Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss, 21. Okt. 2016 - III-1 RVs 93/16
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 16. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
1
Gründe
2Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Gesamtgeldstrafe von siebzig Tagessätzen zu je 30 € verurteilt; es hat ferner die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie eine achtmonatige Sperre für deren Wiedererteilung „ab dem Tag der Hauptverhandlung“ angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner (Sprung-)Revision.
3I.
4Das Rechtsmittel hat bereits mit der allgemeinen Sachrüge (vorläufigen) Erfolg, so dass sich eine Prüfung der darüber hinaus erhobenen Verfahrensrüge erübrigt.
51. Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte am 11. Oktober 2015 gegen 5.35 Uhr mit seinem Pkw in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand – eine ihm um 6.40 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille – unter anderem die Feldstraße in D.. Er kam an der Einmündung Lstr./Fstr. nach links von der Fahrbahn ab und fuhr in die Einfahrt der F.str., wo er mit dem abgeparkten Pkw der Zeugin M. L. „kollidierte“. Anschließend setzte er zurück und entfernte sich in Fahrtrichtung G.-B.-P.
62. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a), Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht.
7Zwar hat das Amtsgericht zutreffend angenommen, dass der Angeklagte aufgrund seiner Alkoholisierung absolut fahruntüchtig war. Dagegen läßt sich den Ausführungen nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass infolgedessen Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet worden sind. § 315 c Abs. 1 StGB setzt – wie allgemein anerkannt ist – in allen seinen Tatvarianten eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Die Tathandlung muss dabei über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation für die genannten Rechtsgüter geführt haben (vgl. BGH NJW 1995, 3131 m.w.N.).
8a. Es lässt sich den Feststellungen bereits nicht entnehmen, dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Angeklagten zu einer konkreten Gefahr in diesem Sinne geführt hat.
9Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, wie es zu dem Abkommen des Angeklagten an der Einmündung Lstr./Fstr. „nach links von der Fahrbahn“ gekommen sein soll. Sie enthalten beispielsweise keine Festellungen zu der Geschwindigkeit des vom Angeklagten geführten Pkw oder zu den näheren Straßenverhältnissen (Lage der Einfahrt, Fahrtrichtungen, sonstiges Verkehrsaufkommen), die eine Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen der Fahruntüchtigkeit des Angeklagten und dessen Abkommen von der Fahrbahn sowie dem späteren Unfallgeschehen – unter Ausschluss anderer denkmöglicher Ursachen (z.B. technischer Defekt, Ausweichmanöver) – ermöglichen.
10b. Der Umstand der konkreten Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert bedarf ebenfalls ergänzender Feststellungen.
11Bei der Prüfung, ob einer fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, sind stets zwei durch entsprechende Feststellungen gestützte Prüfungsschritte erforderlich: Zunächst ist zu klären, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelte. Dies kann etwa bei älteren oder bereits vorgeschädigten Fahrzeugen fraglich sein. Handelte es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der maßgebliche Gefährdungsschaden (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 289 m.w.N.). Weder teilt das Urteil indes die Höhe des entstandenen Sachschadens mit, noch enthält es Angaben dazu, ob das Fahrzeug der Geschädigten zum Unfallzeitpunkt einen „bedeutenden Wert“ hatte (vgl. BGH NStZ 2010, 216 f.; zur Wertgrenze auch Heine/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage [2014], Vorbem. §§ 306 ff. Rdnr. 15).
12c. Dass infolge der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit Leib oder Leben von Mitinsassen des durch den Angeklagten geführten Pkw konkret gefährdet worden wären, lässt sich den Feststellungen ebenso nicht entnehmen, zumal Entsprechendes nicht allein aufgrund der abstrakten Gefährdung bei absoluter Fahruntüchtigkeit des Fahrzeugführers anzunehmen ist (vgl. Fischer, StGB, 63. Auflage [2016], § 315c Rdnr. 15b m.w.N.).
133. Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
14a. Das angefochtene Urteil ist insoweit lückenhaft, als es keine Feststellungen zur Schuldform enthält und infolge dessen dem Senat nicht die Prüfung ermöglicht, ob das Amtsgericht zu Recht von einer – zumindest bedingt – vorsätzlichen Tatbegehung ausgegangen ist. Zwar sind nähere Ausführungen zur subjektiven Tatseite in der Regel entbehrlich, wenn bereits die Urteilsfeststellungen zum objektiven Tatgeschehen ohne weiteres den Schluss auf ein vorsätzliches Handeln des Täters zulassen. Eine derartige Konstellation ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.
