Bundesverwaltungsgericht Urteil, 12. Dez. 2013 - 3 C 17/13

bei uns veröffentlicht am12.12.2013

Tatbestand

1

Der aus Polen stammende Kläger ist niedergelassener Tierarzt mit langjährigem Praxissitz in L. (Kreis S.). Im Juli 2007 beantragte er bei der beklagten Tierärztekammer die Zustimmung zur Errichtung einer Zweitpraxis in I., die er seit August 2007 betreibt. Die Beklagte versagte mit Bescheid vom 28. August 2007 die Zustimmung. Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers unterliege erheblichen Bedenken, so dass eine ordnungsgemäße tierärztliche Versorgung nicht gewährleistet erscheine. In den vergangenen neun Jahren sei er seiner Verpflichtung zur Zahlung von Kammer- und Ausbildungsbeiträgen nur schleppend und teilweise erst nach Einleitung von Zwangsmaßnahmen nachgekommen.

2

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 12. März 2008 zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend an, dass der Kläger beim berufsständischen Versorgungswerk der Kammer Beitragsschulden in Höhe von über 90 000 € habe.

3

Im Klageverfahren hat der Kläger geltend gemacht, dass sich aus dem nordrhein-westfälischen Heilberufsgesetz (HeilBerG) in Verbindung mit der Berufsordnung (BO) der Beklagten ein Anspruch auf Erteilung der Zustimmung ergebe. Die Ausübung der tierärztlichen Tätigkeit sei grundsätzlich an die Niederlassung in einer Praxis gebunden. § 29 HeilBerG erlaube Ausnahmen, wenn berufsrechtliche Belange nicht beeinträchtigt würden. Die Beklagte habe zwar in ihrer Berufsordnung nicht näher geregelt, unter welchen Voraussetzungen die Zustimmung für eine Zweitpraxis zu erteilen sei. Im Lichte des Grundrechts auf freie Berufsausübung sei für eine Versagung jedoch kein Raum, wenn wie hier für beide Praxen ein ordnungsgemäßer Betrieb gesichert erscheine. Die Zweifel der Beklagten an seiner finanziellen Leistungsfähigkeit seien nicht nachvollziehbar. Seit 2005 komme er den Beitragszahlungen an das Versorgungswerk regelmäßig nach, und er habe auch bereits begonnen, die Rückstände zu begleichen. Abgesehen davon dürfe seine finanzielle Situation für die Entscheidung kein Kriterium sein. Die Gründung der Erstpraxis sei lediglich anzeigepflichtig und verlange keine Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen, obwohl die finanzielle Belastung durch teure Erstanschaffungen erheblich sei. Es sei deshalb unverständlich, wenn die Beklagte diesen Aspekt bei der Gründung einer Zweitpraxis, die mit einer wesentlich geringeren Kostenbelastung einhergehe, derart in den Vordergrund stelle. Im Übrigen sei seine Zweitpraxis bereits komplett ausgestattet, so dass keine größeren Investitionen mehr anfielen.

4

Die Beklagte hat vorgetragen, dass zu einer ordnungsgemäßen tierärztlichen Versorgung auch die finanzielle Zuverlässigkeit des Tierarztes gehöre. Unzureichende Mittel könnten zu Mängeln bei der personellen und sachlichen Praxisausstattung führen. Die Beitragsrückstände des Klägers seien beständig angewachsen. Zudem sei ihr bekannt geworden, dass er auch mit der Zahlung von Sozialversicherungsabgaben für seine Angestellten säumig geworden sei.

5

Die Klage auf Verpflichtung der Beklagten, die begehrte Zustimmung zu erteilen, ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Die in § 29 HeilBerG, § 11 BO vorgesehene grundsätzliche Bindung der Tätigkeit des niedergelassenen (Tier-)Arztes an eine Praxis und das an berufsrechtlichen Belangen orientierte Zustimmungserfordernis für die Errichtung einer Zweitpraxis unterlägen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es handele sich um eine zulässige Beschränkung der Berufsausübung, die der Qualitätssicherung der tierärztlichen Versorgung diene. Wegen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses sei nicht zu beanstanden, dass die Zulassung einer zweiten Praxis von weitergehenden Anforderungen abhängig gemacht werde als die Gründung der Erstpraxis. Was unter dem Begriff der berufsrechtlichen Belange zu verstehen sei, werde zwar weder in der Berufsordnung noch in § 29 HeilBerG ausdrücklich definiert. Aus der Gesamtschau der einschlägigen Bestimmungen lasse sich jedoch ableiten, dass zu den relevanten Belangen auch die regelmäßige und fristgemäße Abführung von Sozialabgaben einschließlich der Beiträge für die eigene Altersversorgung gehöre. Unter Berücksichtigung der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit habe die Beklagte die Zustimmung zur Errichtung einer tierärztlichen Zweitpraxis zu erteilen, wenn die tierärztliche Versorgung in beiden Praxen personell und sachlich gewährleistet sei und auch sonst keine konkreten Anhaltspunkte für eine berufsrechtswidrige Berufsausübung vorlägen. Der Kläger scheine zwar die Sozialabgaben für seine Angestellten nunmehr fristgerecht zu entrichten. Anders verhalte es sich aber mit den Zahlungen für die eigene Altersversorgung. Es bestehe nach wie vor ein erheblicher Beitragsrückstand beim Versorgungswerk der Beklagten (Stand Ende Mai 2012: über 101 000 €). Der Kläger sei nicht berechtigt, die auf der Grundlage von § 6a HeilBerG erhobenen Beitragszahlungen zu verweigern.

6

Mit der vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Verpflichtungsbegehren weiter und beantragt hilfsweise die Feststellung, zur Errichtung der Zweitpraxis keiner Zustimmung zu bedürfen. Für das Zustimmungserfordernis nach § 11 BO fehle eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Der Landesgesetzgeber müsse die wesentlichen, grundrechtserheblichen Regelungen selbst treffen und dürfe sie nicht der Satzungsgewalt der Beklagten überlassen. Diesen Anforderungen werde das Heilberufsgesetz nicht gerecht, weil sich aus § 29 und § 32 HeilBerG nicht entnehmen lasse, welche berufsrechtlichen Belange der Errichtung einer (tier-)ärztlichen Zweitpraxis entgegenstünden. Es gebe auch keinen allgemeinen Konsens unter den Tierärztekammern, dass eine Zweitpraxis nur ausnahmsweise und nur mit Zustimmung der Kammer zu erlauben sei. Das zeige § 11 Abs. 5 der Musterberufsordnung der Bundestierärztekammer, wonach Tierärzte neben dem Ort ihrer Niederlassung (Praxissitz) an weiteren Standorten eine Praxis betreiben könnten (Zweitpraxis) und das lediglich anzuzeigen hätten. Umso eher bedürfe es einer gesetzlichen Festlegung der Voraussetzungen für die Errichtung einer Zweitpraxis.

