Landesarbeitsgericht Hamm Beschluss, 21. März 2014 - 13 TaBVGa 2/14
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsratsmitgliedes H gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 13.12.2013 – 5 BVGa 17/13 – wird zurückgewiesen.
1
Gründe
2A.
3Die Beteiligten streiten um das Bestehen eines Einsichtsrechts der Antragstellerin.
4Die zu 3) beteiligte Arbeitgeberin, ein Unternehmen der Automobilindustrie, beschäftigt am Standort C mehrere tausend Arbeitnehmer. Im Betrieb besteht ein Betriebsrat (Beteiligter zu 2), dem die Antragstellerin als Mitglied angehört.
5Wegen der zum Ende des Jahres 2014 beabsichtigten Einstellung der Fahrzeugproduktion am Standort C kam es zur Einrichtung einer Einigungsstelle betreffend den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans; das Verfahren ruht zur Zeit.
6In einer Betriebsratssitzung am 18.11.2013 wurde den Betriebsratsmitgliedern mitgeteilt, dass am 17.11.2013 in Verhandlungen zwischen der IG Metall und der Arbeitgeberin, an der auch mehrere Personen beteiligt waren, die dem Betriebsrat angehören, ein „Verhandlungs(zwischen-)ergebnis zum Sozialtarifvertrag Standort P C“ (sog. „Eckpunkte-Vertrag“), erzielt worden sei.
7Mit E-Mail vom 27.11.2013 forderte die Antragstellerin den Betriebsratsvorsitzenden F und den zuständigen IG Metall-Sekretär H1 auf, „dem BR-Gremium den Eckpunkte-Vertrag … zur Verfügung zu stellen bzw. Einsicht zu gewähren“ (Bl. 41 d. A.).
8Darauf antwortete der Betriebsratsvorsitzende per Mail vom selben Tage auszugsweise wie folgt:
9„…
10ich und die weiteren Betriebsräte aus der Verhandlungskommission sind die falschen Ansprechpartner.“
11Daraufhin leitete die Antragstellerin das vorliegende Beschlussverfahren ein.
12Sie hat die Auffassung vertreten, die vom Betriebsrat gewählten Vertreter bei den Verhandlungen am 17.11.2013 seien verpflichtet, ihr Einsicht in ein dort gefundenes schriftliches Ergebnis zu geben bzw. Auskunft über den Verbleib des Dokuments zu erteilen.
13Die Antragstellerin hat beantragt,
14den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, der Antragstellerin Einsicht in das am 17.11.2013 zwischen dem Antragsgegner, der Tarif- und Verhandlungskommission IG Metall NRW/Bochum und der Beteiligten zu 3) abgeschlossene „Verhandlungsergebnis zum Sozialtarifvertrag Standort P C (sog. „Eckpunkte-Vertrag“) unverzüglich zu gewähren.
15Der Betriebsrat hat beantragt,
16den Antrag zurückzuweisen.
17Er hat vorgetragen, er selbst bzw. ein Teil seiner Mitglieder könne keine Einsicht in Verhandlungsunterlagen gewähren, weil er über solche nicht verfüge.
18Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 13.12.2013 den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch nach § 34 Abs. 3 BetrVG sei nicht gegeben, weil nicht ersichtlich sei, dass der Betriebsrat bzw. ein Teil seiner Mitglieder über einsichtsfähige Unterlagen betreffend das am 17.11.2013 gefundene Verhandlungsergebnis verfügen würden. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, dass der Betriebsrat weder als Gremium noch durch einzelne seiner Mitglieder am Abschluss des beabsichtigten Tarifvertrages beteiligt seien.
19Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde.
20Sie streicht heraus, es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass sechs vom Betriebsrat gewählte Vertreter für die Verhandlungskommission über keinerlei Aufzeichnungen der am 17.11.2013 erzielten Ergebnisse verfügen würden. Deshalb seien diese verpflichtet, ihre insoweit erhaltenen Dokumente und gefertigten Aufzeichnungen dem Betriebsrat zur Verfügung zu stellen, namentlich auch ein Exemplar des sog. Eckpunkte-Papiers, das ggf. von der IG Metall herausverlangt werden müsste.
