Europäischer Gerichtshof Urteil, 09. Okt. 2018 - T-43/16

ECLI:ECLI:EU:T:2018:660
bei uns veröffentlicht am09.10.2018

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

9. Oktober 2018 ( *1 )

„Nichtigkeitsklage – Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Endkundenmarkt für mobile Telekommunikationsdienste und Vorleistungsmarkt für Zugang und Verbindungsaufbau in Deutschland – Erwerb von E‑Plus durch Telefónica Deutschland – Beschluss zur Feststellung der Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen – Durchführung der Nicht-MNO-Komponente der endgültigen Verpflichtungszusagen – Nicht anfechtbare Handlungen – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑43/16

1&1 Telecom GmbH mit Sitz in Montabaur (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt J.‑O. Murach und M. P. Alexiadis, Solicitor,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch N. Khan, M. Farley und C. Vollrath als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Telefónica Deutschland Holding AG mit Sitz in München (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Bauer, H.‑J. Freund, B. Herbers und K. Baubkus,

Streithelferin,

betreffend eine auf Art. 263 AEUV gestützte Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission, der im Schreiben vom 19. November 2015 enthalten sein soll, das die Umsetzung der Nicht-MNO-Abhilfemaßnahmen in den durch den Beschluss C(2014) 4443 final der Kommission vom 2. Juli 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen, vorbehaltlich der Einhaltung bestimmter Verpflichtungszusagen (Sache M.7018 – Telefónica Deutschland/E‑Plus), für verbindlich erklärten endgültigen Verpflichtungszusagen betrifft,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Frimodt Nielsen sowie der Richter I. S. Forrester (Berichterstatter) und E. Perillo,

Kanzler: C. Heeren, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2017

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1

Mit dem Beschluss C(2014) 4443 final vom 2. Juli 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen (Sache M.7018 – Telefónica Deutschland/E‑Plus) erklärte die Europäische Kommission den Erwerb (im Folgenden: Zusammenschluss) der E‑Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG (im Folgenden: E‑Plus) durch die Telefónica Deutschland Holding AG (im Folgenden: Telefónica Deutschland) vorbehaltlich der Einhaltung bestimmter in den Anhängen dieses Beschlusses aufgeführter endgültiger Verpflichtungszusagen (im Folgenden: endgültige Verpflichtungszusagen) durch Telefónica Deutschland für mit dem Binnenmarkt und mit Art. 57 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vereinbar. Die endgültigen Verpflichtungszusagen bestehen aus drei Komponenten: einer als „Mobilfunknetzbetreiber“ bezeichneten Komponente (im Folgenden: MNO-Komponente), einer als „virtuelle Mobilfunknetzbetreiber – Mobiles-Bitstromzugangs-Angebot“ bezeichneten Komponente (im Folgenden: MVNO-MBA-Komponente) und einer als „Betreiber ohne eigenes Netz“ bezeichneten Komponente (im Folgenden: Nicht-MNO-Komponente).

2

Mit der MNO-Komponente verpflichtet sich Telefónica Deutschland im Wesentlichen, ein Frequenzspektrum an einen neuen MNO zu vermieten und ihm bestimmte Vermögenswerte und Dienste, die für den Eintritt als neuer MNO in den deutschen Markt erforderlich sind, zu verkaufen (Veräußerung von Sendestationen, Verkauf von Läden, Vereinbarung über nationales Roaming und eine passive Netzteilungsvereinbarung).

3

Mit der MVNO-MBA-Komponente verpflichtet sich Telefónica Deutschland im Wesentlichen zum Abschluss einer Vereinbarung über den Verkauf von 20 % der gesamten Netzwerkkapazität des aus dem Zusammenschluss hervorgehenden Unternehmens an einen oder mehrere (bis zu drei) Nicht-MNO-Betreiber. Die besonderen Geschäftsbedingungen dieser Vereinbarung sind verhandelbar, müssen aber folgenden Rahmen einhalten: Die Erwerber müssen sich verpflichten, für die gesamte ursprüngliche Vertragsdauer von fünf Jahren eine bestimmte Menge an Netzwerkkapazität und die entsprechende Menge an Sprach-, Daten- und Kurzmitteilungsverkehr zu einem vorbestimmten Preis, der nicht vom tatsächlich genutzten Volumen abhängt, zu erwerben; Telefónica Deutschland muss eine solche Vereinbarung mit mindestens einem Erwerber abschließen, bevor sie den Zusammenschluss durchführen kann; Telefónica Deutschland verpflichtet sich, den Erwerbern zusätzliche 10 % der gesamten Netzwerkkapazität des aus dem Zusammenschluss hervorgehenden Unternehmens zu im Voraus festgelegten Bedingungen anzubieten.

4

Mit der Nicht-MNO-Komponente geht Telefónica Deutschland insbesondere folgende Verpflichtungen ein (Rn. 77 und 78 der endgültigen Verpflichtungszusagen):

„a)

2G/3G/4G-Zugang für bestehende Großhändler

[Telefónica Deutschland] verpflichtet sich, allen MVNO oder Diensteanbietern, die sich derzeit bei [Telefónica Deutschland] und/oder E‑Plus mit 2G/3G/4G‑Produkten versorgen, anzubieten, ihre zum Zeitpunkt des Vollzugs [des Zusammenschlusses] bestehenden Verträge bis Ende 2025 (oder einem früheren Zeitpunkt, zu dem [Telefónica Deutschland] ihr Angebot von 2G-, 3G- oder 4G-Produkten an ihre Abnehmer beenden kann) zu verlängern.

[Telefónica Deutschland] wird allen bestehenden MVNO oder Diensteanbietern, die mit [Telefónica Deutschland] und/oder E‑Plus einen zum Vollzugszeitpunkt geltenden Vertrag über den Zugang zum 2G-, 3G- oder 4G-Netz abgeschlossen haben, proaktiv eine Selbstverpflichtungserklärung übersenden, mit der sie bis Ende 2025 (oder einem früheren Zeitpunkt, zu dem [Telefónica Deutschland] ihr Angebot von 2G-, 3G- oder 4G-Produkten gegenüber ihren Abnehmern beenden kann) auf ihr im betreffenden Vorleistungsvertrag festgelegtes Recht zur ordentlichen Kündigung verzichtet. Das (gesetzlich vorgesehene) Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt.“

5

Eine Zusammenfassung des Beschlusses C(2014) 4443 final wurde am 13. März 2015 im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2015, C 86, S. 10) veröffentlicht, und eine nicht vertrauliche Fassung des Beschlusses wurde am 15. Dezember 2015 auf der Website der Kommission veröffentlicht.

6

Am 12. Dezember 2013 schloss die Klägerin, die 1&1 Telecom GmbH (im Folgenden: Klägerin oder 1&1), einen MVNO-Vertrag mit E‑Plus, wonach E‑Plus ihr Zugang zu ihren 2G/3G/4G-Netzen gewährte (im Folgenden: MVNO-Vertrag mit E‑Plus).

7

Nach seiner Ziff. 10 wird der MVNO-Vertrag mit E‑Plus für eine Mindestlaufzeit von vier Jahren geschlossen. Nach Ablauf der Mindestlaufzeit verlängert sich der Vertrag automatisch auf unbestimmte Zeit, wenn nicht eine der Parteien ihn vor Ablauf der Mindestlaufzeit oder danach mit einer Frist von zwölf Monaten zum Ende eines jeden Kalenderquartals schriftlich kündigt.

8

Zudem bestimmt Ziff. 5.1 Abs. 1 des MVNO-Vertrags mit E‑Plus:

„Soweit [1&1] auch MVNO-Dienste oder vergleichbare Dienste von Dritten bezieht, verpflichtet sich [1&1], im ersten Jahr nach Vermarktungsstart im Jahresdurchschnitt 37 % und ab Beginn des 13. Monats nach Vermarktungsstart bis zum 24. Monat im Jahresdurchschnitt 43 % sowie ab Beginn des 25. Monats bis zum 48. Monat (Ende der Mindestvertragslaufzeit) jeweils im jährlichen Durchschnitt mindestens 46 % (‚Mindestanteile‘) seiner erfolgreich aktivierten Mobilfunkneukunden in Endkundentarifen mit einer Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten und einem monatlichen Grundpreis, die auf Basis von Leistungen geschaltet werden, die von E‑Plus tatsächlich erbracht werden und für die die Preise gemäß Anlage 2 Ziff. 2 dieses Vertrags gelten, im Netz von E‑Plus oder einem anderen Mobilfunknetz, welches mit E‑Plus gesellschaftsrechtlich gemäß §§ 15 ff. AktG [(deutsches Aktiengesetz)] verbunden ist, unter Nutzung der MVNO-Dienste als [1&1]-Kunden zu aktivieren (‚Gross Add Share‘ oder ‚Einlastquote‘). Im Rahmen der Zusammenarbeit beabsichtigt [1&1], einen Mindestanteil in der Einlastquote von 50 % zu erreichen …“

9

Ziff. 5.1 Abs. 4 und 5 des MVNO-Vertrags mit E‑Plus bestimmt auch, dass 1&1 bei Nichterfüllung der vertraglichen Pflicht, einen bestimmten Prozentsatz an Neukunden im Netz von E‑Plus zu aktivieren, verpflichtet ist, einen kommerziellen Ausgleich an E‑Plus zu zahlen.

10

Ziff. 15.7 des MVNO-Vertrags mit E-Plus bestimmt schließlich, dass Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aufgrund des Vertrags Düsseldorf (Deutschland) ist.

11

Am 27. Februar 2015 richtete Telefónica Deutschland gemäß den Rn. 77 und 78 der endgültigen Verpflichtungszusagen eine Selbstverpflichtungserklärung an die Klägerin (im Folgenden: Selbstverpflichtungserklärung). Am 17. August 2015 richtete Telefónica Deutschland ein Schreiben zur Erläuterung bestimmter Bedingungen der Selbstverpflichtungserklärung (im Folgenden: Erläuterungsschreiben) an die Klägerin. Sowohl die Selbstverpflichtungserklärung als auch das Erläuterungsschreiben wurden auf der Grundlage eines Standardschreibens verfasst, das an alle MVNO und alle Diensteanbieter gesandt werden sollte, die bei Telefónica Deutschland einen Vertrag über den Zugang auf Vorleistungsebene abgeschlossen hatten.

12

Ziff. 2 („Verzicht auf ordentliches Kündigungsrecht“) der Selbstverpflichtungserklärung bestimmt:

„(1)

Soweit der [MVNO-Vertrag mit E‑Plus] E‑Plus zu einer ordentlichen Kündigung des Vertrages mit Wirkung vor dem 31.12.2025, 24.00 Uhr, berechtigen würde, verzichtet E‑Plus hiermit nach Maßgabe dieser Ziffer 2 auf dieses ordentliche Kündigungsrecht (‚Verzichtserklärung‘). Hierdurch ist eine ordentliche Kündigung durch E‑Plus mit Wirkung auf einen Zeitpunkt vor dem 31.12.2025, 24.00 Uhr, nach Maßgabe dieser Ziffer 2 ausgeschlossen und ist nach weiterer Maßgabe des [MVNO-Vertrags mit E‑Plus] frühestens zum 31.12.2025, 24.00 Uhr, möglich. Ziffer 1(2) gilt entsprechend.

(3)

Sofern sich der [MVNO-Vertrag mit E‑Plus] bis zum 31.12.2025, 24.00 Uhr, oder einem Zeitpunkt danach verlängern würde, weil er durch E‑Plus infolge der Verzichtserklärung nicht mehr auf einen Zeitpunkt vor dem 31.12.2025, 24.00 Uhr, gekündigt werden kann, erfolgt die Verzichtserklärung mit der Maßgabe, dass sich auch Verpflichtungen [von 1&1], die bei der Vereinbarung der Gegenleistung [von 1&1] durch die Vertragsparteien berücksichtigt wurden (z. B. die Abnahme bestimmter Mindestmengen) und ohne die es zu einer Störung des Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung käme, auch dann mit den übrigen Bestimmungen des [MVNO-Vertrags mit E‑Plus] fortgelten, wenn die Dauer dieser Verpflichtungen im [MVNO-Vertrag mit E‑Plus] datumsmäßig bestimmt ist und es sich bei diesem Datum um das Datum handelt, zu dem der [MVNO-Vertrag mit E‑Plus] durch E‑Plus hätte gekündigt werden können.“

13

Am 18. August 2015 teilte die Klägerin der Kommission mit, dass sie „grundsätzlich mit dem Inhalt der Selbstverpflichtungserklärung einverstanden [ist]“.

14

Ab 3. September 2015 teilte die Klägerin der Kommission jedoch mehrfach mit, dass sie an der Rechtmäßigkeit von Ziff. 2 Abs. 3 der Selbstverpflichtungserklärung zweifele, weil ihrer Ansicht nach die endgültigen Verpflichtungszusagen Telefónica Deutschland verpflichteten, ein Schreiben zu versenden, mit dem sie bis Ende 2025 auf ihr Recht zur ordentlichen Kündigung des MVNO-Vertrags mit E‑Plus bedingungslos verzichte.

15

Mit E‑Mail vom 28. September 2015 vertrat das mit der Sache betraute Referat der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission im Wesentlichen die Ansicht, dass Telefónica Deutschland nicht gegen die endgültigen Verpflichtungszusagen verstoßen habe, als sie Ziff. 2 Abs. 3 in die Selbstverpflichtungserklärung eingefügt habe (im Folgenden: E‑Mail vom 28. September 2015). In der E‑Mail vom 28. September 2015 wurde darauf hingewiesen, dass es sich nur um eine Ansicht der Dienststellen der Kommission und nicht um einen Beschluss der Kommission handele.

16

Im Anschluss an die E‑Mail vom 28. September 2015 wiederholte die Klägerin ihre Rügen u. a. in einem Schreiben vom 9. Oktober 2015 an den Generaldirektor der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission. Darin ersuchte die Klägerin die Kommission, einen förmlichen Beschluss darüber zu erlassen, ob die Selbstverpflichtungserklärung die endgültigen Verpflichtungszusagen einhalte.

17

Mit Schreiben vom 19. November 2015, das die Unterschrift des Generaldirektors der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission trägt, vertrat dieser die Ansicht, dass „die endgültigen Verpflichtungszusagen Telefónica nicht daran hindern, [Ziff. 2 Abs. 3] in den Text der Selbstverpflichtungserklärung einzufügen“, und dass dies „die Tatsache widerspiegelt, dass diese Bedingung nur den Zweck hat, sicherzustellen, dass der durch den (ursprünglich verhandelten und abgeschlossenen) [MVNO-Vertrag mit E‑Plus] erreichte Ausgleich der Geschäftsinteressen nicht infolge der gemäß den endgültigen Verpflichtungszusagen vorgenommenen Verlängerung beseitigt wird“. Daher kam der Generaldirektor der Generaldirektion Wettbewerb zu dem Ergebnis, dass ihm „[im] Licht des Vorstehenden … in diesem Stadium nichts vorgelegt worden ist, was dafür spräche, dass die von Telefónica am 4. März 2015 übersandte und am 17. August durch das Erläuterungsschreiben ergänzte Selbstverpflichtungserklärung nicht mit den endgültigen Verpflichtungszusagen im Einklang steht“, und dass er daher „in diesem Stadium keinen Grund sieht, weitere Schritte gegen Telefónica zu unternehmen und/oder einen Beschluss in Bezug auf ihre Einhaltung der endgültigen Verpflichtungszusagen zu erlassen“.

18

Die vorliegende Klage richtet sich gegen den Beschluss der Kommission, der in dem oben in Rn. 17 angeführten Schreiben vom 19. November 2015 enthalten sein soll (im Folgenden: Schreiben vom 19. November 2015).

Verfahren und Anträge der Parteien

19

Mit Klageschrift, die am 29. Januar 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

20

Mit Schriftsatz, der am 25. Februar 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission gemäß Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben, mit der sie bestreitet, dass die Klageschrift ordnungsgemäß eingereicht worden sei. Mit Beschluss vom 22. Juni 2016, 1&1 Telecom/Kommission (T‑43/16, EU:T:2016:402), hat das Gericht die Einrede der Unzulässigkeit zurückgewiesen.

21

Mit Schriftsatz, der am 16. März 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Telefónica Deutschland beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden. Mit Beschluss vom 14. September 2016 hat der Präsident der Dritten Kammer des Gerichts sie als Streithelferin zugelassen. Der Schriftsatz von Telefónica Deutschland und die Stellungnahmen der Hauptparteien zu ihm sind fristgerecht eingereicht worden.

22

Parallel zur vorliegenden Rechtssache hatte die Klägerin mit Klageschrift, die am 5. Juni 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen und unter dem Aktenzeichen T‑307/15 in das Register eingetragen worden ist, auch eine Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2014) 4443 final erhoben. Mit Schriftsatz, der am 11. September 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin diese Klage jedoch zurückgenommen, und die Rechtssache T‑307/15 ist mit Beschluss vom 23. Oktober 2017, 1&1 Telecom/Kommission (T‑307/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:773), im Register gestrichen worden.

23

Die Klägerin beantragt,

den im Schreiben der Kommission vom 19. November 2015 enthaltenen Beschluss für nichtig zu erklären;

der Kommission aufzuerlegen, Telefónica Deutschland zur Übermittlung einer neuen Selbstverpflichtungserklärung zu verpflichten, die strikt auf ihre in Nr. 78 der endgültigen Verpflichtungszusagen dargelegte Verpflichtung beschränkt ist;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

24

Die Kommission beantragt,

die Klage insgesamt abzuweisen;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

25

Telefónica Deutschland beantragt,

die Klage insgesamt abzuweisen;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit

26

Ohne förmlich eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Art. 130 der Verfahrensordnung zu erheben, macht die Kommission geltend, die Klage sei insgesamt unzulässig.

Zum ersten, auf die Nichtigerklärung des Schreibens vom 19. November 2015 gerichteten Antrag

27

Die Kommission, unterstützt durch Telefónica Deutschland, macht geltend, der erste Antrag der Klägerin sei unzulässig, weil das Schreiben vom 19. November 2015 keine Handlung sei, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV sein könne.

28

Im Einzelnen trägt die Kommission zunächst vor, das Schreiben vom 19. November 2015 äußere nur eine Meinung zu der Frage, ob die Selbstverpflichtungserklärung mit den endgültigen Verpflichtungszusagen zu vereinbaren sei. Eine Meinungsäußerung sei jedoch keine anfechtbare Handlung. Ferner sei das Schreiben vom 19. November 2015 nicht erforderlich gewesen, weil es das in den endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehene beschleunigte Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten und die Vereinbarung des Gerichtsstands Düsseldorf für alle Streitigkeiten im Rahmen des MVNO-Vertrags mit E‑Plus gebe. Schließlich entfalte das Schreiben vom 19. November 2015 keine Rechtswirkungen gegenüber der Klägerin, weil das Rechtsverhältnis zwischen Telefónica Deutschland und ihr ausschließlich durch die endgültigen Verpflichtungszusagen und den MVNO-Vertrag mit E‑Plus geregelt sei.

29

Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen und trägt vor, das Schreiben vom 19. November 2015 stelle sehr wohl eine anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV dar.

30

Erstens sei es für die Prüfung der Frage, ob das Schreiben vom 19. November 2015 eine anfechtbare Handlung darstelle, unerheblich, welche Form es habe. Das Schreiben lege den Standpunkt der Kommission zur Frage der Rechtmäßigkeit von Ziff. 2 Abs. 3 der Selbstverpflichtungserklärung endgültig fest. Zudem erzeuge es Rechtswirkungen für die Klägerin, da sich Telefónica Deutschland darauf berufen könne und da es eine der nach Ablauf der Mindestlaufzeit des MVNO-Vertrags mit E‑Plus bestehenden Möglichkeiten, nämlich dessen Verlängerung ohne Mindestabnahmepflicht, unmöglich mache. Damit erlege das Schreiben vom 19. November 2015 der Klägerin eine Belastung auf.

31

Zweitens seien die Kommission und der Generaldirektor der Generaldirektion Wettbewerb für die Entscheidung über die Auslegung und die Umsetzung der endgültigen Verpflichtungszusagen zuständig. Daher müsse der Unionsrichter dafür zuständig sein, die Rechtmäßigkeit der von der Kommission vorgenommenen Auslegung zu überprüfen, da andernfalls der Klägerin ihr Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz genommen würde.

32

Drittens sei es unerheblich, ob das Schreiben vom 19. November 2015 erforderlich gewesen sei oder eine Rechtsfrage betroffen habe. Ebenso wenig sei es erheblich, dass die Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. 2004, L 24, S. 1) keinen Rahmen für die Zurückweisung von Beschwerden wegen Nichteinhaltung der Verpflichtungszusagen durch Beschluss vorsehe.

33

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach einer gefestigten Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Nichtigkeitsklagen für die Feststellung, ob eine Handlung Gegenstand einer solchen Klage sein kann, auf ihr Wesen abzustellen ist, da die Form ihres Erlasses insoweit grundsätzlich ohne Bedeutung ist (Urteile vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9, vom 17. Juli 2008, Athinaïki Techniki/Kommission, C‑521/06 P, EU:C:2008:422, Rn. 42 und 43, und vom 19. Januar 2017, Kommission/Total und Elf Aquitaine, C‑351/15 P, EU:C:2017:27, Rn. 35).

34

Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung stellen nur Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung beeinträchtigen können, Handlungen oder Beschlüsse dar, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein können (Urteile vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9, vom 17. Juli 2008, Athinaïki Techniki/Kommission, C‑521/06 P, EU:C:2008:422, Rn. 29, und vom 19. Januar 2017, Kommission/Total und Elf Aquitaine, C‑351/15 P, EU:C:2017:27, Rn. 36).

