Bundesverfassungsgericht Beschluss, 27. Jan. 2015 - 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2015:rs20150127.1bvr047110
bei uns veröffentlicht am27.01.2015

Tenor

1. § 57 Absatz 4 Satz 3 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2005 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Seite 102) in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Juni 2006 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Seite 270) ist mit Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 und mit Artikel 33 Absatz 3 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

2. § 57 Absatz 4 Sätze 1 und 2 sowie § 58 Satz 2 des vorbezeichneten Gesetzes sind, soweit sie religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild betreffen, nach Maßgabe der Gründe mit dem Grundgesetz vereinbar.

3. Die Beschwerdeführerin zu I.) wird durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20. August 2009 - 2 AZR 499/08 -, das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 10. April 2008 - 5 Sa 1836/07 - und das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. Juni 2007 - 12 Ca 175/07 - in ihrem Grundrecht aus Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes verletzt. Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

4. Die Beschwerdeführerin zu II.) wird durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 -, die Urteile des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. Oktober 2008 - 11 Sa 572/08 - und - 11 Sa 280/08 - sowie die Urteile des Arbeitsgerichts Herne vom 21. Februar 2008 - 6 Ca 649/07 - und vom 7. März 2007 - 4 Ca 3415/06 - in ihrem Grundrecht aus Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes verletzt. Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht Hamm zurückverwiesen.

5. Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführerinnen jeweils drei Viertel, die Bundesrepublik Deutschland jeweils ein Viertel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerden betreffen gerichtliche Entscheidungen über arbeitsrechtliche Sanktionen (Abmahnung und Kündigung), die der Arbeitgeber der Beschwerdeführerinnen, das Land Nordrhein-Westfalen, gegen sie ausgesprochen hat, weil sie sich als Angestellte an öffentlichen Schulen weigerten, im Dienst das sogenannte islamische Kopftuch beziehungsweise eine als Ersatz hierfür getragene Wollmütze abzulegen. Beide Beschwerdeführerinnen sind Musliminnen. Die Beschwerdeführerin zu I.) ist als angestellte Sozialpädagogin, die Beschwerdeführerin zu II.) war als angestellte Lehrerin beschäftigt. Die Verfassungsbeschwerden stellen zugleich mittelbar die in Nordrhein-Westfalen nach der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282) erlassene gesetzliche Regelung über die Zulässigkeit und die Grenzen religiöser Bekundungen durch im Schulwesen beschäftigte Personen zur verfassungsrechtlichen Prüfung. Diese ist Grundlage der in den fachgerichtlichen Ausgangsverfahren überprüften arbeitsrechtlichen Maßnahmen.

I.

2

Die in Rede stehende Vorschrift des § 57 Abs. 4 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG NW) vom 15. Februar 2005 (GV.NRW. S. 102) in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes vom 13. Juni 2006 (GV.NRW. S. 270) lautet:

"(4) 1Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. 2Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. 3Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 7 und 12 Abs. 6 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. 4Das Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht und in den Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen."

3

Infolge einer am 29. Oktober 2011 in Kraft getretenen Verfassungsänderung findet sich der bisherige Text des Art. 12 Abs. 6 Verf NW, auf den sich § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW bezieht, jetzt in Art. 12 Abs. 3 Verf NW (vgl. Art. 1 Nr. 4 Buchst. e) des Gesetzes zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 2011, GV.NRW. S. 499).

4

In Absatz 6 des § 57 SchulG NW ist überdies bestimmt:

"(6) 1Die Einstellung einer Lehrerin oder eines Lehrers setzt als persönliches Eignungsmerkmal voraus, dass sie oder er die Gewähr für die Einhaltung der Bestimmungen des Absatzes 4 in der gesamten voraussichtlichen Dienstzeit bietet. 2Entsprechendes gilt für die Versetzung einer Lehrerin oder eines Lehrers eines anderen Dienstherrn in den nordrhein-westfälischen Schuldienst. 3Für Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter können von der Einstellungsbehörde auf Antrag Ausnahmen vorgesehen werden, soweit die Ausübung ihrer Grundrechte es zwingend erfordert und zwingende öffentliche Interessen an der Wahrung der staatlichen Neutralität und des Schulfriedens nicht entgegenstehen."

5

Die Anwendbarkeit dieser Bestimmungen wird durch § 58 Satz 2 SchulG NW auf das sonstige an Schulen tätige pädagogische und sozialpädagogische Personal erstreckt. § 58 SchulG NW lautet:

"1Sonstige im Landesdienst stehende pädagogische und sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirken bei der Bildungs- und Erziehungsarbeit mit. 2§ 57 Abs. 4 und 6 gilt entsprechend."

6

Die in § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW in Bezug genommenen Vorschriften der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen haben folgenden Wortlaut:

"Artikel 7

(1) Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung.

(2) Die Jugend soll erzogen werden im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung.";

"Artikel 12

(...)

(3) 1In Gemeinschaftsschulen werden Kinder auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte in Offenheit für die christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen. 2In Bekenntnisschulen werden Kinder des katholischen oder des evangelischen Glaubens oder einer anderen Religionsgemeinschaft nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen. 3In Weltanschauungsschulen, zu denen auch die bekenntnisfreien Schulen gehören, werden die Kinder nach den Grundsätzen der betreffenden Weltanschauung unterrichtet und erzogen.

(...)".

II.

1. Das Verfahren 1 BvR 471/10 (der Beschwerdeführerin zu I.)

7

a) Die im Jahr 1971 in Deutschland geborene Beschwerdeführerin ist türkischer Abstammung und muslimischen Glaubens; sie gehört weder einer Moscheegemeinde noch sonst einer islamischen Gemeinschaft an. Anders als ihre drei Schwestern trägt sie seit ihrem 17. Lebensjahr aus religiösen Gründen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch. Seit März 1999 besitzt sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Nach einem abgeschlossenen Studium der Sozialpädagogik ist sie seit dem 7. Oktober 1997 beim Land Nordrhein-Westfalen angestellt und an einer Gesamtschule in D. beschäftigt. Sie wird dort bei der Schlichtung von Schulkonflikten - insbesondere durch Beratung ausländischer Schüler und ihrer Eltern - eingesetzt und kommt mit Schulangehörigen unterschiedlicher Nationalität und Religionszugehörigkeit in Kontakt.

8

Nach Inkrafttreten der in Rede stehenden gesetzlichen Bestimmungen (§ 57 Abs. 4, § 58 Satz 2 SchulG NW) forderte die Schulbehörde die Beschwerdeführerin auf, das von ihr bislang auch während des Dienstes getragene islamische Kopftuch abzulegen. Dieser Aufforderung kam die Beschwerdeführerin nach, ersetzte aber das Kopftuch durch eine rosafarbene handelsübliche Baskenmütze mit Strickbund, die ihr Haar, den Haaransatz und die Ohren komplett bedeckt. Dies kombinierte sie mit einer Halsbedeckung, etwa einem gleichfarbigen Rollkragenpullover. Im Rahmen eines Personalgesprächs ließ die Beschwerdeführerin die Frage, warum sie diese Kopfbedeckung trage, gegenüber der Schulleiterin unbeantwortet, bestätigte aber, dass sie das Kopftuch in der Vergangenheit aus religiösen Gründen getragen habe.

9

Die Schulbehörde erteilte der Beschwerdeführerin eine Abmahnung und drohte ihr für den Fall unveränderten Verhaltens die Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Das religiös motivierte Tragen einer kopftuchähnlichen Kopfbedeckung in der Schule entfalte Signalwirkung und mache religiöse Zusammenhänge für außenstehende Beobachter sichtbar. So könne der Schulfrieden gefährdet werden. Zudem stelle es ein äußeres Verhalten dar, das bei Schülern und Eltern den Eindruck hervorrufen könne, dass die Beschwerdeführerin gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung von Mann und Frau nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftrete. Die Beschwerdeführerin verstoße daher gegen § 57 Abs. 4 SchulG NW.

10

b) Die Beschwerdeführerin erhob vor dem Arbeitsgericht Klage, mit der sie die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangte.

11

aa) Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus:

12

Die Einschätzung des Landes, die Beschwerdeführerin habe durch das Tragen der Mütze gegen das Neutralitätsgebot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW verstoßen und damit zugleich ihre vertraglichen Pflichten verletzt, sei zutreffend. Ob darin auch ein Verhalten zu sehen sei, das bei Schülern oder Eltern den Eindruck hervorrufen könne, dass sie gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftrete (§ 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW), könne dahinstehen. Eine Sozialpädagogin, die in der Schule dauerhaft eine Mütze trage, die Haare und Ohren vollständig umschließe, gebe damit zu verstehen, dass sie sich zur Religion des Islam bekenne und sich gehalten sehe, dessen von ihr als verpflichtend empfundene Bekleidungsvorschriften zu beachten. Hierin liege die bewusste, an die Außenwelt gerichtete Kundgabe einer religiösen Überzeugung. Diese Bekundung sei abstrakt geeignet, die Neutralität des Landes oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Soweit § 57 SchulG NW hier anzuwenden sei, sei er mit höherrangigem Recht vereinbar. Es sei Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zu entscheiden, ob er eine großzügige Lösung wähle, die es ermögliche, die zunehmende religiöse Vielfalt in der Schule aufzunehmen und als Mittel für die Einübung gegenseitiger Toleranz zu nutzen, oder ob er wegen des größeren Konfliktpotentials in der Schule den Weg gehe, der staatlichen Neutralitätspflicht im schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fernzuhalten, um Konflikte von vornherein zu vermeiden.

13

Auch § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW verletze keine Grundrechte. Eine unzulässige Bevorzugung christlicher Konfessionen sei mit der darin enthaltenen Klarstellung nicht verbunden. Der Begriff des "Christlichen" bezeichne in dieser Vorschrift eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liege und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruche. Nonnenhabit und Kippa würden vom Verbot religiöser Bekundungen in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ebenfalls erfasst. Insoweit sei kein Vollzugsdefizit zu verzeichnen, da das Land keine mit der Beschwerdeführerin vergleichbare Angestellte mit Ordenshabit oder jüdischer Kippa beschäftige.

14

bb) Die hiergegen eingelegte Berufung der Beschwerdeführerin blieb vor dem Landesarbeitsgericht erfolglos. Dieses schloss sich im Wesentlichen der Auffassung des Arbeitsgerichts an und vertiefte dessen rechtliche Ausführungen.

15

cc) Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Beschwerdeführerin zurück und führte unter anderem aus: Die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte könne in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB unter anderem dann verlangt werden, wenn die Abmahnung unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalte. Das sei hier nicht der Fall, da die Beschwerdeführerin gegen das Bekundungsverbot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW verstoßen habe. Diese Bestimmung verletze kein höherrangiges Recht.

16

(1) Eine religiöse Bekundung im Sinne von § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW sei im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Hinweis auf BVerwGE 121, 140) die bewusste, an die Außenwelt gerichtete Kundgabe einer religiösen Überzeugung. Zur Bestimmung des Erklärungswerts einer Kundgabe sei auf diejenige Deutungsmöglichkeit abzustellen, die für eine nicht unerhebliche Zahl von Betrachtern naheliege. Insbesondere komme es auf die Deutung durch Schüler und Eltern aus der Sicht eines objektiven Betrachters an. Dabei seien alle in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

17

Der religiöse Symbolcharakter getragener Kleidung müsse sich nicht aus dem Kleidungsstück als solchem ergeben. Eine religiöse Bekundung könne auch darin liegen, dass dem Kleidungsstück für den Träger offensichtlich eine besondere Bedeutung zukomme, etwa weil es erkennbar aus dem Rahmen der in der Schule üblichen Bekleidung falle und ausnahmslos zu jeder Zeit getragen werde. Ein solch weitgehendes Verständnis entspreche dem Zweck des Bekundungsverbots. Dieses solle weltanschaulich-religiöse Konflikte an öffentlichen Schulen schon im Ansatz verhindern und die Neutralität des Landes auch nach außen wahren. Das verbiete eine Differenzierung zwischen Kleidungsstücken, deren religiöse oder weltanschauliche Motivation offen zutage trete, und solchen, deren Tragen in der Schule immerhin einen entsprechenden Erklärungsbedarf auslöse.

18

(2) Danach liege im Tragen der Wollmütze eine religiöse Bekundung. Die Beschwerdeführerin trage zwar eine handelsübliche Mütze. Gleichwohl erwecke diese unter den gegebenen Umständen bei Dritten, insbesondere bei Schülern und Eltern, den Eindruck, es handele sich um ein religiöses Symbol, mit dem sich die Beschwerdeführerin zum Islam bekenne. Der religiöse Bedeutungsgehalt ergebe sich daraus, dass die Mütze Haare, Haaransatz und Ohren komplett bedecke und ein stets zugleich getragener gleichfarbiger Rollkragenpullover auch den Hals umschließe. Hinzu komme, dass die Beschwerdeführerin das von ihr bisher aus religiösen Gründen getragene Kopftuch nahtlos durch die Mütze ersetzt habe. Sie sei nicht ein einziges Mal ohne diese Kopfbedeckung in der Schule erschienen und trage die Mütze auch bei großer Hitze und unabhängig von den Jahres- und Tageszeiten. Für einen objektiven Betrachter werde damit die Nähe zu einem islamischen Kopftuch offenbar.

19

(3) Das Verhalten der Klägerin sei geeignet, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern und den religiösen Schulfrieden zu gefährden. Das Verbot in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW erfasse nicht erst Bekundungen, die die Neutralität des Landes oder den religiösen Schulfrieden konkret gefährdeten oder gar störten. Das Verbot solle schon einer abstrakten Gefahr vorbeugen, um konkrete Gefährdungen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Im Gesetzeswortlaut komme dies darin zum Ausdruck, dass religiöse Bekundungen bereits dann verboten seien, wenn sie "geeignet" seien, die genannten Schutzgüter zu gefährden. Der Landesgesetzgeber habe ersichtlich darauf Bedacht nehmen wollen, dass die Schule ein Ort sei, an dem unterschiedliche politische und religiöse Auffassungen unausweichlich aufeinanderträfen, deren friedliches Nebeneinander der Staat jedoch zu garantieren habe. Die religiöse Vielfalt in der Gesellschaft habe zu einem vermehrten Potenzial von Konflikten auch in der Schule geführt. In dieser Lage sei der religiöse Schulfrieden schon durch die berechtigte Sorge der Eltern vor einer ungewollten religiösen Beeinflussung ihrer Kinder gefährdet. Dazu könne das religiös bedeutungsvolle Erscheinungsbild des pädagogischen Personals Anlass geben.

20

(4) Die Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NW verstoße nicht gegen höherrangiges Recht.

21

(a) Das Bekundungsverbot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW sei nicht verfassungswidrig. Die Regelung liege im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers. Dieser habe die positive Glaubensfreiheit und die Berufsausübungsfreiheit der pädagogischen Mitarbeiter hinter die staatliche Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität, das Erziehungsrecht der Eltern und die negative Glaubensfreiheit der Schüler zurücktreten lassen dürfen, um die Neutralität der Schule und den Schulfrieden zu sichern. Die Vermeidung weltanschaulich-religiöser Konflikte in öffentlichen Schulen stelle ein gewichtiges Gemeingut dar. Zu diesem Zweck seien gesetzliche Einschränkungen der Glaubensfreiheit rechtlich zulässig. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die landesgesetzliche Regelung religiöse Bekundungen von Lehrern in öffentlichen Schulen ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls untersage. Der Gesetzgeber dürfe Gefährdungen des Schulfriedens dadurch vorbeugen, dass er Lehrern bereits das Tragen religiös bedeutsamer Kleidungsstücke oder Symbole verbiete; er müsse konfliktvermeidende Regelungen nicht an die konkrete Gefahr einer drohenden Auseinandersetzung knüpfen.

22

Das Neutralitätsgebot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Es behandele die verschiedenen Religionen nicht unterschiedlich. Die gesetzliche Regelung erfasse jede Art religiöser Bekundung unabhängig von deren Inhalt. Christliche Glaubensbekundungen würden nicht bevorzugt. Dies gelte auch mit Blick auf § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW. Nach dieser Bestimmung widerspreche die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Art. 7 und Art. 12 Abs. 6 (heute: Art. 12 Abs. 3) der Landesverfassung Nordrhein-Westfalens und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen nicht dem Verhaltensgebot nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW. Gegenstand der Regelung in Satz 3 der Vorschrift sei die Darstellung, nicht die Bekundung christlicher Werte. Bestimmte Werte darzustellen heiße, sie zu erörtern und zum Gegenstand einer Diskussion zu machen. Das schließe die Möglichkeit der Rückfrage und Kritik ein. Die Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte sei nicht gleichzusetzen mit der Bekundung eines individuellen Bekenntnisses. Bei ihr gehe es nicht um die Kundgabe innerer Verbindlichkeiten, die der Darstellende für sich anerkannt habe. Außerdem bezeichne der Begriff des "Christlichen" - ungeachtet seiner Herkunft aus dem religiösen Bereich - eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liege und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruche. Der Auftrag zur Weitergabe christlicher Bildungs- und Kulturwerte verpflichte und berechtige die Schule deshalb nicht zur Vermittlung bestimmter Glaubensinhalte, sondern betreffe Werte, denen jeder Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unabhängig von seiner religiösen Überzeugung vorbehaltlos zustimmen könne.

23

Die Regelung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW behandele die Beschwerdeführerin auch nicht wegen ihres Geschlechts ungleich. Die Vorschrift verbiete religiöse Bekundungen unabhängig vom Geschlecht. Sie richte sich nicht etwa speziell gegen das von Frauen getragene islamische Kopftuch oder entsprechende Kopfbedeckungen.

24

(b) Das Neutralitätsgebot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW verstoße nicht gegen Art. 9 EMRK. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe entschieden, dass ein Verbot, während des Unterrichts an öffentlichen Schulen religiöse Symbole zu tragen, eine nach Art. 9 Abs. 2 EMRK notwendige Einschränkung der nach Absatz 1 der Bestimmung gewährleisteten Religionsfreiheit eines Lehrers sei; dieses werde wegen der möglichen Beeinträchtigung der Grundrechte der Schüler und Eltern ausgesprochen, um die Neutralität des Unterrichts zu gewährleisten. Allerdings sei den Konventionsstaaten ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Die Regelungen könnten entsprechend den jeweiligen Traditionen und den Erfordernissen zum Schutz der Rechte anderer und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung von Staat zu Staat verschieden sein. Auf dieser Grundlage habe der Gerichtshof das an eine Lehrerin adressierte Verbot, an einer Schweizer Grundschule während des Unterrichts ein islamisches Kopftuch zu tragen, ebenso als mit der Religionsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 EMRK vereinbar angesehen wie das generelle, nicht nur für Dozentinnen, sondern auch für Studentinnen geltende Verbot, ein solches Kopftuch an türkischen Hochschulen zu tragen. Darin liege keine Diskriminierung von Frauen, wenn auch Verbotsmaßnahmen gegen Männer vorgesehen seien, falls diese ihre religiöse Überzeugung unter den gleichen Umständen durch das Tragen von Kleidungsstücken bekundeten.

25

(c) § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW verletze als landesrechtliche Vorschrift nicht das bundesgesetzliche Diskriminierungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Zwar könne das Bekundungsverbot zu einer unmittelbaren Benachteiligung der Lehrkraft aus Gründen der Religion im Sinne von § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 AGG führen. Eine unterschiedliche Behandlung aus religiösen Gründen zur Erfüllung einer wesentlichen beruflichen Anforderung sei nach § 8 Abs. 1 AGG aber zulässig, wenn der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen sei. Dies sei hier der Fall.

2. Das Verfahren 1 BvR 1181/10 (der Beschwerdeführerin zu II.)

26

a) Die im Jahr 1977 geborene Beschwerdeführerin trat 2001 als angestellte Lehrerin in ein zunächst befristetes Arbeitsverhältnis mit dem Land Nordrhein-Westfalen ein, das später in ein unbefristetes umgewandelt wurde. Sie ist ebenfalls Muslimin türkischer Abstammung und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie erteilte an mehreren Schulen im Bereich des Schulamts R. muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache. Am Unterricht nahmen ausschließlich muslimische Schüler teil, die diesen Unterricht freiwillig gewählt hatten. Bei ihrer Bewerbung hatte die Beschwerdeführerin ein Lichtbild eingereicht, das sie mit Kopftuch zeigte. Sie verrichtete ihren Dienst stets mit einem Kopftuch, ohne dass es deswegen zu Beanstandungen kam.

27

Im August 2006 wurde die Beschwerdeführerin von ihrem Schulleiter davon in Kenntnis gesetzt, dass das Tragen eines Kopftuchs nach islamischem Religionsbrauch mit den neuen gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr vereinbar sei. Sie führte daraufhin in einer schriftlichen Stellungnahme aus, sie trage das Kopftuch seit ihrem zwölften Lebensjahr, und zwar aufgrund eigenen Wunsches und aus religiöser Überzeugung.

28

Nach einer erneuten Anhörung der Beschwerdeführerin sprach das Land Nordrhein-Westfalen im November 2006 schriftlich eine Abmahnung aus. Darin hielt es der Beschwerdeführerin das Tragen des Kopftuchs als Pflichtenverstoß vor und kündigte arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zur Kündigung an, falls sie nicht künftig dauerhaft ohne Kopftuch in der Schule erscheinen sollte. Das Tragen des islamischen Kopftuchs könne den Schulfrieden gefährden und den Eindruck hervorrufen, dass die Beschwerdeführerin gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung von Mann und Frau nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftrete.

29

Die Beschwerdeführerin kam der Aufforderung nicht nach. Nach Zustimmung des Personalrats erklärte das Land Nordrhein-Westfalen daraufhin im Februar 2007 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2007.

30

b) Die Beschwerdeführerin ging gerichtlich zunächst gegen die Abmahnung und später gegen die Kündigung vor. Das Arbeitsgericht wies beide Klagen ab. Die hiergegen eingelegten Berufungen blieben vor dem Landesarbeitsgericht erfolglos. Die Gerichte führten übereinstimmend aus, das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht verstoße als religiöse Bekundung jedenfalls gegen § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW, gegen dessen Verfassungsmäßigkeit keine Bedenken bestünden. Auch unter Einbeziehung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW seien weder das Gleichheitsgebot noch die Religionsfreiheit verletzt.

31

c) Die Beschwerdeführerin legte gegen beide Entscheidungen Revision ein. Das Bundesarbeitsgericht verband die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und wies die Revisionen zurück. Die Kündigung der Beschwerdeführerin sei aus verhaltensbedingten Gründen im Sinne von § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) sozial gerechtfertigt. Eine Kündigung sei durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt, wenn dieser mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - in der Regel schuldhaft - erheblich verletzt habe, das Arbeitsverhältnis dadurch konkret beeinträchtigt werde, die zumutbare Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung nicht bestehe und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheine.

32

Eine solche Pflichtverletzung liege in dem Verstoß der Beschwerdeführerin gegen das Neutralitätsgebot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW. Dieses habe sie durch die bewusste Wahl einer religiös bestimmten Kleidung verletzt. Es bestehe auch nach ihren eigenen Bekundungen kein Zweifel, dass sie das Kopftuch trage, weil sie einem von ihr als maßgeblich empfundenen religiösen Brauch folgen wolle. In diesem Sinne fasse auch der unbefangene Beobachter das Tragen des Kopftuchs auf.

33

Das Verhalten der Beschwerdeführerin sei nach Maßgabe der bisherigen - in dem Verfahren 1 BvR 471/10 angegriffenen - Rechtsprechung geeignet, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern sowie den religiösen Schulfrieden abstrakt zu gefährden. Dass die Beschwerdeführerin ausschließlich muslimische Schüler unterrichte und diese freiwillig am muttersprachlichen Unterricht teilnähmen, führe zu keiner anderen Bewertung. Vielmehr gewinne die religiöse Neutralität gerade dort Bedeutung, wo ihre Verletzung als religiöse Parteinahme gewertet werden könne. Das sei bei einem von den Anhängern eines Glaubens nicht einhellig befolgten religiös bestimmten Brauch wie dem Tragen eines Kopftuchs in besonderem Maße der Fall, weil der Eindruck entstehen könne, durch die Duldung des Brauchs werde er gewissermaßen offiziell als verbindlich oder vorbildlich anerkannt. Eben diese Parteinahme solle durch das Gesetz vermieden werden.

34

Unter Hinweis auf seine in dem Verfahren 1 BvR 471/10 angegriffene Entscheidung führte das Bundesarbeitsgericht weiter aus, die Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NW sei nicht verfassungswidrig und verstoße nicht gegen Art. 9 EMRK oder § 7 Abs. 1 AGG.

35

Die Beschwerdeführerin habe auch unter dem von ihr geltend gemachten Gesichtspunkt eines Vollzugsdefizits keinen Anspruch darauf, während des Unterrichts ein Kopftuch zu tragen. Weder ergebe sich aus der von ihr bemängelten Verwaltungspraxis ein Anhaltspunkt dafür, dass im Gesetz bereits eine Ungleichbehandlung angelegt sei, noch sei diese Verwaltungspraxis zu beanstanden. Der Umstand, dass an der Westfälischen Schule für Blinde und Sehbehinderte in Paderborn eine Schwester in Ordenstracht unterrichte, reiche nicht aus, um auf eine einseitig gegen islamische Bekundungen gerichtete, christliche Bekundungen verschonende Verwaltungspraxis des beklagten Landes zu schließen. Vielmehr handele es sich insoweit um eine historisch bedingte Sondersituation. Dass bei dem beklagten Land noch weitere Lehrer beschäftigt würden, die im Unterricht religiösen Kleidungsbräuchen folgten, sei nicht ersichtlich.

36

Ohne Erfolg mache die Beschwerdeführerin Vertrauensschutz für sich geltend. Es liege weder eine echte noch eine unechte Rückwirkung vor. Die Vorschrift des § 57 Abs. 4 SchulG NW knüpfe nicht an religiöse Bekundungen vor ihrem Inkrafttreten am 1. August 2006 an. Dass die Beschwerdeführerin Dispositionen in der Erwartung getroffen habe, die Rechtslage werde sich nicht ändern, führe nicht zu einer ihr günstigeren Bewertung. Die bloße Annahme, rechtlich werde alles bleiben, wie es ist, genieße keinen rechtlichen Schutz.

37

Die Beschwerdeführerin sei trotz der berechtigten Abmahnung nicht bereit gewesen, bei der Arbeit das Kopftuch abzulegen. Mit einer Änderung ihres Verhaltens sei nicht zu rechnen. Die nach § 1 Abs. 2 KSchG erforderliche umfassende Interessenabwägung führe nicht zur Sozialwidrigkeit der Kündigung. Das Landesarbeitsgericht habe diese Interessenabwägung zutreffend vorgenommen. Es habe zugunsten der Beschwerdeführerin die Dauer der beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit und die soziale Situation in Ansatz gebracht, sei sodann aber - was revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sei - zu dem Schluss gekommen, dass dem beklagten Land eine dauerhafte Missachtung der gesetzlichen Verhaltensregelung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW gleichwohl nicht zugemutet werden könne. Die Beschwerdeführerin habe danach auch keinen Anspruch auf die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.

III.

38

Die Beschwerdeführerinnen wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die sie betreffenden arbeitsgerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen die zugrunde liegende landesschulgesetzliche Regelung.

1. Das Verfahren 1 BvR 471/10 (Beschwerdeführerin zu I.)

39

Die Beschwerdeführerin zu I.) rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und 3 sowie von Art. 33 Abs. 2 und 3 GG, auch in Verbindung mit Art. 9 und Art. 14 EMRK, durch die mittelbar angegriffenen Vorschriften sowie von Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2 und 3 GG und ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen. Sie beanstandet weiter, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts verletze sie wegen einer unterbliebenen Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union auch in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

40

a) Die mittelbar angegriffenen gesetzlichen Regelungen seien verfassungswidrig, weil aufgrund des Vorbehalts in § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW zwar die religiös motivierte Kleidung von Muslimen, nicht aber diejenige von Christen oder Juden vom Verbot erfasst sein solle. Die Verfassungswidrigkeit erstrecke sich nicht nur auf die Privilegierungsklausel, sondern auf § 57 Abs. 4 SchulG NW insgesamt, weil der Gesamtregelung ein einheitliches Konzept zugrunde liege.

41

Der Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 2 und 3 GG sei eröffnet, da § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW den Zugang zu öffentlichen Ämtern betreffe. Der Begriff des "öffentlichen Amtes" sei weit zu verstehen und erfasse den gesamten öffentlichen Dienst ungeachtet der Ausgestaltung des Anstellungsverhältnisses. Der Zugang zum öffentlichen Dienst sei betroffen, weil auch bei einem bereits begründeten Dienstverhältnis eine Zuwiderhandlung gegen das Bekundungsverbot eine Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nach sich ziehen könne. Diese falle jedoch als actus contrarius zur Einstellung ebenso in den Schutzbereich des Art. 33 Abs. 2 GG wie die ihr vorgelagerte Abmahnung.

42

Der Vorbehalt zugunsten christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte stelle eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Religion dar. Die entsprechende Regelung erweise sich jedenfalls unter systematischen Gesichtspunkten als Ausnahmeregelung zum Verbot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW. Aus dem Verweis in Satz 3 auf den Satz 1 der Vorschrift folge, dass sich "Bekundung" und "Darstellung" gerade nicht wechselseitig ausschlössen, sondern jeder Fall des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW zugleich eine "äußere Bekundung" darstelle. Mithin komme es für die Auslegung entscheidend auf die Entstehungsgeschichte an, da Wortlaut und Systematik keine eindeutige Sinnermittlung zuließen. Aus den Materialien ergebe sich, dass der Gesetzgeber nicht Bildungsinhalte habe regeln wollen, sondern den Ausdruck individueller Überzeugungen. Dabei habe er das Kopftuch pauschal als mit den Bildungszielen der Verfassung für unvereinbar erachtet, Ordenstracht und Kippa hingegen unabhängig vom Willen des Trägers als Ausdruck bloßer christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte angesehen. Diese Ungleichbehandlung sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, was auch bisher von allen damit befassten Gerichten ebenso gesehen worden sei. Die von diesen insoweit vorgenommene verfassungskonforme Auslegung widerspreche jedoch den hierfür durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäben. An den Absichten des Gesetzgebers gebe es angesichts der Gesetzesbegründung keinen Zweifel. Diese hätten mit dem Verweis in § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW auf Satz 1 dieser Bestimmung hinreichenden Ausdruck im Gesetzeswortlaut gefunden. Im Übrigen führe die im vorliegenden Fall vorgenommene "verfassungskonforme Auslegung" zwangsläufig zu einer Laizisierung der Schule, ohne dass klar sei, ob der Gesetzgeber diese Konsequenz tatsächlich habe ziehen wollen. Die Materialien zeigten, dass die parlamentarische Mehrheit dies gerade habe vermeiden wollen. Deswegen könne sich die Verfassungswidrigkeit auch nicht allein auf § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW erstrecken, da dies eine strengere Neutralitätskonzeption zur Folge hätte, als sie der Gesetzgeber beabsichtigt habe. Dieser habe ein generelles Verbot religiöser Bekleidung nur erlassen wollen, wenn es zugleich gelinge, Symbole der christlichen und abendländischen Tradition auszunehmen.

43

b) Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen seien verfassungswidrig, weil die Gerichte § 57 Abs. 4 SchulG NW nicht verfassungskonform dahingehend ausgelegt hätten, dass eine konkrete Abwägung im Rahmen einer Einzelfallprüfung geboten sei.

44

aa) Der Eingriff in ihre Religionsfreiheit wiege besonders schwer, da die Verhüllung ihres Haares für sie eine unbedingt zu wahrende religiöse Pflicht sei, die ihr in ihrem Kern unmöglich gemacht werde. Unabhängig davon sei auch der Kern ihrer Persönlichkeitsbildung betroffen, da sie nicht mehr über die Reichweite ihres Schamempfindens bestimmen könne.

45

bb) Der Eingriff könne nicht gerechtfertigt werden. Das Gesetz selbst benenne als Ziel der Regelung die Sicherung des Schulfriedens und die Wahrung der staatlichen Neutralität. Der Schulfriede sei allerdings kein unmittelbar geschütztes verfassungsrechtliches Rechtsgut, sondern nur das Ziel eines Ausgleichs mit anderen verfassungsrechtlichen Rechtsgütern. Gleiches gelte für das Prinzip der staatlichen Neutralität. In die Abwägung einzustellen seien jedoch die Grundrechtspositionen von Eltern und Schülern.

46

Zentral für die Entscheidung des Landesgesetzgebers sei eine abstrakte und pauschale Gefahrenprognose, derzufolge äußere Zeichen religiöser Zugehörigkeit den Schulfrieden und die staatliche Neutralität gefährdeten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei aber die Kollision eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts mit anderen Verfassungsgütern stets durch eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls im Wege praktischer Konkordanz aufzulösen. Eine abstrakte Abwägungsentscheidung und damit ein pauschales Verbot werde auch nicht durch das Kopftuch-Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282) zugelassen. Ein pauschales Verbot sei zudem nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig, weil es sich selbst dann noch durchsetze, wenn im konkreten Einzelfall keinerlei Störungen oder Beeinträchtigungen widerstreitender Verfassungsgüter erkennbar seien. Das sei vorliegend aber angesichts ihrer, der Beschwerdeführerin, zehnjährigen konfliktfreien Dienstzeit der Fall. Sie habe zudem mögliche Konflikte gerade dadurch zu entschärfen versucht, dass sie auf ein Kopftuch verzichte. Die von ihr getragene Wollmütze sei kein aus sich heraus verständliches religiöses Symbol und stelle zudem gerade ein positives Bekenntnis zu religiöser Neutralität und Toleranz dar. Zudem könne durch den Verzicht auf eine Einzelfallabwägung Vertrauensschutzgesichtspunkten nicht hinreichend Rechnung getragen werden, soweit das Kopftuchverbot Personen betreffe, für die dieses - wie für sie - zum Zeitpunkt der Dienstaufnahme nicht absehbar gewesen sei.

47

Eine verfassungskonforme Einschränkung sei geboten und könne daran anknüpfen, dass nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW die Bekundung geeignet sein müsse, die geschützten Rechtsgüter zu beeinträchtigen. Diese Beeinträchtigung lasse sich auch konkret verstehen. Das stehe nicht im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers, sondern reduziere lediglich das von ihm beabsichtigte Verbot auf das verfassungsrechtlich zulässige Maß.

48

c) Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts verletze Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Gericht habe seine Feststellung, ein abstraktes Kopftuchverbot ohne Einzelfallprüfung sei nach § 8 AGG zulässig, nicht treffen dürfen, ohne die Frage, ob dies mit Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG vereinbar sei, dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV (jetzt Art. 267 AEUV) sei in unhaltbarer Weise gehandhabt worden, weil der Gerichtshof diese Frage in seiner bisherigen Rechtsprechung noch nicht erschöpfend beantwortet habe und das Bundesarbeitsgericht sich hiermit in keiner Weise auseinandergesetzt habe.

2. Das Verfahren 1 BvR 1181/10 (Beschwerdeführerin zu II.)

49

Die Beschwerdeführerin zu II.) rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 3, von Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1, sowie von Art. 33 Abs. 2 und 3 GG und Art. 9 und Art. 14 EMRK durch die mittelbar angegriffenen Vorschriften sowie durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen. Überdies macht sie eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts geltend.

50

a) Nach den gesetzlichen Bestimmungen sei das Verbot des Tragens eines religiösen Symbols bereits dann gerechtfertigt, wenn ihm nach einer beliebigen Interpretationsmöglichkeit ein Aussagegehalt zugedacht werden könne, der geeignet sei, die staatliche Neutralität oder den Schulfrieden zu stören. Da auf dieser Grundlage muslimischen Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs untersagt werde, das elementarer Bestandteil einer am Islam ausgerichteten Lebensweise sei, werde hierdurch der Schutz des Grundrechts aus Art. 4 GG stark verkürzt.

51

Dies sei jedoch nicht erforderlich. Betrachte man das Kopftuch als ein bloßes Zeichen für eine Religionszugehörigkeit, könne es die staatliche Neutralität nicht gefährden. Diese selbst sei ebenso wie der Schulfriede kein kollidierendes Gut von Verfassungsrang, sondern leite sich lediglich aus dem Schutzgehalt der negativen Religionsfreiheit ab. Sie sei als ein an den Staat adressiertes Abwägungsziel beziehungsweise als Abwägungsgrundsatz zu verstehen, um den Religionsfrieden in der Gesellschaft zu gewährleisten. Auch sei zu berücksichtigen, dass das Tragen des Kopftuchs dem Staat nicht zuzurechnen sei und nicht zwingend den Schulfrieden gefährden müsse. Dies werde am vorliegenden Fall besonders deutlich, da sie, die Beschwerdeführerin, im Rahmen eines freiwilligen Schulangebots unterrichte, alle ihrer Schüler Muslime seien, sie als Kopftuchträgerin eingestellt worden sei und bislang beanstandungsfrei unterrichtet habe. Vor diesem Hintergrund genüge es, wenn bei einer Störung des Schulfriedens im Einzelfall eingegriffen werde.

52

Der Eingriff in ihre Grundrechte sei nicht angemessen. Der Verzicht auf das Kopftuch verursache für eine gläubige Muslimin einen starken Gewissenskonflikt. Ihr werde angesonnen, ihren Beruf aufzugeben, was auch einen Eingriff in Art. 12 GG darstelle. Überdies werde sie in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, weil sie ihr äußeres Erscheinungsbild nicht mehr frei wählen könne. Da es aber in erster Linie um das vorbehaltlose Grundrecht des Art. 4 GG gehe, sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Einzelfallabwägung bei der Herstellung praktischer Konkordanz notwendig. Zu berücksichtigen sei dabei, dass sie als Angestellte nicht den gleichen Loyalitätspflichten unterliege wie Beamte und dass ihr Vertrauensschutz zukomme, weil sie schon bei ihrer Einstellung ein Kopftuch getragen habe.

53

b) Darüber hinaus liege eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 3 GG vor, weil § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW abendländische und christliche Kulturwerte privilegiere. Der Gesetzgeber habe klar zum Ausdruck gebracht, dass das Tragen christlicher Ordenskleidung auf dieser Grundlage nicht verboten sein solle. Hierin liege eine Benachteiligung muslimischer Lehrerinnen aus religiösen Gründen, die nicht gerechtfertigt sei. Faktisch werde jeder Schüler in Ansehung einer Lehrerin in Ordenstracht deren Identifikation mit ihrer Religion ebenso ausgesetzt wie im Fall des Tragens eines Kopftuchs. Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift verbiete sich wegen des ausdrücklich zutage getretenen Willens des Gesetzgebers.

54

c) Die angegriffene Regelung verstoße des Weiteren gegen § 7 Abs. 1 AGG, der als bundesrechtliche Regelung dem § 57 Abs. 4 SchulG NW vorgehe (Art. 31 GG). Die unterschiedliche Behandlung sei nicht nach § 8 AGG gerechtfertigt. Es handele sich bei dem Kopftuchverbot nicht um ein entscheidendes Merkmal für die berufliche Tätigkeit einer Lehrerin. Schon ihr bisher beanstandungsfrei gebliebener Unterricht zeige, dass dies nicht der Fall sei. Im Übrigen müsse der Staat ebenso wie die Gesellschaft auch schlichte religiöse Bekundungen hinnehmen.

55

d) Das Bundesarbeitsgericht habe die Vorlagepflicht zum Europäischen Gerichtshof verletzt, weil dieser die Frage einer pauschalen oder einzelfallbezogenen Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG noch nicht entschieden habe.

IV.

56

Zu den Verfassungsbeschwerden haben Stellung genommen das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen für die Landesregierung, die Niedersächsische Staatskanzlei für die Landesregierung, das Bundesverwaltungsgericht, der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V. (DFW), das Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. (amf), die Alevitische Gemeinde Deutschland e.V., der Verband Bildung und Erziehung e.V. (VBE), der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. (IBKA), die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) und der Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R.

57

1. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen verweist darauf, dass zu den mittelbar angegriffenen Vorschriften die unterschiedlichsten Rechtsauffassungen vertreten würden. Diese Zerrissenheit habe sich seinerzeit in den Debatten des Landtags im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens abgebildet. Deshalb sei es ausdrücklich zu begrüßen, dass sich das Bundesverfassungsgericht nunmehr mit der Materie befassen und für Rechtsklarheit sorgen werde.

58

2. Die Niedersächsische Staatskanzlei geht in ihrer Stellungnahme zunächst auf die Vorschrift des niedersächsischen Schulgesetzes ein, die in § 51 Abs. 3 NSchG das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften regelt und erachtet diese für verfassungsgemäß. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen könne der Gesetzgeber für Kleidungsstücke und äußere Zeichen, die offensichtlich aus weltanschaulich-religiösen Motiven getragen würden, ein generelles Verbot anordnen, so dass eine Einzelfallprüfung entbehrlich sei. Dies ergebe sich aus der Kopftuch-Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282). Etwas anderes gelte in den Fällen, in denen unklar sei, ob einer Bekleidung oder einem Zeichen ein religiöser oder weltanschaulicher Aussagegehalt zukomme. Dies sei von der Schulbehörde vom objektiven Empfängerhorizont aus zu beurteilen.

59

Die Bestimmung löse das unvermeidliche Spannungsverhältnis der in Rede stehenden Grundrechte unter Berücksichtigung des Toleranzgebots in angemessener Weise auf. Der Gesetzgeber habe sich in Anlehnung an die Kopftuch-Entscheidung (BVerfGE 108, 282) daran orientiert, dass einerseits Art. 7 GG im Bereich des Schulwesens weltanschaulich-religiöse Einflüsse unter Wahrung des Erziehungsrechts der Eltern zulasse und dass andererseits Art. 4 GG gebiete, bei der Entscheidung für eine bestimmte Schulform weltanschaulich-religiöse Zwänge so weit wie möglich auszuschalten. Damit sei ein Mittelweg eingeschlagen worden. Den Lehrkräften sei grundsätzlich zugestanden, ihre Glaubensfreiheit auch im Dienst auszuüben. Diese werde erst dort eingeschränkt, wo Zweifel an der neutralen Erfüllung des staatlichen Bildungsauftrags aufkämen. Dies sei etwa dann der Fall, wenn eine Lehrkraft im Dienst ein islamisches Kopftuch oder eine Burka trage. Wären solche religiösen Kultushandlungen zulässig, liefe die negative Glaubensfreiheit der Schüler ins Leere. Da diese verpflichtet seien, am Schulbetrieb teilzunehmen, könnten sie weltanschaulich-religiösen Handlungen der Lehrkräfte nicht aus dem Wege gehen. Das elterliche Erziehungsrecht in religiösen Fragen werde ebenfalls unzulässig verkürzt. Für den weltanschaulich-religiösen Bereich bedeute das Toleranzgebot, dass Schüler an öffentlichen Schulen zwar mit verschiedenen weltanschaulich-religiösen Auffassungen und Bekundungen in Berührung kommen dürften und sollten, aber in einer maßvollen und nicht etwa aufdringlichen oder erdrückenden Weise. Dieses Ergebnis entspreche der praktischen Konkordanz.

60

Folglich sei § 57 Abs. 4 SchulG NW grundsätzlich als verfassungsgemäß anzusehen. Soweit allerdings § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW in Rede stehe, werde von einer Stellungnahme abgesehen, da in Niedersachsen auf eine vergleichbare Regelung bewusst verzichtet worden sei.

61

3. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat Stellungnahmen des dortigen 2. und 6. Revisionssenats übermittelt. Der 2. Revisionssenat teilt mit, dass er mit den angegriffenen Regelungen selbst bisher nicht befasst gewesen sei. Im Übrigen verweist er auf seine bisherige Rechtsprechung zu § 38 Abs. 2 SchulG BW und § 59b Abs. 4 BremSchulG (BVerwGE 121, 140; 131, 242). Der 6. Revisionssenat weist auf eine Entscheidung über die Befreiung einer muslimischen Schülerin vom koedukativen Sportunterricht aus Gründen der Befolgung islamischer Bekleidungsvorschriften hin (BVerwGE 94, 82). Die Erwägungen dieser Entscheidung seien auf die hier vorliegende Problematik aber nicht übertragbar.

62

4. Der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V. (DFW) hält § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW für verfassungswidrig. Die Ausklammerung christlicher und abendländischer Kulturwerte aus dem Bekundungsverbot verstoße gegen das Neutralitätsgebot des Staates und sei unzulässig gegen den Islam gerichtet. Eine einseitige Hervorhebung christlicher Kulturwerte gründe auf einer ideologisch geprägten Darstellung der europäischen Kulturgeschichte selbst, die auf noch anderen Religionen als allein der christlichen beruhe. Für die Beibehaltung der übrigen Regelungen der Vorschrift sprächen allerdings die Grundrechte von Schülern und Eltern.

63

5. Das Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. (amf) meint, § 57 Abs. 4 SchulG NW sei verfassungswidrig. Er missachte die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus der Kopftuch-Entscheidung des Zweiten Senats (BVerfGE 108, 282). Die Vorschrift verletze die staatliche Neutralitätspflicht, weil sie Religionen ungleich behandele. Das Kopftuch werde - entgegen dem Sinngehalt, den die einzelnen Betroffenen und der Islam ihm gäben - auf eine dem Gesetzgeber genehme, nämlich eine nicht mit der Verfassung kompatible Deutung reduziert. Die notwendigen empirischen Belege für eine beeinflussende und den Schulfrieden störende Wirkung des Kopftuchs seien nicht erbracht worden. Dabei habe in Nordrhein-Westfalen von 1970 bis 2010 eine Grundschullehrerin mit Kopftuch unterrichtet, so dass ein solcher Nachweis möglich gewesen wäre.

64

Das Kopftuchverbot habe eine diskriminierende Wirkung. Es treffe ausschließlich Frauen und unter ihnen wiederum nur diejenigen, die ein Kopftuch trügen. Auch habe das Gesetz dazu geführt, dass die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung für Kopftuch tragende Frauen nicht nur im Schulbereich unmöglich geworden sei und dass Nachteile geschaffen worden seien, die es zuvor nicht in dieser Ausprägung gegeben habe. Schließlich seien muslimische Frauen insoweit benachteiligt, als anderen Religionen das Kopftuch als Teil der Religionsausübung unbekannt sei. Das Kopftuchverbot habe aus selbstbewussten, integrierten und ökonomisch unabhängigen Frauen verunsicherte, ausgegrenzte und abhängige Frauen gemacht; es habe solche, die ein nicht-traditionelles Rollenbild gelebt hätten, in ein traditionelles gezwungen und muslimischen Schülerinnen, die ein Kopftuch tragen wollten, gezeigt, dass sie sich zwischen Kopftuch und Karriere entscheiden müssten.

65

Die Erfahrungen, die Kopftuch tragende Lehrerinnen nach Inkrafttreten des Gesetzes gemacht hätten, beschreibt das Aktionsbündnis wie folgt: Zu Beginn sei das Kopftuchverbot im schulischen Umfeld weitgehend auf Unverständnis gestoßen. Das Klima habe sich im Laufe der Zeit aber als Folge der emotionalen Diskussion eingetrübt. Die Situation der Lehrerinnen, die wegen der laufenden Verfahren noch mit Kopftuch unterrichten dürften, gestalte sich auch dann schwieriger, wenn eine vermeintlich muslimische Lehrerin in das Kollegium eintrete, die kein Kopftuch trage, weil diese ihnen als "Vorbild" vorgehalten werde. Auch laizistisch geprägte türkische Lehrerinnen reagierten oft ablehnend. Das soziale Umfeld der betroffenen Frauen sei hingegen bereit, jede ihrer Entscheidungen zu unterstützen, auch das Ablegen des Kopftuchs. Zuweilen werde durch Familienangehörige darauf sogar gedrängt, damit das Einkommen der Frauen nicht wegfalle.

66

Unverständlich und mit dem Gesetz unvereinbar sei es, wenn die Schulverwaltung das Tragen einer Mütze als Kompromiss nicht zulasse. Denn eine verfassungsrechtlich bedenkliche Signalwirkung könne von dieser nicht ausgehen. Gleiches gelte für alternative Bindetechniken des Kopftuchs. Geduldet werde von den Behörden allenfalls das alternative Tragen einer Perücke, wenn diese aus echtem Haar sei und deshalb nicht künstlich wirke, die Ohren nicht bedecke und dazu kein Schal oder Rollkragen getragen werde; allerdings sei unklar, ob tatsächlich alle diese Bedingungen durchgesetzt würden. Die Lehrerinnen, die sich hierzu bereiterklärt hätten, hätten dies nur getan, weil der Verlust des Arbeitsplatzes für sie zu inakzeptablen ökonomischen Konsequenzen geführt hätte.

67

Die Lehrerinnen, die ihre Tätigkeit hätten aufgeben müssen, hätten zuvor verschiedentlich Ausweichversuche unternommen. Im schulnahen Bereich hätten sie dabei jedoch oft die Erfahrung gemacht, dass das Kopftuchverbot wohl mit Rücksicht auf die vermeintlich im Gesetz zum Ausdruck kommende Mehrheitsmeinung auch dort faktisch angewendet werde, wo es eigentlich nicht gelte. Selbst Privatschulen seien nicht bereit, Ausnahmen zuzulassen.

68

6. Die Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. erklärt, sie sei gegen das Kopftuchtragen von Lehrerinnen oder Angestellten des öffentlichen Dienstes, da der Staat in diesem Bereich seine strikte Neutralität wahren müsse. Mädchen sollten sich frei entscheiden können, ob sie ein Kopftuch tragen wollten oder nicht. Trage eine Lehrerin als Autoritätsperson ein Kopftuch, könne das Schülerinnen unter Druck setzen und ihre Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen. Diese Vorbildwirkung könne auch dazu führen, dass die Familie Druck auf die Schülerinnen ausübe. Alevitische Mädchen, für die das Kopftuch keine religiöse Pflicht sei, erlebten das Kopftuch in der Schule oft als diskriminierend, weil ihnen von muslimischen Mitschülerinnen die Verletzung religiöser Regeln vorgeworfen werde. Schon der Druck, der hier von anderen Schülerinnen ausgeübt werde, sei groß. Insofern werde die Wahlfreiheit von Schülerinnen durch Kopftuch tragende Lehrerinnen enorm beeinträchtigt.

69

7. Der Verband Bildung und Erziehung e.V. (VBE) hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet. § 57 Abs. 4 SchulG NW sei eine vertretbare und praxisorientierte Regelung, deren Bestand befürwortet werde. Gerade in Nordrhein-Westfalen zeige sich, dass die Schule vermehrt zu einem Ort werde, der mit unterschiedlichen politischen, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen konfrontiert werde. Es sei wichtig, dass der Staat eine neutrale Haltung einnehme, um das Recht aller Schüler auf Erziehung wahrnehmen zu können. Aus der praktischen Erfahrung wisse man, dass das Kopftuch einer Lehrerin bei Schülern und deren Eltern oft ablehnende Reaktionen hervorrufe. Dass es den Zugang zu bestimmten Gruppen von Schülern und Eltern erleichtere, sei nicht von Bedeutung; denn es gehe gerade um die Neutralität des Lehrers gegenüber allen Gruppen. Geringere Anforderungen an angestellte Lehrkräfte seien diesbezüglich nicht angezeigt, zumal auch der Tarifvertrag die Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber enthalte. Auch Sozialpädagogen übernähmen sensible hoheitliche Aufgaben und verträten den öffentlichen Dienst nach außen. Die Frage einer Privilegierung anderer Religionen bedürfe noch der Klärung. Allerdings gehe es, wie die praktische Erfahrung zeige, einer Nonne im Habit nicht um eine persönliche religiöse Bekundung, sondern um das Tragen einer althergebrachten Tracht. Das Kopftuch sei hingegen stets eine persönliche religiöse Bekundung.

70

8. Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. (IBKA) ist der Ansicht, ein allgemeines Verbot religiöser Bekundungen durch Lehrer sei verfassungskonform. Der hierin liegende Grundrechtseingriff sei gerechtfertigt. Der mit der Religionsfreiheit gewährleistete staatsfreie Raum finde seine Schranken jedenfalls dort, wo durch den Grundrechtsträger der Staat selbst handele. Dem Freiheitsrecht des Lehrers trete nicht ein Anspruch des Staates auf Neutralität entgegen, sondern jene grundrechtlichen Ansprüche Dritter, die den Staat verpflichteten. Als Repräsentant des Staates dürfe der Lehrer nicht in einer Weise in Grundrechte eingreifen, die dem Staat selbst verboten sei. Dies gelte unabhängig von der Art des Dienstverhältnisses. Der Staat sei berechtigt, seine Organisation so zu gestalten, dass die Einhaltung der ihm auferlegten Grenzen durch die einzelnen Amtsträger möglich sei. Da auch der Amtsträger grundrechtsberechtigt sei, dürfe nicht jede religiöse Äußerung verboten werden, sondern nur jene, die geeignet sei, den Schulfrieden zu stören. Eine Einzelfallprüfung sei dabei nicht zwingend, auch nicht im Lichte der bisherigen Rechtsprechung zu schrankenlosen Grundrechten; denn diese beziehe sich nicht auf die Grundrechtsausübung im Amt, so dass hier eine engere Grenzziehung nicht ausgeschlossen sei.

71

Mit Blick auf die Feststellung einer Eignung der religiösen Bekundung, den religiösen Frieden zu stören, müsse gewährleistet sein, dass nicht jede religiöse Äußerung verboten werde; ein friedlicher Diskurs müsse möglich bleiben. Überdies dürfe die Friedensgefährdung nicht demjenigen zur Last gelegt werden, der die Intoleranz anderer auf sich ziehe.

72

Die Ausnahmeregelung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW sei verfassungswidrig; eine verfassungskonforme Interpretation scheide aus. Schon die in Bezug genommenen Vorschriften des Landesverfassungsrechts seien verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht sei aufgefordert, seine Rechtsprechung zur Anerkennung des Christentums als prägendem Kultur- und Bildungsfaktor aufzugeben. Die Werteordnung des Grundgesetzes beruhe nicht auf dem Christentum. Soweit kulturelle Elemente christlichen Ursprungs seien, seien sie heute gänzlich säkularisiert und dürften deshalb nicht als Grundlage einer Privilegierung herangezogen werden. Schließlich habe sich die Gesellschaft in den letzten Jahren so sehr entkirchlicht, dass niemand mehr gezwungen sei, mit Elementen christlichen religiösen Lebens umzugehen.

73

Die Anwendung des Kopftuchverbots auf sonstige pädagogische Mitarbeiter sei unbedenklich. Denn diese hätten durch ihre Schiedsfunktion sogar eine höhere Autorität als Lehrer. Insofern sei es bedenklich, wenn geltend gemacht werde, dass gerade durch das Kopftuch eine höhere Akzeptanz bestehe. Denn der schulische Erziehungsauftrag bestehe auch darin, Respekt für Frauen ohne Kopftuch zu erwirken. Es sei zu befürchten, dass die Kehrseite dieser besonderen Akzeptanz in einer Bestärkung der Ablehnung von Frauen ohne Kopftuch liege. Auch könne nicht eingewandt werden, dass das Angebot für Schüler freiwillig sei. Auf diese Weise würden Schüler diskriminiert, die das Kopftuch als Beeinträchtigung ihrer Rechte ansähen. Gleiches gelte für den muttersprachlichen Ergänzungsunterricht. Hier könne weder davon ausgegangen werden, dass alle potentiellen Schüler Muslime seien, noch dass alle muslimischen Schülerinnen mit der Wirkung, die von einer kopftuchtragenden Lehrerin ausgehe, einverstanden seien.

74

9. Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) hat folgende theologische Bewertung ihres Obersten Religionsrates mitgeteilt: Muslimische Frauen müssten ab Eintritt der Pubertät in Gegenwart von Männern, mit denen sie nicht verwandt seien und die zu ehelichen ihnen religionsrechtlich erlaubt sei, ihren Körper - mit Ausnahme von Gesicht, Händen und Füßen - mit Kleidung derart bedecken, dass die Konturen und Farbe des Körpers nicht zu sehen seien. Der Kopf gelte dabei als bedeckt, wenn Haare und Hals vollständig bedeckt seien. Dies sei ein nach den Hauptquellen der Rechtsfindung im Islam (Koran, Sunna, Gelehrtenkonsens und allgemeiner Übereinkunft der Gemeinden) bestimmtes religiöses Gebot definitiver Qualität. In welcher Weise die vorgeschriebene Bedeckung erfolge, sei allein die Entscheidung der muslimischen Frau. Das Tragen des Kopftuchs diene demnach ausschließlich der Erfüllung eines religiösen Gebots und habe darüber hinaus für die Trägerin weder einen symbolischen Charakter noch diene es der Bekundung nach außen.

75

10. Der Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R. erachtet das Verbot des Tragens einer Mütze durch eine Lehrerin für verfassungswidrig. Mit Blick auf Art. 4 GG sei nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr durch das Tragen einer Mütze oder eines Kopftuchs in Bezug auf Rechte Dritter gegeben sein könne. Es sei äußerst bedenklich, wenn es in Deutschland tatsächlich nicht möglich sein solle, in allen Bereichen erkennbar zeigen zu dürfen, welcher Religion man angehöre. Im vorliegenden Fall sei keinerlei Verhalten erkennbar, durch das Schüler oder Eltern gefährdet worden seien.

76

Was § 57 Abs. 4 SchulG NW angehe, sei unabdingbar, dass aufgrund der gravierenden Beeinträchtigung der Religionsfreiheit jeder Einzelfall geprüft werde. Die Anerkennung der "christlichen und abendländischen Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen" sei zu begrüßen. Dies dürfe aber nicht zu einer "Rangfolge" von Religionen und Anschauungen führen. Keinesfalls dürfe ohne genaue individuelle Prüfung pauschal abstrakt angenommen werden, dass jemand allein deshalb, weil er sichtbar einer bestimmten Kultur oder Religion angehöre, als Gefährdung der Menschenwürde, der Gleichberechtigung oder der freiheitlich-demokratischen Grundordnung angesehen werde.

B.

77

Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind im Wesentlichen begründet.

78

Die Vorschriften des § 57 Abs. 4 Satz 1 und 2 und des § 58 Satz 2 SchulG NW sind in den Fällen religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen nur nach Maßgabe einer der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gerecht werdenden einschränkenden Interpretation mit dem Grundgesetz vereinbar. Die von den Beschwerdeführerinnen beanstandeten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen werden diesen Anforderungen nicht gerecht und verletzen sie deshalb in ihrem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Der als Privilegierungsvorschrift zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen konzipierte § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW steht nicht im Einklang mit dem Verbot der Benachteiligung aus religiösen Gründen (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 3 GG). Das lässt jedoch den Bestand der Regelung im Übrigen und die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung der Sätze 1 und 2 des § 57 Abs. 4 SchulG NW unberührt.

I.

79

Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung sind die angegriffenen Entscheidungen der Arbeitsgerichte und die ihnen zugrunde liegende Verbotsbestimmung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW, soweit diese religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild des pädagogischen Personals betrifft. Die Prüfung der Norm ist auch auf Satz 2 und Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW zu erstrecken, obgleich sich die Arbeitsgerichte ausdrücklich nur auf das Bekundungsverbot des Satzes 1 gestützt haben. Der Regelung liegt ein einheitliches Konzept zugrunde. Dies kommt auch in der sprachlichen Anknüpfung des Satzes 2 an Satz 1 ("Insbesondere …") zum Ausdruck. Der von den Beschwerdeführerinnen beanstandete Satz 3 knüpft gleichfalls an Satz 1 an und ist in die Prüfung einzubeziehen, weil seine Privilegierung christlicher und jüdischer Religionen den Beschwerdeführerinnen bei der Anwendung des Satzes 1 gleichheitswidrig nicht zugute kommt. Die den Anwendungsbereich der Norm auf sonstige, bei der Bildungs- und Erziehungsarbeit mitwirkende pädagogische und sozialpädagogische Mitarbeiter erweiternde Vorschrift des § 58 Satz 2 SchulG NW ist Gegenstand der Prüfung, weil sie im Fall der Beschwerdeführerin zu I.) unverzichtbarer Teil der von den Arbeitsgerichten angewandten Rechtsgrundlage ist.

II.

80

Die in den Ausgangsverfahren ergangenen Urteile der Arbeitsgerichte beruhen auf einer gesetzlichen Grundlage, die der einschränkenden verfassungskonformen Auslegung bedarf. Deren Anforderungen genügen die Urteile nicht. Ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, das bereits die abstrakte Gefahr einer Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausreichen lässt, ist im Blick auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Pädagogen jedenfalls unangemessen und damit unverhältnismäßig, wenn die Bekundung nachvollziehbar auf ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot zurückführbar ist. Erforderlich ist vielmehr eine hinreichend konkrete Gefahr. Eine entsprechende gebietsbezogene, möglicherweise auch landesweite Untersagung kommt von Verfassungs wegen für öffentliche bekenntnisoffene Gemeinschaftsschulen nur dann in Betracht, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter im gesamten Geltungsbereich der Untersagung besteht.

81

Das Bundesarbeitsgericht hat in beiden Ausgangsverfahren - wie im Ergebnis schon die Vorinstanzen - angenommen, das Verhalten der Beschwerdeführerinnen sei im Sinne von § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW geeignet, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern sowie den religiösen Schulfrieden zu gefährden. Das Verbot erfasse nicht erst Bekundungen, die die Neutralität des Landes oder den religiösen Schulfrieden konkret gefährdeten oder gar störten. Es solle schon einer abstrakten Gefahr vorbeugen, um konkrete Gefährdungen gar nicht erst aufkommen zu lassen.

82

Ein so weit greifendes Verständnis des Verbots führt für Fälle der vorliegenden Art zu einem erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des pädagogischen Personals, der in dieser Allgemeinheit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann, weil er sich als unverhältnismäßig erweist.

83

1. Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch den Pädagoginnen und Pädagogen in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, den Regeln ihres Glaubens gemäß einem religiösen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein kann, wenn dies hinreichend plausibel begründet wird.

84

a) Die Beschwerdeführerinnen können sich auch als Angestellte im öffentlichen Dienst auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen (ebenso für Beamte BVerfGE 108, 282<297 f.>). Die Grundrechtsberechtigung der Beschwerdeführerinnen wird durch ihre Eingliederung in den staatlichen Aufgabenbereich der Schule nicht von vornherein oder grundsätzlich in Frage gestellt. Der Staat bleibt zudem auch dann an die Grundrechte gebunden, wenn er sich zur Aufgabenerfüllung zivilrechtlicher Instrumente bedient, wie das hier durch den Abschluss privatrechtlicher Arbeitsverträge mit den zur Erfüllung seines Erziehungsauftrags von ihm angestellten Pädagoginnen der Fall ist (Art. 1 Abs. 3 GG; vgl. BVerfGE 128, 226 <245>).

85

b) Art. 4 GG garantiert in Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in Absatz 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze des Art. 4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 32, 98 <106>; 44, 37 <49>; 83, 341 <354>; 108, 282 <297>; 125, 39 <79>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 -, juris, Rn. 98). Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben (vgl. BVerfGE 12, 1 <4>; 24, 236 <245>; 105, 279 <294>; 123, 148 <177>). Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 93, 1 <17>). Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze (vgl. BVerfGE 108, 282 <297> m.w.N.; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 -, juris, Rn. 88).

86

Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 24, 236 <247 f.>; 108, 282 <298 f.>). Dies bedeutet jedoch nicht, dass jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat. Dem Staat ist es indes verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als "richtig" oder "falsch" zu bezeichnen; dies gilt insbesondere dann, wenn hierzu innerhalb einer Religion divergierende Ansichten vertreten werden (vgl. BVerfGE 24, 236 <247 f.>; 33, 23 <29 f.>; 83, 341 <353>; 104, 337 <354 f.>; 108, 282 <298 f.>).

87

c) Die Musliminnen, die ein in der für ihren Glauben typischen Weise gebundenes Kopftuch tragen, können sich dafür auch bei der Ausübung ihres Berufs in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule, aber auch für das Tragen einer sonstigen Bekleidung, durch die Haare und Hals nachvollziehbar aus religiösen Gründen bedeckt werden, auf den Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen (vgl. BVerfGE 108, 282 <298>).

88

Die beiden Beschwerdeführerinnen machen mit ihren Verfassungsbeschwerden eine religiöse Motivation für das Tragen ihrer Kopfbedeckungen geltend. Sie bezeichnen deren Tragen als unbedingte religiöse Pflicht und als elementaren Bestandteil einer am Islam orientierten Lebensweise.

89

Diese religiöse Fundierung der Bekleidungswahl ist auch mit Rücksicht auf die im Islam vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum sogenannten Bedeckungsgebot nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung hinreichend plausibel. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der genaue Inhalt der Bekleidungsvorschriften für Frauen unter islamischen Gelehrten durchaus umstritten ist. Es genügt, dass diese Betrachtung unter den verschiedenen Richtungen des Islam verbreitet ist und insbesondere auf zwei Stellen im Koran (Sure 24, Vers 31; Sure 33, Vers 59) zurückgeführt wird (vgl. Asad, Die Botschaft des Koran - Übersetzung und Kommentar, 2009, S. 676 f., 810; vgl. auch Heine, Kleiderordnung, in: Handbuch Recht und Kultur des Islams in der deutschen Gesellschaft, 2000, S. 184 <186 f.>). Ein Bedeckungsgebot wird im Islam teilweise auch als unbedingte Pflicht eingeordnet (vgl. Khoury, Das islamische Rechtssystem, in: Handbuch Recht und Kultur des Islams in der deutschen Gesellschaft, 2000, S. 37 <52>). Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, dass andere Richtungen des Islam ein als verpflichtend geltendes Bedeckungsgebot für Frauen nicht kennen (vgl. BVerfGE 108, 282 <298 f.>).

90

2. Die auf § 57 Abs. 4 (im Fall der Beschwerdeführerin zu I.) i.V.m. § 58 Satz 2) SchulG NW gestützte, von den angegriffenen Gerichtsentscheidungen bestätigte Untersagung des Tragens der in Rede stehenden Kopfbedeckungen erweist sich angesichts des von den Beschwerdeführerinnen als verpflichtend empfundenen religiösen Bedeckungsgebots als schwerwiegender Eingriff in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit.

91

a) Die Einordnung des Tragens von Kleidungsstücken als äußere religiöse Bekundung im Sinne des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW beruht auf einer zunächst den Fachgerichten obliegenden Auslegung des einfachen Rechts, die für sich genommen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.

92

Das Tatbestandsmerkmal der "äußeren Bekundung" im Sinne der einfachgesetzlichen Eingriffsgrundlage des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ist nicht auf verbale Äußerungen beschränkt. Das Bundesarbeitsgericht lässt insoweit nachvollziehbar jede "bewusste, an die Außenwelt gerichtete Kundgabe einer religiösen Überzeugung" genügen und stellt zur Ermittlung des Erklärungswerts einer Kundgabe auf diejenigen Deutungsmöglichkeiten ab, die für eine nicht unerhebliche Zahl von Betrachtern nahe liegt. Dieses auf den kommunikativen Charakter einer "äußeren Bekundung" im Sinne des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW und auf den objektiven Betrachterhorizont abstellende Normverständnis steht in Einklang mit dem in dieser Vorschrift angelegten Wirkzusammenhang zwischen den dort genannten äußeren Bekundungen einerseits und den davon betroffenen Schutzgütern, also der staatlichen Neutralität und des Schulfriedens, andererseits.

93

Allerdings kommt Kopfbedeckungen und anderen Kleidungsstücken nicht ohne Weiteres die Bedeutung eines nonverbalen Kommunikationsmittels im Sinne des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW zu. Dies ist ausgehend vom objektiven Betrachterhorizont vielmehr nur dann der Fall, wenn das Kleidungsstück seiner Art nach typischerweise von vornherein Ausdruck eines politischen, weltanschaulichen, religiösen oder ähnlichen Bekenntnisses ist oder aber ein an sich neutrales Kleidungsstück nach einer Gesamtwürdigung der konkreten Begleitumstände ohne vernünftigen Zweifel als eine solche äußere Bekundung verstanden werden kann.

94

Namentlich ein Kopftuch ist nicht aus sich heraus religiöses Symbol. Eine vergleichbare Wirkung kann es erst im Zusammenwirken mit anderen Faktoren entfalten (vgl. BVerfGE 108, 282 <304>). Insofern unterscheidet es sich etwa vom christlichen Kreuz (vgl. dazu BVerfGE 93, 1 <19 f.>). Auch wenn ein islamisches Kopftuch nur der Erfüllung eines religiösen Gebots dient und ihm von der Trägerin kein symbolischer Charakter beigemessen wird, sondern es lediglich als Kleidungsstück angesehen wird, das die Religion vorschreibt, ändert dies nichts daran, dass es in Abhängigkeit vom sozialen Kontext verbreitet als Hinweis auf die muslimische Religionszugehörigkeit der Trägerin gedeutet wird. In diesem Sinne ist es ein religiös konnotiertes Kleidungsstück. Wird es als äußeres Anzeichen religiöser Identität verstanden, so bewirkt es das Bekenntnis einer religiösen Überzeugung, ohne dass es hierfür einer besonderen Kundgabeabsicht oder eines zusätzlichen wirkungsverstärkenden Verhaltens bedarf. Dessen wird sich die Trägerin eines in typischer Weise gebundenen Kopftuchs regelmäßig auch bewusst sein. Diese Wirkung kann sich - je nach den Umständen des Einzelfalls - auch für andere Formen der Kopf- und Halsbedeckung ergeben.

95

b) Der Eingriff, der mit der Untersagung des Tragens eines islamischen Kopftuchs oder einer anderen Kopf- und Halsbedeckung in Erfüllung eines religiösen Gebots verbunden ist, wiegt schwer.

96

Die Beschwerdeführerinnen berufen sich nicht nur auf eine religiöse Empfehlung, deren Befolgung für die einzelnen Gläubigen disponibel oder aufschiebbar ist. Vielmehr haben sie plausibel dargelegt, dass es sich für sie - entsprechend dem Selbstverständnis von Teilen im Islam (dazu Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen , Muslimisches Leben in Nordrhein-Westfalen, 2010, S. 95 ff.) - um ein imperatives religiöses Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit handelt, das zudem nachvollziehbar ihre persönliche Identität berührt (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), so dass ein Verbot dieser Bedeckung im Schuldienst für sie sogar den Zugang zum Beruf verstellen kann (Art. 12 Abs. 1 GG). Dass auf diese Weise derzeit faktisch vor allem muslimische Frauen von der qualifizierten beruflichen Tätigkeit als Pädagoginnen ferngehalten werden, steht zugleich in einem rechtfertigungsbedürftigen Spannungsverhältnis zum Gebot der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen (Art. 3 Abs. 2 GG). Vor diesem Hintergrund greift das gesetzliche Bekundungsverbot in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit trotz seiner zeitlichen und örtlichen Begrenzung auf den schulischen Bereich mit erheblich größerem Gewicht ein, als dies bei einer religiösen Übung ohne plausiblen Verbindlichkeitsanspruch der Fall wäre.

97

3. Dieser Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Beschwerdeführerinnen erweist sich auf der Grundlage der Auslegung der Norm durch die Arbeitsgerichte als unverhältnismäßig und ist deshalb nicht gerechtfertigt.

98

a) Einschränkungen dieses Grundrechts müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, weil Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 28, 243 <260 f.>; 41, 29 <50 f.>; 41, 88 <107>; 44, 37 <49 f., 53>; 52, 223 <247>; 93, 1 <21>; 108, 282 <297>). Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende Verfassungsgüter kommen hier neben dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schüler (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht (vgl. BVerfGE 108, 282 <299>). Das normative Spannungsverhältnis zwischen diesen Verfassungsgütern unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen, obliegt dem demokratischen Gesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen hat. Die genannten Grundgesetz-Normen sind zusammen zu sehen, ihre Interpretation und ihr Wirkungsbereich sind aufeinander abzustimmen (vgl. BVerfGE 108, 282 <302 f.>).

99

b) Der nordrhein-westfälische Landesschulgesetzgeber verfolgt mit dem Verbot äußerer religiöser Bekundungen im Sinne des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW, auch soweit er solche durch religiös konnotierte Bekleidung und insbesondere durch das in typischer Weise getragene islamische Kopftuch erfasst wissen will, legitime Ziele. Sein Anliegen ist es, den Schulfrieden und die staatliche Neutralität zu wahren, so den staatlichen Erziehungsauftrag abzusichern, gegenläufige Grundrechte von Schülern und Eltern zu schützen und damit Konflikten in dem von ihm in Vorsorge genommenen Bereich der öffentlichen Schule von vornherein vorzubeugen (vgl. LTDrucks 14/569, S. 7 ff.). Gegen diese Zielsetzungen ist von Verfassungs wegen offensichtlich nichts zu erinnern. Sie lassen sich ohne Weiteres dem staatlichen Erziehungsauftrag, dem Neutralitätsgrundsatz, der negativen Glaubensfreiheit der Schüler sowie dem elterlichen Erziehungsrecht und damit verfassungsimmanenten Schranken der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des pädagogischen Personals zuordnen.

100

c) Die Erforderlichkeit der Regelung in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW, die in der Interpretation der Fachgerichte schon die abstrakte Eignung äußerer religiöser Bekundungen durch das Tragen einer religiös konnotierten Kopfbedeckung zur Gefährdung der Schutzgüter genügen lässt, erscheint bereits fraglich. Es bedarf hier indes keiner Entscheidung, ob angesichts des mittlerweile zu verzeichnenden Verbreitungsgrades des islamischen Kopftuchs in der deutschen Gesellschaft und des gängigen Verständnisses von seiner Bedeutung, aber auch in Anbetracht der durchaus unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten der Beweggründe seiner Trägerinnen, insbesondere in einem flächengroßen und bevölkerungsreichen Land wie Nordrhein-Westfalen, ausnahmslos in allen öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschulen und Schüleraltersgruppen schon einer abstrakten Gefahr für die Schutzgüter des Schulfriedens und der staatlichen Neutralität vorgebeugt werden muss, um konkrete Gefährdungen für sie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Denn die Erfordernisse einer im engeren Sinne verhältnismäßigen gesetzlichen Regelung gebieten jedenfalls ein einschränkendes Verständnis des Merkmals einer Eignung zur Gefährdung der Schutzgüter.

101

d) Das landesweite Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, namentlich das Tragen religiös konnotierter Kleidung, schon wegen der bloß abstrakten Eignung zu einer Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule erweist sich jedenfalls als unverhältnismäßig im engeren Sinne, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener, der Glaubensfreiheit der sich auf ein religiöses Bedeckungsgebot berufenden Pädagoginnen hinreichend Rechnung tragender Ausgleich mit gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen erfordert für die vorliegende Fallgestaltung eine einschränkende Auslegung der schulfriedens- und neutralitätswahrenden Verbotsnorm dergestalt, dass zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss.

102

aa) Für die Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten und Entwicklungen, von der abhängt, ob gegenläufige Grundrechtspositionen von Schülern und Eltern oder andere Werte von Verfassungsrang eine Regelung rechtfertigen, die Lehrkräfte aller Bekenntnisse zu äußerster Zurückhaltung in der Verwendung von Kennzeichen mit religiösem Bezug verpflichtet, verfügt der Gesetzgeber über eine Einschätzungsprärogative (vgl. BVerfGE 108, 282 <310 f.>). Allerdings muss er, zumal bei einem weitgehend vorbeugend wirkenden Verbot äußerer religiöser Bekundungen, ein angemessenes Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts des pädagogischen Personals auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ebenso wahren wie er bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des Eingriffs mit dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit beachten muss (vgl. BVerfGE 83, 1 <19>; 90, 145 <173>; 102, 197 <220>; 104, 337 <349>).

103

bb) Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge in Schule und Unterricht durch pädagogisches Personal kann den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der Schüler beeinträchtigen. Es eröffnet zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung der Schulkinder sowie von Konflikten mit Eltern, was zu einer Störung des Schulfriedens führen und die Erfüllung des Erziehungsauftrags der Schule gefährden kann. Auch die religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung interpretierbare Bekleidung von Lehrkräften kann diese Wirkungen haben (vgl. BVerfGE 108, 282 <303>). Allerdings kommt keiner der gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen ein solches Gewicht zu, als dass bereits die abstrakte Gefahr ihrer Beeinträchtigung ein Verbot zu rechtfertigen vermöchte, wenn auf der anderen Seite das Tragen religiös konnotierter Bekleidung oder Symbole nachvollziehbar auf ein als imperativ verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist.

104

(1) Die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben; das bezieht sich auch auf Riten und Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellen. Die Einzelnen haben in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, allerdings kein Recht darauf, von der Konfrontation mit ihnen fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber eine vom Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen sich dieser manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist (vgl. BVerfGE 93, 1 <15 f.>). In einer unausweichlichen Situation befinden sich Schülerinnen und Schüler zwar auch dann, wenn sie sich infolge der allgemeinen Schulpflicht während des Unterrichts ohne Ausweichmöglichkeit einer vom Staat angestellten Lehrerin gegenüber sehen, die ein islamisches Kopftuch trägt. Im Blick auf die Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist allerdings danach zu unterscheiden, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung der Schulbehörde oder aufgrund einer eigenen Entscheidung von einzelnen Pädagoginnen und Pädagogen verwendet wird, die hierfür das individuelle Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Anspruch nehmen können. Der Staat, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse Aussage einer einzelnen Lehrerin oder einer pädagogischen Mitarbeiterin hinnimmt, macht diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen (vgl. BVerfGE 108, 282 <305 f.>).

105

Zwar trifft die für das Tragen eines islamischen Kopftuchs in der Schule in Anspruch genommene Glaubensfreiheit der Lehrerin auf die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler (vgl. BVerfGE 108, 282 <301 f.>). Doch ist das Tragen eines islamischen Kopftuchs, einer vergleichbaren Kopf- und Halsbedeckung oder sonst religiös konnotierten Bekleidung nicht von vornherein dazu angetan, die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler zu beeinträchtigen. Solange die Lehrkräfte, die nur ein solches äußeres Erscheinungsbild an den Tag legen, nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die Schülerinnen und Schüler über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, wird deren negative Glaubensfreiheit grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Die Schülerinnen und Schüler werden lediglich mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit der Lehrkräfte in Form einer glaubensgemäßen Bekleidung konfrontiert, was im Übrigen durch das Auftreten anderer Lehrkräfte mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen wird. Insofern spiegelt sich in der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die religiös-pluralistische Gesellschaft wider.

106

(2) Aus dem Elterngrundrecht ergibt sich nichts anderes. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht und umfasst zusammen mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten (vgl. BVerfGE 41, 29 <44, 47 f.>; 52, 223 <236>; 93, 1 <17>). Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen (vgl. BVerfGE 93, 1 <17>). Jedoch enthält Art. 6 Abs. 2 GG keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Eigenständig und in seinem Bereich gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat, dem nach Art. 7 Abs. 1 GG die Aufsicht über das gesamte Schulwesen übertragen ist, in der Schule einen eigenen Erziehungsauftrag aus (vgl. BVerfGE 34, 165 <183>; 41, 29 <44>; 108, 282 <301>).

107

Ein etwaiger Anspruch, die Schulkinder vom Einfluss solcher Lehrkräfte fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen, lässt sich aus dem Elterngrundrecht danach nicht herleiten, soweit dadurch die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler nicht beeinträchtigt ist. Auch die negative Glaubensfreiheit der Eltern, die hier im Verbund mit dem elterlichen Erziehungsrecht ihre Wirkung entfalten kann, garantiert keine Verschonung von der Konfrontation mit religiös konnotierter Bekleidung von Lehrkräften, die nur den Schluss auf die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion oder Weltanschauung zulässt, von der aber sonst kein gezielter beeinflussender Effekt ausgeht. Das gilt in Fällen der vorliegenden Art gerade deshalb, weil nicht ein dem Staat zurechenbares glaubensgeleitetes Verhalten in Rede steht, sondern eine erkennbar individuelle Grundrechtsausübung.

108

(3) Darüber hinaus steht auch der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, der Betätigung der positiven Glaubensfreiheit der Pädagoginnen durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs nicht generell entgegen. Er vermag ein Verbot solchen äußeren Verhaltens, das auf ein nachvollziehbar als imperativ verstandenes Glaubensgebot zurückgeht, erst dann zu rechtfertigen, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für den zur Erfüllung des Erziehungsauftrags notwendigen Schulfrieden oder die staatliche Neutralität feststellbar ist.

109

Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 33, 23 <28>; 93, 1 <17>). Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten (vgl. BVerfGE 19, 1 <8>; 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 93, 1 <17>; 108, 282 <299 f.>) und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren (vgl. BVerfGE 30, 415 <422>; 93, 1 <17>; 108, 282 <300>). Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>; 108, 282 <300 f.>).

110

Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet auch im positiven Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 93, 1 <16>). Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <300>). Auch verwehrt es der Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. BVerfGE 33, 23 <29>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - juris, Rn. 88).

111

Dies gilt auch für den vom Staat in Vorsorge genommenen Bereich der Schule, für den seiner Natur nach religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 52, 223 <241>). Danach sind etwa christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht ausgeschlossen; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein (vgl. BVerfGE 41, 29 <51>; 52, 223 <236 f.>). Weil Bezüge zu verschiedenen Religionen und Weltanschauungen bei der Gestaltung der öffentlichen Schule möglich sind, ist für sich genommen auch die bloß am äußeren Erscheinungsbild hervortretende Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Lehrkräfte - unabhängig davon, welche Religion oder Weltanschauung im Einzelfall betroffen ist - durch die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität nicht ohne Weiteres ausgeschlossen. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>).

112

(4) (a) Davon ausgehend ist das - nach der Auslegung durch die Arbeitsgerichte in den angefochtenen Entscheidungen - an eine bloß abstrakte Gefährdung der in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW genannten Schutzgüter anknüpfende strikte und landesweite Verbot einer äußeren religiösen Bekundung jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen den betroffenen Grundrechtsträgerinnen nicht zumutbar und verdrängt in unangemessener Weise deren Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Denn mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Pädagoginnen ist - anders als dies beim staatlich verantworteten Kreuz oder Kruzifix im Schulzimmer der Fall ist (vgl. BVerfGE 93, 1 <15 ff.>) - keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden. Auch eine Wertung in dem Sinne, dass das glaubensgeleitete Verhalten der Pädagoginnen schulseits als vorbildhaft angesehen und schon deshalb der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet oder gestört werden könnte, ist einer entsprechenden Duldung durch den Dienstherrn nicht beizulegen. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerinnen einem nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen Glaubensgebot Folge leisten. Dadurch erhält ihre Glaubensfreiheit in der Abwägung mit den Grundrechten der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, die der weltanschaulich-religiös neutrale Staat auch im schulischen Bereich schützen muss, ein erheblich größeres Gewicht als dies bei einer disponiblen Glaubensregel der Fall wäre.

113

(b) Anders verhält es sich dann, wenn das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führt oder wesentlich dazu beiträgt. Dies wäre etwa in einer Situation denkbar, in der - insbesondere von älteren Schülern oder Eltern - über die Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten und in einer Weise in die Schule hineingetragen würden, welche die schulischen Abläufe und die Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags ernsthaft beeinträchtigte, sofern die Sichtbarkeit religiöser Überzeugungen und Bekleidungspraktiken diesen Konflikt erzeugte oder schürte. Bei Vorliegen einer solchermaßen begründeten hinreichend konkreten Gefahr ist es den grundrechtsberechtigten Pädagoginnen und Pädagogen mit Rücksicht auf alle in Rede und gegebenenfalls in Widerstreit stehenden Verfassungsgüter zumutbar, von der Befolgung eines nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen religiösen Bedeckungsgebots Abstand zu nehmen, um eine geordnete, insbesondere die Grundrechte der Schüler und Eltern sowie das staatliche Neutralitätsgebot wahrende Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags sicherzustellen. Aber auch dann wird die Dienstbehörde im Interesse des Grundrechtsschutzes der Betroffenen zunächst eine anderweitige pädagogische Verwendungsmöglichkeit mit in Betracht zu ziehen haben.

114

(c) Wird in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten bereichsspezifisch die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht, kann ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, äußere religiöse Bekundungen nicht erst im konkreten Einzelfall, sondern etwa für bestimmte Schulen oder Schulbezirke über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden. Einer solchen Situation kann der Gesetzgeber insoweit auch vorbeugend (vgl. BVerfGE 108, 282 <306 f.>) durch bereichsorientierte Lösungen Rechnung tragen. Dabei hat er, gerade in großen Ländern, die Möglichkeit, differenzierte, beispielsweise örtlich und zeitlich begrenzte Lösungen vorzusehen, gegebenenfalls etwa unter Zuhilfenahme einer hinreichend konkretisierten Verordnungsermächtigung. Auch im Fall einer solchen Regelung wird im Interesse der Grundrechte der Betroffenen zunächst eine anderweitige pädagogische Verwendungsmöglichkeit in Betracht zu ziehen sein.

115

Solange der Gesetzgeber dazu aber keine differenziertere Regelung trifft, kann eine Verdrängung der Glaubensfreiheit von Lehrkräften nur dann als angemessener Ausgleich der in Rede stehenden Verfassungsgüter in Betracht kommen, wenn wenigstens eine hinreichend konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität oder den Schulfrieden belegbar ist. Das gilt zumal vor dem Hintergrund, dass es gerade die Aufgabe namentlich der als "bekenntnisoffen" bezeichneten Gemeinschaftsschule ist, den Schülerinnen und Schülern Toleranz auch gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen zu vermitteln, da Schule offen zu sein hat für christliche, für muslimische und andere religiöse und weltanschauliche Inhalte und Werte. Dieses Ideal muss im Interesse einer ausgleichenden, effektiven Grundrechtsverwirklichung in der Gemeinschaftsschule auch gelebt werden dürfen. Das gilt folgerichtig auch für das Tragen von Bekleidung, die mit Religionen in Verbindung gebracht wird, wie neben dem Kopftuch etwa der jüdischen Kippa oder dem Nonnen-Habit oder auch für Symbole wie das Kreuz, das sichtbar getragen wird.

116

4. Das Gewicht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des pädagogischen Personals in der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule erfordert demnach jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen eine reduzierende verfassungskonforme Auslegung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW, soweit er äußere religiöse Bekundungen untersagt. Hierfür ist das Merkmal der Eignung, den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität zu gefährden oder zu stören, dahin einzuschränken, dass von der äußeren religiösen Bekundung nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr für die in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW genannten Schutzgüter ausgehen muss. Das Vorliegen der konkreten Gefahr ist zu belegen und zu begründen. Das Tragen eines islamischen Kopftuchs begründet eine hinreichend konkrete Gefahr im Regelfall nicht. Vom Tragen dieser Kopfbedeckung geht für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus. Ein islamisches Kopftuch ist in Deutschland nicht unüblich, auch wenn es von der Mehrheit muslimischer Frauen nicht getragen wird (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge , Muslimisches Leben in Deutschland - im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz, 2009, S. 194 f.; Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen , Muslimisches Leben in Nordrhein-Westfalen, 2010, S. 93). Es spiegelt sich im gesellschaftlichen Alltag und der Schülerschaft vielfach wieder. Die bloß visuelle Wahrnehmbarkeit ist in der Schule als Folge individueller Grundrechtsausübung ebenso hinzunehmen, wie auch sonst grundsätzlich kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf besteht, von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben.

117

Eine einschränkende Auslegung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ist möglich und von Verfassungs wegen geboten. Sie dient der Vermeidung einer Normverwerfung und ist damit dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Schonung der Gesetzgebung geschuldet. Sie nimmt Rücksicht darauf, dass die Norm auch andere Anwendungsbereiche hat, die sich von der hier vorliegenden Fallgestaltung unterscheiden. Dabei kann es sich etwa um verbale Äußerungen und ein offen werbendes Verhalten handeln. Hier kann die Untersagungsvorschrift auch in einer Interpretation, die schon die abstrakte Gefahr erfasst, ihre Bedeutung haben. Der einschränkenden Auslegung steht nicht entgegen, dass dem Gesetzgeber entstehungsgeschichtlich ein Kopftuchverbot als typischer Anwendungsfall der Vorschrift vorgeschwebt hat. Der Norm wird lediglich ein weniger weit reichender Anwendungsbereich zuerkannt.

118

5. Diese Auslegungsmaßgaben gelten entsprechend für § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW. Die darin geforderte Eignung des äußeren Verhaltens, bei Schülerinnen und Schülern sowie Eltern den Eindruck hervorzurufen, dass eine Pädagogin oder ein Pädagoge gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt, kann allein im Blick auf das äußere Erscheinungsbild nur bei Vorliegen hinreichend konkreter Anhaltspunkte aus der Sicht eines objektiven Betrachters bejaht werden. Allerdings ist mit Rücksicht auf die grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Annahme verfehlt, schon das Tragen eines islamischen Kopftuchs oder einer anderen, auf eine Glaubenszugehörigkeit hindeutenden Kopfbedeckung sei schon für sich genommen ein Verhalten, das gemäß § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW bei den Schülern oder den Eltern ohne Weiteres den Eindruck hervorrufen könne, dass die Person, die es trägt, gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftrete. Diese pauschale Schlussfolgerung verbietet sich. Wenn das Tragen des Kopftuchs etwa als Ausdruck einer individuellen Kleidungsentscheidung, von Tradition oder Identität (vgl. BVerfGE 108, 282 <303 ff.>) erscheint, oder die Trägerin als Muslimin ausweist, die die Regeln ihres Glaubens, insbesondere das von ihr als verpflichtend verstandene Bedeckungsgebot, strikt beachtet, lässt sich das ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht als Distanzierung von den in § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW genannten verfassungsrechtlichen Grundsätzen interpretieren. Auch den Glaubensrichtungen des Islam, die das Tragen des Kopftuchs zur Erfüllung des Bedeckungsgebots verlangen, aber auch genügen lassen, kann nicht unterstellt werden, dass sie von den Gläubigen ein Auftreten gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung fordern, erwarten oder auch nur erhoffen.

119

6. Das Erfordernis einer einschränkenden Auslegung der Sätze 1 und 2 des § 57 Abs. 4 SchulG NW besteht auch, soweit diese gemäß § 58 Satz 2 SchulG NW auf sonstiges pädagogisches und sozialpädagogisches Personal entsprechend anzuwenden sind. Da das sonstige pädagogische und sozialpädagogische Personal den Lehrkräften vergleichbar in den schulischen Alltag und die Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags eingebunden ist, kann für dieses nichts anderes gelten.

120

7. Die angegriffenen Entscheidungen der Fachgerichte, namentlich die des Bundesarbeitsgerichts, werden den Erfordernissen der gebotenen verfassungskonformen einschränkenden Auslegung nicht gerecht; sie haben eine solche nicht für erforderlich gehalten. Die rechtliche Würdigung des Bundesarbeitsgerichts geht davon aus, dass das Bekundungsverbot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW bereits bei einer abstrakten Gefahr greift. Die Annahme, dass schon die "berechtigte Sorge" der Eltern vor einer ungewollten religiösen Beeinflussung ihrer Kinder den Schulfrieden gefährde, trägt der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Pädagoginnen in der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule nicht in angemessener Weise Rechnung. Sie vernachlässigt das Gewicht der positiven Glaubensfreiheit des pädagogischen Personals im Zusammenhang mit einem plausibel dargestellten imperativen religiösen Bedeckungsgebot. Die bislang getroffenen Feststellungen geben im Übrigen keinerlei Anhalt für eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität durch das Auftreten der Beschwerdeführerinnen in ihren Schulen.

121

In beiden Ausgangsverfahren sind die Fachgerichte nicht von einem zutreffenden, auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit der Beschwerdeführerinnen hinreichend Bedacht nehmenden Verständnis der gesetzlichen Regelung ausgegangen. Weder die Feststellungen der Arbeitsgerichte in den Tatsacheninstanzen noch die rechtliche Würdigung auch durch das Bundesarbeitsgericht lassen Umstände erkennen, die eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter der Norm verdeutlichen könnten. Im Gegenteil: Die Beschwerdeführerin zu II.) hatte sich bereits um ihre Einstellung mit einem Lichtbild beworben, das sie mit Kopftuch zeigte. Ihr zunächst befristetes Arbeitsverhältnis wurde später in ein unbefristetes umgewandelt. Sie verrichtete ihren Dienst - so ihr unwidersprochen gebliebener Vortrag - stets mit einem das Haar bedeckenden Kopftuch, ohne dass es deswegen zu Beanstandungen kam. Unter diesen Umständen sind die von den Arbeitsgerichten gebilligte Abmahnung sowie die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Beschwerdeführerin zu II.) mit der gegebenen Begründung und dem zugrunde liegenden Verständnis des § 57 Abs. 4 SchulG NW verfassungsrechtlich nicht haltbar. Auch im Ausgangsverfahren der Beschwerdeführerin zu I.) ist nicht ansatzweise erkennbar, inwieweit sich aus dem Tragen einer Wollmütze und eines Rollkragenpullovers eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität ergeben könnte.

122

Damit verletzen die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerinnen in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

III.

123

Die weitere von den Beschwerdeführerinnen erhobene verfassungsrechtliche Beanstandung von Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW ist begründet. Die vom Gesetzgeber als Privilegierungsbestimmung zugunsten der Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen gewollte Teilregelung in Satz 3 der Vorschrift stellt eine gleichheitswidrige Benachteiligung aus Gründen des Glaubens und der religiösen Anschauungen dar (Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG). Dieser Verfassungsverstoß hat sich in den angegriffenen Entscheidungen niedergeschlagen. Zwar sind diese nicht auf Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW gestützt, weil Satz 3 auf die beiden muslimischen Beschwerdeführerinnen keine Anwendung findet. Gerade der Ausschluss von der in Satz 3 vorgesehenen Privilegierung führt aber dazu, dass auch die beiden konkret zu beurteilenden Entscheidungen die Beschwerdeführerinnen in verfassungswidriger Weise benachteiligen. Kämen die Beschwerdeführerinnen in den Genuss der Privilegierung, wären sie den arbeitsrechtlichen Sanktionen aufgrund des § 57 Abs. 4 Satz 1 und 2 SchulG NW nicht ausgesetzt gewesen. Die Regelung des § 57 Abs. 4 Satz 1 und 2 SchulG NW sowie die angegriffenen Entscheidungen bleiben davon jedoch unberührt; § 57 Abs. 4 SchulG NW ist in der hier vorgenommenen verfassungskonformen Auslegung nicht insgesamt verfassungswidrig.

124

1. § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW führt zu einer Benachteiligung anderer als christlicher und jüdischer Religionsangehöriger, die verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist.

125

a) Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verlangt, dass niemand wegen seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt wird. Die Norm verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Glaubensfreiheit.

126

Nach Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG darf keinem Träger eines öffentlichen Amtes aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen. Der Begriff des öffentlichen Amtes in Art. 33 Abs. 3 GG ist im selben Sinne zu verstehen, wie er auch in Art. 33 Abs. 2 GG verwendet wird; er erfasst mithin auch Angestellte des öffentlichen Dienstes (vgl. BVerwGE 61, 325 <330>; BAGE 104, 295 <299>; Jachmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 33 Rn. 25; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 33 Rn. 37). Die Regelung enthält ein Benachteiligungsverbot für den öffentlichen Dienst auch über die Frage der Zulassung zu öffentlichen Ämtern hinaus (vgl. dazu § 57 Abs. 6 SchulG NW), die in Satz 1 der Vorschrift angesprochen ist. Die Bestimmung verbietet es, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern aus Gründen zu verwehren, die mit der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten Glaubensfreiheit unvereinbar sind (vgl. BVerfGE 79, 69 <75>). Dies schließt die Begründung von Dienstpflichten nicht aus, die in die Glaubensfreiheit von Amtsinhabern und Bewerbern um öffentliche Ämter eingreifen und damit für glaubensgebundene Bewerber den Zugang zum öffentlichen Dienst erschweren oder gar ausschließen. Solche etwaigen Pflichten sind jedoch den strengen Rechtfertigungsanforderungen unterworfen, die für Einschränkungen der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit gelten; außerdem ist das Gebot strikter Gleichbehandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen sowohl in der Begründung als auch in der Praxis der Durchsetzung solcher Dienstpflichten zu beachten (vgl. BVerfGE 108, 282 <298>).

127

b) Die Gesamtkonzeption des § 57 Abs. 4 SchulG NW sollte nach den Vorstellungen, die im Gesetzgebungsverfahren hervorgetreten sind (vgl. LTDrucks 13/4564, S. 8; 14/569, S. 9), in Satz 3 der Regelung eine Freistellung vom Verbot äußerer religiöser Bekundungen des Satzes 1 und damit eine unmittelbare Ungleichbehandlung aus Gründen der Religion bewirken. Die Beschwerdeführerinnen machen in nachvollziehbarer Weise geltend, die Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NW habe die aus religiösen Gründen getragene Kopfbedeckung einer Muslimin anders behandeln sollen als religiös konnotierte Kleidungsstücke, die von Angehörigen christlicher Bekenntnisse und solcher des Judentums getragen werden. Diese Bewertung wird durch die genannten Materialien des Gesetzgebungsverfahrens belegt (siehe sogleich d).

128

c) Eine solche Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Werden äußere religiöse Bekundungen durch das pädagogische Personal in der Schule untersagt, so muss dies grundsätzlich unterschiedslos geschehen.

129

Tragfähige Gründe für eine Benachteiligung äußerer religiöser Bekundungen, die sich nicht auf christlich-abendländische Kulturwerte und Traditionen zurückführen lassen, sind nicht erkennbar. Soweit von einem bestimmten äußeren Verhalten etwa eine besondere indoktrinierende Suggestivkraft ausgehen kann, wird dem ohne Weiteres durch das Verbot des Satzes 1 des § 57 Abs. 4 SchulG NW in der von Verfassungs wegen gebotenen einschränkenden Auslegung Rechnung getragen. Wenn vereinzelt in der Literatur geltend gemacht wird, im Tragen eines islamischen Kopftuchs sei vom objektiven Betrachterhorizont her ein Zeichen für die Befürwortung einer umfassenden auch rechtlichen Ungleichbehandlung von Mann und Frau zu sehen und deshalb stelle es auch die Eignung der Trägerin für pädagogische Berufe infrage (vgl. etwa Bertrams, DVBl 2003, S. 1225 <1232 ff.>; Hufen, NVwZ 2004, S. 575 <576>; Kokott, Der Staat 2005, S. 343 <355 ff.>; Rademacher, Das Kreuz mit dem Kopftuch, 2005, S. 24), so verbietet sich eine derart pauschale Schlussfolgerung (siehe oben B. II. 5.). Ein solcher vermeintlicher Rechtfertigungsgrund muss darüber hinaus schon daran scheitern, dass er bei generalisierender Betrachtung keineswegs für alle nicht-christlich-abendländischen Kulturwerte und Traditionen einen Differenzierungsgrund anbieten kann.

130

Ebenso wenig ergeben sich für eine Bevorzugung christlich und jüdisch verankerter religiöser Bekundungen tragfähige Rechtfertigungsmöglichkeiten. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags, wie er in Art. 7 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 3 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen umschrieben ist, rechtfertigt es nicht, Amtsträger einer bestimmten Religionszugehörigkeit bei der Statuierung von Dienstpflichten zu bevorzugen. Soweit diesen landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen ein christlicher Bezug des staatlichen Schulwesens entnommen werden kann, soll sich dies auf säkularisierte Werte des Christentums beziehen. Zudem wird das landesverfassungsrechtliche Erziehungsziel in Art. 7 Abs. 1 Verf NW ("Ehrfurcht vor Gott") nach wohl überwiegender Auffassung nicht nur auf den christlichen Glauben bezogen; es soll offen sein für ein persönliches Gottesverständnis, also nicht nur das christliche, sondern auch das islamische Gottesverständnis ebenso umfassen wie polytheistische oder unpersönliche Gottesvorstellungen (vgl. Ennuschat, in: Löwer/Tettinger, Kommentar zur Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2002, Art. 7 Rn. 23 m.w.N., Art. 12 Rn. 22; Dästner, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 2002, Art. 7 Rn. 3; Söbbeke, in: Heusch/Schönenbroicher, Die Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, 2010, Art. 12 Rn. 10; Häberle, in: Festschrift für Wolfgang Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 3 <14>). Schließlich beziehen sich die landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen, die in § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW in Bezug genommen werden, vornehmlich auf die Gestaltung des Unterrichts und seiner Rahmenbedingungen, sind aber keine tragfähige Grundlage für eine differenzierte Statuierung von Dienstpflichten für Pädagogen. Deshalb kommt es auch nicht mehr darauf an, dass auch Art. 31 GG einer Einschränkung der durch das Grundgesetz verbürgten religiösen Gleichheitsrechte durch Landesverfassungsrecht Grenzen setzt (vgl. auch Art. 142 GG; BVerfGE 96, 345 <364 f.>).

131

d) Eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des Satzes 3 von § 57 Abs. 4 SchulG NW, wie sie das Bundesarbeitsgericht zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Benachteiligung aus religiösen Gründen seinen Entscheidungen zugrunde gelegt hat, ist nicht möglich. Sie würde die Grenzen verfassungskonformer Norminterpretation überschreiten und wäre mit der richterlichen Gesetzesbindung nicht vereinbar (Art. 20 Abs. 3 GG).

132

Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber verbietet es, im Wege der Auslegung einem nach Sinn und Wortlaut eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn beizulegen oder den normativen Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen (vgl. BVerfGE 90, 263 <274 f.>; 119, 247 <274>; 128, 193 <209 ff.>; 132, 99 <127 ff.>).

133

Das Bundesarbeitsgericht hat darauf abgestellt, dass die "Darstellung" christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte im Sinne des Satzes 3 nicht gleichzusetzen sei mit der "Bekundung" eines individuellen Bekenntnisses im Sinne des Satzes 1. Zudem bezeichne der Begriff des "Christlichen" eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liege und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruche.

134

Zwar mag der unterschiedliche Sprachgebrauch in Satz 1 ("Bekundungen") und Satz 3 ("Darstellung") einen Ansatz für die vom Bundesarbeitsgericht gefundene Auslegung bieten. Auch dem Landesgesetzgeber war im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsvorhabens die Möglichkeit einer einschränkenden Auslegung in diesem Sinne bewusst. Denn noch vor dem endgültigen Gesetzesbeschluss des Landtags hatte das Bundesverwaltungsgericht zu einer vergleichbaren landesgesetzlichen Regelung in Baden-Württemberg (§ 38 Abs. 2 SchulG BW) ein ähnliches Auslegungsergebnis gewonnen (vgl. BVerwGE 121, 140 <147, 150>). In einer Stellungnahme gegenüber dem Landtag vertrat die nordrhein-westfälische Landesregierung damals den Standpunkt, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei nicht so zu verstehen, dass Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs insgesamt bestünden. Infrage stehe lediglich eine verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung (LT-Vorlage 14/463, S. 2).

135

Gleichwohl wurde ebenso wie von den Gesetzesinitiatoren auch im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Absicht gehegt, jedenfalls keine Regelung zu treffen, die beispielsweise Lehrerinnen das Unterrichten in einem Ordenshabit verbietet oder das Tragen der jüdischen Kippa untersagen sollte (LTDrucks 14/569, S. 9). Insofern folgerichtig hat der Gesetzgeber die Regelung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW ausdrücklich auf das Bekundungsverbot des Satzes 1 bezogen und diese gesetzgebungstechnisch als Ausnahme konstruiert. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass Satz 3 in seinem Wortlaut zwar den Erziehungsauftrag der Landesverfassung insgesamt erwähnt, dann aber nur die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen vom Verhaltensgebot des Satzes 1 ausnimmt. Die im Wortlaut der Verfassungsbestimmung des Art. 12 Abs. 3 Satz 1 Verf NW daneben ausdrücklich erwähnte Offenheit auch für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen wird indessen außer Acht gelassen und nicht mehr aufgeführt. All das verdeutlicht, dass die vom Bundesarbeitsgericht gefundene einschränkende Auslegung der Vorschrift deren normativen Gehalt im Grunde neu bestimmt und damit auch den im Gesetzgebungsverfahren klar erkennbar hervorgetretenen Willen des Gesetzgebers nicht mehr trifft. Dieser Wille hat sich nicht durch die vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens erfolgte Erörterung der Möglichkeit einer anderen Auslegung verändert; diese lässt lediglich erkennen, dass der Landtag sich des verfassungsrechtlichen Risikos bewusst war.

136

In der vom Bundesarbeitsgericht gewählten Auslegung kommt der Regelung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW allenfalls noch klarstellende Funktion zu. Die Darstellung christlicher und abendländischer Kulturwerte erweist sich in dieser Auslegung schon wesensmäßig als etwas von vornherein anderes als die in Satz 1 untersagte äußere Bekundung einer individuellen religiösen Auffassung. Dann bedurfte es aber nicht der in Satz 3 getroffenen Ausnahmeregelung, dass eine solche Darstellung nicht dem Verhaltensgebot des Satzes 1 widerspreche. Die gesetzliche Feststellung der Zulässigkeit solcher bloßen Darstellung von Glaubensinhalten losgelöster Lehrgehalte fügt sich systematisch nicht in den Regelungskontext des Satzes 1. Satz 3 kommt in dem Verständnis des Bundesarbeitsgerichts in dem gegebenen Normzusammenhang kein sinnvoll erscheinender Regelungsgehalt mehr zu. Dessen ungeachtet bleibt bei dieser Auslegung eine Norm in Kraft, die bei einem ihrem Wortlaut nach möglichen weiteren Verständnis als Öffnung für eine diskriminierende Verwaltungspraxis verstanden werden könnte und deren diesbezügliche Unschärfe im Gesetzgebungsverfahren bewusst hingenommen wurde.

137

Verfehlt der Ansatz des Bundesarbeitsgerichts damit aber die Grenzen verfassungskonformer Auslegung, so erweist sich, dass § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung aus Glaubensgründen führt, die nicht zu rechtfertigen ist.

138

2. § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW ist hiernach für mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG unvereinbar und nichtig zu erklären. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auch auf dieser Vorschrift (dazu III., vor 1.).

IV.

139

In der hier verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung verstößt die Regelung des § 57 Abs. 4 (gegebenenfalls i.V.m. § 58 Satz 2) SchulG NW, soweit sie religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften betrifft, nicht gegen weitere Grundrechte oder sonstiges Bundesrecht (Art. 31 GG); sie ist insbesondere mit den einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar.

140

1. Unter der Maßgabe der im Lichte der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Lehrkräfte gebotenen Auslegung des Verbots religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild begegnet die mittelbar zur Prüfung stehende Regelung (§ 57 Abs. 4, § 58 Satz 2 SchulG NW) insoweit keinen weiteren durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

141

a) Andere Grundrechte gewährleisten hier keinen weitergehenden Schutz als er aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 3 GG folgt. Selbst unter der Annahme, dass im Einzelfall die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) betroffen wäre, wenn ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot in Frage steht, wären die vom Landesgesetzgeber verfolgten Ziele mittels einer auf eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität begrenzten Untersagungsnorm besonders gewichtige Gemeinschaftsbelange, die die Regelung rechtfertigen (vgl. BVerfGE 119, 59 <83>).

142

b) § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW verstößt in der gebotenen einschränkenden Auslegung nicht gegen das Gebot der Gleichbehandlung wegen des Geschlechts. In der angegriffenen Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht wäre die Regelung, soweit sie entsprechend der den Gesetzgeber bestimmenden Intention religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild betrifft, hingegen nicht mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar.

143

Soweit § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW nach der angegriffenen Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht religiöse Bekundungen im Schuldienst allein durch das äußere Erscheinungsbild unabhängig von einer konkreten Gefahr unterbindet, benachteiligt die Regelung Frauen, weil sie die pädagogische Tätigkeit im Schuldienst von Voraussetzungen abhängig macht, die tatsächlich ganz überwiegend Frauen nicht erfüllen können. Zwar handelt es sich um eine geschlechtsneutral formulierte Regelung. Intendierte Bedeutung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW ist aber, das Tragen von Kleidungsstücken, die christlichen und abendländischen Bildungs- und Kulturwerten oder Traditionen entsprechen, vom Bekundungsverbot auszunehmen. Auf dieser Grundlage erfasst jedoch auch das unabhängig von einer konkreten Gefahr eingreifende Bekundungsverbot gegenwärtig Männer nur in verschwindend geringer Zahl, wie beispielsweise im Fall Turban tragender Sikhs. Die angegriffene Regelung trifft unter diesen Voraussetzungen derzeit in Deutschland faktisch ganz überwiegend muslimische Frauen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen.

144

Das Grundgesetz bietet Schutz auch vor faktischen Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts (vgl. BVerfGE 97, 35 <43>; 104, 373 <393>; 113, 1 <15>; 121, 241 <254 f.>; 126, 29 <53>; 132, 72 <97 f. Rn. 57>). Eine Rechtfertigung faktischer Benachteiligungen kommt zwar grundsätzlich in Betracht. Ein hinreichender Rechtfertigungsgrund ist hier jedoch mit Blick auf die angegriffene Regelung in der auch vom Gesetzgeber intendierten Fassung (vgl. LTDrucks 13/4564, S. 8; 14/569, S. 9; dazu bereits oben C. III.) nicht ersichtlich. Die für ein Bekundungsverbot aufgeführten Gründe (oben B. II. 3. a) rechtfertigen ein unabhängig von einer konkreten Gefahr eingreifendes Bekundungsverbot gegenüber dem Schutz vor faktischer Benachteiligung ebenso wenig wie gegenüber der Religionsfreiheit der Pädagoginnen (oben B. II. 3. d). Auch soweit argumentiert wird, ein Kopftuchverbot schütze Frauen vor derjenigen Diskriminierung, die einem religiösen Bedeckungsgebot selbst innewohne, trägt dies nicht, denn dieser Schutz wirkt sich hier tatsächlich als Benachteiligung aus (vgl. BVerfGE 85, 191 <209>). Die Benachteiligung lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, das Kopftuch signalisiere eine ablehnende Haltung zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen, denn dies ist weder automatisch noch durchgängig der Fall (dazu oben B. II. 5.).

145

Soweit die Norm auch in der gebotenen einschränkenden Auslegung zu faktischen Benachteiligungen von Frauen führt, ist dies hingegen aus den Gründen zu rechtfertigen, die auch einen Eingriff in Art. 4 GG tragen können (oben B. II. 3. d) bb) <4>).

146

c) Die Berufung der Beschwerdeführerinnen auf einen bei ihrer Einstellung in den Schuldienst begründeten Vertrauensschutz zeigt keinen verfassungsrechtlich erheblichen Mangel auf. Das Bundesarbeitsgericht hat - im Verfahren 1 BvR 1181/10 - jede Rückwirkung verneint. Die beanstandete Regelung ergreife keine äußeren religiösen Bekundungen, die vor dem Inkrafttreten der Bestimmung erfolgt seien. Unbeschadet der Frage, ob diese Bewertung die verfassungsrechtliche Fragestellung vollständig erfasst, trifft es zu, dass die Vorschrift nicht substantiell ändernd in die Rechte und Pflichten eingreift, die bis zu ihrer Verkündung am 29. Juni 2006 bestanden haben. Eine echte Rückwirkung scheidet deshalb von vornherein aus. Gegen eine unechte Rückwirkung - weil die Vorschrift auch bestehende arbeitsvertragliche Dauerschuldverhältnisse betrifft - wäre verfassungsrechtlich nichts zu erinnern. Die zu prüfende gesetzliche Vorschrift sieht zwar einen Eingriff in die Glaubensfreiheit auch derjenigen Lehrkräfte vor, die vor der Verkündung der Regelung angestellt worden sind und bei denen dahinstehen kann, ob diese damit rechnen mussten. Jedenfalls ist deren etwaiges Vertrauen in die alte Rechtslage nicht schutzwürdiger als die mit dem Gesetz verfolgten Anliegen, wenn hinsichtlich religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild eine hinreichend konkrete Gefahr für die gesetzlichen Schutzgüter belegbar ist (vgl. zum Maßstab: BVerfGE 68, 287 <307>; 89, 48 <66>; 101, 239 <263>; 103, 392 <403>).

147

d) § 57 Abs. 4 (gegebenenfalls i.V.m. § 58 Satz 2) SchulG NW ist in der hier verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung als landesrechtliche Norm mit sonstigem Bundesrecht vereinbar und deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (Art. 31 GG; vgl. BVerfGE 80, 137 <153>). Eine weitergehende Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführerinnen unter diesem Gesichtspunkt scheidet mithin aus. Die Regelung steht in dieser Auslegung mit Art. 9 und Art. 14 EMRK ebenso im Einklang wie mit § 7 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AGG.

148

aa) Eine Verletzung von Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention liegt nicht vor.

149

(1) Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle - soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind - im Range eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 120, 180 <200>; 128, 326 <367>). Diese Rangzuweisung führt dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist zudem - im Rahmen des methodisch Vertretbaren - als Auslegungshilfe bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes heranzuziehen (vgl. BVerfGE 111, 307 <315 ff.>; 128, 326 <366 ff.>; 131, 268 <295 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - juris, Rn. 128 f.). Auch Gesetze sind im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik aus der Menschenrechtskonvention auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 127, 132 <164>). Die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer Zusatzprotokolle sind allerdings in der deutschen Rechtsordnung kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). Ein Beschwerdeführer kann daher vor dem Bundesverfassungsgericht nicht unmittelbar die Verletzung eines in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen Menschenrechts mit einer Verfassungsbeschwerde rügen (vgl. BVerfGE 74, 102 <128>; 74, 358 <370>; 82, 106 <120>; 111, 307 <317>). Anders verhält es sich jedoch, wenn eine Verfassungsbeschwerde sich mittelbar auch gegen Landesrecht richtet. Diesem geht die Konvention aufgrund ihres Ranges als Bundesgesetz vor. Sie findet deshalb über Art. 31 GG Eingang in den Prüfungsmaßstab (vgl. BVerfGK 10, 234 <239>).

150

(2) Die konventionsrechtlich garantierte Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK) und das Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) sind in ihrer Auslegung durch die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) offensichtlich nicht verletzt. Der Gerichtshof hat im Zusammenhang mit Bekleidungsvorschriften für Lehrkräfte, namentlich dem Verbot des Tragens des islamischen Kopftuchs, den Vertragsstaaten im Blick auf das in dem betreffenden Land geltende weltanschaulich-religiöse Neutralitätsprinzip und den Schutz der negativen Religionsfreiheit Dritter, die er der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung zugeordnet hat (Art. 9 Abs. 2 EMRK), einen erheblichen Spielraum eingeräumt (vgl. EGMR, Dahlab v. Schweiz, Entscheidung vom 15. Februar 2001, Nr. 42393/98, NJW 2001, S. 2871 <2873>; EGMR , Sahin v. Türkei, Urteil vom 10. November 2005, Nr. 44774/98, NVwZ 2006, S. 1389 <1392 ff.>, § 107 ff.; EGMR, Kurtulmus v. Turkey, Entscheidung vom 24. Januar 2006, Nr. 65500/01; zu Grenzen des Spielraums vgl. EGMR, Eweida u.a. v. UK, Urteil vom 15. Januar 2013, Nr. 48420/10 u.a., NJW 2014, S.1935 <1940 Rn. 95>). Auch im Blick auf ein etwaiges Verbot von "Kopftuchsurrogaten" durch sogenannte Umgehungstatbestände hat der Gerichtshof den Einschätzungsspielraum der Vertragsstaaten betont (vgl. EGMR, Aktas v. France, Entscheidung vom 30. Juni 2009, Nr. 43563/08).

151

Ein Verbot religiöser Symbole, das sich nicht direkt gegen eine bestimmte Religionszugehörigkeit richtet, ist auch im Lichte des Diskriminierungsverbots von Art. 14 EMRK jedenfalls aus denjenigen Gründen unbedenklich, aus denen auch ein darin liegender Eingriff in Art. 9 EMRK gerechtfertigt werden kann (vgl. EGMR , Sahin v. Türkei, Urteil vom 10. November 2005, Nr. 44774/98, NVwZ 2006, S. 1389 <1396>, § 165). Das ist hier der Fall, weil die Untersagungsregelung alle religiösen Bekundungen gleichermaßen trifft und weit über solche durch äußeres Auftreten hinausgreift, vor allem auch verbale Bekundungen erfasst.

152

Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs, von der die Bewertung auszugehen hat (vgl. BVerfGE 111, 307 <319>; 128, 326 <368 ff.>), ergibt sich, dass die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegenden landesschulgesetzlichen Bestimmungen in der oben von Verfassungs wegen vorgegebenen einschränkenden Interpretation keinen weitergehenden, aus der Europäischen Menschenrechtskonvention folgenden Bedenken begegnet.

153

bb) Ebenso wenig verletzen die in Rede stehenden landesschulgesetzlichen Regelungen in der hier gebotenen einschränkenden Auslegung die Benachteiligungsverbote des bundesrechtlichen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.

154

Die Beschränkung religiöser Bekundungen auf der Grundlage des § 57 Abs. 4 SchulG NW stellt nach den Maßstäben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eine unmittelbare, normativ vorgegebene Benachteiligung aus Gründen der Religion dar, die die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen betrifft (§§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 AGG). Sie ist als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung jedenfalls dann gerechtfertigt (§ 8 Abs. 1 AGG), wenn das äußere Erscheinungsbild zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führt oder wesentlich dazu beiträgt (oben B. II. 3. d) bb) <4> ).

155

Auch unter dem Gesichtspunkt einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts (§ 3 Abs. 2 Satz 1 AGG) lässt sich ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG durch die Regelung in der gebotenen verfassungskonformen Auslegung aus den auch für das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung geltenden Gründen nicht feststellen.

156

2. Es bedarf keiner näheren Befassung mit der Frage, ob das Bundesarbeitsgericht als letztinstanzliches Fachgericht den Beschwerdeführerinnen ihren gesetzlichen Richter vorenthalten hat (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), indem es von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV abgesehen hat. Die vom Bundesarbeitsgericht getroffenen Entscheidungen erweisen sich bereits aus anderen Gründen als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

V.

157

Danach ist die Vorschrift des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW mit Art. 3 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 3 GG unvereinbar und nichtig (§ 95 Abs. 3 BVerfGG). Die angegriffenen Urteile der Arbeitsgerichte verletzen die Beschwerdeführerinnen jeweils in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Die Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte und des Bundesarbeitsgerichts sind aufzuheben. Der Senat verweist die Sachen jeweils an das Landesarbeitsgericht zurück (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Auf diese Weise wird in der Tatsacheninstanz die Möglichkeit ergänzender Feststellungen eröffnet, um diese auf der Grundlage einer verfassungskonformen Auslegung des § 57 Abs. 4 SchulG NW einer erneuten fachrechtlichen Bewertung unterziehen zu können.

C.

158

Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.

159

Die Entscheidung ist mit 6 : 2 Stimmen ergangen.

Abw. Meinung

1

Die Entscheidung vermögen wir in weiten Teilen des Ergebnisses und der Begründung nicht mitzutragen.

2

Die vom Senat geforderte einschränkende Auslegung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW dahin, dass nur eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagogen zu rechtfertigen vermag, wenn es um die Befolgung eines imperativ verstandenen religiösen Gebots geht, misst den zu dem individuellen Grundrecht der Pädagogen gegenläufigen Rechtsgütern von Verfassungsrang bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu geringes Gewicht bei. Sie vernachlässigt die Bedeutung des staatlichen Erziehungsauftrags, der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, sowie den Schutz des elterlichen Erziehungsrechts und der negativen Glaubensfreiheit der Schüler. Damit beschneidet der Senat zugleich in nicht akzeptabler Weise den Spielraum des Landesschulgesetzgebers bei der Ausgestaltung des multipolaren Grundrechtsverhältnisses, das gerade die bekenntnisoffene öffentliche Schule besonders kennzeichnet. Der Senat entfernt sich so auch von den Maßgaben und Hinweisen der sogenannten Kopftuch-Entscheidung des Zweiten Senats vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282), die dem Landesschulgesetzgeber gerade für den Bereich der öffentlichen Schule die Aufgabe zuschreibt, gesetzlich zu regeln, inwieweit er religiöse Bezüge in der Schule zulässt oder wegen eines strikteren Neutralitätsverständnisses aus der Schule heraushält. Nach unserer Auffassung ist die vom nordrhein-westfälischen Landesschulgesetzgeber gewollte Untersagung schon abstrakt zur Gefährdung des Schulfriedens und der staatlichen Neutralität geeigneter Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagogen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings muss es sich bei Bekundungen durch das Tragen religiös konnotierter Bekleidung, die geeignet zur Gefährdung der Schutzgüter sind, um solche von starker religiöser Ausdruckskraft handeln (dazu I.).

3

Anders als der Senat meint, ist Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW, wonach die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags der Schulen nach der nordrhein-westfälischen Landesverfassung und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen dem Verhaltensgebot nach Satz 1 nicht widerspricht, in der Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht verfassungsrechtlich unbedenklich. Diese Interpretation, die an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anknüpft, hält sich in den Grenzen richterlicher Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG). Liegt damit für christliche und jüdische Religionen keine Freistellung vom Bekundungsverbot des Satzes 1 in § 57 Abs. 4 SchulG NW und damit keine Privilegierung vor - eine solche wäre auch unserer Ansicht nach gleichheitswidrig -, so besteht auch kein Grund, die Teilregelung des Satzes 3 für verfassungswidrig und nichtig zu erklären (dazu II.).

4

In der Folge bestehen gegen die angegriffene Vorschrift des § 57 Abs. 4 SchulG NW auch keine durchgreifenden Bedenken, die sich aus anderen Grundrechten der Beschwerdeführerinnen, aus den Vorschriften der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie den bundesrechtlichen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ergeben könnten (dazu III.). Im Ergebnis wäre deshalb allenfalls die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu I.) als begründet zu erachten gewesen, weil die von ihr getragene Kopfbedeckung (Wollmütze und gleichfarbiger Rollkragenpullover) im gegebenen Umfeld der Schule nicht ohne Weiteres als religiöse Bekundung deutbar ist. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu II.) erscheint dagegen nach den vorgenannten Maßstäben unbegründet (dazu IV.).

I.

5

Die vom nordrhein-westfälischen Landesschulgesetzgeber gewollte Untersagung religiöser Bekundungen auch durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagogen nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW, wenn diese geeignet sind, den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität zu gefährden oder zu stören, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Bekundungswirkung hinreichend stark ist. Eine einschränkende Auslegung der Bestimmung, wonach die Untersagung in der hier gegebenen Konstellation eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter erfordert, ist von Verfassungs wegen nicht geboten. Im Gegenteil: Sie misst dem elterlichen Erziehungsrecht und der negativen Glaubensfreiheit der Schüler sowie dem staatlichen Erziehungsauftrag, der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, im Verhältnis zu der Glaubensfreiheit der Pädagogen in dem zu einem schonenden Ausgleich zu bringenden multipolaren Grundrechtsverhältnis in der Schule zu geringes Gewicht bei und verkürzt den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Es steht dem Gesetzgeber im Rahmen dieses Gestaltungsspielraums offen, solche Bekundungen schon bei nur abstrakter Gefahr für die Schutzgüter zu untersagen.

6

1. Die bekenntnisoffene öffentliche Gemeinschaftsschule ist durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen von Pädagogen, Schülern und Eltern gekennzeichnet, deren Freiheitsgewährleistung im Alltag auch das Tragen religiös konnotierter Bekleidung umfasst. Der Erziehungsauftrag des Staates, den er in fördernder und wohlwollender Neutralität gegenüber den unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Richtungen wahrzunehmen hat, erfordert im Blick auf Pädagogen, die in der Schule von ihrer individuellen Glaubensfreiheit Gebrauch machen, in der Ausgestaltung einen angemessenen und schonenden Ausgleich zwischen den betroffenen verfassungsrechtlichen Positionen. Diesen Ausgleich hat in den wesentlichen Fragen der Gesetzgeber vorzugeben. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war davon auszugehen, dass das Grundgesetz den Ländern im Schulwesen umfassende Gestaltungsfreiheit belässt; auch in Bezug auf die weltanschaulich-religiöse Ausprägung der öffentlichen Schulen hat Art. 7 GG danach die weitgehende Selbstständigkeit der Länder und im Rahmen von deren Schulhoheit die grundsätzlich freie Ausgestaltung der Pflichtschule im Auge (so zuletzt BVerfGE 108, 282<302, 310 ff.>; siehe auch BVerfGE 41, 29 <44 f.>; 52, 223 <242 f.>). Diese den Ländern bisher zugestandene weitgehende Gestaltungsfreiheit für das Schulwesen schließt nach dem Urteil des Zweiten Senats vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282) bei der Ausgestaltung des Erziehungsauftrags die Möglichkeit ein, der staatlichen Neutralität im schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fernzuhalten, um Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften von vornherein zu vermeiden (vgl. BVerfGE 108, 282 <310>). Es ist demnach zunächst Sache des Landesgesetzgebers, darüber zu befinden, wie er den schonenden Ausgleich bei der Gestaltung des Erziehungsauftrags im multipolaren Grundrechtsverhältnis der Schule findet. Dabei kann er religiöse Bezüge in der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule in weitgehendem Maße zulassen (vgl. BVerfGE 52, 223 - Schulgebet); er kann sie aber auch - abgesehen von der Garantie des Religionsunterrichts (Art. 7 Abs. 3 GG) - weitgehend aus der Schule heraushalten. Entscheidet sich der Landesgesetzgeber - etwa in Ansehung wachsender kultureller und religiöser Vielfalt - für eine Beschränkung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Gemeinschaftsschule, so steht es ihm - gerade bezogen auf das Verhalten seiner Pädagogen - offen, schon vorbeugend möglichen Beeinflussungen der Schülerinnen und Schüler entgegenzuwirken, um nicht fernliegende Konflikte zwischen Pädagogen und Schülern sowie deren Eltern, aber auch innerhalb der Schülerschaft von vornherein zu vermeiden (vgl. BVerfGE 108, 282 <307, 309, 310>).

7

Diese Maßgaben, die der Zweite Senat in der zitierten Entscheidung mindestens nahe gelegt hat, auch wenn der hier zur Entscheidung berufene Erste Senat sie jetzt unausgesprochen als nicht entscheidungstragend bewertet, wären der verfassungsrechtlichen Beurteilung unseres Erachtens auch im Interesse einer berechenbaren Verfassungsrechtsprechung zugrunde zu legen gewesen. Denn die Landesschulgesetzgeber, die wie vorliegend in Nordrhein-Westfalen die Entscheidung des Zweiten Senats aus dem Jahr 2003 (BVerfGE 108, 282) zum Anlass für eine entsprechende gesetzliche Regelung genommen haben, sind von genau diesem Verständnis jener Entscheidung ausgegangen. In verschiedenen Anhörungen durch Landtagsausschüsse auch anderer Länder, die sich damals mit den Folgen der Entscheidung des Zweiten Senats befasst haben, ist dementsprechend ein generelles und für alle Religionen geltendes Verbot des Tragens religiös konnotierter Kleidungsstücke im Schuldienst für verfassungsrechtlich statthaft erachtet worden (vgl. etwa Muckel, Landtag Nordrhein-Westfalen, Ausschussprotokoll 14/137, S. 12 ff.; Oebbecke, Landtag Nordrhein-Westfalen, Zuschrift 13/3910, S. 5 sowie Stellungnahme 14/0184, S. 1; ferner Baer/Wrase, Schleswig-Holsteinischer Landtag, Umdruck 15/4513, S. 5; Masing, Bayerischer Landtag, 15. Wahlperiode, Ausschüsse, Wortprotokoll vom 15. Juni 2004, S. 12 bis 14).

8

Das vom Gesetzgeber beabsichtigte Verständnis der Norm, das das Bundesarbeitsgericht mit seiner Auslegung in den Ausgangsverfahren aufgenommen hat und wonach schon eine abstrakte Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität für die Untersagung einer religiösen Bekundung genügt, steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser hat den Mitgliedstaaten einen erheblichen Beurteilungsspielraum zugestanden und zu sogenannten Kopftuchverboten unterstrichen, aufgrund des besonderen Status einer Lehrperson als "representative of the state" komme deren Religionsfreiheit in der Abwägung ein geringeres Gewicht zu. Auch hat er es für nicht relevant befunden, ob aus der Situation des Einzelfalls heraus konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Rechte der Schüler bestünden. Ausreichend sei vielmehr, dass sich solche Effekte nicht ausschließen ließen. Bezogen auf das Tragen religiöser Symbole könne dies dann angenommen werden, wenn es sich dabei um starke äußerliche Zeichen handele (vgl. nur EGMR, Dahlab v. Schweiz, Entscheidung vom 15. Februar 2001, Nr. 42393/98, NJW 2001, S. 2871 <2873>).