21Die Antragstellerin beantragt,
22den Betriebsrat unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Bochum vom 13.12.2013 – 5 BVGa 17/13 – im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, der Antragstellerin Einsicht in das am 17.11.2013 zwischen dem Betriebsrat, der Tarif- und Verhandlungskommission IG Metall NRW/Bochum und der Arbeitgeberin abgeschlossene „Verhandlungsergebnis zum Sozialtarifvertrag Standort P C“ (sogenannter „Eckpunkte-Vertrag“) unverzüglich zu gewähren,
23hilfsweise den Betriebsrat unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Bochum vom 13.12.2013 – 5 BVGa 17/13 – im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, der Antragstellerin Einsicht in die dazu vorhandenen Unterlagen und angefertigten Aufzeichnungen, Notizen und Vermerke der Mitglieder der Verhandlungskommission des Betriebsrates bei diesen Verhandlungen unverzüglich zu gewähren.
24Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin beantragen,
25die Beschwerde zurückzuweisen.
26Der Betriebsrat weist darauf hin, dass er über kein Exemplar des sog. Eckpunkte-Vertrages verfüge, weil er nicht Verhandlungspartei gewesen sei. Zwar seien Mitglieder des Betriebsrates an den Verhandlungen beteiligt gewesen, aber ausschließlich in ihrer Funktion als Mitglieder der von der IG Metall berufenen Verhandlungskommission.
27Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
28B.
29Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.
30Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend festgestellt hat, besteht schon kein Verfügungsanspruch des antragstellenden Betriebsratsmitgliedes gegenüber dem Betriebsrat auf Gewährung von Einsicht in den „Eckpunkte-Vertrag“ bzw. die Unterlagen, Aufzeichnungen, Notizen und Vermerke der sechs an den Verhandlungen am 17.11.2013 beteiligten Personen F, Z, C1, H2, N und H3. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 BetrVG sind nämlich nicht gegeben.
31Danach haben alle Betriebsratsmitglieder das Recht, die Unterlagen namentlich des Betriebsrates jederzeit einzusehen. So soll sichergestellt werden, dass sich jedes einzelne Betriebsratsmitglied ohne zeitliche Verzögerung über die Vorgänge im Gremium unterrichten kann, um einen gleichen Informationsstand zu gewährleisten (BAG, 12.08.2009 – 7 ABR 15/08 – AP BetrVG 1972 § 34 Nr. 2; zuletzt LAG Baden-Württemberg, 20.02.2013 - 13 TaBV 11/12). Daraus folgt wiederum, dass § 34 Abs. 3 BetrVG nur einschlägig ist, wenn es um die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben geht (Fitting, 27. Aufl., § 34 Rn. 33a m.w.N.).
32Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
33Es gehört nämlich nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrates, durch Vertreter aus ihren Reihen an Verhandlungen zum Abschluss eines Tarifvertrages teilzunehmen, die nach der gesetzlichen Vorgabe des § 2 Abs. 1 TVG auf Arbeitnehmerseite nur von Gewerkschaften geführt werden können.
34So ist der Betriebsrat in Konstellation wie hier ausschließlich nach den §§ 111 ff. BetrVG dazu berufen, in den von ihm zu führenden Verhandlungen anlässlich einer beabsichtigten Betriebsänderung mit dem Arbeitgeber einen Interessenausgleich zu versuchen und ggf. einen Sozialplan abzuschließen.
35Das Gesetz geht also im Gegenstandsbereich von Sozialplänen von einem möglichen Nebeneinander tariflicher und betriebsverfassungsrechtlicher Regelungen aus (z.B. BAG, 24.04.2007 – 1 AZR 252/06 – AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2; 06.12.2006 – 4 AZR 798/05 – AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 1). Es stehen sich die letztlich auf Art. 9 Abs. 3 GG basierenden Regelungskompetenzen der zuständigen Tarifvertragsparteien und die dem Betriebsrat bei Betriebsänderungen gewährten Rechte gegenüber – mit jeweils eigenen Regeln folgenden rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und –grenzen.
36Daraus folgt wiederum, dass einzelne Betriebsratsmitglieder sich nur dann auf § 34 Abs. 3 BetrVG stützen können, wenn es um Informationen im Zusammenhang mit dem betriebsverfassungsrechtlich vorgegebenen Versuch eines Interessenausgleichs oder den Abschluss eines Sozialplans geht. Wenn ein solches Verfahren, wie hier, auf Einigungsstellenebene ruht und angestrebt wird, durch einen von der Gewerkschaft IG Metall mit der Arbeitgeberin abzuschließenden „Sozialtarifvertrag“ zum Ausgleich der mit der beabsichtigten Betriebsänderung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile für die betroffenen Arbeitnehmer zu gelangen, steht einzelnen Betriebsratsmitgliedern insoweit gegenüber dem Betriebsrat kein auf § 34 Abs. 3 BetrVG beruhender Anspruch auf Einsichtnahme in einschlägige Unterlagen zu. Ansprechpartner ist in dem Zusammenhang auf Arbeitnehmerseite ausschließlich die verhandlungsführende IG Metall, wie es deren zuständiger Vertreter H1 in einer an den Betriebsratsvorsitzenden F gerichteten E-Mail vom 18.12.2013 zutreffend zum Ausdruck gebracht hat.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Hamm Beschluss, 21. März 2014 - 13 TaBVGa 2/14
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Hamm Beschluss, 21. März 2014 - 13 TaBVGa 2/14
Referenzen - Gesetze
(1) Über jede Verhandlung des Betriebsrats ist eine Niederschrift aufzunehmen, die mindestens den Wortlaut der Beschlüsse und die Stimmenmehrheit, mit der sie gefasst sind, enthält. Die Niederschrift ist von dem Vorsitzenden und einem weiteren Mitglied zu unterzeichnen. Der Niederschrift ist eine Anwesenheitsliste beizufügen, in die sich jeder Teilnehmer eigenhändig einzutragen hat. Nimmt ein Betriebsratsmitglied mittels Video- und Telefonkonferenz an der Sitzung teil, so hat es seine Teilnahme gegenüber dem Vorsitzenden in Textform zu bestätigen. Die Bestätigung ist der Niederschrift beizufügen.
(2) Hat der Arbeitgeber oder ein Beauftragter einer Gewerkschaft an der Sitzung teilgenommen, so ist ihm der entsprechende Teil der Niederschrift abschriftlich auszuhändigen. Einwendungen gegen die Niederschrift sind unverzüglich schriftlich zu erheben; sie sind der Niederschrift beizufügen.
(3) Die Mitglieder des Betriebsrats haben das Recht, die Unterlagen des Betriebsrats und seiner Ausschüsse jederzeit einzusehen.
(1) Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern.
(2) Zusammenschlüsse von Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern (Spitzenorganisationen) können im Namen der ihnen angeschlossenen Verbände Tarifverträge abschließen, wenn sie eine entsprechende Vollmacht haben.
(3) Spitzenorganisationen können selbst Parteien eines Tarifvertrags sein, wenn der Abschluß von Tarifverträgen zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehört.
(4) In den Fällen der Absätze 2 und 3 haften sowohl die Spitzenorganisationen wie die ihnen angeschlossenen Verbände für die Erfüllung der gegenseitigen Verpflichtungen der Tarifvertragsparteien.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
(1) Über jede Verhandlung des Betriebsrats ist eine Niederschrift aufzunehmen, die mindestens den Wortlaut der Beschlüsse und die Stimmenmehrheit, mit der sie gefasst sind, enthält. Die Niederschrift ist von dem Vorsitzenden und einem weiteren Mitglied zu unterzeichnen. Der Niederschrift ist eine Anwesenheitsliste beizufügen, in die sich jeder Teilnehmer eigenhändig einzutragen hat. Nimmt ein Betriebsratsmitglied mittels Video- und Telefonkonferenz an der Sitzung teil, so hat es seine Teilnahme gegenüber dem Vorsitzenden in Textform zu bestätigen. Die Bestätigung ist der Niederschrift beizufügen.
(2) Hat der Arbeitgeber oder ein Beauftragter einer Gewerkschaft an der Sitzung teilgenommen, so ist ihm der entsprechende Teil der Niederschrift abschriftlich auszuhändigen. Einwendungen gegen die Niederschrift sind unverzüglich schriftlich zu erheben; sie sind der Niederschrift beizufügen.
(3) Die Mitglieder des Betriebsrats haben das Recht, die Unterlagen des Betriebsrats und seiner Ausschüsse jederzeit einzusehen.