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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der Klägerin steht aus übergegangenem Rechts (§ 116 SGB X i.V.m. § 823 BGB) kein Anspruch gegen den Beklagten auf Schadensersatz oder Feststellung zu. Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht für das Gericht fest, dass der Beklagte den Zeugen D. an Körper und Gesundheit nicht rechtswidrig und schuldhaft verletzt hat. Der Beklagte handelte in Notwehr und damit gerechtfertigt (§ 227 BGB).
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1. Zunächst ist eine eigenständige Tatsachenfeststellung durch das Gericht nicht deshalb entbehrlich, weil der Beklagte erstinstanzlich vom Amtsgericht Karlsruhe der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden und zur Ableistung von gemeinnütziger Arbeit verurteilt wurde (vgl. Urteil des AG Karlsruhe vom 21. Juli 2006 - 15 Ds 361 Js 10323/06 Jug.+Hw. - vgl. beigezogene Akte Seiten 151 - 159). Eine Bindung des Zivilrichters an strafgerichtliche Urteile ist mit der das Zivilprozessrecht beherrschenden freien Beweiswürdigung nicht vereinbar. Der Zivilrichter muss sich seine Überzeugung grundsätzlich selbst bilden. Allerdings darf er bei engem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang von Zivil- und Strafverfahren rechtskräftige Strafurteile nicht völlig unberücksichtigt lassen, er ist vielmehr gehalten, sich mit den Feststellungen auseinanderzusetzen, die für seine eigene Beweiswürdigung relevant sind (vgl. BGH, Urt. v. 27. September 1988 - XI ZR 8/88 - BGHR EGZPO § 14 Abs. 2 Nr. 1 Strafurteil 1; BGH, Urt. v. 22. September 1982- IVb ZR 576/80, in BGHZ 85, 32, 35; BAG, Urteil vom 22. Januar 1998 - 2 AZR 455/97 - NJW 1999, 82 unter II 2 b; Zöller/Greger, ZPO, Kommentar, 27. Auflage, Rn 1 zu § 581). Das Zivilgericht ist hinsichtlich der Beweisfrage über das Vorliegen einer Notwehrsituation also nicht an das Ergebnis einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung gebunden. Mithin fehlt die Bindung erst recht dann, wenn das Strafverfahren ohne eine der Rechtskraft fähige Entscheidung beendet wurde, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Kleine Jugendkammer des Landgerichts Karlsruhe in der Berufungsverhandlung wegen einer versöhnlichen Aussprache zwischen den Beteiligten das Verfahren gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 JGG eingestellt hat (vgl. beigezogene Akte Seite 213).
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2. Dem Beklagten steht der Rechtfertigungsgrund des § 227 BGB nur dann zur Seite, wenn der Faustschlag in das Gesicht des Zeugen D. zur Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs erforderlich war.
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Auch wer sich gegen Tätlichkeiten verteidigen muss, die er - wovon für den Streitfall auszugehen ist - nicht herausgefordert hat, steht unter dem Gebot, menschliches Leben und menschliche Gesundheit soweit wie nur irgend möglich zu erhalten. Grundsätzlich verlangt § 227 BGB - vom Missbrauch des Notwehrrechts durch völlig maßloses Verhalten abgesehen - nicht die Verhältnismäßigkeit der dem Verteidiger drohenden Gefahr zu dem von ihm mit der Verteidigung angerichteten Schaden (vgl. BGH Urt.v.19. April 1967 - 2 StR 14/67 = GA. 1968, 182, 183; BGH, Urt. v. 10. Januar 1956 - 1 StR 412/55 = NJW 1956, 920). Ein rechtswidrig Angegriffener darf - jedenfalls wenn er den Angriff nicht provoziert hat - dasjenige für ihn erreichbare Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr mit Sicherheit erwarten lässt; er braucht sich nicht auf ein weniger gefährliches Verteidigungsmittel verweisen zu lassen, dessen Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Das gilt nicht nur im Strafrecht für § 32 StGB (vgl. BGH, Urt. vom 26. Mai 1964 - 1 StR 90/64 = GA. 1965, 147, 148; vom 19. April 1967 - 2 StR 14/67 = aaO; vom 14. Juni 1972 - 2 StR 679/71 = NJW 1972, 1821 m.w.Nachw.), sondern ebenso für § 227 BGB (vgl. BGH, Urt.v. 23. September 1975 - VI ZR 232/73, in NJW 1976, 42).
