Europäischer Gerichtshof Urteil, 25. Juli 2018 - C-553/16

ECLI:ECLI:EU:C:2018:604
bei uns veröffentlicht am25.07.2018

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

25. Juli 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Dienstleistungsverkehr – Besteuerung von Unternehmen – Zahlungen, die eine gebietsansässige Gesellschaft an gebietsfremde Gesellschaften für die Vermietung von Kesselwaggons leistet – Verpflichtung, auf Zahlungen an eine ausländische Gesellschaft, die bei dieser Einkünfte inländischen Ursprungs darstellen, eine Quellensteuer einzubehalten – Nichteinhaltung – Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – Verzugszinsen, die von der gebietsansässigen Gesellschaft für die nicht abgeführte Quellensteuer erhoben werden – Fälligkeit der Zinsen ab dem Ablauf der gesetzlichen Zahlungsfrist bis zu dem Tag, an dem der Nachweis für die Anwendbarkeit des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung erbracht wird – Nicht erstattungsfähige Zinsen“

In der Rechtssache C‑553/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven administrativen sad (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Bulgarien) mit Entscheidung vom 24. Oktober 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 2. November 2016, in dem Verfahren

„TTL“ EOOD

gegen

Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ – Sofia,

Beteiligte:

Varhovna administrativna prokuratura,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas (Berichterstatter), der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der „TTL“ EOOD, vertreten durch V. Terzieva, advokat,

des Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ – Sofia, vertreten durch A. Georgiev und S. Atanasova als Bevollmächtigte,

der bulgarischen Regierung, vertreten durch E. Petranova, M. Georgieva und T. Mitova als Bevollmächtigte,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels, R. Lyal und P. Mihaylova als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49, 54 und 63 sowie des Art. 65 Abs. 1 und 3 AEUV und von Art. 5 Abs. 4 und Art. 12 Buchst. b EUV.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen „TTL“ EOOD und dem Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ – Sofia (Direktor der Direktion „Rechtsbehelfe sowie Steuer- und Sozialversicherungspraxis“ in Sofia, Bulgarien) (im Folgenden: beklagte Verwaltung) wegen der Zahlung nicht erstattungsfähiger Verzugszinsen, die von TTL zu entrichten sind, weil sie nicht ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, eine Quellensteuer auf Zahlungen an in einem anderen Mitgliedstaat als der Republik Bulgarien ansässige, nicht mit ihr verbundene Unternehmen einzubehalten, die bei diesen Unternehmen grenzüberschreitende Einkünfte darstellen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 EUV bestimmt:

„Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus.“

4

Art. 12 Buchst. b EUV sieht vor:

„Die nationalen Parlamente tragen aktiv zur guten Arbeitsweise der Union bei, indem sie

b)

dafür sorgen, dass der Grundsatz der Subsidiarität gemäß den in dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vorgesehenen Verfahren beachtet wird“.

Bulgarisches Recht

5

Gemäß Art. 195 Abs. 1 des Zakon za korporativnoto podohodno oblagane (Gesetz über die Körperschaftsteuer, im Folgenden: ZKPO) (DV Nr. 105 vom 22. Dezember 2006) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung unterliegen die von ausländischen juristischen Personen erzielten Einkünfte inländischen Ursprungs, wenn sie nicht durch eine feste Niederlassung in Bulgarien erzielt wurden, einer Quellensteuer, mit deren Entrichtung die Steuerschuld endgültig abgegolten ist. Gemäß Art. 195 Abs. 2 ZKPO wird die Quellensteuer des Abs. 1 von den in Bulgarien ansässigen juristischen Personen einbehalten, die die entsprechenden Zahlungen an die ausländischen juristischen Personen leisten. Art. 200 ZKPO sieht für diese Quellensteuer einen Satz von 10 % vor.

6

Nach Art. 202 Abs. 2 ZKPO haben die Unternehmen, die nach Art. 195 ZKPO in dieser Weise der Quellensteuer unterliegende Zahlungen leisten, die einbehaltenen Steuern binnen drei Monaten ab Beginn des Monats abzuführen, der auf den Monat der Auszahlung der Einkünfte folgt.

7

Der Danachno-osiguritelen protsesualen kodeks (Steuer- und Sozialversicherungsverfahrensordnung) vom 1. Januar 2006 (DV Nr. 105 vom 29. Dezember 2005, im Folgenden: DOPK) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung bestimmt in Art. 18 („Haftung der zur Einbehaltung und Abführung von Steuern oder Sozialabgaben Verpflichteten“):

„(1)   Ein gesetzlich zur Einbehaltung und Abführung von Steuern oder Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung Verpflichteter, der die Steuern oder Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung nicht einbehält und abführt, haftet gesamtschuldnerisch mit dem Schuldner dieser nicht einbehaltenen und abgeführten Abgaben.

