Landgericht Kleve Beschluss, 23. Mai 2016 - 4 T 39/16
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Moers vom 06.11.2015 wird unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerden abgeändert:Der Beteiligte zu 1.) wird als Betreuer entlassen und anstelle des Beteiligten zu 1.) wird die Beteiligte zu 2.) zur Betreuerin der Betroffenen bestellt.
Die Aufgabenkreise bleiben unverändert.
Kosten werden nicht erstattet.
Die Entscheidung ist sofort wirksam.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Die Betroffene steht seit dem Jahr 2007 unter Betreuung. Sie leidet unter einer leichten kognitiven Störung und einer chronischen psychotischen Störung. Seit dem Jahr 2009 ist der Beteiligte zu 1.) der Berufsbetreuer der Betroffenen für die Aufgabenkreise krankenversicherungsrechtliche Angelegenheiten, Sorge für das Vermögen, Regelung der Grundstücksangelegenheiten und die Postangelegenheiten.
4Die Betreuung wurde zuletzt mit Beschluss vom 02.09.2014 verlängert. Dem lag das Gutachten des Sachverständigen Dr. K. vom 05.08.2014 zu Grunde.
5Mit Schreiben vom 23.08.2015 beantragte die Beteiligte zu 2.), die Tochter der Betroffenen, gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Beteiligten zu 3.) und Sohn der Betroffenen, zu Betreuern anstelle des Beteiligten zu 1.) bestellt zu werden. Sie begründete dies damit, dass sie sich nunmehr zeitlich in der Lage sehe, das Betreueramt zu übernehmen.
6Nach Anhörung der Betroffenen wies das Amtsgericht Moers den Antrag der Beteiligten zu 2.) und 3.) mit Beschluss vom 06.11.2015 zurück. Das Amtsgericht begründete die Entscheidung mit dem entgegenstehenden Willen der Betroffenen, die den Beteiligten zu 1.) weiterhin zum Betreuer haben will.
7Gegen den Beschluss vom 06.11.2015 legte die Beteiligte zu 2.) mit Schreiben vom 18.11.2015 und der Beteiligte zu 3.) mit Schreiben vom 30.11.2015 Beschwerde ein.
8Das Amtsgericht half den Beschwerden mit Beschluss vom 17.02.2016 nicht ab.
9Mit Schreiben vom 27.04.2016 beantragte der Beteiligte zu 3.) als Ersatzbetreuer der Betroffenen bestellt zu werden.
10II.
11Die Beschwerden der Beteiligten zu 2.) und des Beteiligten zu 3.) sind gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig. Die Beschwerden sind form- und fristgerecht eingelegt worden.
12Die Beschwerden haben auch in der Sache Erfolg, soweit die Beteiligten zu 2.) und 3.) die Beteiligte zu 2.) zur Betreuerin der Betroffenen bestellt wissen wollen. Der Antrag ist zurückzuweisen, soweit der Beteiligte zu 3.) zum Ersatzbetreuer bestellt werden will.
131.)
14Die Beteiligte zu 2.) ist unter Entlassung des Beteiligten zu 1.) zur Betreuerin zu bestellen.
15Gemäß § 1897 Abs. 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht eine natürliche Person zum Betreuer, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen. Stehen mehrere grundsätzlich geeignete Personen zur Verfügung, hat das Gericht die Auswahl nach den in § 1897 Abs. 4 bis 6 BGB aufgeführten Kriterien vorzunehmen. Schlägt der Betroffene eine Person vor, die zum Betreuer bestellt werden kann, ist diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft, § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB. Schlägt er vor, eine bestimmte Person nicht zu bestellen, soll hierauf Rücksicht genommen werden, § 1897 Abs. 4 S. 2 BGB. Die Bestellung eines Berufsbetreuers kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn keine andere geeignete Person zur Verfügung steht, die zur ehrenamtlichen Führung der Betreuung bereit ist, § 1897 Abs. 6 S. 1 BGB (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 27.06.2006, AZ. 1 W 36/06, Rdn. 6, zitiert nach Juris).
