Landgericht Bielefeld Beschluss, 06. Jan. 2016 - 10 Qs 460/15
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Betroffenen wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 24.09.2015 gewährt.
1
Gründe:
2Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
31.
4Der Betroffene begehrt mit Schreiben seines Verteidigers vom 29.10.2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil er – der Betroffene – in dem gegen ihn geführten Bußgeldverfahren den anberaumten Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Bielefeld am 24.09.2015 versäumt hatte und daher gegen ihn ein Verwerfungsurteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangen war. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Verteidiger des Betroffenen beantragte mit Fax vom 23.09.2015 beim Amtsgericht Bielefeld, den Verhandlungstermin vom 24.09.2015 um 12:00 Uhr auf einen anderen Zeitpunkt zu verlegen, da der Betroffene reiseunfähig erkrankt sei. Zur Glaubhaftmachung fügte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Fachärztin für Innere Medizin, Dr. C. vom 23.09.2015 bei, aus der sich ergibt, dass er vom 22.09. bis voraussichtlich 25.09.2015 arbeitsunfähig sei, als Diagnose wurde der ICD-Code A09.9 (Anm.: Sonstige und nicht näher bezeichnete Gastroenteritis und Kolitis infektiösen und nicht näher bezeichneten Ursprungs) angegeben. Auf Veranlassung der zuständigen Richterin wurde dem Verteidiger unter dem 24.09.2015 um 09:06 Uhr per Fax mitgeteilt, dass der Termin bestehen bleibe, der Betroffene habe bislang nicht glaubhaft dargelegt, dass er reise- oder verhandlungsunfähig sei. Seinen Antrag vom 30.09.2015 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwarf das Amtsgericht mit Beschluss vom 19.10.2015.
5Gegen diesen Beschluss richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 29.10.2015. Nach Aufforderung der Kammer vom 23.11.2015 übersandte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 04.12.2015 ein Attest der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. D., in dem ausgeführt wird, dass sich der Betroffene am 23.09.2015 in ihre Sprechstunde begeben habe; er sei von ihr untersucht sowie behandelt worden und es sei ein akuter Magen-Darm-Infekt mit Durchfällen, Erbrechen und heftiger Übelkeit diagnostiziert worden. Daraufhin sei er bis zum 25.09.2015 arbeitsunfähig geschrieben worden; aufgrund der Symptomatik sei er vom 23.09. bis zum 25.09.2015 weder reise- noch verhandlungsfähig gewesen. Auf telefonische Nachfrage der Kammer am 05.01.2016 wurde bestätigt, dass beide Ärztinnen in der gleichen Praxis tätig sind.
62.
7Dem Betroffenen war unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §§ 74 Abs. 4 S. 1, 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 44 StPO zu gewähren, da ihn wegen seiner Erkrankung kein Verschulden hinsichtlich der Versäumung der Hauptverhandlung vom 24.09.2015 trifft, und er dies jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand hinreichend glaubhaft gemacht hat.
8Nach den §§ 74 Abs. 4, 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 45 Abs. 2 S. 1 StPO sind bei der Antragstellung die Tatsachen, die das Wiedereinsetzungsgesuch begründen sollen, konkret vorzutragen und glaubhaft zu machen. Genügend entschuldigt ist das Ausbleiben, wenn dem Betroffenen bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles daraus billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 29.12.2006 – 3 Qs 155/06). In der Regel reicht ein privatärztliches Attest als genügende Entschuldigung für das Ausbleiben des Betroffenen aus (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.12.1982 – 1 Ws 990/82). Liegen – wie hier aufgrund der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 23.09.2015 – konkrete Hinwiese für einen Entschuldigungsgrund vor, hat das Gericht dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 74, Rn. 31).
9Diese Voraussetzungen hat die Amtsrichterin im vorliegenden Fall außer Acht gelassen. Schon die Begründung, dass sich aus der bislang eingereichten ärztlichen Arbeitsunfähigkeit weder eine Verhandlungs- noch eine Reiseunfähigkeit ergeben würde lässt - insbesondere vor dem Hintergrund der dort aufgestellten Diagnose -, besorgen, dass der Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung nicht zutreffend angewendet worden ist. Etwaige Zweifel daran, ob die vorgetragenen Entschuldigungstatsachen zutreffen, hätten im Wege des Freibeweises geklärt werden müssen, da nicht entscheidend ist, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 28.10.2002 – 2 Ss OWi 873/02). Dies hat das Amtsgericht versäumt, es hat lediglich dem Verteidiger am 24.09.2015 um 09:06 Uhr per Fax mitgeteilt, dass der Termin um 12:30 Uhr bestehen bleibe, der Betroffene habe bislang nicht glaubhaft dargelegt, dass er reise- oder verhandlungsunfähig sei; es legte jedoch nicht dar, auf Grund welcher Tatsachen oder Überlegungen es zu dieser Einschätzung gelangt ist, darüber hinaus forderte es den Betroffenen nicht auf, sein Entschuldigungsvorbringen näher zu konkretisieren. In dem ärztlichen Attest der Frau Dr. D. vom 01.12.2015 wird die in der dem Amtsgericht übersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgestellte Diagnose – dort lediglich mit dem ICD-Code angegeben – präzisiert und dargelegt, dass der Betroffene aufgrund des von der Ärztin festgestellten Magen-Darm-Infekts am Terminstag weder reise- noch verhandlungsfähig war, so dass der Betroffene spätestens jetzt seine Erkrankung hinreichend glaubhaft gemacht hat.
10Da es hinsichtlich der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keinerlei Hinweise auf deren Unglaubwürdigkeit gibt, hätte die Amtsrichterin versuchen müssen, sich die nunmehr durch die Kammer eingeholte zusätzliche Information zu beschaffen, um etwaige Zweifel an der Erkrankung zu beseitigen.
113.
12Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 473 Abs. 7 StPO, 46 Abs. 1 OWiG
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(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Es genügt, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 der Strafprozeßordnung erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden.
(2) Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.
(3) Der Betroffene ist in der Ladung über die Absätze 1 und 2 und die §§ 73 und 77b Abs. 1 Satz 1 und 3 zu belehren.
(4) Hat die Hauptverhandlung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ohne den Betroffenen stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.
War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.
(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Es genügt, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 der Strafprozeßordnung erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden.
(2) Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.
(3) Der Betroffene ist in der Ladung über die Absätze 1 und 2 und die §§ 73 und 77b Abs. 1 Satz 1 und 3 zu belehren.
(4) Hat die Hauptverhandlung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ohne den Betroffenen stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.
(1) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei dem Gericht gestellt wird, das über den Antrag entscheidet.
(2) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.