Landgericht Schwerin Urteil, 04. Mai 2015 - 4 O 165/15

bei uns veröffentlicht am04.05.2015

Tenor

1. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von € 500,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.03.2015 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 83 % und das beklagte Land zu 17 %.

3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar; für das beklagte Land ohne Sicherheitsleistung. Der Kläger kann die Vollstreckung des beklagten Landes wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt als Nichtraucher von dem beklagten Land die Zahlung von Schmerzensgeld wegen seiner Unterbringung in einem Haftraum mit zwei Rauchern.

2

Der Kläger befand sich vor seiner strafrechtlichen Verurteilung in der Zeit vom 27.02.2010 bis zum 12.04.2011 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stralsund. Er hatte am Aufnahmetag und auch danach darauf hingewiesen, dass er Nichtraucher ist und aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mit Rauchern in eine Zelle gelegt werden wolle. Gleichwohl wurde er vom 27.02.2010 bis zum 03.03.2010 in einem 3-Personen-Haftraum zusammen mit zwei rauchenden Mitgefangenen untergebracht. Bei den Mitgefangenen handelte es sich um starke Raucher, die auch während der Nacht mehrmals geraucht haben.

3

Trotz Lüftung durch Öffnen des Fensters - soweit möglich - war ein ständiger Rauchgeruch vorhanden und der Kläger war nach der ersten Nacht wegen Beschwerden in ärztlicher Behandlung.

4

Mit am 29.11.2010 beim Landgericht Stralsund gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte der Kläger die Feststellung begehrt, dass die „Zulassung der Zufügung von körperlichen Schmerzen durch gesundheitsgefährdende Stoffe“ rechtswidrig gewesen sei. Das Landgericht hatte seinen Antrag zurückgewiesen und mit Beschluss vom 03.03.2011 hatte das Oberlandesgericht Rostock (AZ: I Ws 45/11) die vom Kläger eingelegte Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

5

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 28.10.2012 (Anlage K1, Bl. 15 d.A.) die Beschlüsse des Landgerichts Stralsund und des Oberlandesgerichts Rostock wegen der Verletzung von Grundrechten des Klägers aufgehoben und das Verfahren an das Landgericht Stralsund zurückverwiesen.

6

Das Landgericht Stralsund hat mit Beschluss vom 17.12.2013 festgestellt, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers mit zwei rauchenden Gefangenen vom 27.02.2010 bis zum 03.03.2010 rechtswidrig gewesen ist (vgl. Anlage K 2, Bl. 19 d.A.).

7

Der Kläger gibt an, er habe aufgrund des Rauches bereits nach der ersten Nacht starke Kopfschmerzen bekommen, die trotz Schmerztabletten angehalten hätten. Er habe während der ganzen fünf Tage verstärkt unter Kopfschmerzen und Atembeschwerden gelitten.

8

Weiterhin trägt der Kläger vor, dass es auch nach der Umverlegung der rauchenden Gefangenen aus dem Haftraum am 03.03.2010 noch mehrere Tage gedauert habe, bis die Luft im Haftraum halbwegs akzeptabel gewesen sei.

9

Der Kläger ist insoweit der Auffassung, dass das beklagte Land ihm gegenüber seine Amtspflichten verletzt habe und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes, das er mit zumindest 3.000,00 € beziffert, verpflichtet sei.

10

Der Kläger beantragt,

11

die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

12

Das beklagte Land beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Das beklagte Land behauptet, dass es zur Unterbringung des Klägers mit zwei Rauchern zum damaligen Zeitpunkt keine Alternative gegeben hätte. Aufgrund der Einstufung des Klägers zum damaligen Zeitpunkt als suizidgefährdet, habe keine Möglichkeit der Abhilfe bestanden. Die Möglichkeit der Zusammenlegung des Klägers in eine Zweierzelle mit einem Nichtraucher sei, sobald dies möglich gewesen sei, dann auch durchgeführt worden. Das beklagte Land ist insoweit der Auffassung, dass die Unterbringung des Klägers rechtmäßig gem. § 13 Abs. 1 Satz 3 UVollzG M-V rechtmäßig gewesen sei.