7

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass der Kläger zur Errichtung einer Zweitpraxis der Zustimmung der Beklagten bedarf und dass die Voraussetzungen für deren Erteilung nicht vorliegen. Danach bleibt auch der erstmals in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ohne Erfolg.

9

1. Der Senat ist an die berufungsgerichtliche Auslegung und Anwendung des irrevisiblen Landesrechts gebunden (§ 137 Abs. 1, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Für die revisionsgerichtliche Beurteilung ist daher von Folgendem auszugehen: Rechtsgrundlage für das streitige Zustimmungserfordernis sind § 11 der Berufsordnung der Beklagten vom 14. November 2007 (BO) und dessen Ermächtigungsgrundlage in § 31 und § 32 Satz 2 Nr. 2 des Heilberufsgesetzes (HeilBerG) vom 9. Mai 2000 (GV. NRW. S. 403, zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. April 2013, GV. NRW. S. 202). Nach § 11 Abs. 3 Halbs. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BO ist die Niederlassung in eigener Praxis an einen Ort gebunden und der Tierärztekammer anzuzeigen (§ 11 Abs. 2 BO). Die Errichtung einer Zweitpraxis bedarf der Zustimmung der zuständigen Tierärztekammer (§ 11 Abs. 3 Halbs. 2 BO). Nach dem Regelungsverständnis der Vorinstanzen setzt die Erteilung der Zustimmung voraus, dass berufsrechtliche Belange nicht beeinträchtigt werden (§ 11 Abs. 1 Satz 2 BO). § 31 HeilBerG ermächtigt die Kammern, das Nähere zu den Berufspflichten der Kammerangehörigen in der (genehmigungsbedürftigen) Berufsordnung zu regeln. Die Berufsordnung kann im Rahmen des § 29 HeilBerG weitere Vorschriften über Berufspflichten enthalten, insbesondere hinsichtlich der Ausübung des Berufs in eigener Praxis (§ 32 Satz 2 Nr. 2 HeilBerG). Nach § 29 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 HeilBerG ist die Ausübung tierärztlicher Tätigkeit grundsätzlich an die Niederlassung in einer Praxis gebunden. Die Kammern können in besonderen Einzelfällen Ausnahmen zulassen, wenn sichergestellt ist, dass berufsrechtliche Belange nicht beeinträchtigt werden (§ 29 Abs. 2 Satz 5 HeilBerG). Gemäß § 29 Abs. 1 HeilBerG sind die Kammerangehörigen u.a. verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben. Nach dem Verständnis des Oberverwaltungsgerichts sind unter dem Begriff der berufsrechtlichen Belange die Berufspflichten des Tierarztes zu verstehen, wie sie sich aus den Bestimmungen des Heilberufsgesetzes und der Berufsordnung ergeben. Dazu zählt auch die regelmäßige und fristgerechte Abführung von Sozial(versicherungs)abgaben, einschließlich der Beiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung nach § 6a HeilBerG.

10

2. Der Zustimmungsvorbehalt nach § 11 Abs. 3 BO in der vom Berufungsgericht vorgenommenen Auslegung steht mit Art. 12 Abs. 1 GG in Einklang.

11

Es bedarf keiner Klärung, ob der Kläger die deutsche oder die polnische Staatsangehörigkeit besitzt und ob er sich als Pole unmittelbar auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen kann. Als EU-Ausländer hätte er jedenfalls Anspruch auf eine entsprechende Grundrechtsgewährleistung (vgl. Art. 6 und Art. 9 EUV i.V.m. Art. 15 EU-Grundrechte-Charta; BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. August 2007 - 1 BvR 2157/07 - juris Rn. 21).

12

Der mit dem Zustimmungserfordernis verbundene Eingriff in das Grundrecht auf freie Berufsausübung ist nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung erlaubt, die den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt. Die Regelung muss geeignet und erforderlich sein, um hinreichend wichtige Gemeinwohlbelange zu sichern, und sie darf zu dem angestrebten Zweck, eine ordnungsgemäße Berufsausübung zu gewährleisten, nicht außer Verhältnis stehen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1996 - 1 BvR 744/88 u.a. - BVerfGE 94, 372 <389 f.> m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 30. September 2005 - BVerwG 6 B 51.05 - juris Rn. 9 m.w.N.).

13

a) § 11 Abs. 3 BO findet in den vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Vorschriften des nordrhein-westfälischen Heilberufsgesetzes eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage.

14

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Berufsregelungen, die die Freiheit der Berufswahl berühren, vom Gesetzgeber selbst zu treffen. Lediglich Rand- oder Einzelfragen fachlich-technischer Art dürfen in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen auch durch Satzungsrecht eines öffentlich-rechtlichen Berufsverbandes geregelt werden. Bei Bestimmungen, die in die Freiheit der Berufsausübung eingreifen, bestehen grundsätzlich keine Bedenken, die Berufsverbände zur Normsetzung zu ermächtigen. Allerdings muss das zulässige Ausmaß der Grundrechtsbeschränkung in der gesetzlichen Ermächtigung umso deutlicher vorgegeben werden, je empfindlicher die Berufsangehörigen in ihrer freien beruflichen Betätigung beeinträchtigt werden und je stärker die Interessen der Allgemeinheit an der Art und Weise der Tätigkeit berührt werden (vgl. z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 1999 - 1 BvR 1327/98 - BVerfGE 101, 312 <322 f.>, vom 22. Mai 1996 a.a.O. S. 390, vom 14. Juli 1987 - 1 BvR 537/81 u.a. - BVerfGE 76, 171 <185> - und vom 9. Mai 1972 - 1 BvR 518/62 u.a. - BVerfGE 33, 125 <155 ff.>; BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1972 - BVerwG 1 C 30.69 - BVerwGE 41, 261 <262 f.>). Soweit es sich um Regelungen handelt, die die Ausübung des Berufs wesentlich prägen, müssen sie zumindest in den Grundzügen durch formelles Gesetz festgelegt werden (vgl. für die "statusbildenden" Normen BVerfG, Beschluss vom 9. Mai 1972 a.a.O. S. 160 ; Beschluss vom 13. Mai 1981 - 1 BvR 610/77 u.a. - BVerfGE 57, 121 ; BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1972 a.a.O. S. 263 ).

15

Die Regelung der Beklagten über das Zustimmungserfordernis bei Errichtung einer tierärztlichen Zweitpraxis genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das gilt unabhängig davon, ob die Eingriffsintensität mit derjenigen der so genannten "statusbildenden" Normen zu vergleichen ist; denn der Landesgesetzgeber hat den Rahmen für die Ausübung der tierärztlichen Tätigkeit in eigener Praxis und die dabei geltenden Berufspflichten mindestens in den Grundzügen selbst vorgegeben, indem er - ausgehend von der bindenden Normauslegung durch das Berufungsgericht - die allgemeinen tier-/ärztlichen Berufspflichten in § 29 Abs. 1 HeilBerG umschreibt und die Niederlassungspflicht sowie die Voraussetzungen der Ausnahmen davon in § 29 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und Satz 5 HeilBerG regelt. Die Satzungsgewalt der Beklagten wird dadurch hinreichend gesteuert und gebunden. Unschädlich ist, dass der Gesetzgeber in § 29 Abs. 2 Satz 5 und § 32 Satz 2 Nr. 2 HeilBerG auf allgemein formulierte Regeln oder Generalklauseln zurückgreift; denn das für die Bestimmung der beruflichen Pflichten maßgebliche Leitbild wird in § 29 Abs. 1 HeilBerG hinreichend deutlich umrissen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22. Mai 1996 a.a.O. S. 394 und vom 9. Mai 1972 a.a.O. S. 164).

16

bb) Dass ein niedergelassener Tierarzt grundsätzlich nur eine Praxis führen darf, stellt in Verbindung mit der Möglichkeit von Ausnahmen eine zulässige Berufsausübungsregelung dar. Sie ist durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig. Die berufliche Tätigkeit des niedergelassenen Tier-/Arztes ist typischerweise von einem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem hilfesuchenden Publikum geprägt (vgl. § 29 Abs. 1 HeilBerG; BGH, Urteil vom 25. November 1993 - I ZR 281/91 - BGHZ 124, 224 <227>). Die Konzentration der Berufsausübung auf eine Praxis trägt dem Rechnung. Sie gewährleistet eine weitgehende Präsenz mit Sprechstunden an einem Ort und stellt so im Interesse der Patienten/Tierhalter sicher, dass der Tier-/Arzt zu den üblichen Zeiten regelmäßig erreichbar ist (VGH Mannheim, Urteil vom 16. Mai 2000 - 9 S 1445/99 - DVBl 2000, 1775 <1776>; BSG, Urteil vom 12. September 2001 - B 6 KA 64/00 R - NZS 2002, 443 <445>).

17

Dem steht nicht entgegen, dass ein Apotheker neben der Hauptapotheke bis zu drei Filialapotheken betreiben darf (§ 1 Abs. 2, § 2 Abs. 4 ApoG). Die tier-/ärztliche Berufsausübung ist keine gewerbliche Tätigkeit (vgl. § 29 Abs. 2 Satz 3 HeilBerG) und unterscheidet sich insoweit von der Tätigkeit des Apothekers (BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1996 a.a.O. S. 391, 393 ; siehe ferner BSG, Urteil vom 12. September 2001 a.a.O. S. 445 a.E.). Anderes ergibt sich auch nicht aus der von dem Kläger zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach der Betreiber eines Hörgeräteakustik-Unternehmens nicht gegen das Gebot der Meisterpräsenz verstößt, wenn sein Hörgeräteakustiker-Meister wegen der Betreuung eines zweiten Betriebs nur halbtags im Geschäft anwesend ist (BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 - I ZR 222/11 - MDR 2013, 1110). Damit ist der Streitfall des Klägers weder nach den tatsächlichen Gegebenheiten (vgl. insbesondere a.a.O. Rn. 17) noch in seiner rechtlichen Einordnung vergleichbar.

18

Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich auch nicht im Hinblick auf die Angemessenheit der gesetzlichen Regelung. Das Oberverwaltungsgericht hat darauf hingewiesen, dass § 29 Abs. 2 HeilBerG Ausnahmen zulässt und die Errichtung einer tierärztlichen Zweitpraxis erlaubt, wenn berufsrechtliche Belange nicht beeinträchtigt werden. Das genügt den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, weil die Umstände des Einzelfalls angemessen berücksichtigt werden können. Die Einzelfallprüfung versetzt die zuständige Kammer in die Lage, das Verbot einer Zweitpraxis auf Fälle zu beschränken, in denen dies im Interesse einer ordnungsgemäßen Berufsausübung tatsächlich erforderlich ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. August 2005 - 1 BvR 276/05 - juris Rn. 20).

19

b) Der somit im Rahmen einer verfassungsmäßigen Ermächtigungsgrundlage erlassene § 11 Abs. 3 BO genügt auch materiell den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG an eine Berufungsausübungsregelung.

20

Das Zustimmungserfordernis für die Errichtung einer Zweitpraxis ist ein verhältnismäßiges Mittel zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Berufsausübung. Die Beklagte ist nicht gehalten, sich auf eine Anzeigepflicht zu beschränken. Innerhalb der Vorgaben des Heilberufsgesetzes unterliegt es dem normativen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum der Beklagten (der satzungsgebenden Kammerversammlung), wie sie die ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben (vgl. § 6 HeilBerG) erfüllt und von der übertragenen Regelungsbefugnis - hier nach § 32 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. § 29, § 31 HeilBerG - Gebrauch macht. Die Grenze dieses Spielraums ist (erst) erreicht, wenn die Einschätzungen der Beklagten offensichtlich fehlsam oder mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Ein Gleichklang mit der anzeigepflichtigen Gründung der Erstpraxis ist nicht geboten, wie das Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis zutreffend ausgeführt hat. Ebenso wenig lässt sich erkennen, dass der Zustimmungsvorbehalt für die davon betroffenen Tierärzte unzumutbar wäre.

21

Demzufolge kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass nach den Berufsordnungen anderer (Tier-)Ärztekammern die Errichtung einer zweiten Praxis lediglich anzeigepflichtig ist. Dasselbe gilt mit Blick auf die von ihm in Bezug genommene - ohnehin keine Rechtswirksamkeit beanspruchende - Bestimmung des § 11 Abs. 5 der Musterberufsordnung der Bundestierärztekammer. Die Beklagte durfte ohne Weiteres zu der Einschätzung gelangen, dass sich das Ziel, berufsrechtswidrige Zustände zu verhindern, mit dem Mittel des Zustimmungsvorbehalts effektiver verwirklichen lässt als mit dem Mittel einer Anzeigepflicht (vgl. schon BSG, Urteil vom 20. Februar 1968 - 6 RKa 3/66 - BSGE 28, 5 <6 f.>). Bedenken ergeben sich auch nicht in Ansehung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Anspruch auf Gleichbehandlung kann stets nur gegen den jeweiligen Normgeber gerichtet sein und den Vergleich mit den übrigen Normunterworfenen betreffen (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Dezember 2004 - 1 BvR 113/03 - NVwZ-RR 2005, 297 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 6. Dezember 2006 - BVerwG 10 B 62.06 - Buchholz 445.1 Allgemeines Wasserrecht Nr. 12 Rn. 7).

22

3. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Anwendung des § 11 Abs. 3, Abs. 1 Satz 2 BO die regelmäßige und fristgerechte Entrichtung der Beiträge zur berufsständischen Pflichtversorgung als berücksichtigungsfähigen Belang eingestuft hat.

