Landgericht Hechingen Beschluss, 17. Jan. 2005 - 1 Qs 4/05

17.01.2005

Tenor

Unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Hechingen vom 11. Januar 2005 wird die mit Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 08. Juli 2004 angeordnete Beschlagnahme der in diesem genannten, bestehenden und künftigen Forderungen der Verfallsbeteiligten aus allen vorhandenen Geschäftsverbindungen (Konten, Depots etc.) mit der..., insbesondere aus den Konten Nr. ... und Nr. ... in voller Höhe bis längstens 07. April 2005 verlängert.

Gründe

 
Mit Beschluss vom 08. Juli 2004 hat das Amtsgericht Hechingen gemäß §§ 111 b Abs. 1, 111 e Abs. 1 StPO die im Tenor genannten Forderungen zum Zwecke der Sicherung des endgültigen Verfalls beschlagnahmt.
Am 04. Januar 2005 hat die Staatsanwaltschaft Hechingen entsprechend § 111 b Abs. 3 Satz 2 StPO beantragt, die mit dem genannten Beschluss angeordnete Maßnahme um drei Monate zu verlängern, da dies aufgrund der umfangreichen Ermittlungen mit Auslandsbezug erforderlich sei.
Mit ihrem Rechtsmittel wendet sich die Staatsanwaltschaft Hechingen gegen den hierauf ergangenen Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 11. Januar 2005, wodurch die beantragte Verlängerung nicht gewährt und der Beschluss vom 08. Juli 2004 aufgehoben wurde.
Das Amtsgericht ist mit der herrschenden Meinung in der Kommentarliteratur der Rechtsauffassung, dass nach Ablauf der 6-Monatsfrist des § 111 b Abs. 3 Satz 1 StPO ein dringender Tatverdacht gegeben sein müsse, welcher alleine dringende Gründe für die Annahme der endgültigen Anordnung des Verfalls im Hauptverfahren begründen könne, welchen das Amtsgericht nicht zu erkennen vermag.
Die Staatsanwaltschaft Hechingen ist der Auffassung dass sich aus dem Wortlaut der genannten Norm „dringende Gründe im Sinne des Satzes 1“ das Erfordernis eines dringenden Tatverdachts nicht herleiten lasse, sondern lediglich besondere Schwierigkeit oder besonderer Umfang der Ermittlungen vorliegen müssen.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Kammer verkennt nicht, dass die den angefochtenen Beschluss begründende Rechtsauffassung auf der herrschenden Meinung der Kommentarliteratur (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 111 b Rn.8 sowie Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl. § 111 b Rn. 8) und auf wissenschaftlichen Beiträgen (des für die Kammer ersichtlich einzigen wissenschaftlichen Bearbeiters Hetzer in NJW 1998, 1023 sowie Kriminalistik 1998, 239) fußt und dass die genannten Fundstellen ihrerseits zur Begründung ihrer Rechtsauslegung auf den Willen des Gesetzgebers rekurrieren, wie er im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck gekommen sei.
Dieser zufolge habe mit der Novellierung der Vorschrift mit Gesetz vom 4. Mai 1998 in der seither geltenden Fassung ein Paradigmenwechsel vorgenommen werden sollen: Während ursprünglich schon von Anbeginn der Maßnahme an dringende Gründe für die Annahme der endgültigen Anordnung des Verfalls im Hauptsacheverfahren und damit ein dringender Tatverdacht gegen die Beschuldigten erforderlich gewesen sei, sei für die Anordnung der Maßnahme bis zum Ablauf von sechs Monaten nunmehr nur ein Anfangs- oder sogenannter einfacher Tatverdacht ausreichend. Dies habe seinen Grund darin, dass gerade in Fällen, in denen Vermögenswerte gesichert würden, häufig undurchsichtige Organisationsstrukturen sowie verwickelte Finanzierungsstrukturen vorlägen, die nur in zeitaufwendiger Ermittlungsarbeit - häufig auch mit Ermittlungen im Ausland - durchleuchtet werden könnten. Deshalb habe den Staatsanwaltschaften ein Zeitraum von sechs Monaten zugestanden werden sollen, in welchem sie Gelegenheit bekommen sollten einen dringenden Tatverdacht gegen die Beschuldigten begründen zu können. Nach der Motivation des Gesetzgebers komme aber eine Fortdauer der Maßnahme über diesen in § 111 b Abs. 3 Satz 1 StPO normierten Zeitraum hinaus nur in Betracht, wenn spätestens zu diesem Zeitpunkt ein dringender Tatverdacht von der Staatsanwaltschaft dargetan werden könne (vgl. obige Fundstellen).
