Landgericht Hechingen Beschluss, 05. Dez. 2005 - 1 Qs 135/05

bei uns veröffentlicht am05.12.2005

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hechingen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 24. November 2005 wird als unbegründet

v e r w o r f e n.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten in diesem fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

 
Mit ihrem Rechtsmittel wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 24. November 2005, wodurch der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 22. November 2005 auf Erlass eines Strafbefehles gegen den Angeschuldigten abgelehnt wurde.
Mit ihrem Antrag hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten vier Vergehen nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 Abs. 4 Fleischhygienegesetz (im folgenden FlHG) zum Vorwurf gemacht, da er im Zeitraum zwischen dem 10. Februar 2003 und dem 27. Oktober 2003 in vier Fällen den erforderlichen BSE-Test im Vertrauen auf die Angaben des Metzgers B. unterlassen habe, das Alter der Rinder liege nicht über zwei Jahre. Dies habe für den Angeschuldigten vorhersehbar und vermeidbar zur Folge gehabt, dass in diesen vier Fällen Rinder geschlachtet und ihr Fleisch in Verkehr gebracht worden seien, ohne dass zuvor die vorgeschriebene BSE-Untersuchung durchgeführt worden sei.
Die zulässige sofortige Beschwerde war aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die auch durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, als unbegründet zu verwerfen.
Zu Recht hat sich das Amtsgericht die Rechtsauffassung des OLG München im Urteil vom 18. Juli 2005, Aktenzeichen: 4 St RR 114/05 zu eigen gemacht, wonach die Freigabe des Fleisches durch einen Tierarzt kein Inverkehrbringen nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 FlHG darstellt, wenn er fahrlässig eine gesetzlich vorgeschriebene Untersuchung des Fleisches eines geschlachteten Tieres unterlässt.
Mit dem Amtsgericht und dem OLG München ist die Kammer der Auffassung, dass der Angeschuldigte untersuchungspflichtiges Fleisch nicht in den Verkehr gebracht hat, bevor die vorgesehene Untersuchung durchgeführt worden ist.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt die Kammer auf die ausführliche Begründung des angefochtenen Beschlusses Bezug, die ihrerseits die Begründung des bereits erwähnten Urteils des OLG München wiedergibt.
Ergänzend bemerkt die Kammer, dass auch zu § 7 Abs. 1 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, der das Inverkehrbringen als Anbieten, Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, als Feilhalten und jedes Abgeben an andere definiert, bis heute die Rechtsauffassung Gültigkeit hat, dass das Inverkehrbringen jede Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt auf einen Dritten bedeutet, so dass dieser nach eigenem Gutdünken über die Ware verfügen kann, und damit er selbst tatsächliche Verfügungsgewalt haben muss (Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, L 52, § 7 Rn. 8) und andererseits aber auch die bloße Abgabe als jede körperliche Übergabe an andere einen Wechsel der Verfügungsgewalt voraussetzt, weshalb auch die Freigabe von genussuntauglichem Fleisch durch den Fleischbeschauer kein Abgeben im Rechtssinne darstellt (Erbs/Kohlhaas, a.a.O., Rn. 16 m.w.N., Rn.19).
Die Beschwerdebegründung geht fehl, soweit sie zur Begründung der Strafbarkeit des Tuns des Angeschuldigten auf die Grundsätze der Strafbarkeit fahrlässigen Tuns Ausführungen macht, die sämtlich der Dogmatik des Fahrlässigkeitsvorwurfes bei Erfolgsdelikten entlehnt sind. In der Tat kann die Täterschaft bei einem fahrlässigen Erfolgsdelikt nur dadurch eingegrenzt werden, dass zunächst die Kausalität der Handlung oder der Unterlassung des Handelnden dergestalt festgestellt wird, dass sie nicht hinzu- oder hinweg gedacht werden kann, ohne dass der tatbestandliche Erfolg entfiele. Jede hierunter fallende Tatbestandshandlung ist sodann fahrlässige Verursachung, wenn sie auf einem objektiv und subjektiv vorwerfbaren Sorgfaltspflichtverstoß beruht.
Dass der Angeschuldigte gegen berufliche Sorgfaltspflichten verstoßen hat, bedarf keiner näheren Erörterung. Indes kann die Dogmatik zum fahrlässigen Erfolgsdelikt nicht ohne weiteres auf die Struktur der fahrlässigen Handlungs- und Unterlassungsdelikte wie das vorliegende übertragen werden. Diese Konstruktion verkennt, das vor allem im Nebenstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht eine Vielzahl von fahrlässigen Tätigkeits- oder Unterlassungsdelikten existent sind, für die die zu den Erfolgsdelikten entwickelten Kriterien nicht unmittelbar angewendet werden können (Schönke-Schröder, StGB, 26. Aufl. § 15 Rn. 110 a). Anders als die fahrlässigen Erfolgsdelikte wie zum Beispiel die fahrlässige Körperverletzung oder die fahrlässige Tötung richtet sich das fahrlässige Handlungsdelikt an eingrenzbare, bestimmte Normadressaten. So macht sich nach der streitigen Norm des § 28 FlHG nur strafbar, wer Fleisch in Verkehr bringt. Hierbei ist schon jede Weitergabe, auch noch in Händlerkreisen, tatbestandserfüllend. Das bedeutet, dass eine Verbringung zum Endverbraucher und damit eine drohende oder eintretende Gesundheitsbeeinträchtigung zur Tatbestandserfüllung nicht erforderlich ist, also bloßes Handlungsunrecht, nicht aber Erfolgsunrecht unter Strafe gestellt werden soll. Richtet sich die Norm aber an diejenigen, die mit dem Fleisch Kontakt haben, so kann vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des OLG München, der die Kammer folgt, nur derjenige Fleisch in irgend einer Form in Verkehr bringen, der Verfügungsgewalt darüber hat. Nur diesen Normadressaten kann sodann abgestuft Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorgeworfen werden.
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Die Verengung der Betrachtungsweise auf das Erfolgsdelikt indes stammt aus einer Zeit, in der die wenigen Fahrlässigkeitstatbestände dieses Typs die Rechtsdiskussion beherrschten (Schönke-Schröder, a.a.O., Rn 115). Auf die im Nebenstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht vor allem in jüngerer Zeit aus dem Boden geschossenen fahrlässigen Handlungsdelikte ist diese Sichtweise angesichts eingrenzbarer Normadressaten nicht ohne weiteres mehr übertragbar.
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Dass der Angeschuldigte als Fleischbeschauer eine Verfügungsgewalt im rechtlichen Sinne nicht hat, ergibt sich auch nach Auffassung der Kammer aus den zutreffenden Ausführungen des OLG München. Die bloße Möglichkeit der Beschlagnahme stellt gerade keine Verfügungsbefugnis dar (Erbs/Kohlhaas, a.a.O.). Ein strafrechtlicher Vorwurf kann auch nach Auffassung der Kammer dem Fleischbeschauer daher nur gemacht werden, wenn er zu einer vorsätzlichen Tat Beihilfe leistet. Obschon vorliegend nach Auffassung der Kammer Anhaltspunkte für einen dolus eventualis des Metzgers vorlagen, haben Staatsanwaltschaft und Amtsgericht indes lediglich auf eine Fahrlässigkeitstat des Metzgers erkannt, weshalb eine mögliche, strafbare Beihilfehandlung des Angeschuldigten ausscheidet.
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Nach alledem war das Rechtsmittel mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1, Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

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Landgericht Hechingen Beschluss, 05. Dez. 2005 - 1 Qs 135/05 zitiert 2 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

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(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.