16Bei der Auswahl des Betreuers hat das Gericht anhand der in § 1897 Abs. 4 bis 6 BGB enthaltenen Kriterien die jeweils für den Einzelfall einschlägigen Gesichtspunkte zu ermitteln, sie dann unter Berücksichtigung ihres Ranges, insbesondere der hohen Bedeutung von Wille und Wohl des Betroffenen, und der gesetzlich vorgegebenen Regeln zu gewichten und auf dieser Grundlage eine Entscheidung zu fällen. Erforderlich ist letztlich eine Gesamtabwägung der für und gegen die Bestellung einer bestimmten Person sprechenden Gesichtspunkte (vgl. KG Berlin a.a.O., Rdn. 7).
17Durch einen positiven Vorschlag des Betroffenen kann aber grundsätzlich nicht das gesetzlich vorgegebene Rangverhältnis zwischen den einzelnen Betreuertypen überwunden werden (vgl. KG Berlin, a.a.O., Rdn. 8 m.w.N.). Deshalb ist das Gericht an den Vorschlag des Betroffenen, einen Berufsbetreuer zu bestellen, regelmäßig nicht gebunden, weil die ehrenamtliche Betreuung Vorrang vor derjenigen durch einen Berufsbetreuer hat, § 1897 Abs. 6 BGB (vgl. KG Berlin, a.a.O., m.w.N). Das OLG Jena (vgl. NJW-RR 2001, 796) hat eine Abweichung in Fällen für zulässig gehalten, in denen eine enge persönliche Bindung des Betroffenen an den Berufsbetreuer vorliegt. Es hat zugleich eine weitere Ausnahme zugelassen für den Fall, dass ein bemittelter Betroffener dies wünscht.
18Für diese letztgenannte Ausnahme ist aber kein Raum, allein weil der Betreute dies wünscht und er den Berufsbetreuer aus seinem Vermögen bezahlt. Dabei ist es unerheblich, ob der Betroffene noch geschäftsfähig ist. Soweit dies der Fall ist, wäre der Betroffene noch in der Lage, den Berufsbetreuer rechtsgeschäftlich zu bevollmächtigen und mit ihm eine Vergütungsvereinbarung zu schließen, so dass der Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung nach § 1897 Abs. 6 BGB ihn nicht in unzulässiger Weise in seiner Freiheit einschränkt. Der Wunsch des nicht mehr geschäftsfähigen bemittelten Betreuten, einen Berufsbetreuer zu bestellen, läuft seinen objektiven Interessen zuwider, wenn ein ehrenamtlicher Betreuer zur Verfügung steht. Denn die Bestellung eines Berufsbetreuers zieht die Pflicht zur Zahlung der Vergütung aus dem Vermögen des Betreuten nach sich. Da der Betreute die Konsequenz der Vergütungspflicht gegenüber dem Berufsbetreuer nicht mehr zu überblicken in der Lage ist, ihn dies aber wirtschaftlich nicht unerheblich belastet, entspricht es grundsätzlich nicht dem objektiven Interesse des Betroffenen, einen Berufsbetreuer mit der Folge der Vergütungspflicht aus seinem Vermögen zu bestellen.
19Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Beteiligte zu 1.) als Betreuer zu entlassen und die Beteiligte zu 2.) zur Betreuerin zu bestellen.
20Zwar hat die Betroffene vor und im Anhörungstermin durch die Kammer erklärt, sie wolle weiterhin den Beteiligten zu 1.) als Betreuer. Diesem Wunsch kann aber nicht gefolgt werden, weil mit der Tochter der Betroffenen, der Beteiligten zu 2.), eine geeignete Person bereit und in der Lage ist, die Betreuung ehrenamtlich zu übernehmen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beteiligte zu 2.) ungeeignet sein könnte, das Betreueramt auszuüben. Vielmehr hat sich die Beteiligte zu 2.) auch in der zurückliegenden Zeit bereits um die Betroffene gekümmert und pflegt einen guten Kontakt zu ihr.
