Oberlandesgericht Köln Beschluss, 21. Okt. 2014 - 1 Ws 77/14 - 65 -
Tenor
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird verworfen.Die durch das Verfahren über den Antrag veranlassten Kosten hat der Antragsteller zu tragen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der Antrag ist zulässig; er begegnet insbesondere hinsichtlich der Erfüllung der aus § 172 Abs. 3 StPO herzuleitenden inhaltlichen Anforderungen keinen durchgreifenden Bedenken. In der Sache bleibt ihm der Erfolg versagt; denn die Entschließung der Staatsanwaltschaft, von der Erhebung der öffentlichen Klage gegen die Beschuldigten abzusehen, hält der Prüfung durch den Senat – nach Durchführung ergänzender Ermittlungen - stand.
4Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage (§ 170 Abs. 1 StPO) nicht gegeben. Es besteht angesichts der besonderen Umstände des zur Entscheidung stehenden Falles auch kein Grund zu der Erwartung, dass ergänzende Ermittlungen zu einem abweichenden Ergebnis führen würden. Vielmehr stellt sich die Beweislage so dar, dass ein hinreichender Tatverdacht, der die Verurteilung des Beschuldigten mit Wahrscheinlichkeit erwarten ließe (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage 2014, § 203 Rz. 2 m. w. Nachw.), nicht gegeben ist.
51.
6Gemäߠ § 174 Abs. 1 StPO wird ein Klageerzwingungsantrag als unbegründet verworfen, wenn kein "genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage" vorhanden ist. Dieser Begriff, der vom Gesetz auch für die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft in § 170 Abs. 1 StPO verwendet wird, korrespondiert seinem Inhalt - nicht seiner Wortfassung - nach mit dem Begriff des "hinreichenden Tatverdachtes" i.S. d. § 203 StPO (SenE v. 13.02.2009 - 52 Zs 638/08 -; OLG Rostock NStZ-RR 1996, 272). Einer Straftat hinreichend verdächtig ist ein Beschuldigter nach dieser Bestimmung nur dann, wenn seine Verurteilung bei Durchführung der Hauptverhandlung mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Wahrscheinlichkeit der Verurteilung bedeutet, dass unter Zugrundelegung des Ermittlungsergebnisses genügender Beweis dafür vorliegt, dass der Beschuldigte tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat und dass nach Einschätzung des mutmaßlichen Ausgangs der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung mehr für eine Verurteilung als für einen Freispruch spricht (vgl. u.a. Meyer-Goßner a.a.O. § 203 Rz. 2; Schneider, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Auflage, § 203 R. 4). Das über den Klageerzwingungsantrag entscheidende Oberlandesgericht muss dabei aufgrund des gesamten Ergebnisses der Vorermittlungen - und etwaiger eigener Ermittlungen, die es nach § 173 Abs. 3 StPO anzustellen hat - entscheiden, ob wegen der vom Antrag erfassten prozessualen Tat "hinreichender Tatverdacht" besteht oder nicht. Zweifelhafte Tatfragen sind dabei in eigener Verantwortung zu entscheiden; insbesondere dürfen Beweisfragen nur dann der gerichtlichen Entscheidung im Hauptverfahren überlassen werden, wenn zur Behebung dieser Zweifel die Nutzung der besseren Aufklärungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung unerlässlich ist (vgl. OLG Celle NStE Nr. 5 zu § 203 StPO). Es ist also - wie bei der Eröffnungsentscheidung nach § 203 StPO - eine "vorläufige" Tatbewertung vorzunehmen (vgl. BGHSt 23, 304 [306] = NJW 1970, 207; BayObLG NStZ 1983, 123). Ist im Rahmen einer solchen vorläufigen Beweisbarkeitsprognose (vgl. Schneider a. a. O.Rz. 7; BayObLG a.a.O.) nicht zu erwarten, dass bestehende und begründete Zweifel bei Durchführung der Hauptverhandlung überwunden werden können, so ist die Verurteilung nicht wahrscheinlich und der Anklageerzwingungsantrag damit unbegründet. Das gilt insbesondere dann, wenn belastende Zeugenaussagen zur Überzeugungsbildung im Stadium dieser "Beweisbarkeitsprognose" nicht ausreichen (OLG Rostock a.a.O. S. 273 m. w. Nachw.; SenE v. 10.04.2001 - 1 Zs 201/01 - 31 -; SenE v. 18.04.2001 - 1 Zs 1269/00 - 16/01 -; SenE v. 19.10.2001 - 1 Zs 52/01 - 73 -; SenE v. 01.10.2002 - 1 Zs 816/02 - 79 -; SenE v. 13.02.2009 – 52 Zs 638/08).
72.
8Davon ausgehend liegt hier hinreichender Tatverdacht nicht vor.
9a)
10Gemäß § 339 Abs. 1 StGB wird ein Richter bestraft, der sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zu Gunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht. Die Verwirklichung dieses Tatbestands kommt bei einer – nach der Darstellung des Anzeigeerstatters hier gegebenen - sachwidrigen Verknüpfung von Freiheitsentziehung und (geständiger) Einlassung in Betracht. (vgl. BGH NStZ 2013, 106).
11b)
12Nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen ist indessen nicht davon auszugehen, dass der Beschuldigte in der gegen den Anzeigeerstatter geführten Hauptverhandlung eine solche Verknüpfung vorgenommen hat.
13Der Beschuldigte selbst hat ein solches Verhalten in seinem an den Rechtsvertreter des Anzeigeerstatters gerichteten Schreiben vom 2. April 2012 als „Haltlosigkeit“ von sich gewiesen. Der Verteidiger des Anzeigeerstatters – Rechtsanwalt T – hat sich mit Schriftsatz vom 24. Februar 2014 dahingehend geäußert, dass keinerlei Verknüpfung zwischen dem möglichen Erlass eines Haftbefehls durch den Beschuldigten und einem Geständnis seitens des Anzeigeerstatters bestanden habe. Er hat angeführt, er habe in der Situation keinen Anlass gesehen habe, dem Anzeigeerstatter einen Befangenheitsantrag gegen den Beschuldigten anzuraten, was er anderenfalls getan hätte. Der Zeuge konnte die diesbezüglichen Vorgänge noch gut erinnern; er hat nämlich angegeben, dass er den Sachverhalt im Nachhinein mehrfach mit dem Anzeigeerstatter erörtert habe.
14Auch die seinerzeitige Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, Frau Staatsanwältin L, hat ausweislich ihrer von dem Senat ergänzend eingeholten dienstlichen Äußerung vom 29. August 2014 einen direkten Zusammenhang zwischen dem Umstand, dass der Beschuldigte den Erlass eines Haftbefehls gegen den Anzeigeerstatter in Betracht zog, und der Abgabe einer geständigen Einlassung durch diesen verneint. Als Erinnerungsbrücke hat sie angegeben, dass der Anzeigeerstatter sie an einem der weiteren Sitzungstage auf den von ihm behaupteten Zusammenhang zwischen Haftbefehlserlass und geständiger Einlassung angesprochen, sie ihm jedoch mitgeteilt habe, dass es einen solchen nach ihrer Wahrnehmung nicht gegeben habe.
