Landgericht Heilbronn Beschluss, 26. Juli 2005 - 1 T 283/05

bei uns veröffentlicht am26.07.2005

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schwäbisch Hall vom 01.07.2005 - - wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Beschwerdewert: bis 5.000,-- EUR

Gründe

 
I. Die Gläubigerin hat gegen den Schuldner einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 25. April 2003 erwirkt, mit dem unter anderem das Arbeitseinkommen des Schuldners bei der Drittschuldnerin zu 2 gepfändet wurde. Insoweit ist im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss folgendes ausgeführt:
„B. Von dem … errechneten Nettoeinkommen ergibt sich der pfändbare Betrag unter Berücksichtigung von Unterhaltspflichten des Schuldners aus der Tabelle zu § 850 c Abs. 3 ZPO (in der Fassung des siebten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 13. Dezember 2001, BGBL I Teil 1 S. 3638).“
Mit Schreiben vom 22.06.2005 beantragte die Gläubigerin den Erlass eines klarstellenden Beschlusses, wonach eine Erhöhung der Pfändungsfreibeträge nicht eintritt und es beim seitherigen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss bleibt und für die Pfändungsfreibeträge diejenigen des siebten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen nach wie vor gelten. Zur Begründung führte die Gläubigerin aus, die Bekanntmachung der Bundesregierung vom 25. Februar 2005, wonach sich die Pfändungsfreibeträge zum 01.07.2005 erhöhen, sei gesetzwidrig. Die Voraussetzungen des § 850 c Abs. 2 a ZPO lägen nicht vor, weil sich der Grundfreibetrag nach § 32 a Abs. 1 Nr. 1 des Einkommenssteuergesetzes im Vorjahreszeitraum, also vom 01.01.2004 auf 01.01.2005 nicht verändert habe. Demzufolge liege eine Ermächtigung durch den Gesetzgeber für die Bundesregierung zum Erlass der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung 2005 nicht vor.
Mit Beschluss vom 01.07.2005 wies das Amtsgericht den Antrag der Gläubigerin zurück. Im wesentlichen führt das Amtsgericht zur Begründung aus, die Bestimmungen des achten Buches der Zivilprozessordnung sähen nicht vor, im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens in Kraft getretene Gesetzesbestimmungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Die Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung vom 25. Februar 2005 enthalte klare Bestimmungen. Da § 20 EGZPO lediglich für die vor dem 01.01.2002 ausgebrachten Pfändungen eine Übergangsregelung enthalte, sei zweifelsfrei, dass für die Forderungspfändung in diesem Verfahren die ab 01.07.2005 maßgebenden Regelungen gelten würden, selbst wenn im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht auf die Pfändungstabelle in der jeweils gültigen Fassung Bezug genommen werde. Eine Rechtsunsicherheit sei nicht gegeben.
Gegen diesen, der Gläubigerin am 05.07.2005 zugestellten Beschluss wendet sich die beim Amtsgericht am 07. Juli 2005 eingegangene und mit Schriftsatz vom 12.07.2005 begründete sofortige Beschwerde. Zur Begründung wird ergänzend ausgeführt, soweit ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hinsichtlich der Pfändungsfreigrenzen im Rahmen des siebten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen erlassen worden sei, gelte dies grundsätzlich über den 01.07.2005 hinaus fort. § 20 EGZPO sei nicht einschlägig, da hierin lediglich Übergangsvorschriften zum siebten Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vorgesehen seien, nicht aber Übergangsvorschriften zur Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung vom 25. Februar 2005.
Mit Beschluss vom 13. Juli 2005 erklärte das Amtsgericht Nichtabhilfe und legte die Akten dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vor.
II. 1. Die gem. § 793 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht eingelegt.
2. In der Sache bleibt das Rechtsmittel indessen ohne Erfolg.
a) Die Beschwerdekammer ist der Auffassung, dass entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin die gesetzlichen Voraussetzungen des § 850 c Abs. 2 a ZPO für den Erlass der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung vom 25. Februar 2005 (BGBL I 2005, S. 493) gegeben sind.
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aa) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und einem Teil der Literatur (vgl. Zöller, Kommentar zur ZPO, 25. Aufl., § 850 c, Rn. 10 a) lässt sich aus dem Wortlaut der entsprechenden gesetzlichen Bestimmung nicht herleiten, dass Änderungen nach dem 01.07.2003 (für die Zeit bis 30.06.2003 ist eine Änderung nicht erfolgt, vgl. Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung BGBL I 2003, S. 276), nur nach der einjährigen Vorjahreszeitraumentwicklung des Freibetrages erfolgen dürfen. Das Gesetz spricht insoweit nicht nur vom Vorjahreszeitraum, sondern vom jeweiligen Vorjahreszeitraum. Der Begriff „Vorjahreszeitraum“ bedeutet nicht zwingend, dass damit lediglich ein Einjahreszeitraum gemeint ist. Ebenso gut kann alleine schon nach dem Wortlaut darunter ein bestimmter, mehrjähriger Zeitraum verstanden werden. Dass dies vom Gesetzgeber so gewollt war, ergibt sich im Rahmen der systematischen Auslegung: Nachdem in § 850 c Abs. 2 a ZPO zunächst vorgegeben wird, dass sich die unpfändbaren Beträge jeweils zum 01. Juli eines jeden zweiten Jahres ändern, stellt die folgende Bezugnahme auf den Vergleich zum jeweiligen Vorjahreszeitraum eindeutig klar, dass als Vergleichszeitraum der zuvor genannte Zweijahreszeitraum zu Grunde zu legen ist. Dies wird zudem dadurch bestärkt, dass im Folgenden festgelegt ist, dass der Berechnung die am 01. Januar des jeweiligen Jahres (gemeint ist jeweils das Jahr im Zweijahresabstand zum 01. Juli 2001) geltende Fassung des § 32 a Abs. 1 Nr. 1 Einkommenssteuergesetz zu Grunde zu legen ist.
