Landgericht Coburg Endurteil, 24. Juni 2016 - 32 S 5/16

bei uns veröffentlicht am24.06.2016
vorgehend
Amtsgericht Lichtenfels, 1 C 16/15, 07.01.2016

Gericht

Landgericht Coburg

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Lichtenfels vom 07.01.2016, ... wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Lichtenfels ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.899,36 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall wegen behaupteter Verkehrssicherungspflichtverletzung.

Der Kläger fuhr mit seinem Pkw …, amtliches Kennzeichen ... auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1) in Richtung der von dieser betriebenen Autowaschanlage. Wie der Kläger bemerkte, fanden auf dem Gelände an einer durch Absperrschilder abgetrennten Baustelle Pflasterungsarbeiten der Beklagten zu 2) statt. Nach einem Abbiegevorgang auf dem Betriebsgelände kollidierte der vom Kläger gesteuerte Pkw mit einer Euro-Palette, auf der sich zwei oder drei Lagen Pflastersteine befanden, und die sich neben der Baustelle außerhalb der Absperrung befand. Hierdurch wurde das Auto des Klägers beschädigt, den Schaden beziffert er auf 4.899,36 €.

Das Amtsgericht Lichtenfels hat die Klage abgewiesen. Weder die Beklagte zu 1) noch die Beklagte zu 2) habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Im Baustellenbereich seien Verkehrsteilnehmer nur vor den Gefahren zu schützen, die für sie bei der gebotenen erhöhten Aufmerksamkeit nicht erwartbar und nicht ohne weiteres erkennbar seien. Dem Vorbringen des Klägers, er habe die Palette nicht erkannt und aus seiner Position heraus auch nicht erkennen können, hat es keinen Glauben geschenkt. Aus dem bloßen Vorhandensein der von ihm unstreitig erkannten Baustelle habe er mit auf dem Fahrbahnbereich herumliegenden Gegenständen rechnen müssen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er ist der Ansicht, mit einem Hindernis außerhalb der Baustelle habe er deshalb nicht rechnen müssen, weil diese im Übrigen abgesperrt und außerdem auffallend ordentlich gewesen sei. Auch sei es ihm wegen des Standorts der Palette kurz hinter einem Knick der Fahrbahn, dem an dieser Stelle vorliegenden leichten Gefälle und der Ausmaße seines Pkw, namentlich der Länge der Motorhaube, gar nicht möglich gewesen, aus seiner Position heraus das Hindernis zu erkennen. Hierüber hätte, wie erstinstanzlich bereits beantragt, ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 07.01.2016 verkündeten und am 19.01.2016 zugestellten Urteils des Amtsgerichts Lichtenfels, Aktenzeichen 1 C 16/15, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 4.899,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 4.374,38 € seit dem 19.12.2014 sowie aus dem Restbetrag von 525,00 € ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angegriffene Urteil. Die örtlichen Verhältnisse seien in zutreffender Weise berücksichtigt worden, mit einer Materiallagerung außerhalb des Bauzaunes sei zu rechnen gewesen und die mit den Pflastersteinen beladene Palette sei für den Kläger bei gehöriger Sorgfalt ohne weiteres erkennbar gewesen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten wegen Verkehrssicherungspflichtverletzung.

Das Erstgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Verkehrssicherungspflicht nur diejenigen Vorkehrungen umfasst, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Vor Gefahren, mit denen der Verkehrsteilnehmer bei gehöriger Sorgfalt rechnen musste, muss nicht in besonderer Weise geschützt werden. Nach diesen Maßstäben ist das Erstgericht zutreffend davon ausgegangen, dass eine besondere Absicherung der mit Pflastersteinen beladenen Palette nicht erforderlich war. Der Kläger fuhr nach seiner eigenen Einlassung nur mit Schrittgeschwindigkeit. Er sah, dass auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1) gerade Pflasterungsarbeiten durchgeführt wurden. In dieser Situation muss ein durchschnittlich aufmerksamer Verkehrsteilnehmer mit am Rande der Baustelle herumliegenden Gerätschaften oder Werkstoffen rechnen. Konkret entspricht es bei Pflasterungsarbeiten der allgemeinen Lebenserfahrung, dass sich noch zu verlegende Steine auf Paletten gelagert neben der Baustelle befinden. Eine besondere Absicherung, etwa durch eine Umzäunung oder eine auf die Steine gestellte Pylone, wäre bei den Bauarbeiten hinderlich und ist zumindest in nur mit Schrittgeschwindigkeit befahrenden Bereichen auch nicht üblich.

Mit seinem Argument, er habe aufgrund der Fahrzeugausmaße die in Rede stehende Palette von seiner Position aus gar nicht sehen können, kann der Kläger nicht durchdringen. Selbst wenn man seiner Behauptung entgegen der Würdigung des Erstgerichts folgen würde, änderte dies an den Obliegenheiten der Beklagten nichts. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht bestimmt sich nicht nach den vom Verkehrsteilnehmer gefahrenen Fahrzeugtyp. Umgekehrt ist die Sorgfaltspflicht desjenigen, der ein besonders großes oder unübersichtliches Auto steuert, entsprechend gesteigert. Insbesondere kann vom durchschnittlich aufmerksamen Verkehrsteilnehmer erwartet werden, dass er in einer Verkehrssituation, in der einerseits mit dem Herumliegen von Werkstoffen gerechnet werden muss und andererseits der zu befahrende Grund bis zur Höhe einer Euro-Palette inklusive mindestens zweier Lagen Pflastersteine nicht sichtbar ist, nicht einfach weiterfährt. Hier muss er notfalls aussteigen, um sich so den erforderlichen Überblick zu verschaffen (Rechtsgedanke des § 9 Abs. 5 StVO). Das Amtsgericht ist daher im Ergebnis zu Recht dem Beweisangebot eines Sachverständigengutachtens über die Frage, ob der Kläger aus seiner Position heraus die Palette hätte erkennen können, nicht nachgegangen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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Referenzen - Gesetze

Landgericht Coburg Endurteil, 24. Juni 2016 - 32 S 5/16 zitiert 3 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Straßenverkehrs-Ordnung - StVO 2013 | § 9 Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren


(1) Wer abbiegen will, muss dies rechtzeitig und deutlich ankündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen. Wer nach rechts abbiegen will, hat sein Fahrzeug möglichst weit rechts, wer nach links abbiegen will, bis zur Mitte, auf Fahrbahn

Referenzen

(1) Wer abbiegen will, muss dies rechtzeitig und deutlich ankündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen. Wer nach rechts abbiegen will, hat sein Fahrzeug möglichst weit rechts, wer nach links abbiegen will, bis zur Mitte, auf Fahrbahnen für eine Richtung möglichst weit links, einzuordnen, und zwar rechtzeitig. Wer nach links abbiegen will, darf sich auf längs verlegten Schienen nur einordnen, wenn kein Schienenfahrzeug behindert wird. Vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen ist auf den nachfolgenden Verkehr zu achten; vor dem Abbiegen ist es dann nicht nötig, wenn eine Gefährdung nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist.

(2) Wer mit dem Fahrrad nach links abbiegen will, braucht sich nicht einzuordnen, wenn die Fahrbahn hinter der Kreuzung oder Einmündung vom rechten Fahrbahnrand aus überquert werden soll. Beim Überqueren ist der Fahrzeugverkehr aus beiden Richtungen zu beachten. Wer über eine Radverkehrsführung abbiegt, muss dieser im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich folgen.

(3) Wer abbiegen will, muss entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen, Schienenfahrzeuge, Fahrräder mit Hilfsmotor, Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge auch dann, wenn sie auf oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren. Dies gilt auch gegenüber Linienomnibussen und sonstigen Fahrzeugen, die gekennzeichnete Sonderfahrstreifen benutzen. Auf zu Fuß Gehende ist besondere Rücksicht zu nehmen; wenn nötig, ist zu warten.

(4) Wer nach links abbiegen will, muss entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren lassen. Einander entgegenkommende Fahrzeuge, die jeweils nach links abbiegen wollen, müssen voreinander abbiegen, es sei denn, die Verkehrslage oder die Gestaltung der Kreuzung erfordern, erst dann abzubiegen, wenn die Fahrzeuge aneinander vorbeigefahren sind.

(5) Wer ein Fahrzeug führt, muss sich beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden und beim Rückwärtsfahren darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen.

(6) Wer ein Kraftfahrzeug mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t innerorts führt, muss beim Rechtsabbiegen mit Schrittgeschwindigkeit fahren, wenn auf oder neben der Fahrbahn mit geradeaus fahrendem Radverkehr oder im unmittelbaren Bereich des Einbiegens mit die Fahrbahn überquerendem Fußgängerverkehr zu rechnen ist.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.