15c)Die sich aus der Einlassung des Beschuldigten sowie den Angaben des Verteidigers des Anzeigeerstatters und der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ergebenden Zweifel an der Richtigkeit der Sachdarstellung des Anzeigeerstatters sind durch die weiter zur Verfügung stehenden Beweismittel - die Angaben der Mitangeklagten und ihrer Verteidiger, des Vertreters des Nebenklägers, der Schöffen sowie der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle - nicht in einer Weise zu zerstreuen, die die Prognose einer Verurteilung des Beschuldigten im vorstehend gekennzeichneten Sinne erlauben würde. Von der Vernehmung dieser Auskunftspersonen konnte daher ohne Rechtsverstoß abgesehen werden. Maßgeblich für diese Bewertung ist der Umstand, dass es sich bei den Zeugen, die eine Verknüpfung von Haftfrage und Einlassung in Abrede stellen, nicht nur um solche handelt, die aufgrund ihrer prozessualen Situation gesteigerte Veranlassung hatten, der Frage einer etwaigen geständigen Einlassung des Anzeigeerstatters und den Umständen ihrer Herbeiführung in erhöhtem Maß ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Das liegt auf der Hand für den Verteidiger des Anzeigeerstatters, gilt aber auch für die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, für die das Einlassungsverhalten des Anzeigeestatters im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Hauptverhandlung von entscheidender Bedeutung sein musste. Darüber hinaus handelt es sich bei beiden um Zeugen, welchen aufgrund ihrer beruflichen Stellung und Erfahrung die mögliche strafrechtliche Bedeutung einer entsprechenden Äußerung des Beschuldigten ins Auge gesprungen wäre. Das wird exemplarisch deutlich an den Angaben des Verteidigers des Anzeigeerstatters, der angegeben hat, er hätte diesem zu einem Befangenheitsantrag geraten, wäre die inkriminierte Äußerung tatsächlich in der behaupteten Weise gefallen. Es ist daher und wegen der Singularität der behaupteten Äußerung sicher anzunehmen, dass eine Verknüpfung von Haftfrage und Einlassung durch den Beschuldigten gerade diesen beiden Zeugen deutlich in Erinnerung geblieben wäre.
16Vor diesem Hintergrund muss der Senat davon ausgehen, dass selbst dann, wenn in einer Hauptverhandlung die bislang nicht vernommenen Zeugen die Sachdarstellung des Anzeigeerstatters bestätigen würden, der Beschuldigte nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ freizusprechen wäre. Bei einer solchen Sachlage ist es aber nicht vertretbar, den Beschuldigten mit den Belastungen einer Hauptverhandlung zu konfrontieren.
17II.
18Die Kostenentscheidung beruht auf § 177 StPO.
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(1) Ist der Antragsteller zugleich der Verletzte, so steht ihm gegen den Bescheid nach § 171 binnen zwei Wochen nach der Bekanntmachung die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft zu. Durch die Einlegung der Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft wird die Frist gewahrt. Sie läuft nicht, wenn die Belehrung nach § 171 Satz 2 unterblieben ist.
(2) Gegen den ablehnenden Bescheid des vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft kann der Antragsteller binnen einem Monat nach der Bekanntmachung gerichtliche Entscheidung beantragen. Hierüber und über die dafür vorgesehene Form ist er zu belehren; die Frist läuft nicht, wenn die Belehrung unterblieben ist. Der Antrag ist nicht zulässig, wenn das Verfahren ausschließlich eine Straftat zum Gegenstand hat, die vom Verletzten im Wege der Privatklage verfolgt werden kann, oder wenn die Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1, § 153a Abs. 1 Satz 1, 7 oder § 153b Abs. 1 von der Verfolgung der Tat abgesehen hat; dasselbe gilt in den Fällen der §§ 153c bis 154 Abs. 1 sowie der §§ 154b und 154c.
(3) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung muß die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angeben. Er muß von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein; für die Prozeßkostenhilfe gelten dieselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Der Antrag ist bei dem für die Entscheidung zuständigen Gericht einzureichen.
(4) Zur Entscheidung über den Antrag ist das Oberlandesgericht zuständig. Die §§ 120 und 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes sind sinngemäß anzuwenden.
(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.
(1) Ergibt sich kein genügender Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so verwirft das Gericht den Antrag und setzt den Antragsteller, die Staatsanwaltschaft und den Beschuldigten von der Verwerfung in Kenntnis.
(2) Ist der Antrag verworfen, so kann die öffentliche Klage nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel erhoben werden.
(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.
Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.
(1) Auf Verlangen des Gerichts hat ihm die Staatsanwaltschaft die bisher von ihr geführten Verhandlungen vorzulegen.
(2) Das Gericht kann den Antrag unter Bestimmung einer Frist dem Beschuldigten zur Erklärung mitteilen.
(3) Das Gericht kann zur Vorbereitung seiner Entscheidung Ermittlungen anordnen und mit ihrer Vornahme einen beauftragten oder ersuchten Richter betrauen.
Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.
Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.
Die durch das Verfahren über den Antrag veranlaßten Kosten sind in den Fällen der §§ 174 und 176 Abs. 2 dem Antragsteller aufzuerlegen.