Landgericht Bochum Beschluss, 24. März 2015 - I-7 T 440/14
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Auf die Erinnerung des Gläubigers vom 01.10.2014 wird der zuständige Gerichtsvollzieher angewiesen, unter Abstandnahme von den bisherigen Bedenken die Auskünfte Dritter gemäß dem Antrag vom 27.06.2014 einzuholen.
Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Gerichtsgebühr nach KV-Nr. 2121 (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) wird nicht erhoben.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
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G r ü n d e :
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3Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist gemäß § 793 ZPO statthaft. Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die Erinnerung des Gläubigers vom 01.10.2014 gemäß § 766 Abs. 2 Alt. 2 ZPO zurückgewiesen. Dagegen steht dem Gläubiger die sofortige Beschwerde zu. Die sofortige Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere rechtzeitig beim Amtsgericht eingegangen.
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5Die sofortige Beschwerde ist begründet. Der zuständige Gerichtsvollzieher ist wie aus dem Tenor ersichtlich anzuweisen.
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7Die Voraussetzungen für die Einholung der mit Vollstreckungsauftrag vom 27.06.2014 beantragten Drittauskünfte liegen vor. Der Gerichtsvollzieher darf gemäß § 802 l Abs. 1 S. 1 Nr. 1 u. 2 ZPO Auskünfte bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung und beim Bundeszentralamt für Steuern einholen, wenn der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nachkommt. Bedenken gegen das Vorliegen der allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen liegen nicht vor. Der Schuldner ist zu dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft am 08.09.2014 nicht erschienen. Die Einholung der Auskünfte gemäß § 802 l ZPO ist deshalb zur Vollstreckung auch erforderlich. Angesichts der Nichtabgabe der Vermögensauskunft können Informationen über Vollstreckungsmöglichkeiten nur durch die Drittauskünfte erlangt werden.
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9Nach § 802 l Abs. 1 S. 2 ZPO ist die Erhebung von Auskünften nur zulässig, soweit die zu vollstreckenden Ansprüche mindestens 500,00 Euro betragen; Kosten der Zwangsvollstreckung und Nebenforderungen sind bei der Berechnung nur zu berücksichtigen, wenn sie allein Gegenstand des Vollstreckungsauftrags sind. Vorliegend betragen die zu vollstreckenden Ansprüche mehr als 500,00 Euro.
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11Es ist streitig, welche Positionen in die Berechnung der zu vollstreckenden Ansprüche einzubeziehen sind. Nach wohl herrschender Meinung werden beim Vollstreckungsbescheid neben der Hauptforderung jedenfalls die im Bescheid titulierten Verfahrenskosten sowie die dort üblicherweise festgesetzten Zinsen berücksichtigt (Zöller-Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 802 l, Rn. 4; Münchener Kommentar-Wagner, ZPO, 2012, § 802 l, Rn. 26; Musielak-Voit, ZPO, 2014, § 802 l, Rn. 8; Prütting/Gehrlein-Meller-Hannich, ZPO, 5. Aufl., § 802 l, Rn. 9 sowie statt vieler noch weiter gehend: LG Münster, Beschluss vom 14.05.2014, 5 T 113/14; LG Köln DGVZ 2014, 149 f.; LG Lüneburg, Beschluss vom 05.05.2014, 5 T 33/14). Nach der Gegenansicht sind alle Nebenforderungen außer Acht zu lassen, auch wenn sie im Vollstreckungsbescheid tituliert sind. Ein Teil dieser Gegenansicht bezieht neben der Hauptforderung noch die Kosten des Gerichtsverfahrens (Gerichtskosten und außergerichtliche Kosten) ein, wenn sie mit tituliert sind (LG Darmstadt, Beschluss vom 27.02.2014, 5 T 82/14, zitiert nach Juris; AG Offenbach DGVZ 2014, 104 f.). Die noch weiter gehende Auffassung berücksichtigt im Rahmen des § 802 l Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 ZPO – ebenso wie das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss – nur die titulierte Hauptforderung (BeckOK ZPO-Fleck, § 802 l, Rn. 5; AG Bretten DGVZ 2014, 265 ff.; AG Osnabrück DGVZ 2014, 244).
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13Entgegen diesen letztgenannten Ansichten ist in die Berechnung gemäß § 802 l Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 ZPO nicht nur die Hauptforderung einzubeziehen. Zu berücksichtigen sind außerdem jedenfalls die titulierten Kosten des Gerichtsverfahrens zur Erwirkung des Vollstreckungsbescheides (83,75 Euro). Dies entspricht der Rechtsprechung des Landgerichts Darmstadt und des Amtsgerichts Offenbach. Gemeinsam mit der Hauptforderung (482,55 Euro) ist die Wertgrenze des § 802 l Abs. 1 S. 2 ZPO also überschritten (566,30 Euro).
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15Die Ausführungen des Amtsgerichts Bretten zur teleologischen Reduktion überzeugen insoweit nicht. Sie beschränken sich darauf zu begründen, weshalb der Begriff der Nebenforderungen in Halbsatz 2 sowohl die titulierten als auch die nicht titulierten Nebenforderungen umfasst. Anzuknüpfen ist jedoch an den Begriff der zu vollstreckenden Ansprüche in Halbsatz 1. Halbsatz 1 bezeichnet die einzubeziehenden Ansprüche positiv und ist deshalb die maßgebende Grundnorm. Hingegen stellt Halbsatz 2 die Ausnahmevorschrift dar. In Halbsatz 1 ist eben gerade nicht die Hauptforderung als maßgeblich benannt, sondern ein weiterer Kreis von Ansprüchen, nämlich der der zu vollstreckenden Ansprüche. Hätte die Hauptforderung maßgeblich sein sollen, hätte nichts näher gelegen, als dies in Halbsatz 1 auch so zu formulieren. Das Gesetz differenziert durchaus auch an anderen Stellen zwischen dem Begriff des Hauptanspruchs bzw. der Forderung in der Hauptsache (§§ 720 a. Abs. 3, 708 Nr. 11 ZPO) und dem zu vollstreckenden Betrag (§ 709 S. 2 ZPO).
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17Die im angefochtenen Beschluss zugrundegelegte Auffassung überzeugt auch im Hinblick auf die zur Auslegung heranzuziehende Gesetzesbegründung nicht. Der Gesetzesbegründung lässt sich der ihr von der Gegenansicht beigelegte Sinn nach Ansicht der Kammer gerade nicht entnehmen. Der ursprüngliche Gesetzentwurf ging noch von einer zu vollstreckenden Gesamtforderung von mindestens 600,00 Euro aus, ohne jegliche Differenzierung in Hauptforderung, Zinsen, sonstige Nebenforderungen, Verfahrenskosten oder Zwangsvollstreckungskosten (Bundestags-Drucksache 16/10069, S. 8 u. 33). Der Bundestagsdrucksache 16/13432 lässt sich eine solche – etwa an § 4 ZPO zu orientierende – Differenzierung ebenfalls nicht entnehmen. Dies würde dem in der Begründung ausdrücklich genannten Sinn der Formulierung – nämlich für alle Beteiligten eine klare Abgrenzung zu schaffen – auch widersprechen. Klarheit schafft vielmehr die in der Gesetzesbegründung nunmehr vorgesehene Anknüpfung an den titulierten Betrag. Der Vollstreckungstitel ist der zentrale Begriff des Vollstreckungsrechts, während die Differenzierung in verschiedene Arten von Forderungen dem materiellen Recht entnommen ist. Dieses kann im Interesse der Praktikabilität und Formalisierung in der Zwangsvollstreckung nur äußerst begrenzt Berücksichtigung finden. Dem würde es widersprechen, den Vollstreckungsorganen aufzuerlegen, aus dem titulierten Betrag Forderungen heraus zurechnen, die nach materiell-rechtlichen Gesichtspunkten (vorgerichtliche Kosten, Mahnkosten oder gar Früchte bzw. Nutzungen) zu bestimmen sind. Die Gesetzesbegründung knüpft vielmehr ganz eindeutig an den Betrag der titulierten Forderung an. Aus der Berechnung ausgenommen sind danach in der Tat nur Zwangsvollstreckungskosten und nach Titelerlass auflaufende Zinsen. Inwieweit Zinsen und sonstige Nebenforderungen hier einzubeziehen sind, kann, wie eingangs ausgeführt, hier jedoch dahinstehen. Vorliegend ist die Wertgrenze bereits durch die Zusammenrechnung der titulierten Hauptforderung mit den titulierten Verfahrenskosten überschritten.
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19Der zuständige Gerichtsvollzieher ist daher anzuweisen, die mit Auftrag vom 27.06.2014 beantragten Drittauskünfte unter Abstandnahme von seinen bisherigen Bedenken einzuholen.
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21Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Gesonderte Kosten für das Verfahren 1. Instanz fallen nicht an. Von der Erhebung von Gerichtskosten ist abzusehen, da der Schuldner hier der Beschwerdegegner ist; der Beschwerde des Gläubigers wurde stattgegeben.
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23Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, da derzeit kein Zulassungsgrund vorliegt. Die Auffassung, nur die titulierte Hauptforderung sei in die Berechnung der Wertgrenze gemäß § 802 l Abs. 1 S. 2 ZPO einzubeziehen, ist vereinzelt geblieben.
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25Rechtsmittelbelehrung:
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27Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar, da mangels Zulassungsgründen die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen wurde und ein sonstiges Rechtsmittel im Gesetz nicht vorgesehen ist (§ 574 ZPO).
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Gegen Entscheidungen, die im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen können, findet sofortige Beschwerde statt.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.
(1) Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der Einreichung der Klage, in der Rechtsmittelinstanz der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels, bei der Verurteilung der Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, entscheidend; Früchte, Nutzungen, Zinsen und Kosten bleiben unberücksichtigt, wenn sie als Nebenforderungen geltend gemacht werden.
(2) Bei Ansprüchen aus Wechseln im Sinne des Wechselgesetzes sind Zinsen, Kosten und Provision, die außer der Wechselsumme gefordert werden, als Nebenforderungen anzusehen.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
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dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.