperatur hat dagegen einen Zeitraum zwischen 07.08 und 13.32 Uhr als höchstwahrscheinliche Todeszeit ergeben.
- 34
- Letzterem lag allerdings die Prämisse zugrunde, dass die um 01.47 Uhr am 28. Juni 2009 gemessene Umgebungstemperatur von 27,5 Grad Celsius konstant vorgelegen habe. Alternativberechnungen für eine höhere Umgebungstemperatur haben einen früheren Tatzeitraum, solche mit geringerer Temperatur einen späteren Zeitraum ergeben. Auch dafür wurde aber jeweils eine konstante Temperatur vorausgesetzt, die nach Überzeugung des Landgerichts in der Leichenliegezeit nicht bestanden hatte, ohne dass die Temperaturentwicklung jedoch rekonstruiert worden wäre. Würde eine inkonstante Umgebungstemperatur angenommen, wäre nicht nur eine Absenkung in den Abend- und Nachtstunden bis zur Messung durch den Sachverständigen, sondern auch eine Erhöhung in den Nacht- und Morgenstunden des 27. Juni 2009 – bei einer nach der Tatzeitfeststellung etwa ab 03.00 Uhr beginnenden Lei- chenliegezeit – zu berücksichtigen. Ersteres hat das Landgericht vorausgesetzt, letzteres übergangen.
- 35
- Im Ergebnis bleibt aber schon der vom Landgericht angenommene Beweiswert der Überlegungen zur Temperatur unklar. Die Todeszeiteingrenzung mit Hilfe einer Rückrechnung der Verringerungen der Leichentemperatur ist eine stets mit Fehlerquellen behaftete Schätzung (vgl. Henßge/Madea, Methoden zur Bestimmung der Todeszeit an Leichen, 1988, S. 139 ff.), die vom Tatrichter im Fall ihrer Entscheidungserheblichkeit nach dem Zweifelssatz zu Grunde zu legen ist, wenn er über andere zuverlässige Beweisanzeichen nicht verfügt, deren eingeschränkter Beweiswert aber bei der Abwägung mit sonstigen Beweisanzeichen gewürdigt werden kann (vgl. für die Rückrechnung des Blutalkoholgehalts des Täters zur Tatzeit als Hinweis auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit BGH, Urteil vom 22. April 1998 – 3 StR 15/98, NJW 1998, 3427, 3428). Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass dies auch mit Blick auf die den Angeklagten potenziell entlastende Beweiswirkung geschehen ist.
- 36
- 2. Der Mangel der Beweiswürdigung zwingt zugleich zur Urteilsaufhebung zugunsten der Angeklagten Z. . Auf deren Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht mehr an.
III.
- 37
- Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). Fischer Schmitt Krehl Eschelbach Zeng
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
(1) Vor Erhebung der öffentlichen Klage ist für die weiteren gerichtlichen Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf die Untersuchungshaft, die Aussetzung ihres Vollzugs (§ 116), ihre Vollstreckung (§ 116b) sowie auf Anträge nach § 119a beziehen, das Gericht zuständig, das den Haftbefehl erlassen hat. Hat das Beschwerdegericht den Haftbefehl erlassen, so ist das Gericht zuständig, das die vorangegangene Entscheidung getroffen hat. Wird das vorbereitende Verfahren an einem anderen Ort geführt oder die Untersuchungshaft an einem anderen Ort vollzogen, so kann das Gericht seine Zuständigkeit auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf das für diesen Ort zuständige Amtsgericht übertragen. Ist der Ort in mehrere Gerichtsbezirke geteilt, so bestimmt die Landesregierung durch Rechtsverordnung das zuständige Amtsgericht. Die Landesregierung kann diese Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltung übertragen.
(2) Nach Erhebung der öffentlichen Klage ist das Gericht zuständig, das mit der Sache befaßt ist. Während des Revisionsverfahrens ist das Gericht zuständig, dessen Urteil angefochten ist. Einzelne Maßnahmen, insbesondere nach § 119, ordnet der Vorsitzende an. In dringenden Fällen kann er auch den Haftbefehl aufheben oder den Vollzug aussetzen (§ 116), wenn die Staatsanwaltschaft zustimmt; andernfalls ist unverzüglich die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.
(3) Das Revisionsgericht kann den Haftbefehl aufheben, wenn es das angefochtene Urteil aufhebt und sich bei dieser Entscheidung ohne weiteres ergibt, daß die Voraussetzungen des § 120 Abs. 1 vorliegen.
(4) Die §§ 121 und 122 bleiben unberührt.
(5) Soweit nach den Gesetzen der Länder über den Vollzug der Untersuchungshaft eine Maßnahme der vorherigen gerichtlichen Anordnung oder der gerichtlichen Genehmigung bedarf, ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Maßnahme durchgeführt wird. Unterhält ein Land für den Vollzug der Untersuchungshaft eine Einrichtung auf dem Gebiet eines anderen Landes, können die beteiligten Länder vereinbaren, dass das Amtsgericht zuständig ist, in dessen Bezirk die für die Einrichtung zuständige Aufsichtsbehörde ihren Sitz hat. Für das Verfahren gilt § 121b des Strafvollzugsgesetzes entsprechend.
(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen
- 1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält, - 2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder - 3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde - a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder - b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder - c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.
(1) Der Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, daß die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde. Er ist namentlich aufzuheben, wenn der Beschuldigte freigesprochen oder die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nicht bloß vorläufig eingestellt wird.
(2) Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Beschuldigten nicht aufgehalten werden.
(3) Der Haftbefehl ist auch aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt. Gleichzeitig mit dem Antrag kann die Staatsanwaltschaft die Freilassung des Beschuldigten anordnen.
(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.
(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.
(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.
(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche
- 1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen, - 2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen, - 3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen, - 4.
die Akteneinsicht betreffen oder - 5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.
(1) Der Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, daß die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde. Er ist namentlich aufzuheben, wenn der Beschuldigte freigesprochen oder die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nicht bloß vorläufig eingestellt wird.
(2) Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Beschuldigten nicht aufgehalten werden.
(3) Der Haftbefehl ist auch aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt. Gleichzeitig mit dem Antrag kann die Staatsanwaltschaft die Freilassung des Beschuldigten anordnen.
(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen
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festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält, - 2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder - 3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde - a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder - b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder - c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.