21Dem gegenüber verdient die Aufrechterhaltung der Betreuung durch den Beteiligten zu 1.) keinen Vorrang. Denn eine enge persönliche Beziehung zwischen dem Betroffenen und dem Beteiligten zu 1.), die allenfalls Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Betreuung durch den Beteiligten zu 1.) als Berufsbetreuer wäre und die über das vom Betreuungsrecht geforderte Maß der persönlichen Betreuung hinausgehen müsste, ist nicht ersichtlich.
222.
23Der weitere Antrag des Betroffenen zu 3.), als Ergänzungsbetreuer eingesetzt zu werden, ist zurückzuweisen.
24Nach § 1899 Abs. 1, 4 BGB kann ein Ergänzungsbetreuer bestellt werden, wenn der andere Betreuer verhindert ist. Dabei sind hypothetisch eintretende Fälle der Verhinderung, etwa durch Krankheit des anderen Betreuers für die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers jedoch nicht ausreichend. Vielmehr kann die Bestellung des weiteren Betreuers nur für konkret zu erwartende Verhinderungsfälle vorgenommen werden. Die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers muss wie die Bestellung eines Betreuers allgemein dem Erforderlichkeitsgrundsatz des § 1896 Abs. 2 BGB Rechnung tragen. Danach darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen Handlungsbedarf besteht. Nichts anderes gilt für die Bestellung eines weiteren Betreuers. Für sie ist nur Raum, sofern im konkreten Fall angesichts aller Umstände eine Ergänzungsbetreuung erforderlich erscheint (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss v. 12.07.2004 – 3Z BR 095/04, 3Z BR 95/0BR 95/04 –, Rn. 10, juris). Dass die Beteiligte zu 2.) in konkreten Fällen bei der Ausübung des Betreueramtes verhindert sein wird, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
25III.
26Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.
27Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit beruht auf § 287 Abs. 2 FamFG.
28IV.
29Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, weil streitig und nicht höchstrichterlich entschieden ist, ob der anders lautende Wille des bemittelten Betroffenen im Sinne des § 1897 Abs. 4 BGB ausreicht, um den Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung gegenüber der Bestellung eines Berufsbetreuers entfallen zu lassen.
30Rechtsmittelbelehrung
31Gegen diesen Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt, die binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung dieses Beschlusses durch Einreichung einer schriftlichen Beschwerdeschrift beim Bundesgerichtshof eingelegt werden kann. Die Beschwerdeschrift muss den Beschluss bezeichnen, gegen den die Beschwerde eingelegt wird, die Erklärung, dass die Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird und sie muss unterschrieben sein. Die Beschwerde kann nur durch
32einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden (§§ 10 Abs. 4, 70 Abs. 3, 71 Abs. 1 FamFG).
33Unterschriften
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(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
- 1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.
(1) Beschlüsse über Umfang, Inhalt oder Bestand der Bestellung eines Betreuers, über die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts oder über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 300 werden mit der Bekanntgabe an den Betreuer wirksam.
(2) Ist die Bekanntgabe an den Betreuer nicht möglich oder ist Gefahr im Verzug, kann das Gericht die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses anordnen. In diesem Fall wird er wirksam, wenn der Beschluss und die Anordnung seiner sofortigen Wirksamkeit
- 1.
dem Betroffenen oder dem Verfahrenspfleger bekannt gegeben werden oder - 2.
der Geschäftsstelle zum Zweck der Bekanntgabe nach Nummer 1 übergeben werden.
(3) Ein Beschluss, der die Genehmigung nach § 1829 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Gegenstand hat, wird erst zwei Wochen nach Bekanntgabe an den Betreuer oder Bevollmächtigten sowie an den Verfahrenspfleger wirksam.
(1) Soweit eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, können die Beteiligten das Verfahren selbst betreiben.
(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte, soweit eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, vertretungsbefugt nur
- 1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen; - 2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und die Beteiligten, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht; - 3.
Notare.
(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Verfahrenshandlungen, die ein nicht vertretungsbefugter Bevollmächtigter bis zu seiner Zurückweisung vorgenommen hat, und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.
(4) Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Verfahren über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen und im Verfahren über die Verfahrenskostenhilfe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Für die Beiordnung eines Notanwaltes gelten die §§ 78b und 78c der Zivilprozessordnung entsprechend.
(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören.