Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 15. Juli 2010 - 3 AV 1/10

bei uns veröffentlicht am15.07.2010

Gründe

I.

1

Der Kläger beansprucht eine monatliche besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG). Er wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Dresden von 1991 wegen einer Inhaftierung in der DDR strafrechtlich rehabilitiert und ist Inhaber einer vom Landratsamt Bodenseekreis ausgestellten Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes. Im September 2008 erhob er beim Sozialgericht Chemnitz Klage gegen das - seinerzeit bereits aufgelöste - Sächsische Landesamt für Familie und Soziales, die er ausschließlich auf den Rehabilitierungsbeschluss des Bezirksgerichts stützte. Seinen Wohnsitz hatte der Kläger seinerzeit in Kambodscha.

2

Das Sozialgericht hat die Klage an das Landgericht Dresden verwiesen. Auf die Beschwerde des Klägers hin hat das Sächsische Landessozialgericht den Beschluss geändert und den Rechtsstreit mit Beschluss vom 18. Juni 2009 an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen; aufgrund des Auslandswohnsitzes des Klägers sei das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin für die Ansprüche zuständig. Das Verwaltungsgericht Berlin erklärte sich mit Beschluss vom 24. März 2010 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Chemnitz, weil der Kläger eine sächsische Behörde in Anspruch nehme und hieran auch nach Belehrung ausdrücklich festhalte. Das Verwaltungsgericht Chemnitz lehnte die Übernahme des Verfahrens ab und verwies das Verfahren mit Beschluss vom 7. April 2010 an das Verwaltungsgericht Berlin zurück; die Verweisung sei willkürlich, weil dem im Ausland lebenden Kläger keine angemessene Frist für die Stellungnahme zur beabsichtigten Verweisung gewährt worden sei.

3

Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Sache mit Beschluss vom 14. April 2010 dem Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Der Kläger hat im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren daran festgehalten, Ansprüche nur gegen die Landesdirektion Chemnitz geltend machen zu wollen, keinesfalls aber gegen eine Behörde des Landes Berlin.

II.

4

Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen den Verwaltungsgerichten Berlin und Chemnitz zuständig. Die Verwaltungsgerichte haben ihre örtliche Zuständigkeit durch unanfechtbare wechselseitige Verweisungsbeschlüsse (vgl. § 83 Satz 2 VwGO), also rechtskräftig, verneint. Das Bundesverwaltungsgericht ist im konkreten Fall das im Sinne des § 53 Abs. 1 VwGO nächsthöhere Gericht, weil der Kompetenzkonflikt zwischen den Verwaltungsgerichten verschiedener Bundesländer besteht.

5

Das örtlich zuständige Verwaltungsgericht ist nach den einschlägigen Zuständigkeitsvorschriften unter Berücksichtigung der Bindung an ergangene Verweisungsbeschlüsse zu bestimmen; denn die Bindungswirkung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist auch im Verfahren nach § 53 VwGO zu beachten (vgl. Beschlüsse vom 8. November 1994 - BVerwG 9 AV 1.94 - NVwZ 1995, 372 und vom 5. März 1993 - BVerwG 11 ER 400.93 - NJW 1993, 3087). Im Falle der Rück- oder Weiterverweisung ist demnach das Gericht als das örtlich zuständige zu bestimmen, welches durch den ersten bindenden Verweisungsbeschluss feststeht (vgl. Beschluss vom 1. März 2007 - BVerwG 5 AV 1.07 - NVwZ 2007, 845; Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 53 Rn. 9).

6

Danach ist das Verwaltungsgericht Chemnitz zur Entscheidung über die Klage des Klägers zuständig; denn der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Berlin ist hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bindend. Ein schwerer Rechtsverstoß, der ausnahmsweise zum Wegfall der Bindungswirkung führen mag, liegt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Chemnitz nicht schon in der Bemessung einer zu kurzen Frist für die Anhörung des Klägers vor der Beschlussfassung (vgl. Beschluss vom 22. November 1973 - BVerwG 8 ER 400.73 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 7). Das Verwaltungsgericht Berlin war seinerseits hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit nicht an den Verweisungsbeschluss des Sächsischen Landessozialgerichts gebunden, weil dieser Beschluss nur hinsichtlich der Rechtswegzuständigkeit eine Bindungswirkung entfaltet.

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Referenzen - Gesetze

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 15. Juli 2010 - 3 AV 1/10 zitiert 7 §§.

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 17a


(1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden. (2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Am

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 83


Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17 bis 17b des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 53


(1) Das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird durch das nächsthöhere Gericht bestimmt, 1. wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung der Gerichtsbarkeit rechtlich oder tatsächlich verhindert

Häftlingshilfegesetz - HHG | § 10 Zuständigkeit und Verfahren


(1) Für die Gewährung von Leistungen nach den §§ 4, 5 und 8 sind die Behörden zuständig, denen die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes und des Unterhaltsbeihilfegesetzes obliegt. Soweit die Versorgungsbehörden zuständig sind, richtet sich das

Referenzen

(1) Für die Gewährung von Leistungen nach den §§ 4, 5 und 8 sind die Behörden zuständig, denen die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes und des Unterhaltsbeihilfegesetzes obliegt. Soweit die Versorgungsbehörden zuständig sind, richtet sich das Verfahren nach den für die Kriegsopferversorgung geltenden Vorschriften.

(2) Für die Gewährung der Leistungen nach den §§ 9a bis 9c und die Ausstellung der Bescheinigung nach Absatz 4 sind die von den Landesregierungen bestimmten Stellen zuständig; hat der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, so bestimmt die Regierung des Landes, in welchem die Bundesregierung ihren Sitz hat, die zuständige Behörde.

(3) Über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, soweit dieses Gesetz von den für die Kriegsopferversorgung zuständigen Verwaltungsbehörden durchgeführt wird. Für das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sind die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes für Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung maßgebend. § 51 Abs. 1 Nr. 6 des Sozialgerichtsgesetzes bleibt unberührt. Über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten bei der Anwendung der §§ 9a bis 9c entscheiden die allgemeinen Verwaltungsgerichte.

(4) Der Nachweis darüber, daß die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 vorliegen und daß Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 weder gegeben noch gemäß § 2 Abs. 4 wirksam sind, ist durch eine Bescheinigung zu erbringen, soweit zugleich ein Anspruch nach den §§ 9a bis 9c besteht. Im übrigen wird das Vorliegen dieser Voraussetzungen nur auf Ersuchen einer anderen Behörde festgestellt, wenn hiervon die Gewährung einer Leistung, eines Rechtes oder einer Vergünstigung abhängt.

(5) Über die Anträge mehrerer Antragsteller, die Erben oder weitere Erben einer in § 1 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Person sind, entscheidet die Behörde, bei welcher der erste Antrag gestellt worden ist.

(6) Hält die Behörde zur Feststellung des Gewahrsams oder von Ausschließungsgründen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 und nach § 2 Abs. 4 die eidliche Vernehmung eines Zeugen oder eines Sachverständigen für geboten, so ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Zeuge oder Sachverständige seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort hat, um die eidliche Vernehmung zu ersuchen.

(7) Die Entscheidung über die Ausstellung einer Bescheinigung nach Absatz 4 ist für alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Rechten und Vergünstigungen nach diesem oder einem anderen Gesetz zuständig sind. Hält eine Behörde oder Stelle die Entscheidung über die Ausstellung der Bescheinigung nicht für gerechtfertigt, so kann sie nur ihre Änderung oder Aufhebung durch die für die Ausstellung der Bescheinigung zuständige Stelle beantragen. Die Ausstellungsbehörde entscheidet auch über Rücknahme und Widerruf und über die Ausstellung einer Zweitschrift einer Bescheinigung.

(8) Wird die Bescheinigung eingezogen oder für ungültig erklärt, so sind die Leistungen nach diesem Gesetz einzustellen.

(1) Das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird durch das nächsthöhere Gericht bestimmt,

1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung der Gerichtsbarkeit rechtlich oder tatsächlich verhindert ist,
2.
wenn es wegen der Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiß ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig ist,
3.
wenn der Gerichtsstand sich nach § 52 richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen,
4.
wenn verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben,
5.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

(2) Wenn eine örtliche Zuständigkeit nach § 52 nicht gegeben ist, bestimmt das Bundesverwaltungsgericht das zuständige Gericht.

(3) Jeder am Rechtsstreit Beteiligte und jedes mit dem Rechtsstreit befaßte Gericht kann das im Rechtszug höhere Gericht oder das Bundesverwaltungsgericht anrufen. Das angerufene Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17 bis 17b des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

(1) Das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird durch das nächsthöhere Gericht bestimmt,

1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung der Gerichtsbarkeit rechtlich oder tatsächlich verhindert ist,
2.
wenn es wegen der Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiß ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig ist,
3.
wenn der Gerichtsstand sich nach § 52 richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen,
4.
wenn verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben,
5.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

(2) Wenn eine örtliche Zuständigkeit nach § 52 nicht gegeben ist, bestimmt das Bundesverwaltungsgericht das zuständige Gericht.

(3) Jeder am Rechtsstreit Beteiligte und jedes mit dem Rechtsstreit befaßte Gericht kann das im Rechtszug höhere Gericht oder das Bundesverwaltungsgericht anrufen. Das angerufene Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden.

(2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Sind mehrere Gerichte zuständig, wird an das vom Kläger oder Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte. Der Beschluß ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges bindend.

(3) Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt.

(4) Der Beschluß nach den Absätzen 2 und 3 kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Er ist zu begründen. Gegen den Beschluß ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Den Beteiligten steht die Beschwerde gegen einen Beschluß des oberen Landesgerichts an den obersten Gerichtshof des Bundes nur zu, wenn sie in dem Beschluß zugelassen worden ist. Die Beschwerde ist zuzulassen, wenn die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn das Gericht von der Entscheidung eines obersten Gerichtshofes des Bundes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht. Der oberste Gerichtshof des Bundes ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden.

(5) Das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, prüft nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper in ihrem Verhältnis zueinander entsprechend.

(1) Das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird durch das nächsthöhere Gericht bestimmt,

1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung der Gerichtsbarkeit rechtlich oder tatsächlich verhindert ist,
2.
wenn es wegen der Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiß ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig ist,
3.
wenn der Gerichtsstand sich nach § 52 richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen,
4.
wenn verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben,
5.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

(2) Wenn eine örtliche Zuständigkeit nach § 52 nicht gegeben ist, bestimmt das Bundesverwaltungsgericht das zuständige Gericht.

(3) Jeder am Rechtsstreit Beteiligte und jedes mit dem Rechtsstreit befaßte Gericht kann das im Rechtszug höhere Gericht oder das Bundesverwaltungsgericht anrufen. Das angerufene Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden.