Landesarbeitsgericht München Zwischenurteil, 25. Apr. 2017 - 9 Sa 497/16

bei uns veröffentlicht am25.04.2017
vorgehend
Bundesarbeitsgericht, 8 AZR 426/14, 18.02.2016

Gericht

Landesarbeitsgericht München

Tenor

Der Klägerin wird hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Zwischenstreit um die Wiedereinsetzung der Klägerin in die Berufungsbegründungsfrist.

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche geltend. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil vom 06.05.2013, der Klägerin zugestellt am 16.09.2013, legte diese am 16.10.2013 Berufung ein. Mit zwei Schriftsätzen, jeweils datiert auf den 18.11.2013, einer mit dem Az. 9 Sa 833/13, der zweite mit dem Az. 9 Sa 833/12 versehen, beantragte die Klägerin die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Beide Schriftsätze tragen einen Eingangsstempel, der Dienstag, den 19.11.2013 als Tag des Einwurfs in den Nachtbriefkasten des Landesarbeitsgerichts ausweist.

Mit Beschluss vom 21.11.2013 wurde der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegrün-dungsfrist zurückgewiesen mit der Begründung, dass die Verlängerung der Frist aufgrund des nach Ablaufs der Begründungsfrist eingegangenen Antrags nicht mehr möglich sei. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung zu verwerfen.

Mit Schriftsatz vom 06.12.2013 versicherte der Klägervertreter anwaltlich, dass beide Fristverlängerungsanträge bereits am Montag, den 18.11.2013 in den Nachtbriefkasten eingeworfen worden seien. Er habe gegen 23:00 Uhr den mit dem Az. 9 Sa 833/12 versehenen Antrag eingeworfen. Nach Rückkehr ins Büro habe er beim Notieren der Frist festgestellt, dass das Aktenzeichen unrichtig sei. Deshalb habe er das Fristverlängerungsgesuch erneut ausgedruckt, diesmal mit dem richtigen Aktenzeichen. Er sei erneut zum Gericht gefahren und habe die zweite Fassung gegen 23:50 Uhr in den Nachtbriefkasten eingeworfen, wobei er sich anhand der Uhren im Auto und des Handys vergewissert habe, dass es einige Minuten vor Mitternacht sei. Die Uhr am Handy habe er zuvor im Büro mit den Uhren in seinem Laptop und im Anlagentelefon abgeglichen. Anschließend habe er an der nahegelegenen ...-Tankstelle in der S.-R. Straße um 23:58 Uhr getankt, mittels Scheckkarte bezahlt und mit seiner Payback-Karte Bonuspunkte erfassen lassen. Die Klägerin gehe davon aus, hinreichend Gründe für eine Wiedereinsetzung vorgetragen zu haben (hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Bl. 587 - 591 d. A. verwiesen). Mit weiterem Schriftsatz vom 23.12.2013, eingegangen am 23.12.2013, beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung „gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist“. Sie wiederholte dabei ihren Vortrag zum Einwurf der Fristverlängerungsanträge. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 23.12.2013, ebenfalls eingegangen am 23.12.2013, begründete sie die Berufung.

Es wurden dienstliche Stellungnahmen der mit der Leerung des Nachtbriefkastens beauftragten Mitarbeiter eingeholt. Hinsichtlich des Inhalts der Stellungnahmen sowie der ebenfalls vorgelegten Ausdrucke aus dem Nachtbriefkasten wird auf Bl. 665 - 667 d. A. verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, ihr sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da der Fristverlängerungsantrag rechtzeitig eingeworfen worden sei. Die dienstlichen Stellungnahmen seien widersprüchlich und wenig aussagekräftig.

Der Beklagte macht geltend, der Wiedereinsetzungsantrag sei verfristet. Die Berufungs-begründungsfrist sei am 18.12.2013 abgelaufen.

