Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 18. Okt. 2018 - 2 Ss OWi 1419/18

bei uns veröffentlicht am18.10.2018

Gericht

Oberlandesgericht Bamberg

Tatbestand

Das AG verurteilte den Betr. am 18.05.2018 wegen tatmehrheitlich begangener Drogenfahrten in 2 Fällen (§ 24 a II, III StVG i.V.m. § 20 OWiG) zu 2 Geldbußen von jeweils 500 € und ordnete gegen den Betr. ein einmonatiges Fahrverbot an. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betr. führte mit der Beanstandung einer Verletzung von § 74 StPO zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache.

Gründe

I.

Der Betr. beanstandet zu Recht, dass das AG seinen Befangenheitsantrag gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen mit unzureichender und damit rechtsfehlerhafter Begründung zurückgewiesen hat (§ 74 StPO i.V.m. § 71 I OWiG). […].

1. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Der Betr., der in erster Linie den Einwand des Medikamentenprivilegs gem. § 24a II 3 StVG geltend gemacht hatte, hat den gerichtlich bestellten Sachverständigen, welcher hierzu in der Hauptverhandlung vom 04.05.2018 angehört worden war, mit am 17.05.2018 bei dem AG eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.05.2018 außerhalb der bis zum 18.05.2018 unterbrochenen Hauptverhandlung wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass der Sachverständige „seine Ausführungen unter Verwendung des Begriffes ‚dieses Cannabis-Zeugs‘ unter gleichzeitiger mimischer Kundgabe seiner im Folgenden von ihm dargelegten (persönlichen) Geringschätzung des therapeutischen Wertes des Einsatzes von Medizinal-Cannabis“ begonnen habe und auch im weiteren Verlauf nicht von „Medizinal-Cannabis“ gesprochen, sondern mehrfach den Begriff „Cannabis-Zeugs“ verwendet habe. Darüber hinaus habe der Sachverständige die wissenschaftlich nicht haltbare Auffassung vertreten, dass es auch bei THC-Wirkstoffkonzentrationen von weniger als 1,0 ng/ml zu Halluzinationen kommen könne bzw. auch zu späteren Zeitpunkten mit sog. Flash-Back-Effekten gerechnet werden müsse. Damit habe der Sachverständige nicht nur die nötige Sachkunde zum Wirkungsspektrum von Tetrahydrocannabinol vermissen lassen, was für sich genommen noch nicht seine Ablehnung rechtfertige, sondern er habe damit auch und insbesondere durch die Verwendung des Begriffes „das Cannabis-Zeugs“ seine (persönliche) Geringschätzung des therapeutischen Nutzens von Cannabis dokumentiert, was vom Standpunkt des Betr. aus verständigerweise ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen gerechtfertigt erscheinen lasse. Das Verhalten des Sachverständigen lasse besorgen, dass er gegen den Betr. eine nicht mehr unvoreingenommene Haltung einnehme. Im Fortsetzungstermin vom 18.05.2018, zu dem der Betr. ohne seinen Verteidiger erschienen war, verlas die Tatrichterin den gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen gerichteten Befangenheitsantrag der Verteidigung vom 16.05.2018, zu welchem dieser im Anschluss daran Stellung bezog. Sodann wurde dem Betr. Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Nach kurzer Unterbrechung der Hauptverhandlung verwarf das AG den Antrag nach §§ 25 II Nr. 2, 74 StPO als unzulässig, weil verspätet. Das Zuwarten der Verteidigung mit der Stellung des Ablehnungsgesuchs bis zum 17.05.2018 begründe dessen Unzulässigkeit, da die dargelegten Gründe dem Betr. bereits am 04.05.2018 bekannt gewesen seien. Der Antrag sei damit nicht unverzüglich gestellt worden. Darüber hinaus sei das Ablehnungsgesuch auch unbegründet, da es sich inhaltlich auf bloße Behauptungen stütze, die nicht glaubhaft gemacht worden seien, § 74 III StPO. Eigener Verteidigervortrag genüge zur Glaubhaftmachung i.S.d. des Gesetzes nicht. Sodann erging weiterer Beschluss, wodurch dem Sachverständigen die weitere Anwesenheit sowie die weitere Gutachtenerstattung gestattet wurde.