Die Kammer ist indes der Auffassung, dass diese Auslegung, die sich rein an dem Willen des Gesetzgebers orientiert, gegen den eindeutigen und sinnhaltigen Wortlaut der Vorschrift verstößt. Bei Widersprüchen findet indes eine Auslegung ihre Grenze an dem Wortlaut einer Vorschrift, wenn dieser eindeutig ist und zu einer sinnvollen Anwendung des Gesetzes führt (BVerfGE 8, 28, 33).
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So liegt der Fall nach Auffassung der Kammer hier. § 111 b Abs. 3 Satz 1 StPO bestimmt, dass die Maßnahme aufzuheben ist, wenn nicht spätestens sechs Monate nach Anordnung der Sicherungsmaßnahme dringende Gründe für die Erwartung vorliegt, dass der Verfall endgültig im Hauptverfahren angeordnet werden wird. Die Verwendung der Formulierung „dringende Gründe“ ist dieselbe wie in § 111 a StPO und damit entsprechend der in Literatur und obergerichtlicher Rechtsprechung einheitlichen Auffassung als Erfordernis eines dringenden Tatverdachts im Rahmen beider Normen zu werten.
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Dies bedeutet in Übereinstimmung mit den genannten Fundstellen in der Literatur und mit dem Willen des Gesetzgebers, dass seit der Novellierung für die Anordnung der Maßnahme zunächst der einfache Tatverdacht ausreichen soll. Die Kammer verkennt zwar nicht, dass die Formulierung „so hebt der Richter die in Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 genannten Maßnahmen spätestens nach sechs Monaten auf“ auch so verstanden werden kann, dass schon vor Ablauf der 6-Monatsfrist ein dringender Tatverdacht erforderlich ist, wie die Verwendung des Wortes spätestens nahe legt. Da eine solche am Wortlaut orientierte Auslegung indes zur gleichen Rechtslage führen würde, wie sie vor der Novellierung in grammatikalisch sauberer und einwandfreier Formulierung bestand, geht die Kammer davon aus, dass trotz Verwendung des Wortes spätestens eine Änderung der Rechtslage gewollt war, wie sich aus den Unterlagen zum Gesetzgebungsverfahren (siehe angegebene Fundstellen mit entsprechenden Nachweisen) ergibt. Demgegenüber ist der Wortlaut des § 111 b Abs. 3 Satz 2 StPO nach Auffassung der Kammer eindeutig: Wenn die in § 111 b Abs. 3 Satz 2 StPO bezeichnete Frist nicht ausreicht, so kann der Richter auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Maßnahmen um nochmals längstens drei Monate verlängern, wenn die genannten Gründe ihre Fortdauer rechtfertigen.
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Die Kammer verkennt nicht, dass die in der angefochtenen Entscheidung zitierten und auch im vorliegenden Beschluss genannten Fundstellen sich einig sind, dass nach Ablauf von sechs Monaten in jedem Falle ein dringender Tatverdacht zu verlangen sei, weil sich dies aus dem Gesetzgebungsverfahren und dem vorher geltenden Rechtsstand so ergebe, demzufolge die neu eingeführte Regelung des § 111 b Abs. 3 StPO einen solchen nach Ablauf von sechs Monaten verlangen wollte. Indes findet dieser Wille des Gesetzgebers nach Auffassung der Kammer keinerlei Niederschlag in der Formulierung des § 111 b Abs. 3 Satz 2 StPO. Wollte in jedem Falle ein dringender Tatverdacht und damit dringende Gründe für die Annahme verlangt werden, dass die Maßnahme des Verfalls im Hauptverfahren angeordnet werden wird, sobald die Maßnahme sechs Monate angeordnet war, dann würde sich die Regelung des § 111 b Abs. 3 Satz 2 StPO erübrigen, die Formulierung wäre sinnlos. Die Maßnahme könnte dann nämlich