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Im vorliegenden Fall ist das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger zusammen mit dem Zeugen L. und der Zeugin I. nach einer Geburtstagsfeier in der Neujahrsnacht 2006 in Karlsruhe an der S-Bahn-Haltestelle Europaplatz stand, als sie von den Zeugen C. und D. angesprochen wurden. Zwischen den fünf Personen entspann sich ein Streitgespräch, in dessen Verlauf es zu wechselseitigen Rempeleien kam. Als sich die Zeugin I. und der Zeuge L. von der Haltestelle entfernen wollten, bemerkten sie, dass der Zeuge D. auf den Beklagten, der eine abwehrende Haltung - gebückt oder schon kniend, die Hände schützend über den Kopf erhoben - eingenommen hatte, einschlug. Der Zeuge D. hatte, obwohl der Beklagte keinerlei Tätlichkeiten gegen ihn richtete und ersichtlich bemüht war, den Ort der Auseinandersetzung zu verlassen, grundlos begonnen, auf den Beklagten einzuschlagen. In dieser Situation eilte der Zeuge C. zu dem Zeugen D., wobei nicht aufzuklären war, ob zur Streitschlichtung, oder um sich an den Schlägen gegen den Beklagten zu beteiligen. Der Beklagte beließ es nicht bei der den Kopf schützenden Haltung, sondern schlug mit der Faust in Richtung des Zeugen D. und verletzte ihn im Gesicht. Dadurch wurde der Angriff des Zeugen D. unmittelbar beendet, denn der Zeuge D. fiel rücklings zu Boden, unfähig seinen Angriff bzw. die Schläge fortzusetzen.
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3. Das Gericht hat seine Feststellungen getroffen aufgrund der Vernehmung der Zeugen und den Einlassungen des Beklagten in seiner Befragung. Der Zeuge L. hat den Sachverhalt, wie festgestellt, geschildert. Seine Aussage ist ergiebig, weil der Zeuge als unmittelbar Betroffener den Geschehensablauf aus seiner eigenen Anschauung heraus hat schildern können. Das Gericht hält seine Aussage auch für glaubhaft, denn er hat den Tathergang widerspruchsfrei, detailreich und als eigenes Erlebnis geschildert. Der Zeuge L. konnte nämlich das Geschehen aus verschiedenen zeitlichen Perspektiven wiedergeben und war auch in der Lage, einzelne Geschehensabläufe auf Nachfrage noch konkreter zu beleuchten, sowie lebensnah und facettenreich darzustellen. Die Aussagen des Zeugen L. sind auch nicht in sich widersprüchlich und entsprechen dessen Angaben bei der Polizei (vgl. beigezogene Strafakte - 15 Ds ... - Seiten 35 - 39). Der Zeuge L. hat sowohl in der polizeilichen Vernehmung am 10. Januar 2006, als auch im Strafverfahren vor dem Amtsgericht Karlsruhe und vor dem Landgericht Karlsruhe, als auch im vorliegenden Verfahren das Tatgeschehen im Kern übereinstimmend geschildert. Soweit der Zeuge L. sich nicht teilweise mehr genau erinnern konnte, vermag dies an der glaubhaften Aussage nichts zu ändern. Dabei hat das Gericht vor allem berücksichtigt, dass das Tatgeschehen mittlerweile über drei Jahre zurückliegt. Der Zeuge ist auch glaubwürdig. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass der Zeuge L. durchaus Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat, weil er mit dem Beklagten befreundet ist. Das Gericht vermochte aber trotz der eindringlichen Befragung des Zeugen, insbesondere durch den Klägervertreter, einseitige Belastungstendenzen nicht zu erkennen. Insbesondere die Detailtreue des geschilderten Tathergangs lässt nicht darauf schließen, dass sich der Zeuge L. den Sachverhalt ausgedacht hat, um den Beklagten zu entlasten.
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Die Zeugenaussage entspricht auch der Einlassung des Beklagten im Rahmen seiner informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung vom 08. Juli 2009, (vgl. Protokoll Seiten 9/10 - AS 79/81) und den glaubhaften Ausführungen der glaubwürdigen Zeugin I..
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Diese Zeugin hat bei ihrer Vernehmung vom 08. Juli 2009 ebenso detailreich das Geschehen vom 01. Januar 2006 dargelegt (vgl. Protokoll Seiten 2 bis 4 - AS 65 - 69) und insbesondere für das Gericht nachvollziehbar und überzeugend in Übereinstimmung mit dem Zeugen L., ihrem Bruder, den Anfang des Streits, d.h. die Provokation durch den Zeugen D. und ihre ständigen Versuche, die Streitigkeiten zu beenden, geschildert. Ihre Aussage vor Gericht entsprechen dabei ihren Angaben gegenüber der Polizei vom 03. Januar 2006 (vgl. beigezogene Strafakte - 15 Ds ... - Seiten 19/21). Die Zeugin hat dabei in ihrer Vernehmung einen sicheren Eindruck vermittelt und ohne erkennbare Belastungstendenzen versucht, den gesamten Tathergang in seiner chronologischen Abfolge aufzuzeigen. Die Dynamik des eskalierenden Streits hat sie nachvollziehbar mit den Erinnerungslücken an die einzelnen Stellungen der Personen zueinander während der Bewegung von der Haltestelle zur Postgalerie nachvollzogen und auch für das Gericht erkennbar gemacht, wann es sich in ihren Aussagen nicht um Wahrnehmungen, sondern um Vermutungen handelte. Gerade das erkennbare Bemühen der Zeugin, niemanden zu Unrecht zu belasten und dennoch eine zusammenhängende, nachvollziehbare Aussage über das Geschehen zu machen, hinterließen den überzeugenden Eindruck, dass die Zeugin sich ihrer Verantwortung als Aussageperson vor Gericht bewusst war und deshalb für das Gericht glaubwürdig ist.
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Die Aussage des Zeugen C. war wenig ergiebig. Er hatte an das Geschehen, bzw. dessen Einzelheiten wenig Erinnerungen oder wollte sich aus Sorge, sich in Widerspruch mit früheren Aussagen zu setzen, nicht erinnern. Auffallend ist, dass der Zeuge C. in seiner Vernehmung vor der Polizei am 09. Januar 2006 noch als Ausgangspunkt der Handgreiflichkeiten eine Tätlichkeit der Zeugin I. gegen den Zeugen D. angab bzw. die Provokation für die Auseinandersetzung von den Zeugen L. und dem Beklagten ausgegangen sein soll (vgl. beigezogene Strafakte - 15 Ds 361 Js 10323/06 Jug.+Hw. - Seiten 23 - 29), in der mündlichen Verhandlung vom 08. Juli 2009 von solchen Provokationen oder einer Tätlichkeit der Zeugin I. jedoch keine Rede mehr war und der Zeuge C. sogar selbst einen Schlag zugegeben hat. Seine Schilderungen über die Dynamik des Geschehens, d.h. die Bewegungsabläufe von der Straßenbahnhaltestelle weg zu einer anderen Örtlichkeit decken sich auch insoweit mit den Angaben der beiden Zeugen I und L.. Er hat den Beklagten nicht ausdrücklich als Angreifer belastet und auch zugestanden, zusammen mit dem Zeugen D. den Beklagten später aus Rache überfallen und niedergeschlagen zu haben. Zwar hat der Zeuge auf Vorhalt seiner Aussage bei der Polizei sich auch auf diese Polizeiaussage berufen. Das Gericht ist jedoch davon überzeugt, dass der Zeuge aus Sorge um Widersprüche mit früheren Aussagen in seiner Vernehmung vom 08. Juli 2009 Erinnerungslücken an maßgebliche Details des Geschehens vom 01. Januar 2006 hatte und seine anfänglichen Schilderungen vor dem Zivilgericht eher der Wirklichkeit des damaligen Vorfalls entsprachen, als die Ausführungen vor der Polizei.
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Die Aussage des Zeugen D. in seiner Vernehmung vom 25. September 2009 waren nicht ergiebig. Er hatte an das Geschehen keine detaillierten Erinnerungen, oder wollte sich aus Sorge um widersprüchliche Angaben zu früheren Aussagen nicht erinnern. Im Widerspruch zu den Aussagen aller anderen Zeugen vor Gericht und auch den Polizeivernehmungen schilderte der Zeuge, er sei ohne Vorwarnung und ohne verbale Auseinandersetzungen sofort niedergeschlagen worden, ohne jedoch erkennen zu können, wer der Täter war (vgl. Protokoll Seiten 1 bis 3 - AS. 119 - 123). Diese Aussage steht auch im Widerspruch zu den durch seinen Anwalt S. im Strafverfahren geltend gemachten Beschwerdegründen gegen die Einstellung des Strafverfahrens (vgl. Schriftsatz vom 30. März 2006 in beigezogener Strafakte - 15 Ds … - Seiten 71/73) und das Protokoll seiner Vernehmung vor dem Amtsgericht Karlsruhe vom 21. Juli 2006 (beigezogene Akte Seite 123). Der Zeuge D. hat für das Gericht keine glaubhaften Angaben gemacht, die die Angaben der anderen Zeugen hätten widerlegen oder Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen L. und I. begründen können.
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4. Nach den getroffenen Feststellungen, wie sie oben dargelegt wurden, ist davon auszugehen, dass der Faustschlag des Beklagten gegen den Zeugen D. nach § 227 BGB gerechtfertigt war.
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a. Für den Beklagten bestand eine Notwehrlage. Dadurch, dass der Zeuge D. auf den Beklagten einschlug, ohne dass er den Zeugen D. selbst tätlich angriff, lag unter den festgestellten konkreten Umständen ein gegenwärtiger Angriff vor; die Verletzungshandlungen hatten bereits begonnen. Dieser Angriff war auch rechtswidrig. Insbesondere ist das Geschehen nicht als komplexer einheitlicher Vorgang einer Schlägerei zwischen mehreren Personen zu werten. Zwar mag bei einer Rauferei, bei der jeder der Beteiligten den Willen zur tätlichen Auseinandersetzung in einem für eine Rauferei üblichen Rahmen hat, ein sich in diesem Rahmen haltender Angriff grundsätzlich nicht rechtswidrig sein (vgl. RG, Urt. vom 20. Oktober 19139 - 6 D 545/39, in RGSt 73, 341, 342; Grothe in Münch. Komm. zum BGB 5. Aufl., 2006, § 227 Rn. 11 unter Hinweis auf OLG Saarbrücken VRS 42, 419, 420;). So lag es hier indes nicht, denn der Beklagte beschränkte sich bis zu seiner Verteidigung durch den Faustschlag auf eine verbale Auseinandersetzung und das Wegschubsen des ihn bedrängenden Zeugen D.; er setzte sich damit passiv zur Wehr.
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b. Unter den gegebenen Umständen war die Verteidigung des Beklagten auch erforderlich.
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Erforderlich ist die Verteidigung, die zur Abwehr des Angriffs zumindest teilweise geeignet ist und zugleich das relativ mildeste Gegenmittel darstellt
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Grothe aaO Rn. 13). Der Rahmen der erforderlichen Verteidigung wird durch die gesamten Umstände bestimmt, unter welchen Angriff und Abwehr sich abspielen, insbesondere durch die Stärke und Gefährlichkeit des Angreifers und die Verteidigungsmöglichkeit des Angegriffenen (vgl. BGH, Urt. vom 30. Oktober 1986 - 4 StR 505/86 - in NStZ 1987, 172; vom 28. Februar 1989 - 1 StR 741/88 - NJW 1989, 3027). Trutzwehr ist zwar erst erforderlich, wenn Schutzwehr keinen Erfolg verspricht oder sich bereits als erfolglos erwiesen hat. Der Verteidiger ist aber nur dann auf ungefährlichere Abwehrmaßnahmen verwiesen, wenn diese eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr mit Sicherheit erwarten lassen, ohne dass Zweifel über die Wirkung des Verteidigungsmittels verbleiben (vgl. BGH, Urt.v. 23. September 1975 - VI ZR 232/73 - in NJW 1976, 41, 42; BGH, Urt. vom 27. April 1982 - 5 StR 94/82 - in NStZ 1982, 285; Urt. vom 30. Juni 2004 - 2 StR 82/04 - in NStZ 2005, 31); auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang muss sich der Verteidiger nicht einlassen (vgl. BGH, Urt. vom 27. April 1982, a.a.O.).
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Nach diesen Maßstäben ist die Verteidigung des Beklagten mittels eines Faustschlags in das Gesicht des Zeugen erforderlich gewesen. Dass eine Beschränkung auf reine Schutzwehr erfolglos gewesen wäre, belegt das erfolglose Wegschubsen des Zeugen D. kurz zuvor. Dass Schläge gegen andere Körperregionen ein ebenso wirksames Abwehrmittel dargestellt hätten und eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr mit Sicherheit hätten erwarten lassen, ergeben die getroffenen Feststellungen nicht. Vielmehr durfte der Beklagte in dieser Weise verteidigen.
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Aus oben dargelegten Gründen ist der Faustschlag des Beklagten durch Notwehr gerechtfertigt und die Klage daher abzuweisen.
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