2. Die Rüge ist in zulässiger Weise (§ 344 II 2 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG) erhoben; der Ablehnungsantrag und der ihn zurückweisende Gerichtsbeschluss sind vorgetragen. Sie ist auch begründet, da sich die Behandlung des Befangenheitsantrags als rechtsfehlerhaft erweist.

a) Das AG durfte den Antrag nicht als verspätet ablehnen. Anders als bei der Richterablehnung findet nämlich das Unverzüglichkeitsgebot des § 25 II Nr. 2 StPO für die Ablehnung eines Sachverständigen keine Anwendung (BGH, Beschluss vom 10.01.2018 - 1StR 437/17 = NJW 2018, 1030 = StraFo 2018, 148 = NStZ 2018, 487; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 74 Rn. 12; KK/Senge StPO 7. Aufl. § 74 Rn. 7; LR/Krause StPO 27. Aufl. § 74 Rn. 22; SK/Rogall StPO 5. Aufl. § 74 Rn. 55). Denn § 74 I 1 StPO verweist lediglich hinsichtlich der Gründe auf die Ablehnung eines Richters, nicht aber hinsichtlich der für das Verfahren maßgeblichen Vorschriften (so schon RGSt 47, 239, 240; vgl. auch MüKo/Trück StPO [2014] § 74 Rn. 17), somit auch nicht für den Ablehnungszeitpunkt (KMR/Neubeck StPO [68. EL] § 74 Rn. 2). Vielmehr ergibt sich aus § 83 II StPO ausdrücklich die Möglichkeit der erfolgreichen Ablehnung eines Sachverständigen noch nach Erstattung von dessen Gutachten; wie bei Beweisanträgen ist der Schluss der Beweisaufnahme der letztmögliche Zeitpunkt für die Antragstellung (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.; BeckOK/Monka StPO [Stand: 01.06.2018] § 74 Rn. 8).

b) Soweit das AG den Befangenheitsantrag darüber hinaus als „unbegründet“ (richtig: unzulässig) abgelehnt hat, weil er sich inhaltlich auf bloße Behauptungen stütze, welche entgegen § 74 III StPO nicht glaubhaft gemacht worden seien, trägt auch dies die Ablehnung nicht. Insoweit gilt zwar dasselbe wie bei der Richterablehnung (KK/Senge § 74 Rn. 8). Die Entscheidung, ein Ablehnungsgesuch wegen fehlender Glaubhaftmachung nach § 26a I Nr. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen, ist aber rechtsfehlerhaft, wenn die Tatsachen, mit denen in dem Ablehnungsgesuch die Besorgnis der Befangenheit begründet wird, gerichtsbekannt sind. So liegt der Fall hier. Da die Tatrichterin notwendigerweise in der Sitzung zugegen war, sind die beanstandeten Äußerungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen in der Hauptverhandlung vom 04.05.2018 gerichtsbekannt und müssen somit nicht mehr glaubhaft gemacht werden (BGH, Beschluss vom 29.08.2006 - 1 StR 371/06 = NStZ 2007, 161 = StV 2007, 121; LR/Krause a.a.O. § 26 Rn. 16).

c) Da das AG in die Begründetheitsprüfung nicht näher eingetreten ist, ist dem Senat eine solche Prüfung ebenfalls verwehrt. Er hat allein nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu entscheiden, ob das Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler mit ausreichender Begründung zurückgewiesen worden ist. Anders als bei der Ablehnung eines Richters ist er an die vom Tatgericht festgestellten Tatsachen gebunden und darf keine eigenen Feststellungen treffen. Da das von der Unzulässigkeit des Antrags ausgehende AG - von seinem unzutreffenden Standpunkt aus konsequent - weder erkennen lässt, von welchen Tatsachen es insoweit ausgegangen ist, noch, ob das festgestellte Sachverständigenverhalten in sachlicher Hinsicht die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, kann auch das Rechtsbeschwerdegericht dies nicht selbständig prüfen (BGH, Beschluss vom 10.01.2018 - 1StR 437/17 [a.a.O.]).

d) Das Urteil beruht schließlich auch auf der fehlerhaften Ablehnung des Befangenheitsgesuches (§ 337 I StPO), denn der Senat kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass das AG bei Einholung eines anderen Sachverständigengutachtens zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. […]

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Strafprozeßordnung - StPO | § 74 Ablehnung des Sachverständigen


(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist. (2) Das Ab

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 20 Tatmehrheit


Sind mehrere Geldbußen verwirkt, so wird jede gesondert festgesetzt.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2006 - 1 StR 371/06

bei uns veröffentlicht am 29.08.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 371/06 vom 29. August 2006 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. August 2006 beschlossen : Die

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Sind mehrere Geldbußen verwirkt, so wird jede gesondert festgesetzt.

(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.

(2) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Die ernannten Sachverständigen sind den zur Ablehnung Berechtigten namhaft zu machen, wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen.

(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 371/06
vom
29. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. August 2006 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 6. März 2006 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§
349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
2
Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge, an dem Urteil habe der Vorsitzende Richter L. mitgewirkt, nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden sei (Verstoß gegen § 338 Nr. 3 i.V.m. § 24 Abs. 1 StPO).
3
1. Der Beschwerdeführer trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:
4
In die Hauptverhandlung wurden Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung eingeführt. Die Gespräche wurden weitgehend in dem Sinti-Dialekt "Sintitikes" geführt. Da der Angeklagte Zweifel an der Richtigkeit der im Ermittlungsverfahren gefertigten Übersetzung äußerte, wurde auf den dritten Verhandlungstag eine Sprachsachverständige geladen. Zur Vorbereitung des Termins hatte der Vorsitzende der Sachverständigen vier aufgezeichnete Gespräche in digitalisierter Form und die jeweiligen Übertragungsprotokolle der Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt.
5
Mit der Beweiserhebung durch Abspielen einzelner Gespräche aus der Telefonüberwachung und ihre Übersetzung durch die Sachverständige wurde nach 11.50 Uhr begonnen. Dabei erfolgte auch die Mitteilung an die Verfahrensbeteiligten , dass der Sachverständigen Aktenteile überlassen worden waren. Um 12.32 Uhr wurde die Hauptverhandlung unterbrochen und um 13.36 Uhr fortgesetzt.
6
Der Verteidiger lehnte anschließend namens des Angeklagten den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Ablehnungsgesuch begründete er damit, der Vorsitzende habe die Verteidigung nicht darüber informiert , dass er der Sachverständigen Aktenteile zur Vorbereitung des Termins zur Verfügung gestellt habe; er habe auf ausdrückliche Nachfrage des Verteidigers geäußert, die der Sachverständigen überlassenen Gespräche seien für den Tatnachweis nicht relevant, obwohl eins davon das "Kernstück" der Telefonüberwachung darstellen würde. Das Befangenheitsgesuch wurde mit Gerichtsbeschluss unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen , da der Ablehnungsgrund nicht glaubhaft gemacht und das Gesuch verspätet eingebracht worden sei.
7
Daraufhin brachte der Verteidiger ein zweites inhaltsgleiches Ablehnungsgesuch an und bezog sich zur Glaubhaftmachung auf die noch einzuholenden dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden und des Sitzungsstaatsanwalts. Auch dieses zweite Gesuch wurde mit Gerichtsbeschluss unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen, weil es sich um die unzulässige Wiederholung eines bereits abgelehnten Gesuchs handele.
8
2. Die Revision greift ausschließlich den auf das erste Befangenheitsgesuch ergangenen Beschluss an; den zweiten Beschluss lässt sie unbeanstandet. Sie macht geltend, dass die Verwerfung des ersten Antrags rechtsfehlerhaft gewesen sei, weil eine Glaubhaftmachung über die anwaltliche Erklärung hinaus nicht erforderlich gewesen und er nicht verspätet eingebracht worden sei. Dass der zweite Antrag verworfen wurde, rügt der Beschwerdeführer hingegen nicht.
9
Dem Senat ist es demnach verwehrt, den zweiten Verwerfungsbeschluss zu prüfen. Kommen nach den vorgetragenen Tatsachen mehrere Verfahrensmängel in Betracht, ist vom Beschwerdeführer darzutun, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird, um somit die Angriffsrichtung der Rüge deutlich zu machen (BGH NStZ 1998, 636; 1999, 94; Cirener/Sander JR 2006, 300). Die Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichts.
10
3. Die Rüge ist unbegründet, da die nach Beschwerdegrundsätzen vorgenommene Prüfung durch den Senat ergibt, dass beim Vorsitzenden die Besorgnis der Befangenheit nicht bestand.
11
a) Die Entscheidung der Strafkammer, das erste Ablehnungsgesuch als im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 1, 2 Alt. 2 StPO unzulässig zu verwerfen, war rechtsfehlerhaft. Der Antrag bedurfte nicht der weiteren Glaubhaftmachung (§ 26 Abs. 2 StPO), da der Verteidiger seine eigenen Wahrnehmungen mitteilte; dass er die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versicherte, war nicht erforderlich (BayObLG StV 1995, 7; OLG Schleswig MDR 1972, 165; Pfeiffer in KK 5. Aufl. § 26 Rdn. 5; Maul in KK 5. Aufl. § 45 Rdn. 11; a.A. OLG Koblenz OLGSt StPO § 45 Nr. 5). Auch war der Antrag nicht verspätet eingebracht (§ 25 StPO), weil die maßgeblichen Vorgänge, auf die er sich gründete, "unmittelbar" vor der Mittagspause - so die Revision - erfolgten und das Ablehnungsgesuch als erster protokollierter Vorgang danach gestellt wurde.
12
b) Bei zutreffender rechtlicher Beurteilung hätte daher der Vorsitzende nach § 27 Abs. 1 StPO an der Entscheidung über den ersten - zulässigen - Antrag nicht mitwirken dürfen. Hat das Gericht über ein Ablehnungsgesuch in falscher Besetzung entschieden, so ist in dem Fall, dass das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden ist, allein deswegen der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO gegeben, und zwar unabhängig davon, ob tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit bestand. Denn im Fall eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist es dem Revisionsgericht verwehrt, nach Beschwerdegrundsätzen darüber zu entscheiden , ob das Ablehnungsgesuch begründet war (BVerfG NJW 2005, 3410, 3413 f.; StraFo 2006, 232, 236; BGHSt 50, 216, 219; BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 - 5 StR 154/06 - Umdr. S. 9 f.). Ein derartiger Fall liegt hier allerdings nicht vor.
13
c) Ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a, 27 StPO führt nur dann zu einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn diese Vorschriften willkürlich angewendet werden oder die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie verkennt (BVerfG NJW 2005, 3410, 3411; StraFo 2006, 232, 235 f.; BGHSt 50, 216, 218; BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 - 5 StR 249/06 - Umdr. S. 3). Willkür liegt vor, wenn der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten wertend beurteilt, sich gleichsam zum "Richter in eigener Sache" macht (BVerfG NJW 2005, 3410, 3412; StraFo 2006, 232, 235; Beschluss vom 2. August 2006 - 2 BvR 1518/06 - Umdr. S. 5; BGHSt aaO 219; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05 - Umdr. S. 4; Beschluss vom 13. Juli 2006 - 5 StR 154/06 - Umdr. S. 7 f.), oder ein Verstoß von vergleichbarem Gewicht gegeben ist. Demgegenüber gibt es auch Fallgestaltungen, in denen sich ein Verfassungsverstoß nicht feststellen lässt, vielmehr die §§ 26a, 27 StPO "nur" schlicht fehlerhaft angewendet wurden (BVerfG StraFo 2006, 232, 236; vgl. ferner BGH StV 2005, 587, 588; Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05 - Umdr. S. 6).
14
Erfolgt die Verwerfung nur aus formalen Erwägungen, wurden die Ablehnungsgründe aber nicht inhaltlich geprüft, ist im Einzelfall danach zu differenzieren , ob die Entscheidung des Gerichts auf einer groben Missachtung oder Fehlanwendung des Rechts beruht, ob also Auslegung und Handhabung der Verwerfungsgründe nach § 26a Abs. 1 StPO offensichtlich unhaltbar oder aber lediglich schlicht fehlerhaft sind (BGHSt 50, 216, 219 f.). In letzterem Fall entscheidet das Revisionsgericht weiterhin nach Beschwerdegrundsätzen sachlich über die Besorgnis der Befangenheit (zur bisherigen Rspr. vgl. BGHSt 18, 200, 203; 23, 265; BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 1, 3, 9).
15
d) Die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs nach § 26a Abs. 1 StPO erfolgte hier nicht willkürlich. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Strafkammer Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannt hat.
16
Das mit dem Befangenheitsgesuch beanstandete Verhalten des Vorsitzenden war für die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig nicht relevant, sodass er bei der Mitwirkung am Verwerfungsbeschluss sein eigenes Verhalten nicht wertend beurteilen musste. Vielmehr wurde die Verwerfung nur mit formalen Mängeln des Gesuchs - Form und Frist, d.h. fehlende Glaubhaftmachung und Verspätung - begründet.
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Die Entscheidung, das erste Ablehnungsgesuch wegen fehlender Glaubhaftmachung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen, war zwar rechtsfehlerhaft; denn der von einem Verteidiger verfasste Antrag genügt schon dann den gesetzlichen Anforderungen, wenn die Tatsachen, mit denen die Besorgnis der Befangenheit begründet wird, gerichtsbekannt sind (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1972, 17; Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 26 Rdn. 16) oder der Antrag Wahrnehmungen des Verteidigers enthält, wobei das Fehlen einer anwaltlichen Versicherung grundsätzlich unschädlich ist (vgl. BayObLG StV 1995, 7; OLG Schleswig MDR 1972, 165; Pfeiffer in KK 5. Aufl. § 26 Rdn. 5; Maul in KK 5. Aufl. § 45 Rdn. 11).
18
Die Bewertung des Landgerichts ist aber nicht offensichtlich unhaltbar. Die Erklärungen des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung mussten zwar als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden. Das gilt jedoch nicht für die unterbliebene Information bezüglich des Überlassens von Aktenteilen im Vorfeld der Sachverständigenvernehmung. Insoweit teilt die Revision nicht mit, ob dieser von der Verteidigung erhobene Vorwurf gerichtsbekannt, insbesondere Gegenstand der Hauptverhandlung war. Auch diesbezüglich genügt zwar die in dem Befangenheitsgesuch enthaltene anwaltliche Erklärung, da es sich um eine eigene Wahrnehmung - gegebenenfalls auch außerhalb der Hauptverhandlung - handelte. Indem die Kammer jedoch insgesamt nicht die schlichte Erklärung ausreichen ließ, sodass zumindest die anwaltliche Versicherung von deren Richtigkeit erforderlich gewesen wäre, wandte sie den Verwerfungsgrund des § 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StPO nicht grob rechtsfehlerhaft an. Zwar setzt die Glaubhaftmachung nach zutreffender Auffassung insoweit eine anwaltliche Versicherung nicht voraus. Die der Entscheidung der Kammer zugrunde liegende Auslegung, die sich auch auf obergerichtliche Rechtsprechung berufen kann (vgl. OLG Koblenz OLGSt StPO § 45 Nr. 5), ist jedoch vertretbar. Sie kann das Argument für sich beanspruchen, dass dem Verteidiger, der ein Ablehnungsgesuch stellt, mit der anwaltlichen Versicherung Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung für das Ablehnungsverfahren, in dem keine Beweisaufnahme über den Ablehnungsgrund stattfindet, vor Augen geführt werden.
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e) Die demnach nach Beschwerdegrundsätzen vorgenommene Prüfung des Sachverhalts ergibt, dass das auf die Überlassung von Aktenteilen bezügliche Verhalten einem verständigen Angeklagten keinen Anlass geben konnte, an der Unparteilichkeit des Vorsitzenden zu zweifeln. Maßstab hierfür ist, ob der Richter den Eindruck erweckt, er habe sich in der Schuld- und Straffrage bereits festgelegt. Dies ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten aus zu beurteilen. Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (Senat , Urteil vom 9. August 2006 - 1 StR 50/06 - Umdr. S. 23; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 24 Rdn. 6, 8 m.w.N.).
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Die umfangreichen Bemühungen des Vorsitzenden um einen Sprachsachverständigen für den Sinti-Dialekt "Sintitikes" erfolgten im Interesse des Angeklagten, der Zweifel an der Richtigkeit der im Ermittlungsverfahren gefertigten Übersetzung äußerte. Dass es der Vorsitzende dabei unterließ, die Verteidigung davon zu informieren, dass er der schließlich beauftragten Sachverständigen zu ihrer Vorbereitung bestimmte Aktenteile zur Verfügung gestellt hatte, konnte von vornherein kein Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit begründen , weil eine Verpflichtung hierzu nicht bestand (vgl. zu § 33 Abs. 2, 3 StPO; Maul aaO § 33 Rdn. 2; Wendisch aaO § 33 Rdn. 7). Weiterhin war die Frage des Verteidigers nach der Tatrelevanz der überlassenen digitalisierten Gespräche mit Übersetzungsprotokollen sachwidrig. Denn es war notwendig, der Sachverständigen den für ihre Übersetzungstätigkeit jedenfalls auch bedeutsamen fremdsprachlichen Akteninhalt zur Kenntnis zu bringen (§ 80 Abs. 2 StPO). Welches Interesse der Angeklagte daran haben konnte, ihr nur für den Tatvorwurf nicht relevante Gespräche zur Verfügung zu stellen, ist weder von der Revision vorgetragen noch sonst ersichtlich, zumal sich der Auftrag an die Sachverständige naturgemäß (auch) auf die relevanten Gespräche bezog. Die Frage des Verteidigers zielte ferner auf eine vorläufige Bewertung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise und des Akteninhalts. Hierauf haben die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich keinen Anspruch (BGHSt 43, 212); im Übrigen obliegt die Würdigung des Beweisstoffs ohnehin nicht dem Vorsitzenden allein, sondern dem gesamten Spruchkörper. Die vom Vorsitzenden auf diese sachwidrige Frage gegebene Antwort konnte, zumal die Verfahrensbeteiligten sie ohne weiteres überprüfen konnten, vom Standpunkt eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Wahl Boetticher Kolz Hebenstreit Elf