in jedem Falle nur noch bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts aufrecht erhalten bleiben, ansonsten müsste sie in jedem Falle aufgehoben werden. Dies bringt indes bereits § 111 b Abs. 3 Satz 1 StPO unzweideutig zum Ausdruck. Sinnvoll lässt sich deshalb § 111 b Abs. 3 Satz 2 StPO nur so verstehen, dass eine Fristverlängerung von drei Monaten auf Antrag der Staatsanwaltschaft einzuräumen ist, wenn aufgrund der besonderen Schwierigkeit oder besonderen Umfangs der Ermittlungen oder wegen eines anderen wichtigen Grundes der Staatsanwaltschaft die Darlegung eines dringenden Tatverdachts ausnahmsweise in der Regelfrist des Satzes 1 nicht möglich ist. Ein anderer Sinngehalt kann der Formulierung des Satzes 2 bei verständiger Wertung nicht zukommen. Ausdrücklich ist auf die in Satz 1 bezeichnete Frist Bezug genommen und es wird eine Ausnahmeregelung für den Fall getroffen, dass aufgrund besonderer Umstände, die näher ausgeführt sind, eine Verlängerung der Frist gerechtfertigt ist. Wollte Absatz 3 insgesamt so verstanden werden, wie dies die Kommentarliteratur tut, wäre dieser Passus überflüssig und irrelevant, da in jedem Falle ein dringender Tatverdacht erforderlich ist. Die Darlegung besonderer Umstände, die einen solchen bislang nicht zu begründen vermochten, wäre überflüssig, ja sinnlos. Dass der Gesetzgeber eine sinnlose Regelung geschaffen hat, mag die Kammer nicht annehmen. Sie verkennt zwar nicht den gesetzgeberischen Willen, den die Kommentarliteratur anführt, indes findet der gesetzgeberische Wille bei der Gesetzesauslegung immer am Wortlaut der Norm seine Grenze, wenn dieser eindeutig und aus sich heraus verständlich und im Zusammenspiel mit anderen Passagen der Norm sinnvoll aus sich heraus auszulegen ist (vgl. BVerfG, a.a.O.). Die Kammer ist der Überzeugung, dass die von ihr gefundene Auslegungsregel alleine die Vorschrift des § 111 b Abs. 3 Satz 2 StPO mit Sinngehalt erfüllt, ansonsten der Passus obsolet wäre. Es mag befremden, dass der Wille des Gesetzgebers bei dieser Auslegung der Norm seinen Niederschlag im Gesetz nicht gefunden hat, indes teilt die Norm nur das Schicksal einiger Normen, die in den letzten Jahren geschaffen wurden.
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Die Kammer ist darüber hinaus der Auffassung, dass aufgrund der besonderen Schwierigkeit und des besonderen Umfangs der Ermittlungen eine Verlängerung der Frist gerechtfertigt ist. Zwar ergeben sich diese Umstände nicht aus dem Antrag der Staatsanwaltschaft Hechingen vom 04. Januar 2005, der sich zur Begründung in der bloßen Wiederholung des Gesetzeswortlautes erschöpft. Indes ergibt sich solches aus dem Bericht des Sachbearbeiters der Kriminalpolizei B, Herrn vom 29. Dezember 2004, wonach bislang weder Identität noch Umfang der Beteiligung der Verfallsbeteiligten geklärt sind. Dies beruht auch im vorliegenden Falle auf besonderen Schwierigkeiten der Ermittlung, namentlich auf der Tatsache, dass es sich bei ihnen um Bürger der Russischen Föderation handelt, die mutmaßlich in Moskau leben und hinsichtlich derer Beteiligung und Identität derzeit noch Informationen von russischen Behörden im Wege der Rechtshilfe eingeholt werden. Dass solche Ermittlungsmaßnahmen besonderen Zeitaufwand erfordern, ist der Kammer hinlänglich bekannt.
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Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs ist die weitere Fortdauer der Maßnahme auch nicht unverhältnismäßig.
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Der angefochtene Beschluss war deshalb aufzuheben und entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft Hechingen die Fortdauer der Maßnahme für (letztmals) drei Monate anzuordnen.

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