15

Weiterhin ist das beklagte Land der Auffassung, dass der Kläger nicht hinreichend zu von ihm erlittenen und einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld rechtfertigenden körperlichen Beeinträchtigungen vorgetragen habe.

16

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17

Die Klage ist im ausgeurteilten Umfang begründet und im übrigen abzuweisen.

I.

18

Der Kläger hat gegenüber dem beklagten Land einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. € 500,00 (1.) sowie einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen (2.).

19

1. Der Kläger hat gem. §§ 839 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 34 GG gegen das beklagte Land einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. € 500,00 wegen seiner Unterbringung als Nichtraucher mit zwei stark rauchenden Mithäftlingen im Zeitraum vom 27.02.2010 bis zum 03.03.2010.

20

a. Das beklagte Land hat durch die Unterbringung des Klägers als Nichtraucher im Zeitraum vom 27.02. bis zum 03.03.2010 mit zwei starkenden Rauchern in einem Haftraum seine Amtspflichten i.S.v. § 839 Abs. 1 BGB verletzt.

21

- Das Vorliegen einer rechtswidrigen Verletzung von Amtspflichten ergibt sich bereits aus der Entscheidung des Landgerichts Stralsund mit Beschluss vom 17.12.2013 ( Anlage K 2), denn die Feststellung der Rechtswidrigkeit entfaltet für den Amtshaftungsprozess bindende Wirkung (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2006, AZ: III ZB 89/05; juris).

22

- Diese Amtspflichtverletzung ist auch als schuldhaft anzusehen, denn die vom beklagten Land vorgetragenen Umstände - die zudem vom Kläger bestritten worden sind - rechtfertigen die von den Bediensteten der Justizvollzugsanstalt getroffene Unterbringungsentscheidung nicht, auch nicht für einen Zeitraum von fünf Tagen. Das beklagte Land hat durch hinreichende Organisationsmaßnahmen, so u.a. durch eine ausreichende Anzahl von Hafträumen und ausreichendes Personal sicherzustellen, dass die - wie vom beklagten Land angeführt - besonderen Haftvorgaben und -bedingungen sowie Haftzwecke sowohl für die Vollzugshäftlinge als auch für die Untersuchungshäftlinge gewährleistet und durchgesetzt werden können, ohne dass damit eine Beeinträchtigung des Schutzes des Häftlings vor einer gesundheitlichen Gefährdung und eine nicht nur unerhebliche Belästigung durch das Rauchen von Mithäftlingen verbunden ist.

23

b. Das Gericht geht auch davon aus, dass es durch diese rechtswidrige Unterbringungsentscheidung beim Kläger durch das damit verbundene unfreiwillige „Passivrauchen“ zu nicht nur ganz unerheblichen körperlichen Beeinträchtigungen sowie Belästigungen gekommen ist.

24

- Dass Passivrauchen per se eine nicht ausschließbare gesundheitliche Gefährdung darstellt, ist inzwischen eine anerkannte Tatsache (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.01.1997, AZ: 2 BvR 1915/91, juris) und entsprechend hat der Häftling auch einen Anspruch auf Schutz vor dieser Gefährdung durch rauchende Mitgefangene und rauchendes Aufsichtspersonal (vgl. BVerfG, Beschluss v. 07.12.2007, AZ: 2 BvR 1987/07 ). Unstreitig hat der Kläger darauf hingewiesen, dass er Nichtraucher ist und dem Rauchen der Mithäftlinge auch nicht ausgesetzt sein wollte. Damit ist der Kläger unfreiwillig einer nicht ausschließbaren Gesundheitsgefährdung ausgesetzt und bereits damit in nicht nur unerheblichen Maße körperlich beeinträchtigt und belästigt worden.

25

- Unstreitig ist weiterhin, dass sich trotz Lüftung über den gesamten Zeitraum Dunstwolken im Haftraum befunden haben. Soweit das beklagte Land diese Angabe des Klägers als widersprüchlich ansieht, kann sich das Gericht dieser Wertung nicht anschließen. Vielmehr spricht das Vorhandensein von Dunstwolken trotz Lüftung für eine starke Rauchentwicklung/-intensität.

