Landgericht Trier Urteil, 19. Feb. 2016 - 1 S 131/15

ECLI:ECLI:DE:LGTRIER:2016:0219.1S131.15.0A
bei uns veröffentlicht am19.02.2016

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Trier vom 14.07.2015, Az. 6 C 62/15, abgeändert und die Klage abgewiesen.

1. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Klägerin fordert von der Beklagten Schmerzensgeld wegen der Folgen des Fehlens einer funktionsfähigen Toilette in einer Regionalbahn.

2

Die Klägerin fuhr am 05.10.2014 mit Verkehrsmitteln der Beklagten von Düsseldorf nach Trier. Der von ihr gebuchte IC2011 traf am Umsteigebahnhof Koblenz aufgrund einer Verspätung erst um 16:35 Uhr ein, weswegen sie ihren planmäßigen Anschlusszug nicht erreichte. Sie setzte ihre Reise mit der Regionalbahn RB12232 - Abfahrt 16:40 Uhr - auf der sogenannten Moselstrecke nach Trier fort. Die einzige im Zug verfügbare Toilette war - bereits beim Eintreffen in Koblenz - defekt. Aufenthaltszeiten an den planmäßigen Haltestellen entlang der Moselstrecke sieht der Fahrplan der Regionalbahn nicht vor. Toiletten werden von der Beklagten entlang der Strecke nicht zur Verfügung gestellt. Planmäßige Ankunft der Regionalbahn in Trier war 18:36 Uhr.

3

Die Klägerin verspürte spätestens auf dem Bahnhof in Koblenz einen leichten Harndrang. Sie entschied sich jedoch zur unmittelbaren Weiterfahrt.

4

In der Leistungsbeschreibung zum aktuellen Verkehrsvertrag der Beklagten mit dem Zweckverband Schienenpersonennahverkehr Rheinland-Pfalz Nord (im Folgenden: SPNV Nord) und dem Ministerium für Wirtschaft und Arbeit des Saarlandes wird der Beklagten in Ziffer 6.3. Abs. 4 während der Fahrt die Erreichbarkeit mindestens einer funktionsfähigen, behindertenfreundlich gestalteten Toilette von allen Sitzplätzen eines Fahrzeugs aus vorgegeben. In Ziffer 6.8.2 ist geregelt, dass Funktionsstörungen an den Toiletten durch die Beklagte innerhalb 24 Stunden nach Kenntnis zu beseitigen sind. Im Falle einer Überschreitung dieser Fristen erfolgt wegen Schlechtleistung ein Abzug von täglich 250,00 € vom gewährten Zuschuss.

5

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen,
sie habe erst am Bahnsteig in Koblenz einen leichten Harndrang verspürt, sodass ein vorheriger - unstreitig möglicher - Toilettengang im IC2011 nicht in Betracht gekommen sei. In Koblenz sei das Aufsuchen der Toilette aufgrund der erforderlichen Neuorientierung, der zeitlichen Abläufe und des vorhandenen schweren Gepäcks nicht möglich gewesen. Ein Aussteigen an einem der an der Strecke befindlichen „Geisterbahnhöfe“ sei im Dunkeln bei einer Wartezeit von einer Stunde bis zum Eintreffen des nächsten Zuges unzumutbar. Der Zugbegleiter habe sie darüber informiert, dass „alle Bahnhöfe zu“ seien. Sehr viele weitere Reisende hätten die Fahrt unterbrochen, um an Bahnsteigen entlang der Moselstrecke ihre Notdurft zu verrichten.

6

Sie habe über eine Dauer von zwei Stunden aufgrund ihres immer stärker werdenden Harndrangs Schmerzen ertragen müssen. Am Hauptbahnhof Trier sei für sie eine entwürdigende Situation entstanden, da ihr auf dem Bahnsteig „alles in die Hose und darüber hinaus gegangen sei“.

7

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

8

die Beklagte zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu zahlen, jedoch mindestens in Höhe von 400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit dem 04.12.2014

9

sowie

10

die Klägerin von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 83,54 € freizustellen.

11

Die Beklagte hat beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Sie hat vorgetragen,
die Klägerin hätte bereits in Düsseldorf, im IC oder am Bahnhof in Koblenz ihre Notdurft verrichten können. Auch sei eine Unterbrechung der Reise möglich gewesen, da an verschiedenen Haltestellen entlang der Moselstrecke die Möglichkeit zum Toilettengang bestanden habe. Es sei möglich gewesen, beim Zugbegleiter zu erfragen, wann sie nach einer Unterbrechung mit dem nächsten Zug weiterfahren könne.

14

Das Amtsgericht Trier hat mit Urteil vom 14.07.2015 die Klage in Höhe von 200 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten unter Klageabweisung im Übrigen zugesprochen und die Berufung zugelassen.

15

Der Beklagten falle ein Organisationsverschulden zur Last. Es bestehe eine Nebenpflicht, abends oder bei Einbrechen der Dunkelheit sowie in den dunklen Morgenstunden eine funktionsfähige Toilette in Zügen vorzuhalten oder durch entsprechende Hinweise auf eine zumutbare Möglichkeit des Toilettengangs aufmerksam zu machen, wenn es sich wie vorliegend um eine Strecke mit wenig belebten Bahnhöfen handele. Sofern dies nicht möglich sei, bestehe zumindest eine Hinweispflicht an den Einstiegsorten zum Fehlen funktionsfähiger Toiletten. Am Bahnhof in Koblenz habe die Klägerin keine Toilette aufsuchen müssen. Zum einen sei kein Hinweis zur Funktionsunfähigkeit der Toilette erfolgt. Zum anderen hätte sie riskiert, erneut einen Anschlusszug zu verpassen. Ein Mitverschulden der Klägerin sei nicht gegeben. Es sei unzumutbar, im Oktober zur hier maßgeblichen Tageszeit als Frau mit Gepäck „ins Ungewisse“ aussteigen zu müssen. Angesichts der nachgewiesenen entwürdigenden Vorkommnisse auf dem Bahnsteig in Trier sei ein Schmerzensgeld von 200 € angemessen. Auf die weiteren tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

16

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie die vollständige Klageabweisung erstrebt. Die Klägerin begehrt im Wege der Anschlussberufung Zahlung weiterer 200 €.

17

Die Beklagte trägt vor,
es gebe keine gesetzliche Verpflichtung zur Bereitstellung funktionsfähiger Toiletten in einer Regionalbahn. Es existiere im Bereich der Personenbeförderung weder eine Haupt- noch eine Nebenpflicht in diesem Sinne. Das Fehlen einer Toilette sei im Nahverkehr keine Ausnahme. Es liege in der eigenen Verantwortlichkeit der Fahrgäste, ob und wann die Toilette aufgesucht werde. Ein technischer Defekt sei trotz regelmäßiger Wartung nicht auszuschließen und daher unverschuldet. Die Beklagte habe vor der Entscheidung gestanden, den Zug ausfallen oder mit einer funktionsuntüchtigen Toilette fahren zu lassen. Letzteres sei im Interesse der großen Anzahl an Reisenden die richtige Entscheidung.

18

Eine Pflicht zur Information über funktionsunfähige Toiletten habe nicht bestanden, da es bereits keine Verpflichtung zum Bereitstellen einer Toilette gebe. Art. 8 der Fahrgastrechte-Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 sehe eine Hinweispflicht nur auf Nachfrage vor. Die Wertung der Verordnung zu den dort erwähnten Dienstleistungen spreche ebenso wie die Vorschriften der Eisenbahn-Verkehrsordnung dagegen, außerhalb der gesetzlichen Regelungen eine solche Dienstleistungspflicht aus einer Nebenpflicht des Beförderungsvertrages abzuleiten.

19

Zuletzt sei ein Anspruch der Klägerin jedenfalls wegen überwiegenden Mitverschuldens ausgeschlossen. Es sei letztlich die eigene und autonome Entscheidung der Klägerin gewesen, von der Möglichkeit einer Toilettennutzung in der näheren Umgebung der in großer Zahl vorhandenen Unterwegsbahnhöfe keinen Gebrauch zu machen.

20

Die Beklagte beantragt:

21

Das Urteil des Amtsgerichts Trier vom 14.07.2015 (Az: 6 C 62/15) wird im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.

22

Die Revision wird zugelassen.

23

Die Klägerin beantragt,

24

die Berufung zurückzuweisen

25

und darüber hinaus im Wege der Anschlussberufung

26

das Urteil des Amtsgerichts Trier vom 14.07.2015 (Az: 6 C 62/15) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit dem 04.12.2014 zu zahlen sowie die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 € freizustellen.

27

Hilfsweise beantragt sie,

28

die Revision zuzulassen.

29

Die Beklagte beantragt,

30

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

31

Die Klägerin ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen. Das festgesetzte Schmerzensgeld sei nicht angemessen. Es sei insbesondere die fortdauernde psychische Beeinträchtigung durch die kategorische Zurückweisung des Anspruchs sowie die erneute Auseinandersetzung der Klägerin mit der für sie hochnotpeinlichen Situation zu berücksichtigen, nachdem das Verfahren den Weg in die Presse gefunden habe.

II.

32

Die Berufung ist zulässig und begründet. Sie führt zur Klageabweisung. Die zulässige Anschlussberufung ist unbegründet.

33

1. Die Berufung hat in der Sache Erfolg.

34

Dabei kann es letztlich dahinstehen, ob die Beklagte gegen eine etwaige Pflicht verstoßen hat, in einer Regionalbahn eine funktionsfähige Toilette vorzuhalten oder auf das Fehlen dieser Toilette hinzuweisen.

35

Die Klägerin kann jedenfalls bei Abwägung sämtlicher maßgeblicher Umstände und Geschehensabläufe des vorliegenden Falles mangels Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen des § 253 Abs. 2 BGB kein Schmerzensgeld beanspruchen.

36

a) Bei Prüfung der - letztlich nicht Streit entscheidenden - Frage, ob das Fehlen einer funktionsfähigen Toilette im Personennahverkehr eine Pflichtverletzung im Sinne der §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB (in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Beförderungsvertrag) oder § 823 Abs. 1 BGB (Verletzung der Verkehrssicherungspflicht) darstellt, sprechen gewichtige Argumente gegen eine derartige, uneingeschränkte Verpflichtung.

37

aa) Sie folgt nicht aus dem Verkehrsvertrag zwischen der Beklagten und dem SPNV Nord nebst Leistungsbeschreibung - unabhängig davon, dass dieser nur im Verhältnis der dortigen Vertragspartner und damit nicht zur Klägerin Wirkung entfaltet. Zwar ist dort vorgegeben, dass eine Toilette erreichbar sein muss. Der Beklagten wird aber auch eine Frist von 24 Stunden zur Beseitigung auftretender Störungen eingeräumt. Dass die streitgegenständliche Toilette länger als 24 Stunden außer Funktion war, ist nicht ersichtlich. Die explizit eingeräumte Frist belegt hingegen die jederzeitige und allgemein bekannte Gefahr von Funktionsstörungen in öffentlich zugänglichen Toilettenanlagen.

38

bb) Eine Verpflichtung der Bahn könnte sich mangels ausdrücklicher vertraglicher Absprachen und gesetzlicher Regelungen allenfalls als Nebenpflicht aus dem Beförderungsvertrag ergeben.

39

Der Rechtsverkehr stellt gewisse Anforderungen an die Qualität der Beförderung. Weil ausdrückliche Qualitätsvereinbarungen regelmäßig fehlen, liegt es nahe darauf abzustellen, was der Fahrgast üblicherweise erwarten darf (so Pohar, VuR 9/2006, S. 342 ff. unter Verweisung auf § 633 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

40

Das Schuldverhältnis verpflichtet jeden Vertragspartner aber auch im Allgemeinen zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB).

41

Umfang und Inhalt der Nebenpflichten sind abhängig vom Vertragszweck, der Verkehrssitte und den Anforderungen des redlichen Geschäftsverkehrs (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 74. Aufl. 2015, § 241 Rn 7 m.w.N.). Schutzpflichten bestehen dahingehend, sich bei Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass Körper, Leben, Eigentum und sonstige Rechtsgüter des anderen Teils nicht verletzt werden. Die besondere Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners ergibt sich bei einem Vorliegen von Schutzpflichten aus der sonderverbindungsspezifischen Einwirkungsmöglichkeiten der anderen Seite bei gleichzeitig reduzierten Abwehrmöglichkeiten des Vertragspartners. Es hat eine Interessen- und Güterabwägung stattzufinden, in die neben der Gefährdung der Rechtsgüter auch der Risikobeseitigungsaufwand der anderen Partei, die Kalkulierbarkeit der auferlegten Pflicht und die Eigenverantwortung einfließen (vgl. Staudinger-Olzen, BGB (2015), § 241 Rn 497 f.).

42

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe erscheint eine Verpflichtung zum Vorhalten einer funktionsfähigen Toilette im Personennahverkehr im vorliegenden Fall zumindest fraglich.

43

Der öffentliche Personennahverkehr ist durch seine Funktion gekennzeichnet, überwiegend den Beförderungsbedarf im Regionalverkehr über geringere Strecken und kürzere Fahrzeiten zu befriedigen. Auch der Personennahverkehr entlang der Mosel bis Trier und die eingesetzte Regionalbahn ist auf eine kurze Taktung an insgesamt 30 Unterwegsbahnhöfen ausgelegt. Auch wenn die Gesamtfahrzeit über die volle Strecke nur geringfügig unter 2 Stunden beträgt, liegt die Besonderheit der Leistung - im Unterschied zum ebenfalls auf der Moselstrecke eingesetzten regionalen Zugverkehr (Regionalexpress) mit wenigen Halten und weiteren Entfernungen - im Angebot der Beförderung über kurze Strecken. Die im Personennahverkehr eingesetzte Regionalbahn hält fahrplanmäßig nach 2 bis maximal 6 Minuten an den Haltestellen. Angesichts dieser kurzen Intervalle und Wegstrecken verliert der Aspekt des Vorhaltens von Möglichkeiten des Toilettengangs erheblich an Bedeutung.

44

Zu berücksichtigen sind aber auch die eingeschränkte Kalkulierbarkeit von Schadensfällen bei Auferlegung der Verpflichtung und der potentielle Risikobeseitigungsaufwand für die Beklagte. Es wäre angesichts der bereits beschriebenen - und bekannten - Störungsanfälligkeit infolge der nicht durchgehend zu überwachenden Nutzung durch eine Vielzahl von Fahrgästen kaum möglich, verlässlich Störungen unverzüglich ohne Beeinträchtigungen des Bahnverkehrs zu beheben. Dies liegt insbesondere bei Störungen nach Verlassen des Abfahrtbahnhofs auf der Hand. Folge des Ausfalls einer Zugtoilette wären entweder Zugausfälle oder das Bereitstellen von Ersatzzügen mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen und - infolge des Bereithaltens entsprechender zusätzlicher Kapazitäten - womöglich auch von Bahnkunden aufzufangende Mehrkosten. Der eingeschränkten Kalkulierbarkeit trägt im Übrigen die bereits erwähnte, der Beklagten im Verkehrsvertrag eingeräumte Frist von 24 Stunden zur Beseitigung von Störungen Rechnung.

45

Die vorstehenden Erwägungen sprechen auch gegen eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten (§ 823 Abs.1 BGB) durch eine Beförderung ohne Bereitstellen funktionsfähiger Toiletten. Zwar ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst aber nur diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. nur BGH, Urt. v. 2. 10. 2012, Az: VI ZR 311/11, zitiert nach beck-online).

46

b) Bereits aufgrund der dargestellten Aspekte und ungeachtet der Frage der Anforderungen an eigenverantwortliches Verhalten von Bahnkunden - worauf bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen eines Schmerzensgeldes noch einzugehen sein wird - erscheint aus Sicht der Kammer im konkreten Fall allenfalls eine vom Amtsgericht zu Recht in Betracht gezogene und mit vertretbaren Argumenten dargestellte Aufklärungspflicht hinsichtlich nicht funktionsfähiger Toiletten naheliegend.

47

Neben Schutzpflichten können sich aus einem Schuldverhältnis auch Aufklärungspflichten ergeben. Solche Aufklärungspflichten bestehen hinsichtlich sämtlicher Umstände, die für den Vertragsschluss der anderen Partei erkennbar von wesentlicher Bedeutung sind und deren Mitteilung nach Treu und Glauben erwartet werden kann (vgl. nur BGH, Urteil vom 20.02.1967, Az: III ZR 134/65, zitiert nach juris). Erforderlich ist ein Informationsgefälle, dessen Erkennbarkeit und Entscheidungserheblichkeit. Zuletzt muss auch im Bereich der Aufklärungspflichten eine Interessenabwägung durchgeführt werden (zu den Voraussetzungen vgl. m.w.N. Staudinger-Olzen, aaO, Rn 447ff und Bachmann in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 241 Rn 122ff).

48

Das Informationsgefälle hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der Toiletten in der eingesetzten Regionalbahn und die Entscheidungserheblichkeit für die Klägerin (Dauer der Fahrtstrecke) sind offensichtlich. Da die Beklagte in ihren Bahnen auf der Moselstrecke nach eigenem Vortrag regelmäßig Toiletten zur Verfügung stellt, durfte die Klägerin grundsätzlich auch vom Vorhandensein einer funktionstüchtigen Toilette ausgehen. Im Rahmen einer Interessenabwägung fällt auf Seiten der Beklagten der Kalkulierbarkeit von Funktionsstörungen keine durchschlagende Bedeutung zu. Aufklärung und Information können zeitnah mit geringerem organisatorischem Aufwand (z.B. Durchsagen am Bahnhof, Mitteilungen an Informationstafeln am Bahnhof oder in den Zügen) erfolgen.

49

Gegen eine solche Aufklärungspflicht spricht aus Sicht der Kammer auch nicht zwingend, dass die Beklagte nach Art. 8 i.V.m. Anlage II Teil 1 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 auf Anfrage über Dienstleistungen im Zug Auskunft erteilen muss. Fraglich ist insoweit bereits, ob eine funktionierende Toilette unter den Begriff der Dienstleistungen subsumiert werden kann.

50

c) Letztlich kann die Frage einer Nebenpflichtverletzung aus dem Beförderungsvertrag in Form unterlassener Hinweise auf die defekte Toilette aber dahinstehen, da aufgrund der besonderen Umstände des Falles Schmerzensgeldansprüche der Klägerin ausscheiden.

51

Eine billige Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld) kann für immaterielle Schäden unter den Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 BGB dann gefordert werden, wenn aufgrund einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten wäre. Dabei soll der Verletzte einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten. Das Schmerzensgeld soll ihn in die Lage versetzen, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, und die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise ausgleichen. Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld dem Verletzten Genugtuung dafür verschaffen, was ihm der Schädiger angetan hat (vgl. für alles Vorstehende: Palandt-Grüneberg, aaO, § 253 Rn 4 m.w.N.).

52

Maßstab für eine Geldleistung nach § 253 Abs. 2 BGB ist die Billigkeit. Hierzu hat eine Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte stattzufinden. Dazu gehören insbesondere Art und Dauer der Schäden, die individuellen Umstände des Geschädigten und die Situation einschließlich der eigenen Mitwirkung des Geschädigten. Insbesondere die Mitwirkung von Geschädigten bzw. die Verursachung der Geschehensabläufe können sich mindernd auswirken oder gar zum vollständigen Ausschluss einer Entschädigung führen (Oetger in: Münchner Kommentar zum BGB, aaO, § 253 Rn. 46; Staudinger-Schiemann, BGB (2005), § 253 Rn. 34, 40 - jeweils m.w.N.).

53

aa) Vorliegend war die Gesundheit der Klägerin infolge des unterdrückten Harndrangs und dadurch verursachter Schmerzen beeinträchtigt, ein in § 253 Abs. 2 BGB genanntes Rechtsgut verletzt. Eine Verletzung der Gesundheit im Sinne der Vorschrift ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands unabhängig davon, ob Schmerzen oder eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit vorliegen (BGH, Urteil vom 30.04.1991, Az: VI ZR 178/90, zitiert nach beck-online). Entsprechend der vom Amtsgericht vorgenommenen Beweiswürdigung nach Anhörung der Klägerin steht fest, dass sie bei Abfahrt in Koblenz einen leichten und nach circa 1/2 Stunde Fahrt - also über 1 1/2 Stunden - stärker werdenden, quälenden Harndrang verspürte, der in eine entwürdigende Situation auf dem Trierer Bahnsteig mit dem unkontrollierten Entleeren der Blase mündete.

54

bb) Nach Abwägung aller zu berücksichtigender Umstände und Geschehensabläufe des vorliegenden Falles im Rahmen der Billigkeitsprüfung ist eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld jedoch nicht angemessen.

55

Von besonderer Bedeutung sind hier insbesondere das Ausmaß und die Schwere der körperlichen und psychischen Beeinträchtigung, Heftigkeit und Dauer von Schmerzen, der Grad der Pflichtverletzung und des Verschuldens auf Seiten der Beklagten sowie eine Mitverantwortlichkeit der Klägerin für die eingetretene anspruchsbegründende Beeinträchtigung.

56

(1) Für die Beklagte spricht, wenn auch nicht im entscheidenden Maße, dass sich selbst bei Bejahung einer Verpflichtung zum Vorhalten einer funktionsfähigen Toilette oder zu rechtzeitigen Hinweisen und dem sich daraus ergebenden Organisationsverschulden die Pflichtverletzung als keinesfalls gravierend darstellt. Zwar ist zu ihren Lasten zu berücksichtigen, dass die Regionalbahn bewusst mit defekter Toilette zum Einsatz gekommen ist. Hinsichtlich der maßgeblichen Vorkommnisse am Bahnhof Trier ist der Beklagten wiederum kein vorsätzliches Verhalten vorzuwerfen. Bereits mit Schreiben vom 16.10.2014 hat sich die Bahn zudem ausdrücklich entschuldigt.

57

(2) Der von der Klägerin beschriebene kurze (1 1/2 Stunden), wenn auch quälende Harndrang stellt für sich allein betrachtet nur eine kurzfristige und relativ geringfügige Gesundheitsbeeinträchtigung dar.

58

Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass aufgrund des in § 253 Abs. 2 BGB enthaltenen Billigkeitsgrundsatzes bei unbedeutenden Eingriffen ein Anspruch auf Schmerzensgeld vollständig entfallen kann, wenn das Wohlbefinden des Verletzten nur kurzfristig und unerheblich beeinträchtigt worden ist. Dabei kann der Umstand nicht außer Acht gelassen werden, dass der Mensch - vor allem im Zusammenleben mit anderen - vielfältigen Beeinträchtigungen seiner Befindlichkeit ausgesetzt ist und daran gewöhnt wird, sich von ihnen möglichst nicht nachhaltig beeindrucken zu lassen. Wird diese Schwelle im konkreten Fall von der erlittenen Beeinträchtigung vornehmlich wegen ihres geringen, nur vorübergehenden Einflusses auf das Allgemeinbefinden nicht überschritten, dann kann es schon aus diesem Grund an einer Grundlage für die geldliche Bewertung eines Ausgleichsbedürfnisses fehlen (für alles Vorstehende: BGH, Urteil vom 14.01.1992, Az: VI ZR 120/91, zitiert nach beck-online).

59

Bei einem quälenden Harndrang über einen Zeitraum von deutlich weniger als 2 Stunden liegt eine nur vorübergehende gesundheitliche Beeinträchtigung ohne Dauerfolgen vor, die - als solches und ohne das Geschehen am Bahnhof Trier - das Zuerkennen eines Schmerzensgeldes auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Position der Beklagten kaum rechtfertigen kann (so auch für die Bedrängnis durch die Nichtbenutzbarkeit einer Toilette für zwei Stunden: Palandt-Grüneberg, aaO., § 253 Rn 14; anders für einen zweistündigen Harndrang anlässlich einer Reise mit dem IC ohne Zwischenhalt: AG Frankfurt/Main, Urteil vom 25.04.2002, Az: 32 C 261/01-84, zitiert nach juris).

60

Von entscheidender Bedeutung für die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes ist somit das unkontrollierte Entleeren der Blase am Trierer Hauptbahnhof und die damit einhergehende, von der Klägerin in erster Instanz nachvollziehbar beschriebene Scham und psychische Belastung.

61

(3) Die für die Zuerkennung von Schmerzensgeld maßgeblichen Geschehnisse am Bahnhof Trier stehen jedoch am Ende einer Entwicklung, die von der Klägerin selbstbestimmt, eigenverantwortlich und entscheidend beeinflusst wurde.

62

Die Klägerin hätte sich schon bei der Abfahrt in Koblenz angesichts ihres selbst beschriebenen, beim Einstieg in die Regionalbahn im Koblenzer Bahnhof vorhandenen leichten Harndrangs über die Funktionsfähigkeit der Zugtoilette erkundigen können. Hierfür hätte das Zugpersonal zur Verfügung gestanden. Sie hätte sich aber auch selbst Kenntnis über die Funktionsfähigkeit der Toiletten verschaffen können. Zwar durfte sie grundsätzlich vom Vorhandensein einer funktionstüchtigen Toilette ausgehen. Gleichwohl sind bekanntermaßen nicht nur Toiletten in Zügen, sondern auch sonstige öffentliche Toiletten oftmals kurzfristig in ihrer Funktion eingeschränkt und der Klägerin stand eine fast zweistündige Fahrt bevor. Die Klägerin hat nach eigener Aussage - trotz der mit Nutzung der Regionalbahn statt Regionalexpress einhergehenden deutlich längeren Fahrzeit - stattdessen Platz genommen und zunächst „noch etwas getrunken“, was den Harndrang verschärft haben dürfte.

63

Sie hat sich aber auch in der Folge eigenverantwortlich dafür entschieden, die Fahrt nach Trier mit den absehbar erhöhten Gefahren fortzusetzen und die letztlich eingetretenen Folgen zu riskieren. Spätestens mit Einsetzen des von ihr selbst als quälend beschriebenen Harndrangs nach einer halben Stunde Fahrt musste ihr dieses Risiko deutlich bewusst gewesen sein. Dabei standen ihr Handlungsalternativen zur Verfügung, die prekäre Situation zu beenden. Sie hätte bei kurzfristiger Unterbrechung der Fahrt und Verlassen des Zuges auf einem der 30 Unterwegsbahnhöfe die Möglichkeit zum Toilettengang nutzen können.

64

Eine derartige Unterbrechung war ihr in Ansehung des erkennbaren und konkreten Risikos des öffentlichen Entleerens der Blase letztlich auch zumutbar. Weder die persönlichen Umstände der Klägerin noch die Begleitumstände der Bahnreise lassen eine Unterbrechung der Fahrt unzumutbar erscheinen.

65

Entgegen der Darstellung der Klägerin handelt es sich - gerichtsbekannt - bei den größeren an der Fahrtstrecke gelegenen Bahnhöfen nicht um „Geisterbahnhöfe“. Der Klägerin standen insofern zumindest die auch als Halt im Regionalverkehr (Regionalexpress) genutzten Bahnhöfe in Treis-Karden, Cochem, Bullay oder Wittlich zur Verfügung. Es handelt sich keineswegs um abgelegene oder verlassene Einrichtungen. Sie grenzen teilweise unmittelbar an die örtliche Wohnbebauung mit Gastronomie an und sind infolge ihrer Nutzung als Umsteigebahnhof oder wegen der auch zumindest regional bekannten touristischen Erschließung auch an Sonntagen nicht menschenleer.

66

Zur maßgeblichen Reisezeit war auch keineswegs - wie vorgetragen - die Dunkelheit hereingebrochen. Anfang Oktober geht die Sonne - gerichtsbekannt - erst kurz nach 19:00 Uhr unter und somit zu einem Zeitpunkt nach Ankunft der Regionalbahn bzw. der nachfolgenden Bahn (Regionalexpress) in Trier (18:36 bzw. 18.46 Uhr). Der Zwischenhalt der Regionalbahn in Treis-Karden fand dagegen ausweislich des Fahrplans um 17.18 Uhr, in Cochem um 17:28 Uhr, in Bullay um 17:40 Uhr und in Wittlich um 17:55 Uhr statt.

67

Darüber hinaus hätte ein Ausstieg an einem der bezeichneten Bahnhöfe letztlich nur zu geringfügigen Verzögerungen der Gesamtreisedauer geführt und der Aufenthalt an einem Unterwegsbahnhof wäre kurz geblieben. Die Regionalbahn sollte um 18:36 Uhr fahrplanmäßig in Trier einfahren, der nachfolgende Regionalexpress um 18:46 Uhr. Im Falle eines Ausstiegs in Cochem (Ankunft 17.28 Uhr) hätte die Klägerin exemplarisch zur Weiterfahrt den Regionalexpress (Abfahrt 17.56 Uhr) nutzen können. Die insoweit erforderlichen Informationen hätte die Klägerin ohne weiteres beim Zugbegleiter erfragen können.

68

Dessen klägerseits behauptete Aussage, an der ganzen Strecke sei „kein Bahnhof offen“ führt angesichts der besonderen Umstände nicht zu einer Unzumutbarkeit des Ausstiegs zum Zwecke des Toilettengangs. Diese Aussage hat die Klägerin nach Ihrem Vorbringen ersichtlich so verstanden, dass in den Bahnhöfen an der Fahrtstrecke selbst keine Toiletten zur Verfügung stehen. Gleichwohl war es der Klägerin möglich und angesichts ihres zuletzt massiven Harndrangs zumutbar, an den - erkennbar - größeren Haltepunkten ggf. auch außerhalb des Bahnhofs eine Toilette aufzusuchen. Es handelt sich etwa bei den Haltestellen Treis-Karden, Cochem oder Bullay um solche in touristisch sehr gut erschlossenen Städten bzw. Ortschaften, die teils erkennbar unmittelbar an die Bahnhöfe heranreichen. Dort finden sich ersichtlich und allgemein bekannt Gaststätten bzw. Weinlokale, in denen die Klägerin eine Toilette hätte aufsuchen können.

69

Dass sich die Klägerin mit diesem Gedanken des Toilettengangs außerhalb des Bahnhofs befasst hat, belegen ihre Aussagen anlässlich der Anhörung in erster Instanz. Danach habe sie „auf die Bemerkung des Zugbegleiters zum Fehlen „offener Bahnhöfe“ überlegt, sie könne in (Trier-)Ehrang aussteigen, da kenne sie sich aus“. Den Gedanken irgendwo während der Fahrt schon früher auszusteigen habe sie schnell verworfen. Sie habe nicht gewusst „wo der nächste Zug dann wieder fahren würde und sich das so alleine auch nicht getraut“. Sie habe „Bammel gehabt, dort allein zu stehen. Wenn eine Freundin dabei gewesen wäre, wäre es kein Problem gewesen“.

70

Wesentlicher Grund, die Fahrt nicht zu unterbrechen, war demnach der aus Sicht der Klägerin unklare Zeitraum eines möglichen Aufenthalts am Unterwegsbahnhof und die - durchaus nachvollziehbare - gefühlte Unsicherheit als alleine reisende Frau ohne Begleitung.

71

Diese sicherlich verständlichen subjektiven Empfindungen sind jedoch angesichts der bereits ausführlich dargestellten objektiven und auch für die Klägerin erkennbaren Situation an den Bahnhöfen (Tageszeit mit Tageslicht, nicht menschenleer und abgelegen, touristisch erschlossenes Umfeld, weitere Anschlusszugverbindung ohne wesentliche zeitliche Verzögerung, Informationsmöglichkeiten am Bahnhof und beim Zugbegleiter) und auch angesichts des Alters der Klägerin (jünger als 60 Jahre) und ihres überschaubaren Gepäcks (Koffer und Tasche) nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten in Einklang zu bringen. Vor dem Hintergrund der absehbaren Konsequenzen der Weiterfahrt kann diesen Empfindungen daher im Rahmen der Gesamtabwägung keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden.

72

Für die Geschehnisse am Hauptbahnhof Trier trifft nach alledem die Klägerin eine ganz überwiegende Mitverantwortlichkeit (in einem vergleichbaren Fall: AG Düsseldorf, Urteil vom 02.02.2010, Az: 20 C 10327/09, nicht veröffentlicht), die im Rahmen der Billigkeitsprüfung und Gesamtabwägung zu Lasten der Klägerin geht.

73

(4) Die von Seiten der Klägerin behauptete Regulierungsunwilligkeit der Beklagten ist im Rahmen der Prüfung eines Schmerzensgeldes zu vernachlässigen. Eine ungebührliche Verzögerung der Regulierungsbereitschaft ist nur gegeben, wenn der Anspruch erkennbar begründet ist (vgl. Palandt-Grüneberg, aaO, § 254 Rn 17). Letzteres ist nicht der Fall. Die Beklagte hat sich zudem erstinstanzlich mit einem gerichtlich vorgeschlagenen Vergleich auf Basis einer Zahlung von 200,00 € einverstanden erklärt. Die Klägerin hat sich dazu aber nicht bereit erklärt.

74

Auch die Notwendigkeit einer erneuten Auseinandersetzung der Klägerin mit den belastenden Vorkommnissen im Verlauf des Zivilrechtsstreits und die mediale Resonanz führen nicht zu einer Zuerkennung des Schmerzensgeldanspruchs. Die Beklagte war nach den vorstehenden Ausführungen nicht zur Zahlung verpflichtet. Dass die Berichterstattung der Medien auf eine Initiative der Beklagten zurück ginge ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

75

Nach Abwägung sämtlicher dargestellter individueller Umstände und insbesondere der bewussten und eigenverantwortlichen Übernahme des Risikos für die nachfolgenden Vorkommnisse am Bahnhof Trier durch die Klägerin scheiden Schmerzensgeldansprüche aus.

76

Die Berufung hat Erfolg.

77

2. Die Anschlussberufung ist unbegründet, da der Klägerin ein Schmerzensgeld nicht zusteht.

78

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

79

4. Die von der Klägerin hilfsweise beantragte Revision wird nicht zugelassen.

80

Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Die grundsätzlich bedeutsame Frage einer Pflichtverletzung der Bahn gegenüber Reisenden beim Fehlen funktionsfähiger Zugtoiletten im Personennahverkehr ist hier nicht entscheidungserheblich. Maßgebend für die Entscheidung sind anderweitige rechtliche, nicht höchstrichterlich klärungsbedürftige Gesichtspunkte (Abwägung im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 253 BGB) im konkreten Einzelfall.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Landgericht Trier Urteil, 19. Feb. 2016 - 1 S 131/15

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Landgericht Trier Urteil, 19. Feb. 2016 - 1 S 131/15

Referenzen - Gesetze

Landgericht Trier Urteil, 19. Feb. 2016 - 1 S 131/15 zitiert 11 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung


(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Zivilprozessordnung - ZPO | § 540 Inhalt des Berufungsurteils


(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil1.die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen,2.eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufh

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis


(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen. (2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Re

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 253 Immaterieller Schaden


(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden. (2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbs

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 633 Sach- und Rechtsmangel


(1) Der Unternehmer hat dem Besteller das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. (2) Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei v

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Landgericht Trier Urteil, 19. Feb. 2016 - 1 S 131/15 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Landgericht Trier Urteil, 19. Feb. 2016 - 1 S 131/15 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 02. Okt. 2012 - VI ZR 311/11

bei uns veröffentlicht am 02.10.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 311/11 Verkündet am: 2. Oktober 2012 Holmes Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

Referenzen

(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil

1.
die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen,
2.
eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
Wird das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet, so können die nach Satz 1 erforderlichen Darlegungen auch in das Protokoll aufgenommen werden.

(2) Die §§ 313a, 313b gelten entsprechend.

(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.

(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

(1) Der Unternehmer hat dem Besteller das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.

(2) Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln,

1.
wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst
2.
für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.
Einem Sachmangel steht es gleich, wenn der Unternehmer ein anderes als das bestellte Werk oder das Werk in zu geringer Menge herstellt.

(3) Das Werk ist frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf das Werk keine oder nur die im Vertrag übernommenen Rechte gegen den Besteller geltend machen können.

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 311/11 Verkündet am:
2. Oktober 2012
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Eine Haftung des Waldbesitzers wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht
besteht grundsätzlich nicht für waldtypische Gefahren.
BGH, Urteil vom 2. Oktober 2012 - VI ZR 311/11 - OLG Saarbrücken
LG Saarbrücken
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Oktober 2012 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner
, die Richterin Diederichsen, den Richter Pauge und die Richterin von Pentz

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken vom 9. November 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3. März 2010 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin wurde bei einem Waldspaziergang von einem herabfallenden Ast getroffen und dabei schwer verletzt. Sie ging am 18. Juli 2006 mit ihrem Hund in einem etwa 300 ha großen, planmäßig bewirtschafteten Wald der Beklagten zu 1 spazieren, der am Stadtrand von D. gelegen ist und als Naherholungsgebiet dient. Der Beklagte zu 2 ist Diplom-Forstwirt und bei der Beklagten zu 1 für den Bereich des Waldgrundstücks zuständig. In einer Abteilung des Waldgebiets steht ein seinerzeit 106-jähriger Eichenwald, der teilweise mit an- deren Laub- und Nadelhölzern gemischt ist und durch den ein etwa 3,5 m breiter Forstwirtschaftsweg führt. Von einer Eiche, die etwa fünf bis sechs Meter neben diesem von der Klägerin begangenen Weg stand, löste sich ein so genannter Starkast, der die Klägerin am Hinterkopf traf. Der Ast war etwa 17 m lang, mehrfach gekrümmt und in etwa 4,5 m Entfernung vom Stamm gegabelt. Sein Durchmesser betrug an der Basis 26 cm und im Ausgangsbereich des Bruchs - in etwa 1,8 bis 2,0 m Entfernung vom Stamm - etwa 23 cm. Zum Unfallzeitpunkt herrschte leichter Wind, und es war sehr warm.
2
Die Klägerin erlitt eine schwere Hirnschädigung. Sie befindet sich - nach stationären Aufenthalten unter anderem in einer Klinik für Wachkomapatienten - heute in häuslicher Pflege bei ihrer Schwester. Sie wird durch ihre Mutter als Betreuerin vertreten.
3
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht der Klage durch Grund- und Teilurteil stattgegeben. Mit den vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen begehren die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

4
Das Berufungsgericht, dessen Urteil bei juris veröffentlicht ist (OLG Saarbrücken, Urteil vom 9. November 2011 - 1 U 177/10 - 46), ist der Auffassung , die Beklagten hätten die ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt. Soweit in § 14 Abs. 1 Satz 3 BWaldG geregelt sei, dass das Betreten des Waldes "auf eigene Gefahr" erfolge, schließe dies nicht die allgemeine Verkehrssicherungspflicht für Waldbesitzer aus, sondern lediglich die Entstehung besonderer zusätzlicher Verkehrssicherungspflichten. Der Grundsatz , dass der Waldbesitzer nicht für typische, sondern lediglich für atypische Waldgefahren hafte, gelte nicht uneingeschränkt. Unter Berücksichtigung der im Streitfall gegebenen besonderen Umstände habe die Beklagte zu 1 eine - allerdings herabgestufte und eingeschränkte - Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der am Rand des Erholungswegs stehenden Bäume getroffen, die sie unabhängig von der Typizität der Gefahr jedenfalls dann zum Einschreiten verpflichtet habe, wenn sich ihr konkrete Anhaltspunkte für eine besondere, unmittelbare Gefährdung geboten hätten. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt, weil der Wald von der Bevölkerung als Naherholungsgebiet stark frequentiert werde, der Baum etwa fünf bis sechs Meter neben dem Weg gestanden habe und der betreffende Ast aufgrund seines Ausmaßes geeignet gewesen sei, auf den Weg zu stürzen und dort befindliche Waldbesucher zu schädigen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Forstwirt F. seien Auslöser des Bruchs zum einen der generelle Sommerbruch und zum anderen die den oberen Astquerschnitt durch Durchtrennung seines Zugmuskels schwächende Starkastfäule gewesen, welche vermutlich auf Geschosssplitter aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgehe. Zwar hätte die Bruchstelle, die sich in einer Höhe von acht bis zehn Metern auf der Oberseite des Astes befunden habe, bei einer Sichtkontrolle vom Boden aus nicht erkannt werden können, doch habe das Spezifische der Gefahr in der fünf bis zehn Jahre zuvor weggebrochenen Hauptkrone und dem lediglich noch verbliebenen Nebenbereich des später abgebrochenen schweren, schräg stehenden Astes bestanden, bei dem es sich um einen "Löwenschwanzast" mit nur noch geringer aktiver Ernährung durch die Laubquaste gehandelt habe. Hauptursache für die Beeinträchtigung der Stabilität sei die ungünstige Statik des Baums gewesen, die durch den Abbruch der Hauptkrone und das erhebliche Gewicht sowie den Schrägstand des Astes eingetreten sei. Aufgrund dieser Besonderheiten sei von dem Baum eine unmittelbare Gefahr ausgegangen, die sich jederzeit habe realisieren können und auf die der Beklagte zu 2 hätte reagieren müssen. Dessen pflichtwidriges Verhalten müsse sich die Beklagte zu 1, da seine Stellung als diejenige eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters zu qualifizieren sei, gemäß § 31 BGB als eigenes zurechnen lassen. Darüber hinaus bestehe eine Eigenhaftung des Beklagten zu 2 gemäß §§ 823, 249 ff., 253 BGB.

II.

5
Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht überspannt Ausmaß und Umfang der für einen Waldbesitzer geltenden Verkehrssicherungspflichten.
6
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (Senatsurteile vom 6. März 1990 - VI ZR 246/89, VersR 1990, 796, 797; vom 8. November 2005 - VI ZR 332/04, VersR 2006, 233 Rn. 9; vom 6. Februar 2007 - VI ZR 274/05, VersR 2007, 659 Rn. 14; vom 3. Juni 2008 - VI ZR 223/07, VersR 2008, 1083 Rn. 9; vom 9. September 2008 - VI ZR 279/06, VersR 2008, 1551 Rn. 10; vom 2. März 2010 - VI ZR 223/09, VersR 2010, 544 Rn. 5 und vom 15. Februar 2011 - VI ZR 176/10, VersR 2011, 546 Rn. 8, jeweils mwN). Verkehrssicherungspflichtig ist auch der- jenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt (vgl. Senatsurteil vom 12. Februar 1985 - VI ZR 193/83, NJW 1985, 1773, 1774; BGH, Urteile vom 2. Februar 2006 - III ZR 159/05, VersR 2006, 803 Rn. 12 und vom 16. Februar 2006 - III ZR 68/05, VersR 2006, 665 Rn. 13).
7
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden , wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt , ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind (Senatsurteile vom 6. März 1990 - VI ZR 246/89, aaO; vom 8. November 2005 - VI ZR 332/04, aaO Rn. 10; vom 6. Februar 2007 - VI ZR 274/05, aaO Rn. 15; vom 3. Juni 2008 - VI ZR 223/07, aaO; vom 9. September 2008 - VI ZR 279/06, aaO; vom 2. März 2010 - VI ZR 223/09, aaO Rn. 6; vom 15. Februar 2011 - VI ZR 176/10, aaO Rn. 9, jeweils mwN).
8
Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausge- schlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte - so hart dies im Einzelfall sein mag - den Schaden selbst tragen.
9
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und der gesetzlichen Risikozuweisung hinsichtlich waldtypischer Gefahren ist eine Haftung der Beklagten zu 1 wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorliegend nicht gegeben.
10
a) Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 des Waldgesetzes für das Saarland vom 26. Oktober 1977 (Landeswaldgesetz, Amtsbl. S. 1009, im Folgenden: LWaldG SL) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Landeswaldgesetzes vom 9. Juli 2003 (Amtsbl. S. 2130) erfolgt die Benutzung des Waldes auf eigene Gefahr. Hieraus ergibt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, dass der Waldbesitzer grundsätzlich nur für atypische Gefahren, nicht aber für waldtypische Gefahren haftet.
11
aa) Dem Waldbesucher ist das Betreten des Waldes gestattet. Eine solche Gestattung ist in § 14 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft vom 2. Mai 1975 (BGBl. I S. 1037, im Folgenden: BWaldG) geregelt. § 14 BWaldG enthält allerdings keine für den Bürger unmittelbar verbindlichen Rechtssätze; Normadressaten sind vielmehr allein die Länder, die zum Erlass entsprechender Außenrechtssätze verpflichtet werden. Der Vorschrift kommt insgesamt lediglich ein rahmenrechtlicher Charakter zu (BVerfGE 80, 137, 156 f., vgl. §§ 5, 14 Abs. 2 BWaldG). Die Betretungsbefugnis ergibt sich aber aus den auf dieser Grundlage erlassenen landesgesetzlichen Vorschriften, im Streitfall aus § 25 Abs. 1 Satz 1 LWaldG SL. Mit der Betretungsbefugnis ist nach § 25 Abs. 5 Satz 1 LWaldG SL die Rege- lung verbunden, dass die Benutzung des Waldes auf eigene Gefahr geschieht (siehe auch § 14 Abs. 1 Satz 3 BWaldG).
12
bb) Da der Waldbesucher den Wald auf eigene Gefahr nutzt, ist eine Haftung des Waldbesitzers für waldtypische Gefahren ausgeschlossen. Dies entspricht der in der Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. OLG Köln, NJW-RR 1987, 988; OLG Koblenz, NZV 1990, 391, 392; NJW-RR 2003, 1253, 1254; OLG Celle, VersR 2006, 1423 unter Bezugnahme auf LG Hannover, NuR 2006, 597; OLG Hamm, NuR 2007, 845; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 1247, 1248; OLG Karlsruhe, NuR 2011, 823, 824; LG Braunschweig, NuR 2007, 778; LG Tübingen, NuR 2007, 780 f.; siehe auch OLG Nürnberg, MDR 1976, 222; OLG Düsseldorf, VersR 1998, 1166; OLG Naumburg, OLGR 2007, 224, 226; vgl. Fischer-Hüftle in Schumacher /Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl., § 60 Rn. 6 ff.; Gebhard, NuR 2008, 754, 763; Staudinger/Hager, BGB, Neubearb. 2009, § 823 Rn. E 171; Spindler in Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl., § 823 Rn. 288; Palandt/Sprau, BGB, 71. Aufl., § 823 Rn. 190; Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 14 Rn. 95; vgl. MünchKommBGB/Wagner, 5. Aufl., § 823 Rn. 437).
13
Der Tatbestand des Handelns auf eigene Gefahr ist erfüllt, wenn sich jemand in eine Situation drohender Eigengefährdung begibt, obwohl er die besonderen Umstände kennt, die für ihn eine konkrete Gefahrenlage begründen (vgl. Senatsurteile vom 14. März 1961 - VI ZR 189/59, BGHZ 34, 355, 363 ff.; vom 17. März 2009 - VI ZR 166/08, VersR 2009, 693 Rn. 9 mwN; Gebhard, aaO S. 759 f.; Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 254 Rn. 32). Der Waldbesucher setzt sich mit dem Betreten des Waldes bewusst den waldtypischen Gefahren aus. Nach der Wertung des Gesetzgebers fallen diese Gefahren grundsätzlich in seinen Verantwortungsbereich (vgl. Bittner, VersR 2009, 896, 899). In einem Schadensfall ist dieses Handeln auf eigene Gefahr gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 LWaldG SL deshalb ausnahmsweise nicht erst im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile nach § 254 BGB zu berücksichtigen (zu § 254 BGB vgl. Senatsurteile vom 14. März 1961 - VI ZR 189/59, aaO und vom 17. März 2009 - VI ZR 166/08, aaO Rn. 7 ff.). Soweit der Waldbenutzer auf eigene Gefahr handelt, fehlt es vielmehr bereits an einer Verkehrssicherungspflicht des Waldbesitzers, denn diesem sollen nach der Begründung zu dem Gesetzentwurf, der § 14 Abs. 1 BWaldG zugrunde liegt, neben der "normalen" Verkehrssicherungspflicht keine weiteren Sicherungspflichten auferlegt werden (vgl. BT-Drucks. 7/889, S. 29).
14
Die Verkehrssicherungspflicht des Waldbesitzers ist mithin nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern auf die Sicherung gegen solche Gefahren beschränkt , die nicht waldtypisch, sondern im Wald atypisch sind (zum jeweiligen Landesrecht vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1983, 542 f.; OLG Köln, aaO; OLG Karlsruhe, aaO; OLG Celle, aaO; OLG Hamm, aaO; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 1247, 1248; OLG Karlsruhe, aaO; LG Braunschweig, aaO; LG Tübingen, aaO S. 780; Staudinger/Hager, BGB, aaO; Endres, in Kolodziejcok/Endres /Krohn/Bendomir-Kahlo, Naturschutz, Landschaftspflege und einschlägige Regelungen des Jagd- und Forstrechts, § 14 BWaldG Rn. 20 [Stand: Dezember 2011]; Klose/Orf, Forstrecht, 2. Aufl., § 14 BWaldG Rn. 45 f.; anders noch OLG Hamm, VersR 1985, 597: keine Verkehrssicherungspflicht). Dementsprechend stellt § 25 Abs. 5 Satz 2 LWaldG SL klar, dass durch die Benutzung des Waldes keine besonderen Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten begründet werden.
15
cc) Die Haftungsbeschränkung auf atypische Gefahren gilt auch für Waldwege. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 LWaldG SL gelten auch Waldwege als Wald (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 BWaldG). Der Waldbesucher, der auf eigene Gefahr Waldwege betritt, kann grundsätzlich nicht erwarten, dass der Waldbesitzer Sicherungsmaßnahmen gegen waldtypische Gefahren ergreift. Mit waldtypischen Gefahren muss der Waldbesucher stets, also auch auf Wegen rechnen (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 1247, 1248; Geigel/Wellner, aaO; Orf, RdL 2008, 281, 284). Er ist primär selbst für seine Sicherheit verantwortlich (vgl. OLG Naumburg, aaO; MünchKommBGB/Wagner, aaO Rn. 470). Risiken, die ein freies Bewegen in der Natur mit sich bringt, gehören grundsätzlich zum entschädigungslos hinzunehmenden allgemeinen Lebensrisiko (vgl. Senatsurteil vom 18. Oktober 1988 - VI ZR 94/88, VersR 1989, 155, 156; Braun, AUR 2012, 207, 208).
16
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen für die Verkehrssicherung von Straßenbäumen. Der Eigentümer des an einer öffentlichen Straße liegenden Waldgrundstücks ist mit Rücksicht auf den Straßenverkehr verpflichtet, schädliche Einwirkungen auf die Verkehrsteilnehmer durch umstürzende Bäume zu vermeiden. Er ist verpflichtet , den Baumbestand so anzulegen, dass er im Rahmen des nach forstwirtschaftlicher Erkenntnis Möglichen gegen Windbruch und Windwurf gesichert ist (vgl. Senatsurteil vom 30. Oktober 1973 - VI ZR 115/72, VersR 1974, 88, 89 mwN; siehe auch BGH, Urteile vom 21. Januar 1965 - III ZR 217/63, VersR 1965, 475, 476; vom 27. Oktober 1988 - III ZR 23/88, NVwZ 1990, 297, 298 und vom 4. März 2004 - III ZR 225/03, VersR 2004, 877, 878). Entsprechendes gilt, wenn Bäume ein Nachbargrundstück gefährden (vgl. Senatsurteil vom 31. Mai 1988 - VI ZR 275/87, VersR 1988, 957 f.; BGH, Urteile vom 21. März 2003 - V ZR 319/02, NJW 2003, 1732, 1733; vom 2. Juli 2004 - V ZR 33/04, BGHZ 160, 18, 22 f. und vom 8. Oktober 2004 - V ZR 84/04, AUR 2005, 410). Diese Grundsätze sind auf Waldwege nicht übertragbar.
17
Waldwege sind mangels entsprechender Widmung keine öffentlichen Straßen nach dem Straßen- und Wegerecht (vgl. Agena, NuR 2007, 707, 713; Kodal/Herber, Straßenrecht, 7. Aufl., Kap. 5 Rn. 5 und 17 sowie Kap. 8 Rn. 1; Orf, RdL 2008, 311, 313; Sauthoff, Öffentliche Straßen, 2. Aufl., Rn. 206). Nach § 25 Abs. 1 Satz 3 LWaldG SL sind Wege im Sinne des Landeswaldgesetzes nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmete, dauerhaft angelegte oder naturfeste forstliche Wirtschaftswege. Die Befugnis, Waldwege zu betreten, ergibt sich erst aus den landesgesetzlichen Regelungen, die auf der Grundlage von § 14 BWaldG ergangen sind (vgl. auch OLG Hamm, VersR 1985, 597), im Streitfall aus § 25 Abs. 1 Satz 1 LWaldG SL. Für das Betreten der Waldwege gilt mithin dasselbe wie für das Betreten des Waldes. Beides erfolgt - anders als etwa bei öffentlichen Straßen - grundsätzlich auf eigene Gefahr (vgl. § 25 Abs. 5 Satz 1 LWaldG SL; Orf, RdL 2008, 281, 282).
18
dd) Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Waldbesitzer nicht für waldtypische Gefahren an Waldwegen verantwortlich ist, kommt entgegen der vom Berufungsgericht und Teilen der Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht nicht bereits dann in Betracht, wenn diese stark frequentiert werden (vgl. zu dieser Ansicht LG Tübingen, aaO S. 781; Agena, aaO S. 715; Breloer, Verkehrssicherungspflicht bei Bäumen, 6. Aufl., S. 77 f.; dies., AFZ-Der Wald 2000, 710, 711; dies., AUR 2004, 174, 176; Endres, aaO; Klose/Orf, aaO Rn. 45 ff., 63; Hötzel, VersR 2004, 1234, 1238; Schaefer/Vanvolxem, LWaldG Rheinland-Pfalz, § 22 Nr. 2.5 [Stand: Februar 2011]; Schneider, VersR 2007, 743, 753; ders. in FLL-Verkehrssicherheitstage 2011, S. 9, 32; Schulz, AUR 2012, 121, 126 f.).
19
Zwar ist dem Berufungsgericht zuzugeben, dass das Bestehen von Verkehrssicherungspflichten von der Verkehrserwartung und der Zweckbestimmung der jeweiligen Verkehrsfläche abhängen kann. Dies gilt angesichts der in § 25 LWaldG SL normierten Risikoverteilung jedoch nicht hinsichtlich waldtypischer Gefahren. Die Befugnis der Waldbesucher, den Wald zu betreten, stellt als Konkretisierung der Sozialgebundenheit (Art. 14 Abs. 2 GG) eine zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentums dar (vgl. Bryde in von Münch/Kunig, GG, 6. Aufl., Art. 14 Rn. 65 "Wald"; BT-Drucks. 7/889, S. 29). Indem § 25 LWaldG SL dem Waldbesucher auf der Grundlage von § 14 BWaldG eine Betretungsbefugnis einräumt, ihm aber zugleich das Risiko waldtypischer Gefahren auferlegt, schafft die Vorschrift den nach § 1 Nr. 3 BWaldG und § 1 Abs. 2 Nr. 3 LWaldG SL bezweckten Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und den Belangen der Waldeigentümer bzw. Waldbesitzer.
20
Nach der gesetzlichen Risikoverteilung (§ 25 Abs. 5 Satz 1 LWaldG SL) ist auch eine auf stark frequentierte Waldwege beschränkte Verkehrssicherungspflicht des Waldbesitzers hinsichtlich waldtypischer Gefahren grundsätzlich nicht gegeben. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Waldnutzung im Verlauf der Jahre zugenommen hat (vgl. Orf, RdL 2008, 281, 284 f.; ders., RdL 2008, 311 f.). Auch an stark frequentierten Waldwegen werden die Haftungsrisiken relevant, die nach den gesetzlichen Vorschriften der Waldbesucher tragen soll. Gegen eine vom Grad der Frequentierung abhängige Verkehrssicherungspflicht sprechen auch praktische Erwägungen. Eine solche Verkehrssicherungspflicht würde zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen (vgl. Agena, aaO S. 714). Unter welchen Voraussetzungen eine starke Frequentierung anzunehmen ist, kann abstrakt nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit beschrieben werden. Hinzu kommt, dass die Frage, welche Sicherungsmaßnahmen gegebenenfalls erforderlich sein sollen, nicht allgemein, sondern nur für den jeweiligen Einzelfall beantwortet werden kann.
21
Baumkontrollen wie bei Straßenbäumen sind dem Waldbesitzer auch an stark frequentierten Waldwegen nicht zuzumuten. Sie sind nicht mit einer allgemeinen Überprüfung häufig genutzter Waldwege, die ein Waldbesitzer etwa nach einem Sturm zur Schadensfeststellung durchführen mag, zu vergleichen.
Auch als Kehrseite der Bewirtschaftung ist es dem Waldbesitzer nicht zumutbar , ihm neben seiner mit der Betretungsbefugnis des Waldbesuchers verbundenen Duldungspflicht noch entsprechende Verkehrssicherungspflichten aufzuerlegen (vgl. Gebhard, aaO S. 763; Orf, RdL 2008, 281, 285; zur Gefahrenabwehr als Kehrseite der Bewirtschaftung Senatsurteil vom 31. Mai 1988 - VI ZR 275/87, aaO S. 958). Dass der Waldbesucher die waldtypischen Gefahren selbst tragen muss, ist gleichsam der Preis für die eingeräumte Betretungsbefugnis (vgl. Gebhard, aaO).
22
ee) Dass den Waldbesitzer grundsätzlich keine Pflicht trifft, den Verkehr auf Waldwegen gegen waldtypische Gefahren zu sichern, entspricht auch der nunmehr in § 14 BWaldG für das Betreten des Waldes getroffenen Regelung. In Abs. 1 Satz 3 dieser Vorschrift heißt es, dass die Benutzung auf eigene Gefahr geschieht. Nach Abs. 1 Satz 4 in der heute geltenden Fassung gilt dies insbesondere für waldtypische Gefahren. Diese Vorschrift wurde - zeitlich nach dem Unfall der Klägerin - mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundeswaldgesetzes vom 31. Juli 2010 (BGBl. I 2010, S. 1050) eingeführt und ist am 6. August 2010 in Kraft getreten (zur Gesetzgebung des Bundes und der Länder in den Jahren zuvor vgl. Orf, RdL 2008, 311, 314 ff.). Mit der in § 14 Abs. 1 BWaldG als Satz 4 eingefügten Vorschrift wollte der Gesetzgeber die "derzeit gültige Rechtsprechung" durch eine klarstellende Ergänzung gesetzlich verankern (BT-Drucks. 17/1220, S. 1, 7; vgl. auch OLG Karlsruhe, NuR 2011, 823, 824; Endres, aaO). Zur Begründung wurde angeführt, dass die Waldbesitzer aufgrund Landes- oder Kommunalrechts oft das Ausschildern von Wanderwegen durch Kommunen und/oder anerkannte Wandervereine dulden müssten und außerdem eine möglichst naturnahe Waldbewirtschaftung mit ausreichendem Totholzanteil gefordert werde. Die Waldbesitzer würden folglich durch Vorschriften im Sinne des Gemeinwohls mehr und mehr gezwungen, gefährliche Situationen zu dulden oder gar zu schaffen. Im Gegensatz zu jedem anderen Grundstückseigentümer sei es dem Waldbesitzer aber verwehrt, seinen Verkehrssicherungspflichten dadurch nachzukommen, dass er Besuchern den Zutritt zu seinen Flächen verwehre (BT-Drucks. 17/1220, S. 6; vgl. dazu Gebhard, AFZ-Der Wald 17/2010, 44 f.).
23
Die neu eingeführte Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 4 BWaldG entspricht der für die Betretungsbefugnis des § 59 Abs. 1 BNatSchG in § 60 BNatSchG angeordneten Haftungsregelung der neuen Fassung des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege vom 29. Juli 2009 (Bundesnaturschutzgesetz, BGBl. I 2009, S. 2542, im Folgenden: BNatSchG, in Kraft getreten am 1. März 2010). Das Betreten der freien Landschaft erfolgt gemäß § 60 Satz 1 BNatSchG auf eigene Gefahr. § 60 Satz 2 BNatSchG regelt, dass durch die Betretungsbefugnis des § 59 Abs. 1 BNatSchG keine zusätzlichen Sorgfalts- oder Verkehrssicherungspflichten begründet werden. Nach § 60 Satz 3 BNatSchG besteht insbesondere keine Haftung für typische, sich aus der Natur ergebende Gefahren. Damit sollen in der Praxis bestehende Unsicherheiten zur Frage der Verkehrssicherungsmaßnahmen durch eine gesetzgeberische Klarstellung verringert werden (vgl. BT-Drucks. 16/12274, S. 74; näher zur Haftungsregelung siehe Fischer-Hüftle in Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl., § 60 Rn. 4 ff.; Maus in Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2011, § 60 Rn. 4 ff.). Eine Änderung der zuvor bestehenden Rechtslage ist mit den in § 14 Abs. 1 Satz 4 und § 60 Satz 2 und 3 BNatSchG getroffenen Klarstellungen nicht eingetreten. Sie war ausweislich der jeweiligen Gesetzesbegründung auch nicht beabsichtigt.
24
b) Im Streitfall hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine waldtypische Gefahr verwirklicht, für welche die Beklagte zu 1 mithin nicht verantwortlich war.
25
aa) Zu den typischen Gefahren des Waldes, gegen die der Waldbesitzer Waldwege grundsätzlich nicht sichern muss, zählen solche, die sich aus der Natur oder der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Waldes unter Beachtung der jeweiligen Zweckbestimmung ergeben (vgl. Endres, aaO; Klose/Orf, aaO Rn. 48; Gebhard, NuR 2008, 754, 758; ders., AFZ-Der Wald 17/2010, 44 f.). Sie umfassen die Gefahren, die von lebenden oder toten Bäumen ausgehen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 des Landesforstgesetzes für das Land NordrheinWestfalen in der Fassung vom 19. Juni 2007, GV. NW. S. 234; LG Hannover, aaO S. 597 f., bestätigt durch OLG Celle, VersR 2006, 1423). Zu den typischen Gefahren des Waldes können herabhängende Äste (vgl. OLG Köln, aaO; Bittner , aaO; Gebhard, NuR 2008, 754, 758; Staudinger/Hager, aaO) oder die mangelnde Stand- oder Bruchfestigkeit von Bäumen gehören (vgl. OLG Koblenz , aaO; OLG Hamm, NuR 2007, 845; LG Braunschweig, aaO S. 778 f.; LG Tübingen, aaO; Agena, aaO S. 715; Endres, aaO; Klose/Orf, aaO).
26
Atypische Gefahren sind alle nicht durch die Natur oder durch die Art der Bewirtschaftung mehr oder weniger zwangsläufig vorgegebenen Zustände, insbesondere vom Waldbesitzer geschaffene oder geduldete Gefahren, die ein Waldbesucher nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auf die er sich nicht einzurichten vermag, weil er nicht mit ihnen rechnen muss (vgl. OLG Köln, aaO; OLG Düsseldorf, VersR 1998, 1166; NJW-RR 2008, 1247, 1248; OLG Hamm, NuR 2007, 845; OLG Karlsruhe, NuR 2011, 823, 824; LG Braunschweig , aaO S. 778; LG Tübingen, aaO S. 780; Gebhard, NuR 2008, 754, 758; Staudinger/Hager, aaO; Klose/Orf, aaO Rn. 50; Geigel/Wellner, aaO Rn. 95). Dazu können etwa (nicht waldtypische) Hindernisse, die einen Weg versperren, oder nicht gesicherte Holzstapel gehören (vgl. OLG Köln, aaO; OLG Koblenz, aaO; LG Tübingen, aaO S. 780; Gebhard, aaO; Klose/Orf, aaO Rn. 51).
27
bb) Nach den getroffenen Feststellungen hat sich mit dem Astabbruch eine Gefahr verwirklicht, die in der Natur des Baumes begründet war. Wie der Sachverständige F., auf dessen Ausführungen sich das Berufungsgericht stützt, dargelegt hat, war ein Auslöser des Astabbruchs der generelle Sommerbruch, ein durch Trockenheit und hohe Temperaturen begünstigter Versagensmechanismus. Weiterer Auslöser war eine Faulstelle an der Oberseite des Astes. Diese Faulstelle sei vermutlich durch Geschosssplitter aus dem Zweiten Weltkrieg verursacht worden. Auch die Gefahr, dass sich durch Verletzungen eines Baumes über mehrere Jahrzehnte Faulstellen bilden, die einen Ast schwächen, ist jedoch in der Natur des Baumes begründet. Gleiches gilt für die Ausbildung eines langen "Löwenschwanzastes" und den Abbruch der Hauptkrone des Baumes. Eine der Beklagten zu 1 zuzurechnende atypische Gefahr, die eine Verkehrssicherungspflicht begründet hätte, hat nach den getroffenen Feststellungen demnach nicht vorgelegen. Die Gefahr eines Astabbruchs wird nicht deshalb , weil ein geschulter Baumkontrolleur sie erkennen kann, zu einer im Wald atypischen Gefahr, für die der Waldbesitzer einzustehen hätte.
28
3. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist auch dem Beklagten zu 2, der als Mitarbeiter der Beklagten zu 1 für Baumkontrollen verantwortlich war, nicht anzulasten, denn ihn treffen keine weitergehenden Pflichten als die Beklagte zu 1.
29
4. Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, kann der Senat gemäß §§ 562, 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist als unbegründet zurückzuweisen. Galke Wellner Diederichsen Pauge von Pentz
Vorinstanzen:
LG Saarbrücken, Entscheidung vom 03.03.2010 - 12 O 271/06 -
OLG Saarbrücken, Entscheidung vom 09.11.2011 - 1 U 177/10-46 -

(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.

(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.

(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.