Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 16. Juli 2015 - 4 K 804/12

ECLI:ECLI:DE:FGST:2015:0716.4K804.12.0A
bei uns veröffentlicht am16.07.2015

Tenor

Der Antrag auf Ablehnung aller Richter des 4. Senats wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht kostenfrei.

Gründe

1

I. Mit Beschluss vom 20. Februar 2015 hat es der 4. Senat durch die Richter G., G. und K. abgelehnt, dem Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) für seine Klage wegen Kindergeld zu gewähren; wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des PKH-Beschlusses Bezug genommen.

2

Dagegen wendet sich der Kläger in seinem Schriftsatz vom 11. März 2015, auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 32ff Finanzgerichtsakte), im Wege einer Gegenvorstellung verbunden mit einem Antrag auf Ablehnung der Richter G., G. und K.. Begründend trägt der Kläger im Wesentlichen vor, dass ihm die PKH greifbar gesetzeswidrig und willkürlich verwehrt worden sei. Hinsichtlich des Kindergeldbewilligungszeitraums von Juni 2011 bis Juli 2012 sei richtigerweise ein Feststellungsinteresse wegen des vorläufigen Charakters der Kindergeldfestsetzung und wegen der Möglichkeit zur Erstattung der Kosten für das Vorverfahren zu bejahen. Hinsichtlich des Zeitraums ab August 2012 sei fehlerhaft keine PKH gewährt worden, weil das Gericht fälschlich die Klagebefugnis verneint habe und sich das Gericht zu Unrecht auf ein fehlendes Vorverfahren gestützt habe, welches jedoch als Untätigkeitsklage zulässig gewesen sei. Insofern sei nach Ansicht des Klägers „daher nicht auszuschließen, dass eine Erfolgsaussicht bestand“. Zudem sei über den PKH-Antrag nicht zeitnah, sondern erst nach mehr als 2½ Jahren entschieden worden, was ebenfalls für die Parteilichkeit der abgelehnten Richter zu Gunsten der Beklagten sprechen würde.

3

Die vom Kläger abgelehnten Richter haben sich dienstlich geäußert; auf den Inhalt der den Beteiligten übersandten dienstlichen Äußerungen wird Bezug genommen.

II.

4

1. Berufen zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch i. S. d. § 51 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. §§ 42, 45 Zivilprozessordnung (ZPO) sind als geschäftsplanmäßige Vertreter des 4. Senats die im Rubrum genannten Richter des 5. Senats.

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2. Das Ablehnungsgesuch ist unbegründet. Deshalb kann offen bleiben, ob sich das gegen alle am PKH-Beschluss mitwirkenden Richter richtende Ablehnungsgesuch nicht bereits wegen des Verstoßes gegen das Erfordernis der Individualablehnung unstatthaft war oder es sich um eine zulässige Häufung von Individualablehnungen gegen eine Kollegialentscheidung gehandelt hat (vgl. zum Ganzen z.B. BFH-Beschlüsse vom 30.9.1998 XI B 22/98, BFH/NV 1999, 348 und vom 27.7.1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112).

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a) Die Richterablehnung gem. § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 ZPO kann grundsätzlich nicht auf rechtsfehlerhafte Entscheidungen gestützt werden. Gegen unrichtige Rechtsansichten eines Richters, wovor das Richterablehnungsverfahren nicht schützt, können sich die Beteiligten mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen wehren. Das Ablehnungsverfahren dient allein dazu, den Beteiligten vor der Mitwirkung eines Richters zu bewahren, an dessen Unparteilichkeit Zweifel begründet sind. Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler können nur ausnahmsweise, und zwar dann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muss ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (z.B. BFH-Beschluss vom 27.7.1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112).

7

b) Gemessen an vorstehenden Maßstäben kann vorliegend von schweren nicht tragbaren Rechtsverstößen keine Rede sein. Ob die im PKH-Beschluss vertretenen Rechtsansichten (möglicherweise) tatsächlich materiell-rechtlich fehlerhaft sind, kann mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen, weil ggf. auch falsche aber vertretbare Rechtsansichten gerade nicht eine unsachliche Einstellung erkennen lassen oder auf Willkür hindeuten (z.B. BFH-Beschluss vom 27.09.1994 VIII B 64-76/94, BFH/NV 1995, 526).

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Im PKH-Beschluss haben die vom Kläger abgelehnten Richter vielmehr für alle streitigen Kindergeldzeiträume ihre Rechtsauffassung (zum Feststellungsinteresse und zur Klagebefugnis/Vorverfahren/Untätigkeitsklage) im Einzelnen dargelegt und die Erfolgsaussichten jedenfalls nachvollziehbar und damit in nicht unvertretbarer Weise verneint. Dabei hatte der Senat auch zu berücksichtigen, dass der Kläger mit Schriftsatz vom 8. September 2014 einen geänderten Antrag gestellt hatte, die Beklagte für einen Teilzeitraum inzwischen Kindergeld gewährt hatte (Schriftsatz vom 7. Oktober 2014) und der Kläger zuletzt mit Schriftsatz vom 17. November 2014 Teilerledigung der Hauptsache erklärt hatte. Vor diesem Hintergrund liegt bei objektiver und vernünftiger Betrachtung die – etwaige – Fehlerhaftigkeit des PKH-Beschlusses weder ohne weiteres auf der Hand noch drängt sich diese als gravierend auf. Demzufolge fehlt es vorliegend an Anhaltspunkten dafür, dass sich die abgelehnten Richter bei ihrer PKH-Entscheidung hätten von unsachlichen Erwägungen leiten lassen.

9

Dass die im PKH-Beschluss gefundene Rechtsauffassung vertretbar war, entnimmt der erkennende Senat im Übrigen auch der Äußerung des Klägers im Schriftsatz vom 11. März 2015 (Seite 3, 3. Absatz), es sei „daher nicht auszuschließen, dass eine Erfolgsaussicht bestand“.

10

c) Soweit ferner durch die BFH-Rspr. geklärt ist, dass eine langdauernde Nichtbearbeitung eines PKH-Antrags nur zur Besorgnis der Befangenheit Anlass geben kann, wenn der Richter Erinnerungen der Partei nicht beachtet und sachliche Gründe für diese Verfahrensverzögerung nicht ersichtlich sind (z.B. BFH-Beschluss vom 11.8.1994 IV B 98/93, BFH/NV 1995, 410), fehlt es vorliegend bereits an solchen Erinnerungen seitens des Klägers. Nach Übersendung des PKH-Antrags des Klägers (datierend vom 18. August 2012) mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 10. September 2012 hat der Prozessbevollmächtigte lediglich mit Schriftsatz vom 4. November 2013 allgemein um Mitteilung des Sachstands gebeten. Hierauf erhielt der Kläger die nach Aktenlage zutreffende Antwort, dass noch eine Stellungnahme der Beklagten ausstehen würde. Im weiteren Verlauf folgten weder weitere Erinnerungen durch den Kläger noch sind insbesondere vor dem Hintergrund des weiteren Verfahrensfortgangs mit der Teilerledigung [siehe i. E. unter II. 2. b)] unsachliche Gründe für eine PKH-Entscheidung (erst) am 20. Februar 2015, d.h. ca. drei Monate nach der Teilerledigungserklärung des Klägers, erkennbar.

11

3. Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht kostenfrei, weil es sich dabei um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt (z.B. BFH-Beschluss vom 1.12.1999 IX S 17/99, BFH/NV 2000, 478).


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Referenzen - Gesetze

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 42 Ablehnung eines Richters


(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. (2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt

Zivilprozessordnung - ZPO | § 45 Entscheidung über das Ablehnungsgesuch


(1) Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. (2) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch. Einer Entscheidung b

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 51


(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten §§ 41 bis 49 der Zivilprozessordnung sinngemäß. Gerichtspersonen können auch abgelehnt werden, wenn von ihrer Mitwirkung die Verletzung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses ode

Referenzen

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten §§ 41 bis 49 der Zivilprozessordnung sinngemäß. Gerichtspersonen können auch abgelehnt werden, wenn von ihrer Mitwirkung die Verletzung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses oder Schaden für die geschäftliche Tätigkeit eines Beteiligten zu besorgen ist.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter, als ehrenamtlicher Richter oder als Urkundsbeamter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozessordnung ist stets dann begründet, wenn der Richter oder ehrenamtliche Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört oder angehört hat, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.

(1) Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung.

(2) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der abgelehnte Richter das Ablehnungsgesuch für begründet hält.

(3) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig, so entscheidet das im Rechtszug zunächst höhere Gericht.

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten §§ 41 bis 49 der Zivilprozessordnung sinngemäß. Gerichtspersonen können auch abgelehnt werden, wenn von ihrer Mitwirkung die Verletzung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses oder Schaden für die geschäftliche Tätigkeit eines Beteiligten zu besorgen ist.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter, als ehrenamtlicher Richter oder als Urkundsbeamter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozessordnung ist stets dann begründet, wenn der Richter oder ehrenamtliche Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört oder angehört hat, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.