Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss, 15. Juli 2016 - IV-2 RBs 91/16
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Auf die Rechtsbeschwerde wird das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
1
G r ü n d e :
3I.
4Gegen die Betroffene ist mit Bescheid vom 27. April 2015 wegen Nichteinhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes ein Bußgeld von 80 Euro festgesetzt worden.
5Ihren nach Einlegung des Einspruchs gestellten Antrag, sie von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, hat das Amtsgericht mit Schreiben vom 13. November 2015 abgelehnt. Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, nachdem die Betroffene im Hauptverhandlungstermin ausgeblieben war.
6Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Sie beanstandet, dass das Amtsgericht ihrem Entbindungsantrag nicht nachgekommen sei und durch die Verwerfung des Einspruchs ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe.
7II.
8Die Rechtsbeschwerde ist nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil esgeboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.Für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist, da deren Zulassung auf § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG beruht, der Einzelrichter zuständig (vgl. BGHR OWiG § 80a Besetzung 2; OLG Düsseldorf NZV 2002, 99, 100).
9Die in zulässiger Weise erhobene Verfahrensrüge, mit welcher die Betroffene die Gesetzwidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht und damit auch die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, greift durch.
10Durch das angefochtene Verwerfungsurteil ist der Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt, da das Amtsgericht dem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen (§ 73 Abs. 2 OWiG) zu Unrecht nicht entsprochen hat. Nicht nur die Nichtberücksichtigung von rechtzeitig vorgebrachten und hinreichenden Entschuldigungsgründen, sondern auch die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines rechtzeitig gestellten Entbindungsantrags verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. OLG Hamm StraFo 2004, 281 u. DAR 2004, 662, 663; OLG Zweibrücken DAR 2000, 86, 87).
11Gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betroffenen auf dessenAntrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zurSache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicherGesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage ist die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht (mehr) in das Ermessen des Gerichts gestellt (vgl. OLG Hamm a.a.O.; BayObLG DAR 2001, 371, 372; OLG Frankfurt NZV 2012, 192; OLG Bamberg NZV 2013, 612). Vielmehr hat das Gericht dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.
12Auf dieser Grundlage kann die Entscheidung des Amtsgerichts keinen Bestand haben. Der zur Vertretung ermächtigte Verteidiger hatte in dem Entbindungsantrag vom 9. November 2015 die Fahrereigenschaft der Betroffenen zugestanden und erklärt, dass diese im Hauptverhandlungstermin „von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen“ werde. Aufgrund dieser Mitteilung war klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit der Betroffenen im Hauptverhandlungstermin keine weitergehende Aufklärung des Tatvorwurfs zu erwarten war. Die nach der Erklärung, keine weiteren Angaben zur Sache machen zu wollen, verbleibende theoretische Möglichkeit, die Betroffene werde bei Teilnahme an der Hauptverhandlung ihren Entschluss überdenken, reicht nicht aus, eine Befreiung von der Anwesenheitspflicht zu verweigern (vgl. OLG Köln ZfSch 2001, 186, 187; OLG Zweibrücken DAR 2000, 86, 87). Eine solche rein spekulative und nicht durch konkrete Anzeichen gestützte Erwägung kann eine Aufklärungserwartung im Sinne des § 73 Abs. 2 OWiG nicht begründen.
13Die Aufklärung des Sachverhaltes konnte demnach auch ohne Anwesenheit der Betroffenen durch Erklärungen des schriftlich als Vertreter bevollmächtigten Verteidigers (§ 73 Abs. 3 OWiG) und die Einführung der vorhandenen Beweismittel, insbesondere der Videoaufnahmen, erfolgen. Ferner konnte die schriftsätzliche Bestätigung der Fahrereigenschaft durch Bekanntgabe oder Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. Göhler-Seitz, OWiG, 14. Aufl., § 74 Rdn. 11a).
14In der Antragsschrift ist auch dargelegt worden, was der Verteidiger bei Gewährung des rechtlichen Gehörs in der Hauptverhandlung zur Entlastung der Betroffenen vorgebracht hätte. Nach alledem ist dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu entsprechen.