26

- Das Gericht geht auch davon aus, dass sich der Kläger nach der ersten Nacht wegen der von ihm angeführten Kopfschmerzen in ärztlicher Behandlung befand. Es ist weder erkennbar noch vom beklagten Land vorgetragenen worden, dass diese - unstreitige ärztliche Behandlung - auf andere Ursachen beruhte. Das pauschale Bestreiten des beklagten Landes ist insoweit unerheblich.

27

- Ebenfalls geht das Gericht auch davon aus, dass es beim Kläger zum Auftreten von Kopfschmerzen gekommen ist. Dem steht nicht entgegen, dass - worauf das beklagte Land zu Recht hinweist - konkrete Angaben zu Intensität und Zeitdauer fehlen. Denn gleichwohl lässt sich hinreichend nachvollziehbar und glaubhaft aus den weiteren Angaben des Klägers ( ärztliche Behandlung, Schmerztabletten, ununterbrochene Dunstwolke) ableiten, dass es zum Auftreten von Kopfschmerzen gekommen ist.

28

c. Dem Kläger steht daher gegenüber dem beklagten Land die Zahlung eines Schmerzensgeldes zu, wobei das Gericht die Zahlung eines Betrages i.H.v. € 500,00 für angemessen aber auch ausreichend hält.

29

(a) Der Schmerzensgeldanspruch erfüllt grundsätzlich eine Doppelfunktion. Er soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich seiner nicht vermögensrechtlichen Schäden und Genugtuung für die erlittenen körperlichen Beeinträchtigungen bieten, wobei das Ausmaß der Lebensbeeinträchtigung hier im Vordergrund steht.

30

(b) Maßgebend für die Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs waren daher die folgenden Gesichtspunkte:

31

- Der Kläger ist unfreiwillig als Nichtraucher dem Rauch zweier stark rauchender Mithäftlinge auf engstem Raum - sowohl tagsüber als auch nachts - ausgesetzt gewesen, wobei es trotz Lüftung zu einer starken Rauchentwicklung im Haftraum gekommen ist. Der Kläger war damit für fünf Tage durch dieses unfreiwillige „Passivrauchen“ einer nicht ausschließbaren Gesundheitsgefährdung ausgesetzt.

32

- Es ist beim Kläger auch zum Auftreten von Kopfschmerzen gekommen. Allerdings ist - soweit der Kläger diese mit „stark“ angibt - eine über das mit Kopfschmerzen in der Regel verbundene allgemeine Unwohlsein hinausgehende Intensität sowie die Dauer und Form einer damit ggf. verbundenen starken Lebensbeeinträchtigung mangels Darlegung hinreichend konkreter und objektivierbarer Beschwerdeumstände nicht feststellbar.

33

Den hierzu erfolgten Beweisangeboten des Kläger war insoweit auch nicht nachzugehen. Weder für die Beiziehung der Gefangenenakte noch für die Vernehmung der angebotenen Zeugen lagen hinreichende Anknüpfungstatsachen vor. Sie waren vielmehr auf Ausforschung gerichtet und daher unzulässig, zumal es auch nicht Aufgabe des Gerichts ist, sich aus einer Akte die maßgebenden Umstände herauszusuchen. Ebenfalls war auch der Kläger nicht als Partei zu vernehmen, da weder das beklagte Land dieser zugestimmt hat, noch die Voraussetzungen des § 448 ZPO vorlagen.

34

- Der Kläger befand sich wegen dieser Beschwerden nach der ersten Nacht in ärztlicher Behandlung. Weitere Behandlungen haben erkennbar nicht stattgefunden.

35

- Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass es zu weiteren erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen gekommen ist. Soweit der Kläger das Auftreten von „Atembeschwerden“ behauptet ist mangels hinreichend konkreter Angaben zu den tatsächlichen Beschwerdeumständen (Form, Intensität, Zeit, Dauer) nicht von einer damit verbundenen erheblichen Lebensbeeinträchtigung auszugehen.

