Landgericht Arnsberg Beschluss, 04. Juni 2014 - IV-2 StVK 56/14
Tenor
Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 13.03.2014 wird die Entscheidung des Antragsgegners vom 06.01.2014 aufgehoben.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer neu zu bescheiden.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragstellers fallen nach einem Gegenstandswert von bis zu 300,00 EUR der Staatskasse zur Last.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der Antragsteller befindet sich in der Sicherungsverwahrung in der JVA O1. Er wendet sich gegen eine vom Antragsgegner gegen ihn verhängte Disziplinarmaßnahme in Form eines 2-tägigen Arrestes.
4Am 20.12.2013 wurde bei dem Antragsteller eine Personen- und Zimmerkontrolle durchgeführt. Bereits vor der eigentlichen Personenkontrolle durch Abtasten händigte der Antragsteller eine Zigarettenschachtel aus, in welcher sich eine undefinierbare Substanz von unbekanntem Gewicht befand. Laut Angaben des Antragstellers handelte es sich bei der Substanz um „Gras“. Der Antragsteller räumte den Besitz ein.
5Daraufhin wurde gegen den Antragsteller am 04.01.2014 ein Arrest von 2 Tagen verhängt, ausgesetzt zur Bewährung für 3 Monate. Ausweislich der vom Antragsgegner mit seinem Schriftsatz vom 01.04.2014 vorgelegten Anlagen hat der Antragsteller bei der Verhängung der Disziplinarmaßnahme zugunsten des Antragstellers berücksichtigt, dass dieser das Haschisch selbst herausgegeben und den Besitz eingeräumt habe und er nicht vorbelastet sei. Zulasten des Antragstellers ist berücksichtigt worden, dass es sich um einen „erheblichen“ Verstoß handele.
6Am 05.03.2014 sollte bei dem Antragsteller eine Urinkontrolle zwecks Nachweises der Drogenabstinenz durchgeführt werden. Dies verweigerte der Antragsteller. Daraufhin widerrief der Antragsgegner am 12.03.2014 die Aussetzung des Arrestes zur Bewährung und ordnete an, dass der Arrest nunmehr vollstreckt werden solle.
7Der Antragsteller ist der Ansicht, die Verhängung des Arrestes sei angesichts seiner Verfehlung völlig unverhältnismäßig. Der Arrest dürfe nur als „ultima ratio“ nach sorgfältiger Prüfung verhängt werden.
8Der Antragsteller beantragt,
9den Antragsgegner zu verpflichten, die angeordnete Disziplinarmaßnahme aufzuheben.
10Der Antragsgegner beantragt,
11den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.
12Er trägt vor, der Arrest könne gegen einen Untergebrachten als Disziplinarmaßnahme angeordnet werden, wenn der Untergebrachte schuldhaft gegen Pflichten, die ihm durch oder aufgrund des SVVollzG auferlegt sind, verstoßen habe. Es sei erwiesen, dass der Antragsteller Drogen in Besitz gehabt und die Abgabe einer Urinprobe verweigert habe. Aufgrund der Schwere der Verfehlung sei die verhängte Disziplinarmaßnahme erforderlich und angemessen gewesen.
13II.
14Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und begründet.
15Die verhängte Disziplinarmaßnahme in Form des 2-tägigen Arrestes war vorliegend aufzuheben, da der Antragsgegner bei der Anordnung des Arrestes das ihm zustehende Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt hat.
16Gemäß § 79 Abs. 1 SVVollzG kann gegen Untergebrachte eine Disziplinarmaßnahme angeordnet werden, wenn sie schuldhaften gegen Pflichten, die ihnen durch oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, verstoßen. Ein Arrest darf jedoch nur unter der zusätzlichen Voraussetzung verhängt werden, dass es sich um eine schwere oder mehrfach wiederholte Verfehlung handelt, § 80 Abs. 2 SVVollzG. Es ist schon nicht erkennbar, dass sich der Antragsgegner dieses strengen Maßstabs bei seiner Entscheidung überhaupt bewusst gewesen ist. Nach der Stellungnahme des Antragsgegners vom 01.04.2014 soll für die Verhängung eines Arrestes bereits ein schuldhafter Pflichtverstoß ausreichen. Dem ist ausweislich der gesetzlichen Regelung nicht so.
17Von einem schweren oder mehrfach wiederholten Verstoß im Sinne des § 80 Abs. 2 SVVollzG kann aber vorliegend anhand der von dem Antragsgegner getroffenen Feststellungen nicht ausgegangen werden.
