Landgericht Offenburg Beschluss, 29. März 2006 - 3 Qs 33/06

bei uns veröffentlicht am29.03.2006

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeklagten xxx wird der Beschluss des Amtsgerichts Lahr vom 08.02.2006

a u f g e h o b e n .

Rechtsanwältin xxx wird dem Angeklagten nachträglich und rückwirkend ab Antragstellung als notwendige Verteidigerin beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

 
Gegen xxx hat die Staatsanwaltschaft am 21.09.2005 Anklage wegen Diebstahls zum Amtsgericht Lahr erhoben. Mit der Zustellung der Anklageschrift verfügte der Strafrichter den Hinweis an den Angeklagten, dass er die Beiordnung eines notwendigen Verteidigers beantragen könne und forderte ihn auf, den Namen eines zu bestellenden Rechtsanwalts zu benennen. Die Anklage konnte erst am 02.01.2006 in der Justizvollzugsanstalt Karlsruhe zugestellt werden, wo sich der Angeklagte seit dem 06.09.2005 befand. Mit Faxschreiben vom 05.01.2006 meldete sich Rechtsanwältin xxx, xxx, als Verteidigerin und beantragte ihre Bestellung zur notwendigen Verteidigerin. Über diesen Antrag hat das Amtsgericht Lahr zunächst nicht entschieden.
Der Angeklagte war am 28.11.2005 durch das Amtsgericht Baden-Baden wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hatte er Berufung eingelegt. In diesem Verfahren wurde er bereits von Rechtsanwältin xxx vertreten. Auf Anregung des Vorsitzenden der zuständigen Berufungsstrafkammer des Landgerichts Baden-Baden sagte der im vorliegenden Verfahren zuständige Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft Offenburg zu, einen Antrag nach § 154 Abs. 2 StPO zum Amtsgericht Lahr zu stellen für den Fall, dass das Urteil des Amtsgerichts Baden-Baden vom 28.11.2005 rechtskräftig werde. Hierauf wurde die Berufung am 19.01.2006 zurückgenommen. Am 20.01.2006 wurde der Einstellungsantrag zum Amtsgericht Lahr gestellt, das die Einstellung am 24.01.2006 beschlossen hat. Über den Antrag vom 05.01.2006 wurde bis dahin nicht entschieden. Nachdem die Verteidigerin mit Schriftsatz vom 27.01.2006 die Entscheidung anmahnte, lehnte der Strafrichter die nachträgliche Bestellung mit Beschluss vom 08.02.2006 ab, weil eine nachträgliche Bestellung unzulässig und unwirksam sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde vom 20.02.2006, beim Amtsgericht eingegangen am 22.02.2006. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, die Staatsanwaltschaft beantragt deren Zurückweisung als unbegründet.
II.
Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig und begründet.
1. Die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung lagen zum Zeitpunkt der Antragstellung am 05.01.2006 in zweifacher Hinsicht vor.
Der Angeklagte ist Analphabet und intellektuell minderbegabt. Er ist daher nicht in der Lage, seine Interessen selbst wahrnehmen und sich effektiv verteidigen zu können. Ihm war daher gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO ein Verteidiger beizuordnen. Außerdem befand er sich seit dem 06.09.2005 ununterbrochen und damit mehr als drei Monate in Haft. Daher war ihm auch nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ein notwendiger Verteidiger zu bestellen.
Allerdings ist die Bestellung bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens am 24.01.2006 nicht erfolgt, so dass nur noch eine nachträgliche Bestellung in Betracht kommen kann. Ob die Beiordnung eines Verteidigers nach Beendigung des Verfahrens noch zulässig ist, ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten. Grundsätzlich wird eine rückwirkende Beiordnung für unzulässig gehalten. Die Beiordnung erfolgt zur Wahrung der Belange des Beschuldigten und im öffentlichen Interesse der Rechtsfindung, nicht zum Schutz finanzieller Interessen des Beschuldigten oder seines Verteidigers. Nur noch um solche geht es aber regelmäßig nach Beendigung des Verfahrens.
Im gegebenen Fall liegt es aber so, dass nicht nur, wie oben dargestellt, die Voraussetzungen für die Bestellung erfüllt waren, sondern dass der Angeklagte vom Gericht aufgefordert worden ist, einen Rechtsanwalt zu benennen, der zum notwendigen Verteidiger bestellt werden sollte. Das hat er sogleich getan, sicherlich im Vertrauen auf die angekündigte Bestellung. Über diese Bestellung hätte danach alsbald nach Eingang des Antrages am 05.01.2006 entschieden werden können und müssen. Dies ist aus rein gerichtsinternen Gründen unterblieben. Die rasche Erledigung des Verfahrens erfolgte danach im Zusammenhang mit der Rücknahme der Berufung des Angeklagten im Verfahren des Landgerichts Baden-Baden, in welchem die Verteidigerin bereits ebenfalls tätig war.
Jedenfalls unter diesen Gegebenheiten hält die Strafkammer die nachträgliche Beiordnung für sachgerecht und geboten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafprozeßordnung - StPO | § 140 Notwendige Verteidigung


(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn 1. zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last g

Referenzen

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn

1.
zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;
2.
dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3.
das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4.
der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
5.
der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
6.
zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
7.
zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8.
der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
9.
dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;
10.
bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
11.
ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

(2) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

(3) (weggefallen)

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.