36

Daher war auch zu diesem Umstand den Beweisangeboten des Kläger ebenfalls nicht nachzugehen. Weder für die Beiziehung der Gefangenenakte noch für die Vernehmung der angebotenen Zeugen lagen hinreichende Anknüpfungstatsachen vor. Sie waren auf Ausforschung gerichtet und daher unzulässig und der Kläger war auch nicht als Partei zu vernehmen, da weder das beklagte Land dieser zugestimmt hat noch die Voraussetzungen des § 448 ZPO vorlagen.

37

- Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringung erst durch ein langwieriges Verfahren über mehrere Instanzen erreichen konnte sowie dass dem Kläger gegenüber - erkennbar - zum damaligen Zeitpunkt für die getroffenen Unterbringungsentscheidung keinerlei Begründung/Erklärungen abgegeben worden sind.

38

- Einzubeziehen ist auch der Umstand, dass der Entscheidung der Bediensteten der Justizvollzugsanstalt - erkennbar - kein schikanöses Verhalten zugrunde gelegen hat. Das beklagte Land hat ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, aufgrund welcher besonderer Umstände es zu dieser Entscheidung gekommen ist. Dies lässt die Rechtswidrigkeit der Entscheidung zwar nicht entfallen, gleichwohl ist dies bei der Bemessung der Höhe einer möglichen Entschädigung zu berücksichtigen.

39

- Zu berücksichtigen ist zudem, dass es über die fünf Tage hinaus zu keinen weiteren körperlichen Beeinträchtigungen und insbesondere auch zu keinen dauerhaften Gesundheitsschäden gekommen ist.

40

- Auch handelt es sich bei den fünf Tagen, in denen der Kläger der erheblichen Rauchentwicklung durch die stark rauchenden Mitgefangenen ausgesetzt war, um einen relativ begrenzten Zeitraum.

41

2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 ZPO.

II.

42

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 709 ZPO.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 839 Haftung bei Amtspflichtverletzung


(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Ansp

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 34


Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder g

Zivilprozessordnung - ZPO | § 448 Vernehmung von Amts wegen


Auch ohne Antrag einer Partei und ohne Rücksicht auf die Beweislast kann das Gericht, wenn das Ergebnis der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreicht, um seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer zu erweisenden Ta

Zivilprozessordnung - ZPO | § 288 Gerichtliches Geständnis


(1) Die von einer Partei behaupteten Tatsachen bedürfen insoweit keines Beweises, als sie im Laufe des Rechtsstreits von dem Gegner bei einer mündlichen Verhandlung oder zum Protokoll eines beauftragten oder ersuchten Richters zugestanden sind. (

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Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2006 - III ZB 89/05

bei uns veröffentlicht am 28.09.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS III ZB 89/05 vom 28. September 2006 in dem Prozesskostenhilfeverfahren Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB § 839 B, Fm; GG Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 34; StVollzG § 201 Nr. 3 Satz 1 Zur amtspflichtw

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(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 89/05
vom
28. September 2006
in dem Prozesskostenhilfeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur amtspflichtwidrigen Verletzung der Menschenwürde und des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts bei der gemeinsamen Unterbringung von Strafgefangenen
in einem Haftraum.
BGH, Beschluss vom 28. September 2006 - III ZB 89/05 - OLG Naumburg
LG Halle
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. September 2006 durch
den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Streck, Dr. Kapsa, Galke und
Dr. Herrmann

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 5.250 €

Gründe:


I.


1
Der Antragsteller verbüßt seit dem 2. Juli 2001 Strafhaft. Vom 17. Dezember 2002 bis zum 29. Januar 2003 und vom 5. März 2003 bis zum 6. Mai 2003 war er zusammen mit einem anderen Gefangenen in einem Haftraum untergebracht. Das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Halle stellte durch Beschlüsse vom 3. September 2003 (30 StVK 1085/02 und 30 StVK 244/03) fest, dass die zu den vorgenannten Zeiten erfolgte gemeinschaftliche Unterbringung des Antragstellers mit einem anderen Gefangenen rechtswidrig war.

2
Der Antragsteller macht geltend, durch die gemeinschaftliche Unterbringung seien sein Persönlichkeitsrecht und seine Menschenwürde verletzt worden. Er begehrt von dem die Strafanstalt unterhaltenden Land ein "Schmerzensgeld" und hat beantragt, ihm für die beabsichtigte Klage auf Zahlung von 50 € je Tag der rechtswidrigen Unterbringung in einem gemeinschaftlichen Haftraum Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
3
Landgericht und Beschwerdegericht haben die Prozesskostenhilfe verweigert. Mit der von dem Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Prozesskostenhilfegesuch weiter.

II.


4
1. Die auch sonst in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Rechtsbeschwerde ist statthaft. Denn das Beschwerdegericht hat sie zugelassen (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 ZPO). Das war zwar nicht zulässig. Denn in dem Verfahren der Prozesskostenhilfe kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) sowie dem der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Juli 2003 - III ZB 7/03 - NJW-RR 2003, 1438). Solche stehen hier indes - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht inmitten; der Senat ist aber an die - rechtsfehlerhafte - Zulassung gebunden (vgl. Senatsbeschluss aaO).

5
2. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdegericht hat dem Antragsteller zu Recht die Prozesskostenhilfe verweigert, weil sein Rechtsverfolgungsbegehren keine Erfolgsaussicht hat (§ 114 Satz 1 ZPO).
6
Dem a) Antragsteller steht eine Entschädigung in Geld wegen amtspflichtwidriger Verletzung seiner Menschenwürde und seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 839 BGB i.V.m. Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 34 GG; vgl. Senatsurteil BGHZ 161, 33, 35 f) durch Bedienstete des Antragsgegners nicht zu. Denn eine solche Verletzung ist mit dem Beschwerdegericht zu verneinen; die Frage, ob der Verstoß gegen Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG eine Entschädigung in Geld gebietende Erheblichkeit erreichte (vgl. Senatsurteil aaO S. 36 ff; s. dazu ferner BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 2005 - 1 BvR 1359/05 - juris Rn. 14 ff), stellt sich im Streitfall nicht.
7
Aufgrund aa) der Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer vom 3. September 2003 steht zwar mit Bindungswirkung auch für den Amtshaftungsprozess (vgl. Senatsurteil aaO S. 34) fest, dass der Antragsteller vom 17. Dezember 2002 bis zum 29. Januar 2003 und vom 5. März 2003 bis zum 6. Mai 2003 rechtswidrig, nämlich unter Verstoß gegen seinen Anspruch auf Einzelunterbringung gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, mit einem anderen Gefangenen in einem Haftraum untergebracht war.
8
Strafvollstreckungskammer Der sind bei der Rechtswidrigkeitsfeststellung allerdings Rechtsfehler unterlaufen. Sie hat die Übergangsbestimmung des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG, die abweichend von § 18 StVollzG bei bestehenden Anstalten die gemeinsame Unterbringung von Gefangenen unter gewissen Voraussetzungen erlaubt, nicht angewandt; der Gebäudekomplex, in dem der Antragsteller untergebracht gewesen sei, könne wegen grundlegender Umgestaltung nach 1990 nicht mehr als Altbau im Sinne des § 201 Nr. 3 StVollzG eingestuft werden. Diese Auffassung geht indes fehl, wie der Bundesgerichtshof (BGHSt 50, 234, 241 ff) inzwischen - gerade bezüglich der Justizvollzugsanstalt , in der der Antragsteller untergebracht war - entschieden hat: Bei einem nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes umgebauten Einzelbauwerk einer aus mehreren Bauwerken bestehenden - wie der hier vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes erbauten - Justizvollzugsanstalt ist im Rahmen des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG auf den Gesamtzustand der Justizvollzugsanstalt abzustellen mit der Folge, dass eine gemeinsame Unterbringung von Gefangenen nicht ohne weiteres rechtswidrig ist.
9
Der rechtliche Fehler ändert zwar nichts an der Bindungswirkung der Rechtswidrigkeitsfeststellung durch die Strafvollstreckungskammer. Die - von der Strafvollstreckungskammer verkannte - Anwendbarkeit des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG kann aber bei der Prüfung zu berücksichtigen sein, wie schwer der (festgestellte) Verstoß gegen § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG wiegt und ob den Bediensteten des Landes ein Verschulden vorzuwerfen ist.