23

Die Errichtung des Versorgungswerks und die Beitragserhebung finden ihre Rechtsgrundlage in § 6a HeilBerG. Danach müssen die Heilberufskammern Versorgungseinrichtungen für die Kammerangehörigen (und ihre Familienmitglieder) schaffen (Abs. 1 Satz 1). Sie können die Kammerangehörigen verpflichten, Mitglieder der Versorgungseinrichtung zu werden (Abs. 1 Satz 2). Die Versorgungseinrichtung erhebt von ihren Mitgliedern die zur Erbringung der Versorgungsleistungen notwendigen Beiträge (Abs. 5). Das Nähere hat die Beklagte durch Satzung geregelt und darin eine Pflichtmitgliedschaft grundsätzlich aller Kammerangehörigen bestimmt. Dagegen ist aus Sicht des Bundesrechts nichts zu erinnern (stRspr, z.B. Beschlüsse vom 20. August 2007 - BVerwG 6 B 40.07 - juris Rn. 8 f. und vom 12. Mai 1982 - BVerwG 5 B 65.81 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 10; BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. April 1989 - 1 BvR 685/88 - NJW 1990, 1653 m.w.N.). Die Pflichtversorgung bezweckt die wirtschaftliche Absicherung der Kammerangehörigen und dient damit der Erhaltung eines leistungsfähigen Berufsstandes. Die finanzielle Stabilität des Versorgungsträgers ist daher ein wichtiger Gemeinwohlbelang (Beschluss vom 20. August 2007 a.a.O. Rn. 9). Demzufolge liegt es im besonderen Interesse des Versorgungsträgers, dass die Mitgliedsbeiträge ordnungsgemäß entrichtet werden; denn sie bilden den Kapitalstock des Vermögens der Versorgungseinrichtung, das zur Deckung der zu erbringenden Versorgungsleistungen dient. Hiernach unterliegt es keinen Zweifeln, dass die regelmäßige und fristgerechte Erfüllung der Beitragspflichten gegenüber dem Versorgungswerk zu den Berufspflichten eines Tierarztes zählt. Das wird bestätigt durch einen Vergleich mit den Anforderungen an die berufliche Betätigung von Gewerbetreibenden. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die ordnungsgemäße Ausübung eines Gewerbes (auch) verlangt, öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen, die mit der Betriebsführung in Zusammenhang stehen, regelmäßig und pünktlich nachzukommen (vgl. Urteil vom 2. Februar 1982 - BVerwG 1 C 146.80 - BVerwGE 65, 1 § 35 gewo>). Es liegt auf der Hand, dass für die Berufsausübung von Angehörigen der freien Berufe nichts anderes gelten kann.

24

Damit ist nicht gesagt, dass jede Nichteinhaltung der Berufspflicht geeignet ist, das Verbot einer Zweitpraxis zu rechtfertigen. Das Verhältnismäßigkeitsgebot verlangt, dass es sich um einen erheblichen Verstoß handelt. Die Nichterfüllung der Beitragspflichten gegenüber dem Versorgungswerk muss zeitlich und der Höhe nach von Gewicht sein.

25

Missverständlich ist die Formulierung in dem angegriffenen Urteil, dass die Zustimmung zur Errichtung einer tierärztlichen Zweitpraxis "im Wege der Ermessensentscheidung" zu erteilen ist (S. 6 des Urteilsabdrucks). Der Senat weist zur Klarstellung darauf hin, dass die Zustimmung im Lichte der Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwingend zu erteilen ist, wenn die Zweitpraxis keine berufsrechtlichen Belange beeinträchtigt. Auf der Rechtsfolgenseite bleibt insoweit kein Raum für die Ausübung von Ermessen.

26

4. Danach haben die Vorinstanzen zu Recht angenommen, dass die Beklagte dem Kläger die begehrte Zustimmung versagen durfte, weil berufsrechtliche Belange entgegenstehen. Nach den Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) ist der Kläger seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Versorgungswerk in der Vergangenheit in erheblichem Umfang nicht nachgekommen. Es besteht ein beträchtlicher Beitragsrückstand in Höhe von mehr als 100 000 €. Die Inbetriebnahme der Zweitpraxis im August 2007 hat nicht dazu geführt, dass der Kläger die bis dahin aufgelaufenen Verbindlichkeiten nachhaltig abgebaut hat. Im Gegenteil leistete er auch in der Folge über einen langen Zeitraum keine Beiträge für seine Pflichtversorgung. Diese Umstände lassen auf eine unzureichende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft des Klägers schließen und rechtfertigen die Annahme, dass eine ordnungsgemäße Berufsausübung (weiterhin) nicht gewährleistet ist. Hinzu kommt, dass der Kläger in der Vergangenheit wiederholt die Sozialabgaben für seine Praxisangestellten nicht regelmäßig und fristgerecht abgeführt hat. Auch dies begründet Zweifel an einer gewissenhaften Berufsausübung.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesverwaltungsgericht Urteil, 12. Dez. 2013 - 3 C 17/13

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesverwaltungsgericht Urteil, 12. Dez. 2013 - 3 C 17/13

Referenzen - Gesetze

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 12. Dez. 2013 - 3 C 17/13 zitiert 9 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 12


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 137


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung1.von Bundesrecht oder2.einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 173


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Gewerbeordnung - GewO | § 35 Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit


(1) Die Ausübung eines Gewerbes ist von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in bez

Zivilprozessordnung - ZPO | § 560 Nicht revisible Gesetze


Die Entscheidung des Berufungsgerichts über das Bestehen und den Inhalt von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, ist für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgebend.

Apothekengesetz - ApoG | § 2


(1) Die Erlaubnis ist auf Antrag zu erteilen, wenn der Antragsteller 1. (weggefallen)2. voll geschäftsfähig ist;3. die deutsche Approbation als Apotheker besitzt;4. die für den Betrieb einer Apotheke erforderliche Zuverlässigkeit besitzt; dies ist ni

Apothekengesetz - ApoG | § 1


(1) Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Arzneimittel im Sinne dieses Gesetzes sind Arzneimittel, die zur Anwendung beim Menschen bestimmt sind

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 12. Dez. 2013 - 3 C 17/13 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 12. Dez. 2013 - 3 C 17/13 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2013 - I ZR 222/11

bei uns veröffentlicht am 17.07.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL I ZR 222/11 Verkündet am: 17. Juli 2013 Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Referenzen

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts über das Bestehen und den Inhalt von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, ist für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgebend.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Arzneimittel im Sinne dieses Gesetzes sind Arzneimittel, die zur Anwendung beim Menschen bestimmt sind, und Tierarzneimittel.

(2) Wer eine Apotheke und bis zu drei Filialapotheken betreiben will, bedarf der Erlaubnis der zuständigen Behörde.

(3) Die Erlaubnis gilt nur für den Apotheker, dem sie erteilt ist, und für die in der Erlaubnisurkunde bezeichneten Räume.