18Anlass für die Verhängung des Arrestes war hier der Besitz von Haschisch. Sicherlich ist darin eine schuldhafte Verfehlung zu sehen, dies als solche auch die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme rechtfertigen dürfte. Dass aber ausgerechnet ein Arrest, als schwerste aller vorgesehenen Sanktionen, erforderlich gewesen wäre, ist für die Kammer anhand der festgestellten Tatsachen im vorliegenden Einzelfall nicht ersichtlich.
19Nach der Kommentarliteratur sind schwere Verfehlungen im Sinne der vorgenannten Norm etwa solche, die die äußere und innere Sicherheit der Anstalt durch Ausbruch oder durch Gewalttätigkeit gegen Personen oder Sachen gefährden (Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Auflage, §103, Rn. 4 zu der gleichlautenden Vorschrift im StVollzG).
20Damit ist jedoch der Besitz von sogenannten „weichen“ Drogen aus Sicht der Kammer nicht zu vergleichen. Insbesondere war vorliegend zugunsten des Antragstellers selbst aus Sicht des Antragsgegners zu berücksichtigen, dass dieser den Besitz offengelegt und eingeräumt hat und er zudem nicht vorbelastet war. Dass diese Umstände tatsächlich strafmildernd zugunsten des Antragstellers berücksichtigt worden sind, vermag die Kammer angesichts der Schwere der verhängten Maßnahme nicht zu erkennen. Eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung hat offenbar nicht stattgefunden.
21Das Gebot der Schuldangemessenheit von Strafen und ähnlichen Sanktionen sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangen aber eine an den schuldbestimmenden Umständen des Einzelfalles orientierte Prüfung, ob die tatsächlich verhängten Maßnahmen zum Schuldausgleich, zur gebotenen spezialpräventiven Einwirkung auf den Gefangenen und aus generalpräventiven Erwägungen heraus zwingend erforderlich waren oder ob diese Ziele mit einem milderen Mittel – etwa durch eine der milderen gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen- hätten erreicht werden können (so BVerfG NJW 1994, 1339 zur Rechtmäßigkeit der Verhängung eines Arrestes bei Alkoholkonsum). Diesen Anforderungen an eine an den Umständen des Einzelfalls orientierte Prüfung wird die Entscheidung des Antragsgegners nicht gerecht.
22Es ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, dass und warum, auch unter Berücksichtigung der generellen Gefährlichkeit von Drogenkonsum, der eingeräumte Besitz einer (möglicherweise geringen) Menge Haschisch als derart schwerwiegende Verfehlung einzuordnen wäre, dass jede andere im SVVollzG vorgesehene Disziplinarmaßnahme nicht mehr in Betracht gekommen wäre.
23Dass der Arrest zur Bewährung ausgesetzt worden ist, ändert im Ergebnis nichts, da der Arrest bei einer weiteren Pflichtverletzung des Antragstellers, die nicht mehr die Schwelle der schweren Verfehlung im Sinne des § 80 Abs. 2 SVVollzG erreichen muss, faktisch zum Tragen kommt. Schon bei der Verhängung des Arrestes hätte sich der Antragsgegner aber im Einzelnen mit der Verhältnismäßigkeit und der Möglichkeit milderer Maßnahmen auseinandersetzen müssen.
24Da schon die Verhängung des Arrestes aufzuheben war, kann naturgemäß der Widerruf der Strafaussetzung ebenfalls keinen Bestand haben. Stattdessen wird der Antragsgegner über die ursprüngliche Verhängung einer Disziplinarmaßnahme unter Beachtung der vorgenannten Rechtauffassung erneut zu entscheiden haben.
25III.
26Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 121 Abs. 2 StVollzG, 60, 52 GKG.
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Referenzen - Gesetze
(1) In der das Verfahren abschließenden Entscheidung ist zu bestimmen, von wem die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen zu tragen sind.
(2) Soweit der Antragsteller unterliegt oder seinen Antrag zurücknimmt, trägt er die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen. Hat sich die Maßnahme vor einer Entscheidung nach Absatz 1 in anderer Weise als durch Zurücknahme des Antrags erledigt, so entscheidet das Gericht über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen.
(3) Bei erstinstanzlichen Entscheidungen des Gerichts nach § 119a fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last. Absatz 2 Satz 2 gilt nicht im Falle des § 115 Abs. 3.
(4) Im übrigen gelten die §§ 464 bis 473 der Strafprozeßordnung entsprechend.
(5) Für die Kosten des Verfahrens nach den §§ 109ff. kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigender Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden.