Finanzgericht Hamburg Beschluss, 03. Juni 2014 - 4 V 93/14

bei uns veröffentlicht am03.06.2014

Tatbestand

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I. Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Änderung von drei verbindlichen Zolltarifauskünften (vZTA) für Kameras.

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1. Die Antragstellerin stellte beim Antragsgegner unter dem ... 2012 fünf Anträge auf Erteilung von vZTA für verschiedene Modelle der Kamera "Produkt-X" des Fabrikats ZZ und schlug die Einreihung in die TARIC-Nr. 8525 8091 90 ("Videokameraaufnahmegeräte, nur mit Aufzeichnungsmöglichkeit des durch die Kamera aufgenommenen Tons und Bildes, andere als Fernsehkamera für geschlossene Fernsehsysteme (sog. closed circuit TV/CCTV)", Drittlandszollsatz 4,9%) vor.

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Der Antragsgegner reihte mit vZTA vom ... 2013 die Waren jeweils in die Code-Nr. 8525 8099 00 ("Videokameraaufnahmegeräte, andere als nur mit Aufzeichnungsmöglichkeit des durch die Kamera aufgenommenen Tons und Bildes", Drittlandszollsatz 14%) ein.

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2. Die Antragstellerin legte am 22.02.2013 Einsprüche gegen die Bescheide ein, nunmehr mit dem Begehren einer Einreihung in die Code-Nr. 8525 8030 00 ("digitale Fotoapparate", Drittlandszollsatz 0%). Zur Begründung nahm sie u. a. Bezug auf ihre Stellungnahmen, die sie nebst einem Gutachten zur Einreihung der Ware (durch Prof. Dr.-Ing. A vom 10.04.2013, Anlage A 28- Gutachten A -) in Verfahren über Einfuhrabgabenbescheide beim ... Finanzgericht und beim Hauptzollamt B eingereicht hatte.

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Für zwei der Kameras - die Modelle Produkt-X Version C und Produkt-X Version D - half der Antragsgegner den Einsprüchen ab. Mit Schreiben vom 16.10.2013 hob er die beiden insoweit erteilten vZTA auf und erließ mit Bescheiden vom 21.11.2013 zwei neue vZTA (DE ...-1 und DE ...-2), mit denen er diese Kameras in die begehrte Code-Nr. 8525 8030 00 einreihte.

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3. Hinsichtlich der drei anderen Einspruchsverfahren, die die Modelle Produkt-X Version E, Produkt-X Version E (V) und Produkt-X Version E (W) betreffen, fragte der Antragsgegner mit Schreiben vom 22.01.2014 bei der Antragstellerin an, ob sie dem Ruhen der Verfahren zustimme bis zum Ergehen einer Entscheidung des Ausschusses für den Zollkodex der Europäischen Kommission, mit der die auf Unionsebene ungeklärte Einreihung der Kameras entschieden werden solle. Die Antragstellerin lehnte dies ab, weil es für sie nicht erkennbar sei, welche konkreten Fragen der Einreihung einer Klärung durch die EU-Kommission bedürften, und setzte dem Antragsgegner eine Frist bis zum 28.03.2014.

7

In seinem Schreiben vom 07.02.2014 stellte der Antragsgegner der Antragstellerin noch Nachfragen zum Gutachten A und erbat die Vorlage eines - bis dahin noch nicht vorgelegten - Warenmusters; außerdem wiederholte er seine Ruhensanfrage.

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Die Antragstellerin antwortete mit Schreiben vom 25.02.2014, die Vorlage eines Warenmusters sei zur Erteilung der vZTA nicht erforderlich, weil sich die objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware aus den bereits mitgeteilten technischen Daten und dem vorgelegten Gutachten A ergeben würden.

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Mit Schreiben vom 26.03.2014 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, er beabsichtige, die Entscheidung über die Einsprüche bis zu einer endgültigen Entscheidung der EU-Kommission zurückzustellen. Denn er halte es nicht für zielführend, einer Entscheidung der Kommission durch eine isolierte nationale Entscheidung vorzugreifen, die sich gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt als nicht haltbar herausstellen könnte. Die Antragstellerin wurde abermals um Mitteilung - bis zum 25.04.2014 - gebeten, ob sie mit dem Ruhen der Einspruchsverfahren einverstanden sei.

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Die Antragstellerin stimmte nicht zu, sondern erhob am 17.04.2013 Untätigkeitsklage beim Finanzgericht Hamburg (4 K 92/14), über die noch nicht entschieden worden ist.

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4. Zugleich hat sich die Antragstellerin wegen einstweiligen Rechtsschutzes an das Gericht gewandt.

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Die Antragstellerin macht geltend, einen Anspruch auf Einreihung der Ware in die Code-Nr. 8525 8030 00, hilfsweise die Code-Nr. 8525 8090 00 zu haben. Bei den Kameras handele es sich um multifunktionale Geräte mit den Funktionen eines digitalen Fotoapparats und eines Videoaufzeichnungsgeräts. Unter Bezugnahme auf das Gutachten A trägt die Antragstellerin vor, Hauptfunktion der Kameras sei es, hochwertige Einzelbilder in verschiedenen Geschwindigkeiten aufzunehmen und in einzelnen Dateien abzulegen. Dass die Wiedergabe der Einzelbilder auch in einem "Video" möglich sei, habe eine bloß untergeordnete Bedeutung. Die Funktion "Video-Aufzeichnen" entspreche zudem, anders als die Funktion der Einzelbilder-Aufnahme, nicht dem gegenwärtigen Stand der Technik. Die Modelle der Serie "Version E" glichen insoweit den Modellen "Version C" und "Version D", die der Antragsgegner zutreffend in die Code-Nr. 8525 8030 00 eingereiht habe.

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Die Antragstellerin meint, ihr Antrag auf Erlass von einstweiligen Anordnungen, mit denen der Antragsgegner zur Änderung der vZTA in ihrem Sinne verpflichtet werden solle, sei zulässig, auch wenn durch sie die Entscheidungen des Hauptsacheverfahrens vorweggenommen würden, denn auf anderem Wege könne kein wirksamer Rechtsschutz erreicht werden: Sobald eine Einreihungsverordnung erlassen worden sei, könnten vZTA nur noch auf Basis dieser Einreihungsverordnung erteilt werden. Da zu erwarten sei, dass eine Einreihungsverordnung erlassen werde, die eine Einreihung der Kameras unter die Code-Nr. 8525 8099 vorgebe, werde dann die nach gegenwärtiger Rechtslage zutreffende Einreihung unter die Code-Nr. 8525 8030 nicht mehr möglich sein. Durch sein unzulässiges Abwarten bis zum Erlass einer Einreihungsverordnung unterlaufe der Antragsgegner den nach gegenwärtigem Recht bestehenden Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung der begehrten vZTA zur Code-Nr. 8525 8030, die nach Art. 12 Abs. 6 Zollkodex über den Zeitpunkt des Erlasses der Einreihungsverordnung hinaus eine Bindungswirkung zugunsten der Antragstellerin entfalten würden.

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Die Antragstellerin weist darauf hin, dass die begehrten vZTA auch von Bedeutung seien für den Ausgang ihrer Rechtsmittelverfahren, die sie gegen die Festsetzung von Einfuhrzoll für bereits erfolgte Einfuhren der streitgegenständlichen Kameras führe und die bis zum Abschluss des Verfahrens wegen der Erteilung der beantragten vZTA-Bescheide ruhten.

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Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die drei Bescheide über die Erteilung jeweils einer verbindlichen Zolltarifauskunft vom ... 2013 (vZTA-Nr. DE ...-3, DE ...-4 und DE ...-5) gegen Sicherheitsleistung dahingehend zu ändern, dass eine Einreihung der jeweiligen Ware in die TARIC-Nr. 8525 8030 00 erfolgt,
bzw. hilfsweise,
dass eine Einreihung der jeweiligen Ware in die TARIC-Nr. 8525 8090 00 erfolgt.

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Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge abzulehnen.

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Der Antragsgegner meint, die Anträge seien unzulässig, weil mit ihnen das Ziel des Hauptsacheverfahrens vorweggenommen werde. Die für die ausnahmsweise Zulässigkeit solcher Anträge vorausgesetzte besondere Intensität des Anordnungsgrundes liege nicht vor. Weder sei die wirtschaftliche oder persönliche Existenz der Antragstellerin in Frage gestellt noch drohe bei einer Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche Verletzung von Grundrechten.

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5. Dem Gericht lag außer den Schriftsätzen nebst Anlagen die Verfahrensakte des Antragsgegners vor (Gz.: ... lfd. Nr. .../...).

Entscheidungsgründe

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II. Die Anträge der Antragstellerin sind unzulässig

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1. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht zur vorläufigen Sicherung einer Rechtsposition des Antragstellers eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Rechtsverwirklichung vereitelt oder wesentlich erschwert wird (sogenannte Sicherungsanordnung). Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO sind einstweilige Anordnungen auch zur vorläufigen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (so genannte Regelungsanordnung).

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Da eine einstweilige Anordnung nur dem vorläufigen Rechtsschutz dient, muss sich die Anordnung auf eine vorläufige Regelung beschränken. Sie ist grundsätzlich unzulässig, soweit sie das Ergebnis der Entscheidung in der Hauptsache praktisch vorwegnehmen und damit dieser endgültig vorgreifen würde (vergleiche bereits BFH, Beschluss vom 09.12.1969, VII B 127/69; weitere Nachweise bei Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 114 FGO Rdnr. 41 m. w. N.).

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Allerdings kann eine Vorwegnahme der Hauptsache zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) zulässig sein, denn das grundsätzliche Verbot einer eventuellen Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigt es nicht, die Erfordernisse eines effektiven Rechtsschutzes hintanzustellen. Es ist zulässig und geboten, dem effektiven Rechtsschutz den Vorzug zu geben, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät kommt und ein irreparabler Rechtsverlust droht (BVerfG, Beschluss vom 15.08.2002, 1 BvR 1790/00; Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR). So ist eine dem Ergebnis des Hauptsacheverfahrens endgültig vorgreifende Regelungsanordnung dann ausnahmsweise zulässig, wenn sie zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes unumgänglich ist, der Erfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich ist und der Anordnungsgrund eine besondere Intensität aufweist (BFH, Beschluss vom 23.09.1998, I B 82/98). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass das Vorwegnahmeverbot nur verhindern soll, dass es zu Eilentscheidungen kommt, die sich in einem später geführten Hauptsacheverfahren als fehlerhaft erweisen und deren Wirkung dann nicht mehr effektiv rückgängig gemacht werden kann. Einstweilige Anordnungen, die nicht zu einem in diesem Sinne irreparablen Zustand führen, werden von dem Verbot deshalb nicht erfasst (BFH, Beschluss vom 21.02.1984, VII B 78/83). Aus demselben Grund kann es einer Eilentscheidung nicht entgegenstehen, wenn die Rechtslage klar und eindeutig ist und daher die Gefahr einer Fehlentscheidung zu Gunsten des Antragstellers nicht besteht (BFH, Beschluss vom 13.11.2002, I B 147/02).

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2. Die Anträge der Antragstellerin - sowohl die Hauptanträge als auch die Hilfsanträge - sind schon deswegen unzulässig, weil sie darauf zielen, im Wege einer Regelungsanordnung die Hauptsache vorwegzunehmen, denn die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zum Erlass geänderter vZTA und damit den Zustand, der im Erfolgsfalle im Hauptsacheverfahren erreicht werden könnte. Eine Situation, in der ausnahmsweise die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen werden darf, liegt nicht vor.

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Die Antragstellerin macht insoweit zwar geltend, ohne die einstweilige Anordnung drohe ihr ein endgültiger Rechtsverlust: Nach gegenwärtiger Rechtslage habe sie einen Anspruch auf Erteilung von geänderten vZTA, die gemäß Art. 12 Abs. 6 ZK über den Zeitpunkt des Erlasses der zu erwartenden, abweichenden Einreihungsverordnung hinaus Rechtswirkungen haben würden. Diese Rechtsposition drohe sie ohne Erlass der einstweiligen Anordnung (und der vZTA) unwiederbringlich zu verlieren, denn der Antragsgegner habe deutlich gemacht, vor Erlass der Einreihungsverordnung über die Einsprüche der Antragstellerin nicht zu entscheiden, und es sei damit zu rechnen, dass vor der Entscheidung in der Hauptsache eine die Rechtslage zu Ungunsten der Antragstellerin abweichende Einreihungsverordnung erlassen werde, die dann für die Entscheidung der Hauptsache maßgeblich sein werde.

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Der beschließende Senat hält die Anträge hingegen für unzulässig, denn er vermag im summarischen Verfahren nicht festzustellen, dass die Voraussetzungen, unter denen im Eilverfahren ausnahmsweise das Hauptsacheverfahren vorweggenommen werden darf, vorliegend gegeben sind, insbesondere
- dass der Erfolg der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich ist, also die Antragstellerin einen Anspruch darauf hat, dass die streitgegenständlichen Kameras in die von der Antragstellerin benannten Positionen einzuordnen sind;
- dass mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass eine Einreihungsverordnung ergeht, die zu Lasten der Antragstellerin dazu führen wird, dass die Kameras in eine ungünstigere Tarifposition eingereiht werden als ohne diese Einreihungsverordnung;
- dass diese Einreihungsverordnung vor Entscheidung der Hauptsache ergehen wird.

26

a) Schon die Einreihung der streitgegenständlichen Waren ist zweifelhaft.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie des Bundesfinanzhofs (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 20.06.1996, C-121/95; BFH, Urteil vom 18.12.2001, VII R 78/00, vom 09.10.2001, VII R 69/00, vom 14.11.2000, VII R 83/99, vom 05.10.1999, VII R 42/98, und vom 23.07.1998, VII R 36/97) ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind (vgl. die Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur). Soweit in den Positionen und Anmerkungen nichts anderes bestimmt ist, richtet sich die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 2 bis 5 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur. Daneben gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System Erläuterungen und Einreihungsavise, die ebenso wie die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur, die von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wurden, ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.12.1997, C-143/96, und vom 19.05.1994, C-11/93). Auf den Verwendungszweck einer Ware darf nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (vgl. BFH, Urteil vom 14.11.2000, VII R 83/99, Urteil vom 05.10.1999, VII R 42/98; Beschluss vom 24.10.2002, VII B 17/02).

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bb) Zwischen den Beteiligten ist die Frage im Streit, ob die streitgegenständlichen Kameras in die Position 8525 8099 (so der Antragsgegner) oder in die Position 8525 8030, hilfsweise Pos. 8525 8091 (so die Antragstellerin) einzureihen sind.

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(1) Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass der Antragsgegner die beiden anderen Modelle - Version D und Version C - in die Code-Nr. 8525 8030 eingereiht hat, für die Einreihung der streitgegenständlichen Modelle nicht maßgeblich ist. Die insoweit erteilten vZTA haben eine Rechtswirkung nur für die Festsetzung von Abgaben für die Einfuhr dieser Modelle, nicht aber für die Erteilung von vZTA für andere Modelle, insbesondere präjudizieren sie nicht das Gericht bei seiner Einreihungsentscheidung. Im Übrigen hat die Antragstellerin auch nicht hinreichend substantiiert und im Rahmen eines summarischen Verfahrens ohne weiteres leicht nachvollziehbar dargetan, dass die Modelle Version D und Version C mit den streitgegenständlichen Modellen der Version E in allen Aspekten, die für die Einreihung maßgeblich sein könnten, identisch sind.

29

(2) Über die zutreffende Einreihung kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht entschieden werden. Die Einreihungssituation ist nicht klar und eindeutig (vgl. zu diesem Erfordernis im einstweiligen Rechtsschutz BFH, Beschluss vom 13.11.2002, I B 147/02).

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Zweifelsfrei ist derzeit nur - wie zwischen den Beteiligten auch unstreitig -, dass die Waren in die Unterpos. 8525 80 "Fernsehkameras, digitale Fotoapparate und Videokameraaufnahmegeräte" einzureihen sind und dort nicht in die Unterposition 8525 8011 "Fernsehkameras". Die zwischen den Beteiligten streitige weitere Einreihung ist jedoch zweifelhaft:
Digitale Fotoapparate (Unterpos. 8525 8030) sind von einer Einreihung in die Unterpositionen 8525 8091 und - 8099 ausgeschlossen, wenn sie nicht in der Lage sind, bei Ausnutzung der maximalen Speicherkapazität in einer Auflösung von 800 × 600 Pixel (oder höher) bei 23 Bildern pro Sekunde (oder mehr) mindestens 30 Minuten einer einzelnen Videosequenz aufzuzeichnen (Erl KN Pos. 8525 Rdnr. 12.5). Zur Abgrenzung der Unterpositionen 8525 8091 und 8525 8099 voneinander ist sodann von Bedeutung (Erl. KN Pos. 8525 Rdnr. 12.7-13.1), ob nicht nur die von der Kamera aufgenommenen Töne und Bilder, sondern auch Signale externer Quellen (z. B. von DVD-Playern, automatischen Datenverarbeitungsmaschinen oder Fernsehempfangsgeräten) aufgezeichnet werden können, wobei unerheblich ist, ob der Videoeingang durch eine Abdeckung (Blende) oder auf andere Weise verschlossen ist, oder der Videoanschluss erst nachträglich mit Hilfe von Software als Videoeingang aktiviert werden kann.

31

Bereits bei kursorischer Durchsicht des Gutachtens A finden sich Feststellungen des Gutachters (Hervorhebungen in den folgenden Zitaten erfolgen nur hier), aufgrund derer es im Rahmen der summarischen Prüfung jedenfalls nicht als von vornherein ausgeschlossen angesehen werden kann, dass die vom Antragsgegner vorgenommene Einreihung in die Pos. 8525 8099 zutreffend sein kann.
- Zur Funktion heißt es dort: "alle drei Varianten der ZZ-Produkt-X-Kameras können als Fotokamera oder Videokamera eingesetzt werden" (S. 3).
- Zur Möglichkeit der Aufzeichnung einer Videosequenz findet sich die Feststellung: "Die längste in allen Tests der "E"-Version auftretende Abspielzeit einer MPEG-4-Videodatei beträgt maximal 26 Minuten und 3 Sekunden ... Dauert eine Videoaufnahme länger als diese Zeitspanne, so wird mindestens eine zweite MPEG-4- Videodatei bzw. ggfs. weitere Dateien auf der Speicherkarte gespeichert. Der Verwandtschaftsgrad dieser Dateien, die die Daten einer für den Betrachter scheinbar ununterbrochenen Videosequenz enthalten, ..." (S. 5.)
- Zum Bestehen einer Aufzeichnungsmöglichkeit ist zu lesen: "Somit ist die erste Frage in 3a (Übertragung von Daten/Videos von einem PC auf ein in der Speicherkamera befindliches Speichermedium) zu bejahen." (S. 8).

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Unabhängig davon, wie die Kameras letztlich zutreffend einzureihen sind, wird unter Berücksichtigung dieser Feststellungen des Gutachters deutlich, dass die Einreihungsfrage jedenfalls nicht, wie es für die Zulässigkeit der gestellten Anträge erforderlich wäre, klar und eindeutig im Sinne der Antragstellerin beantwortet werden kann. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Kriterium der Aufzeichnungsmöglichkeiten auch Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Düsseldorf an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 02.04.2014 (4 K 1455/13 Z, Frage 2) ist.

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b) Der Senat geht davon aus, dass die Antragstellerin, selbst wenn ihr Einreihungsbegehren nach gegenwärtigem Recht berechtigt wäre, keinen Anspruch auf eine sofortige Entscheidung über ihre Einsprüche hätte. Nach Art. 7 Abs. 1 ZK-DVO ist die zuständige Behörde zwar dazu verpflichtet, eine beantragte vZTA unverzüglich zu erteilen. Hat sie drei Monate nach Annahme des Antrages die vZTA noch nicht erteilt, muss sie allerdings lediglich den Antragsteller über den Grund der Verzögerung unterrichten und den Zeitraum angeben, innerhalb dessen sie voraussichtlich die Auskunft erteilen kann (vgl. Schulmeister in Witte, Zollkodex, Art. 12 Rdnr. 8; Lux in Dorsch, Zollrecht, ZK Art. 12 Rdnr. 18). Hier hat der Antragsgegner bereits vZTA erteilt. Die Antragstellerin hat diese vZTA zwar angefochten. Eine Regelung zur Entscheidung im Einspruchsverfahren findet sich indes im ZK-DVO nicht. Eine Pflicht zur Beschleunigung im Einspruchsverfahren, die über die für das Antragsverfahren geregelte Pflicht hinausgeht, kann nicht erkannt werden.

34

Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner der Antragstellerin auch den Grund für die Verzögerung mitgeteilt, nämlich dass zurzeit ein Verfahren der Kommission zur Klärung der (auch zwischen den Beteiligten) streitigen Einreihungsfrage durchgeführt wird. In diesem Umstand liegt ein sachgerechter Grund, über die Einsprüche noch nicht zu entscheiden. Denn der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts und damit auch des Tarifrechts kommt eine besondere Bedeutung für die Verwirklichung des Binnenmarkts zu (vgl. z. B. Art. 26 ff. AEUV), bei dem es sich um eines der grundlegenden Ziele des Unionsrechts handelt.

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c) Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass der beschließende Senat nach der im Eilverfahren maßgeblichen Aktenlage nicht die erforderlichen Feststellungen dazu treffen kann, ob, wie die Antragstellerin behauptet, tatsächlich mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass eine Einreihungsverordnung erlassen und diese gegebenenfalls zu Lasten der Antragstellerin dazu führen wird, dass die Kameras in eine andere Tarifposition einzureihen sein werden als ohne diese Einreihungsverordnung, und wann mit dem Erlass der Verordnung gegebenenfalls zu rechnen ist. Weitere Ermittlungen sind im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch insoweit nicht durchzuführen.

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d) Im Übrigen stellt die von der Antragstellerin erwartete Veränderung ihrer Rechtsposition nach Ansicht des beschließenden Senats keinen irreparablen Rechtsverlust dar, der ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnte.

37

Selbst wenn zugunsten der Antragstellerin unterstellt würde, dass die bereits erteilten vZTA nach gegenwärtigem Recht in ihrem Sinne geändert werden müssten - was, wie dargelegt, jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht festgestellt werden kann - wäre Folgendes zu bedenken: Gemäß Art. 12 Abs. 5 Buchst. a) Nr. i) ZK wird eine vZTA ungültig, wenn sie aufgrund des Erlasses einer Verordnung dem damit gesetzten Recht nicht mehr entspricht. Würden der Antragstellerin die begehrten vZTA erteilt, so wären sie mit Erlass der von der Antragstellerin erwarteten Einreihungsverordnung ungültig, so dass der Nichterlass der begehrten vZTA grundsätzlich nicht mit einem Rechtsverlust verbunden wäre. Die Antragstellerin bezieht sich zur Begründung ihres Rechtsschutzbedürfnisses auf die Regelung in Art. 12 Abs. 6 ZK, nach der eine vZTA, die ungültig wird, weil sie aufgrund des Erlasses einer Einreihungsverordnung nicht mehr dem gesetzten Recht entspricht, von dem Berechtigten nach den näher bestimmten Modalitäten noch sechs Monate verwendet werden kann. Nach Ansicht des beschließenden Senats kann eine Vorwegnahme der Hauptsache jedoch nicht mit der Fortwirkung einer ungültig gewordenen vZTA begründet werden. Denn es kann nicht unbeachtet bleiben, dass diese Regelung dem Vertrauensschutz (vgl. Schulmeister in Witte, Zollkodex, Art. 12 Rdnr. 93 ff.) in die Fortgeltung des geltenden Rechts dient, das durch die Erteilung einer vZTA festgestellt worden ist. Die Einräumung einer solchen vertrauensgeschützten Rechtsposition ist jedoch dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn die Rechtslage bereits in dem Zeitpunkt, in dem (eigentlich) über den Antrag auf Erteilung einer vZTA (oder über den Einspruch gegen eine vZTA) entschieden werden könnte, deswegen bereits unsicher (geworden) ist, weil zwischen den Mitgliedsstaaten Uneinigkeit über die zutreffende Einreihung herrscht und ein Verfahren eingeleitet worden ist, in dem diese Uneinigkeit zeitnah durch Erlass einer Einreihungsverordnung beseitigt werden soll.

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e) Auch hinsichtlich der von der Antragstellerin angesprochenen Verfahren, in denen über Einfuhrabgabenscheide für bereits eingeführte Kameras gestritten wird und die bis zum Abschluss des vZTA-Verfahrens ruhen, ist eine Gefährdung der Rechtsposition der Antragstellerin nicht zu befürchten. Bereits eingeführte Kameras dürften unabhängig von einer gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt erlassenen Einreihungsverordnung auf der Grundlage des bei der Einfuhr geltenden Rechts einzureihen sein.

39

4. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 135 Abs. 1 FGO. Gründe für die Zulassung der Beschwerde gemäß § 128 Abs. 3 i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

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(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des An

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Finanzgericht Hamburg EuGH-Vorlage, 19. Juni 2015 - 4 K 92/14

bei uns veröffentlicht am 19.06.2015

Tatbestand 1 I. Die Beteiligten streiten um die zolltarifliche Einreihung sog. Action-Kameras. 2 Die Klägerin führt u. a. Kameras des Herstellers X ins Zollgebiet der Union ein. Bei diesen sog. Action-Kameras handelt es sich um batteriebetriebene

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Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten um die zolltarifliche Einreihung sog. Action-Kameras.

2

Die Klägerin führt u. a. Kameras des Herstellers X ins Zollgebiet der Union ein. Bei diesen sog. Action-Kameras handelt es sich um batteriebetriebene elektronische Geräte mit Funktionen eines digitalen Fotoapparates und eines Videokameraaufnahmegerätes, die insbesondere zur Dokumentation von Sport- und Freizeitaktivitäten geeignet sind.

3

Unter dem 05.12.2012 beantragte die Klägerin für die fünf Kameramodelle der Modellreihe Y „Modell-1“, „Modell-2“, „Modell-3“, „Modell-3 A“ und „Modell-3 B“ je eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) und schlug die Einreihung in die TARIC-Nr. 8525 8091 90 vor. Die Modelle „Modell-1“, „Modell-2“ und „Modell-3“ unterscheiden sich insbesondere im Hinblick auf die optische Qualität (Linse, Aufnahmewinkel) und die Foto- und Videofunktionen. Die Varianten des „Modell-3“ (B und A) unterscheiden sich vom Grundmodell nur im Hinblick auf das mitgelieferte Befestigungszubehör.

4

Der Beklagte reihte die fünf Kameras mit den folgenden vZTAen vom 21.01.2013 in die TARIC-Warencode-Nr. 8525 8099 00 ein:

5

vZTA DE-1: Y Modell-1,
vZTA DE-2: Y Modell-2,
vZTA DE-3: Y Modell-3,
vZTA DE-4: Y Modell-3 A,
vZTA DE-5: Y Modell-3 B.

6

Es handele sich jeweils um multifunktionale digitale Videokameraaufnahmegeräte. Die Speicherung und Wiedergabe von Videos mit einer maximalen Auflösung von 1.920 x 1.080 Pixel bzw. 2.716 x 1.524 Pixel bei 30 Bildern pro Sekunde für mehr als 30 Minuten sei die kennzeichnende Haupttätigkeit.

7

Gegen diese vZTAe legte die Klägerin am 22.02.2013 Einspruch ein und begehrte nunmehr die Einreihung in die TARIC-Warencode-Nr. 8525 8030 00 (digitale Fotoapparate). Zur Begründung verwies sie u. a. auf das Gutachten zur zolltariflichen Einreihung der Kameras XY von Prof. Dr.-Ing. C von der Technischen Universität D vom 10.04.2013 (Gutachten C, Anlage 28 zur Klagschrift). Für die Kameramodelle „Modell-2“ und „Modell-1“ half die Beklagte den Einsprüchen der Klägerin ab und erließ am 21.11.2013 die vZTAe DE …7/…-1 und DE …1/…-1, mit denen diese Kameras als „digitale Fotoapparate“ in die TARIC-Warencode-Nr. 8525 8030 00 eingereiht wurden. Da diese Entscheidungen von der unzutreffenden Annahme ausgingen, dass diese Modelle Videosequenzen nur mit einer Auflösung von 800 x 480 Pixel aufnehmen könnten, wurden sie in der Folge widerrufen.

8

Die drei Kameras des „Modell-3“ (im Folgenden: streitgegenständliche Kameras), die allein Gegenstand des weiteren Einspruchs- und Gerichtsverfahrens sind, weisen die folgenden Produktmerkmale auf: Sie haben einen Auslöse-/Auswahlknopf, einen Einschalt-/Modus-Schalter, eine LCD-Statusanzeige, jedoch kein Sucherdisplay. Sie verfügen über ein Objektiv mit Festbrennweite und Aufnahmewinkeln von 150 Grad, 127 Grad und 90 Grad. Die mit der Linse und einem eingebauten Mikrofon eingefangenen Ton- und Bildinformationen werden im MP4 H.264-Dateiformat auf einer austauschbaren Speicherkarte gespeichert. Die Kameras haben keinen fest installierten internen Speicher, auf dem Bild- und Toninformationen aufgenommen werden können. Die Software der Kameras kodiert die aufgenommenen Daten in einer Weise, dass eine Unterscheidung der durch die Kameras erzeugten MP4 H.264-Dateien von aus anderen Quellen stammenden Dateien möglich ist. Die Kameras besitzen mehrere Fotofunktionen (Einzelfoto, Fotoserie, Fotointervall, Dauerfotoserie, simultane Video- und Fotoaufnahme) mit einer Auflösung bis 12 Megapixel. Darüber hinaus können sie Videos bei 30 Bildern pro Sekunde in einer Auflösung von mindestens 1.920 x 1.080 Pixel im Videoschleifenmodus bis zu 120 Minuten und bei ausreichender Leistung eines als Zubehör zu erwerbenden weiteren Akkus und genügender Speicherkapazität der Speicherkarte auch länger aufzeichnen. Videoaufnahmen, die länger als 26 Minuten und drei Sekunden dauern, werden in mindestens einer weiteren MP4 H.264-Datei mit einer maximalen Abspielzeit von jeweils 26 Minuten und drei Sekunden aufgezeichnet. Beim Abspielen merkt der Betrachter den Wechsel von einer Datei zur nächsten nicht. Die Videos können in unterschiedlichen Auflösungen aufgenommen werden. Je höher die Auflösung ist, desto geringer ist die maximale Bildrate (Bilder pro Sekunde). Mithilfe der XX-Software können Farbe, ISO-Limit, Schärfe und Belichtung von Aufnahmen unmittelbar an der Kamera oder mittels einer Applikation auf einem mit der Kamera verbundenen Smartphone oder einem Tablet-PC eingestellt werden. Neben dem Kartensteckplatz für eine Speicherkarte verfügen die Kameras über einen Mikro-HDMI-Anschluss, einen Mikro-USB-Anschluss, der auch ein Composite A/V-Kabel und einen 3,5 mm Stereomikrofonadapter unterstützt, ein integriertes Wi-Fi und einen Y-Anschluss. Über den unidirektionalen HDMI-Anschluss und die unidirektionale Verbindung mit einem Composite A/V-Kabel können die Bild- und Videodateien, die sich auf der Speicherkarte befinden, auf einem TV-Gerät oder einem Computermonitor gezeigt werden, wobei keine Datenspeicherung auf dem externen Gerät erfolgt, sondern die Daten nach der Übertragung verworfen werden (Streaming). Die Steuerung der Wiedergabe erfolgt über die Kamera (Bedienungsanleitung, S. 54). Das bidirektionale Wi-Fi ermöglicht über eine Funkverbindung die Fernsteuerung der Kameras. Neben der mitgelieferten Fernbedienung kann dies über einen Tablet-PC oder ein Smartphone erfolgen, auf die die auf der Speicherkarte aufgenommenen Daten gestreamt werden. Eine Aufnahme von Videodateien ist über die Wi-Fi-Schnittstelle nicht möglich (Gutachten C, S. 14). Es können jeweils nur solche Bild- und Videodateien, die sich auf der Speicherkarte der Kamera befinden, abgespielt werden, die die Kamera selbst aufgezeichnet hat; Dateien aus anderen Quellen werden von der Kamera nicht unterstützt und auf dem Display oder Bildschirm mit „FILE NOT SUPPORTED“ angezeigt. Über den Mikro-USB-Anschluss können die Kameras an einen Computer angeschlossen werden, der die sich in der Kamera befindliche Speicherkarte als externes Computerlaufwerk erkennt. Es können Bild- und Videodateien, die sich auf der Speicherkarte der Kamera befinden, auf einem Computer gespeichert werden und umgekehrt Dateien, die sich auf einem Computer befinden, auf die Speicherkarte der Kamera verschoben werden. Die Steuerung dieses Speichervorgangs erfolgt durch ein Dateiverwaltungsprogramm (z. B. Windows Explorer) des Computers. Die Kamera kann in diesem Fall nicht bedient werden (Gutachten C, S. 9). Andere Möglichkeiten der Speicherung von Bild- und Videodaten auf der Speicherkarte der Kamera gibt es nicht. Mithilfe einer MP4-tauglichen Wiedergabesoftware des Computers können Bild- und Videodateien, die sich auf der vom Computer als externes Laufwerk erkannten Speicherkarte befinden, auf einem Monitor, der mit dem Computer verbunden ist, wiedergegeben werden. Der Y-Anschluss ist eine speziell für X-Kameras entwickelte Schnittstelle zur Datenübertragung auf einen als Zubehör erhältlichen LCD-Touchscreen, auf den die Bild- und Videodateien, die sich auf der Speicherkarte befinden, gestreamt werden können.

9

Nach dem Erlass der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 vom 08.08.2014 (ABl. EU L 240/12), der eine X Y „Modell-1“ zu Grunde lag, erließ der Beklagte die Einspruchsentscheidung vom 20.08.2014, mit dem der Einspruch, soweit ihm nicht abgeholfen worden war, als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die Kameras stellten Multifunktionsmaschinen im Sinne der Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN dar. Die Hauptfunktion, nach der die ganze Multifunktionsmaschine einzureihen sei, sei die eines Videokameraaufnahmegeräts. Dies ergebe sich aus den Erläuterungen Nr. 11.3 bis 12.5 zur Position 8525 KN. Danach seien multifunktionale, digitale Fotoapparate nicht als digitale Fotoapparate einzureihen, wenn sie bei Ausnutzung der maximalen Speicherkapazität und einer Auflösung von mindestens 800 x 600 Pixel und 23 oder mehr Bildern pro Sekunde eine mindestens 30 Minuten lange einzelne Videosequenz aufnehmen könnten. Dies sei bei den Kameras der Fall. Dass die Videosequenzen ab einer bestimmten Länge auf der Speicherkarte in mehreren Dateien gespeichert würden, habe keinen Einfluss auf die gesamte Aufzeichnungsdauer. Innerhalb der Videokameraaufnahmegeräte seien die Kameras als „andere“ Videokameraaufnahmegeräte einzureihen. Auf den Kameras könnten nämlich Videodateien mit Ton gespeichert werden, die von einer angeschlossenen Datenverarbeitungsmaschine über einen USB-Anschluss übertragen worden seien. Dieser Vorgang der Speicherung von Videodateien stelle eine Aufzeichnung von Bildern und Tönen im Sinne der Unterposition 8525 8099 KN dar. Dies ergebe sich auch aus der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014. Dass sich die damit eingereihte Kamera hinsichtlich der maximalen Pixelzahl von den streitgegenständlichen Kameras unterscheide, sei unerheblich, weil die für die Einreihung maßgeblichen Merkmale identisch seien.

10

Die Klägerin hatte bereits am 17.04.2014 Untätigkeitsklage erhoben und trägt im Wesentlichen vor: Die streitgegenständlichen Kameras seien als digitale Fotoapparate einzureihen. Sie unterfielen dem Wortlaut der Unterposition 8525 8030 KN und hätten auch die in den Ziff. 11.0 bis 13.0 und 17.0 der Erläuterungen zur Position 8525 des Harmonisierten Systems (HS) beschriebenen objektiven Merkmale und Eigenschaften von digitalen Fotoapparaten. Auch die Erläuterungen zur Unterposition 8525 8030 KN stünden einer Einreihung als digitale Fotoapparate nicht entgegen. Die das Ganze kennzeichnete Haupttätigkeit im Sinne von Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN sei die Verwendung als digitaler Fotoapparat. Die Kameras würden im Wesentlichen zur Aufzeichnung von sportlichen Aktivitäten verwendet. Wegen der Eigenarten dieser Motive handele es sich typischerweise um Aufnahmen mit den voreinstellbaren Fotofunktionen oder Filmen von wenigen Minuten Dauer. Die streitgegenständlichen Kameras seien auch nicht in der Lage, eine Videosequenz von 30 Minuten Länge aufzunehmen. Videoaufnahmen würden nämlich ab einer Dauer von 26 Minuten und vier Sekunden nicht in einer, sondern mindestens in einer weiteren Datei mit gleicher maximaler Abspielzeit aufgezeichnet. Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 sei zeitlich nicht anwendbar, da der Antrag auf Erteilung von vZTAen lange vor ihrem Inkrafttreten gestellt worden sei. Sie sei auch sachlich nicht anwendbar, weil die streitgegenständlichen Kameras Merkmale hätten, die bei der Kamera, die der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 zu Grunde liege, nicht gegeben seien. Jeder tatsächliche Unterschied in den Produkteigenschaften sei erheblich. Die Verordnung könne auch nicht – der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entsprechend – außerhalb ihres Anwendungsbereichs als Indiz für die zutreffende Einreihung von Waren herangezogen werden. Im Übrigen ändere die Verordnung das bestehende Tarifrecht. Sie knüpfe nämlich daran an, dass bei der Gestellung Dateien von einem PC über die USB-Schnittstelle auf das Gerät übertragen werden könnten. Da dies nach dem gegenwärtigen Stand der Technik quasi alle digitalen Fotoapparate könnten, stelle das Vorliegen einer USB-Schnittstelle keinen sachlichen Differenzierungsgrund für die Einreihung mehr dar. Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 (ABl. L 319/39) stehe ihrem Begehren ebenfalls nicht entgegen, da sich die damit eingereihten Videorekorder im Taschenformat in wesentlichen Punkten von den streitgegenständlichen Kameras unterschieden. Sofern die Kameras zolltarifrechtlich Videokameraaufnahmegeräte seien, wären sie nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) mangels autonomer Aufzeichnungsmöglichkeit von Signalen aus externen Quellen in die Unterposition 8525 8091 KN einzureihen. Nach dieser Rechtsprechung stelle die Möglichkeit, Dateien von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine über die USB-Schnittstelle auf das Gerät zu übertragen, keine autonome Aufzeichnungsmöglichkeit dar. Die Software der streitgegenständlichen Kameras erlaube weder die Aufzeichnung eines Videosignals eines anderen elektronischen Gerätes noch die Steuerung einer Übertragung (Kopieren) von Dateien von einem externen Speichermedium auf die sich in der Kamera befindliche Speicherkarte. Durch eine an die Kamera angeschlossene automatische Datenverarbeitungsmaschine könnten zwar Dateien auf die in der Kamera befindliche Speicherkarte übertragen werden. Dazu sei jedoch nicht die Kamera selbst, sondern nur die Speicherkarte erforderlich. Bild- und Videodateien, die sich auf der Speicherkarte in der Kamera befänden, könnten nur dann auf einem an die Kamera angeschlossenen Bildschirm angezeigt und wiedergegeben werden, wenn die Bild- und Videodateien durch die Kamera selbst erzeugt worden seien.

11

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter entsprechender Aufhebung der verbindlichen Zolltarifauskünfte vom 21.01.2013 Nr. DE-3, DE-5 bzw. DE-4, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.08.2014, zu verpflichten,
1. ihr eine vZTA zu erteilen, mit der die Y „Modell-3“ in die TARIC-Code-Nr. 8525 8030 00, hilfsweise Nr. 8525 8091 90 eingereiht wird;
2. ihr eine vZTA zu erteilen, mit der die Y „Modell-3 B“ in die TARIC-Code-Nr. 8525 8030 00, hilfsweise Nr. 8525 8091 90 eingereiht wird;
3. ihr eine vZTA zu erteilen, mit der die Y „Modell-3 A“ in die TARIC-Code-Nr. 8525 8030 00, hilfsweise Nr. 8525 8091 90 eingereiht wird.

12

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

13

Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag und führt ergänzend aus: Dass Videosequenzen ab einer Dauer von 26 Minuten und 4 Sekunden in einer separaten Datei gespeichert würden, habe keinen Einfluss auf die gesamte Aufzeichnungsdauer, weil die Aufzeichnung durch den Beginn einer Speicherung in einer zweiten Datei nicht unterbrochen werde. Dieses Ergebnis werde auch von der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 bestätigt. Das Fehlen der Zoomfunktion sei nach der Erläuterung Nr. 11.8 zu Position 8525 KN kein zwingendes Abgrenzungsmerkmal zwischen Videokamera und Fotoapparat. Die Durchführungsverordnung verstoße schon deshalb nicht gegen das Zolltarifrecht, weil sie nur klarstellende Wirkung habe. Auch aus inhaltlicher Sicht spreche nichts gegen ihre Berücksichtigung, weil die in ihr beschriebene Kamera den streitgegenständlichen Kameras sehr ähnlich sei.

Entscheidungsgründe

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II. Der Senat setzt das Verfahren in analoger Anwendung des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 S. 1 Buchst. b) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die im Tenor genannten Fragen zur Vorabentscheidung vor, weil die rechtliche Würdigung des Falles unionsrechtlich zweifelhaft ist.

15

1. Rechtlicher Rahmen
Nach Ansicht des Senats sind die im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (dazu 1.1) in Betracht kommenden Unterpositionen 8525 8030, 8525 8091 und 8525 8099 der Kombinierten Nomenklatur (KN) mit ihren TARIC-Unterpositionen (dazu 1.2), die Erläuterungen zur KN zu diesen Unterpositionen (dazu 1.3) sowie die Durchführungsverordnungen (EU) Nr. 1249/2011 und Nr. 876/2014 (dazu 1.4) für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung. Im Einzelnen:

16

1.1 Nach mitgliedstaatlichem Verfahrensrecht handelt es sich bei der von der Klägerin angestrebten Verpflichtung des Beklagten auf Erteilung von vZTAen – Verwaltungsakten im Sinne des mitgliedstaatlichen Rechts – um eine Verpflichtungsklage. Bei einer solchen Klage ist, sofern der Behörde – wie hier – kein Ermessen eingeräumt ist, nach mitgliedstaatlichem Recht grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BFH, Urt. v. 06.08.2013, VII R 15/12, juris, Rn. 10; Lange, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 226. Ergänzungslieferung, Febr. 2014, § 101 FGO, Rn. 25; Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 138. Ergänzungslieferung, Okt. 2014, § 101 FGO, Rn. 8, jeweils mit weiteren Nachweisen). Weiter ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich bei einer vZTA um einen Dauerverwaltungsakt handelt. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für ihren Erlass müssen während der gesamten Gültigkeit (Art. 12 Abs. 4 S. 1 ZK) durchgängig vorliegen (siehe Art. 12 Abs. 5 Buchst. a) i) ZK). Da nach dem mitgliedstaatlichen Verwaltungsprozessrecht im Falle des Erfolgs der Klage der Beklagte verpflichtet werden würde, die vZTAe mit Wirkung zum ursprünglichen Erlassdatum neu zu erteilen, ist mithin die Rechtslage im gesamten Zeitraum zwischen diesem Tag – dem 21.01.2013 – und dem Schluss der mündlichen Verhandlung von Bedeutung. Damit gilt Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif vom 23.07.1987 (ABl. EG L 256/1) in den – für die hier relevanten Unterpositionen gleichlautenden – Fassungen der Durchführungsverordnungen (EU) Nr. 927/2012 vom 09.10.2012 (ABl. EU L 304/1), Nr. 1001/2013 vom 04.10.2013 (ABl. EU L 290/1) und Nr. 1101/2014 vom 16.10.2014 (ABl. EU L 312/1) sowie die hierauf aufbauenden Unterpositionen des Integrierten Tarifs der Europäischen Gemeinschaften (TARIC) gemäß Art. 2 Verordnung (EWG) Nr. 2658/87.

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1.2 Die relevanten Unterpositionen der Position 8525 KN lauten wie folgt:

        

8525 80

– Fernsehkameras, digitale Fotoapparate und Videokameraaufnahmegeräte

        

8525 8030

– –  digitale Fotoapparate, vertragsmäßiger Zollsatz (%): frei

        

– –  Videokameraaufnahmegeräte:

        

8525 8091

– – nur mit Aufzeichnungsmöglichkeit des durch die Kamera aufgenommenen Tons und Bildes, vertragsmäßiger Zollsatz (%): 4,9

        

8525 8099

– – – andere, vertragsmäßiger Zollsatz (%): 14

18

Die Unterposition 8525 8091 KN wird im TARIC wie folgt weiter untergliedert:

        

8525 8091 10 0

Kamera

- mit einem Gewicht von nicht mehr als 5,9 kg

- ohne Gehäuse

- mit Abmessungen von nicht mehr als 405 mm x 315 mm

- mit einem ladungsgekoppelten (CCD) Einzelsensorelement oder einem CMOS-Sensor

- mit nicht mehr als 5 effektiven Megapixeln zur Verwendung in CCTV-Überwachungssystemen ("closed circuit TV", "geschlossene Fernsehsysteme") oder in Geräten zur Augenkontrolle

        

8525 8091 90 0

andere

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Die Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN lautet:
Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind kombinierte Maschinen aus zwei oder mehr Maschinen verschiedener Art, die zusammen arbeiten sollen und ein Ganzes bilden, sowie Maschinen, die ihrer Beschaffenheit nach dazu bestimmt sind, zwei oder mehrere verschiedene, sich abwechselnde oder ergänzende Tätigkeiten (Funktionen) auszuführen, nach der das Ganze kennzeichnenden Haupttätigkeit (Hauptfunktion) einzureihen.

20

1.3 Die Erläuterungen der Europäischen Kommission zur Kombinierten Nomenklatur der Europäischen Union (ABl. EU 2015 C 76/1; im Folgenden: Erläuterungen) zu digitalen Fotoapparaten (8525 8030 KN) lauten (Europäischer Zolltarif [EZT]-Nr. 11.7 und 11.8):

21

Digitale Fotoapparate

22

Digitale Fotoapparate dieser Unterposition können immer Fotos aufnehmen und sie entweder auf einem internen Speichermedium oder einem Wechseldatenträger speichern.

23

Das Design der meisten Fotoapparate dieser Unterposition entspricht dem herkömmlicher Fotoapparate. Sie verfügen für gewöhnlich nicht über ein aufklappbares Sucherdisplay.

24

Diese Fotoapparate verfügen zum Teil über Videofunktionen, mit denen Videosequenzen aufgenommen werden können.

25

Fotoapparate werden in diese Unterposition eingereiht, es sei denn sie sind in der Lage, bei Ausnutzung der maximalen Speicherkapazität in einer Auflösung von 800 × 600 Pixel (oder höher) bei 23 Bildern pro Sekunde (oder mehr) mindestens 30 Minuten einer einzelnen Videosequenz aufzunehmen.

26

Im Gegensatz zu den Videokameraaufnahmegeräten der Unterpositionen 8525 80 91 und 8525 80 99 bieten viele digitale Fotoapparate beim Gebrauch als Videokamera keine optische Zoomfunktion während der Videoaufnahme.

27

Die Erläuterungen zu Videokameraaufnahmegeräten (Unterposition 8525 80 91 und 8525 80 99 KN) lauten (EZT-Nr. 12.2-12.5):

28

Videokameraaufnahmegeräte

29

Videokameraaufnahmegeräte dieser Unterpositionen können immer Videosequenzen aufnehmen und entweder auf einem internen Speichermedium oder einem Wechseldatenträger speichern.

30

Gewöhnlich unterscheidet sich das Design der Videokameraaufnahmegeräte dieser Unterpositionen von dem der digitalen Fotoapparate der Unterposition 8525 80 30. Sie verfügen oft über ein aufklappbares Sucherdisplay und häufig wird eine Fernbedienung mitgeliefert. Während der Videoaufnahmen bieten sie immer eine optische Zoomfunktion.

31

Diese Videokameraaufnahmegeräte können auch Fotos speichern.

32

Digitale Fotoapparate sind von diesen Unterpositionen ausgeschlossen, wenn sie nicht in der Lage sind, bei Ausnutzung der maximalen Speicherkapazität in einer Auflösung von 800 × 600 Pixel (oder höher) bei 23 Bildern pro Sekunde (oder mehr) mindestens 30 Minuten einer einzelnen Videosequenz aufzuzeichnen.

33

Die Erläuterungen zu “andere“ Videokameraaufnahmegeräte (Unterposition 8525 8099 KN) lauten (EZT-Nr. 12.8 und 13.1):

34

Hierher gehören Videokameraaufnahmegeräte (sog. Camcorder) mit denen nicht nur die von der Kamera aufgenommenen Töne und Bilder, sondern auch Signale externer Quellen (z. B. von DVD-Playern, automatischen Datenverarbeitungsmaschinen oder Fernsehempfangsgeräten) aufgezeichnet werden können. Die aufgezeichneten Bilder können über ein externes Fernsehempfangsgerät oder einen Monitor wiedergegeben werden. […]

35

Dagegen gehören „Camcorder“, mit denen nur die von der Kamera aufgenommenen Bilder aufgezeichnet und über ein externes Fernsehempfangsgerät oder einen externen Monitor wiedergegeben werden können, zu Unterposition 8525 80 91.

36

1.4 Zwei Verordnungen der Europäischen Kommission (Kommission) zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur sind für den Rechtsstreit von Bedeutung.

37

Mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 vom 29.11.2011 (ABl. EU L 319/39) wurden „Videorekorder im Taschenformat“ in die Unterposition 8525 8099 KN eingereiht. Warenbezeichnung und Begründung der Einreihung lauten wie folgt:

38

Warenbezeichnung: Tragbares batteriebetriebenes Gerät zum Aufnehmen und Aufzeichnen von Videosequenzen mit Abmessungen von etwa 10 × 5,5 × 2 cm (sogenannter „Videorekorder im Taschenformat“), bestehend aus:
- einem Kameraobjektiv und einem Digital-Zoom,
- einem Mikrofon,
- einem Lautsprecher[,]
- einer Flüssigkristallanzeige mit einer Diagonale von etwa 5 cm (2 Zoll),
- einem Mikroprozessor,
- einem Speicher mit einer Kapazität von 2 GB,
- USB- und AV-Schnittstellen.

39

Das Gerät kann nur Videodateien als Bildsequenzen im Format MPEG4-AVI aufnehmen und aufzeichnen. Die Aufzeichnung erfolgt mit einer Auflösung von 640 × 480 Pixeln bei je 30 Bildern pro Sekunde mit einer Aufzeichnungsdauer von maximal 2 Stunden.

40

Die mit dem Gerät aufgenommenen Videosequenzen können entweder ohne Änderung des Formats der Videodateien über die USB-Schnittstelle an eine automatische Datenverarbeitungsmaschine oder über die AV-Schnittstelle an einen digitalen Videorekorder, einen Monitor oder ein Fernsehempfangsgerät gesendet werden.

41

Videodateien können über die USB-Schnittstelle von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine an das Gerät gesendet werden.

42

Begründung: Einreihung gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur sowie nach dem Wortlaut der KN-Codes 8525, 8525 80 und 8525 80 99.

43

Da das Gerät nur Videosequenzen aufzeichnen kann, ist eine Einreihung in den KN-Code 8525 80 30 als digitaler Fotoapparat ausgeschlossen. Seinen Merkmalen nach ist das Gerät ein Videokameraaufnahmegerät.

44

Da das Gerät Videodateien aus anderen Quellen als der eingebauten Fernsehkamera aufzeichnen kann, ist eine Einreihung in den KN-Code 8525 80 91 als Videokameraaufnahmegerät nur mit Aufzeichnungsmöglichkeit des durch die Kamera aufgenommenen Tons und Bildes ausgeschlossen.

45

Die Ware ist daher als anderes Videokameraaufnahmegerät in den KN-Code 8525 80 99 einzureihen.

46

Mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 vom 08.08.2014 (ABl. EU L 240/12) wurde eine „Action-Cam“ ebenfalls in die Unterposition 8525 8099 KN eingereiht. Warenbezeichnung und Begründung der Einreihung lauten wie folgt:

47

Warenbezeichnung: Tragbares batteriebetriebenes Gerät zum Aufnehmen und Aufzeichnen von Fotos und Videobildern (sogenannte „Action-Cam“) mit Abmessungen von etwa 6 × 4 × 2 cm und einem Gewicht von etwa 74 g, bestehend aus
- einem Superweitwinkelobjektiv,
- einem Flüssigkristall (LCD)-Statusanzeiger,
- Micro-USB- und Micro-HDMI-Schnittstellen,
- einem Einschub für eine Micro-SD-Karte,
- integriertem WLAN,
- einem Port für optionales Zubehör.

48

Das Gerät hat weder einen Zoom, einen Sucher, noch ein Display zur Anzeige von aufgezeichneten Bildern. Das Gerät ist nicht zum Halten in der Hand, sondern zur Befestigung beispielsweise an einem Helm bestimmt. Es ist für dynamische Umgebungsaufnahmen bei Tätigkeiten im Freien wie Radfahren, Surfen und Skifahren aufgemacht. Die Videoqualität kann in einem Bereich von 848 × 480 Pixel bis 1 920 × 1 080 Pixel eingestellt werden.

49

Fotos können nur in einer Qualität von 5 Megapixel aufgezeichnet werden. Die Fotoqualität (wie Bildschärfe, Farbe, Bildgestaltung) kann nicht am Gerät eingestellt werden.

50

Das Gerät kann Videodateien im MPEG4-Format aufnehmen und aufzeichnen. Bei voll aufgeladener Batterie ist die längste Videoaufzeichnung mit einer fortlaufenden Dauer von bis zu 3 Stunden in einer Auflösung von 1 920 × 1 080 Pixel bei 30 Bildern pro Sekunde möglich. Die Aufnahme kann nur vom Nutzer beendet werden. Die aufgenommenen Videobilder werden in getrennten Dateien mit einer Dauer von jeweils etwa 15 Minuten aufgezeichnet.

51

Bei der Gestellung können Dateien von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine über die USB-Schnittstelle auf das Gerät übertragen werden.

52

Begründung: Einreihung gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur, Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI sowie dem Wortlaut der KN-Codes 8525, 8525 80 und 8525 80 99.

53

Angesichts der objektiven Merkmale des Gerätes wie seiner geringen Größe und seines geringen Gewichts, der Tatsache, dass es beispielsweise an einem Helm zu befestigen ist, und seiner Fähigkeit, ein Video mit einer fortlaufenden Dauer von bis zu 3 Stunden aufzuzeichnen, ist die Hauptfunktion der Kamera die Aufnahme von Videobildern.

54

Obwohl das Gerät das Design eines digitalen Fotoapparats hat, kann es ein Video mit einer fortlaufenden Dauer von bis zu 3 Stunden in einer Qualität von mindestens 800 × 600 Pixel bei 30 Bildern pro Sekunde aufzeichnen. Die Aufnahme wird nicht automatisch nach 30 Minuten beendet (siehe auch die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur zu den Unterpositionen 8525 80 30, 8525 80 91 und 8525 80 99). Die Tatsache, dass die aufgenommenen Videobilder in getrennten Dateien mit einer Dauer von je etwa 15 Minuten aufgezeichnet werden, hat keinen Einfluss auf die Fähigkeit der Kamera zur fortlaufenden Videoaufzeichnung. Eine Einreihung in die Unterposition 8525 80 30 als digitaler Fotoapparat ist daher ausgeschlossen.

55

Da das Gerät Videodateien aus anderen Quellen als dem eingebauten Kameraobjektiv aufzeichnen kann, ist eine Einreihung in den KN-Code 8525 80 91 als Videokameraaufnahmegerät nur mit Aufzeichnungsmöglichkeit des durch die Kamera aufgenommenen Tons und Bildes ausgeschlossen.

56

Das Gerät ist daher als anderes Videokameraaufnahmegerät in den KN-Code 8525 80 99 einzureihen.

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2. Vorlagefrage 1

58

2.1 Entscheidungserheblichkeit

59

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zum Neuerlass von vZTAen, mit denen die streitgegenständlichen Kameras in die Unterpositionen 8525 8030 KN oder hilfsweise 8525 8091 KN eingereiht werden. Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011, mit der „Videorekorder im Taschenformat“ in die Unterposition 8525 8099 KN eingereiht werden, ist in zeitlicher Hinsicht für den gesamten Zeitraum, für den geänderte vZTAe erteilt werden müssten, anwendbar, da sie am 22.12.2011 – und damit vor den im Januar 2013 bekannt gegebenen und von der Klägerin angegriffenen vZTAen – in Kraft trat. Allerdings ist die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 in sachlicher Hinsicht auf die streitgegenständlichen Kameras nicht unmittelbar anwendbar. Diese Kameras sind nämlich nicht mit dem im Anhang der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 beschriebenen Produkt identisch, da die streitgegenständlichen Kameras nicht in allen Merkmalen mit der dort enthaltenen Warenbeschreibung übereinstimmen, was im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht. Es entspricht jedoch der gefestigten Rechtsprechung des EuGH, dass angesichts des Normcharakters von Tarifierungsverordnungen diese nicht nur auf identische, sondern auch auf solche Produkte anzuwenden sind, die denjenigen entsprechen, die von der Tarifierungsverordnung erfasst werden (EuGH, Urt. v. 13.07.2006, Rs. C-14/05, Rn. 32 – Anagram). Sollte die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 auf die streitgegenständlichen Kameras entsprechend anwendbar sein, was freilich nach dem Dafürhalten des Senats zweifelhaft ist (hierzu unter 2.2.1), könnte der Senat eine Einreihung der streitgegenständlichen Kameras in die begehrten Unterpositionen 8525 8030 KN oder hilfsweise 8525 8091 KN nicht vornehmen. Als eine gegenüber der KN speziellere Regelung mit Normcharakter (EuGH, Urt. v. 13.07.2006, C-14/05, Rn. 29 – Anagram), durch die die Einreihung der von ihr erfassten Produkte verbindlich geregelt wird, wäre die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 nämlich vorrangig heranzuziehen. Der beschließende Senat hat allerdings Zweifel, ob die in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 zum Ausdruck kommende Lesart zur Auslegung des Begriffs „Aufzeichnungsmöglichkeit“ im Sinne der Unterposition 8525 8091 KN der Auslegung dieses Begriffs durch den EuGH entspricht (hierzu unter 2.2.2), so dass sich die weitere Frage der Gültigkeit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 stellt. Als mitgliedstaatliches Gericht ist der beschließende Senat nicht befugt, Handlungen von Unionsorganen, zu denen auch Durchführungsverordnungen der Kommission gehören, selbst für ungültig zu erklären (EuGH, Urt. v. 22.10.1987, Rs. 314/85, Slg. 1987, 4225, 4231 [Rn. 13] – Foto-Frost; bestätigt durch Urt. v. 06.12.2005, Rs. C-461/03, Rn. 21 – Gaston Schul Douaneexpediteur BV; Urt. v. 10.01.2006, Rs. C-344/04, Rn. 30 – International Air Transport Association). Ungültig wäre eine Durchführungsverordnung, die unionales Tertiärrecht darstellt, wenn sie gegen den Wortlaut der KN – einer unionsrechtlichen Sekundärverordnung – in der verbindlichen Auslegung des EuGH verstieße (vgl. Lux, in: Dorsch, Zollrecht, 95. EL, Mai 2004, VO KN, Einführung, Rn. 154). Dies zu prüfen, obliegt allein dem EuGH. Eine Vorlage ist im Streitfall nicht deshalb entbehrlich, weil der EuGH in seinem Urteil vom 05.03.2015 (Rs. C-178/14 – Vario Tek) bei der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage die Gelegenheit hatte, sein Verständnis des Begriffs „Aufzeichnungsmöglichkeit“ zu konkretisieren, und die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft war. Die dort gestellten Vorlagefragen befassten sich nämlich nicht mit dem Verhältnis der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 zum Wortlaut der KN, weil das vorlegende Gericht insoweit keinen Widerspruch gesehen hatte.

60

2.2 Rechtliche Erwägungen des Senats

61

Es ist zweifelhaft, ob die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 auf die streitgegenständlichen Kameras entsprechend anwendbar (dazu 2.2.1) und – sofern diese Frage bejaht wird – gültig ist (dazu 2.2.2).

62

2.2.1 Sachliche Anwendbarkeit

63

Wie bereits ausgeführt, sind nach der Rechtsprechung des EuGH Tarifierungsverordnungen aufgrund ihres Normcharakters nicht nur auf identische, sondern auch auf solche Produkte anzuwenden, die denjenigen entsprechen, die von der Verordnung erfasst werden (EuGH, Urt. v. 13.07.2006, Rs. C-14/05, Rn. 32 – Anagram). Unionsrechtlich zweifelhaft ist allerdings, wann zwei Produkte einander „entsprechen“ oder – in den Worten des Generalanwalts Mengozzi – „austauschbar“ (verb. Rs. C-362/07 und C-363/07, Schlussanträge v. 17.07.2008, Rn. 98 – Kip Europe/Hewlett Packard) sind. Die Produkteigenschaften können rein tatsächlich verglichen oder normativ gewichtig gegenübergestellt werden. Bei einer rein tatsächlichen Betrachtung dürften die streitgegenständlichen Kameras schon deshalb nicht einem „Videorekorder im Taschenformat“ entsprechen, weil Erstere auch über eine Fotofunktion verfügen. Dies ist ein gewichtiger tatsächlicher Unterschied, der die Einsatzmöglichkeiten der beiden Produkte maßgeblich prägt. Durch die unterschiedlichen Funktionen sind sie aus Verbrauchersicht nicht substituierbar und stehen daher nicht im direkten Wettbewerb. Außerdem verfügen die „Videorekorder im Taschenformat“ ausweislich der Warenbezeichnung im Anhang der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 – anders als die streitgegenständlichen Kameras – über einen Digital-Zoom, einen Lautsprecher und einen internen Speicher. Sie unterscheiden sich auch im Hinblick auf die Größe der LCD-Anzeige und die Auflösung bei Videoaufnahmen mit 30 Bildern pro Sekunde. Bei dem ebenfalls in Betracht kommenden normativen Ansatz könnte eine solche Gewichtung dergestalt erfolgen, dass Produktmerkmale, die zolltarifrechtlich irrelevant sind, bei einem Vergleich außer Betracht bleiben. In diesem Sinne könnte die Rn. 34 der Anagram-Entscheidung (Urt. v. 13.07.2006, C-14/05) zu verstehen sein, die auf die Begründung zur Einreihung der unter Ziff. 3 im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 442/2000 der Kommission vom 25.02.2000 zur Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. EG L 54/33) genannten Luftballons Bezug nimmt. Danach bleibt die Möglichkeit, die mit dieser Verordnung eingereihten Luftballons mit unterschiedlichen Motiven zu bedrucken, außer Betracht, weil dies die Einreihung als Spielzeugballon nicht beeinflusst. Überträgt man diesen Gedanken auf den vorliegenden Fall, müssten bei einem Vergleich der beiden Produkte alle Merkmale außer Betracht bleiben, die für die Einreihung nicht relevant sind, was auf den Digital-Zoom, den Lautsprecher und den internen Speicher zutreffen dürfte. Es fragt sich darüber hinaus, ob bei einem normativen Vergleich der Produkte bzw. ihrer Eigenschaften auch die Fotofunktion der streitgegenständlichen Kameras unberücksichtigt zu bleiben hat. Die Beantwortung dieser Frage dürfte wesentlich davon abhängen, wie bei den streitgegenständlichen Kameras, die sowohl Fotos aufnehmen als auch Videos aufzeichnen können, deren Hauptfunktion im Sinne der Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN zu bestimmen ist. Insoweit bieten die Erläuterungen wichtige Anhaltspunkte und Abgrenzungskriterien, lassen indes – wie aus der Vorlagefrage 3 ersichtlich wird – bezogen auf den Streitfall kein zweifelsfreies Ergebnis zu. Sollte der EuGH im Rahmen der Beantwortung der Vorlagefrage 3 erkennen, dass der Umstand, dass die von den streitgegenständlichen Kameras aufgenommenen Videobilder in getrennten Dateien mit einer Dauer von 26 Minuten und 3 Sekunden aufgezeichnet werden, keinen Einfluss auf die Fähigkeit der Kameras zur fortlaufenden Videoaufzeichnung hat, und dass deshalb die Hauptfunktion der Kameras die Aufnahme von Videobildern darstellt, dürfte im Streitfall eine Vergleichbarkeit der Kameras des Ausgangsverfahrens mit den von der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 erfassten „Videorekorder im Taschenformat“ zu bejahen sein, weil bei einem normativ gewichteten Vergleich die Fotofunktion als nicht einreihungsrelevant außer Betracht bliebe.

64

2.2.2 Gültigkeit

65

Für den Fall, dass die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 auf die streitgegenständlichen Kameras anwendbar sein sollte, hat der Senat Zweifel, ob die in dieser Verordnung zum Ausdruck kommende Lesart des Begriffs der „anderen Aufzeichnungsmöglichkeit“ im Sinne der Unterposition 8525 8099 KN mit der Auslegung dieses Begriffs durch den EuGH zu vereinbaren ist.

66

2.2.2.1 Die im Anhang der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 beschriebene Kamera kann „Videodateien aus anderen Quellen als der eingebauten Fernsehkamera aufzeichnen“, weil „Videodateien […] über die USB-Schnittstelle von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine an das Gerät gesendet werden“ können. Nach dieser Verordnung wird folglich die Übertragung von Dateien auf die Kamera, die von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine gesteuert wird, als „Aufzeichnungsmöglichkeit“ verstanden, die eine Einreihung in die Unterposition 8525 8091 KN ausschließt. Oder mit anderen Worten: Können auf der Kamera über eine USB-Schnittstelle mit Hilfe einer externen Datenverarbeitungsmaschine Videodateien gespeichert werden, handelt es sich nach der in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 zum Ausdruck kommenden Auffassung der Kommission um ein Videokameraaufnahmegerät, das als „anderes Videokameraaufnahmegerät“ in die Unterposition 8525 8099 KN einzureihen ist; darauf, ob die Kamera auch selbst in der Lage ist, Videodateien von externen Signalquellen zu speichern, kommt es nicht an.

67

2.2.2.2 Die Rechtsprechung des EuGH zur autonomen Aufzeichnungsmöglichkeit im Sinne der Unterposition 8525 8099 KN versteht der erkennende Senat wie folgt: Hinsichtlich der Abgrenzung zwischen den Unterpositionen 8525 8091 und 8525 8099 KN hat der EuGH bereits mit Urteil vom 27.09.2007 (verb. Rs. C-208/06 und C-209/06 – Medion/Canon) entschieden, dass es entscheidend darauf ankomme, ob das Gerät über eine dv-in-Funktion verfüge. Der EuGH hat ausgeführt (Rn. 39-41 des Urteils [Hervorhebung durch den vorlegenden Senat]):

68

„39. Aus den Erläuterungen zur KN ergibt sich, dass der Unterschied zwischen den Camcordern der Unterposition 8525 40 91 [heute 8525 8091] und denen der Unterposition 8525 40 99 [heute 8525 8099] in der Fähigkeit der letztgenannten Geräte liegt, nicht nur mittels der eingebauten Kamera oder des eingebauten Mikrofons Ton- und Bildaufnahmen zu machen, sondern solche Aufnahmen auch dann aufzeichnen zu können, wenn sie aus anderen Quellen als der eingebauten Kamera oder dem eingebauten Mikrofon stammen. Das wesentliche Merkmal eines Camcorders der Unterposition 8525 40 99 ist also insbesondere die „dv-in“-Funktion, d. h. seine Fähigkeit, extern eingehende Videosignale aufzuzeichnen.

69

40. Der Benutzer kann auf diese Fähigkeit unmittelbar zugreifen, wenn der Hersteller eine leichte Aktivierung der „dv-in“-Funktion dadurch vorgesehen hat, dass sie in der dem Käufer beim Kauf des Geräts zur Verfügung gestellten Bedienungsanleitung erläutert wird. Wird dieser Vorgang in der Bedienungsanleitung nicht behandelt, ist die „dv-in“-Funktion nur dann ein wesentliches Merkmal des Camcorders, wenn die Einstellung von einem Benutzer ohne besondere Fähigkeiten leicht vorgenommen werden kann, ohne dass der Camcorder materiell verändert wird. Es ist daher unerlässlich, dass die Camcorder vor der Freischaltung der „dv-in“-Funktion über eine die Hauptmerkmale dieser Funktion aufweisende Struktur verfügen und dass die Elemente, die deren Aktivierung ermöglichen, nicht durch externes Material hinzugefügt werden müssen.

70

41. Im Übrigen setzt die Einreihung des Camcorders in die Unterposition 8525 40 99 voraus, dass der Camcorder, nachdem der Eingriff vorgenommen und die „dv-in“-Funktion freigeschaltet wurde, in der gleichen Weise wie ein anderer Camcorder funktioniert, bei dem die „dv-in“-Funktion ausdrücklich vorgesehen ist. Vor allem muss dieser Camcorder wie Letzterer verwendet werden können, um autonom und unabhängig von externem Material oder externer Software von außen eingehende Videosignale aufzeichnen zu können.“

71

Nach Auffassung des Senats stellt der EuGH in Rn. 39 des Urteils zunächst fest, dass ein Videokameraaufnahmegerät Aufnahmen aus anderen Quellen dann aufzeichnen kann, wenn es über eine dv-in-Funktion verfügt. Damit beantwortet der EuGH die maßgebliche Frage noch nicht, sondern formuliert sie dahin gehend um, dass es auf das Vorhandensein der dv-in-Funktion ankomme. In den folgenden beiden Randnummern befasst sich der EuGH sodann mit zwei separaten Bedingungen, die die dv-in- Funktion erfüllen muss. Zunächst geht es in Rn. 40 um die Freischaltung einer bei Gestellung nicht aktivierten dv-in-Funktion. Dieser Problemkreis ist im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung, da man offensichtlich keine besonderen technischen Fähigkeiten braucht, um die Kameras mittels eines USB-Kabels an eine automatische Datenverarbeitungsmaschine anzuschließen. In Rn. 41 des Urteils dürfte der EuGH jedoch ein weiteres („Im Übrigen …“) Kriterium für die dv-in-Funktion aufgestellt haben. Sie muss so ausgestaltet sein, dass von außen eingehende Videosignale „autonom und unabhängig von externem Material oder externer Software“ aufgezeichnet werden. Der Senat versteht diese Passage in dem Sinne, dass der Aufzeichnungsvorgang vom Videokameraaufnahmegerät selbst gesteuert werden muss. Dieser Vorgang muss vergleichbar sein mit der – vor Markteinführung der digitalen Halbleiterspeicher gängigen – (digitalen oder analogen) Aufzeichnung auf Magnetbänder. Diese Rechtsprechung dürfte der EuGH in seinem Urteil vom 05.06.2008 (Rs. C-312/07– JVC France) durch Bezugnahme auf die Entscheidung Medion/Canon bestätigt haben (Rn. 26 f. des Urteils).

72

In Anwendung dieser Rechtsprechung hat der Senat bereits mit Urteil vom 19.04.2011 (4 K 289/09, juris) – vor Erlass der beiden Durchführungsverordnungen – entschieden, dass ein Videokameraaufnahmegerät, das bei einer Verbindung mit einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine nicht mehr bedient werden kann (sog. Slave Modus), Daten, die von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine übertragen werden, nicht autonom aufzeichnet im Sinne der Unterposition 8525 8099 KN.

73

Auf eine weitere Vorlage des Finanzgerichts Düsseldorf hat der EuGH mit Urteil vom 05.03.2015 (Rs. C-178/14 – Vario Tek) nach Lesart des Senats seine Rechtsprechung bekräftigt. Unter Bezugnahme auf die Rn. 39 und 41 des Medion/Canon-Urteils verweist der EuGH erneut auf das Erfordernis der dv-in-Funktion, d. h. die Fähigkeit, extern eingehende Videosignale aufzeichnen zu können (Rn. 32). Hierbei sei erforderlich (Rn. 32),

74

„dass diese Camcorder für die Aufzeichnung extern eingehender Videosignale autonom verwendet werden können, d. h. unabhängig von Software- oder Hardware-Elementen, die nicht Teil der Originalausstattung sind.“ Damit dürfte der EuGH das in Rn. 41 des Medion/Canon-Urteils aufgestellte Kriterium der autonomen Aufzeichnungsfähigkeit bestätigt haben.

75

2.2.2.3 Nach Auffassung des vorlegenden Senats verstößt die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 gegen den Wortlaut der Unterpositionen 8525 80 99 i. V. m. 8525 8091 KN in der dargestellten Auslegung durch den EuGH. Zwar hat nach der Rechtsprechung des EuGH die Kommission ein weites Ermessen bei der näheren Bestimmung des Inhalts der Tarifpositionen, die für die Einreihung einer bestimmten Ware in Frage kommen. Dennoch hat die Kommission aufgrund ihrer Befugnis zum Erlass von Maßnahmen gemäß Art. 9 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 nicht das Recht, den Inhalt oder die Tragweite der Tarifpositionen zu ändern (EuGH, Urt. v. 04.03.2004, Rs. C-130/02, Rn. 26 – Krings; Urt. v. 13.12.1994, Rs. C-401/93, Rn. 19 m. w. N. – Goldstar). In Fällen, in denen es nicht um die Auslegung eines HS-Codes – hier die Unterposition 8525 80 HS 2012 („Television cameras, digital cameras and video camera recorders“) – sondern um die Festlegung der richtigen achtstelligen Unterposition der KN, für die allein Unionsrecht maßgeblich ist, geht, ist der Handlungsspielraum der Kommission jedenfalls dann überschritten, wenn der Widerspruch zum Wortlaut der KN offensichtlich ist (EuGH, Urt. v. 13.12.1994, Rs. C-401/93, Rn. 20 – Goldstar: „offensichtliche[r] Beurteilungsfehler“; Schlussanträge des GA Jacobs v. 01.02.2001, Rs. C-463/98, Rn. 84 – Cabletron, zustimmend zitiert in EuGH, Urt. v. 10.05.2001, Rs. C-463/98, Rn. 21 f. – Cabletron).

76

Dies dürfte nach dem Verständnis des Senats vorliegend der Fall sein. Unter Anwendung der soeben dargestellten Kriterien dürfte die von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine gesteuerte Übertragung von Videodateien – die auf ihr (oder auf einem mit ihr verbundenen Datenträger) gespeichert sind – auf eine Kamera nicht als „Aufzeichnungsmöglichkeit“ im Sinne der Unterposition 8525 8099 KN angesehen werden. Dieser Vorgang erfüllt nämlich offensichtlich nicht die dargestellten Voraussetzungen einer dv-in-Funktion. Die Kameras erfüllen nur die Funktion eines Gehäuses für den Datenspeicher, mit dem er an eine elektronische Datenverarbeitungsmaschine angeschlossen wird, von der aus die Datenübertragung gesteuert wird. Die Datenübertragung auf die Kameras erfolgt auch nicht unabhängig von Material oder Software, die aus Sicht der Kamera extern ist. Die Übertragung findet nämlich mithilfe eines auf der elektronischen Datenverarbeitungsmaschine installierten Dateiverwaltungsprogramms (z. B. Windows-Explorer) statt. Diese Software erkennt die Kamera mit dem darin befindlichen Speicher als externes Laufwerk. Nur so ist der Zugriff von der elektronischen Datenverarbeitungsmaschine auf das in der Kamera befindliche Speichermedium möglich. Die Datenübertragung erfolgt durch das Verschieben oder Kopieren einer Videodatei auf das Speichermedium in der Kamera durch Bedienen des Dateiverwaltungsprogramms der elektronischen Datenverarbeitungsmaschine. Die streitgegenständlichen Kameras verfügen in ihrer Originalausstattung auch nicht über Hardware oder Software, die es ihnen ermöglicht, selbsttätig externe Videosignale aufzuzeichnen.

77

3. Vorlagefrage 2

78

3.1 Entscheidungserheblichkeit

79

Sofern die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 unanwendbar oder ungültig sein sollte, hängt der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits zumindest teilweise – was noch auszuführen sein wird – davon ab, ob die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 einer Einreihung der streitgegenständlichen Kameras in die Unterpositionen 8525 8030 KN oder hilfsweise 8525 8091 KN entgegensteht.

80

Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014, mit der sog. Action-Cams in die Unterposition 8525 8099 KN eingereiht werden, ist in zeitlicher Hinsicht auf den Ausgangsrechtsstreit ab dem 02.09.2014, dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens (vgl. Art. 3), anwendbar. Zwar liegt dieser Verordnung die Kamera X Y „Modell-1“ zugrunde, die – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – mit den hier streitgegenständlichen Kameras des „Modell-3“ nicht identisch ist. Sollte diese Verordnung allerdings auf die streitgegenständlichen Kameras des „Modell-3“ entsprechend anwendbar und auch gültig sein, könnte der Senat eine Einreihung der streitgegenständlichen Kameras in die begehrte Unterposition 8525 8030 KN bzw. hilfsweise 8525 8091 KN jedenfalls für den Zeitraum ab dem 02.09.2014 bis zum Schluss der noch ausstehenden letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht vornehmen. Da Einreihungsverordnungen nicht rückwirkend angewandt werden dürfen (EuGH, Urt. v. 17.07.2014, Rs. C-472/12, Rn. 58 – Panasonic/Scerni Logistics; Urt. v. 24.11.1971, Rs. 30/71, Slg. 1971, 920, 928 [Rn. 8] – Siemers; Urt. v. 15.12.1971, Rs. 77/71, Slg. 1971, 1128, 1137 [Rn. 8] – Gervais-Danone; Urt. v. 28.03.1979, Rs. 158/78, Slg. 1979, 1104, 1119 [Rn. 11] – Biegi), wäre der Senat lediglich für die Zeit zwischen dem 21.01.2013 – dem Erlass der von der Klägerin angegriffenen vZTAe durch den Beklagten – und dem 01.09.2014 durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 nicht gehindert, eine Verpflichtung des Beklagten zum Neuerlass von vZTAen auszusprechen, mit denen die streitgegenständlichen Kameras in die Unterpositionen 8525 8030 KN oder hilfsweise 8525 8091 KN eingereiht werden.

81

3.2 Rechtliche Erwägungen des Senats

82

Es ist zweifelhaft, ob die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 auf die streitgegenständlichen Kameras entsprechend anwendbar (dazu 3.2.1) und gültig ist (dazu 3.2.2).

83

3.2.1 Sachliche Anwendbarkeit
Der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 lag – wie bereits vorstehend bemerkt – die Kamera X Y „Modell-1“ zugrunde. Die im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Kameras des „Modell-3“ unterscheiden sich von dem Produkt des „Modell-1“, denn sie können
- nicht nur zur Befestigung an einem Gegenstand, sondern auch durch Halten in der Hand benutzt werden,
- Videos bei voll aufgeladener Batterie nur bis ca. 120 Minuten, jedoch mit einer Auflösung von bis zu 3.840 x 2.160 Pixel aufzeichnen, wobei die Videodateien nicht jeweils 15 Minuten, sondern 26 Minuten und 3 Sekunden lang sind,
- Fotos mit einer Qualität von bis zu zwölf Megapixel machen,
- die Fotoqualität mittels der XX-Software steuern sowie
- die Aufnahme bei entsprechender Einstellung auch automatisch beenden (Schriftsatz des Klägervertreters vom 17.06.2015, Rn. 56, Spiegelstriche 1-7).

84

Vor dem Hintergrund der in der Warenbeschreibung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 enthaltenen Merkmale neigt der beschließende Senat der Auffassung zu, dass die vorstehend beschriebenen Unterschiede einer entsprechenden Anwendung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 auf die streitgegenständlichen Kameras nicht entgegenstehen, da diese im Rahmen des anzustellenden Produktvergleichs weder bei einer tatsächlichen Betrachtung noch bei einer normativen Gewichtung (vgl. hierzu bereits oben 2.2.1) erheblich sein dürften. Allerdings ließe sich auch mit der Klägerin die Ansicht vertreten, dass bereits jeder tatsächliche Unterschied in den Produkteigenschaften, sofern dieser nicht nur marginaler Art ist, eine entsprechenden Anwendung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 auf die streitgegenständlichen Kameras des „Modell-3“ ausschließe.

85

3.2.2 Gültigkeit

86

Sollte die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 auf die streitgegenständlichen Kameras anwendbar sein, hat der Senat Zweifel, ob die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 aus den unter 2.2.2 dargelegten Gründen gültig ist. Denn die von dieser Verordnung erfasste Kamera soll ausweislich der im Anhang enthaltenen Begründung deshalb „Videodateien aus anderen Quellen als dem eingebauten Kameraobjektiv aufzeichnen“ können, weil bei der „Gestellung […] Dateien von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine über die USB-Schnittstelle auf das Gerät übertragen werden“ können. Die von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine gesteuerte Übertragung von Dateien auf die Kamera wird damit als „Aufzeichnungsmöglichkeit“ angesehen, die eine Einreihung in die Unterposition 8525 8091 KN ausschließt. Dieses Verständnis der Kommission vom Begriff der „anderen Aufzeichnungsmöglichkeit“ im Sinne der Unterposition 8525 8099 KN dürfte nach dem Dafürhalten des Senats von der Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung dieses Begriffs abweichen. Ein weiteres Bedenken kommt hinzu: Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 könnte auch deshalb ungültig sein, weil sie nicht berücksichtigt, dass die von ihr erfassten Kameras nicht dazu in der Lage sind, aus externen Quellen stammende Videodateien über einen angeschlossenen Bildschirm wiederzugeben. Zwar kommt es nach dem Wortlaut der Unterposition 8525 8099 KN einzig auf die Aufzeichnungsmöglichkeit der Kamera an. Die Erläuterungen zu dieser Unterposition verlangen jedoch zusätzlich, dass die aus externen Quellen aufgenommenen Bilder auch über ein externes Fernsehempfangsgerät oder einen Monitor wiedergegeben werden können. Die Erläuterungen können zwar für sich genommen nicht zur Ungültigkeit einer Einreihungsverordnung führen, da sie nicht verbindlich sind (EuGH, Urt. v. 20.11.2014, Rs. C-666/13, Rn. 25 – Rohm Semiconductor; Urt. v. 17.07.2014, Rs. C-480/13, Rn. 30 m. w. N. – Sysmex Europe) und somit kein höherrangiges Recht darstellen, an dem sich eine Durchführungsverordnung messen lassen müsste. Der EuGH hat jedoch in Rn. 37 der Entscheidung Vario Tek (Urt. v. 05.03.2015, Rs. C-178/14) ausdrücklich auf diese Erläuterungen hingewiesen. Dies könnte man so verstehen, dass die Fähigkeit zur Wiedergabe der aufgenommenen Dateien ein konstitutives Merkmal für die Einreihung in die Unterposition 8525 8099 KN darstellt, d. h. die Fähigkeit zur Wiedergabe aufgenommener Dateien im Begriff der „Aufzeichnungsmöglichkeit“ im Sinne der Unterposition 8525 8099 KN enthalten ist. Hierzu würde auch passen, dass der EuGH im selben Urteil (Rn. 33) darauf hinweist, dass eine rein theoretische Verwendungsmöglichkeit zolltarifrechtlich außer Betracht bleibt. Dies könnte in dem Sinne verstanden werden, dass die Aufzeichnungsmöglichkeit dann eine nur theoretische – und damit tarifrechtlich unbeachtliche – Verwendungsmöglichkeit ist, wenn die Wiedergabe der aufgezeichneten Daten über das Gerät nicht möglich ist.

87

4. Vorlagefrage 3

88

4.1 Entscheidungserheblichkeit

89

Sollte die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 nicht anwendbar oder nicht gültig sein (Vorlagefrage 1), müsste abhängig von der Beantwortung der Vorlagefrage 2 entweder bezüglich des gesamten Zeitraumes zwischen dem 21.01.2013 und der noch ausstehenden letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat – sofern die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 nicht anwendbar oder nicht gültig ist – oder jedenfalls bezüglich des Zeitraumes vom 21.01.2013 bis 01.09.2014 – sofern die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 anwendbar und gültig ist – über die Einreihung der streitgegenständlichen Kameras ohne Berücksichtigung einer Einreihungsverordnung entschieden werden. Außerhalb des Anwendungsbereichs einer Einreihungsverordnung ist zunächst zweifelhaft, ob es sich bei den streitgegenständlichen Kameras um digitale Fotoapparate (Unterposition 8525 8030 KN) oder um Videokameraaufnahmegeräte (Unterpositionen 8525 8091 und 8525 8099 KN) handelt. Da die Kameras Foto- und Videodateien aufnehmen können, ist die Einreihung nach Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN nach der Hauptfunktion vorzunehmen. In den Erläuterungen zur Unterposition 8525 8030 KN heißt es insoweit einerseits, dass im Gegensatz zu den Videokameraaufnahmegeräten der Unterpositionen 8525 80 91 und 8525 8099 KN „viele digitale Fotoapparate beim Gebrauch der Videokamera kein optisches Zoom während der Videoaufnahme“ bieten. In Konsequenz dieser Erläuterung hat die Kommission zum anderen in den Erläuterungen der Unterpositionen 8525 8091 und 8525 8099 KN formuliert, dass Videoaufnahmegeräte „während der Aufnahme […] immer eine optische Zoomfunktion“ bieten. Dass die streitgegenständlichen Kameras über keine Zoomfunktion verfügen, steht indes – wie der EuGH bereits entschieden hat – trotz der insoweit anderslautenden Erläuterungen zu den Unterpositionen 8525 8091 und 8525 8099 KN, die zwar ein wichtiges, jedoch kein rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der einzelnen Tarifposition sind, ihrer Einreihung in die Unterpositionen 8525 8091 oder 8525 8099 KN nicht entgegen (EuGH, Urt. v. 05.03.2015, C-178/14, Rn. 29 – Vario Tek).

90

Die Erläuterungen weisen indes ein weiteres zwingendes Abgrenzungskriterium auf, das im Streitfall eine Einreihung der Kameras in die Unterpositionen 8525 8091 und 8525 8099 KN ausschließen könnte. In den Erläuterungen zu diesen Unterpositionen heißt es, dass Apparate von diesen „Unterpositionen ausgeschlossen sind, wenn sie nicht in der Lage sind, bei Ausnutzung der maximalen Speicherkapazität in einer Auflösung von 800 x 600 Pixel (oder höher) bei 23 Bildern pro Sekunde (oder mehr) mindestens 30 Minuten einer einzelnen Videosequenz aufzuzeichnen.“ Die Auslegung dieses Abgrenzungstopos ist nicht eindeutig. Die streitgegenständlichen Kameras sind zwar in der Lage, mit der genannten Auflösung und Bilderanzahl Videosequenzen aufzunehmen. Allerdings werden die aufgenommenen Videodaten ab einer Dauer von 26 Minuten und vier Sekunden nicht mehr in einer, sondern in mindestens einer weiteren Datei gespeichert, was der Fähigkeit der Kamera zur fortlaufenden Videoaufzeichnung im Sinne der Erläuterungen entgegenstehen könnte.

91

4.2 Rechtliche Erwägungen des Senats

92
4.2.1 Der EuGH ist für die Auslegung der Erläuterungen zuständig, auch wenn diese nicht rechtsverbindlich sind. Der EuGH hat entschieden, dass er über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Union ohne jede Ausnahme im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens entscheiden darf (EuGH, Urt. v. 13.12.1989, Rs. 322/88, Slg. 1989, 4407, Rn. 8 – Grimaldi). Hierzu gehört auch die Auslegung der Erläuterungen (EuGH, Urt. v. 05.06.2008, Rs. C-312/07, Rn. 33-37 – JVC France).
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4.2.2 Der beschließende Senat neigt der Auffassung zu, dass eine „einzelne Videosequenz“ von mindestens 30 Minuten Dauer auch dann vorliegt, wenn die Aufzeichnung in mehreren, jeweils kürzeren Videodateien erfolgt, sofern – wie hier – der Betrachter beim Abspielen der aufgenommenen Videodateien den Wechsel von einer zur anderen Videodatei nicht bemerkt. Da maßgeblich ist, was in den Augen der Verbrauchers die Haupt- und die Zusatzfunktion ausmacht (EuGH, Urt. v. 05.03.2015, Rs. C-178/14, Rn. 24 m. w. N. – Vario Tek; EuGH, Urt. v. 14.04.2011, verb. Rs. C-288/09 und C-289/09, Rn. 76 m. w. N. – Britisch Sky Broadcasting Europe/Pace), dürfte es nicht auf die Dateistruktur ankommen, in der die Videoaufnahme gespeichert wird, sondern darauf, ob die aufgenommene Videosequenz in einer Weise wiedergegeben werden kann, dass ein Betrachter den Eindruck gewinnt, eine mindestens 30-minütige ununterbrochene Videoaufzeichnung zu sehen. Dieses Verständnis dürfte auch der Ansicht der Kommission entsprechen, die in der Begründung des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 ausgeführt hat, dass „die Tatsache, dass die [von der Action-Cam] aufgenommenen Videobilder in getrennten Dateien mit einer Dauer von etwa 15 Minuten aufgezeichnet werden, […] keinen Einfluss auf die Fähigkeit der Kamera zur fortlaufenden Videoaufzeichnung“ hat. Allerdings ist der Wortlaut der Erläuterungen insoweit nicht eindeutig, weil er keine Hinweise darauf enthält, wie die Aufzeichnung zu erfolgen hat. Vor diesem Hintergrund und mit Blick darauf, dass – so der Vortrag der Klägerin – mittlerweile nahezu alle Fotoapparate eine 30-minütige Videosequenz aufnehmen könnten, ließe sich auch der Standpunkt vertreten, dass der Umstand, dass die streitgegenständlichen Kameras lediglich Videodateien von jeweils weniger als 30 Minuten in einer Datei aufzeichnen können, ihrer Einreihung in die Unterpositionen 8525 8091 oder 85259099 KN entgegensteht, zumal es gilt, eine Auslegung zu finden, bei der der Erläuterung noch eine Unterscheidungsfunktion zukommt, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Auslegung einer Zolltarifposition nicht je nach der technischen Entwicklung variieren kann (EuGH, Urt. v. 09.10.1997, Rs. C-67/95, Rn. 22 – Rank Xerox).

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5. Vorlagefrage 4

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5.1 Entscheidungserheblichkeit

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Die Vorlagefrage 4, die sich auf das Verhältnis zwischen der „Aufzeichnungsmöglichkeit“ im Sinne der Unterpositionen 8525 8091 i. V. m. 8525 8099 KN und der „Wiedergabemöglichkeit“ im Sinne der Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN bezieht, stellt sich dem Senat nur unter den folgenden Bedingungen:

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5.1.1 Zunächst dürfte die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 nicht anwendbar oder nicht gültig sein (Vorlagefrage 1); anderenfalls wäre der Fall allein auf der Grundlage dieser Verordnung zu entscheiden. Weiter müsste der EuGH zu der Einschätzung gelangen, dass die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 anwendbar und gültig ist (Vorlagefrage 2). In diesem Fall wäre die Einreihung der streitgegenständlichen Kameras ab dem Tag der Wirksamkeit dieser Verordnung – dem 02.09.2014 – geklärt; sie wären nämlich in die Unterposition 8525 8099 KN einzureihen. Für den davor liegenden Zeitraum müsste dagegen – wie bereits unter 4.1 ausgeführt – die Einreihung der streitgegenständlichen Kameras unabhängig von einer Einreihungsverordnung erfolgen. Auf diesen Zeitraum bezieht sich die Vorlagefrage 3. Sie müsste, damit sich die Vorlagefrage 4 stellt, dahin gehend beantwortet werden, dass eine mindestens 30-minütige Videoaufzeichnung über mehrere Dateien verteilt werden darf; anderenfalls wären die streitgegenständlichen Kameras als digitale Fotoapparate (Unterposition 8525 8030 KN) einzureihen, und Abgrenzungsfragen zwischen den Unterpositionen für Videokameraaufnahmegeräte stellten sich nicht. Die Bejahung der Vorlagefrage 2 hat zwar unmittelbare Auswirkungen nur auf die Zeit ab dem 02.09.2014. Die materiell-rechtlichen Konsequenzen, die der vorlegende Senat hieraus ziehen muss, beziehen sich jedoch – unter den genannten Voraussetzungen (Bejahung der Vorlagefragen 1 und 3) – auch auf die Frage der Einreihung für den davor liegenden Zeitraum. Es wäre als Konsequenz der Feststellung, dass die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 gültig ist, nämlich materiell-rechtlich geklärt, dass das Senden von Videodateien von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine über die USB-Schnittstelle an ein Videokameraaufnahmegerät ein autonomes Aufzeichnen im Sinne der Unterposition 8525 8099 KN darstellt. Damit wäre jedoch – wenn der vorlegende Senat die Rechtsprechung des EuGH richtig versteht – die Einreihungsfrage der streitgegenständlichen Kameras noch nicht abschließend dahin gehend beantwortet, dass diese in diese Unterposition einzureihen wären. In der Entscheidung Vario Tek hat der EuGH nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach den Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN die zu dieser Unterposition gehörenden Videokameraaufnahmegeräte auch die Fähigkeit haben müssten, die aufgezeichneten Audio- und Videodateien wiedergeben zu können (Urt. v. 05.03.2015, Rs. C-178/14, Rn. 37 – Vario Tek). Genau diese Erläuterungen wären außerhalb des zeitlichen oder sachlichen Anwendungsbereiches einer der Durchführungsverordnungen zu berücksichtigen. In der beschriebenen Konstellation würde sich somit die Frage stellen, welche Auswirkungen es auf die Einreihung der streitgegenständlichen Kameras hätte, dass diese Signale externer Quellen zwar aufzeichnen, nicht jedoch über einen externen Monitor oder ein externes Fernsehempfangsgerät wiedergeben können. Ihre Einreihung in die Unterpositionen 8525 8099 oder 8525 8091 KN würde von der Beantwortung dieser Frage abhängen, weil sie nach dem in den Durchführungsverordnungen zum Ausdruck kommenden Rechtsverständnis zwar zur Datenaufzeichnung in der Lage sind, die Datenwiedergabe jedoch hinsichtlich der aus externen Quellen stammenden Signale nicht möglich ist.

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5.1.2 Würde dagegen die Vorlagefrage 2 verneint werden – wäre also die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 nicht anwendbar oder unwirksam – und wäre auch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 nicht anwendbar oder nicht gültig (Vorlagefrage 1), wäre der Ausgang des Rechtsstreits lediglich von der Beantwortung der Vorlagefrage 3 abhängig. Würde der EuGH diese Vorlagefrage verneinen, wären die streitgegenständlichen Kameras im gesamten streiterheblichen Zeitraum als digitale Fotoapparate (Unterposition 8525 8030 KN) einzureihen. Würde er sie bejahen, wären sie als Videokameraaufnahmegeräte in die Unterposition 8525 8091 KN einzureihen, da sie – in Anwendung der oben (2.2.2.2) dargestellten Rechtsprechung des EuGH – schon nicht über eine autonome Aufzeichnungsmöglichkeit verfügten.

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5.2 Rechtliche Erwägungen des Senats

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5.2.1 Zunächst ist zweifelhaft, ob die Fähigkeit zur Datenwiedergabe bei der Einreihung eines Videokameraaufnahmegerätes in die Unterpositionen 8525 8091 und 8525 8099 KN überhaupt berücksichtigt werden darf. Nach dem Wortlaut der Unterposition 8525 8091 KN kommt es nämlich auf die Aufzeichnungsmöglichkeit eines Gerätes an. Die Wiedergabe einer Video- oder Audiodatei ist nach dem Verständnis des Senats ein anderer Vorgang als deren Aufzeichnung. Der EuGH hat jedoch in Rn. 37 seines Urteils vom 05.03.2015 in der Rs. C-178/14 (Vario Tek) ausdrücklich auf die Bedeutung der Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN hingewiesen. Danach müssen die aufgezeichneten Bilder über ein externes Fernsehempfangsgerät oder einen Monitor wiedergegeben werden können. Gleichzeitig stellt der EuGH am Ende der Rn. 36 dieses Urteils allerdings fest, dass Videokameraaufnahmegeräte immer (schon?) dann in die Unterposition 8525 8099 KN einzureihen seien, wenn sie aus externen Quellen stammende Daten speichern könnten; außer Betracht bleibe lediglich, ob das Videokameraaufnahmegerät die externen Daten selbst lesen könne. In welchem Verhältnis diese beiden unmittelbar aufeinander folgenden Aussagen des EuGH zueinander stehen, bedarf auch mit Blick auf die beiden Durchführungsverordnungen (EU) Nr. 876/2014 und Nr. 1249/2011 der Ausräumung unionsrechtlicher Zweifel. Die in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 876/2014 getroffene Einreihungsentscheidung scheint nämlich darauf hinzudeuten, dass es für die Einreihung in die Unterposition 8525 8099 KN nicht erforderlich ist, dass Videodateien, die aus externen Quellen stammen, von der Kamera wiedergegeben werden können. Ansonsten hätte die Kamera, die dieser Einreihungsverordnung zugrunde lag, nicht in diese Unterposition eingereiht werden dürfen. Diese Kamera ist nämlich – genau wie die hier streitgegenständlichen Kameras – dazu nicht in der Lage. Ob diese Erwägung allerdings bei der Einreihungsentscheidung berücksichtigt wurde, vermag der Senat nicht zu beurteilen, da weder die Warenbezeichnung noch der Begründungstext hierzu Angaben enthält. Auch der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1249/2011 lässt sich nicht explizit entnehmen, ob die darin eingereihten „Videorekorder im Taschenformat“, Signale externer Quellen wiedergeben können. In der Warenbeschreibung findet sich lediglich der Hinweis, dass die mit dem Gerät aufgenommenen Videosequenzen z. B. an einen Monitor oder ein Fernsehempfangsgerät gesendet werden können. Ob hiermit auch die aus externen Quellen stammenden Videodateien gemeint sind, bleibt offen.

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5.2.2 Die Anwendung der Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN führt ebenfalls nicht zu einer eindeutigen Einreihung der streitgegenständlichen Kameras. Satz 2 des ersten Absatzes der Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN (EZT-Nr. 12.8) verlangt für eine Einreihung als „andere[s]“ Videokameraaufnahmegerät (Unterposition 8525 8099 KN), dass die aufgezeichneten Bilder über ein externes Fernsehempfangsgerät oder einen Monitor wiedergegeben werden können. Zwar ist nach dem Wortlaut der deutschen Fassung nicht eindeutig, ob sich die Wiedergabefähigkeit der Kamera auch auf die aus externen Quellen stammenden Aufzeichnungen beziehen muss. Die englische Fassung von Satz 2 dürfte allerdings insoweit Klarheit schaffen, weil sie durch die Verwendung des Adverbs „thus“ deutlich machen dürfte, dass sie sich auf die in Satz 1 beschriebene Aufzeichnung auch von Signalen externer Quellen beziehen muss. Nach der so verstandenen Erläuterung würden die streitgegenständlichen Kameras nicht in die Unterposition 8525 8099 KN eingereiht werden können, weil sie Signale externer Quellen nicht wiedergeben können. Nach dem dritten Absatz der Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN (EZT-Nr. 13.1) würden die streitgegenständlichen Kameras auch nicht in die Unterposition 8525 8091 KN eingewiesen. Danach gehören nämlich nur solche Videokameraaufnahmegeräte in diese Unterposition, „mit denen nur die von der Kamera aufgenommenen Bilder aufgezeichnet und über ein externes Fernsehempfangsgerät oder einen externen Monitor wiedergegeben werden können.“ Diese Voraussetzung erfüllen die streitgegenständlichen Kameras nicht, da sie – unterstellt die Vorlagefrage 2 b) würde bejaht werden – in der Lage wären, Signale externer Quellen aufzuzeichnen.
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5.2.3 Wenn die streitgegenständlichen Kameras von den Erläuterungen zur Unterposition 8525 8099 KN nicht erfasst werden, müsste die Einreihung allein anhand des Wortlautes der einschlägigen Unterpositionen der KN und der objektiven Wareneigenschaften erfolgen. Danach dürfte es auf die Fähigkeit zur Wiedergabe von Videodateien nicht ankommen und die streitgegenständlichen Kameras wären in die Unterposition 8525 8099 KN einzureihen, weil sie – unterstellt die Vorlagefrage 2 b) würde bejaht – in der Lage wären, Signale externer Quellen aufzuzeichnen. Man könnte sich jedoch auf den Standpunkt stellen, dass die Aufzeichnungsmöglichkeit ohne Wiedergabemöglichkeit eine rein theoretische Funktion eines Gerätes ist, die zolltarifrechtlich unberücksichtigt bleiben muss (EuGH, Urt. v. 05.03.2015, Rs. C-178/14, Rn. 33 – Vario Tek).

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6. Angesichts dieser Zweifel an der Gültigkeit und der Auslegung des einschlägigen Unionsrechts hat der Senat beschlossen, dem EuGH die im Tenor genannten Fragen im Wege des Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlass einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(3) Für den Erlass einstweiliger Anordnungen gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozessordnung sinngemäß.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle des § 69.

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Art. 267 des AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  • 1. Schließt der Umstand, dass eine Videokamera nicht über Zoommöglichkeiten verfügt, ihre Zuweisung in die Unterposition 8525 80 9 der Kombinierten Nomenklatur in der der Fassung der Verordnungen (EU) Nr. 861/2010 der Kommission vom 05.10.2010 und Nr. 1006/2011 der Kommission vom 27.09.2011 jeweils zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif aus?

  • 2. Hat, sollte die 1. Frage verneint werden, ein Videokameraaufnahmegerät schon dann eine Aufzeichnungsmöglichkeit des durch die Kamera aufgenommenen Tons und Bildes im Sinne der Unterposition 8525 80 91 KN, wenn auf dem zum Betrieb der Kamera erforderlichen Wechseldatenträger über einen USB-Anschluss der Kamera von einem anderen Gerät eine Video- oder Audiodatei kopiert werden kann, ohne dass diese Datei allein mit der Kamera sichtbar oder hörbar gemacht werden kann?


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(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.