Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 10. Juli 2014 - 15 W 73/14
Tenor
Die Vorlageverfügung des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Essen vom 7.02.2014 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die als Erinnerung zu behandelnde Beschwerde der Beteiligten an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
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G r ü n d e :
2I.
3Der Erblasser ist am 10.07.2012 verstorben, ohne eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen. Die bisher ermittelten gesetzlichen Erben des Erblassers haben die Erbschaft ausgeschlagen (AG Essen 150 I 128/12 und 173/12).
4Das im Todeszeitpunkt vorhandene Vermögen des Erblassers betrug nach den Ermittlungen des Nachlassgerichts 2.139,22 €. Auf dem bei der Beteiligten geführten Girokonto Nr. #### befand sich am 10.07.2012 ein Betrag von 1.312,32 € und am 15.11.2012 nach weiteren Buchungen noch ein Betrag von 1.029,57 €.
5Der Aufforderung des Nachlassgerichts, den auf dem Girokonto verbliebenen Betrag zugunsten der noch unbekannten Erben des Erblassers zu hinterlegen, kam die Beteiligte nicht nach. Sie erklärte, dass sie ohne Einrichtung einer Nachlasspflegschaft keine Dispositionen über das Girokonto treffen werde.
6Mit Beschluss vom 6.01.2014 sperrte das Nachlassgericht das oben näher bezeichnete Girokonto und ordnete an, dass die Beteiligte den Guthabenbetrag für die unbekannten Erben zu hinterlegen oder zum Nachlassverfahren 150 VI 237/12 auf das Konto der Gerichtskasse zu überweisen habe.
7Die Beschwerde hat das Amtsgericht – Rechtspfleger – ausdrücklich zugelassen und dazu ausgeführt, dass unklar sei, ob die Beschwerdesumme von 600 € noch überschritten werde, es sich aber um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung handele, da „die Sparkassen häufiger den Aufforderungen und Anordnungen der Gerichte“ nicht nachkommen würden.
8Mit der Beschwerde vom 6.02.2014 wendet sich die Beteiligte gegen den Beschluss vom 6.01.2014, den sie für rechtlich nicht geboten hält.
9Mit Vorlageverfügung vom 7.02.2014 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
10II.
11Das als Erinnerung auszulegende Rechtsmittel der Beteiligten führt zur Aufhebung der Vorlageverfügung der Rechtspflegerin vom 7.02.2014 und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht – Nachlassgericht – Essen zur erneuten Bescheidung über die Erinnerung.
12Als Beschwerde wäre das Rechtsmittel der Beteiligten vom 6.02.2014 bereits unzulässig, da die Beteiligte durch den Beschluss nicht in ihren Rechten beeinträchtigt wird (§ 59 FamFG).
13Beschwerdeberechtigt ist nach dieser Vorschrift nur derjenige, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Erforderlich ist hierfür die Beeinträchtigung eines durch Gesetz verliehenen oder durch die Rechtsordnung anerkannten und von der Staatsgewalt geschützten, dem Beschwerdeführer zustehenden, materiellen Rechts. Wirtschaftliche, rechtliche oder sonstige berechtigte Interessen genügen hingegen grundsätzlich nicht (OLG Rostock - Beschluss vom 25.10.2012 – 3 W 155/12); OLG München NJW 2010, 2364; Keidel=Meyer-Holz, FamFG, 18. Auflage, § 59 Rn.6 m. w. N.). Zudem muss der angefochtene Beschluss den Beschwerdeführer in einem subjektiven Recht unmittelbar nachteilig beeinträchtigen. Deshalb muss der Rechtsfolgenausspruch der angefochtenen Entscheidung, das heißt ihr der formellen und materiellen Rechtskraft fähiger Inhalt, ein bestehendes Recht des Beschwerdeführers aufheben, beschränken, mindern, ungünstig beeinflussen oder gefährden, die Ausübung dieses Rechts stören oder dem Beschwerdeführer die mögliche Verbesserung seiner Rechtsstellung vorenthalten oder erschweren. Es genügt nicht, wenn sich die angefochtene Entscheidung nur mittelbar auf die rechtlichen Beziehungen des Beschwerdeführers auswirkt und er deshalb ein berechtigtes Interesse an der Änderung hat. Ebenso wenig reicht regelmäßig die Möglichkeit künftiger Rechtsbeeinträchtigungen aus (vgl. OLG München, a.a.O.; Keidel=Meyer-Holz, a.a.O., § 59 Rn.9 m. w. N.).
14Unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten Grundsätze ist eine Rechtsbeeinträchtigung der Beteiligten nicht gegeben. Die Anordnung des Nachlassgerichts zur Sicherstellung des auf dem Girokonto verbliebenen Guthabenbetrags greift nicht in ein materielles Recht der Beteiligten ein. Das Nachlassgericht kann zur Sicherung des Nachlasses für noch unbekannte Erben entweder einen Nachlasspfleger bestellen oder aber selbst Sicherungsmaßnahmen ergreifen (Palandt-Weidlich, BGB, 73. Auflage, § 1960 Rn.3). Der Guthabenbetrag steht den noch unbekannten Erben des Erblassers zu und nicht der Beteiligten. Ein materielles Recht der Beteiligten an dem Verbleib des Guthabenbetrags auf dem Girokonto ist nicht erkennbar und wird von der Beteiligten auch nicht dargelegt. Die Beteiligte bezweifelt lediglich die Befugnis des Nachlassgerichts zu der getroffenen Anordnung, die – wie oben dargelegt – aber besteht, und führt im Übrigen lediglich Zweckmäßigkeitserwägungen an.
15An der Unzulässigkeit der Beschwerde ändert auch die Zulassung der Beschwerde durch die Rechtspflegerin in dem Beschluss vom 6.01.2014 nichts. Zum einen beschränkt sich diese Zulassung auf den Beschwerdewert (§ 61 Abs.1 und 2 FamFG). Zum anderen kann es nicht der Disposition des Rechtspflegers überlassen bleiben, ob über das gegen seine Entscheidung eingelegte Rechtsmittel der Richter des Amtsgerichts oder die nächsthöhere Instanz entscheidet.
16Da das Rechtsmittel der Beschwerde unzulässig wäre, ist das von dem Antragsgegner eingelegte Rechtsmittel als Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs.2 Satz 1 RPflG auszulegen, über die der Richter des Amtsgerichts zu entscheiden hat.
17Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 RPflG ist bei einer Entscheidung des Rechtspflegers, gegen die ein Rechtsmittel nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften nicht gegeben ist, die Erinnerung statthaft. Ein Rechtsmittel im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn es nicht statthaft ist oder wenn es zwar statthaft, aber unzulässig ist. Der Anwendungsbereich des § 11 Abs. 2 RPflG ist dabei nicht auf Fallkonstellationen beschränkt, in denen der Beschwerdewert nicht erreicht wird (BGH FamRZ 2008, 1433 für das vereinfachte Unterhaltsverfahren nach §§ 645 ff. ZPO; BGH MDR 2013, 1060 für das Vormundschaftsrecht; Keidel=Meyer-Holz, FamFG, 18. Auflage, Anhang zu § 58 Rn.2).
18Nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH MDR 2013, 1060), der sich der Senat anschließt, sind an das Vorliegen einer Erinnerungsbefugnis, die entsprechend § 11 Abs. 2 Satz 4 RPflG gegeben sein muss, geringere Anforderungen zu stellen als an das Vorliegen der Beschwerdebefugnis. Von daher kann nicht in jedem Fall, in dem – wie vorliegend – die Beschwerdebefugnis des Rechtsmittelführers fehlt, davon ausgegangen werden, dass diesem auch die Erinnerungsbefugnis fehlt.
19Ob der Beteiligten in der vorliegenden Konstellation eine Erinnerungsbefugnis zukommt, wird allein der zur Entscheidung über die Erinnerung berufene Amtsrichter zu prüfen und zu entscheiden haben.
20Über das als Erinnerung auszulegende Rechtsmittel der Beteiligten, der die Rechtspflegerin nicht abgeholfen hat, hat daher gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 RPflG der Nachlassrichter des Amtsgerichts zu entscheiden, so dass die Vorlageverfügung an das Oberlandesgericht aufzuheben und die Sache zur Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen war.
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Referenzen - Gesetze
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 61 Beschwerdewert; Zulassungsbeschwerde
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 59 Beschwerdeberechtigte
Rechtspflegergesetz - RPflG 1969 | § 11 Rechtsbehelfe
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 2 Örtliche Zuständigkeit

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