(1) Die Erlaubnis ist auf Antrag zu erteilen, wenn der Antragsteller

1.
(weggefallen)
2.
voll geschäftsfähig ist;
3.
die deutsche Approbation als Apotheker besitzt;
4.
die für den Betrieb einer Apotheke erforderliche Zuverlässigkeit besitzt; dies ist nicht der Fall, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Antragstellers in bezug auf das Betreiben einer Apotheke dartun, insbesondere wenn strafrechtliche oder schwere sittliche Verfehlungen vorliegen, die ihn für die Leitung einer Apotheke ungeeignet erscheinen lassen, oder wenn er sich durch gröbliche oder beharrliche Zuwiderhandlung gegen dieses Gesetz, die auf Grund dieses Gesetzes erlassene Apothekenbetriebsordnung oder die für die Herstellung von Arzneimitteln und den Verkehr mit diesen erlassenen Rechtsvorschriften als unzuverlässig erwiesen hat;
4a.
5.
die eidesstattliche Versicherung abgibt, daß er keine Vereinbarungen getroffen hat, die gegen § 8 Satz 2, § 9 Abs. 1, § 10 oder § 11 verstoßen, und den Kauf- oder Pachtvertrag über die Apotheke sowie auf Verlangen der zuständigen Behörde auch andere Verträge, die mit der Einrichtung und dem Betrieb der Apotheke in Zusammenhang stehen, vorlegt;
6.
nachweist, daß er im Falle der Erteilung der Erlaubnis über die nach der Apothekenbetriebsordnung (§ 21) vorgeschriebenen Räume verfügen wird;
7.
nicht in gesundheitlicher Hinsicht ungeeignet ist, eine Apotheke ordnungsgemäß zu leiten;
8.
mitteilt, ob und gegebenenfalls an welchem Ort er in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in einem Vertragsstaat, dem Deutschland und die Europäische Union vertraglich einen entsprechenden Rechtsanspruch eingeräumt haben, eine oder mehrere Apotheken betreibt.

(2) Abweichend von Absatz 1 ist einem approbierten Antragsteller, der nicht gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 4 der Bundes-Apothekerordnung die pharmazeutische Prüfung im Geltungsbereich dieses Gesetzes bestanden hat, die Erlaubnis nur zu erteilen, wenn sie für eine Apotheke beantragt wird, die seit mindestens drei Jahren betrieben wird.

(2a) Absatz 2 gilt nicht für approbierte Antragsteller, deren förmliche Qualifikationen bereits durch die zuständigen Behörden für andere Zwecke anerkannt wurden und die tatsächlich und rechtmäßig die beruflichen Tätigkeiten eines Apothekers mindestens drei Jahre lang ununterbrochen im Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübt haben.

(3) Hat der Apotheker nach seiner Approbation oder nach Erteilung eines nach § 4 Abs. 1a bis 1d, 2 oder 3 der Bundes-Apothekerordnung der pharmazeutischen Prüfung gleichwertigen Diploms, Prüfungszeugnisses oder sonstigen Befähigungsnachweises mehr als zwei Jahre lang ununterbrochen keine pharmazeutische Tätigkeit ausgeübt, so ist ihm die Erlaubnis nur zu erteilen, wenn er im letzten Jahr vor der Antragstellung eine solche Tätigkeit mindestens sechs Monate lang wieder in einer in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in einem Vertragsstaat, dem Deutschland und die Europäische Union vertraglich einen entsprechenden Rechtsanspruch eingeräumt haben, gelegenen Apotheke oder Krankenhausapotheke ausgeübt hat.

(4) Die Erlaubnis zum Betrieb mehrerer öffentlicher Apotheken ist auf Antrag zu erteilen, wenn

1.
der Antragsteller die Voraussetzungen nach den Absätzen 1 bis 3 für jede der beantragten Apotheken erfüllt und
2.
die von ihm zu betreibende Apotheke und die von ihm zu betreibenden Filialapotheken innerhalb desselben Kreises oder derselben kreisfreien Stadt oder in einander benachbarten Kreisen oder kreisfreien Städten liegen.

(5) Für den Betrieb mehrerer öffentlicher Apotheken gelten die Vorschriften dieses Gesetzes mit folgenden Maßgaben entsprechend:

1.
Der Betreiber hat eine der Apotheken (Hauptapotheke) persönlich zu führen.
2.
Für jede weitere Apotheke (Filialapotheke) hat der Betreiber schriftlich einen Apotheker als Verantwortlichen zu benennen, der die Verpflichtungen zu erfüllen hat, wie sie in diesem Gesetz und in der Apothekenbetriebsordnung für Apothekenleiter festgelegt sind.
Soll die Person des Verantwortlichen im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 geändert werden, so ist dies der Behörde von dem Betreiber zwei Wochen vor der Änderung schriftlich anzuzeigen. Bei einem unvorhergesehenen Wechsel der Person des Verantwortlichen muss die Änderungsanzeige nach Satz 2 unverzüglich erfolgen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 222/11 Verkündet am:
17. Juli 2013
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Meisterpräsenz

a) Werden in einem Geschäftslokal Dienstleistungen angeboten, erwartet der
Verkehr nicht unbedingt, dass diese Leistungen sofort bei Erscheinen des
Kunden im Geschäftslokal erbracht werden können. Vielmehr geht der Verbraucher
in vielen Fällen davon aus, dass die angebotene Dienstleistung
auch dann, wenn das Geschäftslokal geöffnet ist, nur nach vorheriger Terminvereinbarung
erbracht wird.

b) Die Vorschriften der Handwerksordnung stellen, soweit sie eine bestimmte
Qualität, Sicherheit oder Unbedenklichkeit der hergestellten Waren oder
angebotenen Dienstleistungen gewährleisten sollen, Marktverhaltensregelungen
im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG dar.

c) Es verstößt nicht gegen das Gebot der Meisterpräsenz, wenn ein Hörgeräteakustiker
-Meister zwei Betriebe in benachbarten Städten betreut und jeweils
einen halben Tag in dem einen und den anderen halben Tag in dem
anderen Geschäft anwesend ist. Die Geschäfte dürfen in einem solchen
Fall auch in der Zeit der Abwesenheit des Meisters offengehalten werden,
um beispielsweise Termine mit in das Ladenlokal kommenden Kunden zu
vereinbaren, Ersatz- und Verschleißteile wie etwa Batterien für Hörgeräte
abzugeben und ähnliche Leistungen zu erbringen, die nicht notwendig die
Anwesenheit eines Meisters erfordern.
BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 - I ZR 222/11 - OLG München
LG Augsburg
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. März 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Prof. Dr. Büscher, Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und
Dr. Löffler

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. November 2011 aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg - 1. Kammer für Handelssachen - vom 31. März 2011 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin und die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, sind jeweils auf dem Gebiet der Hörgeräteakustik tätig, bei dem es sich nach der Nr. 34 der Anlage A zur Handwerksordnung um ein zulassungspflichtiges Handwerk handelt. Die Klägerin unterhält in Süddeutschland 33 Filialen, darunter eine in Günzburg, wo auch eine Schwestergesellschaft der Beklagten zu 1 (im Weiteren nur: Beklagte) geschäftsansässig ist. Im Jahr 2009 war der Hörgeräteakustik-Meister Tobias M. sowohl für die Beklagte, die in Dillingen geschäftsansässig ist, als auch für deren Schwestergesellschaft in Günzburg, das von Dillingen 26 Straßenkilometer entfernt ist, als Betriebsleiter in der Handwerksrolle eingetragen und eingesetzt.
2
Nach Ansicht der Klägerin ist die Einsetzung eines gemeinsamen Betriebsleiters für die beiden Betriebe wegen Verstoßes gegen die Handwerksordnung und wegen Irreführung der Kundschaft wettbewerbsrechtlich unzulässig. Die Beklagte sei zur ständigen Meisterpräsenz in ihrem Betrieb verpflichtet, die bei der beworbenen zeitgleichen Öffnung der Geschäfte in Dillingen und Günzburg nicht gewährleistet sei. Testkunden hätten festgestellt, dass in dem Geschäft in Dillingen während der Abwesenheit des Meisters M. diesem vorbehaltene Tätigkeiten durchgeführt oder angeboten worden seien.
3
Die Klägerin hat beantragt, es den Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu untersagen , im geschäftlichen Verkehr
a) einen Hörgeräteakustiker-Betrieb als stehendes Gewerbe zu betreiben, ohne einen in die Handwerksrolle eingetragenen Hörgeräteakustiker als Betriebsleiter zu beschäftigen, der jederzeit unmittelbar im Ladenlokal persönlich erreichbar ist, zumindest aber innerhalb von zehn Minuten, nachdem ein Kunde das Ladenlokal betreten hat, und/oder
b) zeitlich ohne Einschränkung der Öffnungszeiten mit der Erbringung von Leistungen eines Hörgeräteakustikers in Bezug auf einen Betrieb zu werben, in dem nicht wenigstens ein vollzeitbeschäftigter Betriebsleiter zur Verfügung steht, der in die Handwerksrolle eingetragen ist und jederzeit unmittelbar im Ladenlokal persönlich erreichbar ist, zumindest aber innerhalb von zehn Minuten , nachdem ein Kunde das Ladenlokal betreten hat, und/oder
c) gegenüber Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen mit der Erbringung von Leistungen eines Hörgeräteakustikers in Bezug auf einen Geschäftsbetrieb zu werben oder solche Leistungen in einem Geschäftsbetrieb zu erbringen , in dem entgegen den vertraglichen Verpflichtungen gegenüber solchen Kassen nicht in Vollzeit ein Betriebsleiter zur Verfügung steht, der in die Handwerksrolle eingetragen ist.
4
Darüber hinaus hat die Klägerin den Ersatz von Abmahnkosten in Höhe von 3.452 € und von Detekteikosten in Höhe von 1.250 € - jeweils nebst Zinsen - begehrt.
5
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben (OLG München, WRP 2012, 579). Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstreben die Beklagten weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:


6
I. Das Berufungsgericht hat die Klage unter dem Gesichtspunkt einer Irreführung über die Verfügbarkeit der von der Beklagten angebotenen Dienstleistungen als begründet angesehen und hierzu ausgeführt:
7
Der Unterlassungsantrag zu a) sei dahin auszulegen, dass die Klägerin die Unterlassung des Offenhaltens des Gewerbebetriebs der Beklagten für den Fall begehre, dass kein in die Handwerksrolle eingetragener Hörgeräteakustiker als Betriebsleiter beschäftigt werde, der innerhalb von zehn Minuten, nachdem ein Kunde das Ladenlokal betreten habe, dort persönlich erreichbar sei. Der Antrag sei mit diesem Inhalt hinreichend bestimmt und auch begründet, weil der Durchschnittsverbraucher, der das geöffnete Ladengeschäft eines Hörgeräteakustiker -Betriebs sehe, davon ausgehe, dass der zur Ausübung des Hörgeräteakustiker -Handwerks Berechtigte grundsätzlich unmittelbar vor Ort verfügbar sei. Es entspreche dabei noch seinem Verständnis, dass der Ausübungsberechtigte etwa aus einem nahegelegenen Büro oder einer wenige Minuten entfernten Werkstatt herbeigerufen werden müsse, nicht aber, dass der Berechtigte lediglich mittelbar über ein EDV-Netzwerk kontaktiert werden oder eingreifen könne oder erst aus einer anderen Stadt herbeigerufen werden müsse und bis zu seinem Eintreffen im Ladengeschäft länger gewartet werden müsse. Einer Irreführung der Verbraucher stehe nicht entgegen, dass Tobias M. sowohl als Betriebsleiter des Dillinger als auch des Günzburger Betriebs in die Handwerksrolle eingetragen sei. Denn die Verbraucher hätten hiervon keine Kenntnis; außerdem enthalte die Handwerksrolle im Streitfall keine konkreten Festlegungen hinsichtlich der Betriebsführung und insbesondere zu den Ladenöffnungszeiten. Eine geschäftliche Handlung sei auch dann irreführend, wenn sie keine unmittelbare Relevanz für die Marktentscheidung habe, sondern von ihr lediglich eine Anlockwirkung ausgehe. Ob der Unterlassungsanspruch zu a) auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs begründet sei, könne danach dahinstehen.
8
Nach diesen Grundsätzen seien auch der Unterlassungsantrag zu b), wonach den Beklagten eine entsprechende Werbung verboten werden solle, und der Unterlassungsantrag zu c), der darauf abstelle, dass die Beklagten mit ihrem beanstandeten Verhalten ihre vertraglichen Pflichten gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen verletzten, unter dem Gesichtspunkt der Irreführung über die angebotenen Dienstleistungen begründet.
9
II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Abweisung der Klage.
10
1. Die Revision rügt allerdings ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe der Klägerin unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO etwas zugesprochen, was sie nicht beantragt habe, da es den allein auf den Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit §§ 1, 7 HwO gestützten Unterlassungsantrag zu a) unter dem Gesichtspunkt der Irreführung als begründet angesehen habe. Die Klägerin hat auch diesen Klageantrag, wenn nicht von vornherein, so doch jedenfalls im weiteren Verlauf des Rechtsstreits ersichtlich mit darauf gestützt, dass Verbraucher insoweit irregeführt würden.
11
2. Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Unterlassungsantrag zu a) sei unter dem Gesichtspunkt der Irreführung begründet.
12
a) Das Berufungsgericht ist im rechtlichen Ansatz allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass ein Unternehmen, das eine Dienstleistung anbietet, dem Werbeadressaten damit grundsätzlich - nicht anders als ein Warenhandelsunternehmen beim Angebot von Waren (vgl. dazu Bornkamm in Köhler/ Bornkamm, UWG, 31. Aufl., § 5 Rn. 8.9 mwN) - den Eindruck vermittelt, dass die Dienstleistung in seinem Geschäftslokal während der Geschäftszeiten den Kunden, die an ihrer Inanspruchnahme interessiert sind, unmittelbar erbracht werden kann. Die Verfügbarkeit stellt ein wesentliches Merkmal eines Produkts dar, über das gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG keine unwahren oder sonst zur Täuschung geeigneten Angaben gemacht werden dürfen. Soweit es sich bei der angebotenen Dienstleistung - wie im Streitfall - um eine Beratungsleistung handelt, muss daher während der Öffnungszeiten des Geschäftslokals grundsätzlich (wenigstens) eine Person dort anwesend oder zumindest unmittelbar erreichbar sein, die dazu befähigt und berechtigt ist, die Dienstleistung zu erbringen. Der Verbraucher, der sich in ein Geschäftslokal begibt, um sich dort beraten zu lassen, rechnet zwar damit, gegebenenfalls warten zu müssen, weil zunächst vor ihm eingetroffene Kunden oder Kunden, die einen Termin vereinbart haben, vor ihm an der Reihe sind. Dagegen rechnet der Verbraucher grundsätzlich nicht damit, dass seine Beratung an dem betreffenden (Halb-)Tag nur dann möglich ist, wenn die dazu befähigte und befugte Person sich - wohl nur im Ausnahmefall - vertretbarerweise von einem anderem Geschäftslokal, das immerhin 26 (Land-)Straßenkilometer entfernt ist und in dem sie aktuell die Betriebsleitung innehat, für die Dauer der nachgefragten Beratung und die für den doppelten Weg benötigte Zeit entfernen kann.
13
b) Das Berufungsgericht hat bei seiner Beurteilung allerdings unberücksichtigt gelassen, dass der Verbraucher bei seiner vorstehend dargestellten generellen Leistungserwartung auch die Art der von ihm nachgefragten Dienstleistung sowie die Üblichkeiten im Geschäftsverkehr in Rechnung stellt. Er berücksichtigt insbesondere, dass sich in bestimmten Bereichen und insbesondere dort, wo die Erbringung der Dienstleistung in Form einer Beratung oder Behandlung einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt, häufig die Gewohnheit herausgebildet hat, dass eine solche Beratung oder Behandlung auch dann, wenn das Ladenlokal - wie etwa bei Friseuren - oder die Praxis - bei medizinischen Dienstleistungen - geöffnet ist, üblicherweise nur nach vorheriger Terminvereinbarung durchgeführt wird. Entsprechend verhält es sich auf dem hier in Rede stehenden Gebiet der Hörgeräteakustik. Eine ordnungsgemäß und dementsprechend mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführte Untersuchung und Beratung des Kunden erfordert eine fundierte und deshalb nur von einem Hörgeräteakustik-Meister zu erbringende Leistung. Es handelt sich damit nicht um eine Ad-hoc-Leistung, zumal sich das Nachlassen des Hörvermögens meist über einen längeren Zeitraum erstreckt. Patienten, die an einem plötzlich auftretenden Verlust oder einem starken Nachlassen des Hörvermögens (Hörsturz) leiden, werden einen Facharzt oder eine Krankenhaus-Ambulanz aufsuchen, nicht dagegen einen Hörgeräteakustiker. Vor diesem Hintergrund wird ein Verbraucher , der sich in das Ladenlokal der Beklagten begibt, um sich von einem Hörgeräteakustik-Meister untersuchen und beraten zu lassen, nicht getäuscht, wenn er erfährt, dass die von ihm nachgefragte Dienstleistung nicht sofort erbracht werden kann, weil der zuständige Hörgeräteakustik-Meister an diesem halben Arbeitstag in einem Schwesterunternehmen tätig und dort grundsätzlich unabkömmlich ist.
14
3. Die vom Berufungsgericht hinsichtlich des Unterlassungsantrags zu a) getroffene Entscheidung erweist sich auch nicht deshalb als im Ergebnis richtig, weil der Anspruch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit §§ 1, 7 HwO besteht.
15
a) Die Vorschriften der Handwerksordnung stellen, soweit sie eine bestimmte Qualität, Sicherheit oder Unbedenklichkeit der hergestellten Waren oder angebotenen Dienstleistungen gewährleisten sollen, Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG dar (vgl. OLG Frankfurt, GRUR 2005, 695; LG Arnsberg, WRP 2011, 937, 939; Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 4 Rn. 11.79; v. Jagow in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 81; Fezer /Götting, UWG, 2. Aufl., § 4-11 Rn. 135; v. Walter, Rechtsbruch als unlauteres Marktverhalten, 2007, S. 211; Elskamp, Gesetzesverstoß und Wettbewerbsrecht , 2008, S. 162). Der Umstand, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, die keinen den § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG vergleichbaren Verbotstatbestand kennt, in ihrem Anwendungsbereich (Art. 3 der Richtlinie ) nach ihrem Artikel 4 eine vollständige Harmonisierung bezweckt, steht der Anwendung der nationalen Vorschriften im Streitfall nicht entgegen. Denn bei den hier in Rede stehenden §§ 1 und 7 HwO handelt es sich um Bestimmungen , die einerseits einen Sicherheits- und - jedenfalls bei Gesundheitshandwerken wie dem des Hörgeräteakustikers - Gesundheitsbezug im Sinne von Art. 3 Abs. 3 und Erwägungsgrund 9 Satz 2 und 3 der Richtlinie 2005/29/EG aufweisen und andererseits auch berufsrechtliche Bestimmungen im Sinne von Art. 3 Abs. 8 dieser Richtlinie darstellen (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 4 Rn. 11.6a, 11.h und 11.k mwN).
16
b) Bei Gesundheitshandwerken, bei denen eine unzureichende Handwerkstätigkeit weitreichende Folgen haben kann, ist allerdings - von ganz engen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. dazu VG Schleswig, GewArch 2000, 426, 427) - für jede Betriebsstätte ständige Meisterpräsenz zu verlangen (vgl. Honig/ Knörr, HwO, 4. Aufl., § 7 Rn. 39; Karsten in Schwannecke, HwO, 37. Lfg. III/06, § 7 Rn. 45; Detterbeck, HwO, 4. Aufl., § 7 Rn. 21; Wiemers, DVBl 2012, 942, 945, jeweils mwN). Der sich aus diesem Erfordernis ergebende Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Berufsausübung ist im Hinblick auf die dadurch geschützten Gesundheitsinteressen der Bevölkerung gerechtfertigt.
17
c) Aus dem Erfordernis der Meisterpräsenz folgt jedoch nicht, dass der Betreiber eines Hörgeräteakustik-Unternehmens sein Ladenlokal nur so lange offenhalten darf, wie ein Hörgeräteakustik-Meister in diesem anwesend ist oder jedenfalls kurzfristig erreicht werden kann. Ist das Geschäftslokal geöffnet, können - auch ohne Anwesenheit des Meisters - vom übrigen Personal Termine mit in das Ladenlokal kommenden Kunden vereinbart, Ersatz- und Verschleißteile wie etwa Batterien abgegeben und ähnliche Leistungen erbracht werden, bei denen eine Gefährdung der Gesundheit der Kunden ausgeschlossen ist. Insoweit dient ein solches Offenhalten sogar den gesundheitlichen Interessen der Kunden an einer - insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht - umfassenden Versorgung mit Hörgeräten. Die nicht ganz auszuschließende abstrakte Gefahr, dass ein Mitarbeiter dabei eine Dienstleistung erbringt, die dem Hörgeräteakustik -Meister vorbehalten ist, muss ins Verhältnis zu den zuvor erwähnten Vorteilen gesetzt werden, die sich für die Kunden aus der von der Klägerin beanstandeten Praxis der Beklagten etwa im Blick auf die erleichterte Vereinbarung von Untersuchungs- und Beratungsterminen und die Versorgung mit Batterien und sonstigen Ersatz- bzw. Verschleißteilen für Hörgeräte ergeben. Bei diesen Gegebenheiten stellte das von der Klägerin erstrebte Verbot eine im Blick auf die durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Berufsausübung nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Beklagten dar.
18
c) Dem Erfordernis der Meisterpräsenz wäre allerdings nicht genügt, wenn ein Meister nur ganz gelegentlich in dem fraglichen Betrieb zur Verfügung stünde, etwa weil er eine Vielzahl von Betrieben oder weit voneinander entfernt liegende Betriebe zu betreuen hätte. So verhält es sich im Streitfall aber nicht. Nach den getroffenen Feststellungen war der Hörgeräteakustik-Meister Tobias M. jeden Tag zur Hälfte im Betrieb der Beklagten in Dillingen und im Übrigen im Betrieb der Schwestergesellschaft in Günzburg tätig und dort ohne weiteres erreichbar. Unter diesen Umständen steht eine Gefährdung der Gesundheit der Kunden, die sich daraus ergeben könnte, dass der Meister neben dem Betrieb in Dillingen noch den Betrieb im benachbarten Günzburg zu betreuen hatte, nicht in Rede.
19
4. Aus diesen Gründen kann auch die Verurteilung der Beklagten gemäß den Unterlassungsanträgen zu b) und zu c) sowie zur Erstattung der Abmahnund Detekteikosten keinen Bestand haben.
20
III. Nach allem ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben, das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Bornkamm Büscher Schaffert
Kirchhoff Löffler
Vorinstanzen:
LG Augsburg, Entscheidung vom 31.03.2011 - 1 HKO 3514/09 -
OLG München, Entscheidung vom 10.11.2011 - 29 U 1614/11 -

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Ausübung eines Gewerbes ist von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Die Untersagung kann auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Das Untersagungsverfahren kann fortgesetzt werden, auch wenn der Betrieb des Gewerbes während des Verfahrens aufgegeben wird.

(2) Dem Gewerbetreibenden kann auf seinen Antrag von der zuständigen Behörde gestattet werden, den Gewerbebetrieb durch einen Stellvertreter (§ 45) fortzuführen, der die Gewähr für eine ordnungsgemäße Führung des Gewerbebetriebes bietet.

(3) Will die Verwaltungsbehörde in dem Untersagungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen einen Gewerbetreibenden gewesen ist, so kann sie zu dessen Nachteil von dem Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich bezieht auf

1.
die Feststellung des Sachverhalts,
2.
die Beurteilung der Schuldfrage oder
3.
die Beurteilung der Frage, ob er bei weiterer Ausübung des Gewerbes erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne des § 70 des Strafgesetzbuches begehen wird und ob zur Abwehr dieser Gefahren die Untersagung des Gewerbes angebracht ist.
Absatz 1 Satz 2 bleibt unberührt. Die Entscheidung über ein vorläufiges Berufsverbot (§ 132a der Strafprozeßordnung), der Strafbefehl und die gerichtliche Entscheidung, durch welche die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird, stehen einem Urteil gleich; dies gilt auch für Bußgeldentscheidungen, soweit sie sich auf die Feststellung des Sachverhalts und die Beurteilung der Schuldfrage beziehen.

(3a) (weggefallen)

(4) Vor der Untersagung sollen, soweit besondere staatliche Aufsichtsbehörden bestehen, die Aufsichtsbehörden, ferner die zuständige Industrie- und Handelskammer oder Handwerkskammer und, soweit es sich um eine Genossenschaft handelt, auch der Prüfungsverband gehört werden, dem die Genossenschaft angehört. Ihnen sind die gegen den Gewerbetreibenden erhobenen Vorwürfe mitzuteilen und die zur Abgabe der Stellungnahme erforderlichen Unterlagen zu übersenden. Die Anhörung der vorgenannten Stellen kann unterbleiben, wenn Gefahr im Verzuge ist; in diesem Falle sind diese Stellen zu unterrichten.

(5) (weggefallen)

(6) Dem Gewerbetreibenden ist von der zuständigen Behörde auf Grund eines an die Behörde zu richtenden schriftlichen oder elektronischen Antrages die persönliche Ausübung des Gewerbes wieder zu gestatten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß eine Unzuverlässigkeit im Sinne des Absatzes 1 nicht mehr vorliegt. Vor Ablauf eines Jahres nach Durchführung der Untersagungsverfügung kann die Wiederaufnahme nur gestattet werden, wenn hierfür besondere Gründe vorliegen.

(7) Zuständig ist die Behörde, in deren Bezirk der Gewerbetreibende eine gewerbliche Niederlassung unterhält oder in den Fällen des Absatzes 2 oder 6 unterhalten will. Bei Fehlen einer gewerblichen Niederlassung sind die Behörden zuständig, in deren Bezirk das Gewerbe ausgeübt wird oder ausgeübt werden soll. Für die Vollstreckung der Gewerbeuntersagung sind auch die Behörden zuständig, in deren Bezirk das Gewerbe ausgeübt wird oder ausgeübt werden soll.

(7a) Die Untersagung kann auch gegen Vertretungsberechtigte oder mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragte Personen ausgesprochen werden. Das Untersagungsverfahren gegen diese Personen kann unabhängig von dem Verlauf des Untersagungsverfahrens gegen den Gewerbetreibenden fortgesetzt werden. Die Absätze 1 und 3 bis 7 sind entsprechend anzuwenden.

(8) Soweit für einzelne Gewerbe besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften bestehen, die auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen, oder eine für das Gewerbe erteilte Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zurückgenommen oder widerrufen werden kann, sind die Absätze 1 bis 7a nicht anzuwenden. Dies gilt nicht für die Tätigkeit als vertretungsberechtigte Person eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung des Betriebes oder einer Zweigniederlassung beauftragte Person sowie für Vorschriften, die Gewerbeuntersagungen oder Betriebsschließungen durch strafgerichtliches Urteil vorsehen.

(9) Die Absätze 1 bis 8 sind auf Genossenschaften entsprechend anzuwenden, auch wenn sich ihr Geschäftsbetrieb auf den Kreis der Mitglieder beschränkt; sie finden ferner Anwendung auf den Handel mit Arzneimitteln, mit Losen von Lotterien und Ausspielungen sowie mit Bezugs- und Anteilscheinen auf solche Lose und auf den Betrieb von Wettannahmestellen aller Art.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.