Es wurde Beweis erhoben durch Einvernahme des Zeugen E. zur Frage des Einwurfs der Briefe am 18.11.2013 in den Nachtbriefkasten. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll über die Sitzung vom 11.10.2016 (Bl. 1574 - 1579 d. A.) verwiesen.

Gründe

Der Klägerin war Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, da nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer feststeht, dass die Klägerin die Frist unverschuldet versäumt hat.

1. Die Berufungsbegründungsfrist wurde vorliegend versäumt. Diese ist am 18.11.2013 abgelaufen, ohne dass eine Berufungsbegründung eingegangen ist. Eine Berufungsbegründung ist auch nicht in einer verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen, da der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen wurde.

2. Die Klägerin hat fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Frist von einem Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) ist gewahrt. Da die Klägerin erst mit Zugang des Beschlusses vom 21.11.2013 am 22.11.2013 Kenntnis davon erlangt hat, dass die Fristverlängerungsanträge den Eingangsstempel 19.11.2013 tragen, lief die Wiedereinsetzungsfrist am Montag, den 23.12.2013 ab. Innerhalb dieser Frist hat die Klägerin sowohl die Wiedereinsetzung beantragt als auch die Berufungsbegründung eingereicht.

3. Nach § 233 ZPO kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten, wobei ihr das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zugerechnet wird (§ 85 Abs. 2 ZPO).

1. Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ohne das Verschulden der Klägerin erfolgte. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Fristverlängerungsanträge der Klägerin entgegen dem Poststempel nicht am 19.11.2013, sondern am 18.11.2013 eingeworfen wurden. Zwar erbringt der Poststempel auf den Fristverlängerungsanträgen nach § 415 Abs. 1 ZPO den Beweis dafür, dass diese erst am 19.11.2013 eingegangen sind. Die Klägerin hat aber den nach § 415 Abs. 2 ZPO zulässigen Gegenbeweis erfolgreich geführt. Der frühere Klägervertreter hat glaubwürdig und glaubhaft in sehr detaillierter Weise geschildert, dass und wie er die Fristverlängerungsanträge noch am 18.11.2013 eingeworfen hat. Die Aussage war widerspruchsfrei und macht das ungewöhnliche Vorgehen, das zu zwei nicht gefaxten Fristverlängerungsanträgen führte, nachvollziehbar. Die Glaubhaftigkeit der Aussage wird gestützt durch die vorgelegte Tankquittung und den Scheckkartenbeleg, die bestätigen, dass der Klägervertreter am 18.11.2013 noch kurz vor 24:00 Uhr in der S.-R. Straße getankt hat. Nach dem Eindruck, den die Kammer vom früheren Prozessvertreter, seiner Kanzleiorganisation und seiner Arbeitsweise gewonnen hat, ist es nicht plausibel, dass der Klägervertreter, der wusste, dass er in einem Verfahren mit einem hohen Streitwert eine Frist zu wahren hatte, wenige Minuten vor Mitternacht noch tankt, um dann nach Mitternacht die Fristverlängerungsanträge einzuwerfen.

Nachdem zur Überzeugung der Kammer feststeht, dass die Fristverlängerungsanträge noch am 18.11.2013 eingegangen sind, liegt ein der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zure-chenbares Verschulden nicht vor. Bei rechtzeitigem Eingang der Fristverlängerungsanträge durfte sich der frühere Klägervertreter darauf verlassen, dass die Berufungsbegrün-dungsfrist verlängert wird und auch nach dem 18.11.2013 eine fristwahrende Berufungsbegründung eingereicht werden kann.

4. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 238 Abs. 3 ZPO).

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Referenzen - Gesetze

Landesarbeitsgericht München Zwischenurteil, 25. Apr. 2017 - 9 Sa 497/16 zitiert 5 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

Zivilprozessordnung - ZPO | § 415 Beweiskraft öffentlicher Urkunden über Erklärungen


(1) Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffen

Referenzen

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffentliche Urkunden), begründen, wenn sie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorganges.

(2) Der Beweis, dass der Vorgang unrichtig beurkundet sei, ist zulässig.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.