10
bb) Ungeachtet dessen steht mit der bindend ausgesprochenen Feststellung eines Verstoßes gegen den Anspruch auf Einzelunterbringung gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG noch nicht zugleich fest, dass die gemeinsame Unterbringung auch das Gebot, Strafgefangene menschenwürdig zu behandeln (Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 GG; s. ferner BVerfG aaO Rn. 15), verletzte. Die bloße gemeinsame Unterbringung entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG kann ohne Hinzutreten erschwerender, den Gefangenen benachteiligender Umstände nicht als Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen werden (vgl. BGHSt aaO S. 239 f). Das Beschwerdegericht hat demnach zutreffend auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt und nach den konkreten Unterbringungsverhältnissen einen Verstoß gegen Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG verneint. Diese tatrichterliche Würdigung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren hinzunehmen. Hier kommt im Übrigen hinzu, dass der mit der Doppelbelegung verbundene Eingriff in die Privatsphäre des Antragstellers durch die Gestaltung des Vollzugs gemildert wurde (vgl. BGHSt aaO S. 240): Der Antragsteller befand sich in einer teil-gelockerten Station mit einem offenen Bereich von 13.00 bis 16.00 Uhr. Er wurde in der Küche eingesetzt, so dass er nicht die gesamte Zeit in der Zelle verbringen musste. Darüber hinaus hatte ihm die Anstalt ermöglicht, bei der Auswahl des mit ihm untergebrachten Strafgefangenen mitzuwirken.
11
cc) Es ist weiter von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht gesundheitliche Beeinträchtigungen als Folge der gemeinsamen Unterbringung nicht festzustellen vermocht hat. Die Rechtsbeschwerde zeigt diese Würdigung in Frage stellenden substantiierten Parteivortrag nicht auf. Soweit der Antragsteller geltend gemacht hat, aufgrund der (rechtswidrigen ) Unterbringungsbedingungen gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten zu haben (Platzangst, Schweißausbrüche usw.), hat er noch nicht einmal behauptet , derartige Beschwerden gegenüber der Anstaltsleitung geäußert zu haben. Erst recht ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller im fraglichen Zeitraum ärztlichen Rat gesucht haben oder gar ärztlich behandelt worden sein könnte. Bei dieser Sachlage bestünde im ordentlichen Klageverfahren keine hinreichende Grundlage für die - von dem Antragsteller beantragte - Einholung eines Sachverständigengutachtens, noch weniger Anlass dafür, ihn als Partei zu vernehmen (§§ 447, 448 ZPO).
12
b) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat schließlich nicht deshalb Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 ZPO, weil die Entscheidung von der Beant- wortung schwieriger Rechts- oder Tatfragen abhinge, die in das ordentliche Klageverfahren gehören. Aus der Tatsache, dass das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde - ohne Begründung - zugelassen hat, ergibt sich das nicht. Es geht im Streitfall um tatrichterliche Bewertungen (vgl. auch Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2005 - III ZR 33/05 - NJW 2006, 1289 f). Das Beschwerdegericht hat auf die "Umstände(n) dieses konkreten Einzelfalles" abgehoben. Grundsatzfragen stehen nach dem vorgenannten Senatsurteil und dem zitierten Beschluss des 5. Strafsenats nicht offen.
Schlick Streck Dörr
Galke Herrmann
Vorinstanzen:
LG Halle, Entscheidung vom 28.04.2005 - 4 O 143/04 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 14.07.2005 - 4 W 15/05 -

Auch ohne Antrag einer Partei und ohne Rücksicht auf die Beweislast kann das Gericht, wenn das Ergebnis der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreicht, um seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer zu erweisenden Tatsache zu begründen, die Vernehmung einer Partei oder beider Parteien über die Tatsache anordnen.

(1) Die von einer Partei behaupteten Tatsachen bedürfen insoweit keines Beweises, als sie im Laufe des Rechtsstreits von dem Gegner bei einer mündlichen Verhandlung oder zum Protokoll eines beauftragten oder ersuchten Richters zugestanden sind.

(2) Zur Wirksamkeit des gerichtlichen Geständnisses ist dessen Annahme nicht erforderlich.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.