15Da die Voraussetzungen für die Entbindung von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung vorgelegen haben, waren die Ablehnung des Antrags gemäß § 73 Abs. 2 OWiG und demgemäß die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid (§ 74 Abs. 2 OWiG) rechtsfehlerhaft.
16Die damit begründete Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
17Ein Anlass, die Sache an andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen, besteht nicht.
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(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Es genügt, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 der Strafprozeßordnung erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden.
(2) Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.
(3) Der Betroffene ist in der Ladung über die Absätze 1 und 2 und die §§ 73 und 77b Abs. 1 Satz 1 und 3 zu belehren.
(4) Hat die Hauptverhandlung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ohne den Betroffenen stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.
(1) Das Beschwerdegericht läßt die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 2 auf Antrag zu, wenn es geboten ist,
- 1.
die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, soweit Absatz 2 nichts anderes bestimmt, oder - 2.
das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.
(2) Die Rechtsbeschwerde wird wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht und wegen der Anwendung von anderen Rechtsnormen nur zur Fortbildung des Rechts zugelassen, wenn
- 1.
gegen den Betroffenen eine Geldbuße von nicht mehr als einhundert Euro festgesetzt oder eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art angeordnet worden ist, deren Wert im Urteil auf nicht mehr als einhundert Euro festgesetzt worden ist, oder - 2.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder im Strafbefehl eine Geldbuße von nicht mehr als einhundertfünfzig Euro festgesetzt oder eine solche Geldbuße von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war.
(3) Für den Zulassungsantrag gelten die Vorschriften über die Einlegung der Rechtsbeschwerde entsprechend. Der Antrag gilt als vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde. Die Vorschriften über die Anbringung der Beschwerdeanträge und deren Begründung (§§ 344, 345 der Strafprozeßordnung) sind zu beachten. Bei der Begründung der Beschwerdeanträge soll der Antragsteller zugleich angeben, aus welchen Gründen die in Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. § 35a der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.
(4) Das Beschwerdegericht entscheidet über den Antrag durch Beschluß. Die §§ 346 bis 348 der Strafprozeßordnung gelten entsprechend. Der Beschluß, durch den der Antrag verworfen wird, bedarf keiner Begründung. Wird der Antrag verworfen, so gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen.
(5) Stellt sich vor der Entscheidung über den Zulassungsantrag heraus, daß ein Verfahrenshindernis besteht, so stellt das Beschwerdegericht das Verfahren nur dann ein, wenn das Verfahrenshindernis nach Erlaß des Urteils eingetreten ist.
(1) Die Bußgeldsenate der Oberlandesgerichte sind mit einem Richter besetzt, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(2) Die Bußgeldsenate der Oberlandesgerichte sind mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt in Verfahren über Rechtsbeschwerden in den in § 79 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Fällen, wenn eine Geldbuße von mehr als fünftausend Euro oder eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art im Wert von mehr als fünftausend Euro festgesetzt oder beantragt worden ist. Der Wert einer Geldbuße und der Wert einer vermögensrechtlichen Nebenfolge werden gegebenenfalls zusammengerechnet.
(3) In den in Absatz 1 bezeichneten Fällen überträgt der Richter die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern, wenn es geboten ist, das Urteil oder den Beschluss nach § 72 zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen. Dies gilt auch in Verfahren über eine zugelassene Rechtsbeschwerde, nicht aber in Verfahren über deren Zulassung.
(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Es genügt, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 der Strafprozeßordnung erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden.
(2) Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.
(3) Der Betroffene ist in der Ladung über die Absätze 1 und 2 und die §§ 73 und 77b Abs. 1 Satz 1 und 3 zu belehren.
(4) Hat die Hauptverhandlung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ohne den Betroffenen stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.
(1) Der Betroffene ist zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet.
(2) Das Gericht entbindet ihn auf seinen Antrag von dieser Verpflichtung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, daß er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist.
(3) Hat das Gericht den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden, so kann er sich durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen.
(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Es genügt, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 der Strafprozeßordnung erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden.
(2) Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.
(3) Der Betroffene ist in der Ladung über die Absätze 1 und 2 und die §§ 73 und 77b Abs. 1 Satz 1 und 3 zu belehren.
(4) Hat die Hauptverhandlung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ohne den Betroffenen stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.