(2)   Hat der nach Abs. 1 Verpflichtete die Steuern oder Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung zwar einbehalten, aber nicht abgeführt, wird er zum Schuldner dieser Abgaben, während die Haftung des eigentlichen Abgabenschuldners erlischt.“

8

Art. 175 Abs. 1 und 2 DOPK bestimmt:

„(1)   Auf Verbindlichkeiten gegenüber dem Staat, die innerhalb der gesetzlich festgelegten Fristen nicht beglichen werden, sind Zinsen in der im entsprechenden Gesetz festgelegten Höhe zu entrichten.

(2)   Zinsen sind auch zu entrichten

1.

auf Forderungen der öffentlichen Hand, die nicht ordnungsgemäß erstattet oder berechnet wurden, einschließlich aller Zahlungen, die infolge eines Erstattungsantrags geleistet wurden, der gemäß den Vorschriften des Steuer- und Sozialversicherungsrechts gestellt wurde;

2.

auf Vorschüsse, die nicht binnen der gesetzlich vorgesehenen Frist bis zum 31. Dezember des betreffenden Jahres gezahlt wurden;

3.

auf die Steuer eines Gebietsfremden, von dem Quellensteuer einbehalten wird, ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der nach bulgarischem Recht für deren Entrichtung geltenden Frist bis zu dem Tag, an dem der Gebietsfremde nachweist, dass die Voraussetzungen für die Anwendung eines von der Republik Bulgarien geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens vorliegen, einschließlich der Fälle, in denen gemäß diesem Abkommen keine oder eine niedrigere Steuer geschuldet wird.“

9

Die Art. 135 bis 142 DOPK sehen ein besonderes Verfahren für die Anwendung von Steuerbefreiungen nach einem Doppelbesteuerungsabkommen vor.

10

Nach diesem Verfahren werden die Steuerbefreiungen erst gewährt, wenn nachgewiesen wurde, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt sind.

11

Gemäß Art. 136 DOPK muss der Gebietsfremde hierfür u. a. beweisen, dass er bei Entstehung der Steuerpflicht für die in Bulgarien der Quellensteuer unterliegenden Einkünfte in dem anderen Staat im Sinne des einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens steueransässig war, dass er über Einkünfte bulgarischen Ursprungs verfügte und dass er weder eine feste Niederlassung noch eine Betriebsstätte in Bulgarien hatte, mit der die in Rede stehenden Einkünfte tatsächlich verbunden wären.

12

Gemäß Art. 139 DOPK muss der Gebietsfremde, wenn seine der Quellensteuer unterliegenden Einkünfte mindestens 100000 bulgarische Leva (BGN) (rund 51000 Euro) pro Jahr betragen, nach Maßgabe der Art. 139 bis 141 DOPK gegenüber der Teritorialna direktia na Nationalna agentsia za prihodite (Gebietsdirektion der Nationalen Agentur für Steuereinnahmen), die für den Ort des Sitzes der Gesellschaft, von der er die Zahlungen erhält, zuständig ist, den Nachweis dafür erbringen, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt sind. Nach Art. 139 müssen die Unterlagen, mit denen nachgewiesen wird, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt sind, zusammen mit dem Antrag auf dessen Anwendung übermittelt werden.

13

Nach Art. 142 („Sonderfälle“) DOPK ist, wenn die der Quellensteuer unterliegenden Einkünfte unter 100000 BGN pro Jahr liegen, der Nachweis, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens gegeben sind, gegenüber der Person, zu erbringen, die die entsprechenden Zahlungen geleistet hat. Diese Person bescheinigt sodann, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt sind.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14

TTL, eine in Bulgarien eingetragene und ansässige Gesellschaft, schloss in den Jahren 2007 bis 2010 mit der in den Niederlanden eingetragenen GATX Dutch Holding, der in Österreich eingetragenen VTG Austria GmbH und der in Polen eingetragenen GATX Reil Poland sp. z o.o. (im Folgenden: die drei ausländischen Gesellschaften) Verträge über die Vermietung von Kesselwaggons und leistete an diese Gesellschaften als Gegenleistung für die Vermietung Zahlungen, die bei diesen Gesellschaften Einkünfte darstellten. Diese Gesellschaften waren nicht mit TTL verbunden.

15

Aus den schriftlichen Erklärungen der bulgarischen Regierung geht hervor, dass die Zahlungen, die die Gesellschaften GATX Dutch Holding und GATX Reil Poland im Zeitraum von 2007 bis 2010 aus Bulgarien erhielten, den Betrag von 100000 BGN pro Jahr nicht überstiegen, wohingegen VTG Austria Zahlungen erhielt, die über diesem Betrag lagen.

16

Da diese Zahlungen nach Auffassung von TTL unter die Doppelbesteuerungsabkommen fielen, die Bulgarien mit den jeweils betroffenen Mitgliedstaaten, also dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich und der Republik Polen, geschlossen hatte, behielt sie keine Quellensteuer ein.

