Landgericht Hechingen Beschluss, 08. Aug. 2008 - 1 Qs 84/08

08.08.2008

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hechingen gegen den Beschluss des Amtsgerichtes Albstadt vom 02. Juli 2008 wird als unbegründet verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Beschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

 
Mit ihrem Rechtsmittel wendet sich die Staatsanwaltschaft Hechingen gegen den Beschluss des Amtsgerichtes Albstadt vom 02. Juli 2008, wodurch der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls vom 04. April 2008 abgelehnt wurde.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die Staatsanwaltschaft beantragte mit Schreiben vom 04. April 2008 Strafbefehl gegen den Beschuldigten und legte ihm Verstöße gegen § 4 Gewaltschutzgesetz zur Last.
Der Beschuldigte wurde durch Urteil des Amtsgerichtes Albstadt, 5 C 186/07, aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17. Juli 2007 wie folgt verurteilt:
„ 1. Dem Verfügungsbeklagten wird untersagt, sich dem Grundstück mit Gebäude ... Str. in … auf weniger als 100 Meter zu nähern.
2. Dem Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die unter Ziff. 1 genannte Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,- EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft von einer Dauer von bis zu insgesamt 6 Monaten angedroht.
3. Die Anordnung ist bis zum 31.12.2007 befristet.“
Dieses Urteil wurde von Amts wegen durch Einlegung in den Briefkasten am 24. Juli 2007 zugestellt.
Dem Beschuldigten wird nun durch die Staatsanwaltschaft vorgeworfen, er habe dem Unterlassungsgebot aus dem Urteil des Amtsgerichtes Hechingen vom 20. Juli 2007 durch Handlungen vom 24. November 2007 zuwider gehandelt.
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Der Erlass des Strafbefehls war aus Rechtsgründen abzulehnen, eine Strafbarkeit nach § 4 Gewaltschutzgesetz setzt nicht nur voraus, dass eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 1 Gewaltschutzgesetz gegenüber dem Beschuldigten wirksam geworden ist - hier durch Verkündung des Urteil am 20. Juli 2007 - sondern auch deren Vollstreckbarkeit.
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Ob eine gegenüber dem Beschuldigten wirksame vollstreckbare Anordnung vorliegt, ist deshalb nach den hierfür geltenden zivilrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen.
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Die konkrete Vollstreckbarkeit gegenüber dem Beschuldigten ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH NJW 2007, 1605 f.) nur dann gegeben, wenn der Verfügungskläger die einstweilige Verfügung gemäß §§ 936, 929 II ZPO gegenüber dem Beschuldigten innerhalb der Frist des § 929 II ZPO vollzogen hat. Vollziehung i.S.d. § 929 ZPO bedeutet bei Unterlassungsverfügungen die Betätigung der Verfügung i.d.R. durch Parteizustellung.
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Ausnahmsweise ist bei Unterlassungsverfügungen, die durch Urteil ergangen sind und somit von Amts wegen i.S.d. § 317 I 1 ZPO zugestellt wurden, keine -zusätzliche - Parteizustellung notwendig, wenn das Urteil mit Strafandrohung i.S.d. § 890 II ZPO versehen ist und sich die Parteizustellung als bloße Förmelei darstellen würde, weil sich das Gebrauchmachen und der Betätigungswille aus anderen Umstände eindeutig herleiten lassen (Zöller, ZPO, 22.Aufl., § 929, Rn. 12).
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Dies bedeutet, dass zwar nicht ausschließlich durch Parteizustellung von einer einstweiligen Verfügung Gebrauch gemacht werden kann (vgl. hierzu BGH IX ZR 148/88, Urteil vom 13.04.1989 ), aber der Amtszustellung allein das spezifisch vollstreckungsrechtliche Element fehlt, aus dem der Betätigungswille des Gläubigers hergeleitet werden könnte (BGH, IX ZR 36/92, Urteil vom 22. Oktober 1992). Dies gilt im Anwendungsbereich des Gewaltschutzgesetzes in besonderem Maße, da im Hinblick auf die regelmäßig psychisch angespannte Situation der Beteiligten es auch immer wieder zu spontanen Sinneswandlungen der Beteiligten kommen kann - im Gegensatz etwa zu Unterlassungsverfügungen z.B. im wettbewerbsrechtlichen Bereich, wo teilweise die Rechtsprechung bereits aus dem Antrag auf einstweilige Verfügung mit Strafandrohung auf einen Betätigungswillen schließt (vgl. hierzu OLG Stuttgart, 2 U 215/96, Urteil vom 28. April 1997, Zöller aaO, § 929 Rn. 18).
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Die Entscheidung, ob von der einstweiligen Verfügung Gebrauch gemacht werden soll - mit den sich unter Umständen daraus ergebenden Schadensersatzansprüchen nach § 945 ZPO - soll in der Hand des Antragsstellers bleiben. Daher kann auf ein Betätigen der einstweiligen Verfügung gerade im Bereich des Gewaltschutzgesetzes nicht verzichtet werden.
16 
Vorliegend sind keine Handlungen ersichtlich, aus denen auf einen Betätigungswillen nach Urteilsverkündung geschlossen werden kann, weder aufgrund Parteizustellung noch aufgrund sonstiger Vollziehungshandlungen.
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Eine Vollziehung des Urteils des Amtsgerichts Albstadt nach § 929 II ZPO ist nun nicht mehr möglich, da die Vollziehungsfrist von einem Monat abgelaufen ist.
18 
Im Übrigen liegt auch kein Nachweis vor, wonach dem Beschuldigten das Urteil des Amtsgerichtes Albstadt tatsächlich zur Kenntnis gelangt ist, da dies ausweislich der Zustellungsurkunde lediglich in den Briefkasten eingelegt wurde.
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Der Erlass eines Strafbefehls war daher abzulehnen.
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Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 473 StGB.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 929 Vollstreckungsklausel; Vollziehungsfrist


(1) Arrestbefehle bedürfen der Vollstreckungsklausel nur, wenn die Vollziehung für einen anderen als den in dem Befehl bezeichneten Gläubiger oder gegen einen anderen als den in dem Befehl bezeichneten Schuldner erfolgen soll. (2) Die Vollziehung

Zivilprozessordnung - ZPO | § 945 Schadensersatzpflicht


Erweist sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel auf Grund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung er

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(1) Arrestbefehle bedürfen der Vollstreckungsklausel nur, wenn die Vollziehung für einen anderen als den in dem Befehl bezeichneten Gläubiger oder gegen einen anderen als den in dem Befehl bezeichneten Schuldner erfolgen soll.

(2) Die Vollziehung des Arrestbefehls ist unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Kann ein ausländischer Sicherungstitel im Inland ohne vorherige Vollstreckbarerklärung vollzogen werden, so beträgt die Frist nach Satz 1 zwei Monate.

(3) Die Vollziehung ist vor der Zustellung des Arrestbefehls an den Schuldner zulässig. Sie ist jedoch ohne Wirkung, wenn die Zustellung nicht innerhalb einer Woche nach der Vollziehung und vor Ablauf der für diese im vorhergehenden Absatz bestimmten Frist erfolgt.

Erweist sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel auf Grund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel oder dadurch entsteht, dass er Sicherheit leistet, um die Vollziehung abzuwenden oder die Aufhebung der Maßregel zu erwirken.