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bb) Diese Auslegung gebietet im Übrigen auch der Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschrift: Bereits aus dem Gesetzeswortlaut wird deutlich, dass die unpfändbaren Beträge sich insgesamt aus der ergebenden prozentualen Veränderung des Grundfreibetrages nach § 32 a Abs. 1 Nr. 1 EStG richten sollen. Dies gilt umso mehr, als die Regelung des § 850 c Abs. 2 a ZPO das Ziel verfolgt, das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum der Schuldner sicherzustellen (vgl. insoweit BVerfGE 87, 153 ff; Musielak, Kommentar zur ZPO, § 850 c, Rn. 6 a). Der Schutz des existenznotwendigen Bedarfs im Sinne des sozialhilferechtlichen Mindestbedarfs findet durchgehend auch in den Pfändungsvorschriften §§ 850 ff ZPO Berücksichtigung: Die Vorschrift des § 850 c ZPO soll dem Schuldner und seinen Angehörigen nämlich genau dieses Existenzminimum sichern, da das Sozialstaatsprinzip verlangt, dem Erwerbstätigen von seinen Bezügen wenigstens das zu belassen, was der Staat dem Bedürftigen zur Deckung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln gewährt. Diese Regelung ist auch berechtigt, da sie verhindert, dass private Schulden letztlich von der Allgemeinheit durch Sozialhilfe bzw. heute durch Arbeitslosengeld II bezahlt werden.
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cc) Bezogen auf den Vergleichszeitraum 01.01.2003 bis 01.01.2005 ergibt sich eine Erhöhung des Grundfreibetrages nach § 32 a Abs. 1 Nr. EStG von 7.235,-- EUR auf 7.664,-- EUR (vgl. Bekanntmachung vom 19. Oktober 2002, BGBL I, 4210 sowie Art. 9 Nr. 24 des Gesetzes vom 29.12.2003, BGBL I, 3076 mit Wirkung vom 01.01.2004). Damit aber liegt eine prozentuale Erhöhung des Grundfreibetrages in dem Umfang vor, in dem auch die Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung vom 25. Februar 2005 die Pfändungsfreigrenzen vom 01.07.2005 anhebt.
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b) Die Kammer teilt auch die Auffassung des Amtsgerichts dahingehend, dass auch für Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, die nicht auf die Pfändungstabelle in der jeweils gültigen Fassung Bezug nehmen, ihrerseits aber überhaupt auf die Tabelle in § 850 c ZPO Bezug nehmen, automatisch die Änderung der Pfändungsfreibeträge nach § 850 c Abs. 2 a ZPO beinhalten. Die Inbezugnahme auf die Tabelle im Pfändungsbeschluss nach § 850 c Abs. 3 Satz 2 ZPO verweist insoweit auf die jeweils bekannt gemachte neu geltende Tabelle. Für die Berechnung der pfändbaren Einkommensteile durch den Drittschuldner ist daher kein Änderungsbeschluss erforderlich (vgl. Zöller, a.a.O., § 850 c ZPO Rn. 10 a; Musielak, § 850 c ZPO, Rn. 1; 6 a). Alleine auch diese Auslegung sichert die vom Gesetzgeber verfolgte Zielsetzung, das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum der Schuldner konkret zu schützen. Diesem Schutz dient die dynamische Verweisung auf die Steuergrundfreibeträge des § 32 a Abs. 1 Nr. 1 Einkommenssteuergesetz.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; der Beschwerdewert wurde gem. § 3 ZPO mit einem Bruchteil der Forderung der Gläubigerin festgesetzt.
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4. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung vom 25. Februar 2005 und der Geltung der Tabelle § 850 c ZPO in jeweils aktuellem Stand auf alle Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, die hinsichtlich der Pfändungsfreigrenzen überhaupt auf die Tabellen zu § 850 c ZPO Bezug nehmen, hat die Kammer die Rechtsbeschwerde zugelassen, da die Rechtssache insoweit grundsätzliche Bedeutung hat.

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Referenzen - Gesetze

Landgericht Heilbronn Beschluss, 26. Juli 2005 - 1 T 283/05 zitiert 7 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen


Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 793 Sofortige Beschwerde


Gegen Entscheidungen, die im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen können, findet sofortige Beschwerde statt.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 850 Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen


(1) Arbeitseinkommen, das in Geld zahlbar ist, kann nur nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i gepfändet werden. (2) Arbeitseinkommen im Sinne dieser Vorschrift sind die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten, Arbeits- und Dienstlöhne, Ruhegelder u

Bekanntmachung zu § 850c der Zivilprozessordnung


Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung 2005

Referenzen

Gegen Entscheidungen, die im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen können, findet sofortige Beschwerde statt.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.