15b. Nach einhelliger Rechtsprechung der Oberlandesgerichte kann die vorsätzliche Deliktsbegehung bei einer Trunkenheitsfahrt nicht bereits aus einer hohen Blutalkoholkonzentration des Täters zur Tatzeit (hier: Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer Blutalkoholkonzentration von jedenfalls 1,86 Promille) geschlossen werden. Da mit fortschreitender Alkoholisierung die Kritik-, Erkenntnis- und Selbsteinschätzungsfähigkeit der betroffenen Person im Allgemeinen abnimmt, existiert kein Erfahrungssatz, dass derjenige, der in erheblichen Mengen Alkohol getrunken hat, seine Fahruntüchtigkeit auch tatsächlich erkennt, insbesondere etwaige Ausfallerscheinungen bewusst wahrnimmt und aus ihnen die richtigen Schlüsse zieht. Für die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung bedarf es vielmehr der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit, der Trinkgewohnheiten – namentlich in zeitlichem Zusammenhang mit dem Fahrtantritt – sowie des Täterverhaltens während und nach der Trunkenheitsfahrt (Senatsbeschluss vom 5. November 2009 [III-2 Ss 220/09-149/09 I]; vgl. ferner OLG Zweibrücken DAR 1999, 132f.; OLG Koblenz NZV 1993, 444; OLG Karlsruhe NZV 1993, 117, 118; OLG Hamm VM 1998, 68f.; Fischer, a.a.O., § 316 Rdnr. 46 m.w.N.).
16Entsprechende Ausführungen fehlen im angefochtenen Urteil.
174. Die dargelegten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils – auch hinsichtlich der mit der Trunkenheitstat gemäß § 316 StGB in Tateinheit stehenden weiteren Tat des unerlaubten Entfernens von Unfallort (§ 142 StGB) – mit den zugrunde liegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts (§§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO), denn die Möglichkeit ergänzender Feststellungen ist beim gegenwärtigen Sachstand nicht auszuschließen.
18II.
19Die Urteilsformel und das weitere Vorbringen zur Revisionsrechtfertigung geben zudem Anlass, für die neue Hauptverhandlung auf folgende Gesichtspunkte hinzuweisen:
201. Gemäß § 69a Abs. 5 Satz 1 StGB beginnt die – auch im Rahmen der neuen Hauptverhandlung zu prüfende – Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis nicht „ab dem Tag der Hauptverhandlung“, sondern mit der Rechtskraft des Urteils.
212. Bei einer 65 Minuten nach dem Tatgeschehen ermittelten Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille dürfte die Frage zu erwägen sein, ob der Angeklagte zur Tatzeit vermindert schuldfähig im Sinne von § 21 StGB war (vgl. hierzu Fischer, a.a.O., § 20 Rdnrn. 13, 21, 21a).
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(1) Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315e) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 315a oder § 315c mit Strafe bedroht ist.
(2) Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht.
(1) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er
- 1.
zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, daß er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder - 2.
eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne daß jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen,
(2) Nach Absatz 1 wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich
vom Unfallort entfernt hat und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht.(3) Der Verpflichtung, die Feststellungen nachträglich zu ermöglichen, genügt der Unfallbeteiligte, wenn er den Berechtigten (Absatz 1 Nr. 1) oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle mitteilt, daß er an dem Unfall beteiligt gewesen ist, und wenn er seine Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines Fahrzeugs angibt und dieses zu unverzüglichen Feststellungen für eine ihm zumutbare Zeit zur Verfügung hält. Dies gilt nicht, wenn er durch sein Verhalten die Feststellungen absichtlich vereitelt.
(4) Das Gericht mildert in den Fällen der Absätze 1 und 2 die Strafe (§ 49 Abs. 1) oder kann von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Unfallbeteiligte innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, der ausschließlich nicht bedeutenden Sachschaden zur Folge hat, freiwillig die Feststellungen nachträglich ermöglicht (Absatz 3).
(5) Unfallbeteiligter ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.
(2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.
(3) Das Mindestmaß der Sperre beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist.
(4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ 111a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.
(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. In die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(6) Im Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.
(7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.