Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 23. Dez. 2013 - 1 BvR 512/11

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2013:rk20131223.1bvr051211
23.12.2013

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne Aussicht auf Erfolg ist.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) und ihre Annahme erscheint auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unbegründet ist.

2

1. Das Bundesarbeitsgericht hat das grundrechtsgleiche Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verkannt.

3

Gerichte verletzen die Vorlagepflicht nach § 267 Abs. 3 AEUV und damit auch das Recht der Parteien aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur, wenn ihr Umgang mit der Vorlagepflicht bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht vertretbar ist, also nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 82, 159 <194>; 126, 286 <315>; 128, 157 <187>). Die Handhabung der Vorlagepflicht durch das Bundesarbeitsgericht erscheint hier jedoch nicht offensichtlich unhaltbar. Allerdings hätte es nahegelegen, die Gründe der unterlassenen Vorlage in der angegriffenen Entscheidung darzustellen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Bedeutung der "objektiven Eignung" für den Begriff der "vergleichbaren Situation" in einem Bewerbungsverfahren im Sinne von Art. 2 Abs. 2a der Richtlinie 2000/43/EG sowie in Art. 2 Abs. 2a der Richtlinie 2000/78/EG bisher nicht Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union war und die Beschwerdeführerin eine Vorlage dieser Frage in der Revisionsbegründung ausdrücklich angeregt hat. Jedoch erscheint es vertretbar, die richtige Anwendung des Unionsrechts vorliegend als derart offenkundig anzusehen, dass eine abweichende Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union lediglich als entfernte Möglichkeit erscheint und sich daher auch eine unbegründete Nichtvorlage noch im Beurteilungsspielraum hält. Das Bundesarbeitsgericht konnte von einer den nationalen Gerichten obliegenden Anwendung von Unionsrecht auf den Einzelfall ausgehen, ohne dass es hierfür einer dem Gerichtshof der Europäischen Union obliegenden Auslegung des Unionsrechts zwingend bedurfte.

4

2. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 GG oder ihrer Religionsfreiheit.

5

Das Bundesarbeitsgericht stellt entscheidend darauf ab, dass die Beschwerdeführerin objektiv nicht die Voraussetzung eines abgeschlossenen Hochschulstudiums erfüllte, obwohl dies in der Stellenausschreibung für die zu besetzende Position gefordert und auch der späteren Einstellungsentscheidung tatsächlich zugrunde gelegt worden war. Daher sei sie nicht in einer mit Dritten vergleichbaren Situation gewesen, was Voraussetzung für das Vorliegen einer Diskriminierung im Sinne des Gleichbehandlungsrechts ist (vgl. BAG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 8 AZR 112/03 -; stRspr). Gegen diese nicht nur formale, sondern auch auf die tatsächliche Einstellungspraxis abhebende Betrachtung ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern.

6

Ob die Beklagte des Ausgangsverfahrens, ein Landesverband der Diakonie als kirchlichem Wohlfahrtsverband und Teil einer Landeskirche, auch für verkündigungsferne Tätigkeiten die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche zur Einstellungsvoraussetzung erheben durfte, war demgegenüber nicht entscheidend. Das Bundesarbeitsgericht hat ausdrücklich davon abgesehen, die insofern einschlägigen Vorschriften der §§ 8, 9 AGG zu prüfen. Davon ausgehend muss auch eine verfassungsrechtliche Prüfung hierzu unterbleiben.

7

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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Referenzen - Gesetze

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht


Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 101


(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 8 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen


(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 9 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung


(1) Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigung

Referenzen

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

(2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.

(1) Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.

(2) Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berührt nicht das Recht der in Absatz 1 genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.