17

Die drei ausländischen Gesellschaften beantragten keine Entscheidung über die Anwendbarkeit der Doppelbesteuerungsabkommen, legten TTL aber die Nachweise dafür vor, dass die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Abkommen erfüllt waren. Nachdem diese Nachweise an TTL ein bis vier Jahre nach Leistung der entsprechenden Zahlungen vorgelegt waren, für die polnische Gesellschaft am 21. März 2011, für die österreichische Gesellschaft am 28. März 2011 und für die niederländische Gesellschaft am 24. August 2011, konnte TTL bestätigen, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der für sie jeweils relevanten Doppelbesteuerungsabkommen erfüllt seien.

18

Bei TTL wurde eine mit Entscheidung vom 26. Mai 2011 angeordnete Steuerprüfung durchgeführt, die den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2010 umfasste und das Bestehen etwaiger Schulden im Sinne von Art. 195 ZKPO betraf.

19

Die Teritorialna direktia na Nationalna agentsia za prihodite – Sofia (Gebietsdirektion der Nationalen Agentur für Steuereinnahmen in Sofia, Bulgarien) erließ am 22. Oktober 2013 einen Steuerprüfungsbescheid, der TTL am 30. Oktober 2013 zugestellt wurde.

20

Mit diesem Bescheid wird das Bestehen einer Steuerschuld im Sinne von Art. 195 ZKPO betreffend Körperschaftsteuer für das Steuerjahr 2010 zuzüglich Zinsen festgestellt. Weiter wird in dem Bescheid darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen in Bezug auf die drei ausländischen Gesellschaften erfüllt seien, dass GATX Dutch Holding und VTG Austria in Bulgarien nicht steuerpflichtig seien und dass gemäß Art. 12 des zwischen der Republik Bulgarien und der Republik Polen geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens für die von TTL an GATX Reil Poland geleisteten Zahlungen für die Vermietung von Kesselwaggons in Bulgarien Quellensteuer in Höhe von nur 5 %, also 2231,11 BGN (rund 1140 Euro), hätte einbehalten werden müssen.

21

Außerdem wird in dem Steuerprüfungsbescheid darauf hingewiesen, dass nach Art. 175 Abs. 2 Nr. 3 DOPK für den Zeitraum vom Tag des Ablaufs der gesetzlichen Frist für die Zahlung der Quellensteuer nach Art. 195 ZKPO bis zu dem Tag, an dem die drei ausländischen Gesellschaften nachgewiesen hätten, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der zwischen der Republik Bulgarien und den jeweils betroffenen Mitgliedstaaten geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen vorlägen, Zinsen für die nicht entrichtete Quellensteuer zu zahlen seien.

22

Im Steuerprüfungsbescheid wurde der Gesamtbetrag der zu zahlenden Zinsen auf 71473,42 BGN (rund 36500 Euro) festgesetzt. Obwohl später festgestellt wurde, dass keine Steuerschuld bestand, sind diese Zinsen nicht erstattet worden.

23

TTL erhob gegen den Steuerprüfungsbescheid Klage beim Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia, Bulgarien), die mit Urteil vom 3. Dezember 2014 abgewiesen wurde.

24

TTL legte beim vorlegenden Gericht, dem Varhoven administrativen sad (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Bulgarien) Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein.

25

Das vorlegende Gericht stellt fest, dass nach Art. 175 Abs. 2 Nr. 3 DOPK eine gebietsansässige Gesellschaft, die der Quellensteuer unterliegende Zahlungen leistet, zur Zahlung der Zinsen verpflichtet ist, wenn die in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft, die diese Zahlungen als Einkünfte erhält, nicht nachgewiesen hat, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des zwischen der Republik Bulgarien und dem Mitgliedstaat ihres Gesellschaftssitzes geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt sind, und zwar auch dann, wenn gemäß diesem Abkommen von der gebietsfremden Gesellschaft in Bulgarien keine oder niedrigere Steuern geschuldet werden, als dies nach dem bulgarischen Steuerrecht normalerweise der Fall wäre. Außerdem weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass diese Zinsen für den Zeitraum vom Ablauf der Frist für die Entrichtung der Steuer auf die Einkünfte bis zu dem Tag erhoben werden, an dem die gebietsfremde Gesellschaft, die diese Einkünfte erhält, den Nachweis dafür erbringt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt sind, und dass sie selbst dann nicht erstattet werden, wenn gemäß dem Abkommen die Zahlungen, die Einkünfte bulgarischen Ursprungs darstellen, in Bulgarien von der Quellensteuer befreit wären.

26

Das vorlegende Gericht fragt sich, ob eine solche Bestimmung sowie die sich aus dieser ergebende Steuerpraxis eine mit dem Unionsrecht unvereinbare Beschränkung darstellen, insbesondere im Hinblick auf die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 und 54) und den freien Kapitalverkehr (Art. 63 und 65 Abs. 1 und 3) in der Europäischen Union.

27

Darüber hinaus ist es nach Auffassung des vorlegenden Gerichts mit der Akzessorietät der Zinsschuld unvereinbar, dass die Gesellschaft, die der Quellensteuer unterliegende Zahlungen leistet, verpflichtet ist, Zinsen auf die Steuer zu zahlen, die von der in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft nicht geschuldet wird. In der bulgarischen Rechtsordnung gebe es keine andere Vorschrift, nach der, wenn der gesetzlichen Verpflichtung zum Nachweis des Bestehens eines Rechts nicht nachgekommen werde, von einer anderen Person Zinsen für eine nicht zu entrichtende Steuer erhoben würden.

28

Das vorlegende Gericht fragt sich daher, ob Art. 5 Abs. 4 und Art. 12 Buchst. b EUV sowie der darin verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer nationalen Regelung wie Art. 175 Abs. 2 Nr. 3 DOPK entgegenstehen.

29

Unter diesen Umständen hat der Varhoven administrativen sad (Oberster Verwaltungsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist eine nationale Rechtsvorschrift wie Art. 175 Abs. 2 Nr. 3 DOPK, die einer Quelleneinkünfte auszahlenden gebietsansässigen Gesellschaft die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen für den Zeitraum vom Zeitpunkt des Ablaufs der Frist für die Entrichtung der Steuer auf die Einkünfte bis zu dem Tag, an dem der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gebietsfremde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung eines mit der Republik Bulgarien geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens nachweist, auch in Fällen auferlegt, in denen nach dem Abkommen die Steuer nicht oder in geringerer Höhe zu entrichten ist, mit Art. 5 Abs. 4 und Art. 12 Buchst. b EUV vereinbar?

2.

Sind eine Rechtsvorschrift wie Art. 175 Abs. 2 Nr. 3 DOPK und eine Steuerpraxis, nach denen bei der Quelleneinkünfte auszahlenden Gesellschaft die Zinsen für den Zeitraum vom Zeitpunkt des Ablaufs der Frist für die Entrichtung der Steuer auf die Einkünfte bis zu dem Tag, an dem die in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gebietsfremde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung eines mit der Republik Bulgarien geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens nachweist, auch in Fällen erhoben werden, in denen nach dem Abkommen die Steuer nicht oder in geringerer Höhe zu entrichten ist, mit den Art. 49, 54, 63 und 65 Abs. 1 und 3 AEUV vereinbar?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

30

Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 4 und Art. 12 Buchst. b EUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach eine gebietsansässige Gesellschaft, die an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft Zahlungen leistet, die, soweit in dem zwischen den beiden Mitgliedstaaten geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen nichts anderes bestimmt ist, der Quellensteuer unterliegen, für den Zeitraum zwischen dem Ablauf der Frist für die Entrichtung der Steuer auf diese Einkünfte und dem Tag, an dem die gebietsfremde Gesellschaft nachweist, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt sind, Zinsen zu entrichten hat, und zwar auch dann, wenn nach dem Doppelbesteuerungsabkommen im ersten Mitgliedstaat keine Steuer oder ein niedrigerer Steuerbetrag geschuldet wird als dies nach dem Steuerrecht dieses Mitgliedstaats normalerweise der Fall wäre.

31

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof für die Beantwortung einer Vorlagefrage nicht zuständig, wenn die Vorschrift des Unionsrechts, um deren Auslegung er ersucht wird, offensichtlich nicht anwendbar ist (Urteile vom 20. März 2014, Caixa d’Estalvis i Pensions de Barcelona, C‑139/12, EU:C:2014:174, Rn. 41, und vom 30. Juni 2016, Admiral Casinos & Entertainment, C‑464/15, EU:C:2016:500, Rn. 20).

32

Die unionsrechtlichen Vorschriften, um deren Auslegung im Rahmen der ersten Frage ersucht wird, sind in einer Situation, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, nicht anwendbar.

33

Zum einen bezieht sich Art. 5 Abs. 4 EUV auf Maßnahmen der Unionsorgane. Gemäß dem ersten Unterabsatz dieser Bestimmung gehen die Maßnahmen der Union nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit inhaltlich und formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. Der zweite Unterabsatz dieser Vorschrift betrifft die Organe der Union, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzuwenden haben, wenn sie in Ausübung einer Zuständigkeit tätig werden. Im vorliegenden Fall geht die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung auf die vom bulgarischen Gesetzgeber erlassene Steuerverfahrensordnung (DOPK) zurück und betrifft die verfahrensrechtliche Behandlung der Steuerpflichtigen in Bulgarien.

34

Zum anderen sind die nationalen Parlamente nach Art. 12 Buchst. b EUV, wonach sie unter Beachtung des Grundsatzes der Subsidiarität zur guten Arbeitsweise der Union beitragen, befugt, bei der Ausübung einer Zuständigkeit durch die Unionsorgane für die Beachtung dieses Grundsatzes sowie für eine gute Arbeitsweise der Union zu sorgen. Diese Bestimmung betrifft nicht die nationalen Rechtsvorschriften, sondern die Entwürfe von Gesetzgebungsakten der Union.

35

Folglich ist die erste Frage nach der Auslegung von Art. 5 Abs. 4 und Art. 12 Buchst. b EUV nicht zu beantworten, da diese Bestimmungen keine Anwendung auf einen Sachverhalt wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden finden.

Zur zweiten Frage

Vorbemerkungen

36

TTL, die im Ausgangsverfahren beklagte Verwaltung, die bulgarische Regierung und die Europäische Kommission tragen vor, dass die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr, die in den vom vorlegenden Gericht in seiner zweiten Frage genannten Art. 49, 54, 63 sowie in 65 Abs. 1 und 3 AEUV enthalten sind, in Anbetracht des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens nicht einschlägig und in der vorliegenden Rechtssache nicht anwendbar seien.

37

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung mit der Niederlassungsfreiheit für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden ist, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, eine Zweigniederlassung oder eine Agentur auszuüben (Urteile vom 18. Juni 2009, Aberdeen Property Fininvest Alpha, C‑303/07, EU:C:2009:377, Rn. 37, und vom 21. Mai 2015, Verder LabTec, C‑657/13, EU:C:2015:331, Rn. 32).

38

Wie insbesondere die bulgarische Regierung im Hinblick auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens ausführt, macht TTL nicht von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch, da sie keine Tätigkeit durch eine Tochtergesellschaft, eine Zweigniederlassung oder eine Agentur im Königreich der Niederlande, der Republik Polen oder der Republik Österreich ausübt. Was die drei ausländischen Gesellschaften betrifft, so üben sie in Bulgarien keine Tätigkeit durch eine Tochtergesellschaft, eine Zweigniederlassung oder eine Agentur aus. Darüber hinaus wird in der Vorlageentscheidung darauf hingewiesen, dass die drei ausländischen Gesellschaften nicht mit TTL verbunden sind.

39

Außerdem hat der Gerichtshof in Bezug auf den durch Art. 63 Abs. 1 AEUV gewährleisteten freien Kapitalverkehr entschieden, dass zu den nach dieser Bestimmung verbotenen Beschränkungen des Kapitalverkehrs Maßnahmen gehören, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (Urteile vom 10. Februar 2011, Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, C‑436/08 und C‑437/08, EU:C:2011:61, Rn. 50, sowie vom 17. September 2015, Miljoen u. a., C‑10/14, C‑14/14 und C‑17/14, EU:C:2015:608, Rn. 44).

40

Dergleichen ist in der vorliegenden Rechtssache aber nicht geltend gemacht worden. Das Ausgangsverfahren betrifft die Verpflichtung zur Zahlung einer Quellensteuer und zur Begleichung von Verzugszinsen, die auf diese nicht einbehaltene oder nicht fristgerecht abgeführte Steuer geschuldet wird. Die Steuerschuld entstand infolge von zwischen einer steuerlich in Bulgarien ansässigen Person und ausländischen Personen geschlossenen geschäftlichen Verträgen, aufgrund deren die in Bulgarien ansässige Person Zahlungen an diese ausländischen Personen geleistet hat, die somit Einkünfte erzielt haben.

41

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof jedoch, auch wenn das vorlegende Gericht den Wortlaut seiner Fragen auf die Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts beschränkt hat, dadurch nicht gehindert, diesem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. November 2017, Lounes, C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 28, sowie vom 30. Januar 2018, X und Visser, C‑360/15 und C‑31/16, EU:C:2018:44, Rn. 55).

42

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Angaben in der Vorlageentscheidung, dass es sich bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsatz um die Vermietung von Kesselwaggons handelt. Da die Vermietung von Fahrzeugen eine Dienstleistung im Sinne von Art. 57 AEUV darstellt (Urteile vom 21. März 2002, Cura Anlagen, C‑451/99, EU:C:2002:195, Rn. 19, und vom 4. Dezember 2008, Jobra, C‑330/07, EU:C:2008:685, Rn. 22), hat die Prüfung im Ausgangsverfahren unter dem Aspekt der Dienstleistungsfreiheit zu erfolgen.

43

Es ist daher davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage wissen möchte, ob Art. 56 AEUV, der den freien Dienstleistungsverkehr gewährleistet, dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, in deren Rahmen Zahlungen einer gebietsansässigen Gesellschaft an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft, die bei dieser Einkünfte darstellen, grundsätzlich, sofern in dem zwischen diesen beiden Mitgliedstaaten geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen nichts anderes bestimmt ist, einer Quellensteuer unterliegen, entgegenstehen, wenn nach dieser Regelung die gebietsansässige Gesellschaft, die die Quellensteuer nicht einbehält oder nicht an die Steuerbehörde des ersten Mitgliedstaats abführt, für den Zeitraum zwischen dem Ablauf der Frist für die Entrichtung der Steuer auf die Einkünfte bis zu dem Tag, an dem die gebietsfremde Gesellschaft den Nachweis dafür erbringt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt sind, zur Zahlung nicht erstattungsfähiger Verzugszinsen verpflichtet ist, obwohl nach diesem Abkommen von der gebietsfremden Gesellschaft im ersten Mitgliedstaat keine Steuer oder ein niedrigerer Steuerbetrag geschuldet wird, als dies nach dem Steuerrecht dieses Mitgliedstaats normalerweise der Fall wäre.

Zum Bestehen einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs

44

Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse im Bereich der direkten Steuern unter Wahrung des Unionsrechts und insbesondere der vom AEU-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten ausüben (Urteile vom 23. Februar 2016, Kommission/Ungarn, C‑179/14, EU:C:2016:108, Rn. 171, und vom 2. März 2017, Eschenbrenner, C‑496/15, EU:C:2017:152, Rn. 45).

45

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 56 AEUV der Anwendung jeder nationalen Regelung entgegensteht, die die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von Diensten im Inneren eines Mitgliedstaats erschwert. Art. 56 AEUV verlangt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Aufhebung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die darauf beruhen, dass der Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niedergelassen ist, in dem die Leistung erbracht wird (vgl. u. a. Urteil vom 18. Oktober 2012, X, C‑498/10, EU:C:2012:635, Rn. 20 und 21 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

46

Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs sind solche nationalen Maßnahmen, die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen (Urteile vom 4. Dezember 2008, Jobra, C‑330/07, EU:C:2008:685, Rn. 19, sowie vom 18. Januar 2018, Wind 1014 und Daell, C‑249/15, EU:C:2018:21, Rn. 21).

47

Im vorliegenden Fall unterliegen zum einen nach Art. 195 Abs. 1 ZKPO die von ausländischen juristischen Personen erzielten Einkünfte inländischen Ursprungs, soweit sie nicht über eine feste Niederlassung im bulgarischen Hoheitsgebiet vereinnahmt worden sind, einer Quellensteuer, mit deren Entrichtung die Steuerschuld endgültig abgegolten ist. Zum anderen muss nach Art. 175 Abs. 2 Nr. 3 DOPK eine gebietsansässige Gesellschaft, von der eine gebietsfremde Person Einkünfte bezieht, auf die gesamte, grundsätzlich an der Quelle einzubehaltende Steuer der gebietsfremden Person, wenn sie nicht entrichtet wurde, Verzugszinsen zahlen, und zwar ab dem Ablauf der nach bulgarischem Recht für die Entrichtung dieser Steuer geltenden Frist bis zu dem Tag, an dem die gebietsfremde Person nachweist, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des zwischen der Republik Bulgarien und dem Mitgliedstaat der Niederlassung dieser Person geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt sind, und zwar auch dann, wenn diese Person nach dem Doppelbesteuerungsabkommen in Bulgarien keine Steuer oder einen niedrigeren Steuerbetrag schuldet, als dies nach dem bulgarischen Steuerrecht normalerweise der Fall wäre.

48

Aus der Vorlageentscheidung sowie aus den Erklärungen der bulgarischen Regierung in der mündlichen Verhandlung geht hervor, dass diese Verzugszinsen nur im Fall grenzüberschreitender Umsätze zu zahlen sind und dass sie nicht erstattet werden können.

49

Im bulgarischen Recht wird also bei der Behandlung gebietsansässiger Gesellschaften, die als Gegenleistung für eine Dienstleistung wie, im vorliegenden Fall, die Vermietung von Kesselwaggons Zahlungen leisten, danach unterschieden, ob es sich bei der Gesellschaft, die die Einkünfte vereinnahmt, um eine in Bulgarien oder eine in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Gesellschaft handelt. Ein grenzüberschreitender Sachverhalt, bei dem eine gebietsansässige Gesellschaft vom freien Dienstleistungsverkehr nach Art. 56 AEUV Gebrauch macht, erfährt also eine weniger günstige Behandlung als ein inländischer Sachverhalt.

50

Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist geeignet, gebietsansässige Gesellschaften davon abzuhalten, Vermietungsleistungen von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften in Anspruch zu nehmen, und kann folglich ein Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr darstellen.

51

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine nach Art. 56 AEUV grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt. Daher ist zu prüfen, ob eine solche Beschränkung objektiv gerechtfertigt sein kann.

Zur möglichen Rechtfertigung der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs

52

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nur zulässig, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem AEU-Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, soweit sie in einem solchen Fall geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Urteile vom 18. Dezember 2007, Laval un Partneri, C‑341/05, EU:C:2007:809, Rn. 101, vom 4. Dezember 2008, Jobra, C‑330/07, EU:C:2008:685, Rn. 27, und vom 26 Mai 2016, NN [L] International, C‑48/15, EU:C:2016:356, Rn. 58).

53

In diesem Zusammenhang machen die bulgarische Regierung und die im Ausgangsverfahren beklagte Verwaltung geltend, dass die sich aus Art. 175 Abs. 2 Nr. 3 DOPK ergebende Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs gerechtfertigt sei. Die bulgarische Regierung beruft sich auf die Notwendigkeit, die Beitreibung der Steuer zu gewährleisten, und die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Steuerkontrollen sicherzustellen, was zwingende Gründe des Allgemeininteresses seien, durch die eine Beschränkung der Ausübung der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten gerechtfertigt sein könne (vgl. u. a. Urteile vom 30. Juni 2011, Meilicke u. a., C‑262/09, EU:C:2011:438, Rn. 41, vom 9. Oktober 2014, van Caster, C‑326/12, EU:C:2014:2269, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 26. Mai 2016, NN [L] International, C‑48/15, EU:C:2016:356, Rn. 59).

54

In diesem Zusammenhang haben die bulgarische Regierung und die im Ausgangsverfahren beklagte Verwaltung an die Ziele und Aufgaben der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung erinnert. Nach dem Wortlaut des Art. 202 Abs. 2 ZKPO habe die gebietsansässige Gesellschaft, die nach Art. 195 ZKPO einer Quellensteuer unterliegende Zahlungen leistet, die geschuldete Steuer binnen drei Monaten ab Beginn des Monats abzuführen, der auf den Monat folge, in dem die Zahlung geleistet wurde, sofern es sich beim Empfänger dieser Zahlungen um eine Person handele, die in einem Mitgliedstaat ansässig sei, der mit der Republik Bulgarien ein Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen habe. Nach Ablauf dieser Frist befinde sich die Gesellschaft, die die Zahlung geleistet habe und die Quellensteuer nicht einbehalte und abführe, in Zahlungsverzug. Nach Art. 203 ZKPO hafte diese Gesellschaft dann auch gesamtschuldnerisch für die Zahlung der Quellensteuer. Bis zum Nachweis der Anwendbarkeit des Doppelbesteuerungsabkommens gelte die Steuer nach bulgarischem Recht als geschuldet.

55

Nach Auffassung der im Ausgangsverfahren beklagten Verwaltung hat die gebietsansässige Gesellschaft, wenn sie die geschuldete Steuer nicht fristgerecht abführe, Zinsen im Sinne von Art. 175 Abs. 2 Nr. 3 DOPK zu zahlen. Diese Zinsen seien unabhängig davon zu zahlen, dass die Einkünfte nach dem betreffenden Doppelbesteuerungsabkommen in Bulgarien nicht der Steuer unterlägen. Mit der Zinszahlung werde geahndet, dass der Nachweis für die Anwendbarkeit des Doppelbesteuerungsabkommens, das die Anwendung des bulgarischen Rechts ausschließe, nicht rechtzeitig erbracht worden sei.

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Nach Ansicht der bulgarischen Regierung ermöglicht eine Bestimmung wie Art. 175 Abs. 2 Nr. 3 DOPK die Erreichung des mit dem nationalen Recht verfolgten Ziels, die Steuern fristgerecht von den Steuerpflichtigen einzuziehen, und beeinträchtige dabei nicht die Ziele und Grundsätze des Unionsrechts. Durch diese Vorschrift solle die Steuerbehörde Planungssicherheit bekommen und im Voraus wissen, mit welchen Einnahmen aus der Körperschaftsteuer zu rechnen sei, um so eine wirksame Erhebung der Steuern zu gewährleisten. Außerdem stelle Art. 175 Abs. 2 Nr. 3 DOPK für die Steuerpflichtigen einen Anreiz dar, fristgerecht nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des betreffenden Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt seien, wenn nach diesem Abkommen keine Steuer oder ein niedrigerer Steuerbetrag geschuldet würden, als dies nach dem bulgarischen Steuerrecht normalerweise der Fall wäre.

57

Was die zur Rechtfertigung der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vorgebrachten Gründe anbelangt, hat der Gerichtshof, wie in Rn. 53 des vorliegenden Urteils dargelegt, bereits entschieden, dass die Notwendigkeit, die Beitreibung der Steuer zu gewährleisten und die Wirksamkeit der Steuerkontrollen sicherzustellen, zwingende Gründe des Allgemeininteresses sein können, die geeignet sind, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu rechtfertigen. Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass die Verhängung von Sanktionen einschließlich solcher strafrechtlicher Art als erforderlich anzusehen sein kann, um die wirksame Einhaltung einer nationalen Regelung zu gewährleisten, allerdings unter der Voraussetzung, dass Art und Höhe der verhängten Sanktion gemessen an der Schwere der mit ihr geahndeten Zuwiderhandlung in jedem Einzelfall verhältnismäßig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Mai 2016, NN [L] International, C‑48/15, EU:C:2016:356, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Im vorliegenden Fall scheint die Notwendigkeit, bei grenzüberschreitenden Sachverhalten wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Beitreibung der Quellensteuer zu gewährleisten und die Wirksamkeit der Steuerkontrollen sicherzustellen, es zu rechtfertigen, dass gegen die Gesellschaften, die Steuern nicht fristgerecht abführen und die Belege dafür, dass sie sich auf eine Befreiung von der Pflicht zur Zahlung der Quellensteuer berufen können, verspätet vorlegen, Sanktionen verhängt werden.

59

Eine nationale Regelung, die eine Sanktion in Form von nicht erstattungsfähigen Zinsen vorsieht, die anhand des Betrags der nach dem nationalen Recht geschuldeten Quellensteuer berechnet werden und für den Zeitraum ab Eintritt der Fälligkeit bis zu dem Tag anfallen, an dem den Steuerbehörden die Belege dafür vorgelegt werden, dass das Doppelbesteuerungsabkommen Anwendung findet, ist nicht geeignet, die Erreichung der in der vorstehenden Randnummer genannten Ziele in dem Fall zu gewährleisten, in dem feststeht, dass die Steuer nach dem betreffenden Abkommen nicht geschuldet wird. In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden besteht kein Zusammenhang zwischen dem Betrag der verlangten Zinsen auf der einen Seite, und dem Betrag der geschuldeten Steuer, den es nicht gibt, oder dem Ausmaß der Verspätung, mit der die Belege den Steuerbehörden vorgelegt werden, auf der anderen Seite.

60

Außerdem geht eine solche Sanktion über das hinaus, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist, da sich die Höhe der anfallenden Zinsen im Verhältnis zum geschuldeten Steuerbetrag als übermäßig erweisen könnte und keine Möglichkeit einer Erstattung der Zinsen besteht.

61

Wie die Kommission ausgeführt hat, wäre der Betrag der für die rückständige Entrichtung der Steuer verlangten Zinsen nämlich unabhängig davon derselbe, ob die Steuer letztlich nicht fällig ist oder ob die Quellensteuer fällig ist, aber nicht rechtzeitig abgeführt wurde. In der letztgenannten Fallgestaltung, die sich von der im Ausgangsverfahren unterscheidet, entgehen der bulgarischen Staatskasse in der Zeit, in der die Steuer nicht abgeführt wird, Einnahmen. Dagegen wird im Ausgangsverfahren lediglich die verspätete Vorlage von Nachweisen sanktioniert.

62

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es andere Möglichkeiten gibt, um dieselben Ziele zu erreichen. So könnte die Rückzahlung der wegen des Zahlungsverzugs entrichteten Zinsen an die gebietsansässige Gesellschaft in dem Fall vorgesehen werden, dass die Steuerschuld neu berechnet und dabei festgestellt wird, dass in Bulgarien im Rahmen der an die gebietsfremde Gesellschaft geleisteten Zahlungen keine Steuer anfällt.

63

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, in deren Rahmen Zahlungen einer gebietsansässigen Gesellschaft an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft, die bei dieser Einkünfte darstellen, grundsätzlich, sofern in dem zwischen diesen beiden Mitgliedstaaten geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen nichts anderes bestimmt ist, einer Quellensteuer unterliegen, entgegenstehen, wenn nach dieser Regelung die gebietsansässige Gesellschaft, die die Quellensteuer nicht einbehält oder nicht an die Steuerbehörde des ersten Mitgliedstaats abführt, für den Zeitraum zwischen dem Ablauf der Frist für die Entrichtung der Steuer auf die Einkünfte bis zu dem Tag, an dem die gebietsfremde Gesellschaft den Nachweis dafür erbringt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt sind, zur Zahlung nicht erstattungsfähiger Verzugszinsen verpflichtet ist, obwohl nach diesem Abkommen von der gebietsfremden Gesellschaft im ersten Mitgliedstaat keine Steuer oder ein niedrigerer Steuerbetrag geschuldet wird, als dies nach dem Steuerrecht dieses Mitgliedstaats normalerweise der Fall wäre.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, in deren Rahmen die Zahlungen einer gebietsansässigen Gesellschaft an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft, die bei dieser Einkünfte darstellen, grundsätzlich, sofern in dem zwischen diesen beiden Mitgliedstaaten geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen nichts anderes bestimmt ist, einer Quellensteuer unterliegen, entgegenstehen, wenn nach dieser Regelung die gebietsansässige Gesellschaft, die die Quellensteuer nicht einbehält oder nicht an die Steuerbehörde des ersten Mitgliedstaats abführt, für den Zeitraum zwischen dem Ablauf der Frist für die Entrichtung der Steuer auf die Einkünfte bis zu dem Tag, an dem die gebietsfremde Gesellschaft den Nachweis dafür erbringt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens erfüllt sind, zur Zahlung nicht erstattungsfähiger Verzugszinsen verpflichtet ist, obwohl nach diesem Abkommen von der gebietsfremden Gesellschaft im ersten Mitgliedstaat keine Steuer oder ein niedrigerer Steuerbetrag geschuldet wird, als dies nach dem Steuerrecht dieses Mitgliedstaats normalerweise der Fall wäre.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Bulgarisch.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Europäischer Gerichtshof Urteil, 25. Juli 2018 - C-553/16

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