35

Somit ist die Nichtigkeitsklage grundsätzlich nur gegen eine Maßnahme eröffnet, mit der das betreffende Organ am Ende eines Verwaltungsverfahrens seinen Standpunkt endgültig festlegt. Hingegen können Zwischenhandlungen, die der Vorbereitung des endgültigen Beschlusses dienen, sowie bestätigende oder reine Durchführungshandlungen nicht als anfechtbar qualifiziert werden, da solche Handlungen nicht darauf gerichtet sind, in Bezug auf die Handlung des Unionsorgans, die vorbereitet, bestätigt oder durchgeführt wird, selbständige verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. September 2006, Reynolds Tobacco u. a./Kommission, C‑131/03 P, EU:C:2006:541, Rn. 55, vom 6. Dezember 2007, Kommission/Ferriere Nord, C‑516/06 P, EU:C:2007:763, Rn. 29, und vom 19. Januar 2017, Kommission/Total und Elf Aquitaine, C‑351/15 P, EU:C:2017:27, Rn. 37).

36

Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob die Kommission mit dem Schreiben vom 19. November 2015 eine Handlung vorgenommen hat, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugt, die die Interessen der Klägerin durch eine qualifizierte Änderung ihrer Rechtsstellung im Sinne von Art. 263 AEUV beeinträchtigen können.

37

Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Kommission mit dem Schreiben vom 19. November 2015, dessen Inhalt oben in Rn. 17 wiedergegeben worden ist, im Wesentlichen zum einen die endgültigen Verpflichtungszusagen im vorliegenden Zusammenhang ausgelegt hat und zum anderen zu dem Ergebnis gekommen ist, dass kein Anlass bestehe, gegenüber Telefónica Deutschland Maßnahmen zu ergreifen oder einen Beschluss über die Einhaltung der endgültigen Verpflichtungszusagen zu erlassen.

38

Erstens ist, soweit im Schreiben vom 19. November 2015 in Verbindung mit der E‑Mail vom 28. September 2015 die endgültigen Verpflichtungszusagen dahin ausgelegt werden, dass sie Telefónica Deutschland nicht daran hinderten, Ziff. 2 Abs. 3 in den Text der Selbstverpflichtungserklärung einzufügen, darauf hinzuweisen, dass eine schriftliche Meinungsäußerung oder eine bloße Absichtserklärung nach ständiger Rechtsprechung keinen Beschluss darstellen kann, der mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden kann, da sie keine Rechtswirkungen erzeugen kann oder nicht darauf gerichtet ist, solche Wirkungen zu erzeugen (Beschlüsse vom 2. September 2009, E.ON Ruhrgas und E.ON Földgáz Trade/Kommission, T‑57/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:297, Rn. 31, und vom 12. Februar 2010, Kommission/CdT, T‑456/07, EU:T:2010:39, Rn. 55, sowie Urteil vom 15. Juli 2015, Westfälische Drahtindustrie u. a./Kommission, T‑393/10, EU:T:2015:515, Rn. 96).

39

Zwar stellt die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung einer Rechtsvorschrift keine anfechtbare Handlung dar, doch trifft es – wie die Klägerin geltend macht – zu, dass ihre Anwendung auf einen bestimmten Sachverhalt grundsätzlich rechtliche Wirkungen erzeugen kann (vgl. Beschluss vom 2. September 2009, E.ON Ruhrgas und E.ON Földgáz Trade/Kommission, T‑57/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:297, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Gleichwohl ist entgegen dem Vorbringen der Klägerin festzustellen, dass im vorliegenden Fall das Schreiben vom 19. November 2015 die endgültigen Verpflichtungszusagen nur bestätigt, ohne die Rechtsstellung der Klägerin zu verändern. Auch wenn im Schreiben vom 19. November 2015 Tatsachen berücksichtigt werden, die nach dem Erlass des Beschlusses C(2014) 4443 final zutage getreten sind – und zwar die Selbstverpflichtungserklärung –, beschränkt es sich im Wesentlichen darauf, den Inhalt der endgültigen Verpflichtungszusagen zu wiederholen, ohne im Verhältnis zu ihnen neue Tatsachen oder rechtliche Gesichtspunkte zu enthalten (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 7. Dezember 2004, Internationaler Hilfsfonds/Kommission, C‑521/03 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2004:778, Rn. 47, und vom 17. Februar 2011, RapidEye/Kommission, T‑330/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:48, Rn. 28 und 29 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Weder die Selbstverpflichtungserklärung noch das Schreiben vom 19. November 2015 können die Rechtsstellung der Klägerin nämlich wesentlich verändern, da die Rechte und Pflichten von Telefónica Deutschland und der Nicht-MNO-Betreiber, die die Nicht-MNO-Komponente der endgültigen Verpflichtungszusagen in Anspruch nehmen möchten, ausschließlich durch die endgültigen Verpflichtungszusagen geregelt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Februar 2001, Inpesca/Kommission, T‑186/98, EU:T:2001:42, Rn. 51).

41

Das Schreiben vom 19. November 2015 stellt auch keine Überprüfung der Pflichten von Telefónica Deutschland im Licht neuer und wesentlicher Tatsachen dar, sondern nur eine Wiederholung ihrer in den endgültigen Verpflichtungszusagen festgelegten und nach einer Überprüfung durch die Kommission mit dem Beschluss C(2014) 4443 final für verbindlich erklärten Pflichten. Folglich ist das Schreiben vom 19. November 2015 eine rein bestätigende Handlung. Daher ist die vorliegende Rechtssache von den Rechtssachen zu unterscheiden, in denen festgestellt wurde, dass die angefochtene Handlung keine bloße Bestätigung einer früheren Entscheidung war, weil sie auf der Grundlage anderer tatsächlicher und rechtlicher Gesichtspunkte als der zuvor geprüften und aus anderen als den der früheren Entscheidung zugrunde liegenden Gründen ergangen war (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2015, Westfälische Drahtindustrie u. a./Kommission, T‑393/10, EU:T:2015:515, Rn. 107).

42

Dies gilt umso mehr, als Telefónica Deutschland nicht die Adressatin des Schreibens vom 19. November 2015 war und es nicht gemäß Art. 8 Abs. 4 und 5 der Verordnung Nr. 139/2004 erging. Das Schreiben kann somit nicht geeignet sein, die aus den endgültigen Verpflichtungszusagen hervorgehenden Pflichten von Telefónica Deutschland in irgendeiner Weise zu ändern, und dies gilt folglich auch für die Rechtsstellung Dritter, wie der Klägerin, im Allgemeinen oder gegenüber Telefónica Deutschland.

43

Des Weiteren ändert der Umstand, dass Telefónica Deutschland versuchen könnte, das Schreiben vom 19. November 2015 zu verwenden, um geltend zu machen, dass Ziff. 2 Abs. 3 der Selbstverpflichtungserklärung die Klägerin verpflichte, die in Ziff. 5.1 des MVNO-Vertrags mit E‑Plus vereinbarten Mindestabnahmepflichten bis Ende 2025 einzuhalten, falls der Vertrag gemäß den endgültigen Verpflichtungszusagen bis dahin verlängert werde, entgegen dem Vorbringen der Klägerin nichts an der Rechtsnatur des Schreibens (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Dezember 2005, Italien/Kommission, C‑301/03, EU:C:2005:727, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Beschluss vom 2. September 2009, E.ON Ruhrgas und E.ON Földgáz Trade/Kommission, T‑57/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:297, Rn. 49). Wie oben in den Rn. 40 bis 42 dargelegt, beschränkt sich das Schreiben vom 19. November 2015 nämlich auf eine Wiederholung des Inhalts der endgültigen Verpflichtungszusagen, ohne dass es eigene Rechtswirkungen erzeugen soll. Die in dem Schreiben von der Kommission vorgenommene Auslegung der endgültigen Verpflichtungszusagen fügt den daraus zu entnehmenden Rechten und Pflichten nichts hinzu und bindet in keiner Weise ein nationales Gericht, das über einen Rechtsstreit zwischen den Parteien mit diesem Gegenstand zu entscheiden hätte.

44

Folglich stellt das Schreiben vom 19. November 2015, soweit darin die Tragweite der endgültigen Verpflichtungszusagen ausgelegt wird, keinen Beschluss dar, sondern eine bloße rechtlich unverbindliche Erklärung, zu der die Kommission im Rahmen der nachträglichen Überwachung der ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Beschlüsse im Bereich der Kontrolle von Zusammenschlüssen befugt ist (vgl. entsprechend Beschluss vom 17. Februar 2011, RapidEye/Kommission, T‑330/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:48, Rn. 44).

45

Zweitens ist insoweit, als im Schreiben vom 19. November 2015 in Beantwortung der entsprechenden Anträge der Klägerin ausgeführt wird, dass kein Anlass bestehe, gegenüber Telefónica Deutschland Maßnahmen zu ergreifen oder einen Beschluss über die Einhaltung der endgültigen Verpflichtungszusagen zu erlassen, darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die schriftliche Beantwortung eines Antrags durch ein Unionsorgan nicht ausreicht, um das entsprechende Schreiben als Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV anzusehen, gegen die Nichtigkeitsklage erhoben werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Oktober 1993, Zunis Holding u. a./Kommission, T‑83/92, EU:T:1993:93, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Klägerin über kein individuelles Recht verfügt, die Kommission zum Erlass eines Beschlusses zu verpflichten, mit dem sie einen Verstoß von Telefónica Deutschland gegen die endgültigen Verpflichtungszusagen feststellen und Maßnahmen ergreifen würde, um nach Art. 8 Abs. 4 oder 5 der Verordnung Nr. 139/2004 die Bedingungen eines wirksamen Wettbewerbs wiederherzustellen, und zwar auch dann nicht, wenn die einen solchen Beschluss rechtfertigenden Bedingungen erfüllt wären (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 27. Januar 2015, UNIC/Kommission, T‑338/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:59, Rn. 29, und vom 24. November 2015, Delta Group agroalimentare/Kommission, T‑163/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:911, Rn. 29 und 39). Das Schreiben vom 19. November 2015 kann daher kein Beschluss sein, der Rechtswirkungen gegenüber der Klägerin zu erzeugen vermag, die ihre Rechtsstellung ändern können.

47

Weder die Verordnung Nr. 139/2004 noch die Verordnung (EG) Nr. 802/2004 der Kommission vom 7. April 2004 zur Durchführung der Verordnung Nr. 139/2004 (ABl. 2004, L 133, S. 1) sieht nämlich ein Verfahren vor, das es den an einem Zusammenschluss unbeteiligten Dritten gestatten würde, bei der Kommission eine förmliche Beschwerde gegen die Parteien des Zusammenschlusses wegen Verstoßes gegen die Bedingungen des Beschlusses, mit dem der Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird, einzulegen, auch wenn die Dritten durch diese Bedingungen potenziell begünstigt werden. Selbst wenn es sich um eine Lücke im Bereich der Kontrolle von Zusammenschlüssen handeln sollte, wäre es gegebenenfalls Aufgabe des Gesetzgebers und nicht des Unionsrichters, sie zu schließen.

48

Infolgedessen ist die Kommission, anders als nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101 und 102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) und Art. 12 der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 [AEUV] (ABl. 2015, L 248, S. 9), nicht verpflichtet, etwaige wegen der Nichtbefolgung von Beschlüssen über die Kontrolle von Zusammenschlüssen eingelegte Beschwerden mit einem Beschluss zu beantworten, der mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden kann. Die Rechtsprechung über die Zurückweisung einer Beschwerde im Bereich staatlicher Beihilfen ist daher für die vorliegende Rechtssache nicht relevant.

49

Somit erzeugt das Schreiben vom 19. November 2015, mit dem die Kommission der Klägerin im Wesentlichen mitteilt, dass sie keine Maßnahmen gegenüber Telefónica Deutschland ergreifen werde, keine verbindlichen Rechtswirkungen, die die Interessen der Klägerin beeinträchtigen können (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 27. Januar 2015, UNIC/Kommission, T‑338/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:59, Rn. 29, und vom 24. November 2015, Delta Group agroalimentare/Kommission, T‑163/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:911, Rn. 29 und 39).

50

Da das Schreiben vom 19. November 2015 keinen Beschluss darstellt (siehe oben, Rn. 44) und keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeugt, die die Interessen der Klägerin beeinträchtigen können (siehe oben, Rn. 49), ist zudem festzustellen, dass das Vorbringen der Klägerin, mit dem dargetan werden soll, dass sie von dem Schreiben unmittelbar und individuell betroffen sei, ins Leere geht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2005, Kommission/max.mobil, C‑141/02 P, EU:C:2005:98, Rn. 70, und Beschluss vom 23. September 2011, Vivendi/Kommission, T‑567/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:528, Rn. 16 und 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

51

Der oben in den Rn. 44 und 49 gezogene Schluss wird durch das Vorbringen der Klägerin, dass die Zurückweisung ihres ersten Antrags wegen Unzulässigkeit ihr Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verletzen könne, nicht in Frage gestellt.

52

Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Einzelne die Möglichkeit haben muss, einen effektiven gerichtlichen Schutz der Rechte in Anspruch zu nehmen, die er aus der Rechtsordnung der Union herleitet. Der Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz wurde förmlich anerkannt in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der bestimmt: „Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.“

53

Ferner heißt es in Art. 19 EUV: „Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.“

54

Infolgedessen hat der AEU-Vertrag in Art. 263 einerseits und in Art. 267 andererseits ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe gewährleisten soll, mit der der Unionsrichter betraut wird. Nach diesem System haben natürliche oder juristische Personen, die wegen der in Art. 263 AEUV aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen Unionshandlungen nicht unmittelbar anfechten können, die Möglichkeit, die Ungültigkeit solcher Handlungen vor den nationalen Gerichten geltend zu machen und diese Gerichte, die nicht befugt sind, die Ungültigkeit der Handlungen selbst festzustellen, zu veranlassen, dem Gerichtshof insoweit Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

55

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Kontrolle von Zusammenschlüssen dazu dient, den betroffenen Unternehmen die erforderliche vorherige Genehmigung für den Vollzug eines Zusammenschlusses von unionsweiter Bedeutung zu verschaffen. Im Rahmen dieser Kontrolle können die Unternehmen der Kommission Verpflichtungszusagen vorschlagen, um eine Entscheidung zu erwirken, mit der die Vereinbarkeit ihres Vorhabens mit dem Binnenmarkt festgestellt wird (Urteil vom 6. Juli 2010, Ryanair/Kommission, T‑342/07, EU:T:2010:280, Rn. 448).

56

Die vorgeschlagenen Verpflichtungen sollen es der Kommission je nach dem Stand des Verwaltungsverfahrens ermöglichen, zu dem Schluss zu gelangen, dass das angemeldete Vorhaben im Stadium der Voruntersuchung keinen Anlass mehr zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt (Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004), oder den im Rahmen der eingehenden Prüfung berücksichtigten Einwänden Rechnung zu tragen (Art. 18 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004). Die Verpflichtungszusagen ermöglichen es also, schon die Einleitung einer Phase der eingehenden Prüfung zu vermeiden oder später den Erlass einer Entscheidung zu vermeiden, mit der der Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird (Urteil vom 6. Juli 2010, Ryanair/Kommission, T‑342/07, EU:T:2010:280, Rn. 449).

57

Nach Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004 kann die Kommission nämlich eine Entscheidung, mit der ein Zusammenschluss nach dem in Art. 2 Abs. 2 der Verordnung aufgestellten Kriterium für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird, mit Bedingungen und Auflagen verbinden, um sicherzustellen, dass die beteiligten Unternehmen den Verpflichtungen nachkommen, die sie ihr gegenüber hinsichtlich einer mit dem Binnenmarkt zu vereinbarenden Gestaltung des Zusammenschlusses eingegangen sind (Urteil vom 6. Juli 2010, Ryanair/Kommission, T‑342/07, EU:T:2010:280, Rn. 450).

58

Schon aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004 geht somit hervor, dass die Kommission Verpflichtungserklärungen, die von den betreffenden Unternehmen angeboten werden, durch Beschluss für verbindlich erklären kann, wenn sie das angemeldete Vorhaben mit dem Binnenmarkt vereinbar machen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Juli 2010, Ryanair/Kommission, T‑342/07, EU:T:2010:280, Rn. 452).

59

Dadurch kann ein Beschluss nach Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004, indem ein bestimmtes Verhalten eines Wirtschaftsteilnehmers gegenüber Dritten für verbindlich erklärt wird, mittelbar Rechtswirkungenerga omnes aufweisen, die das betreffende Unternehmen für sich allein nicht hätte erzeugen können.

60

Im vorliegenden Fall hat sich Telefónica Deutschland mit den endgültigen Verpflichtungszusagen in rechtlich verbindlicher Weise verpflichtet, allen bestehenden MVNO und Diensteanbietern, die mit ihr oder mit E‑Plus einen Vertrag über den Zugang zum 2G-, 3G- oder 4G-Netz abgeschlossen hatten, „proaktiv“ eine Selbstverpflichtungserklärung zu übersenden, in der sie bis Ende 2025 auf ihr in dem betreffenden Vorleistungsvertrag festgelegtes Recht zur ordentlichen Kündigung verzichtet (Nr. 78 der endgültigen Verpflichtungszusagen). Unter diesen Umständen haben die endgültigen Verpflichtungszusagen mittelbar Rechtswirkungen zugunsten der von den Bestimmungen der Nicht-MNO-Komponente betroffenen Dritten erzeugt, deren Einhaltung von den zuständigen nationalen Gerichten, unbeschadet der der Kommission in diesem Bereich nach dem Unionsrecht zustehenden Vorrechte, kontrolliert wird. Unbeschadet der Möglichkeit für die Kommission, einen Verstoß gegen die endgültigen Verpflichtungszusagen festzustellen und mittels eines Beschlusses nach Art. 8 Abs. 4 und 5 der Verordnung Nr. 139/2004 die von ihr für angemessen gehaltenen Maßnahmen zu ergreifen, steht es folglich den von den Bestimmungen der Nicht-MNO-Komponente betroffenen Dritten, zu denen die Klägerin gehören kann, frei, sich darauf vor den zuständigen nationalen Gerichten zu berufen. Diese Gerichte haben dann in solchen Rechtsstreitigkeiten über die Umsetzung der endgültigen Verpflichtungszusagen zu entscheiden. In diesem Zusammenhang stellt eine Meinungsäußerung der Kommission zur Auslegung der endgültigen Verpflichtungszusagen nur eine mögliche Auslegung dar, die im Gegensatz zu Beschlüssen im Sinne von Art. 288 AEUV nur zur Bildung einer Überzeugung dienen kann und die zuständigen nationalen Gerichte nicht bindet. Außerdem können oder müssen diese Gerichte nach Art. 267 AEUV dem Gerichtshof eine die Gültigkeit oder die Auslegung der endgültigen Verpflichtungszusagen oder des Beschlusses C(2014) 4443 final betreffende Frage zur Vorabentscheidung vorlegen.

61

Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als es in dem Rechtsstreit zwischen der Klägerin und Telefónica Deutschland darum geht, wie Telefónica Deutschland ihre durch die endgültigen Verpflichtungszusagen geänderten vertraglichen Pflichten aus dem MVNO-Vertrag mit E‑Plus umsetzt. Aus Ziff. 15.7 des MVNO-Vertrags mit E‑Plus geht jedoch ausdrücklich hervor, dass der Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aufgrund dieses Vertrags Düsseldorf ist.

62

Nach alledem ist festzustellen, dass das Schreiben vom 19. November 2015 keine Handlung mit Beschlusscharakter darstellt, gegen die nach Art. 263 AEUV eine Nichtigkeitsklage erhoben werden kann. Deshalb ist der erste Antrag der Klägerin als unzulässig zurückzuweisen.

Zum zweiten Antrag, der darauf gerichtet ist, der Kommission aufzugeben, Telefónica Deutschland zur Übersendung einer neuen Selbstverpflichtungserklärung zu verpflichten

63

Die Kommission, unterstützt durch Telefónica Deutschland, trägt vor, der zweite Antrag sei unzulässig, da er einen Versuch darstelle, eine Anordnung zu erwirken.

64

Wie die Kommission zu Recht vorträgt, geht insoweit aus einer ständigen Rechtsprechung hervor, dass das Gericht nicht befugt ist, den Unionsorganen Anordnungen zu erteilen (Urteile vom 24. Juni 1986, AKZO Chemie und AKZO Chemie UK/Kommission, 53/85, EU:C:1986:256, Rn. 23, und vom 24. Januar 1995, Ladbroke Racing/Kommission, T‑74/92, EU:T:1995:10, Rn. 75).

65

Infolgedessen ist der zweite Antrag als unzulässig zurückzuweisen, so dass die Klage insgesamt abzuweisen ist.

Kosten

66

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da im vorliegenden Fall die Klägerin unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission und von Telefónica Deutschland ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission und von Telefónica Deutschland aufzuerlegen, mit Ausnahme der Kosten, die der Kommission im Rahmen der mit Beschluss vom 22. Juni 2016, 1&1 Telecom/Kommission (T‑43/16, EU:T:2016:402), zurückgewiesenen Einrede der Unzulässigkeit entstanden sind.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die 1&1 Telecom GmbH trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission und der Telefónica Deutschland Holding AG, mit Ausnahme der Kosten, die der Kommission im Rahmen der mit Beschluss vom 22. Juni 2016, 1&1 Telecom/Kommission (T‑43/16, EU:T:2016:402), zurückgewiesenen Einrede der Unzulässigkeit entstanden sind.

 

Frimodt Nielsen

Forrester

Perillo

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Oktober 2018.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Europäischer Gerichtshof Urteil, 09. Okt. 2018 - T-43/16

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