9

2. Die vom Senat seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde gelegte Würdigung halten wir auf dieser Grundlage, namentlich den Ausführungen im Urteil des Zweiten Senats vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282), für nicht überzeugend. Vielmehr kann der Landesschulgesetzgeber gute und tragfähige Gründe für sich in Anspruch nehmen, die schon die abstrakte Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität für das in Rede stehende generelle Verbot religiöser Bekundungen auch durch das äußere Erscheinungsbild genügen lassen. Auch eine solche Lösung für die Umsetzung des vom Gesetzgeber verfolgten legitimen Ziels ist als angemessen und zumutbar zu beurteilen.

10

a) Der Senat geht davon aus, das Tragen einer religiös konnotierten Bekleidung durch Pädagogen, die im sozialen Umfeld als religiöse Bekundung wahrgenommen wird, sei als individuelle Grundrechtsausübung erkennbar. Die Betrachtung erschöpfe sich in der visuellen Wahrnehmung und sei nicht von vornherein dazu angetan, die negative Glaubensfreiheit und das Elterngrundrecht zu beeinträchtigen. Auch könne das Tragen etwa eines islamischen Kopftuchs durch Pädagoginnen nicht als vorbildhaft bewertet werden. Zudem gebe es keinen Anspruch auf Verschonung vor der individuellen Grundrechtsausübung anderer, solange damit kein gezielt beeinflussender Effekt einhergehe.

11

Damit ist die Betroffenheit von Schülerinnen und Schülern sowie von Eltern in ihrer negativen Glaubensfreiheit sowie im Elterngrundrecht nur unzureichend erfasst und gewichtet. Diese Bewertung halten wir für nicht realitätsgerecht. Sie vernachlässigt, dass das Schüler-Pädagogen-Verhältnis ein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis ist, dem Schüler und Eltern unausweichlich und nicht nur flüchtig ausgesetzt sind. Das Maß der Betroffenheit unterscheidet sich grundlegend von dem, das beim Zusammentreffen verschiedener religiöser Bekenntnisse und Bekundungen im gesellschaftlichen Alltag gegeben ist, und mit dem Menschen in einer pluralistischen Gesellschaft umgehen und das sie dulden müssen, auch wenn sie dem im Einzelfall, etwa im öffentlichen Raum nur begrenzt entgehen können. In jedem Falle sind solche Berührungen in der Regel nur punktuell und nicht von nennenswerter Dauer. Schon das unterscheidet sie von der Begegnung und Konfrontation in der Schule, der die Schüler sich nicht entziehen können und bei der die Nichtteilnahme am Unterricht sogar sanktioniert ist. Schüler können also hier den Lehrpersonen und ihren Überzeugungen nicht aus dem Weg gehen. Darüber hinaus ist es Aufgabe der Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler zu unterrichten, zu erziehen, zu beraten, zu beurteilen, zu beaufsichtigen und zu betreuen (§ 57 Abs. 1 SchulG NW). Daraus erhellt sich auch das besondere Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schülern und Pädagogen, die über die Versetzung und einen erfolgreichen Schulabschluss mitbefinden. Sie können schon deshalb nicht mit beliebigen Personen aus der Gesellschaft verglichen werden, die von den Schülerinnen und Schülern lediglich angeschaut werden und deren Auffassung diese ertragen müssen; vielmehr treten sie in der Schule als Autoritätsperson auf. Das gilt auch für sozialpädagogische Mitarbeiter, die mit der Lösung von Schulkonflikten betraut sind (vgl. § 58 Satz 2 SchulG NW). Dies bedingt ein weitaus stärkeres Ausgesetztsein gegenüber religiösen Bekundungen als es bei Begegnungen im gesellschaftlichen Alltag der Fall ist. Beides ist nicht vergleichbar.

12

b) Den Pädagogen kommt in der Schule im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern zudem eine Vorbildfunktion zu. Die gewollte erzieherische Einwirkung löst in der Regel bei Schülern und mittelbar auch bei deren Eltern irgendeine Form der Reaktion aus. Von religiösen Bekundungen durch das Tragen religiös konnotierter Bekleidung geht - abhängig auch von dem Alter der betroffenen Schülerinnen und Schüler - nicht zwingend, aber jedenfalls nicht ausschließbar eine gewisse appellative Wirkung aus, sei es in dem Sinne, dass dieses Verhalten als vorbildhaft und befolgungswürdig verstanden und aufgenommen, sei es, dass es entschieden abgelehnt wird. Dabei ist zu bedenken, dass die schulische Erziehung nicht nur der Erlangung der grundlegenden Kulturtechniken und der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten dient. Sie soll auch die emotionalen und affektiven Anlagen der Schüler zur Entfaltung bringen. Das Schulgeschehen ist darauf angelegt, ihre Persönlichkeitsentwicklung umfassend zu fördern, insbesondere auch das Sozialverhalten zu beeinflussen. Die Umsetzung dessen ist Aufgabe der Pädagogen (vgl. § 57 Abs. 1 SchulG NW). Deren Verhalten, aber auch die Befolgung bestimmter religiöser Bekleidungsregeln trifft auf Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind, Kritikvermögen und Ausbildung eigener Standpunkte erst erlernen sollen und daher auch einer mentalen Beeinflussung besonders leicht zugänglich sind (so der Senat in BVerfGE 93, 1 <20> - Kruzifix; vgl. auch BVerfGE 52, 223 <249>). Eine wirklich offene Diskussion über die Befolgung religiöser Bekleidungsregeln und -praktiken wird, wenn Lehrpersonen persönlich betroffen sind, in dem spezifischen Abhängigkeitsverhältnis der Schule allenfalls begrenzt möglich sein.

13

Das Tragen religiös konnotierter Kleidung durch Pädagogen kann schließlich zu Konflikten innerhalb der Schülerschaft und unter den Eltern führen und sie befördern, zumal wenn die Betroffenen möglicherweise ähnlichen, aber hinsichtlich bestimmter religiöser Regeln - wie etwa dem Bedeckungsgebot - verschiedenen Glaubensrichtungen angehören, in denen unterschiedliche Anschauungen über das "richtige" glaubensgeleitete Verhalten herrschen. Auch wenn solche religiösen Bekundungen nicht zwingend zu einer Beeinträchtigung der negativen Glaubensfreiheit und des Elterngrundrechts führen müssen, so besteht doch in dieser Hinsicht ein erhebliches Risiko. Der Gesetzgeber darf deshalb den Schutz dieser Grundrechte mit beträchtlichem Gewicht in die Abwägung einstellen.

14

c) Die Pädagogen genießen zwar ihre individuelle Glaubensfreiheit. Zugleich sind sie aber Amtsträger und damit der fördernden Neutralität des Staates auch in religiöser Hinsicht verpflichtet. Denn der Staat kann nicht als anonymes Wesen, sondern nur durch seine Amtsträger und seine Pädagogen handeln. Diese sind seine Repräsentanten. Die Verpflichtung des Staates auf die Neutralität kann deshalb keine andere sein als die einer Verpflichtung seiner Amtsträger auf Neutralität. Für den Pädagogen in der Schule als Individuum ist es deshalb anders als für das Individuum in ausschließlich gesellschaftlichen Zusammenhängen geboten, bei religiösen Bekundungen Zurückhaltung zu üben, wenn seine Überzeugung bei der Wahrnehmung des staatlichen Erziehungsauftrags mit den Grundrechten anderer kollidieren kann. Das gilt für äußere religiöse Bekundungen gleichermaßen wie für politische Bekundungen, die freilich den unter Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrechten auf Meinungsfreiheit und allgemeine Handlungsfreiheit zuzuordnen sind.

15

d) Der Gesetzgeber konnte sich bei seiner Entschließung für ein weitgehend schon vorbeugendes Verbot auch auf die damals - im Anschluss an die Kopftuch-Entscheidung des Zweiten Senats (BVerfGE 108, 282) - bei den Anhörungen in verschiedenen Landtagen hervorgetretene, weitgehend übereinstimmende Einschätzung sachkundiger Pädagogen stützen. So hat etwa bei einer vorangegangenen Anhörung zu einer ähnlichen landesschulgesetzlichen Regelung im Landtag von Baden-Württemberg der Vorsitzende der Vereinigung von Schulleitern betont, durch die Persönlichkeit der Lehrkraft, zu der auch das äußere Erscheinungsbild gehöre, würden Schülerinnen und Schüler bestimmter Altersgruppen angesprochen und direkt oder indirekt beeinflusst. Er hat dabei eine Erklärung des Landesschulbeirats vorgetragen und hervorgehoben, dass bei der zuvor stattgefundenen Bundestagung aller Schulleitungen eine einmütige Erklärung in dieser Hinsicht gefasst worden sei. Diese habe auch zum Inhalt gehabt, dass die Problematik keinesfalls bei den einzelnen Schulen "abgeladen" werden solle, sondern der Gesetzgeber eine generelle Lösung finden möge (Rainer Mack, 13. Landtag von Baden-Württemberg, Ausschuss für Schule u.a., 12. März 2004, S. 101 ff.). Diese Sichtweise entsprach Stellungnahmen des Schulleiterverbandes Schleswig-Holstein und der Vereinigung der Schulaufsichtsbeamten des Landes Hessen in den dortigen Gesetzgebungsverfahren. Darin wurde unmissverständlich hervorgehoben, falls eine Regelung getroffen werde, sei es Konsens, dass keine Einzelfallentscheidung der Schule vor Ort vorgesehen werden dürfe, weil dies erhebliches Konfliktpotenzial in sich berge (Hessischer Landtag, Ausschussvorlage KPA/16/14, S. 283; Schleswig-Holsteinischer Landtag, Umdruck 15/4472). In gleicher Weise finden sich Stellungnahmen in dem Anhörungsverfahren des Landtags Nordrhein-Westfalen, in denen insbesondere auch auf die Probleme in Grund- und Hauptschulen im Blick auf die verschiedenen Richtungen und Einstellungen islamischer Schüler und Eltern im Verhältnis zur Lehrkraft hingewiesen wurde. Gerade unter diesen Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern gebe es auch Diskussionen über "die richtige Frömmigkeit". Eine einheitliche landesweite Regelung sei notwendig, damit nicht jede betroffene Schule derartige Konflikte selbst lösen müsse (vgl. etwa Landtag Nordrhein-Westfalen, Hauptausschuss u.a., Ausschussprotokoll 13/1218 vom 6. Mai 2004, S. 43, 44, 46 ff. ; Zuschrift 13/3912 vom 29. April 2004, S. 1 ; Hauptausschuss u.a., Ausschussprotokoll 14/137 vom 9. März 2006, S. 40 f. ).

16

Diese Stellungnahmen verdeutlichen die Bedeutung eines generellen, etwa auch landesweiten und -einheitlichen Verbots religiöser Bekundungen schon bei abstrakter Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität. Zudem liegt auf der Hand, dass mit einer Einschränkung des Verbots auf Fälle einer hinreichend konkreten Gefahr für die Schutzgüter in der Schulpraxis in stärkerem Maße Befunderhebungs- und Beweisführungsprobleme erwachsen. Diese sind von der Schulverwaltung notwendig unter Beteiligung der Schüler und Eltern auszutragen und verstärken eine dem Erziehungsauftrag eher abträgliche Personalisierung des etwaigen Konflikts. Vor diesem Hintergrund ist das Bestreben des Gesetzgebers anzuerkennen, eine einheitliche allgemeine Regelung zu schaffen, um weltanschaulich-religiöse Konflikte möglichst weitgehend aus den Schulen herauszuhalten und das zulässige Maß an religiösen Bekundungen berechenbar und unabhängig von einzelfallbezogenem Konfliktpotenzial zu regeln.

17

e) Die spezifische Situation in der Schule ist, wie dargelegt, zum einen durch die Unausweichlichkeit, zum anderen durch den appellativen Charakter entsprechend starker religiöser Bekundungen sowie durch das besondere Abhängigkeitsverhältnis geprägt. In dieser Situation liegt nicht fern, dass Zweifel von Schülern und Eltern an der gebotenen Neutralität der betreffenden Pädagogen aufkommen können. Diese Umstände tragen die Einschätzung des Gesetzgebers, dass in einer vielgestaltigen Gesellschaft, in der eine weitgehende religiöse Homogenität nicht länger unterstellt werden kann, zum Schutz der positiven und negativen Glaubensfreiheit von Schülerinnen und Schülern sowie des entsprechenden Elterngrundrechts und zur Wahrung der gebotenen staatlichen Neutralität bei der Wahrnehmung des Erziehungsauftrags ein Verbot jedweder religiösen Bekundung mit starker Wirkung durch Pädagogen in der Schule erforderlich und angemessen ist, wenn diese auch nur abstrakt eine Gefahr für die genannten Schutzgüter darstellt. Die Würdigung des Senats, nach der es allein angemessen und zumutbar ist, wenn den Pädagogen im Schulverhältnis bei der Wahrnehmung des staatlichen Erziehungsauftrags die Inanspruchnahme ihres individuellen Grundrechts auf Glaubensfreiheit in einem Maße zugestanden wird, die erst an der Schwelle zur gezielten Beeinflussung und zu einer hinreichend konkreten Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität halt macht, vernachlässigt demgegenüber die spezifische Situation in der Schule. Denn der Staat verlangt von Schülern und Eltern die Teilnahme an der "Veranstaltung Schule" zur Heranbildung und Erziehung junger Menschen. Die Schüler sind ihm damit zur Erziehung anvertraut. Die Teilnahme ist in weiten Teilen verpflichtend. Das bedingt eine Garantenstellung des Staates. Eine Bewertung, die allein darauf abstellt, dass der Staat eine ihm unmittelbar nicht zuzurechnende individuelle Grundrechtsausübung seiner Pädagogen nur dulde und die Schüler lediglich eine bestimmte Bekleidung der Pädagogen anzuschauen hätten, die erkennbar auf deren individuelle Entscheidung zurück gehe, greift deshalb zu kurz. Eine solche vereinfachende Differenzierung zwischen dem Staat zurechenbaren Symbolen und individueller religiös konnotierter Bekleidung von Pädagogen blendet die Wirkung aus, die auch die individuelle Grundrechtsausübung einer Lehrperson auf Schülerinnen und Schüler haben kann.

18

3. Zusammengefasst ist nach unserem Dafürhalten die Untersagung religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagogen schon bei einer abstrakten Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität verfassungsrechtlich unbedenklich. Mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist einschränkend allerdings zu verlangen, dass es sich für die Untersagung des Tragens religiös konnotierter Kleidung um eine solche von starker Ausdruckskraft handeln muss. Es steht dem Landesschulgesetzgeber von Verfassungs wegen jedoch auch offen, religiöse Bezüge in weitem Maße zuzulassen, etwa wenn er dies im Interesse einer Erziehung zu Toleranz und Verständnis für angemessen erachtet. Verpflichtet ist er dazu von Verfassungs wegen indessen nicht.

19

4. Eine Erstreckung der verfassungsrechtlichen Prüfung auf Satz 2 des § 57 Abs. 4 SchulG NW war nicht geboten. Diese Bestimmung hat zwar die Schulverwaltung in den Ausgangsfällen mit herangezogen. Die angegriffenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen sind darauf jedoch nicht mehr gestützt. Allerdings ist dem Senat darin zuzustimmen, dass allein das Tragen eines sogenannten islamischen Kopftuchs keinen Schluss darauf zulässt, dass die Voraussetzungen dieser Untersagungsbestimmung erfüllt sind.

II.

20

Das vom Bundesarbeitsgericht zugrunde gelegte Normverständnis des Satzes 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW, wonach die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags der Schule nach der nordrhein-westfälischen Landesverfassung und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen dem Verhaltensgebot nach Satz 1 nicht widerspricht, wahrt die Grenzen richterlicher Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) und ist verfassungsrechtlich in dieser Interpretation nicht zu beanstanden. Dieser Teil der Vorschrift war deshalb nicht für verfassungswidrig zu erklären.

21

Dem Senat ist darin zuzustimmen, dass ein Verständnis des Satzes 3 von § 57 Abs. 4 SchulG NW im Sinne einer echten Freistellungs- und Privilegierungsklausel zum Bekundungsverbot des Satzes 1 wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot verfassungswidrig wäre. Die vom Bundesarbeitsgericht gefundene Auslegung hingegen, die derjenigen des Bundesverwaltungsgerichts zu einer entsprechenden Regelung im baden-württembergischen Schulgesetz folgt (BVerwGE 121, 140 <147, 150>), vermeidet ein solches Ergebnis jedoch. Diese Auslegung ist naheliegend, steht mit dem Wortlaut des Gesetzes im Einklang, widerspricht - entgegen der Auffassung des Senats - keineswegs dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers und bestimmt auch den normativen Gehalt der Regelung nicht grundlegend neu.

22

Es trifft zwar zu, dass die Gesetzesinitiatoren sowohl in der 13. als auch in der 14. Wahlperiode des nordrhein-westfälischen Landtags ausweislich der Gesetzentwurfsbegründungen mit Satz 3 der Vorschrift die Vorstellung verbanden, anders als das islamische Kopftuch etwa könnten bestimmte traditionelle, im christlichen oder jüdischen Glauben wurzelnde Bekleidungsformen zugelassen werden (vgl. Gesetzentwurfsbegründungen LTDrucks 13/4564, S. 8 zum damaligen Schulordnungsgesetz NW; LTDrucks 14/569, S. 9). Dabei kann die Beurteilung aus der Entstehungsgeschichte jedoch nicht stehen bleiben. Denn am Beginn des Gesetzesvorhabens ging die Fassung des heutigen Satzes 3 noch dahin, dass die äußere "Bekundung" christlicher Bildungs- und Kulturwerte zulässig bleiben sollte. Es wurde also derselbe Begriff gebraucht wie in dem heutigen Satz 1 (LTDrucks 13/4564, S. 4). Später wurde die Formulierung in Satz 3 hingegen in "Darstellung" abgeändert (so der Entwurf LTDrucks 14/569, S. 4). Für eine differenzierte Auslegung findet sich deshalb objektiv und losgelöst von den Vorstellungen der Gesetzesinitiatoren ein tragfähiger Ansatz im Wortlaut der Regelung. Denn eine "religiöse Bekundung" (Satz 1) ist etwas anderes als die "Darstellung von Bildungs- und Kulturwerten oder Traditionen" (Satz 3).

23

Die Ursprungsvorstellungen bei der Abfassung der Begründungen zu den Gesetzentwürfen haben im weiteren Verlauf des von vielfältigen Einflüssen bestimmten Gesetzgebungsverfahrens einen Wandel erfahren. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht - noch vor den letzten Anhörungen in dem zuständigen Ausschuss des Landtags von Nordrhein-Westfalen und vor dem endgültigen Gesetzesbeschluss des Landtags - die entsprechende baden-württembergische schulgesetzliche Regelung bereits einschränkend ausgelegt hatte, und auch bei den Sachverständigen-Anhörungen im nordrhein-westfälischen Landtagsausschuss Entsprechendes vertreten worden war (vgl. etwa Muckel, LT-Stellungnahme 14/0188, LT-Ausschussprotokoll 14/137, S. 9 ff., S. 53 f.; Stephan, LT-Stellungnahme 14/0174), wurde die Landesregierung vom Hauptausschuss des Landtags um eine verfassungsrechtliche Bewertung des Ergebnisses der Sachverständigen-Anhörungen gebeten. Deren schriftliche Äußerung zur Anhörung ging - wie der Senat zutreffend hervorhebt - im Blick auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dahin, die bei den Anhörungen geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken zu Satz 3 bezögen sich nicht auf die gesetzliche Regelung als solche, sondern allein auf die Frage, wie die Norm verfassungskonform auszulegen und anzuwenden sei (LT-Vorlage 14/0463, S. 2). In Verbindung mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war daher vor dem endgültigen Gesetzesbeschluss des Landtags klar, dass eine solche einschränkende Auslegung, wie sie später auch das Bundesarbeitsgericht seinen hier angegriffenen Urteilen zugrunde gelegt hat, im Raum stand und nahe lag. Hätte der Gesetzgeber jedoch eine wirkliche Privilegierung und eine Ausnahme für christliche und jüdische Religionen konsequent verfolgen wollen, wäre es ihm ohne Weiteres möglich gewesen, dies durch eine geänderte Formulierung des Gesetzestextes - etwa im Sinne des ersten Entwurfs aus der vorangegangenen Landtagslegislaturperiode - sicherzustellen. Das ist jedoch gerade nicht geschehen. Der Landtag hat also nicht - wie der Senat meint - im Bewusstsein des verfassungsrechtlichen Risikos, sondern allenfalls unter billigender Inkaufnahme der einschränkenden Auslegung, wie sie das Bundesverwaltungsgericht schon damals vorgenommen hatte, das Gesetz beschlossen, so gesehen also gerade "mit Wissen" und "mit Eventual-Wollen" gehandelt. Ihm etwas anderes zu unterstellen, ist bei verständiger Lesart aller Materialien unter Berücksichtigung der Erörterungen während des Gesetzgebungsverfahrens nicht tragfähig. Deshalb kann keine Rede davon sein, die vom Senat verworfene Auslegung des Satzes 3 durch das Bundesarbeitsgericht laufe dem vom Gesetzgeber Gewollten zuwider oder messe der Norm einen grundlegend neuen Gehalt bei und überschreite somit die Grenzen richterlicher Auslegung des Gesetzesrechts.

24

Die vom Senat zur Begründung seiner Ansicht weiter angeführten Erwägungen rechtfertigen keine andere Beurteilung: Dass Satz 3 in der Interpretation des Bundesarbeitsgerichts lediglich noch klarstellende Funktion zukomme und sich nicht in den Regelungskontext füge, ist ohne Bedeutung für die Frage, ob er verfassungswidrig ist. Im Übrigen können regelungstechnisch durchaus auch lediglich klarstellende, ergänzende Vorschriften für die Abgrenzung einer Hauptnorm und für deren Interpretation hilfreich und sinnvoll sein. Sie sind in der Rechtsordnung vielfach anzutreffen, ohne dass sie deshalb in die Nähe der Verfassungswidrigkeit gerückt würden. Unerheblich ist weiter, dass Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW den Bezug auf Art. 12 Abs. 3 Satz 1 Verf NW inhaltlich unvollständig aufnimmt, weil in ihm - anders als in der Landesverfassung - nur die christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen, nicht dagegen die Offenheit für die christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen ausdrücklich erwähnt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob bei der Erwähnung tradierter, in einem säkularen Sinne zu verstehender Werte die erst seit wenigen Jahrzehnten in Deutschland breiter in Erscheinung getretenen weiteren Religionen und religiösen Richtungen ebenfalls in die schulgesetzliche Bestimmung hätte aufgenommen werden müssen. Gerade wenn Satz 3 klarstellende Bedeutung zukommt, liegt es auf der Hand, dass die daraus folgende Interpretations- und Abgrenzungshilfe für die Wahrnehmung des Erziehungsziels des Art. 12 Abs. 3 Satz 1 Verf NW gegebenenfalls auch die dort festgelegte Offenheit für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen umfasst.

25

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Senat dem für die Auslegung maßgeblichen, in der Norm zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <132>; 105, 135 <157>; 110, 226 <248>; stRspr) ebenso wenig gerecht wird wie den im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens zutage getretenen subjektiven Vorstellungen der Gesetzgebungsorgane. Bei zutreffender Würdigung ist gegen Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW in der Auslegung des Bundesarbeitsgerichts von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.

III.

26

Auf der Grundlage der hier vertretenen verfassungsrechtlichen Würdigung nach dem Maßstab des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG lässt sich aus den (oben unter I.) angeführten Gründen auch kein Verstoß gegen weitere Grundrechte, die Europäische Konvention für Menschenrechte und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz als bundesrechtliche Vorschrift (vgl. Art. 31 GG) feststellen. Das soll im Rahmen dieser abweichenden Meinung nicht weiter ausgeführt werden. Anzumerken bleibt allerdings:

27

Die Annahme einer Ungleichbehandlung aus Gründen des Geschlechts (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG), die der Senat erst auf der Rechtfertigungsebene auflöst, ist unseres Erachtens nicht tragfähig.

28

Auf der Grundlage unserer abweichenden Auffassung zur Würdigung des Satzes 3 von § 57 Abs. 4 SchulG NW ergibt sich das schon daraus, dass das vom Senat angenommene Verständnis der Vorschrift als echte Ausnahmeklausel für das Tragen von Kleidungsstücken, die christlichen und abendländischen Bildungs- und Kulturwerten entsprechen, nach unserem Dafürhalten auch bei der Prüfung einer geschlechtsspezifischen Benachteiligungnicht zugrunde zugelegt werden kann (siehe dazu oben II.). Damit gilt das Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild für weibliche wie männliche Angehörige aller Religionen und Weltanschauungen.

29

Aber auch auf der Grundlage der Beurteilung durch die Senatsmehrheit, wonach es sich bei Satz 3 um eine Freistellungs- und Privilegierungsklausel zu Satz 1 zugunsten christlicher und jüdischer Religionen handeln soll, liegt keine Benachteiligung wegen des Geschlechts vor. Entgegen der Ansicht des Senats betrifft das Verbot auch dann nicht ganz überwiegend nur muslimische Frauen. Die Vorschrift des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW in der Variante des Verbots religiöser Bekundungen erfasst nicht nur Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild. Sie greift sehr viel weiter und untersagt vor allem auch verbale und sonstige religiöse Bekundungen. Deshalb betrifft sie mit dem Tatbestandsmerkmal "religiöser Bekundungen" Männer und Frauen gleichermaßen. Der Senat kommt zur Annahme einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts nur dadurch, dass er nicht die Norm in der hier maßgeblichen Alternative als Ganzes - als Verbot religiöser Bekundungen -, sondern nur eine ihrer tatsächlichen Anwendungsfallgruppen zum Ausgangspunkt seiner Beurteilung nimmt, nämlich die Bekundung durch das äußere Erscheinungsbild. Nur eine ihrer tatsächlichen Anwendungsfallgruppen kann jedoch nicht die Grundlage für die Beurteilung einer gesetzlichen Vorschrift dahin sein, sie betreffe tatsächlich ganz überwiegend Frauen. Mit ihrem gesamten Anwendungsbereich erfasst § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW in der Variante des Verbots religiöser Bekundungen vielmehr das Verhalten der Pädagogen beider Geschlechter. Selbst innerhalb der Anwendungsfallgruppe von Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild erscheint die Annahme des Senats fragwürdig; denn die Zahl der Fälle, in denen bereits die präventive Wirkung des Bekundungsverbots dazu führt, dass auch Männer sich religiös konnotierter Kleidung und Symbolik enthalten, ist nicht bekannt.

IV.

30

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu I.) wäre auch nach unserer Auffassung im Ergebnis für begründet zu erachten gewesen. Die von ihr getragene Bedeckung, eine Wollmütze und ein gleichfarbiger Rollkragenpullover, ist nicht aus sich heraus religiös konnotiert und wird auch im gegebenen Umfeld der Schule nicht ohne Weiteres als religiöse Bekundung von starker Ausdruckskraft deutbar sein. Hierzu fehlt in den angegriffenen Entscheidungen eine vertretbare, tragfähige Begründung. Diese wäre nach dem Wechsel der Kopfbedeckung von einem in typischer Weise gebundenen Kopftuch zu einer Wollmütze umso mehr erforderlich gewesen, als dieser Zusammenhang mit zunehmendem Zeitablauf sukzessive verblasst.

31

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu II.) erscheint dagegen nach den oben unter I. bis III. dargelegten Maßstäben unbegründet. Vorstellbar wäre allenfalls gewesen, aufgrund ihres Eintritts in den Schuldienst lange vor der Verkündung der in Rede stehenden Regelung, der unter Offenlegung ihrer glaubensgeleiteten Bekleidungspraxis erfolgt war, und wegen der langdauernden, im Blick auf die Schutzgüter unbeanstandet gebliebenen Lehrtätigkeit unter dem Gesichtspunkt rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) eine differenziertere gesetzliche Lösung für solche Altfälle einzufordern.

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(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

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(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

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(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

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(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

(2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

(2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

(2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Tenor

1. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 4 Absatz 1 und Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 140 des Grundgesetzes und Artikel 137 Absatz 3 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung). Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.

3. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin ein Drittel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Frage, in welchem Umfang die arbeitsvertragliche Festlegung glaubensbezogener Loyalitätserwartungen durch einen kirchlichen Arbeitgeber und die Gewichtung eines durch den Arbeitnehmer hiergegen begangenen Verstoßes im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens der eigenständigen Überprüfung und Beurteilung seitens der staatlichen Gerichte zugänglich sind.

I.

2

1. Die Arbeit im sozial-karitativen Sektor, vor allem in der Kranken- und Altenpflege, der Behindertenbetreuung sowie der Kinder- und Jugenderziehung stellt neben der Verkündigung des Evangeliums und der Feier der Eucharistie einen Tätigkeitsschwerpunkt der christlichen Kirchen dar. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt dabei entweder unmittelbar durch kirchliche Untergliederungen oder durch rechtlich verselbständigte Vereinigungen und Einrichtungen, die überwiegend in den Wohlfahrtsverbänden der Caritas (römisch-katholische Kirche) und der Diakonie (evangelische Landeskirchen) zusammengeschlossen sind. Die Wohlfahrtsverbände und die einzelnen Träger der Einrichtungen sind regelmäßig als juristische Personen des Privatrechts organisiert. Deren ideelle und organisatorische Verbindungen zur jeweiligen Kirche werden meist durch Satzungsbestimmungen geregelt, die die inhaltliche und personelle Ausrichtung auf die verfasste Kirche festlegen.

3

Seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist die Zahl der kirchlichen Arbeitnehmer sprunghaft angewachsen. Ursachen dieser Entwicklung sind zum einen die gesellschaftlich bedingte Ausweitung kirchlich getragener Tätigkeiten, vor allem im Bereich der Wohlfahrtspflege, die eine zunehmende Professionalisierung der Mitarbeiter erforderte, zum anderen die kontinuierlich abnehmende Zahl der Angehörigen von Orden und ähnlichen Gemeinschaften, die früher zahlreiche Sozial- und Bildungseinrichtungen betrieben hatten (vgl. Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 <672 f.>). Aufgrund dieser Entwicklung erwies es sich für die Kirchen als unausweichlich, in großem Umfang auch fremdkonfessionelle und nichtchristliche Arbeitnehmer in den kirchlichen Dienst einzubeziehen, um den steigenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften zu decken.

4

2. Der Gesamtheit des kirchlichen Dienstes liegt nach dem Selbstverständnis der christlichen Kirchen das Leitbild der Dienstgemeinschaft zugrunde (vgl. hierzu bereits: BVerfGE 53, 366 <403 f.>; 70, 138 <165>). Es beschreibt die kirchenspezifische Besonderheit ihres Dienstes, die sich auf ein Gemeinschaftsverhältnis zwischen kirchlichem Arbeitgeber und kirchlichem Arbeitnehmer bezieht und auf die religiöse Bindung des Auftrags kirchlicher Einrichtungen gerichtet ist. Grundgedanke der Dienstgemeinschaft ist die gemeinsam getragene Verantwortung aller im kirchlichen Dienst Tätigen - sei es als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, leitend oder untergeordnet, verkündigungsnah oder unterstützend - für den Auftrag der Kirche (vgl. Keßler, in: Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 461 <465>).

5

Nach dem Selbstverständnis der Kirchen erfordert der Dienst am Herrn die Verkündigung des Evangeliums (Zeugnis), den Gottesdienst (Feier) und den aus dem Glauben erwachsenden Dienst am Mitmenschen (Nächstenliebe). Wer in Einrichtungen tätig wird, die der Erfüllung eines oder mehrerer dieser christlichen Grunddienste zu dienen bestimmt sind, trägt demnach dazu bei, dass diese Einrichtungen ihren Teil am Heilswerk Jesu Christi leisten und damit den Sendungsauftrag seiner Kirche erfüllen können (vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 6. Aufl. 2012, § 4 Rn. 10; Zweites Vatikanisches Konzil, Apostolicam Actuositatem <"Dekret über das Laienapostolat">, Art. 2, zum römisch-katholischen Verständnis).

6

3. Zum Schutz der Integrität der Dienstgemeinschaft und zur Wahrung der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung in der Öffentlichkeit nehmen kirchliche Arbeitgeber für sich in Anspruch, arbeitsvertraglich gegenüber ihren Arbeitnehmern besondere Loyalitätserwartungen einzufordern, um die Beachtung der tragenden Grundsätze ihrer jeweiligen Glaubens- und Sittenlehre zu gewährleisten.

7

a) Diese sogenannten Loyalitätsobliegenheiten begründen nicht vertragliche Nebenpflichten in Bezug auf die Erbringung der rechtsgeschäftlich zugesagten Dienstleistung, sondern betreffen allgemein das - auch außerdienstliche - Verhalten des Arbeitnehmers (vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 6. Aufl. 2012, § 6 Rn. 24, m.w.N.). Ihnen fehlt regelmäßig die "Qualität erzwingbarer Rechtspflichten" (BVerfGE 70, 138 <141>). Ihre Missachtung durch den Arbeitnehmer führt jedoch unter Umständen dazu, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem illoyalen Mitarbeiter für den kirchlichen Arbeitgeber unzumutbar wird und ihn zur Kündigung berechtigt.

8

b) Inhalt und Umfang der arbeitsrechtlichen Loyalitätsobliegenheiten können sich über die gesetzlichen Kündigungsvorschriften auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses auswirken. Im Falle der Verletzung einer Loyalitätsobliegenheit kommt sowohl eine ordentliche (§ 1 Abs. 1 KSchG) als auch eine außerordentliche (§ 626 Abs. 1 BGB) Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht. Ab Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich unter sukzessiver Aufgabe früherer Ansätze in der Rechtsprechung (vgl. BAGE 2, 279 ff.) eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der die Festlegung besonderer Loyalitätsobliegenheiten nur noch für solche kirchlichen Arbeitnehmer möglich sein sollte, deren Tätigkeit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem kirchlichen Verkündigungsauftrag stand (vgl. BAG, Urteil vom 25. April 1978 - 1 AZR 70/76 -, juris, Rn. 33; Urteil vom 4. März 1980 - 1 AZR 125/78 -, juris, Rn. 26; Urteil vom 14. Oktober 1980 - 1 AZR 1274/79 -, juris, Rn. 43 ff.; Urteil vom 21. Oktober 1982 - 2 AZR 591/80 -, juris, Rn. 36 f.; Urteil vom 23. März 1984 - 7 AZR 249/81 -, juris, Rn. 39; Urteil vom 31. Oktober 1984 - 7 AZR 232/83 -, juris, Rn. 32). Die Feststellung, ob eine solche "kirchenspezifische" Tätigkeit im konkreten Einzelfall vorlag, sollte hierbei - in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Kündigung von Tendenzträgern in Tendenzbetrieben - der vollumfänglichen Überprüfung durch die staatlichen Arbeitsgerichte unterliegen (vgl. nur: BAG, Urteil vom 14. Oktober 1980 - 1 AZR 1274/79 -, juris, Rn. 45; Urteil vom 21. Oktober 1982 - 2 AZR 591/80 -, juris, Rn. 36 f.).

9

c) Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat durch Beschluss vom 4. Juni 1985 (BVerfGE 70, 138 ff.) festgestellt, dass diese arbeitsgerichtliche Rechtsprechung gegen das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) verstößt und den verfassten Kirchen grundsätzlich die verbindliche Entscheidung darüber zugesprochen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre" sind und was als - gegebenenfalls schwerer - Verstoß gegen diese anzusehen ist. An diese Einschätzung seien die Arbeitsgerichte gebunden, es sei denn, sie begäben sich dadurch in Widerspruch "zu Grundprinzipien der Rechtsordnung" (so BVerfGE 70, 138 <168>; vgl. auch: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. Januar 2001 - 1 BvR 619/92 -, juris; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 7. März 2002 - 1 BvR 1962/01 -, juris).

10

d) Für die römisch-katholische Kirche verabschiedete die Gesamtheit der deutschen (Erz-)Bischöfe am 22. September 1993 eine Fortschreibung der "Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst" (nachfolgend: Erklärung) sowie die "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" (nachfolgend: Grundordnung, GrO), durch die in Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts die verfassungsgerichtlich anerkannten Freiräume durch eine eigene kirchenrechtliche Regelung in einer zugleich rechts- und sozialstaatlichen Anforderungen genügenden Weise ausgefüllt werden sollten (vgl. Dütz, NJW 1994, ,S. 1369 <1369>). Ausgehend vom Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft setzt die Grundordnung die grundlegenden Aussagen der Erklärung zur Eigenart des kirchlichen Dienstes, zu den Anforderungen an Träger und Leitung kirchlicher Einrichtungen sowie an die Mitarbeiter, zur Koalitionsfreiheit und zum besonderen Regelungsverfahren zur Beteiligung der Mitarbeiter an der Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse (sogenannter Dritter Weg) sowie zum gerichtlichen Rechtsschutz normativ um.

11

Die wesentlichen Vorschriften der Grundordnung betreffend die Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten und die arbeitsrechtliche Ahndung von Verstößen hiergegen lauten:

Art. 1. Grundprinzipien des kirchlichen Dienstes

Alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen tragen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann (Dienstgemeinschaft). Alle Beteiligten, Dienstgeber sowie leitende und ausführende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, müssen anerkennen und ihrem Handeln zugrunde legen, dass Zielsetzung und Tätigkeit, Organisationsstruktur und Leitung der Einrichtung, für die sie tätig sind, sich an der Glaubens- und Sittenlehre und an der Rechtsordnung der katholischen Kirche auszurichten haben.

Art. 3. Begründung des Arbeitsverhältnisses

(1) Der kirchliche Dienstgeber muss bei der Einstellung darauf achten, dass eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter die Eigenart des kirchlichen Dienstes bejahen. Er muss auch prüfen, ob die Bewerberin und der Bewerber geeignet und befähigt sind, die vorgesehene Aufgabe so zu erfüllen, dass sie der Stellung der Einrichtung in der Kirche und der übertragenen Funktion gerecht werden.

(2) Der kirchliche Dienstgeber kann pastorale, katechetische sowie in der Regel erzieherische und leitende Aufgaben nur einer Person übertragen, die der katholischen Kirche angehört.

(…)

(5) Der kirchliche Dienstgeber hat vor Abschluss des Arbeitsvertrages durch Befragung und Aufklärung der Bewerberinnen und Bewerber sicherzustellen, dass sie die für sie nach dem Arbeitsvertrag geltenden Loyalitätsobliegenheiten (Art. 4) erfüllen.

Art. 4. Loyalitätsobliegenheiten

(1) Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Insbesondere im pastoralen, katechetischen und erzieherischen Dienst sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind, ist das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erforderlich. Dies gilt auch für leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(2) Von nichtkatholischen christlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Wahrheiten und Werte des Evangeliums achten und dazu beitragen, sie in der Einrichtung zur Geltung zu bringen.

(…)

(4) Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen. Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden.

Art. 5. Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten

(1) Erfüllt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr, so muss der Dienstgeber durch Beratung versuchen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter diesen Mangel auf Dauer beseitigt. Im konkreten Fall ist zu prüfen, ob schon ein solches klärendes Gespräch oder eine Abmahnung, ein formeller Verweis oder eine andere Maßnahme (z. B. Versetzung, Änderungskündigung) geeignet sind, dem Obliegenheitsverstoß zu begegnen. Als letzte Maßnahme kommt eine Kündigung in Betracht.

(2) Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht die Kirche insbesondere folgende Loyalitätsverstöße als schwerwiegend an:

- Verletzungen der gemäß Art. 3 und 4 von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter zu erfüllenden Obliegenheiten, insbesondere Kirchenaustritt, öffentliches Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z.B. hinsichtlich der Abtreibung) und schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen,

- Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe,

- Handlungen, die kirchenrechtlich als eindeutige Distanzierungen von der katholischen Kirche anzusehen sind, vor allem Abfall vom Glauben (Apostasie oder Häresie gemäß Can. 1364 § 1 iVm. Can. 751 CIC), Verunehrung der heiligen Eucharistie (Can. 1367 CIC), öffentliche Gotteslästerung und Hervorrufen von Haß und Verachtung gegen Religion und Kirche (Can. 1369 CIC), Straftaten gegen die kirchlichen Autoritäten und die Freiheit der Kirche (insbesondere gemäß den Can. 1373, 1374 CIC).

(3) Ein nach Abs. 2 generell als Kündigungsgrund in Betracht kommendes Verhalten schließt die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung aus, wenn es begangen wird von pastoral, katechetisch oder leitend tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind. Von einer Kündigung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen.

(4) Wird eine Weiterbeschäftigung nicht bereits nach Abs. 3 ausgeschlossen, so hängt im Übrigen die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung von den Einzelfallumständen ab, insbesondere vom Ausmaß einer Gefährdung der Glaubwürdigkeit von Kirche und kirchlicher Einrichtung, von der Belastung der kirchlichen Dienstgemeinschaft, der Art der Einrichtung, dem Charakter der übertragenen Aufgabe, deren Nähe zum kirchlichen Verkündigungsauftrag, von der Stellung der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters in der Einrichtung sowie von der Art und dem Gewicht der Obliegenheitsverletzung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Lehre der Kirche bekämpft oder sie anerkennt, aber im konkreten Fall versagt.

(5) (…) Im Fall des Abschlusses einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe scheidet eine Weiterbeschäftigung jedenfalls dann aus, wenn sie unter öffentliches Ärgernis erregenden oder die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigenden Umständen geschlossen wird (z. B. nach böswilligem Verlassen von Ehepartner und Kindern).

12

e) Vergleichbare Regelungen existieren in den meisten evangelischen Landeskirchen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat nach dem Vorbild der Grundordnung die "Richtlinie über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonischen Werkes der EKD" vom 1. Juli 2005 erlassen.

II.

13

1. Die Beschwerdeführerin ist kirchliche Trägerin des katholischen V.-Krankenhauses in D. Seit dem 1. Januar 2000 beschäftigt sie dort den katholischen Kläger des Ausgangsverfahrens (nachfolgend: Kläger) als Chefarzt der Abteilung ... Dessen durchschnittliches Bruttogehalt betrug zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung ... Euro monatlich.

14

a) Der Dienstvertrag vom 12. Oktober 1999 betont in seiner Präambel die nach katholischem Verständnis zwischen allen in einer kirchlichen Einrichtung Tätigen bestehende Dienstgemeinschaft, die von den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre getragen werden soll und verweist zur Ausgestaltung dessen auf die Grundordnung sowie weitere außervertragliche Regelungen:

Grundlage des Vertrages

Das V.-Krankenhaus ist ein katholisches Krankenhaus.

Mit diesem Krankenhaus erfüllt der Träger eine Aufgabe der Caritas als eine Lebens- und Wesensäußerung der Katholischen Kirche. Mitarbeiter im Krankenhaus leisten deshalb ihren Dienst im Geist christlicher Nächstenliebe. Dienstgeber und alle Mitarbeiter des Krankenhauses bilden ohne Rücksicht auf ihre Tätigkeit und Stellung eine Dienstgemeinschaft, die vom Dienstgeber und allen Mitarbeitern die Bereitschaft zu gemeinsam getragener Verantwortung und vertrauensvoller Zusammenarbeit fordert und ohne Einhaltung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre keinen Bestand haben kann.

In Anerkennung dieser Grundlage und unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.93 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 222), der Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 05.11.96 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 321), der Satzung des Krankenhauses und dem Organisationsstatut in den jeweils geltenden Fassungen wird folgendes vereinbart: (…)

15

b) § 10 des Dienstvertrages enthält nähere Bestimmungen über die Dauer und Beendigung des Arbeitsverhältnisses:

§ 10 Vertragsdauer

(1) Der Dienstvertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.

(…)

(4) Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB bleibt unberührt. Als wichtige Gründe zählen u. a. insbesondere:

1. (…)

2. ein grober Verstoß gegen kirchliche Grundsätze, z. B. Erklärung des Kirchenaustritts, Beteiligung an einer Abtreibung, Leben in kirchlich ungültiger Ehe oder eheähnlicher Gemeinschaft.

16

c) In der Präambel des Dienstvertrages wird auf die Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1996 in der Fassung vom 27. März 2001 Bezug genommen. Diese bestimmt in Buchstabe A Ziffer 6 Satz 2 die Dienststellung als Abteilungsarzt als leitende Aufgabe im Sinne der Grundordnung:

A. Zuordnung zur Kirche

6. Für den Träger ist die auf der Grundlage der Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst erlassene "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993" nebst Änderungen und Ergänzungen verbindlich. Als leitend tätige Mitarbeiter im Sinne der genannten Grundordnung gelten die Mitglieder der Krankenhausbetriebsleitung und die Abteilungsärzte. (…)

17

2. a) Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und zu Beginn des Dienstverhältnisses war der Kläger nach katholischem Ritus in erster Ehe verheiratet. Ende 2005 trennten sich die Ehepartner. Zwischen 2006 und 2008 lebte der Kläger mit einer neuen Lebensgefährtin zusammen. Nach den späteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war dieses ehelose Zusammenleben dem damaligen Geschäftsführer der Beschwerdeführerin spätestens seit Herbst 2006 bekannt. Anfang 2008 wurde die erste Ehe des Klägers nach staatlichem Recht geschieden.

18

b) Im August 2008 heiratete der Kläger seine Lebensgefährtin standesamtlich. Hiervon erfuhr die Beschwerdeführerin im November 2008. Eine kirchenrechtliche Annullierung der ersten Ehe war bis zu diesem Zeitpunkt nicht ausgesprochen worden.

19

c) In der Folgezeit fanden zwischen der Beschwerdeführerin und dem Kläger mehrere Gespräche über die Auswirkungen seiner zweiten Heirat auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses statt. Hierbei teilte der Kläger der Beschwerdeführerin mit, dass er ein kirchengerichtliches Verfahren zur Annullierung seiner ersten Ehe beantragt habe. Er beabsichtige nicht, die eheliche Gemeinschaft mit seiner ersten Ehefrau wiederherzustellen. Nach Anhörung der bestehenden Mitarbeitervertretung kündigte die Beschwerdeführerin das Arbeitsverhältnis im März 2009 ordentlich mit Wirkung zum 30. September 2009.

20

3. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht D. Mit Urteil vom 30. Juli 2009 - 6 Ca 2377/09 - stellte das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst worden sei und verurteilte die Beschwerdeführerin zur Weiterbeschäftigung des Klägers.

21

Das Arbeitsgericht vertrat die Auffassung, dass bis zum Abschluss des schwebenden Annullierungsverfahrens vor der kirchlichen Gerichtsbarkeit nicht feststehe, ob dem Kläger durch die Eheschließung ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß vorzuwerfen sei. Zwar habe der Kläger unstreitig das Verbot der neuen Ehe während eines schwebenden Annullierungsverfahrens (Can. 1085 § 2 CIC) missachtet. Ein Verstoß gegen diese - nach Auffassung des Gerichts als bloße Ordnungsvorschrift zu qualifizierende - Vorgabe sei jedoch in der Grundordnung nicht als schwerwiegender Loyalitätsverstoß genannt und damit ungeeignet, einen Grund für die verhaltensbedingte Kündigung darzustellen. In Anbetracht dessen sei die Kündigung auch als unverhältnismäßig anzusehen. Es sei der Beschwerdeführerin zuzumuten gewesen, die Entscheidung über das Annullierungsverfahren vor Ausspruch der Kündigung abzuwarten.

22

4. Die hiergegen von der Beschwerdeführerin eingelegte Berufung wurde durch das Landesarbeitsgericht D. mit Urteil vom 1. Juli 2010 - 5 Sa 996/09 - zurückgewiesen.

23

a) Das Gericht nahm zwar an, dass das Verhalten des Klägers grundsätzlich einen geeigneten Kündigungsgrund darstelle. Insbesondere könne sich dieser entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht auf das schwebende Annullierungsverfahren berufen. Auch ein Verstoß gegen Can. 1085 § 2 CIC sei generell geeignet, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.

24

b) Allerdings falle die im Rahmen des § 1 Abs. 2 KSchG gebotene Interessenabwägung zu Lasten der Beschwerdeführerin aus. Diese habe den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht ausreichend beachtet und den Kläger hierdurch in unzulässiger Weise benachteiligt. Nach den Feststellungen der Kammer habe die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit zumindest zwei geschiedenen Chefärzten katholischer Konfession nach Wiederverheiratung nicht gekündigt. Dabei sei es unbeachtlich, dass einer der Fälle bereits 30 Jahre zurückliege und in dem anderen Fall die Kündigung nur unterblieben sei, weil die zweite Ehe des Arbeitnehmers erst einen Monat vor dessen altersbedingtem Ausscheiden aus dem Dienst bekannt geworden sei. Das Verhalten der Beschwerdeführerin zeige jedenfalls, dass sie in der Vergangenheit offenbar bereit gewesen sei, vergleichbare Verstöße unter bestimmten Umständen zu tolerieren.

25

c) Zudem habe die Beschwerdeführerin ihr Kündigungsrecht verwirkt. Es sei ihr verwehrt, sich auf den Kündigungsgrund der ungültigen zweiten Ehe zu berufen, da sie jahrelang den gleichwertigen Kündigungsgrund des "Lebens in eheähnlicher Gemeinschaft" akzeptiert oder zumindest toleriert habe. Der Kläger habe in Anbetracht der Untätigkeit der Beschwerdeführerin über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren darauf vertrauen können, dass sein privates Verhalten zu keinerlei arbeitsrechtlichen Sanktionen mehr führen und die Beschwerdeführerin auf einen gleichwertigen Loyalitätsverstoß ("ungültige Ehe") ebenfalls nicht mit einer Kündigung reagieren werde.

26

5. Die Revision der Beschwerdeführerin zum Bundesarbeitsgericht wies dieses durch Urteil vom 8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - zurück.

27

a) Entgegen der Auffassung des Klägers dürfte das Kündigungsrecht der Beschwerdeführerin nicht verwirkt sein, da eine Kündigung mit "illoyaler" Verspätung nicht vorliege. Die Beschwerdeführerin habe nach Kenntnis von der Wiederverheiratung noch das in der Grundordnung vorgesehene Beratungsgespräch mit dem Kläger durchführen und verschiedene Gremien (Aufsichtsrat, Generalvikariat) beteiligen müssen. Es sei nicht zu beanstanden, dass sie angesichts der weitreichenden Folgen dabei umsichtig und ohne Hast vorgegangen sei. Letztlich komme es auf eine etwaige Verwirkung des Kündigungsrechts indes nicht an. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

28

b) Der Kläger habe allerdings durch die Wiederverheiratung gegen seine Loyalitätsobliegenheit aus dem Arbeitsvertrag (§ 10 Abs. 4 Nr. 2) und gegen die darin in Bezug genommene Grundordnung (Art. 5 Abs. 2 GrO) verstoßen.

29

Das Verlangen der Beschwerdeführerin nach Einhaltung der Vorschriften der katholischen Glaubens- und Sittenlehre stehe im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Zwar könne sich der Kläger auf das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie auf den Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) berufen, die auch die Freiheit umfassten, eine zweite Ehe nach staatlichem Recht einzugehen. Dabei stehe die private Lebensgestaltung in der Regel außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers und werde durch arbeitsvertragliche Pflichten nur insoweit eingeschränkt, wie sich das private Verhalten auf den betrieblichen Bereich auswirke und dort zu Störungen führe. Diese Grundrechte könnten jedoch zu Gunsten des ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV) eingeschränkt werden, auf das sich die Beschwerdeführerin als der Kirche zugeordnete karitative Einrichtung berufen könne. Die Festlegung bestimmter Loyalitätsanforderungen in einem Arbeitsvertrag durch den kirchlichen Arbeitgeber stelle eine Ausübung des "verfassungskräftigen" Selbstbestimmungsrechts dar. Die Frage, welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richte sich nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben, die verbindlich bestimmen könnten, welche Schwere einzelnen Loyalitätsverstößen zukomme und ob innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätsanforderungen stattfinde. Die Arbeitsgerichte hätten die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung einzelner Loyalitätsanforderungen zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirche anerkenne, hierüber selbst zu befinden.

30

Durch die Eingehung seiner zweiten Ehe habe der Kläger den Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe verletzt. Dieser zähle zu den wesentlichen Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre. Für "leitend tätige" Mitarbeiter scheide nach der maßgeblichen kirchlichen Vorgabe (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO) eine Weiterbeschäftigung in diesem Falle aus.

31

c) Die nach § 1 Abs. 2 KSchG gebotene Abwägung der beiderseitigen Interessen führe jedoch zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführerin die Fortführung des Arbeitsverhältnisses zumutbar sei.

32

aa) Zu ihren Gunsten wiege die unverkennbare Schwere des Loyalitätsverstoßes. Die Beschwerdeführerin habe als katholische Einrichtung das vom Grundgesetz gestützte Recht, auch als solche zu wirken und in Erscheinung zu treten. Sie verstehe ihr karitatives Tun im Sinne der Erfüllung eines religiösen Auftrages. Nach der katholischen Sittenlehre sei die Unauflöslichkeit der Ehe Teil der umfassenden, nicht verfügbaren und einheitlichen Auffassung vom Menschen als Geschöpf Gottes. Dass sich Menschen aufgrund einer sie verbindenden religiösen Auffassung zusammenfänden und ihre Angelegenheiten nach Maßstäben ordnen könnten, die nicht vom Staat oder der jeweils herrschenden öffentlichen Meinung über die Natur des Menschen korrigiert werden dürften, werde auch durch Art. 9 und 11 EMRK geschützt.

33

bb) In seinem Gewicht entscheidend geschwächt werde das Interesse der Beschwerdeführerin an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses jedoch durch drei Umstände, aus denen hervorgehe, dass sie selbst die Auffassung vertrete, einer ausnahmslosen Durchsetzung ihrer sittlichen Ansprüche zur Wahrung ihrer Glaubwürdigkeit nicht immer zu bedürfen.

34

(1) So könne die Beschwerdeführerin erstens nach Art. 3 Abs. 2 GrO auch nichtkatholische Personen mit leitenden Tätigkeiten betrauen. Die Beschwerdeführerin sei insofern durch die Grundordnung nicht gezwungen, ihr "Wohl und Wehe" bedingungslos mit dem Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter für die katholische Sittenlehre zu verknüpfen.

35

(2) Durch diese Rechtslage sei es zweitens auch zu erklären, dass die Beschwerdeführerin mehrfach Chefärzte beschäftigt habe beziehungsweise noch beschäftige, die als Geschiedene erneut geheiratet hätten. Es handele sich hierbei überwiegend um nichtkatholische Arbeitnehmer und katholische Arbeitnehmer in besonderen Lebenslagen, denen gegenüber sie von vornherein nicht die strenge Befolgung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verlange. Hierin liege zwar - in Abweichung von der Einschätzung des Landesarbeitsgerichts - kein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Andererseits werde hierdurch aber deutlich, dass die Beschwerdeführerin das Ethos ihrer Organisation durch eine differenzierte Handhabung bei der Anwendung und Durchsetzung ihres legitimen Loyalitätsbedürfnisses selbst nicht zwingend gefährdet sehe.

36

(3) Drittens habe die Beschwerdeführerin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den nach dem Vertrag der Parteien der Wiederverheiratung gleichwertigen Verstoß des ehelosen Zusammenlebens des Klägers seit Herbst 2006 gekannt und hingenommen. Dies zeige, dass sie selbst ihre moralische Glaubwürdigkeit nicht ausnahmslos bei jedem Loyalitätsverstoß als erschüttert betrachte.

37

cc) Jedenfalls sei der Beschwerdeführerin die Weiterbeschäftigung des Klägers dann zumutbar, wenn dessen Belange gegen die ihren abgewogen würden. Zugunsten des Klägers falle sein durch Art. 8 und 12 EMRK geschützter Wunsch in die Waagschale, in einer bürgerlichen Ehe mit seiner jetzigen Frau zu leben. Freilich habe der Kläger als Katholik durch den Vertragsschluss mit der Beschwerdeführerin in die Einschränkung seines Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingewilligt; die Nichterfüllung seiner religiösen Pflichten geschehe jedoch nicht aus einer ablehnenden oder gleichgültigen Haltung heraus. Der Kläger habe seine ethischen Pflichten nicht in Abrede gestellt und sich zu keinem Zeitpunkt gegen die kirchliche Sittenlehre ausgesprochen oder ihre Geltung oder Zweckmäßigkeit in Zweifel gezogen. Im Gegenteil versuche er, den ihm nach kanonischem Recht verbliebenen Weg zur kirchenrechtlichen Legalisierung seiner Ehe zu beschreiten.

III.

38

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin Verletzungen von Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV.

39

1. Die Arbeitsgerichte hätten in ihren Entscheidungen die Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und des Rechts auf freie Religionsausübung verkannt.

40

a) Nach den Grundsätzen des deutschen Religionsverfassungs- und Staatskirchenrechts dürften staatliche Gerichte nicht bewerten, ob ein bestimmtes Verhalten tatsächlich von der jeweiligen Religion gefordert werde oder nicht. Allein die Kirchen selbst könnten bestimmen, was die jeweilige Glaubensüberzeugung gebiete. Umgekehrt dürfe dies von einem staatlichen Gericht auch nicht verlangt werden, da es anderenfalls seine religiöse Neutralität, die ebenfalls Verfassungsrang genieße, verlieren würde.

41

Entsprechend sei es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 (BVerfGE 70, 138 ff.) nicht Sache der staatlichen Arbeitsgerichte, sondern obliege im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts allein der jeweiligen Kirche, aus ihren religiösen Überzeugungen heraus selbst festzulegen, welche Loyalitätserwartungen sie an ihre Mitarbeiter stelle, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordere und welches Gewicht ein Loyalitätsverstoß habe. Die durch die Kirche insoweit verbindlich festgelegten Loyalitätsanforderungen und die Gewichtung von Verstößen hiergegen seien durch die staatlichen Gerichte nur darauf zu überprüfen, ob die Grundprinzipien der Rechtsordnung diesen entgegenstünden. Eine eigenständige Gewichtung der Loyalitätsverstöße sei ihnen jedoch verwehrt. Die von den Arbeitsgerichten vorzunehmende Abwägung habe sich folglich auf die der Kündigung entgegenstehenden Belange aus der Sphäre des jeweiligen Arbeitnehmers zu beschränken.

42

b) Die angegriffene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts werde diesen Anforderungen nicht gerecht. Das Revisionsurteil wiege im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht das Selbstbestimmungsrecht mit gegenläufigen Rechtspositionen des Arbeitnehmers ab, sondern bestimme - abweichend von den kirchenrechtlichen Maßstäben - selbst das Gewicht des Loyalitätsverstoßes und damit das Kündigungsinteresse der Kirche. Eine Abwägung mit den Interessen des Klägers finde nur oberflächlich am Ende des Urteils statt. Damit verstecke das Gericht hinter seiner Abwägungsentscheidung eine eigene Bewertung kirchenrechtlicher Maßstäbe, von denen es inhaltlich grundlegend abweiche.

43

aa) Eine unzulässige Abweichung von den kirchenrechtlichen Maßstäben liege zunächst darin, dass das Bundesarbeitsgericht als Ausgangspunkt des Abwägungsvorgangs darauf abstelle, ob durch das Verhalten des Klägers die Glaubwürdigkeit der Kirche in der Öffentlichkeit leide.

44

Schutzgut des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und der Religionsfreiheit sei jedoch nicht vorrangig das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit, sondern die religiöse Überzeugung und die Freiheit, nach dieser zu leben. Das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit sei hiervon nur ein untergeordneter Teilaspekt. Entscheidend sei vielmehr, ob es mit den Zielen der Kirche vereinbar sei, wenn ein (leitender) Mitarbeiter erkennbar in Widerspruch zu den Überzeugungen und Lehren der Kirche lebe. Dies gefährde das Wesen der Dienstgemeinschaft, die Grund und Grenze der Besonderheiten der Zweckbestimmung des kirchlichen Dienstes darstelle. Daher wende sich die Kirche auch unabhängig von der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit gegen Loyalitätsverstöße, weil diese ihr Wirken und die Integrität des kirchlichen Dienstes in Frage stellten.

45

bb) Zudem sei es unzulässig, in die Abwägung zugunsten des Klägers einzustellen, das Gewicht des Interesses der Beschwerdeführerin an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses werde entscheidend dadurch geschwächt, dass sie auch Nichtkatholiken in leitenden Positionen beschäftige und insofern offensichtlich nicht gezwungen sei, eine Führungsfunktion gleichsam bedingungslos mit dem Lebenszeugnis für die katholische Sittenlehre zu verknüpfen.

46

Dies verkenne die kirchenrechtlichen Vorgaben der Grundordnung. Ob diese sachgerecht seien, dürfe das weltliche Gericht nicht hinterfragen. Entscheidend sei allein, dass die Kirche für die Mitarbeit an ihrem Sendungsauftrag nur Personen zulassen wolle, die sich mit ihren Zielen identifizieren könnten. Die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts sei zudem in sich widersprüchlich. Einerseits erkenne es - rechtlich zutreffend - an, dass die Kirche gegenüber nichtkatholischen Mitarbeitern nicht dieselben Loyalitätserwartungen formulieren könne wie gegenüber Katholiken. Andererseits schließe es aus dieser Ungleichbehandlung, dass die römisch-katholische Kirche ihre Grundsätze nicht mehr ernst nehme.

47

cc) Ebenso sei es unzulässig, darauf abzustellen, dass die Beschwerdeführerin in anderen Fällen der Wiederverheiratung von (nichtkatholischen) Chefärzten nicht den Schritt der Kündigung gegangen sei.

48

Auch hier habe das Bundesarbeitsgericht die in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in den kirchengesetzlichen Regelungen angelegte Differenzierung zwischen Katholiken und Nichtkatholiken verkannt. Nur für den katholischen Mitarbeiter sei die Ehe ein Sakrament. Daher stelle sich bei diesem das Eingehen einer ungültigen Ehe als deutlich schwererer Loyalitätsverstoß dar. Indem das Bundesarbeitsgericht die Wiederverheiratung von katholischen und nichtkatholischen Mitarbeitern auf eine Ebene stelle, relativiere es die Einschätzung der Kirche über die Schwere der durch den Kläger begangenen Pflichtverletzung.

49

dd) Ferner setze sich das Bundesarbeitsgericht über kirchenrechtliche Maßstäbe hinweg, wenn es die Wiederheirat mit dem Leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gleichsetze.

50

Damit verkenne das Bundesarbeitsgericht, dass es sich bei der Wiederheirat um eine Pflichtverletzung von besonders schwerwiegender und endgültiger Qualität handele, die weit über das bloße ehelose Zusammenleben hinausgehe. Das Kirchenrecht unterscheide dies ausdrücklich, indem Art. 5 Abs. 2 GrO nur den Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe explizit als besonders schwerwiegenden Verstoß und eigenständigen Kündigungsgrund formuliere. Zwar entspreche auch die nichteheliche Lebensgemeinschaft außerhalb einer weiterbestehenden gültigen Ehe nicht dem Ethos der römisch-katholischen Kirche. Durch die Wiederheirat erreiche der Loyalitätsverstoß jedoch eine neue Qualität: Der Bruch mit der nach kirchlichem Recht weiterhin gültigen Ehe werde offiziell dokumentiert und perpetuiert. An diese, dem kirchlichen Selbstverständnis entspringende Unterscheidung sei auch das weltliche Gericht gebunden.

51

ee) Schließlich werde die Schwere des Loyalitätsverstoßes entgegen der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht dadurch gemindert, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens sich nicht vom katholischen Glauben abgewendet habe.

52

Auch durch diesen Gesichtspunkt der Abwägungsentscheidung korrigiere das Gericht die kirchenrechtlich zutreffende Einschätzung, dass die Wiederheirat einen schweren Loyalitätsverstoß darstelle, nach seiner eigenen Einschätzung und stelle sich in die Position der Kirche. Hierzu sei es nicht befugt. Zudem verkenne es, dass schon der objektive Tatbestand der Wiederheirat einen Loyalitätsverstoß darstelle, ohne dass es auf eine innere Abkehr von den Werten der Kirche ankomme. Diese würde, läge sie vor, sogar einen zusätzlichen, von der Wiederheirat unabhängigen Loyalitätsverstoß darstellen. Dies mache auch die Systematik der Grundordnung deutlich, indem sie die Apostasie und Häresie sowie verschiedene Formen des öffentlichen Eintretens gegen tragende Grundsätze der Kirche als Loyalitätsverstöße definiere, die alternativ zur Wiederheirat eine Kündigung rechtfertigen könnten. Auch habe allein die Einleitung eines Annullierungsverfahrens nach kirchenrechtlichen Maßstäben keine rechtfertigende oder schuldmindernde Bedeutung.

53

c) Auf diesen Verstößen gegen Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV beruhe das Urteil. Jede der durch das Gericht vorgenommenen Gewichtungen sei schon für sich ein tragendes Element der Abwägungsentscheidung; spätestens in der Zusammenschau seien sie notwendige Bedingung für die Erfolglosigkeit der Revision der Beschwerdeführerin. Dies gelte umso mehr, als keine Abwägung im eigentlichen Sinne - also mit den Interessen des Klägers - stattfinde.

54

2. Eine andere Bewertung sei auch nicht vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geboten.

55

a) Grundsätzlich seien die Europäische Menschenrechtskonvention und die hierzu ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zwar von den nationalen Gerichten so weit wie möglich bei der Rechtsanwendung zu berücksichtigen. Eine schematische Parallelisierung sei hingegen nicht erforderlich. Gerade im Bereich der Religionsfreiheit sei bei der Rezeption der Europäischen Menschenrechtskonvention in die innerstaatliche Rechtsordnung Augenmaß angebracht. Der Gerichtshof habe in seiner jüngeren Rechtsprechung wiederholt zu erkennen gegeben, dass er bereit sei, unterschiedliche Konzeptionen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu akzeptieren. So habe der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 6. Dezember 2011 (Baudler u.a. v. Deutschland) einen ausgeprägten Schutz des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts anerkannt und es als mit Art. 6 EMRK vereinbar angesehen, dass ein staatlicher Rechtsweg zur Überprüfung rein innerkirchlicher Angelegenheiten in Deutschland nicht bestehe.

56

Zudem sei zu berücksichtigen, dass es sich im vorliegenden Falle um ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis handele, bei dem ein "Mehr" an Freiheit für einen Grundrechtsträger zugleich ein "Weniger" für einen anderen bedeute. Diese Grundrechtskollision wirke als Rezeptionshemmnis, zumal auch die Menschenrechtskonvention selbst eine Einschränkung des Grundrechtsschutzes auf Grundlage ihrer Garantien verbiete (Art. 53 EMRK).

57

b) Aber auch die zum kirchlichen Arbeitsrecht ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte selbst erfordere keine Abkehr von den durch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 4. Juni 1985 entwickelten Maßstäben.

58

aa) In der Entscheidung Obst v. Deutschland vom 23. September 2010 habe der Gerichtshof den Ansatz des deutschen Arbeitsrechts gebilligt, bei der Bewertung der Schwere des Loyalitätsverstoßes auf die Bedeutung ehelicher Treue für die den Arbeitnehmer kündigende Kirche abzustellen. Auch habe der Gerichtshof es als zulässig erachtet, dass die Kirchen gegenüber ihren Angestellten weitergehende Loyalitätspflichten als andere Arbeitgeber definieren würden.

59

bb) Gleiches gelte hinsichtlich der Entscheidung Siebenhaar v. Deutschland vom 3. Februar 2011.

60

cc) Schließlich stehe die Entscheidung Schüth v. Deutschland vom 23. September 2010 diesem Maßstab nicht entgegen, wenn auch der Gerichtshof im konkreten Einzelfall zur Konventionswidrigkeit der deutschen Gerichtsurteile gelangt sei. Der Gerichtshof habe lediglich die unzureichende Abwägung der Fachgerichte mit den Rechtspositionen des Arbeitnehmers beanstandet, die tatsächlich nur oberflächlich und ohne inhaltliche Konkretisierungen vorgenommen worden sei. Zudem sei der konkrete Abwägungsvorgang unzureichend dargelegt worden. Weitergehende Anforderungen an den Abwägungsprozess, etwa eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Loyalitätsanforderungen oder gar deren volle gerichtliche Kontrolle, seien durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte jedoch nicht aufgestellt worden.

IV.

61

1. Die Verfassungsbeschwerde wurde dem Bundesministerium der Justiz, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, dem Kommissariat der deutschen Bischöfe, dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R., dem Marburger Bund e.V. (Bundesverband) und dem Kläger des Ausgangsverfahrens zugestellt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

62

a) Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts verteidigt die angefochtene Revisionsentscheidung vom 8. September 2011. Der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts habe aus § 1 Abs. 2 KSchG in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung der übrigen Senate des Gerichts ein zweistufiges Prüfprogramm abgeleitet, nach dem eine Kündigung aus in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Gründen im Anwendungsbereich des KSchG nur dann sozial gerechtfertigt sei, wenn der Arbeitnehmer für die vertraglich geschuldete Tätigkeit ungeeignet sei oder eine Vertragspflicht erheblich verletzt habe (erste Stufe) und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheine (zweite Stufe).

63

Auf beiden Stufen habe der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts in Übereinstimmung mit den verfassungsgerichtlichen Vorgaben und unter Orientierung an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das kirchliche Selbstbestimmungsrecht angemessen berücksichtigt. Dies gelte auch für die Abwägungsentscheidung, in die das Selbstbestimmungsrecht als abwägungserheblicher Belang eingestellt worden sei. Diese Vorgehensweise erlaube differenzierte Abwägungsergebnisse, die im konkreten Einzelfall zu Lasten der Beschwerdeführerin erfolgt seien. Dies zeige auch der Vergleich zur Entscheidung vom 25. April 2013 (- 2 AZR 579/12 - NZA 2013, S. 1131 ff.), in der der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts im Falle des Kirchenaustritts festgestellt habe, dass die Kündigung eines im verkündigungsnahen Bereich eingesetzten kirchlichen Arbeitnehmers gerechtfertigt gewesen sei. In diesem Einzelfall habe die Abwägung dazu geführt, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit des kirchlichen Arbeitnehmers sowie dessen Beschäftigungsdauer und Lebensalter hinter das Selbstbestimmungsrecht des kirchlichen Arbeitgebers zurückzutreten habe, weil der gekündigte Arbeitnehmer nicht nur in einzelnen Punkten kirchlichen Loyalitätsanforderungen nicht mehr gerecht geworden sei, sondern sich durch den Austritt insgesamt von der kirchlichen Glaubensgemeinschaft losgesagt habe.

64

b) Der gemäß § 94 Abs. 3 BVerfGG am Verfahren beteiligte Kläger des Ausgangsverfahrens ist der Auffassung, dass der Verfassungsbeschwerde kein Erfolg zu bescheiden sei.

65

Es genüge zur Wahrung der geschützten Verfassungsrechtspositionen des Arbeitnehmers nicht, nur bei einem Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung eine Einschränkung der kirchlichen Autonomie zuzulassen und dementsprechend bei der im Kündigungsschutzprozess vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen die autonom von den Kirchen bestimmte Gewichtung der Loyalitätspflichten zu betonen. Vielmehr müssten sich die kirchliche Autonomie und speziell die ihren Arbeitnehmern abverlangten Loyalitätspflichten von vornherein eine Kontrastierung mit den entgegenstehenden Grundrechten der kirchlichen Arbeitnehmer gefallen lassen, die durch Gewichtung der auf dem Spiel stehenden Verfassungsrechtsgüter, durch Berücksichtigung ihrer Wechselwirkung und schließlich durch Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit dem Ziel der Herstellung praktischer Konkordanz zu erfolgen habe. Soweit zur kirchlichen Autonomie auch die Befugnis gehöre, verbindlich zu bestimmen, welches die wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre seien, was als (schwerer) Verstoß gegen diese anzusehen sei, sowie ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätspflichten eingreifen solle, bedürfe dies mit Blick auf kollidierendes Verfassungsrecht einer Relativierung, wenn es - wie in diesem Fall - nicht um Arbeitsrechtsverhältnisse gehe, die in spezifischer Weise durch den religiösen Auftrag und Glauben geprägt seien. Je mehr das jeweilige Arbeitsverhältnis durch den religiösen Auftrag und Glauben geprägt sei und, umgekehrt, je weniger sich das jeweilige Arbeitsverhältnis von vergleichbaren beruflichen Tätigkeiten bei nicht-kirchlichen Arbeitgebern unterscheide, könne sich die kirchliche Autonomie mehr oder weniger gegenüber Grundrechtspositionen des kirchlichen Arbeitnehmers durchsetzen.

66

Allein aus seiner leitenden Stellung könnten hinsichtlich der persönlichen Pflicht zur Identifikation mit der katholischen Glaubens- oder Sittenlehre nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an diejenigen Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse einen spezifisch religiösen Bezug aufwiesen. Andernfalls würden eine unverhältnismäßige Begünstigung der Selbstgesetzlichkeit der Kirche und eine nicht zu rechtfertigende Relativierung des staatlichen Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG begründet. Schließlich könne bei der Interessenabwägung nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die römisch-katholische Kirche zunehmend den Wiederverheirateten öffne und auch die Eucharistie für diese Gruppe nicht mehr ausschließe.

67

c) Für die römisch-katholische Kirche hat das Kommissariat der deutschen Bischöfe eine Stellungnahme des Direktors des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Prof. Dr. Ansgar Hense, vorgelegt und sich inhaltlich zu Eigen gemacht. Dieser schließt sich den Ausführungen der Beschwerdeführerin im Ergebnis an und vertieft ihre Argumentation.

68

Die Verfassung gewährleiste nicht nur das karitative Wirken der Kirchen als eine ihrer Lebens- und Wesensäußerungen, sondern auch die grundsätzlich autonome Ausgestaltung der kircheneigenen Angelegenheiten im Rahmen der für alle geltenden Gesetze. Die Verwirklichung des Religiösen beschränke sich dabei nicht nur auf eine bloß spirituelle, liturgische Seite, sondern erstrecke sich gleichermaßen auf den religiösen Dienst in und an der Welt und umfasse auch die organisatorischen Voraussetzungen, die nach dem jeweiligen kirchlichen Selbstverständnis erforderlich seien, um diesen religiösen Dienst erfüllen zu können. Weder objektive noch gesellschaftlich vorherrschende Maßstäbe dürften diese definieren, da das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gerade die Abwehr solch fremdbestimmter Vorgänge verfassungsrechtlich verbürge. Aus diesem Grund werde das staatliche Individualarbeitsrecht partiell modifiziert. Im Rahmen des Willkürverbots, der guten Sitten und des ordre public sei es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausschließlich den Kirchen überlassen, die konkreten Loyalitätspflichten festzulegen, die nach dem jeweiligen Selbstverständnis erforderlich seien, und diese auch nach ihrer Bedeutung für das kirchliche Selbstverständnis zu gewichten. Dies beinhalte auch das Recht, darüber zu entscheiden, ob und - bejahendenfalls - welche Abstufungen der Loyalitätspflichten vorgenommen werden sollten. In der römisch-katholischen Kirche sei dies in Gestalt der Grundordnung geschehen. Bei der konkreten Abwägung durch die weltlichen Gerichte im Rahmen des Kündigungsschutzrechts werde die kirchliche Bewertung des Loyalitätsverstoßes nicht zur quantité négligeable, sondern sei die maßgebliche Richtschnur für die Bewertung. Mit diesen Grundsätzen stehe die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 nicht in Einklang, weil das Gericht eine eigene Bewertung kirchlicher Maßstäbe vornehme und es letzten Endes unterlasse, einen Abwägungsprozess lege artis durchzuführen.

69

d) Der Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R. schließt sich ebenfalls den Ausführungen der Beschwerdeführerin an. Er betont, dass seine Situation zwar nicht mit den Organisationsstrukturen der Großkirchen verglichen werden könne. Dennoch seien die in der täglichen Arbeit auftretenden Fragen im Judentum vergleichbar.

70

Die verfassungsrechtliche Absicherung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts resultiere auch aus dem Erfordernis, eine uneingeschränkte Religionsausübung im Sinne des Grundgesetzes zu gewährleisten. Dies sei aber nur möglich, wenn Religionsgemeinschaften gerade im arbeitsrechtlichen Bereich frei darin seien, ihre eigenen religiösen Regeln als Grundvoraussetzung für ein Arbeitsverhältnis vorzugeben. Diese religiösen Regeln könnten höchst unterschiedlich ausgestaltet sein, seien jedoch im Rahmen der Religionsfreiheit durch die staatlichen Stellen zu akzeptieren, solange gültige Gesetze nicht verletzt und Menschen anderer Religionszugehörigkeit nicht betroffen seien. Jeder Mitarbeiter, der sich unmittelbar bei einer Religionsgemeinschaft oder einer von dieser getragenen Einrichtung bewerbe, wisse darum, dass die Religionsgemeinschaft eigene religiöse Regeln habe, zu deren Einhaltung er verpflichtet sei. Gehöre ein Bewerber darüber hinaus noch der betreffenden Religionsgemeinschaft an, sei es ihm umso mehr bewusst, dass er mit Eingehung des Beschäftigungsverhältnisses zusätzliche Loyalitätsverpflichtungen übernehme.

71

Im Falle der jüdischen Gemeinschaften in Deutschland sei daher Grundlage der arbeitsvertraglichen Bindungen, die jüdische Religion und Kultur in Deutschland zu leben und zu fördern sowie sozial bedürftige Juden in allen Bereichen zu unterstützen. Dabei seien die religiösen Erfordernisse schon bei Abschluss des Beschäftigungsverhältnisses zu berücksichtigen, da nur auf diese Weise gewährleistet werden könne, dass jeder Mitarbeiter in seinem Aufgabenbereich in die religiöse Dimension der jüdischen Gemeinschaft eingebunden sei. Die Bereitschaft hierzu sei ein wesentliches Kriterium für die Mitarbeiterauswahl und werde bei Abschluss von Beschäftigungsverhältnissen vorrangig berücksichtigt. Für eine fruchtbare Zusammenarbeit innerhalb der Religionsgemeinschaft sei es unverzichtbar, dass alle Mitarbeiter - insbesondere die jüdischen - sich des höheren Zwecks und des allgemeinen religiösen Zusammenhangs ihrer Tätigkeit bewusst seien.

72

e) Der Marburger Bund e.V. (Bundesverband) erachtet die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis für aussichtslos.

73

aa) Er tritt allgemein der Privilegierung kirchlicher Einrichtungen entgegen. Einrichtungen der Caritas oder Diakonie, die wie die Beschwerdeführerin in marktüblicher Weise in der Gesundheitswirtschaft agierten, dürften keine kirchlichen Sonderrechte in Anspruch nehmen. Wenn die Beschwerdeführerin die Richtungsentscheidung getroffen habe, am Wirtschaftsleben teilzunehmen, müsse sie sich unbeschadet ihrer Motivlage an denselben Maßstäben messen lassen, die auch für vergleichbare Klinikträger Geltung beanspruchten. Die unter Berufung auf die Loyalitätsobliegenheiten in Anspruch genommene Möglichkeit, die Maßstäbe für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses selbst festzulegen und durch Berufung auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht der Überprüfung durch weltliche Gerichte im Einzelfall zu entziehen, führe zu "strukturellen Defiziten" und erheblichen arbeitsmarktlichen Verwerfungen.

74

Gerade der Vergleich zu dem kollektivrechtlichen Arbeitsrechtsregelungsmechanismus belege die Widersprüchlichkeit des Handelns kirchlich getragener Einrichtungen. Während auf dem Dritten Weg vereinbarte Arbeitsbedingungen nach dem Willen der kirchlichen Einrichtungen durch Einbeziehung in die jeweiligen Arbeitsverträge für die Gesamtheit der Dienstgemeinschaft Geltung beanspruchen könnten, erachteten sie es im Gegensatz hierzu jedoch für zulässig, hinsichtlich der individualarbeitsrechtlich festgesetzten Loyalitätsobliegenheiten nach Konfession zu unterscheiden und an katholische Mitarbeiter strengere Loyalitätsanforderungen zu stellen. Für eine derartige Differenzierung bestehe nach weltlichen Maßstäben keine Rechtfertigung. Zudem liege gerade im Falle der Beschwerdeführerin ein faktischer Sanktionsverzicht durch ihr vorangegangenes Verhalten vor. Es sei anzunehmen, dass ein in der Vergangenheit "in allen Fällen generell geduldetes Verhalten" - hier die Wiederheirat - unbeschadet seiner grundsätzlichen kanonischen Wertung zu einem gewissen liberalen Verständnis bei Betroffenen und Dritten und der Erwartung entsprechenden Umgangs mit zukünftigen gleichartigen Sachverhalten geführt habe.

75

bb) Das Bundesarbeitsgericht habe mit seiner Entscheidung nicht die Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts verkannt. Die Einschätzung der Beschwerdeführerin, die Sachgerechtigkeit einer aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht folgenden Wertentscheidung unterliege nicht der Beurteilung durch das jeweils erkennende Gericht, lasse ein in Anbetracht der kanonischen Rechtstradition zwar nachvollziehbares, in der Sache jedoch unzutreffendes Verständnis des grundgesetzlich geschützten Rechtsschutzinteresses erkennen. Um sicherzustellen, dass die betroffene Kündigungsentscheidung nicht auf willkürlicher Grundlage zustande gekommen sei, stelle sich die Inbezugnahme zum grundlegenden moralischen Regelwerk der kirchlichen Einrichtung und ihrem bisherigen Verhalten in vergleichbar gelagerten Fällen als unumgänglich dar. Dies gelte umso mehr, als es die Beschwerdeführerin selbst in der Hand habe, bestimmte arbeitsrechtliche Sanktionen ohne Ermessensspielräume als zwingende Folge eines Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zu definieren und auszugestalten. Schon aus diesem Grund müssten die weltlichen Gerichte ermächtigt sein, die Stringenz und Konsistenz des bisherigen Verhaltens einer kirchlichen Einrichtung in vergleichbaren Fällen in ihre Betrachtungen einzustellen. Anderenfalls beschränke sich der gerichtliche Entscheidungsspielraum auf eine rein formale Überprüfung, die weder den Anforderungen des deutschen Kündigungsschutzrechts noch den europa- und völkerrechtlichen Vorgaben gerecht werde.

76

f) Die übrigen Äußerungsberechtigten und sachverständigen Dritten haben von einer Stellungnahme abgesehen.

77

2. Die Beschwerdeführerin und der Kläger des Ausgangsverfahrens haben von der Möglichkeit zur weiteren Äußerung nach Kenntnis der eingegangenen Stellungnahmen Gebrauch gemacht. Sie bekräftigen ihre jeweiligen Auffassungen und vertiefen ihren Vortrag. Nach Mitteilung der Beschwerdeführerin ist das durch den Kläger des Ausgangsverfahrens angestrengte kirchengerichtliche Verfahren zur Annullierung seiner ersten Ehe in zwei Instanzen erfolglos geblieben. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat hierzu keine weiteren Angaben gemacht.

78

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Senat bei der Entscheidungsfindung vorgelegen.

B.

79

Die Verfassungsbeschwerde ist nur zulässig, soweit sie sich gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts wendet. Im Übrigen genügt ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG), da sie sich ausschließlich mit der Revisionsentscheidung, nicht jedoch mit den Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts auseinandersetzt.

C.

80

Soweit sie zulässig ist, ist die Verfassungsbeschwerde begründet.

I.

81

Umfang und Grenzen der Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer in mit der Kirche verbundenen Organisationen und Einrichtungen und deren Überprüfung durch die staatlichen Arbeitsgerichte bestimmen sich nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung, WRV) und der korporativen Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (1.). Die staatlichen Gerichte haben auf einer ersten Prüfungsstufe zunächst im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der verfassten Kirche zu überprüfen, ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt (2.a.). Auf einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann unter dem Gesichtspunkt der Schranken des "für alle geltenden Gesetzes" eine Gesamtabwägung vorzunehmen, in der die - im Lichte des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen verstandenen - kirchlichen Belange und die korporative Religionsfreiheit mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und deren in den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen enthaltenen Interessen auszugleichen sind. Die widerstreitenden Rechtspositionen sind dabei jeweils in möglichst hohem Maße zu verwirklichen (2.b.). Ob die Arbeitsgerichte den Einfluss der Grundrechte ausreichend beachtet haben, unterliegt gegebenenfalls der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Für den Fall, dass Grundrechtsbestimmungen unmittelbar ausgelegt und angewandt werden, hat es dabei Reichweite und Grenzen der Grundrechte zu bestimmen und festzustellen, ob Grundrechte und Verfassungsbestimmungen ihrem Umfang und Gewicht nach in verfassungsrechtlich zutreffender Weise berücksichtigt worden sind (3.). Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geben insoweit keinen Anlass zu Modifikationen der Auslegung des Verfassungsrechts (4.).

82

1. Die Grundentscheidung der Verfassung für ein freiheitliches Religions- und Staatskirchenrecht wird durch Verfassungsgewährleistungen sichergestellt, deren inhaltliche Schutzbereiche sich teilweise überschneiden und hierdurch wechselseitig ergänzen. In ihrer Zusammenschau sind sie unterschiedliche Akzentuierungen derselben verfassungsrechtlich gewährten Freiheit (vgl. Isensee, in: Festschrift für Klaus Obermayer, 1986, S. 203 <205>).

83

a) Die durch Art. 140 GG inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung sind vollgültiges Verfassungsrecht und von gleicher Normqualität wie die sonstigen Verfassungsbestimmungen (vgl. BVerfGE 19, 206 <219>; 19, 226 <236>; 111, 10 <50>). Sie sind - mit Selbststand gegenüber der korporativen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG - untrennbarer Bestandteil des Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes, welches das für eine freiheitliche Demokratie wesentliche Grundrecht der Religionsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt in den Katalog der Grundrechte übernommen und es so gegenüber der Weimarer Reichsverfassung erheblich gestärkt hat (vgl. BVerfGE 102, 370 <387 m.w.N.>). Beide Gewährleistungen bilden ein organisches Ganzes (vgl. BVerfGE 70, 138 <167>; 125, 39 <80>; Listl, in: ders./Pirson , Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 14 S. 439 <444 f.>), wobei Art. 4 Abs. 1 und 2 GG den leitenden Bezugspunkt des deutschen staatskirchenrechtlichen Systems darstellt (vgl. BVerfGE 102, 370 <393>).

84

Zwischen der Glaubensfreiheit und den inkorporierten Normen der Weimarer Reichsverfassung besteht eine interpretatorische Wechselwirkung (vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 1. Aufl. 2011, § 119, S. 1167). Die Weimarer Kirchenartikel sind einerseits funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt (vgl. BVerfGE 42, 312 <322>; 102, 370 <387>; 125, 39 <74 f., 80>) und in dessen Lichte auszulegen, da sie das Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche regeln (Art. 137 Abs. 1 WRV). Sie enthalten in Gestalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 137 Abs. 3 WRV) und verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkte zu den Grundsätzen der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates und der Parität der Religionen und Bekenntnisse (vgl. BVerfGE 102, 370 <390, 393 f.>) die Grundprinzipien des staatskirchenrechtlichen Systems des Grundgesetzes. Andererseits wird der Gewährleistungsgehalt des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG in Verbindung mit den inkorporierten Artikeln der Weimarer Reichsverfassung institutionell konkretisiert und ergänzt (BVerfGE 99, 100<119>, vgl. auch BVerfGE 33, 23 <30 f.>; 42, 312 <322>; 83, 341 <354 f.>; 125, 39 <77 f.>; vgl. auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 1. Aufl. 2011, § 119, S. 1167). Die Weimarer Kirchenartikel sind also auch ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit der korporierten Religionsgesellschaften (vgl. BVerfGE 125, 39 <79>; vgl. auch BVerfGE 102, 370 <387>, zu Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV und BVerfGE 99, 100<119 ff.>, zu Art. 138 Abs. 2 WRV).

85

Soweit sich die Schutzbereiche der inkorporierten statusrechtlichen Artikel der WRV und der korporativen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG überlagern (vgl. BVerfGE 42, 312 <322>; 66, 1 <22>; zu verbleibenden Unterschieden etwa von Campenhausen, HStR VII, 3. Aufl. 2009, § 157, Rn. 125 m.w.N.), geht Art. 137 Abs. 3 WRV als speziellere Norm Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit vor, als er das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften der Schranke des für alle geltenden Gesetzes unterwirft (zur sog. Schrankenspezialität in diesem Fall s. Morlok, in: Dreier , GG, 3. Aufl. 2013, Art. 4, Rn. 109). Bei dem Ausgleich der gegenläufigen Interessen ist aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist.

86

b) Aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4, 137 Abs. 1 WRV, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 2 GG folgt eine Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität, die Grundlage des modernen, freiheitlichen Staates ist. In einem Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gelingen, wenn der Staat selbst in Glaubens- und Welt-anschauungsfragen Neutralität bewahrt (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; vgl. auch BVerfGE 102, 370 <383>; 105, 279 <294>).

87

Die Pflicht zur staatlichen Neutralität in weltanschaulich-religiösen Fragen ist jedoch nicht im Sinne eines Gebots kritischer Distanz gegenüber der Religion zu verstehen (vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2. Aufl. 2012, § 4 Rn. 90) und darf auch mit religiöser und weltanschaulicher Indifferenz nicht gleichgesetzt werden (vgl. von Campenhausen, in: Listl/Pirson , Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 2, S. 47 <78>). Das Verhältnis zwischen Kirchen und Staat ist vielmehr gekennzeichnet durch wechselseitige Zugewandtheit und Kooperation (vgl. BVerfGE 42, 312 <330>) und ist weniger im Sinne einer strikten Trennung, sondern eher im Sinne einer Zuordnung und Zusammenarbeit von Staat und Kirchen auf der Basis grundrechtlicher Freiheit zu verstehen.

88

Über ihre Funktion als Beeinflussungsverbot (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <300>) und als Identifikationsverbot (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 30, 415 <422>; 33, 23 <28>; 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <299 f.>; 123, 148 <178>) hinaus verwehrt es die Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität dem Staat auch, Glauben und Lehre einer Kirche oder Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. BVerfGE 33, 23 <29>; 108, 282 <300>). Die individuelle und korporative Freiheit, das eigene Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und innerer Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, würde entleert, wenn der Staat bei hoheitlichen Maßnahmen uneingeschränkt seine eigene Wertung zu Inhalt und Bedeutung eines Glaubenssatzes an die Stelle derjenigen der verfassten Kirche setzen und seine Entscheidungen auf dieser Grundlage treffen könnte.

89

Jede Auseinandersetzung staatlicher Stellen mit Zielen und Aktivitäten einer Kirche oder Religionsgemeinschaft muss dieses Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität wahren (vgl. BVerfGE 105, 279 <294>). Die Regelung genuin religiöser oder weltanschaulicher Fragen, die parteiergreifende Einmischung in die Überzeugungen, Handlungen und die Darstellung Einzelner oder religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften sind dem Staat mangels Einsicht und geeigneter Kriterien untersagt (vgl. BVerfGE 12, 1 <4>; 41, 65 <84>; 72, 278 <294>; 74, 244 <255>; 93, 1 <16>; 102, 370 <394>; 108, 279 <300>). Fragen der Lehre, der Religion und des kirchlichen Selbstverständnisses gehen den Staat grundsätzlich nichts an. Er ist vielmehr verpflichtet, auf die Grundsätze der Kirchen und Religionsgemeinschaften Rücksicht zu nehmen und keinen eigenen Standpunkt in der Sache des Glaubens zu formulieren (von Campenhausen, in: Listl/Pirson , Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 2, S. 47 <78>). Die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung hat er zu respektieren.

90

c) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist in Art. 137 Abs. 3 WRV besonders hervorgehoben. Danach ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Diese Garantie erweist sich als notwendige, rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hin-zufügt (vgl. BVerfGE 53, 366 <401>). Sie gilt für Kirchen und sonstige Religions-gesellschaften unabhängig von ihrem rechtlichen Status (vgl. auch Art. 137 Abs. 7 WRV).

91

aa) Träger des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sind nicht nur die Kirchen selbst entsprechend ihrer rechtlichen Verfasstheit, sondern alle ihr in bestimmter Weise zugeordneten Institutionen, Gesellschaften, Organisationen und Einrichtungen, wenn und soweit sie nach dem glaubensdefinierten Selbstverständnis der Kirchen (zur Berücksichtigung von Selbstverständnissen als Mittel zur Sicherung der Menschenwürde und der Freiheitsrechte, vgl. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 282 <293 ff.> und S. 426 <431 ff.>) ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, Auftrag und Sendung der Kirchen wahrzunehmen und zu erfüllen (vgl. BVerfGE 46, 73 <85 ff.>; 53, 366 <391>; 57, 220 <242>; 70, 138 <162>).

92

(1) Der Schutz des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bezieht sich dabei nicht nur auf die der Kirche zugeordnete Organisation im Sinne einer juristischen Person, sondern erstreckt sich auch auf die von dieser Organisation getragenen Einrichtungen, also auf die Funktionseinheit, durch die der kirchliche Auftrag seine Wirkung entfalten soll (vgl. BVerfGE 53, 366 <398 f.>). Dies gilt unbeschadet der Rechtsform der einzelnen Einrichtung auch dann, wenn der kirchliche Träger sich privatrechtlicher Organisationsformen bedient (vgl. BVerfGE 46, 73 <85 ff.>; 53, 366 <391>; 57, 220 <242>; 70, 138 <162>). Die durch das Grundgesetz gewährleistete Freiheit der Kirche vom Staat schließt ein, dass sie sich zur Erfüllung ihres Auftrags grundsätzlich auch der Organisationsformen des staatlichen Rechts bedienen kann, ohne dass dadurch die Zugehörigkeit der auf einer entsprechen- den Rechtsgrundlage gegründeten Einrichtung zur Kirche aufgehoben wird (vgl. BVerfGE 57, 220 <243>).

93

(2) Nicht jede Organisation oder Einrichtung, die in Verbindung zur Kirche steht, unterfällt indes dem Privileg der Selbstbestimmung. Voraussetzung einer wirksamen Zuordnung ist vielmehr, dass die Organisation oder Einrichtung teilnimmt an der Verwirklichung des Auftrages der Kirche, im Einklang mit dem Bekenntnis der verfassten Kirche steht und mit ihren Amtsträgern und Organwaltern in besonderer Weise verbunden ist (BVerfGE 46, 73 <87>; 70, 138 <163 ff.>).

94

Von daher ist für eine sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV) berufende Organisation oder Einrichtung unabdingbar, dass die religiöse Zielsetzung das bestimmende Element ihrer Tätigkeit ist. Ganz überwiegend der Gewinnerzielung dienende Organisationen und Einrichtungen können demgegenüber das Privileg der Selbstbestimmung nicht in Anspruch nehmen, da bei ihnen der enge Konnex zum glaubensdefinierten Selbstverständnis aufgehoben ist. Dies gilt vor allem für Einrichtungen, die wie andere Wirtschaftssubjekte auch am marktwirtschaftlichen Geschehen teilnehmen und bei welchen der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte religiöse Auftrag der Kirche oder Religionsgemeinschaft in der Gesamtschau der Tätigkeiten gegenüber anderen - vorwiegend gewinnorientierten - Erwägungen erkennbar in den Hintergrund tritt.

95

bb) Das Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses (vgl. BVerfGE 70, 138 <164> unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, 236 <249>; 53, 366 <399>; 57, 220 <243>; vgl. auch BVerfGE 99, 100 <125>) und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen (vgl. BVerfGE 53, 366 <399>). Unter die Freiheit des "Ordnens" und "Verwaltens" fällt dementsprechend auch die rechtliche Vorsorge für die Wahrnehmung kirchlicher Dienste durch den Abschluss entsprechender Arbeitsverträge (vgl. BVerfGE 70, 138 <165>; BVerfGK 12, 308 <330>; vgl. auch: Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 <730>).

96

Der Staat erkennt die Kirchen in diesem Sinne als Institutionen mit dem originären Recht der Selbstbestimmung an, die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten (vgl. BVerfGE 18, 385 <386>; 19, 1 <55>; 30, 415 <428>; 42, 312 <321 f., 332>; 46, 73 <94>; 57, 220 <244>; 66, 1 <19>; BVerfGK 14, 485 <486>). Dies gilt - unabhängig von der Rechtsform der Organisation - auch dann, wenn die Kirchen sich zur Erfüllung ihres Auftrags und ihrer Sendung privatrechtlicher Formen bedienen (BVerfGE 46, 73 <85 ff.>; 70, 138 <162>) und wenn die Tätigkeiten und getroffenen Maßnahmen in den weltlichen Bereich hineinwirken (vgl. BVerfGE 42, 312 <334 f.>). Die Kirchen bestimmen selbst, frei und autonom darüber, welche Dienste sie in welchen Rechtsformen ausüben wollen und sind nicht auf spezifisch kanonische oder kirchenrechtliche Gestaltungsformen beschränkt. Religiöse Orden oder das Kirchenbeamtentum, die spezifischem Kirchenrecht unterliegen, stellen insofern zwar originäre, aber auch nur mögliche Varianten und Formen kirchlicher Dienste dar.

97

Die Kirchen können sich der jedermann offen stehenden privatautonomen Gestaltungsformen bedienen, Dienstverhältnisse begründen und nach ihrem Selbstverständnis ausgestalten. Die im Selbstbestimmungsrecht der Kirchen enthaltene Ordnungsbefugnis gilt insoweit nicht nur für die kirchliche Ämterorganisation (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV), sondern ist ein allgemeines Prinzip für die Ordnung des kirchlichen Dienstes (vgl. BVerfGE 70, 138 <164 f.>). Sie berechtigt zur Organisation der Tätigkeit einschließlich der Aufrechterhaltung einer internen Organisationsstruktur, zur Auswahl ihrer Angestellten und zur Festlegung der religiösen Grundsätze, welche die Grundlage ihrer Tätigkeiten sein sollen.

98

d) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 32, 98 <106>; 44, 37 <49>; 83, 341 <354>; 108, 282 <297>; 125, 39 <79>). Dieses beinhaltet notwendigerweise neben der Freiheit des Einzelnen zum privaten und öffentlichen Bekenntnis seiner Religion oder Weltanschauung (vgl. nur BVerfGE 24, 236 <245>; 69, 1 <33 f.>; 108, 282 <297>) auch die Freiheit, sich mit anderen aus gemeinsamem Glauben oder gemeinsamer weltanschaulicher Überzeugung zusammenzuschließen (vgl. BVerfGE 42, 312 <323>; 53, 366 <387>; 83, 341 <355>; 105, 279 <293>).

99

aa) Die durch den Zusammenschluss gebildete Vereinigung genießt das Recht zu religiöser oder weltanschaulicher Betätigung, zur Verkündigung des Glaubens, zur Verbreitung der Weltanschauung sowie zur Pflege und Förderung des jeweiligen Bekenntnisses (vgl. BVerfGE 19, 129 <132>; 24, 236 <246 f.>; 53, 366 <387>; 105, 279 <293>). Dieser Schutz steht nicht nur Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu, sondern auch von diesen selbstständigen oder unselbstständigen Vereinigungen, wenn und soweit sich diese die Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Zweck der Vereinigung gerade auf die Erreichung eines solchen Zieles gerichtet ist und eine hinreichende institutionelle Verbindung zu einer Religionsgemeinschaft besteht (vgl. BVerfGE 24, 236 <246 f.>).

100

bb) Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative Ausübung von Religion und Weltanschauung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der "Religionsausübung" durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGE 24, 236 <246>).

101

Zwar hat der Staat grundsätzlich verfassungsrechtliche Begriffe nach neutralen, allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten zu interpretieren (vgl. BVerfGE 24, 236 <247 f.>). Wo aber die Rechtsordnung gerade das religiöse oder weltanschauliche Selbstverständnis des Grundrechtsträgers voraussetzt, wie dies bei der Religionsfreiheit der Fall ist, würde der Staat die Eigenständigkeit der Kirchen und ihre nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV verfassungsrechtlich verankerte Selbständigkeit verletzen, wenn er bei der Auslegung der sich aus dem Bekenntnis ergebenden Religionsausübung das Selbstverständnis nicht berücksichtigen würde (vgl. BVerfGE 18, 385 <386 f.>; 24, 236 <248>; 108, 282 <298 f.>). Die Formulierung des kirchlichen Proprium obliegt so allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt.

102

cc) Nach dem Selbstverständnis der christlichen Kirchen umfasst die Religionsausübung nicht nur den Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes, sondern auch die Freiheit zur Entfaltung und Wirksamkeit des christlichen Sendungsauftrages in Staat und Gesellschaft. Dazu gehört insbesondere das karitative Wirken, das eine wesentliche Aufgabe für den Christen ist und von den Kirchen als religiöse Grundfunktion verstanden wird (vgl. BVerfGE 53, 366 <393>; siehe auch BVerfGE 24, 236 <246 ff.>; 46, 73 <85 ff.>; 57, 220 <242 f.>; 70, 138 <163>). Die tätige Nächstenliebe ist als solche eines der Wesensmerkmale der Kirche (vgl. Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. II, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665). Sie geht von der Zuwendung gegenüber Kranken und Benachteiligten ohne Rücksicht auf Konfession, Bedürftigkeit oder sozialen Status aus. Christliche Organisationen und Einrichtungen versehen die Aufgabe der Krankenpflege daher im Sinne einer an christlichen Grundsätzen ausgerichteten umfassenden medizinischen, pastoralen und seelsorgerlichen Behandlung und verwirklichen damit Sendung und Auftrag ihrer Kirche im Geist ihrer Religiosität und im Einklang mit dem Bekenntnis.

103

Die von der Verfassung anerkannte und dem kirchlichen Selbstverständnis entsprechende Zuordnung der karitativen Tätigkeit zum Sendungsauftrag der Kirche wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass andere Einrichtungen und anders ausgerichtete Träger im Sozialbereich ähnliche Zwecke verfolgen und - rein äußerlich gesehen - Gleiches verwirklichen wollen (vgl. BVerfGE 53, 366 <399> unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, 236 <249>; vgl. auch BVerfGK 12, 308 <330>). Die religiöse Dimension ist insoweit das bestimmende Element der karitativen und diakonischen Tätigkeit, das sie von äußerlich vergleichbaren Tätigkeiten unterscheidet. Es ist das spezifisch Religiöse der karitativen und diakonischen Tätigkeit, das den Umgang mit Kranken und Benachteiligten prägt und der seelsorgerlichen und pastoralen Begleitung eine hervorgehobene Bedeutung beimisst.

104

Dem steht nicht entgegen, dass diese Ausrichtung im modernen säkularen Staat angesichts religiöser Pluralisierung und "Entkirchlichung" der Gesellschaft schwierig zu vermitteln ist, zumal nicht in allen Bereichen von Caritas und Diakonie hinreichend Christen zur Verfügung stehen, die diesen Auftrag als an die eigene Person gerichteten Heilsauftrag begreifen und umsetzen. So müssen verstärkt nichtchristliche Arbeitnehmer - auch in leitenden Positionen - in Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen eingesetzt werden. Dies allein muss jedoch weder zu einem Rückzug der Kirchen aus den in Rede stehenden Bereichen führen noch dazu, dass der geistlich theologische Auftrag und die Sendung nicht mehr erkennbar sind (vgl. etwa: Bethel, Gemeinschaft verwirklichen - Unsere Vision und unsere strategischen Entwicklungsschwerpunkte 2011 bis 2016, v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel, Bielefeld 2011, S. 8 ff.).

105

Dieser gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation kann durch Struktur und Ausformung der christlichen Dienstgemeinschaft ausreichend Rechnung getragen werden. Die christlichen Kirchen kennen viele Formen christlichen Dienens: Öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnisse, Zugehörigkeit zu besonderen geistlichen Gemeinschaften wie Orden und Diakonissengemeinschaften oder eben auch nach staatlichem Recht - privatautonom - begründete Arbeitsverhältnisse. Spezifisches Kennzeichen für all diese Formen ist es, dem biblischen Auftrag zur Verkündigung und zur tätigen Nächstenliebe nachzukommen. Der Dienst in der christlichen Gemeinde ist Auftrag und Sendung der Kirche und umfasst idealiter den Menschen in all seinen Bezügen in Familie, Freizeit, Arbeit und Gesellschaft. Dieses Verständnis ist die Grundlage für die kirchlichen Anforderungen an die Gestaltung des Dienstes und die persönliche Lebensführung, die in den Loyalitätsobliegenheiten ihren Ausdruck finden. Gemeinschaft in diesem Sinne bedeutet nach christlichem Glauben gemeinsame Verantwortung für das Wirken der Kirche und in der Kirche und ihren Einrichtungen. Dieses Leitbild des Umgangs aller Dienstangehörigen prägt Verhalten und Umgang untereinander und mit den anvertrauten Kranken und Benachteiligten. Vorwiegend ökonomische Interessenmaximierung ist damit nicht vereinbar.

106

e) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht steht nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV, auch soweit sich der Schutzbereich mit demjenigen der korporativen Religionsfreiheit überlagert, unter dem Vorbehalt des für alle geltenden Gesetzes (sog. Schrankenspezialität, vgl. oben Rn. 85). Die Formel "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" kann jedoch nicht im Sinne des allgemeinen Gesetzesvorbehalts in einigen Grundrechtsgarantien verstanden werden (vgl. BVerfGE 42, 312 <333>). Vielmehr ist der Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck bei der Entfaltung und Konturierung der Schrankenbestimmung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 53, 366 <400 f.>). Beim Ausgleich der gegenläufigen Interessen ist daher der Umstand zu beachten, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist.

107

aa) Deshalb ergibt sich aus dem Umstand, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nur "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" gegeben ist, gerade nicht, dass jegliche staatliche Rechtsetzung, sofern sie nur aus weltlicher Sicht von der zu regelnden Materie her als vernünftig und verhältnismäßig erscheint, ohne weiteres in den den Kirchen, ihren Organisationen und Einrichtungen von Verfassungs wegen zustehenden Autonomiebereich eingreifen könnte (vgl. BVerfGE 53, 366 <404>; 72, 278 <289>). Die selbständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten ist den Kirchen, ihren Organisationen und Einrichtungen von der Verfassung garantiert, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihrer religiösen und diakonischen Aufgabe, ihren Grundsätzen und Leitbildern auch im Bereich von Organisation, Normsetzung und Verwaltung umfassend nachkommen zu können (vgl. BVerfGE 53, 366 <404>).

108

bb) Zu dem "für alle geltenden Gesetz" im Sinne des Art. 140 GG in Ver-bindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV, unter dessen Vorbehalt die inhaltliche Gestaltungsfreiheit des kirchlichen Arbeitgebers für die auf Vertragsebene begründeten Arbeitsverhältnisse steht, zählen die Regelungen des allgemeinen Kündigungsschutzes (vgl. BVerfGE 70, 138 <166 f.>; Ehlers, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 140/Art. 137 WRV, Rn. 14; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140/Art. 137 WRV, Rn. 49). Sie tragen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der objektiven Schutzpflicht des Staates gegenüber den wechselseitigen Grundrechtspositionen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer Rechnung (vgl. BVerfGE 84, 133 <146 f.>; 85, 360 <372 f.>; 92, 140 <150>; 97, 169 <175 f.>; BVerfGK 1, 308 <311>; 8, 244 <246>).

109

cc) Die in diesen Vorschriften enthaltenen Generalklauseln bedürfen der Ausfüllung im konkreten Einzelfall. Im Privatrechtsverkehr entfalten die Grundrechte ihre Wirkkraft als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen durch das Medium der Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen, damit vor allem auch durch die zivilrechtlichen Generalklauseln (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 f.>; 42, 143 <148>; 103, 89 <100>). Der Staat hat insoweit die Grundrechte des Einzelnen zu schützen und vor Verletzung durch andere zu bewahren (vgl. nur BVerfGE 103, 89 <100>). Den staatlichen Gerichten obliegt es, den grundrechtlichen Schutz im Wege der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts zu gewähren und im Einzelfall zu konkretisieren.

110

(1) Die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt deren Zugehörigkeit zu den "eigenen Angelegenheiten" der Kirche nicht auf (vgl. BVerfGE 53, 366 <392>; 70, 138 <165>). Arbeits- und Kündigungsschutzgesetze sind daher einerseits im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung zugunsten der kirchlichen Selbstbestimmung auszulegen (Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV). Das bedeutet nicht nur, dass die Religionsgesellschaft Gestaltungsspielräume, die das dispositive Recht eröffnet, voll ausschöpfen darf. Auch bei der Handhabung zwingender Vorschriften sind Auslegungsspielräume, soweit erforderlich, zugunsten der Religionsgesellschaft zu nutzen (vgl. BVerfGE 83, 341 <356>), wobei dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht zuzumessen ist (vgl. BVerfGE 53, 366 <401>, unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, 236 <246>; 44, 37 <49 f.>).

111

(2) Andererseits darf dies nicht dazu führen, dass Schutzpflichten des Staates gegenüber den Arbeitnehmern (Art. 12 Abs. 1 GG) und die Sicherheit des Rechtsverkehrs vernachlässigt werden (vgl. BVerfGE 83, 341 <356>). Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV sichert insoweit mit Rücksicht auf das zwingende Erfordernis friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirchen (vgl. BVerfGE 42, 312 <330 ff., 340>) sowohl das selbständige Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen als auch den staatlichen Schutz der Rechte anderer und für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter. Dieser Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Zweck der gesetzlichen Schrankenziehung ist durch eine entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 46, 73 <95>; 53, 366 <400 f.>; 66, 1 <22>; 70, 138 <167>; 72, 278 <289>; BVerfGK 12, 308 <333>).

112

2. Bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten über Loyalitätsobliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer haben die staatlichen Gerichte den organischen Zusammenhang von Statusrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und Grundrecht (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) im Rahmen einer zweistufigen Prüfung zu beachten und umzusetzen.

113

a) Ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt, müssen die staatlichen Gerichte auf einer ersten Prüfungsstufe einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der Kirche unterziehen. Dabei dürfen sie die Eigenart des kirchlichen Dienstes - das kirchliche Proprium - nicht außer Acht lassen.

114

aa) Die Formulierung des kirchlichen Proprium obliegt allein und ausschließlich den verfassten Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt. Ebenso sind für die Frage, welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, allein die von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäbe von Belang. Demgegenüber kommt es weder auf die Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen Einrichtungen - bei denen die Meinungsbildung von verschiedensten Motiven beeinflusst sein kann - noch auf diejenige breiter Kreise unter den Kirchengliedern oder etwa gar einzelner, bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter an (vgl. BVerfGE 70, 138 <166>).

115

Im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts können die verfassten Kirchen festlegen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre" sind, was als Verstoß gegen diese anzusehen ist und welches Gewicht diesem Verstoß aus kirchlicher Sicht zukommt (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>). Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine "Abstufung" der Loyalitätsobliegenheiten eingreifen soll, ist eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>).

116

bb) Über die entsprechenden Vorgaben der verfassten Kirche dürfen sich die staatlichen Gerichte nicht hinwegsetzen. Im Rahmen der allgemeinen Justizgewährungspflicht sind sie lediglich berechtigt, die Darlegungen des kirchlichen Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. In Zweifelsfällen haben sie die einschlägigen Maßstäbe der verfassten Kirche durch Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden oder, falls dies ergebnislos bleibt, durch ein kirchenrechtliches oder theologisches Sachverständigengutachten aufzuklären.

117

(1) Religiöse Zielsetzung und institutionelle Verbindung der Organisation oder Einrichtung zur verfassten Amtskirche, ihren Organen und Amtswaltern und die bruchlose Übereinstimmung von geistlich-theologischem Auftrag und dessen Ausführung im praktischen Wirtschaftsleben müssen hiernach objektiv erkennbar sein und einer - den von der verfassten Kirche vorgegebenen glaubensspezifischen Parametern folgenden - Plausibilitätskontrolle standhalten (vgl. Ehlers, in: Sachs , GG, 7. Aufl. 2014, Art. 140, Rn. 6; Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 <727 f.>).

118

(2) Ist durch den kirchlichen Arbeitgeber plausibel dargelegt, dass nach gemeinsamer Glaubensüberzeugung, Dogmatik, Tradition und Lehre der verfassten Kirche ein bestimmtes Handeln oder eine Tätigkeit und daran geknüpfte Loyalitätsobliegenheiten Gegenstand, Teil oder Ziel von Glaubensregeln sind (vgl. als Beispiel hierfür: Bethel, Grundsätze für Zusammenarbeit und Führung in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Bielefeld 2012), darf der Staat das so umschriebene glaubensdefinierte Selbstverständnis der Kirche nicht nur nicht unberücksichtigt lassen; er hat es vielmehr seinen Wertungen und Entscheidungen zugrunde zu legen, so lange es nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen steht (vgl. dazu BVerfGE 70, 138 <168>, wo auf die Grundprinzipien der Rechtsordnung abgestellt wurde, wie sie im allgemeinen Willkürverbot [Art. 3 Abs. 1 GG] und in den Begriffen der "guten Sitten" [§ 138 Abs. 1 BGB] und des ordre public [Art. 6 EGBGB] ihren Niederschlag gefunden haben; vgl. ferner BVerfGE 102, 370 <392 ff.>). Einer darüber hinaus gehenden Bewertung solcher Glaubensregeln hat sich der Staat zu enthalten (vgl. BVerfGE 33, 23 <30>; 104, 337 <355>), denn darin entfaltet sich nicht nur die statusrechtliche Sicherung nach Art. 137 Abs. 3 WRV, sondern vor allem auch die Schutzwirkung der Religionsfreiheit von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

119

(3) Dies gilt in besonderem Maße im Hinblick auf Loyalitätserwartungen der Kirche und eine etwaige Abstufung von Loyalitätsobliegenheiten. Hat die Kirche oder Religionsgemeinschaft sich in Ausübung ihrer korporativen Religionsfreiheit dazu entschieden, ein bestimmtes Verhalten wegen des Verstoßes gegen tragende Glaubenssätze als Loyalitätsverstoß zu werten, ein anderes aber nicht, und hat sie diese Maßgabe zum Gegenstand eines Arbeitsvertrags gemacht, so ist es den staatlichen Gerichten grundsätzlich untersagt, diese autonom getroffene und von der Verfassung geschützte Entscheidung zu hinterfragen und zu bewerten. Gleiches gilt, soweit die Kirche oder Religionsgemeinschaft die Loyalitätsobliegenheiten auf Arbeitnehmer in bestimmten Aufgabenbereichen beschränkt oder nur auf solche kirchlichen Arbeitnehmer erstreckt hat, die ihrem Glauben angehören. Den staatlichen Gerichten ist es insoweit verwehrt, die eigene Einschätzung über die Nähe der von einem Arbeitnehmer bekleideten Stelle zum Heilsauftrag und die Notwendigkeit der auferlegten Loyalitätsobliegenheit im Hinblick auf Glaubwürdigkeit oder Vorbildfunktion innerhalb der Dienstgemeinschaft an die Stelle der durch die verfasste Kirche getroffenen Einschätzung zu stellen (vgl. auch BVerfGE 70, 138 <167>; 83, 341 <356>; so auch im Ergebnis: Isensee, in: Festschrift für Klaus Obermayer, 1986, S. 203 <214 f.>; Richardi, in: ders./Wlotzke/Wißmann/Oetker, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 328 Rn. 24; Plum, NZA 2011, S. 1194 <1200>; Fahrig/Stenslik, EuZA 5 <2012>, S. 184 <194 f.>; Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, S. 225 <230>; Walter, ZevKR 57 <2012>, S. 233 <240>; Pötters/Kalf, ZESAR 2012, S. 216 <218>; Magen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 41 <43 ff.>).

120

b) Auf einer zweiten Prüfungsstufe haben die Gerichte sodann die Selbstbestimmung der Kirchen den Interessen und Grundrechten der Arbeitnehmer in einer offenen Gesamtabwägung gegenüberzustellen.

121

aa) Dies setzt die positive Feststellung voraus, dass der Arbeitnehmer sich der ihm vertraglich auferlegten Loyalitätsanforderungen und der Möglichkeit arbeitsrechtlicher Sanktionierung von Verstößen bewusst war oder hätte bewusst sein müssen. Die Unannehmbarkeit einer Loyalitätsanforderung (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>) ist gegeben, wenn Inhalt und Reichweite der dem kirchlichen Arbeitnehmer auferlegten Obliegenheiten sowie die sich aus einem Verstoß möglicherweise ergebenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen nicht mit hinreichender Bestimmtheit erkennbar sind, so dass der kirchliche Arbeitnehmer sich außer Stande sieht, sein Handeln an den Loyalitätsanforderungen seines Arbeitgebers zu orientieren. Die nach freiem Willen getroffene Entscheidung eines Grundrechtsberechtigten, eine partielle Beschränkung seiner Freiheitsrechte durch Eingehung eines Arbeitsverhältnisses mit einem kirchlichen Arbeitgeber zu dessen Voraus-setzungen hinzunehmen, setzt notwendigerweise das Bewusstsein über den Umfang der Selbstbindung voraus (vgl. hierzu auch: Isensee, in: Festschrift für Klaus Obermayer, 1986, S. 203 <206 f.>; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 140 Rn. 27). Diese Voraussetzung ist nicht mehr erfüllt, wenn sich etwa Inhalt und Reichweite der einzuhaltenden Verhaltensregeln nur mithilfe detaillierter Kenntnisse des Kirchenrechts und der Glaubens- und Sittenlehre feststellen lassen, die vom Arbeitnehmer auch bei gesteigerten Erwartungen wegen der Konfession oder der konkreten Stellung nicht verlangt werden können (vgl. zur Relevanz des letztgenannten Umstands und zur Abgrenzung auch: EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 71).

122

Das Erfordernis der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit steht einer Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln (vgl. etwa Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrO: "Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre") in Arbeitsverträgen und der Verweisung auf Dienstordnungen nicht grundsätzlich entgegen. Im Zweifel ist der kirchliche Arbeitgeber jedoch gehalten, abstrakte Begrifflichkeiten zum Verständnis des Arbeitnehmers im Rahmen der individualvertraglichen Vereinbarung zu konkretisieren (vgl. hierzu auch: Böckel, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 57 <58>).

123

Das Maß im Einzelfall zulässiger Abstrahierung korrespondiert dabei mit dem Umfang der nach Einschätzung der Kirche im Hinblick auf das konkrete Arbeitsverhältnis erforderlichen Loyalitätserwartungen: Bei Personen, die aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Stellung erhöhten Loyalitätsanforderungen unterworfen werden, sind in aller Regel auch Kenntnisse der kirchlichen Lehre Teil des beruflichen Anforderungsprofils und können durch den Arbeitgeber bei der Formulierung der Loyalitätserwartungen vorausgesetzt werden. Führt die Unkenntnis eines derartigen Arbeitnehmers zu einer Obliegenheitsverletzung, weil er sich über die Illoyalität seines Verhaltens nicht im Klaren ist, obschon er es hätte sein müssen, rechtfertigt dies eine andere Beurteilung als in Konstellationen, in denen Kenntnisse der kirchlichen Lehre und der einschlägigen kirchengesetzlichen Vorgaben auch aus Sicht der Kirche nicht ohne weiteres erwartet werden können.

124

bb) Im Rahmen des sich hieran anschließenden Abwägungsvorgangs sind die kollidierenden Rechtspositionen - dem Grundsatz der praktischen Konkordanz entsprechend - in möglichst hohem Maße in ihrer Wirksamkeit zu entfalten. Sie sind einander im Sinne einer Wechselwirkung verhältnismäßig zuzuordnen, das heißt, das einschränkende arbeitsrechtliche Gesetz muss im Lichte der Bedeutung des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG betrachtet werden, wie umgekehrt die Bedeutung kollidierender Rechte des Arbeitnehmers im Verhältnis zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gewichtet werden muss.

125

Dem Selbstverständnis der Kirche ist dabei ein besonderes Gewicht beizumessen (vgl. hierzu auch: BVerfGE 53, 366 <401>; 66, 1 <22>; 70, 138 <167>; 72, 278 <289>; BVerfGK 12, 308 <333>), ohne dass die Interessen der Kirche die Belange des Arbeitnehmers dabei prinzipiell überwögen. Das staatliche Arbeitsrecht lässt "absolute Kündigungsgründe" nicht zu; eine Verabsolutierung von Rechtspositionen ist der staatlichen Rechtsordnung jenseits des Art. 1 Abs. 1 GG fremd. Entsprechend entbindet selbst ein erkennbar schwerwiegender Loyalitätsverstoß die staatlichen Arbeitsgerichte nicht von der Pflicht zur Abwägung der kirchlichen Interessen mit den Belangen des Arbeitnehmers. Die Arbeitsgerichte haben jedoch auch bei der Abwägung die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Gewichtung vertraglicher Loyalitätsobliegenheiten zugrunde zu legen (BVerfGE 70, 138 <170 ff.>).

126

3. Ob diese Abwägung verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, kann gegebenenfalls Gegenstand verfassungsgerichtlicher Kontrolle sein. Das Bundesverfassungsgericht ist zum Eingreifen gegenüber den Fachgerichten jedoch nur dann berufen, wenn diese tragende Elemente des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und der korporativen Religionsfreiheit einerseits oder Grundrechte des Arbeitnehmers andererseits verkennen.

127

4. Diese Maßstäbe stehen in Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. bereits: EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86). Die durch die Konvention begründeten objektiven Schutzpflichten des Staates aus Art. 11 Abs. 1 EMRK in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 EMRK und das sich hieraus ergebende Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften einerseits und die entgegenstehenden Rechtspositionen der kirchlichen Arbeitnehmer andererseits verlangen - in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben - eine Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls. Die durch die Konvention begründete Neutralitätspflicht des Staates in religiösen Angelegenheiten untersagt den staatlichen Stellen hierbei ebenfalls eine eigenständige Bewertung und Gewichtung von Glaubensinhalten.

128

a) Die Europäische Menschenrechtskonvention ist als Auslegungshilfe bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes heranzuziehen. Dies verlangt allerdings keine schematische Parallelisierung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Vielmehr werden deren Wertungen im Sinne eines möglichst schonenden Einpassens in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechts- system aufgenommen (vgl. BVerfGE 111, 307 <315 ff.>; 128, 326 <366 ff.>; 131, 268 <295 f.>).

129

Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 128, 326 <371>). Zudem darf sie nicht dazu führen, dass der Grundrechtsschutz nach dem Grundgesetz eingeschränkt wird; das schließt auch die Europäische Menschenrechtskonvention durch Art. 53 EMRK ihrerseits aus (vgl. BVerfGE 111, 307 <317>; 128, 326 <371>, jeweils m.w.N.). Dieses Rezeptionshemmnis kann vor allem in - wie hier - mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen relevant werden, in denen das "Mehr" an Freiheit für einen Grundrechtsträger zugleich ein "Weniger" für einen anderen bedeutet (vgl. BVerfGE 128, 326 <371>).

130

b) Art. 9 Abs. 1 EMRK schützt neben der individuellen Religionsfreiheit auch ihre korporative Seite (vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, Handkommentar, 3. Aufl. 2011, Art. 9 Rn. 10, m.w.N). Da die Kirchen und Religionsgemeinschaften traditionell in der Form organisierter Strukturen existieren, deren autonomer Bestand für die Vielfalt in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar ist und die Glaubensfreiheit in ihrem Kerngehalt berührt, muss Art. 9 Abs. 1 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Lichte des Art. 11 Abs. 1 EMRK ausgelegt werden. Unter diesem Blickwinkel bedingt die Glaubensfreiheit des Einzelnen auch den Schutz der rechtlich verfassten Kirchen und Religionsgemeinschaften vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen im Hinblick sowohl auf religiöse als auch auf organisatorische Fragen. Ohne diesen Schutz der Organisation nach Maßgabe des religiösen Selbstverständnisses durch die Konvention wäre auch die effektive Wahrnehmung der individuellen Religionsfreiheit beeinträchtigt (vgl. zu alledem: EGMR (GK), Hasan u. Chaush v. Bulgarien, Urteil vom 26. Oktober 2000, Nr. 30985/96, § 62; EGMR, Metropolitan Church of Bessarabia u.a. v. Moldawien, Urteil vom 13. Dezember 2001, Nr. 45701/99, § 118; EGMR, Holy Synod of the Bulgarian Orthodox Church (Metropolitan Inokentiy) v. Bulgarien, Urteil vom 22. Januar 2009, Nr. 412/03 u.a., § 103; EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 136; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 127).

131

aa) Das Autonomierecht beinhaltet das Recht der Kirche oder Religionsgemeinschaft, nach ihren Rechtssätzen und nach ihrem Ermessen auf ein Verhalten ihrer Mitglieder zu reagieren, das eine Bedrohung für den Zusammenhalt, die Glaubwürdigkeit oder die Einheit der Gemeinschaft bedeutet (vgl. hierzu: EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 165; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 128). Daneben ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt, dass aus dem Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften auch deren Befugnis erwächst, ihren Arbeitnehmern und den die Gemeinschaft repräsentierenden Personen ein gewisses Maß an Loyalität abzuverlangen (vgl. hierzu bereits: EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86; sowie: EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 131, m.w.N.). Voraussetzung ist, dass von einer Verletzung der konkreten Loyalitätsanforderung nach Einschätzung der Kirche oder Religionsgemeinschaft eine substantielle Gefahr für den Zusammenhalt, die Glaubwürdigkeit oder die Einheit der Gemeinschaft ausginge, die mit der Loyalitätsanforderung verbundene Beschränkung nicht über das erforderliche Maß hinausreicht und keinen sachfremden Zwecken dient, die nicht in der Wahrnehmung des religiösen Auftrags begründet liegen; dies hat die Kirche oder Religionsgemeinschaft im Einzelfall darzulegen (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132).

132

bb) Unter diesen Bedingungen können auch Beschränkungen konventionsrechtlich geschützter Rechtspositionen des Arbeitnehmers gerechtfertigt sein; insoweit ist Art. 11 Abs. 1 EMRK in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 EMRK generell geeignet, als Schranke für diese Konventionsrechte zu dienen und die objektive Schutzpflicht des Staates zu begrenzen oder gar zu verdrängen (vgl. hierzu: EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, §§ 43 ff.; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, §§ 133 ff., jeweils zu Art. 8 Abs. 1 EMRK; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45, zu Art. 9 Abs. 1 EMRK).

133

Da die vertragliche Unterwerfung unter die Loyalitätserwartungen jedoch auf einer freiwilligen Entscheidung des kirchlichen Arbeitnehmers beruht (vgl. bereits EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86), ist Voraussetzung hierfür grundsätzlich, dass der Inhalt der Loyalitätserwartung und die mit einem Verstoß einhergehenden Rechtsfolgen für den Arbeitnehmer vorhersehbar sind (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 117). Für die Beurteilung der Vorhersehbarkeit ist auf die Konfession des Arbeitnehmers (vgl. hierzu: EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50) und - in besonderem Maße - die von dem kirchlichen Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall bekleidete Stellung innerhalb der Organisation abzustellen (vgl. hierzu: EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 119).

134

cc) Der konkreten Stellung des Arbeitnehmers innerhalb der religiösen Organisation oder einer ihrer selbständigen Einrichtungen (vgl. hierzu EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86, zum Fall eines Assistenzarztes in einem von einer Stiftung der römisch-katholischen Kirche getragenen Krankenhaus; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 44, zum Fall einer Erzieherin in von protestantischen Kirchengemeinden getragenen Kindertagesstätten) und dem Inhalt der ihm übertragenen Aufgaben kommt bei Beurteilung des zulässigen Umfangs der Loyalitätsobliegenheiten und der Vereinbarkeit von Sanktionsmaßnahmen aufgrund von Loyalitätsverstößen im Rahmen der Abwägungsentscheidung besonderes Gewicht zu (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 131, m.w.N.). Eine bereits von der Kirche oder Religionsgemeinschaft vorgenommene Abstufung von Loyalitätsobliegenheiten nach der Konfession oder beruflichen Stellung des Arbeitnehmers ist daher mit der Konvention nicht nur vereinbar, sondern im Zweifelsfall sogar geboten (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50, zur Abstufung aufgrund der Konfession; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 46; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 119, jeweils zur Abstufung aufgrund der Stellung). Hierdurch trägt die Kirche oder Religionsgemeinschaft ihrer Pflicht Rechnung, nur die aus ihrer Sicht zur Abwendung substantieller Risiken für den Zusammenhalt, die Glaubwürdigkeit oder die Einheit der Gemeinschaft unabweisbaren Einschränkungen konventionsrechtlich geschützter Rechtspositionen ihrer Arbeitnehmer vorzunehmen (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132).

135

c) Maßgeblich für die Beurteilung des notwendigen Inhalts der besonderen Loyalitätsanforderungen und des Gewichts von Verstößen hiergegen ist auch nach der Konvention der Standpunkt der Kirche oder Religionsgemeinschaft. Er ist von den staatlichen Stellen im Rahmen ihres Handelns grundsätzlich zugrunde zu legen (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 68; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45). Diese Beschränkung der Einschätzungsgewalt staatlicher Stellen wurzelt in dem konventionsrechtlichen Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften (Art. 11 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 9 Abs. 1 EMRK) und der staatlichen Neutralitätspflicht in religiösen Angelegenheiten. Sie untersagt über die bereits genannten Gewährleistungsinhalte des Autonomierechts hinaus der staatlichen Gewalt auch, kraft eigener Einschätzung darüber zu befinden, ob religiöse Glaubensüberzeugungen oder die Mittel zum Ausdruck solcher Glaubensüberzeugungen legitim sind (vgl. EGMR, Manoussakis v. Griechenland, Urteil vom 26. September 1996, Nr. 18748/91, § 47; EGMR, Jehovah's Witnesses of Moscow u.a. v. Russland, Urteil vom 10. Juni 2010, Nr. 302/02, § 141; EGMR, Church of Jesus Christ of the Latter-Day Saints v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 4. März 2014, Nr. 7552/09, § 29).

136

d) Dennoch muss die staatliche Gewalt den Standpunkt der Kirche und Religionsgemeinschaft vom Inhalt einer Loyalitätsanforderung und dem Gewicht eines Verstoßes ihrem Handeln nicht gänzlich ungeprüft zugrunde legen (vgl. hierzu auch: EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 69); von der konventionsrechtlichen Neutralitätspflicht in religiösen Angelegenheiten ist der Staat in bestimmten Ausnahmefällen entbunden (vgl. EGMR (GK), Hasan u. Chaush v. Bulgarien, Urteil vom 26. Oktober 2000, Nr. 30985/96, §§ 62, 78; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 129).

137

aa) Die staatlichen Gerichte haben sicherzustellen, dass die kirchlichen Arbeitgeber im Einzelfall keine unannehmbaren Anforderungen an ihre Arbeitnehmer richten (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45 f.). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Loyalitätsobliegenheit oder deren Gewichtung im Kündigungsfall gegen Grundprinzipien der Rechtsordnung verstößt (vgl. EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45 f.), auf willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132) oder wenn die Zugrundelegung des nach kirchlichem Selbstverständnis erlassenen Rechtsakts durch das staatliche Gericht auch unter Berücksichtigung des entgegenstehenden Interesses des kirchlichen Arbeitgebers im Ergebnis zu einer offensichtlichen Verletzung eines Konventionsrechts in seinem Kerngehalt führt (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132). Letzteres ist auch dann anzunehmen, wenn durch die Loyalitätserwartung der Schutzbereich eines abwägungsfesten Konventionsrechts (vgl. Art. 15 Abs. 2 EMRK) berührt wird.

138

Nicht ausreichend ist hingegen, dass die Loyalitätsobliegenheit lediglich den Schutzbereich anderer Konventionsrechte tangiert. Dies würde nicht nur das konventionsrechtliche Autonomierecht der Kirchen (Art. 11 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 9 Abs. 1 EMRK) entwerten, sondern auch den Abwägungsprozess verkürzen, wodurch der konventionsrechtlich gebotene gerechte Ausgleich zwischen mehreren - privaten - Interessen (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, §§ 45, 52; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 40, 47) verhindert würde. Die Entscheidung darüber, ob dem Interesse des kirchlichen Arbeitgebers an der selbstbestimmten Verwirklichung seiner religiösen Grundsätze im Arbeitsrecht oder dem Interesse des kirchlichen Arbeitnehmers an dem konventionsrechtlich geschützten, jedoch illoyalen Verhalten der Vorrang einzuräumen ist, ist erst im Wege der Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen zu treffen (vgl. hierzu auch: Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, S. 55 <62>).

139

bb) Inwieweit das Autonomierecht der Kirchen als Schranke entgegenstehender Konventionsrechte wirkt (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 60), ist auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Positionen und aller sie beeinflussenden Faktoren auf den Einzelfall zu bestimmen (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 68; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, §§ 132, 148). Da den Staat insoweit hinsichtlich beider Konventionsrechte objektive Schutzpflichten treffen und der Schutz der einen Rechtsposition notwendigerweise zur Beeinträchtigung des entgegenstehenden Rechts führt, räumt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Konventionsstaaten einen weiten Einschätzungsspielraum ein (vgl. EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 160; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 123).

140

Dennoch werden die Konventionsstaaten ihren objektiven Schutzpflichten im Einzelfall nur gerecht, wenn sie eine eingehende und alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Abwägung der durch die Kündigung tangierten Rechtspositionen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer vornehmen (vgl. EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 159; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 123).

141

Hierzu zählen unter anderem das Bewusstsein des Arbeitnehmers für die begangene Loyalitätspflichtverletzung (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 72; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 44, 46; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, §§ 141, 146), die Freiwilligkeit der Bindung an höhere Loyalitätsobliegenheiten (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 135), die öffentlichen Auswirkungen der Loyalitätspflichtverletzung (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 72), das Interesse des kirchlichen Arbeitgebers an der Wahrung seiner Glaubwürdigkeit (vgl. EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 44, 46; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 137), die Position des Arbeitnehmers in der Einrichtung, die Schwere des Loyalitätspflichtverstoßes in den Augen der Kirche sowie die zeitliche Dimension des Loyalitätsverstoßes (vgl. jeweils EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 48), das Interesse des Arbeitnehmers an der Wahrung seines Arbeitsplatzes (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 67), sein Alter, seine Beschäftigungsdauer (vgl. jeweils EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 48; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 44) und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 73; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 144).

142

cc) Im Rahmen der Interessenabwägung hat das staatliche Gericht allerdings stets die konventionsrechtlich geschützte Neutralitätspflicht in religiösen Angelegenheiten zu wahren (vgl. EGMR, Manoussakis v. Griechenland, Urteil vom 26. September 1996, Nr. 18748/91, § 47; EGMR, Jehovah's Witnesses of Moscow u.a. v. Russland, Urteil vom 10. Juni 2010, Nr. 302/02, § 141; EGMR, Church of Jesus Christ of the Latter-Day Saints v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 4. März 2014, Nr. 7552/09, § 29). Aus diesem Grund muss es bei der Gewichtung religiös geprägter Abwägungselemente (z.B. spezifische Nähe der Tätigkeit des Arbeitnehmers zum Verkündigungsauftrag) den Standpunkt der verfassten Kirche und Religionsgemeinschaft seiner Entscheidung zugrunde legen, sofern es hierdurch nicht in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung gelangt (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 67; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45).

143

dd) Soweit der Gerichtshof in einem Urteil beanstandet hat, die nationalen Gerichte hätten die Frage der Nähe der vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag der Kirche nicht geprüft, sondern offenbar ohne weitere Nachprüfungen den Standpunkt des kirchlichen Arbeitgebers in dieser Frage übernommen (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 67), war dies den besonderen Umständen des Einzelfalls geschuldet und rechtfertigt deshalb keine abweichende Beurteilung vorstehender konventionsrechtlicher Maßstäbe.

144

Eine Lesart der Entscheidungsgründe, die eine eigenständige staatliche Bewertung der Nähe einer Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag erfordern würde, liefe Gefahr, in unauflösbaren Widerspruch zur sonstigen Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, §§ 43, 51; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, §§ 57, 60; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 40, 45) bei Loyalitätsobliegenheiten im kirchlichen Arbeitsverhältnis zu geraten und das konventionsrechtlich garantierte Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften in seinem Kernbestand zu entwerten. Auch bliebe ungeklärt, warum der Gerichtshof sich einerseits auf die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts aus der Entscheidung vom 4. Juni 1985 (BVerfGE 70, 138 ff.) bezogen hat, ohne deren Vereinbarkeit mit der Konvention in Zweifel zu ziehen (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, §§ 35, 68) andererseits aber die Überprüfung kirchlicher Selbstverständnisse in weitem Umfang von den staatlichen Arbeitsgerichten verlangen würde. Eine solche Interpretation stünde letztlich auch der Rezeption in die nationale Verfassungsordnung entgegen, weil sie den Grundrechtsschutz innerhalb eines mehrpoligen Grundrechtsverhältnisses einseitig zu Lasten eines Beteiligten beschränken würde (vgl. auch Plum, NZA 2011, S. 1194 <1200>).

II.

145

Nach diesen Maßstäben verstößt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, da die bei der Anwendung des § 1 Abs. 2 KSchG vorgenommene Interessenabwägung dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht der Beschwerdeführerin nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.

146

1. Der persönliche Anwendungsbereich von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV ist zu Gunsten der Beschwerdeführerin eröffnet. Sie hat in Anbetracht der vorrangig religiösen Zielsetzung ihres Handelns und ihrer institutionellen Verbindung zur römisch-katholischen Kirche an deren kirchlichem Selbstbestimmungsrecht teil. Zwar ist weder die Beschwerdeführerin selbst noch das in ihrer Trägerschaft befindliche V.-Krankenhaus Teil der amtskirchlichen Organisation. Beide haben jedoch teil an der Verwirklichung von Auftrag und Sendung der Kirche im Geist katholischer Religiosität, im Einklang mit dem Bekenntnis und in Legitimation durch die Amtsträger der römisch-katholischen Kirche.

147

a) Die durch die Beschwerdeführerin wahrgenommene Aufgabe der Krankenbehandlung und -pflege stellt sich als Teil des Sendungsauftrages der römisch-katholischen Kirche dar. Sie ist als karitative Tätigkeit auf die Erfüllung der aus dem Glauben erwachsenden Pflicht zum Dienst am Mitmenschen und damit auf die Wahrnehmung einer kirchlichen Grundfunktion gerichtet (vgl. BVerfGE 53, 366 <393>; siehe auch: BVerfGE 24, 236 <246 ff.>; 46, 73 <85 ff.>; 57, 220 <242 f.>; 70, 138 <163>).

148

In der Staatspraxis der Bundesrepublik Deutschland ist die karitative Tätigkeit in den Kirchenverträgen und Konkordaten als legitime Aufgabe der Kirchen ausdrücklich anerkannt und den Kirchen die Berechtigung dazu gewährleistet worden (vgl. BVerfGE 24, 236 <248>; 53, 366 <393>, jeweils m.w.N.). Zu dieser karitativen Tätigkeit gehört die kirchlich getragene Krankenpflege, die in langer katholischer Tradition steht. Ihr entspricht die Organisation des kirchlichen Krankenhauses und die auf sie gestützte, an christlichen Grundsätzen ausgerichtete, auch pastorale und seelsorgerische Zuwendung umfassende Hilfeleistung für den Patienten (vgl. BVerfGE 53, 366 <393>).

149

b) An der Erfüllung dieses kirchlichen Auftrags hat die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer bekenntnismäßigen und organisatorischen Verbundenheit mit der römisch-katholischen Kirche Anteil. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der Regelungen des Gesellschaftsvertrages.

150

c) Im Fall der Beschwerdeführerin tritt die religiöse Dimension nicht in einem Maße gegenüber rein ökonomischen Erwägungen in den Hintergrund, das geeignet wäre, die Prägung durch das glaubensdefinierte Selbstverständnis in Frage zu stellen. Die Regelungen des Gesellschaftsvertrags der Beschwerdeführerin vom 6. August 2003, die als verbindlich anerkannten Vorgaben der Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1996 in der Fassung vom 27. März 2001 und die enge Verbindung der Beschwerdeführerin zum Verbund Katholischer Kliniken D. stehen einer vorrangig auf Vermögensmehrung ausgerichteten Aufgabenwahrnehmung der von ihr getragenen Einrichtungen entgegen. Allein das Ziel der Erwirtschaftung eines wirtschaftlichen Ergebnisses, das die Substanz der vorhandenen Einrichtungen und Arbeitsplätze sichert und eine sinnvolle Weiterentwicklung ermöglicht, ist für sich genommen noch nicht geeignet, die im Übrigen klar erkennbare religiöse Prägung ihres Handelns zu verdrängen.

151

2. Die Auferlegung besonderer Loyalitätsobliegenheiten gegenüber dem Kläger des Ausgangsverfahrens war vom Gewährleistungsinhalt des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV umfasst. Durch den Verweis auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993 (GrO) sowie § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrages vom 12. Oktober 1999 ist das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe wirksam und vorhersehbar zum Inhalt des Arbeitsvertrages geworden (nachfolgend a) und b)). Diese Loyalitätsanforderungen stehen ebenso wie ihre Abstufung nach Konfession und Stellung im Einklang mit den Maßstäben der verfassten römisch-katholischen Kirche. Sie erlegen dem Kläger des Ausgangsverfahrens keine unannehmbaren oder gegen grundlegende verfassungsrechtliche Gewährleistungen verstoßenden Obliegenheiten auf (nachfolgend c)).

152

a) Die Regelungen der Grundordnung einschließlich derer zum Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe sowie zu der Abstufung von Loyalitätserwartungen und arbeitsrechtlichen Sanktionen nach Konfession und Stellung des Arbeitnehmers sind von der Gesamtheit der katholischen Bischöfe in Deutschland übereinstimmend verabschiedet und promulgiert und damit für ihren jeweiligen Bereich als kirchliches Gesetz in Kraft gesetzt worden (vgl. Can. 391 § 1 CIC). Zweifel über den Inhalt der Maßstäbe der verfassten Kirche, denen seitens der staatlichen Gerichte durch entsprechende Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden zu begegnen gewesen wäre (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>), liegen deshalb nicht vor.

153

b) Inhalt und Reichweite der dem Kläger des Ausgangsverfahrens auferlegten Obliegenheiten sowie die sich aus einem Verstoß möglicherweise ergebenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen waren für ihn mit hinreichender Bestimmtheit erkennbar, so dass er in der Lage war, sein Verhalten hieran auszurichten. Eine Unannehmbarkeit der an ihn gerichteten Loyalitätserwartungen wegen mangelnder Vorhersehbarkeit scheidet aus.

154

aa) Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrO formuliert die für alle katholischen Mitarbeiter geltenden Loyalitätsobliegenheiten, indem er die Beachtung und Anerkennung der "Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre" verlangt. Im Vergleich zu den nichtkatholischen christlichen Mitarbeitern (vgl. Art. 4 Abs. 2 GrO) und nichtchristlichen Mitarbeitern (vgl. Art. 4 Abs. 3 GrO) werden katholische Mitarbeiter - zu denen der Kläger des Ausgangsverfahrens zählt - damit gesteigerten Loyalitätsanforderungen unterworfen. Hiermit korrespondiert, dass in der Regel nur katholische Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die im leitenden Dienst ausgeübt werden, betraut werden dürfen (vgl. Art. 3 Abs. 2 GrO).

155

Art. 4 Abs. 1 Satz 3 GrO enthält für leitende Mitarbeiter eine weitere Steigerung der Loyalitätsobliegenheiten. Durch Verweis auf Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrO wird diesen "das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre" abverlangt, das in besonderem Maße auch die Beachtung und Anerkennung der katholischen Glaubenssätze im außerdienstlichen Bereich umfasst. Die in der Präambel des Arbeitsvertrages ebenfalls zur Grundlage des Arbeitsverhältnisses erklärte "Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen" vom 5. November 1996 in der Fassung vom 27. März 2001 stellt in Abschnitt A Ziff. 6 klar, dass unter anderem die Abteilungsärzte (Chefärzte) als leitende Mitarbeiter im Sinne der Grundordnung zu gelten haben.

156

Art. 5 GrO regelt die arbeitsrechtliche Sanktionierung von Loyalitätsverstößen und stellt in Absatz 1 Satz 3 klar, dass auch die einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung nach erfolgloser Ausschöpfung milderer Maßnahmen sowie unter Berücksichtigung der Schwere des Loyalitätsverstoßes in Betracht kommt. In Form von Regelbeispielen benennt Art. 5 Abs. 2 GrO bestimmte Loyalitätsverstöße, die aus Sicht der Kirche im Regelfall derart schwerwiegend sind, dass sie grundsätzlich geeignet sind, eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen zu rechtfertigen; hierdurch werden zugleich die in Art. 4 GrO auferlegten Loyalitätsobliegenheiten - wenn auch nicht abschließend - konkretisiert. Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 2 GrO benennt als schwerwiegenden Loyalitätsverstoß ausdrücklich den "Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe".

157

Für die durch Art. 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 GrO gesteigerten Loyalitätsanforderungen unterworfenen Mitarbeiter stellt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO klar, dass die vorstehend genannten, generell als Kündigungsgrund in Betracht kommenden Verstöße die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung in aller Regel ausschließen, wenn sie von einem leitenden Mitarbeiter begangen werden. Ein Absehen von der Kündigung soll ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn schwerwiegende Umstände des Einzelfalls die Kündigung als unangemessen erscheinen lassen (vgl. Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO).

158

bb) Für den Kläger des Ausgangsverfahrens, der als Chefarzt zur Gruppe der leitenden Mitarbeiter zählt, war demnach bereits bei Vertragsschluss aufgrund der in Bezug genommenen Regelungen der Grundordnung erkennbar, dass ein Loyalitätsverstoß durch Eingehung einer zweiten Ehe im Hinblick auf den Bestand seiner nach kirchlichem Recht geschlossenen ersten Ehe im Regelfall die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses als arbeitsrechtliche Sanktion nach sich ziehen würde. Tatbestand und Rechtsfolge eines derartigen Loyalitätsverstoßes waren zudem durch § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrages konkretisiert. Dem Kläger des Ausgangsverfahrens war danach bei der Entscheidung, die hiermit verbundene partielle Beschränkung seiner Freiheitsrechte durch Eingehung des Arbeitsverhältnisses mit der Beschwerdeführerin zu deren Konditionen hinzunehmen, der Umfang der damit eingegangenen Selbstbindung bewusst oder er hätte ihm jedenfalls bewusst sein müssen. Dies gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass nach dem in der Grundordnung zum Ausdruck kommenden Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche an einen katholischen Arbeitnehmer mit leitenden Aufgaben wegen seiner Konfession und der konkret bekleideten Stellung gesteigerte Erwartungen im Hinblick auf die Kenntnis der kirchlichen Lehre als Teil des beruflichen Anforderungsprofils gestellt werden können (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 71).

159

c) Weder die Loyalitätsobliegenheit als solche noch die arbeitsrechtliche Sanktionierung von Verstößen aufgrund der Konfession einerseits und der leitenden Stellung andererseits ist verfassungsrechtlich zu beanstanden.

160

aa) Die durch Art. 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 GrO auferlegte und durch Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 2 GrO konkretisierte Loyalitätserwartung an die Mitarbeiter der römisch-katholischen Kirche, den nach katholischem Verständnis besonderen Charakter der kirchenrechtlich geschlossenen Ehe als dauerhaften und unauflöslichen Bund zwischen Mann und Frau zu respektieren und zu schützen, ist auf grundlegende und durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Glaubenssätze der römisch-katholischen Kirche rückführbar.

161

bb) Auch die Abstufung der Loyalitätsobliegenheiten nach der Konfession des kirchlichen Arbeitnehmers mit ihrer grundlegenden Kategorisierung nach Katholiken (Art. 4 Abs. 1 GrO), Nichtkatholiken (Art. 4 Abs. 2 GrO) und Nichtchristen (Art. 4 Abs. 3 GrO) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 4. Juni 1985 die beson-dere Bedeutung von Loyalitätserwartungen gegenüber Mitgliedern der eigenen Kirche anerkannt (vgl. BVerfGE 70, 138 <166>). Denn für die Kirchen kann ihre Glaubwürdigkeit davon abhängen, dass gerade ihre Mitglieder, die in ein Arbeitsverhältnis zu ihnen treten, die kirchliche Ordnung - auch in ihrer Lebensführung - respektieren. Die Abstufung knüpft zudem an die differenzierte Bindungswirkung des kanonischen Rechts an. Durch das katholische Kirchenrecht auferlegte Pflichten gelten ausschließlich für Katholiken (vgl. Can. 11 CIC).

162

cc) Die in Art. 4 Abs. 1 Satz 3, Art. 5 Abs. 3 GrO vorgesehene Verschärfung der Loyalitätsobliegenheiten von Arbeitnehmern in leitender Stellung ist ebenfalls von der Verfassung gedeckt. Leitende Arbeitnehmer nehmen Funktionen wahr, die hohe Bedeutung für Bestand, Entwicklung, Struktur und Umsetzung der vorgegebenen Ziele der kirchlichen Einrichtung haben. Ihnen kommt eine besondere Verantwortung für die Wahrung des spezifisch religiösen Charakters und damit der Erfüllung von Sendung und Auftrag der Kirche zu. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die außerkirchliche als auch die innerkirchliche Öffentlichkeit (vgl. Dütz, NJW 1994, S. 1369 <1371, 1373>).

163

3. Das Bundesarbeitsgericht hat im Rahmen der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG bei der Gewichtung der Interessen der Beschwerdeführerin Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV) verkannt. Es hat auf der ersten Stufe eine eigenständige Bewertung religiös vorgeprägter Sachverhalte vorgenommen und seine eigene Einschätzung der Bedeutung der Loyalitätsobliegenheit und des Gewichtes eines Verstoßes hiergegen an die Stelle der kirchlichen Einschätzung gesetzt, obschon diese anerkannten kirchlichen Maßstäben entspricht und nicht mit grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen in Widerspruch steht. Auf diese Weise hat es die Unwirksamkeit der Kündigung mit einem vermeintlich leichteren Gewicht der Rechtsposition der Beschwerdeführerin begründet - deren Bestimmung jedoch allein Sache der verfassten römisch-katholischen Kirche gewesen wäre -, statt ein besonders hohes Gewicht der Gegenposition des Klägers des Ausgangsverfahrens in die Abwägung einzubringen (vgl. auch: Reichold/Hartmeyer, AP Nr. 92 zu § 1 KSchG 1969, Bl. 1675 ff.; Pötters, EzA § 611 BGB 2002 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 21, S. 15 ff.; Magen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 41 <48 ff.>; Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, S. 225 <230>).

164

a) Soweit das Bundesarbeitsgericht zu Lasten der Beschwerdeführerin darauf abstellt, dass nach Art. 3 Abs. 2 GrO auch nichtkatholische Personen mit leitenden Aufgaben betraut werden können und die römisch-katholische Kirche es daher offenbar nicht als zwingend erforderlich erachte, Führungspositionen an das Lebenszeugnis für die katholische Sittenlehre zu knüpfen (BAG, Urteil vom 8. September 2011, S. 14 UA (Rn. 41)), liegt hierin eine unzulässige eigene Bewertung der Schwere des Loyalitätsverstoßes. Das Gericht überprüft die in Ausübung der Kirchenautonomie getroffene Abstufung von Loyalitätsobliegenheiten (vgl. BVerfGE 70, 138 <167 f.>) nach Konfession und Stellung im Allgemeinen und erachtet sie anhand seiner eigenen - säkularen - Maßstäbe als widersprüchlich.

165

aa) Die römisch-katholische Kirche hat in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts bei der flächendeckenden Promulgation der Grundordnung festgelegt, dass der kirchliche Arbeitgeber in der Regel leitende Aufgaben nur einer Person übertragen kann, die katholischen Glaubens ist (vgl. Art. 3 Abs. 2 GrO). In diesem Fall unterliegt der Mitarbeiter nicht nur den nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrO für alle katholischen Mitarbeiter geltenden Loyalitätsobliegenheiten, sondern erfährt aufgrund seiner Leitungsposition auch die in Art. 4 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 GrO enthaltene weitere Verschärfung der an ihn gerichteten Loyalitätserwartungen. Im Falle des Verstoßes gegen diese Anforderungen sieht Art. 5 Abs. 3 GrO als Regelfall die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor, erachtet den Loyalitätsverstoß also als besonders schwerwiegend. Hiervon ist die Beschwerdeführerin auch im vorliegenden Fall ausgegangen.

166

bb) Diese Einschätzung stellt das Bundesarbeitsgericht dadurch infrage, dass es auf die in der Grundordnung offengehaltene Möglichkeit verweist, leitende Aufgaben - im Ausnahmefall (vgl. hierzu etwa Ziff. 3 der "Ausführungsrichtlinien und Hinweise zur Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" der Diözese Münster vom 1. April 1994) - auch nichtkatholischen christlichen Mitarbeitern zu übertragen. Zudem erachtet das Bundesarbeitsgericht unter Übergehung der kirchlichen Einschätzung zwei Tatbestände als vergleichbar, die für die römisch-katholische Kirche von ganz unterschiedlichem Gewicht sind: Für ihre Glaubwürdigkeit, die Integrität der Dienstgemeinschaft und die Vertrauensbasis der Mitarbeiterschaft hat es ein signifikant anderes Gewicht, ob in Ausnahmefällen in leitenden Funktionen auch Personen beschäftigt werden, die aus kirchenrechtlichen Gründen von Beginn an nur verminderten Loyalitätsobliegenheiten unterliegen oder ob Personen weiterbeschäftigt werden müssen, die gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zur katholischen Kirche bevorzugt diese Positionen erhalten haben und daher erhöhten Loyalitätsbindungen unterliegen, diese aber bewusst brechen und damit nicht nur gegen ihre arbeitsvertraglichen Obliegenheiten, sondern auch gegen ihre Pflichten als Mitglied der Kirche verstoßen.

167

b) Auch soweit das Bundesarbeitsgericht aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit mehrfach auch Chefärzte weiterbeschäftigt habe, die als Geschiedene erneut geheiratet hatten, auf ein vermindertes Kündigungsinteresse geschlossen hat, setzt es seine Einschätzung der Gewichtigkeit des durch den Kläger des Ausgangsverfahrens begangenen Loyalitätsverstoßes an die Stelle der verfassten Kirche, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein.

168

aa) Dies gilt zunächst, soweit das Bundesarbeitsgericht auch nichtkatholische geschiedene Chefärzte in seine Betrachtung eingestellt hat. Das Gericht stellt wiederum die Abstufung von Loyalitätsanforderungen nach der Konfession des Stelleninhabers insgesamt in Frage. Dabei setzt es sich über die bereits im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 enthaltene Vorgabe hinweg, wonach auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine "Abstufung" der Loyalitätsobliegenheiten eingreifen soll, eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit ist (vgl. BVerfGE 70, 138 <167 f.>).

169

bb) Nichts anderes gilt, soweit das Bundesarbeitsgericht auf die Weiterbeschäftigung katholischer Chefärzte nach ihrer Wiederheirat verweist. Das Bundesarbeitsgericht wäre von Verfassungs wegen nur dann zu einer eigenständigen Gewichtung des Loyalitätsverstoßes des Klägers des Ausgangsverfahrens entgegen der kirchlichen Einschätzung ermächtigt gewesen, wenn es durch die Anwendung der kirchlicherseits vorgegebenen Kriterien mit den grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen in Widerspruch geraten wäre. Dies ist nicht der Fall. Insbesondere ist die durch die Beschwerdeführerin vorgenommene hohe Gewichtung des Loyalitätsverstoßes seitens des Klägers des Ausgangsverfahrens auch in Anbetracht der Fälle, in denen katholischen Chefärzten nach Wiederverheiratung nicht gekündigt worden war, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. auch Reichold/Hartmeyer, AP Nr. 92 zu § 1 KSchG 1969, Bl. 1675 <1678>).

170

(1) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf im Urteil vom 1. Juli 2010, an die das Bundesarbeitsgericht gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG in Verbindung mit § 559 Abs. 1 ZPO gebunden ist, waren in der Vergangenheit lediglich zwei katholische Chefärzte nach erneuter Heirat weiterbeschäftigt worden. Im ersten Fall erfuhr die Beschwerdeführerin von der Wiederverheiratung des Chefarztes erst einen Monat vor dessen altersbedingtem Ausscheiden und sah in Anbetracht dieses Umstands von einer Kündigung ab. Im zweiten Fall lag der sachgerechte Grund für die abweichende Vorgehensweise der Beschwerdeführerin in der zwischenzeitlich deutlich geänderten innerkirchlichen Rechtslage und der daraus sich ergebenden Vorhersehbarkeit einer Kündigung im Falle einer Wieder- heirat.

171

(2) Verfassungsrechtlich nicht haltbar ist daher auch die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts, gerade hieraus lasse sich für den Fall des Klägers des Ausgangsverfahrens der Rückschluss ziehen, dass die Beschwerdeführerin das Ethos ihrer Organisation durch eine differenzierte Handhabung bei der Anwendung und Durchsetzung ihres legitimen Loyalitätsbedürfnisses selbst nicht zwingend gefährdet sah. Einerseits beruht sie auf der wenig überzeugenden Prämisse, dass Kompromissbereitschaft aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ein Nachweis dafür sei, dass der kompromittierte Wert nicht hoch eingeschätzt werde (vgl. Magen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 41 <49 f.>). Andererseits basiert sie auf der unzutreffenden Annahme, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht falle bei der Abwägung nur dann ins Gewicht, wenn es - auch unter Überspielung der eigenen Grundsätze - seitens der Kirchen ausnahmslos durchgesetzt werde. Ein derartiger "Kündigungsautomatismus", den das Bundesarbeitsgericht der Beschwerdeführerin abzuverlangen scheint, ist jedoch nicht nur dem deutschen Kündigungsschutzrecht fremd, sondern steht auch im Widerspruch zu verfassungsrechtlichen (vgl. BVerfGE 70, 138 <166 f.>) wie konventionsrechtlichen Vorgaben (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51).

172

c) Auch die Annahme des Bundesarbeitsgerichts, die Beschwerdeführerin habe nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bereits seit längerem von dem ehelosen Zusammenleben des Klägers mit seiner späteren zweiten Ehefrau gewusst was erkennen lasse, dass die Beschwerdeführerin ihre Glaubwürdigkeit nicht durch jeden Loyalitätsverstoß eines Mitarbeiters als erschüttert ansehe (vgl. BAG, Urteil vom 8. September 2011, S. 14 UA (Rn. 43)), verfehlt die verfassungsrechtlichen Anforderungen und verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV (zu Fragen des Vertrauensschutzes, vgl. Rn. 181). Das Bundesarbeitsgericht setzt sich über den Maßstab der verfassten Kirche hinweg, indem es das Leben in kirchlich ungültiger Ehe mit dem Leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gleichsetzt und aus der vermeintlich bestehenden Gleichwertigkeit beider Tatbestände Rückschlüsse auf eine das Kündigungsinteresse der Beschwerdeführerin verringernde Inkonsistenz der arbeitsrechtlichen Gewichtung und Sanktionierung von Loyalitätsverstößen zieht (vgl. auch Pötters, EzA § 611 BGB 2002 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 21, S. 15<18>; Reichold/Hartmeyer, AP Nr. 92 zu § 1 KSchG 1969, Bl. 1675 <1678>).

173

aa) Die Grundordnung als relevanter Maßstab der verfassten Kirche sieht - neben anderen Tatbeständen - nur den Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe als ausreichend schwerwiegenden Loyalitätsverstoß an, der eine Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigen kann (Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 2 GrO) und bei leitenden Arbeitnehmern nach Einschätzung der Kirche im Regelfall auch rechtfertigt (Art. 5 Abs. 3 GrO). Diese scharfe Sanktionierung des Loyalitätsverstoßes beruht auf dem besonderen sakramentalen Charakter der Ehe und dem für das katholische Glaubensverständnis zentralen Dogma der Unauflöslichkeit des gültig geschlossenen Ehebandes zu Lebzeiten.

174

Das ehelose Zusammenleben mit einem anderen Partner trotz fortbestehender Ehe hat nach dem Maßstab der verfassten römisch-katholischen Kirche demgegenüber eine andere Qualität. Zwar entspricht die nichteheliche Lebensgemeinschaft neben einer weiterbestehenden Ehe ebenfalls nicht dem Ethos der römisch-katholischen Kirche. Die katholischen Diözesanbischöfe haben jedoch in Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und in Ausfüllung der durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 den Kirchen überlassenen Spielräume entschieden, diesem Glaubenssatz mit Wirkung für das weltliche Arbeitsverhältnis nicht dasselbe Gewicht zuzumessen wie dem Verbot der erneuten Heirat zu Lebzeiten des ursprünglichen Ehepartners. Die Beschwerdeführerin betont in diesem Zusammenhang, dass erst durch die Wiederheirat der Loyalitätsverstoß eine neue Qualität erreiche, indem der Bruch mit der nach kirchlichem Recht weiterhin gültigen Ehe offiziell dokumentiert und perpetuiert werde (vgl. hierzu bereits: Rüfner, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 66, S. 901 <923>). Die Wiederverheiratung schaffe zugleich einen kaum mehr änderbaren Dauerzustand, während der Ehebruch - obschon nach der Lehre der Kirche eindeutig missbilligt - durch ein zukünftiges Unterlassen korrigierbar sei und daher noch die Möglichkeit bestehe, dass die eheliche Lebensgemeinschaft wieder hergestellt werde.

175

bb) Dieses in der Grundordnung zum Ausdruck gebrachte und für die welt-lichen Gerichte grundsätzlich bindende Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche, dass gerade der Bruch des sakramentalen Bandes durch eine erneute Heirat einen "wesentlichen Grundsatz der Glaubens- und Sittenlehre" für die römisch-katholische Kirche verletzt und hierin ein besonders schwerwiegender Loyalitätsverstoß zu erblicken ist, ist plausibel und beruht in Anbetracht des Vorstehenden nicht auf einem Verstoß gegen grundlegende verfassungsrechtliche Gewährleistungen, so dass es durch die staatlichen Gerichte ihren Entscheidungen zugrunde zu legen gewesen wäre.

176

Dies hat das Bundesarbeitsgericht missachtet und zugleich die Einschätzung der römisch-katholischen Kirche über die für sie relevanten Loyalitätsobliegenheiten dadurch relativiert, dass es aus der Tatsache, dass ein nach Einschätzung des Gerichts vermeintlich gleichwertiger Loyalitätsverstoß nicht konsequent geahndet wird, auf eine generelle Duldung auch anderer Pflichtverletzungen und eine Vernachlässigung der diesen zugrunde liegenden Prinzipien geschlossen hat. Indem das Bundesarbeitsgericht hierdurch die Kenntnis der Beschwerdeführerin von einem nach Einschätzung der verfassten Kirche qualitativ andersartigen und unbedeutenderen Loyalitätsverstoß zum Anlass nimmt, ihr Interesse an der arbeitsrechtlichen Ahndung des aus ihrer Sicht schwerwiegenderen Loyalitätsverstoßes des Klägers des Ausgangsverfahrens in Frage zu stellen, hat es die auf Grundlage ihrer katholischen Glaubensgrundsätze durch die Kirche gebildete Abstufung der Loyalitätsobliegenheiten und arbeitsrechtlichen Sanktionierungen nivelliert und dem in Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Beschwerdeführerin nicht in dem gebotenen Umfang Rechnung getragen.

III.

177

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Bundesarbeitsgericht wird bei der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG die praktische Konkordanz zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und der korporativen Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) auf Seiten der Beschwerdeführerin und dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) sowie dem Gedanken des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) auf Seiten des Klägers des Ausgangsverfahrens herzustellen haben (vgl. hierzu BVerfGE 89, 214 <232>; 97, 169 <176>).

178

1. Art. 6 Abs. 1 GG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts (vgl. BVerfGE 6, 55 <71 f.>; 6, 386 <388>; 9, 237 <248>; 22, 93 <98>; 24, 119 <135>; 61, 18 <25>; 62, 323 <329>; 76, 1 <41, 49>; 105, 313 <346>; 107, 205 <212 f.>; 131, 239 <259>). Er stellt Ehe und Familie als die Keimzelle jeder menschlichen Gemeinschaft unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung (vgl. BVerfGE 6, 55 <72>; 55, 114 <126>; 105, 313 <346>) und garantiert eine Sphäre privater Lebensgestaltung, die staatlicher Einwirkung entzogen ist (stRspr., vgl. BVerfGE 21, 329 <353>; 61, 319 <346 f.>; 99, 216 <231>; 107, 27 <53>). Zum Gehalt der Ehe, wie er sich ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Änderungen ihrer rechtlichen Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung bekommen hat, gehört, dass sie die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ist, begründet auf freiem Entschluss unter Mitwirkung des Staates (vgl. BVerfGE 10, 59 <66>; 29, 166 <176>; 62, 323 <330>; 105, 313 <345>; 115, 1 <19>; 121, 175 <193>; 131, 239 <259>), in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander stehen (vgl. BVerfGE 37, 217 <249 ff.>; 103, 89 <101>; 105, 313 <345>) und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens frei entscheiden können (vgl. BVerfGE 39, 169 <183>; 48, 327 <338>; 66, 84 <94>; 105, 313 <345>).

179

Maßgeblich aus Sicht des Grundgesetzes ist dabei das Bild einer "verweltlichten" bürgerlich-rechtlichen Ehe (vgl. BVerfGE 31, 58 <82 f.>), das durch das christliche Eheverständnis traditionell geprägt, aber mit diesem nicht inhaltlich identisch ist. Da die konstitutiven Merkmale einer Ehe und die Gründe ihrer Aufhebung in der kirchlichen und der staatlichen Rechtsordnung nicht kongruent sind, können daher Bestand und Fortbestand einer Ehe aus Sicht des Staates und aus Sicht der Kirche unterschiedlich beurteilt werden (vgl. Pirson, in: Listl/ders., Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 28, S. 787 <798>). Zwar ist auch nach dem deutschen Eherecht die Ehe eine auf Lebenszeit geschlossene Gemeinschaft (vgl. § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB), sie ist jedoch im Gegensatz zu der nach katholischem Ritus geschlossenen Ehe nicht unauflöslich, sondern kann unter den im Gesetz normierten Voraussetzungen geschieden werden, wodurch die Ehegatten ihre Eheschließungsfreiheit wiedererlangen (vgl. BVerfGE 10, 59 <66>; 31, 58 <82>; 53, 224 <245, 250>). Aus diesem Grund kann eine nach einer vorherigen Scheidung geschlossene Ehe verfassungsrechtlich nicht geringer bewertet werden als die Erstehe (vgl. BVerfGE 55, 114 <128 f.>; 66, 84 <93>; 68, 256 <267 f.>; 108, 351 <364>).

180

2. Bisher hat das Bundesarbeitsgericht lediglich festgestellt, dass der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG zu Gunsten des Klägers des Ausgangsverfahrens und seiner zweiten Ehefrau eröffnet ist und dass der Schutz von Ehe und Familie daher - ebenso wie die Wertungen aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 12 EMRK - im Wege mittelbarer Drittwirkung bei der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG Berücksichtigung zu finden hat. Es hat jedoch bisher nicht dargelegt, weshalb diese Rechtspositionen, die begrifflich bei ausnahmslos jeder Kündigung wegen Wiederverheiratung betroffen sind, gerade im vorliegenden Fall in einem Maße tangiert sind, das es rechtfertigen würde, den Interessen des Klägers des Ausgangsverfahrens den Vorrang vor den Interessen der Beschwerdeführerin einzuräumen. Der Hinweis auf die Eröffnung des Schutzbereichs kann für sich genommen hierfür nicht ausreichen, da anderenfalls die in Ausübung des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts festgelegte Loyalitätsobliegenheit entwertet (vgl. auch: Joussen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 27 <38>) und ein Vorrang von Art. 6 Abs. 1 GG gegenüber den kirchlichen Rechtspositionen vermutet würde, der verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Andererseits reicht dieser Hinweis auch nicht, um der für den Kläger des Ausgangsverfahrens und seiner jetzigen Ehefrau aus der Situation erwachsenden emotionalen Zwangslage gerecht zu werden. Das Bundesarbeitsgericht wird daher - gegebenenfalls nach Ermöglichung ergänzender Tatsachenfeststellungen - eine eingehende und alle wesentliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Abwägung der durch die Kündigung tangierten Rechtspositionen der Beschwerdeführerin und des Klägers des Ausgangsverfahrens vorzunehmen haben.

181

3. Das Bundesarbeitsgericht wird auch den Gedanken des Vertrauensschutzes insoweit zu würdigen haben, als § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrages in Abweichung von der Grundordnung unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich von Verstößen gegen kirchliche Grundsätze - Verstoß gegen das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe einerseits und Verstoß gegen das Verbot des Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft andererseits - nicht vorsieht und die individualvertragliche Abrede besonderes Vertrauen des Arbeitnehmers ausgelöst haben könnte.

182

4. Ferner wird es zu beachten haben, dass die Freiwilligkeit der Eingehung von Loyalitätsobliegenheiten durch den kirchlichen Arbeitnehmer im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist (vgl. BAG, Urteil vom 25. April 2013 - 2 AZR 579/12 - juris, Rn. 32; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010 Nr. 1620/03, § 71; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011 Nr. 18136/02, § 46) und dem Arbeitgeber nach einem einmaligen Fehlverhalten die Fortführung des Arbeitsverhältnisses eher zugemutet werden kann als in Konstellationen, in denen er dauerhaft mit dem illoyalen Verhalten des Arbeitnehmers konfrontiert wird (vgl. BAG, Urteil vom 25. Mai 1988 - 7 AZR 506/87 - juris, Rn. 27; hierzu auch: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. Januar 2001 - 1 BvR 619/92 -, juris, Rn. 8 f.).

D.

183

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Dies erscheint auch in Anbetracht des durch die Beschwerdeführerin noch vollständig erreichbaren (fachgerichtlichen) Rechtsschutzziels nicht als unangemessen.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.

(2) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.

(3) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.

(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.

(1) Es besteht keine Staatskirche.

(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.

(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.

(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.

(5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.

(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.

(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.

(8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.

Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Tenor

1. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 4 Absatz 1 und Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 140 des Grundgesetzes und Artikel 137 Absatz 3 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung). Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.

3. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin ein Drittel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Frage, in welchem Umfang die arbeitsvertragliche Festlegung glaubensbezogener Loyalitätserwartungen durch einen kirchlichen Arbeitgeber und die Gewichtung eines durch den Arbeitnehmer hiergegen begangenen Verstoßes im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens der eigenständigen Überprüfung und Beurteilung seitens der staatlichen Gerichte zugänglich sind.

I.

2

1. Die Arbeit im sozial-karitativen Sektor, vor allem in der Kranken- und Altenpflege, der Behindertenbetreuung sowie der Kinder- und Jugenderziehung stellt neben der Verkündigung des Evangeliums und der Feier der Eucharistie einen Tätigkeitsschwerpunkt der christlichen Kirchen dar. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt dabei entweder unmittelbar durch kirchliche Untergliederungen oder durch rechtlich verselbständigte Vereinigungen und Einrichtungen, die überwiegend in den Wohlfahrtsverbänden der Caritas (römisch-katholische Kirche) und der Diakonie (evangelische Landeskirchen) zusammengeschlossen sind. Die Wohlfahrtsverbände und die einzelnen Träger der Einrichtungen sind regelmäßig als juristische Personen des Privatrechts organisiert. Deren ideelle und organisatorische Verbindungen zur jeweiligen Kirche werden meist durch Satzungsbestimmungen geregelt, die die inhaltliche und personelle Ausrichtung auf die verfasste Kirche festlegen.

3

Seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist die Zahl der kirchlichen Arbeitnehmer sprunghaft angewachsen. Ursachen dieser Entwicklung sind zum einen die gesellschaftlich bedingte Ausweitung kirchlich getragener Tätigkeiten, vor allem im Bereich der Wohlfahrtspflege, die eine zunehmende Professionalisierung der Mitarbeiter erforderte, zum anderen die kontinuierlich abnehmende Zahl der Angehörigen von Orden und ähnlichen Gemeinschaften, die früher zahlreiche Sozial- und Bildungseinrichtungen betrieben hatten (vgl. Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 <672 f.>). Aufgrund dieser Entwicklung erwies es sich für die Kirchen als unausweichlich, in großem Umfang auch fremdkonfessionelle und nichtchristliche Arbeitnehmer in den kirchlichen Dienst einzubeziehen, um den steigenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften zu decken.

4

2. Der Gesamtheit des kirchlichen Dienstes liegt nach dem Selbstverständnis der christlichen Kirchen das Leitbild der Dienstgemeinschaft zugrunde (vgl. hierzu bereits: BVerfGE 53, 366 <403 f.>; 70, 138 <165>). Es beschreibt die kirchenspezifische Besonderheit ihres Dienstes, die sich auf ein Gemeinschaftsverhältnis zwischen kirchlichem Arbeitgeber und kirchlichem Arbeitnehmer bezieht und auf die religiöse Bindung des Auftrags kirchlicher Einrichtungen gerichtet ist. Grundgedanke der Dienstgemeinschaft ist die gemeinsam getragene Verantwortung aller im kirchlichen Dienst Tätigen - sei es als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, leitend oder untergeordnet, verkündigungsnah oder unterstützend - für den Auftrag der Kirche (vgl. Keßler, in: Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 461 <465>).

5

Nach dem Selbstverständnis der Kirchen erfordert der Dienst am Herrn die Verkündigung des Evangeliums (Zeugnis), den Gottesdienst (Feier) und den aus dem Glauben erwachsenden Dienst am Mitmenschen (Nächstenliebe). Wer in Einrichtungen tätig wird, die der Erfüllung eines oder mehrerer dieser christlichen Grunddienste zu dienen bestimmt sind, trägt demnach dazu bei, dass diese Einrichtungen ihren Teil am Heilswerk Jesu Christi leisten und damit den Sendungsauftrag seiner Kirche erfüllen können (vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 6. Aufl. 2012, § 4 Rn. 10; Zweites Vatikanisches Konzil, Apostolicam Actuositatem <"Dekret über das Laienapostolat">, Art. 2, zum römisch-katholischen Verständnis).

6

3. Zum Schutz der Integrität der Dienstgemeinschaft und zur Wahrung der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung in der Öffentlichkeit nehmen kirchliche Arbeitgeber für sich in Anspruch, arbeitsvertraglich gegenüber ihren Arbeitnehmern besondere Loyalitätserwartungen einzufordern, um die Beachtung der tragenden Grundsätze ihrer jeweiligen Glaubens- und Sittenlehre zu gewährleisten.

7

a) Diese sogenannten Loyalitätsobliegenheiten begründen nicht vertragliche Nebenpflichten in Bezug auf die Erbringung der rechtsgeschäftlich zugesagten Dienstleistung, sondern betreffen allgemein das - auch außerdienstliche - Verhalten des Arbeitnehmers (vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 6. Aufl. 2012, § 6 Rn. 24, m.w.N.). Ihnen fehlt regelmäßig die "Qualität erzwingbarer Rechtspflichten" (BVerfGE 70, 138 <141>). Ihre Missachtung durch den Arbeitnehmer führt jedoch unter Umständen dazu, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem illoyalen Mitarbeiter für den kirchlichen Arbeitgeber unzumutbar wird und ihn zur Kündigung berechtigt.

8

b) Inhalt und Umfang der arbeitsrechtlichen Loyalitätsobliegenheiten können sich über die gesetzlichen Kündigungsvorschriften auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses auswirken. Im Falle der Verletzung einer Loyalitätsobliegenheit kommt sowohl eine ordentliche (§ 1 Abs. 1 KSchG) als auch eine außerordentliche (§ 626 Abs. 1 BGB) Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht. Ab Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich unter sukzessiver Aufgabe früherer Ansätze in der Rechtsprechung (vgl. BAGE 2, 279 ff.) eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der die Festlegung besonderer Loyalitätsobliegenheiten nur noch für solche kirchlichen Arbeitnehmer möglich sein sollte, deren Tätigkeit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem kirchlichen Verkündigungsauftrag stand (vgl. BAG, Urteil vom 25. April 1978 - 1 AZR 70/76 -, juris, Rn. 33; Urteil vom 4. März 1980 - 1 AZR 125/78 -, juris, Rn. 26; Urteil vom 14. Oktober 1980 - 1 AZR 1274/79 -, juris, Rn. 43 ff.; Urteil vom 21. Oktober 1982 - 2 AZR 591/80 -, juris, Rn. 36 f.; Urteil vom 23. März 1984 - 7 AZR 249/81 -, juris, Rn. 39; Urteil vom 31. Oktober 1984 - 7 AZR 232/83 -, juris, Rn. 32). Die Feststellung, ob eine solche "kirchenspezifische" Tätigkeit im konkreten Einzelfall vorlag, sollte hierbei - in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Kündigung von Tendenzträgern in Tendenzbetrieben - der vollumfänglichen Überprüfung durch die staatlichen Arbeitsgerichte unterliegen (vgl. nur: BAG, Urteil vom 14. Oktober 1980 - 1 AZR 1274/79 -, juris, Rn. 45; Urteil vom 21. Oktober 1982 - 2 AZR 591/80 -, juris, Rn. 36 f.).

9

c) Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat durch Beschluss vom 4. Juni 1985 (BVerfGE 70, 138 ff.) festgestellt, dass diese arbeitsgerichtliche Rechtsprechung gegen das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) verstößt und den verfassten Kirchen grundsätzlich die verbindliche Entscheidung darüber zugesprochen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre" sind und was als - gegebenenfalls schwerer - Verstoß gegen diese anzusehen ist. An diese Einschätzung seien die Arbeitsgerichte gebunden, es sei denn, sie begäben sich dadurch in Widerspruch "zu Grundprinzipien der Rechtsordnung" (so BVerfGE 70, 138 <168>; vgl. auch: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. Januar 2001 - 1 BvR 619/92 -, juris; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 7. März 2002 - 1 BvR 1962/01 -, juris).

10

d) Für die römisch-katholische Kirche verabschiedete die Gesamtheit der deutschen (Erz-)Bischöfe am 22. September 1993 eine Fortschreibung der "Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst" (nachfolgend: Erklärung) sowie die "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" (nachfolgend: Grundordnung, GrO), durch die in Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts die verfassungsgerichtlich anerkannten Freiräume durch eine eigene kirchenrechtliche Regelung in einer zugleich rechts- und sozialstaatlichen Anforderungen genügenden Weise ausgefüllt werden sollten (vgl. Dütz, NJW 1994, ,S. 1369 <1369>). Ausgehend vom Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft setzt die Grundordnung die grundlegenden Aussagen der Erklärung zur Eigenart des kirchlichen Dienstes, zu den Anforderungen an Träger und Leitung kirchlicher Einrichtungen sowie an die Mitarbeiter, zur Koalitionsfreiheit und zum besonderen Regelungsverfahren zur Beteiligung der Mitarbeiter an der Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse (sogenannter Dritter Weg) sowie zum gerichtlichen Rechtsschutz normativ um.

11

Die wesentlichen Vorschriften der Grundordnung betreffend die Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten und die arbeitsrechtliche Ahndung von Verstößen hiergegen lauten:

Art. 1. Grundprinzipien des kirchlichen Dienstes

Alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen tragen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann (Dienstgemeinschaft). Alle Beteiligten, Dienstgeber sowie leitende und ausführende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, müssen anerkennen und ihrem Handeln zugrunde legen, dass Zielsetzung und Tätigkeit, Organisationsstruktur und Leitung der Einrichtung, für die sie tätig sind, sich an der Glaubens- und Sittenlehre und an der Rechtsordnung der katholischen Kirche auszurichten haben.

Art. 3. Begründung des Arbeitsverhältnisses

(1) Der kirchliche Dienstgeber muss bei der Einstellung darauf achten, dass eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter die Eigenart des kirchlichen Dienstes bejahen. Er muss auch prüfen, ob die Bewerberin und der Bewerber geeignet und befähigt sind, die vorgesehene Aufgabe so zu erfüllen, dass sie der Stellung der Einrichtung in der Kirche und der übertragenen Funktion gerecht werden.

(2) Der kirchliche Dienstgeber kann pastorale, katechetische sowie in der Regel erzieherische und leitende Aufgaben nur einer Person übertragen, die der katholischen Kirche angehört.

(…)

(5) Der kirchliche Dienstgeber hat vor Abschluss des Arbeitsvertrages durch Befragung und Aufklärung der Bewerberinnen und Bewerber sicherzustellen, dass sie die für sie nach dem Arbeitsvertrag geltenden Loyalitätsobliegenheiten (Art. 4) erfüllen.

Art. 4. Loyalitätsobliegenheiten

(1) Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Insbesondere im pastoralen, katechetischen und erzieherischen Dienst sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind, ist das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erforderlich. Dies gilt auch für leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(2) Von nichtkatholischen christlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Wahrheiten und Werte des Evangeliums achten und dazu beitragen, sie in der Einrichtung zur Geltung zu bringen.

(…)

(4) Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen. Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden.

Art. 5. Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten

(1) Erfüllt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr, so muss der Dienstgeber durch Beratung versuchen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter diesen Mangel auf Dauer beseitigt. Im konkreten Fall ist zu prüfen, ob schon ein solches klärendes Gespräch oder eine Abmahnung, ein formeller Verweis oder eine andere Maßnahme (z. B. Versetzung, Änderungskündigung) geeignet sind, dem Obliegenheitsverstoß zu begegnen. Als letzte Maßnahme kommt eine Kündigung in Betracht.

(2) Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht die Kirche insbesondere folgende Loyalitätsverstöße als schwerwiegend an:

- Verletzungen der gemäß Art. 3 und 4 von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter zu erfüllenden Obliegenheiten, insbesondere Kirchenaustritt, öffentliches Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z.B. hinsichtlich der Abtreibung) und schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen,

- Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe,

- Handlungen, die kirchenrechtlich als eindeutige Distanzierungen von der katholischen Kirche anzusehen sind, vor allem Abfall vom Glauben (Apostasie oder Häresie gemäß Can. 1364 § 1 iVm. Can. 751 CIC), Verunehrung der heiligen Eucharistie (Can. 1367 CIC), öffentliche Gotteslästerung und Hervorrufen von Haß und Verachtung gegen Religion und Kirche (Can. 1369 CIC), Straftaten gegen die kirchlichen Autoritäten und die Freiheit der Kirche (insbesondere gemäß den Can. 1373, 1374 CIC).

(3) Ein nach Abs. 2 generell als Kündigungsgrund in Betracht kommendes Verhalten schließt die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung aus, wenn es begangen wird von pastoral, katechetisch oder leitend tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind. Von einer Kündigung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen.

(4) Wird eine Weiterbeschäftigung nicht bereits nach Abs. 3 ausgeschlossen, so hängt im Übrigen die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung von den Einzelfallumständen ab, insbesondere vom Ausmaß einer Gefährdung der Glaubwürdigkeit von Kirche und kirchlicher Einrichtung, von der Belastung der kirchlichen Dienstgemeinschaft, der Art der Einrichtung, dem Charakter der übertragenen Aufgabe, deren Nähe zum kirchlichen Verkündigungsauftrag, von der Stellung der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters in der Einrichtung sowie von der Art und dem Gewicht der Obliegenheitsverletzung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Lehre der Kirche bekämpft oder sie anerkennt, aber im konkreten Fall versagt.

(5) (…) Im Fall des Abschlusses einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe scheidet eine Weiterbeschäftigung jedenfalls dann aus, wenn sie unter öffentliches Ärgernis erregenden oder die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigenden Umständen geschlossen wird (z. B. nach böswilligem Verlassen von Ehepartner und Kindern).

12

e) Vergleichbare Regelungen existieren in den meisten evangelischen Landeskirchen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat nach dem Vorbild der Grundordnung die "Richtlinie über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonischen Werkes der EKD" vom 1. Juli 2005 erlassen.

II.

13

1. Die Beschwerdeführerin ist kirchliche Trägerin des katholischen V.-Krankenhauses in D. Seit dem 1. Januar 2000 beschäftigt sie dort den katholischen Kläger des Ausgangsverfahrens (nachfolgend: Kläger) als Chefarzt der Abteilung ... Dessen durchschnittliches Bruttogehalt betrug zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung ... Euro monatlich.

14

a) Der Dienstvertrag vom 12. Oktober 1999 betont in seiner Präambel die nach katholischem Verständnis zwischen allen in einer kirchlichen Einrichtung Tätigen bestehende Dienstgemeinschaft, die von den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre getragen werden soll und verweist zur Ausgestaltung dessen auf die Grundordnung sowie weitere außervertragliche Regelungen:

Grundlage des Vertrages

Das V.-Krankenhaus ist ein katholisches Krankenhaus.

Mit diesem Krankenhaus erfüllt der Träger eine Aufgabe der Caritas als eine Lebens- und Wesensäußerung der Katholischen Kirche. Mitarbeiter im Krankenhaus leisten deshalb ihren Dienst im Geist christlicher Nächstenliebe. Dienstgeber und alle Mitarbeiter des Krankenhauses bilden ohne Rücksicht auf ihre Tätigkeit und Stellung eine Dienstgemeinschaft, die vom Dienstgeber und allen Mitarbeitern die Bereitschaft zu gemeinsam getragener Verantwortung und vertrauensvoller Zusammenarbeit fordert und ohne Einhaltung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre keinen Bestand haben kann.

In Anerkennung dieser Grundlage und unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.93 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 222), der Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 05.11.96 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 321), der Satzung des Krankenhauses und dem Organisationsstatut in den jeweils geltenden Fassungen wird folgendes vereinbart: (…)

15

b) § 10 des Dienstvertrages enthält nähere Bestimmungen über die Dauer und Beendigung des Arbeitsverhältnisses:

§ 10 Vertragsdauer

(1) Der Dienstvertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.

(…)

(4) Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB bleibt unberührt. Als wichtige Gründe zählen u. a. insbesondere:

1. (…)

2. ein grober Verstoß gegen kirchliche Grundsätze, z. B. Erklärung des Kirchenaustritts, Beteiligung an einer Abtreibung, Leben in kirchlich ungültiger Ehe oder eheähnlicher Gemeinschaft.

16

c) In der Präambel des Dienstvertrages wird auf die Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1996 in der Fassung vom 27. März 2001 Bezug genommen. Diese bestimmt in Buchstabe A Ziffer 6 Satz 2 die Dienststellung als Abteilungsarzt als leitende Aufgabe im Sinne der Grundordnung:

A. Zuordnung zur Kirche

6. Für den Träger ist die auf der Grundlage der Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst erlassene "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993" nebst Änderungen und Ergänzungen verbindlich. Als leitend tätige Mitarbeiter im Sinne der genannten Grundordnung gelten die Mitglieder der Krankenhausbetriebsleitung und die Abteilungsärzte. (…)

17

2. a) Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und zu Beginn des Dienstverhältnisses war der Kläger nach katholischem Ritus in erster Ehe verheiratet. Ende 2005 trennten sich die Ehepartner. Zwischen 2006 und 2008 lebte der Kläger mit einer neuen Lebensgefährtin zusammen. Nach den späteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war dieses ehelose Zusammenleben dem damaligen Geschäftsführer der Beschwerdeführerin spätestens seit Herbst 2006 bekannt. Anfang 2008 wurde die erste Ehe des Klägers nach staatlichem Recht geschieden.

18

b) Im August 2008 heiratete der Kläger seine Lebensgefährtin standesamtlich. Hiervon erfuhr die Beschwerdeführerin im November 2008. Eine kirchenrechtliche Annullierung der ersten Ehe war bis zu diesem Zeitpunkt nicht ausgesprochen worden.

19

c) In der Folgezeit fanden zwischen der Beschwerdeführerin und dem Kläger mehrere Gespräche über die Auswirkungen seiner zweiten Heirat auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses statt. Hierbei teilte der Kläger der Beschwerdeführerin mit, dass er ein kirchengerichtliches Verfahren zur Annullierung seiner ersten Ehe beantragt habe. Er beabsichtige nicht, die eheliche Gemeinschaft mit seiner ersten Ehefrau wiederherzustellen. Nach Anhörung der bestehenden Mitarbeitervertretung kündigte die Beschwerdeführerin das Arbeitsverhältnis im März 2009 ordentlich mit Wirkung zum 30. September 2009.

20

3. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht D. Mit Urteil vom 30. Juli 2009 - 6 Ca 2377/09 - stellte das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst worden sei und verurteilte die Beschwerdeführerin zur Weiterbeschäftigung des Klägers.

21

Das Arbeitsgericht vertrat die Auffassung, dass bis zum Abschluss des schwebenden Annullierungsverfahrens vor der kirchlichen Gerichtsbarkeit nicht feststehe, ob dem Kläger durch die Eheschließung ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß vorzuwerfen sei. Zwar habe der Kläger unstreitig das Verbot der neuen Ehe während eines schwebenden Annullierungsverfahrens (Can. 1085 § 2 CIC) missachtet. Ein Verstoß gegen diese - nach Auffassung des Gerichts als bloße Ordnungsvorschrift zu qualifizierende - Vorgabe sei jedoch in der Grundordnung nicht als schwerwiegender Loyalitätsverstoß genannt und damit ungeeignet, einen Grund für die verhaltensbedingte Kündigung darzustellen. In Anbetracht dessen sei die Kündigung auch als unverhältnismäßig anzusehen. Es sei der Beschwerdeführerin zuzumuten gewesen, die Entscheidung über das Annullierungsverfahren vor Ausspruch der Kündigung abzuwarten.

22

4. Die hiergegen von der Beschwerdeführerin eingelegte Berufung wurde durch das Landesarbeitsgericht D. mit Urteil vom 1. Juli 2010 - 5 Sa 996/09 - zurückgewiesen.

23

a) Das Gericht nahm zwar an, dass das Verhalten des Klägers grundsätzlich einen geeigneten Kündigungsgrund darstelle. Insbesondere könne sich dieser entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht auf das schwebende Annullierungsverfahren berufen. Auch ein Verstoß gegen Can. 1085 § 2 CIC sei generell geeignet, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.

24

b) Allerdings falle die im Rahmen des § 1 Abs. 2 KSchG gebotene Interessenabwägung zu Lasten der Beschwerdeführerin aus. Diese habe den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht ausreichend beachtet und den Kläger hierdurch in unzulässiger Weise benachteiligt. Nach den Feststellungen der Kammer habe die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit zumindest zwei geschiedenen Chefärzten katholischer Konfession nach Wiederverheiratung nicht gekündigt. Dabei sei es unbeachtlich, dass einer der Fälle bereits 30 Jahre zurückliege und in dem anderen Fall die Kündigung nur unterblieben sei, weil die zweite Ehe des Arbeitnehmers erst einen Monat vor dessen altersbedingtem Ausscheiden aus dem Dienst bekannt geworden sei. Das Verhalten der Beschwerdeführerin zeige jedenfalls, dass sie in der Vergangenheit offenbar bereit gewesen sei, vergleichbare Verstöße unter bestimmten Umständen zu tolerieren.

25

c) Zudem habe die Beschwerdeführerin ihr Kündigungsrecht verwirkt. Es sei ihr verwehrt, sich auf den Kündigungsgrund der ungültigen zweiten Ehe zu berufen, da sie jahrelang den gleichwertigen Kündigungsgrund des "Lebens in eheähnlicher Gemeinschaft" akzeptiert oder zumindest toleriert habe. Der Kläger habe in Anbetracht der Untätigkeit der Beschwerdeführerin über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren darauf vertrauen können, dass sein privates Verhalten zu keinerlei arbeitsrechtlichen Sanktionen mehr führen und die Beschwerdeführerin auf einen gleichwertigen Loyalitätsverstoß ("ungültige Ehe") ebenfalls nicht mit einer Kündigung reagieren werde.

26

5. Die Revision der Beschwerdeführerin zum Bundesarbeitsgericht wies dieses durch Urteil vom 8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - zurück.

27

a) Entgegen der Auffassung des Klägers dürfte das Kündigungsrecht der Beschwerdeführerin nicht verwirkt sein, da eine Kündigung mit "illoyaler" Verspätung nicht vorliege. Die Beschwerdeführerin habe nach Kenntnis von der Wiederverheiratung noch das in der Grundordnung vorgesehene Beratungsgespräch mit dem Kläger durchführen und verschiedene Gremien (Aufsichtsrat, Generalvikariat) beteiligen müssen. Es sei nicht zu beanstanden, dass sie angesichts der weitreichenden Folgen dabei umsichtig und ohne Hast vorgegangen sei. Letztlich komme es auf eine etwaige Verwirkung des Kündigungsrechts indes nicht an. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

28

b) Der Kläger habe allerdings durch die Wiederverheiratung gegen seine Loyalitätsobliegenheit aus dem Arbeitsvertrag (§ 10 Abs. 4 Nr. 2) und gegen die darin in Bezug genommene Grundordnung (Art. 5 Abs. 2 GrO) verstoßen.

29

Das Verlangen der Beschwerdeführerin nach Einhaltung der Vorschriften der katholischen Glaubens- und Sittenlehre stehe im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Zwar könne sich der Kläger auf das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie auf den Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) berufen, die auch die Freiheit umfassten, eine zweite Ehe nach staatlichem Recht einzugehen. Dabei stehe die private Lebensgestaltung in der Regel außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers und werde durch arbeitsvertragliche Pflichten nur insoweit eingeschränkt, wie sich das private Verhalten auf den betrieblichen Bereich auswirke und dort zu Störungen führe. Diese Grundrechte könnten jedoch zu Gunsten des ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV) eingeschränkt werden, auf das sich die Beschwerdeführerin als der Kirche zugeordnete karitative Einrichtung berufen könne. Die Festlegung bestimmter Loyalitätsanforderungen in einem Arbeitsvertrag durch den kirchlichen Arbeitgeber stelle eine Ausübung des "verfassungskräftigen" Selbstbestimmungsrechts dar. Die Frage, welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richte sich nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben, die verbindlich bestimmen könnten, welche Schwere einzelnen Loyalitätsverstößen zukomme und ob innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätsanforderungen stattfinde. Die Arbeitsgerichte hätten die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung einzelner Loyalitätsanforderungen zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirche anerkenne, hierüber selbst zu befinden.

30

Durch die Eingehung seiner zweiten Ehe habe der Kläger den Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe verletzt. Dieser zähle zu den wesentlichen Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre. Für "leitend tätige" Mitarbeiter scheide nach der maßgeblichen kirchlichen Vorgabe (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO) eine Weiterbeschäftigung in diesem Falle aus.

31

c) Die nach § 1 Abs. 2 KSchG gebotene Abwägung der beiderseitigen Interessen führe jedoch zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführerin die Fortführung des Arbeitsverhältnisses zumutbar sei.

32

aa) Zu ihren Gunsten wiege die unverkennbare Schwere des Loyalitätsverstoßes. Die Beschwerdeführerin habe als katholische Einrichtung das vom Grundgesetz gestützte Recht, auch als solche zu wirken und in Erscheinung zu treten. Sie verstehe ihr karitatives Tun im Sinne der Erfüllung eines religiösen Auftrages. Nach der katholischen Sittenlehre sei die Unauflöslichkeit der Ehe Teil der umfassenden, nicht verfügbaren und einheitlichen Auffassung vom Menschen als Geschöpf Gottes. Dass sich Menschen aufgrund einer sie verbindenden religiösen Auffassung zusammenfänden und ihre Angelegenheiten nach Maßstäben ordnen könnten, die nicht vom Staat oder der jeweils herrschenden öffentlichen Meinung über die Natur des Menschen korrigiert werden dürften, werde auch durch Art. 9 und 11 EMRK geschützt.

33

bb) In seinem Gewicht entscheidend geschwächt werde das Interesse der Beschwerdeführerin an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses jedoch durch drei Umstände, aus denen hervorgehe, dass sie selbst die Auffassung vertrete, einer ausnahmslosen Durchsetzung ihrer sittlichen Ansprüche zur Wahrung ihrer Glaubwürdigkeit nicht immer zu bedürfen.

34

(1) So könne die Beschwerdeführerin erstens nach Art. 3 Abs. 2 GrO auch nichtkatholische Personen mit leitenden Tätigkeiten betrauen. Die Beschwerdeführerin sei insofern durch die Grundordnung nicht gezwungen, ihr "Wohl und Wehe" bedingungslos mit dem Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter für die katholische Sittenlehre zu verknüpfen.

35

(2) Durch diese Rechtslage sei es zweitens auch zu erklären, dass die Beschwerdeführerin mehrfach Chefärzte beschäftigt habe beziehungsweise noch beschäftige, die als Geschiedene erneut geheiratet hätten. Es handele sich hierbei überwiegend um nichtkatholische Arbeitnehmer und katholische Arbeitnehmer in besonderen Lebenslagen, denen gegenüber sie von vornherein nicht die strenge Befolgung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verlange. Hierin liege zwar - in Abweichung von der Einschätzung des Landesarbeitsgerichts - kein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Andererseits werde hierdurch aber deutlich, dass die Beschwerdeführerin das Ethos ihrer Organisation durch eine differenzierte Handhabung bei der Anwendung und Durchsetzung ihres legitimen Loyalitätsbedürfnisses selbst nicht zwingend gefährdet sehe.

36

(3) Drittens habe die Beschwerdeführerin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den nach dem Vertrag der Parteien der Wiederverheiratung gleichwertigen Verstoß des ehelosen Zusammenlebens des Klägers seit Herbst 2006 gekannt und hingenommen. Dies zeige, dass sie selbst ihre moralische Glaubwürdigkeit nicht ausnahmslos bei jedem Loyalitätsverstoß als erschüttert betrachte.

37

cc) Jedenfalls sei der Beschwerdeführerin die Weiterbeschäftigung des Klägers dann zumutbar, wenn dessen Belange gegen die ihren abgewogen würden. Zugunsten des Klägers falle sein durch Art. 8 und 12 EMRK geschützter Wunsch in die Waagschale, in einer bürgerlichen Ehe mit seiner jetzigen Frau zu leben. Freilich habe der Kläger als Katholik durch den Vertragsschluss mit der Beschwerdeführerin in die Einschränkung seines Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingewilligt; die Nichterfüllung seiner religiösen Pflichten geschehe jedoch nicht aus einer ablehnenden oder gleichgültigen Haltung heraus. Der Kläger habe seine ethischen Pflichten nicht in Abrede gestellt und sich zu keinem Zeitpunkt gegen die kirchliche Sittenlehre ausgesprochen oder ihre Geltung oder Zweckmäßigkeit in Zweifel gezogen. Im Gegenteil versuche er, den ihm nach kanonischem Recht verbliebenen Weg zur kirchenrechtlichen Legalisierung seiner Ehe zu beschreiten.

III.

38

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin Verletzungen von Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV.

39

1. Die Arbeitsgerichte hätten in ihren Entscheidungen die Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und des Rechts auf freie Religionsausübung verkannt.

40

a) Nach den Grundsätzen des deutschen Religionsverfassungs- und Staatskirchenrechts dürften staatliche Gerichte nicht bewerten, ob ein bestimmtes Verhalten tatsächlich von der jeweiligen Religion gefordert werde oder nicht. Allein die Kirchen selbst könnten bestimmen, was die jeweilige Glaubensüberzeugung gebiete. Umgekehrt dürfe dies von einem staatlichen Gericht auch nicht verlangt werden, da es anderenfalls seine religiöse Neutralität, die ebenfalls Verfassungsrang genieße, verlieren würde.

41

Entsprechend sei es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 (BVerfGE 70, 138 ff.) nicht Sache der staatlichen Arbeitsgerichte, sondern obliege im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts allein der jeweiligen Kirche, aus ihren religiösen Überzeugungen heraus selbst festzulegen, welche Loyalitätserwartungen sie an ihre Mitarbeiter stelle, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordere und welches Gewicht ein Loyalitätsverstoß habe. Die durch die Kirche insoweit verbindlich festgelegten Loyalitätsanforderungen und die Gewichtung von Verstößen hiergegen seien durch die staatlichen Gerichte nur darauf zu überprüfen, ob die Grundprinzipien der Rechtsordnung diesen entgegenstünden. Eine eigenständige Gewichtung der Loyalitätsverstöße sei ihnen jedoch verwehrt. Die von den Arbeitsgerichten vorzunehmende Abwägung habe sich folglich auf die der Kündigung entgegenstehenden Belange aus der Sphäre des jeweiligen Arbeitnehmers zu beschränken.

42

b) Die angegriffene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts werde diesen Anforderungen nicht gerecht. Das Revisionsurteil wiege im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht das Selbstbestimmungsrecht mit gegenläufigen Rechtspositionen des Arbeitnehmers ab, sondern bestimme - abweichend von den kirchenrechtlichen Maßstäben - selbst das Gewicht des Loyalitätsverstoßes und damit das Kündigungsinteresse der Kirche. Eine Abwägung mit den Interessen des Klägers finde nur oberflächlich am Ende des Urteils statt. Damit verstecke das Gericht hinter seiner Abwägungsentscheidung eine eigene Bewertung kirchenrechtlicher Maßstäbe, von denen es inhaltlich grundlegend abweiche.

43

aa) Eine unzulässige Abweichung von den kirchenrechtlichen Maßstäben liege zunächst darin, dass das Bundesarbeitsgericht als Ausgangspunkt des Abwägungsvorgangs darauf abstelle, ob durch das Verhalten des Klägers die Glaubwürdigkeit der Kirche in der Öffentlichkeit leide.

44

Schutzgut des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und der Religionsfreiheit sei jedoch nicht vorrangig das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit, sondern die religiöse Überzeugung und die Freiheit, nach dieser zu leben. Das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit sei hiervon nur ein untergeordneter Teilaspekt. Entscheidend sei vielmehr, ob es mit den Zielen der Kirche vereinbar sei, wenn ein (leitender) Mitarbeiter erkennbar in Widerspruch zu den Überzeugungen und Lehren der Kirche lebe. Dies gefährde das Wesen der Dienstgemeinschaft, die Grund und Grenze der Besonderheiten der Zweckbestimmung des kirchlichen Dienstes darstelle. Daher wende sich die Kirche auch unabhängig von der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit gegen Loyalitätsverstöße, weil diese ihr Wirken und die Integrität des kirchlichen Dienstes in Frage stellten.

45

bb) Zudem sei es unzulässig, in die Abwägung zugunsten des Klägers einzustellen, das Gewicht des Interesses der Beschwerdeführerin an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses werde entscheidend dadurch geschwächt, dass sie auch Nichtkatholiken in leitenden Positionen beschäftige und insofern offensichtlich nicht gezwungen sei, eine Führungsfunktion gleichsam bedingungslos mit dem Lebenszeugnis für die katholische Sittenlehre zu verknüpfen.

46

Dies verkenne die kirchenrechtlichen Vorgaben der Grundordnung. Ob diese sachgerecht seien, dürfe das weltliche Gericht nicht hinterfragen. Entscheidend sei allein, dass die Kirche für die Mitarbeit an ihrem Sendungsauftrag nur Personen zulassen wolle, die sich mit ihren Zielen identifizieren könnten. Die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts sei zudem in sich widersprüchlich. Einerseits erkenne es - rechtlich zutreffend - an, dass die Kirche gegenüber nichtkatholischen Mitarbeitern nicht dieselben Loyalitätserwartungen formulieren könne wie gegenüber Katholiken. Andererseits schließe es aus dieser Ungleichbehandlung, dass die römisch-katholische Kirche ihre Grundsätze nicht mehr ernst nehme.

47

cc) Ebenso sei es unzulässig, darauf abzustellen, dass die Beschwerdeführerin in anderen Fällen der Wiederverheiratung von (nichtkatholischen) Chefärzten nicht den Schritt der Kündigung gegangen sei.

48

Auch hier habe das Bundesarbeitsgericht die in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in den kirchengesetzlichen Regelungen angelegte Differenzierung zwischen Katholiken und Nichtkatholiken verkannt. Nur für den katholischen Mitarbeiter sei die Ehe ein Sakrament. Daher stelle sich bei diesem das Eingehen einer ungültigen Ehe als deutlich schwererer Loyalitätsverstoß dar. Indem das Bundesarbeitsgericht die Wiederverheiratung von katholischen und nichtkatholischen Mitarbeitern auf eine Ebene stelle, relativiere es die Einschätzung der Kirche über die Schwere der durch den Kläger begangenen Pflichtverletzung.

49

dd) Ferner setze sich das Bundesarbeitsgericht über kirchenrechtliche Maßstäbe hinweg, wenn es die Wiederheirat mit dem Leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gleichsetze.

50

Damit verkenne das Bundesarbeitsgericht, dass es sich bei der Wiederheirat um eine Pflichtverletzung von besonders schwerwiegender und endgültiger Qualität handele, die weit über das bloße ehelose Zusammenleben hinausgehe. Das Kirchenrecht unterscheide dies ausdrücklich, indem Art. 5 Abs. 2 GrO nur den Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe explizit als besonders schwerwiegenden Verstoß und eigenständigen Kündigungsgrund formuliere. Zwar entspreche auch die nichteheliche Lebensgemeinschaft außerhalb einer weiterbestehenden gültigen Ehe nicht dem Ethos der römisch-katholischen Kirche. Durch die Wiederheirat erreiche der Loyalitätsverstoß jedoch eine neue Qualität: Der Bruch mit der nach kirchlichem Recht weiterhin gültigen Ehe werde offiziell dokumentiert und perpetuiert. An diese, dem kirchlichen Selbstverständnis entspringende Unterscheidung sei auch das weltliche Gericht gebunden.

51

ee) Schließlich werde die Schwere des Loyalitätsverstoßes entgegen der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht dadurch gemindert, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens sich nicht vom katholischen Glauben abgewendet habe.

52

Auch durch diesen Gesichtspunkt der Abwägungsentscheidung korrigiere das Gericht die kirchenrechtlich zutreffende Einschätzung, dass die Wiederheirat einen schweren Loyalitätsverstoß darstelle, nach seiner eigenen Einschätzung und stelle sich in die Position der Kirche. Hierzu sei es nicht befugt. Zudem verkenne es, dass schon der objektive Tatbestand der Wiederheirat einen Loyalitätsverstoß darstelle, ohne dass es auf eine innere Abkehr von den Werten der Kirche ankomme. Diese würde, läge sie vor, sogar einen zusätzlichen, von der Wiederheirat unabhängigen Loyalitätsverstoß darstellen. Dies mache auch die Systematik der Grundordnung deutlich, indem sie die Apostasie und Häresie sowie verschiedene Formen des öffentlichen Eintretens gegen tragende Grundsätze der Kirche als Loyalitätsverstöße definiere, die alternativ zur Wiederheirat eine Kündigung rechtfertigen könnten. Auch habe allein die Einleitung eines Annullierungsverfahrens nach kirchenrechtlichen Maßstäben keine rechtfertigende oder schuldmindernde Bedeutung.

53

c) Auf diesen Verstößen gegen Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV beruhe das Urteil. Jede der durch das Gericht vorgenommenen Gewichtungen sei schon für sich ein tragendes Element der Abwägungsentscheidung; spätestens in der Zusammenschau seien sie notwendige Bedingung für die Erfolglosigkeit der Revision der Beschwerdeführerin. Dies gelte umso mehr, als keine Abwägung im eigentlichen Sinne - also mit den Interessen des Klägers - stattfinde.

54

2. Eine andere Bewertung sei auch nicht vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geboten.

55

a) Grundsätzlich seien die Europäische Menschenrechtskonvention und die hierzu ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zwar von den nationalen Gerichten so weit wie möglich bei der Rechtsanwendung zu berücksichtigen. Eine schematische Parallelisierung sei hingegen nicht erforderlich. Gerade im Bereich der Religionsfreiheit sei bei der Rezeption der Europäischen Menschenrechtskonvention in die innerstaatliche Rechtsordnung Augenmaß angebracht. Der Gerichtshof habe in seiner jüngeren Rechtsprechung wiederholt zu erkennen gegeben, dass er bereit sei, unterschiedliche Konzeptionen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu akzeptieren. So habe der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 6. Dezember 2011 (Baudler u.a. v. Deutschland) einen ausgeprägten Schutz des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts anerkannt und es als mit Art. 6 EMRK vereinbar angesehen, dass ein staatlicher Rechtsweg zur Überprüfung rein innerkirchlicher Angelegenheiten in Deutschland nicht bestehe.

56

Zudem sei zu berücksichtigen, dass es sich im vorliegenden Falle um ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis handele, bei dem ein "Mehr" an Freiheit für einen Grundrechtsträger zugleich ein "Weniger" für einen anderen bedeute. Diese Grundrechtskollision wirke als Rezeptionshemmnis, zumal auch die Menschenrechtskonvention selbst eine Einschränkung des Grundrechtsschutzes auf Grundlage ihrer Garantien verbiete (Art. 53 EMRK).

57

b) Aber auch die zum kirchlichen Arbeitsrecht ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte selbst erfordere keine Abkehr von den durch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 4. Juni 1985 entwickelten Maßstäben.

58

aa) In der Entscheidung Obst v. Deutschland vom 23. September 2010 habe der Gerichtshof den Ansatz des deutschen Arbeitsrechts gebilligt, bei der Bewertung der Schwere des Loyalitätsverstoßes auf die Bedeutung ehelicher Treue für die den Arbeitnehmer kündigende Kirche abzustellen. Auch habe der Gerichtshof es als zulässig erachtet, dass die Kirchen gegenüber ihren Angestellten weitergehende Loyalitätspflichten als andere Arbeitgeber definieren würden.

59

bb) Gleiches gelte hinsichtlich der Entscheidung Siebenhaar v. Deutschland vom 3. Februar 2011.

60

cc) Schließlich stehe die Entscheidung Schüth v. Deutschland vom 23. September 2010 diesem Maßstab nicht entgegen, wenn auch der Gerichtshof im konkreten Einzelfall zur Konventionswidrigkeit der deutschen Gerichtsurteile gelangt sei. Der Gerichtshof habe lediglich die unzureichende Abwägung der Fachgerichte mit den Rechtspositionen des Arbeitnehmers beanstandet, die tatsächlich nur oberflächlich und ohne inhaltliche Konkretisierungen vorgenommen worden sei. Zudem sei der konkrete Abwägungsvorgang unzureichend dargelegt worden. Weitergehende Anforderungen an den Abwägungsprozess, etwa eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Loyalitätsanforderungen oder gar deren volle gerichtliche Kontrolle, seien durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte jedoch nicht aufgestellt worden.

IV.

61

1. Die Verfassungsbeschwerde wurde dem Bundesministerium der Justiz, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, dem Kommissariat der deutschen Bischöfe, dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R., dem Marburger Bund e.V. (Bundesverband) und dem Kläger des Ausgangsverfahrens zugestellt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

62

a) Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts verteidigt die angefochtene Revisionsentscheidung vom 8. September 2011. Der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts habe aus § 1 Abs. 2 KSchG in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung der übrigen Senate des Gerichts ein zweistufiges Prüfprogramm abgeleitet, nach dem eine Kündigung aus in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Gründen im Anwendungsbereich des KSchG nur dann sozial gerechtfertigt sei, wenn der Arbeitnehmer für die vertraglich geschuldete Tätigkeit ungeeignet sei oder eine Vertragspflicht erheblich verletzt habe (erste Stufe) und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheine (zweite Stufe).

63

Auf beiden Stufen habe der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts in Übereinstimmung mit den verfassungsgerichtlichen Vorgaben und unter Orientierung an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das kirchliche Selbstbestimmungsrecht angemessen berücksichtigt. Dies gelte auch für die Abwägungsentscheidung, in die das Selbstbestimmungsrecht als abwägungserheblicher Belang eingestellt worden sei. Diese Vorgehensweise erlaube differenzierte Abwägungsergebnisse, die im konkreten Einzelfall zu Lasten der Beschwerdeführerin erfolgt seien. Dies zeige auch der Vergleich zur Entscheidung vom 25. April 2013 (- 2 AZR 579/12 - NZA 2013, S. 1131 ff.), in der der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts im Falle des Kirchenaustritts festgestellt habe, dass die Kündigung eines im verkündigungsnahen Bereich eingesetzten kirchlichen Arbeitnehmers gerechtfertigt gewesen sei. In diesem Einzelfall habe die Abwägung dazu geführt, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit des kirchlichen Arbeitnehmers sowie dessen Beschäftigungsdauer und Lebensalter hinter das Selbstbestimmungsrecht des kirchlichen Arbeitgebers zurückzutreten habe, weil der gekündigte Arbeitnehmer nicht nur in einzelnen Punkten kirchlichen Loyalitätsanforderungen nicht mehr gerecht geworden sei, sondern sich durch den Austritt insgesamt von der kirchlichen Glaubensgemeinschaft losgesagt habe.

64

b) Der gemäß § 94 Abs. 3 BVerfGG am Verfahren beteiligte Kläger des Ausgangsverfahrens ist der Auffassung, dass der Verfassungsbeschwerde kein Erfolg zu bescheiden sei.

65

Es genüge zur Wahrung der geschützten Verfassungsrechtspositionen des Arbeitnehmers nicht, nur bei einem Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung eine Einschränkung der kirchlichen Autonomie zuzulassen und dementsprechend bei der im Kündigungsschutzprozess vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen die autonom von den Kirchen bestimmte Gewichtung der Loyalitätspflichten zu betonen. Vielmehr müssten sich die kirchliche Autonomie und speziell die ihren Arbeitnehmern abverlangten Loyalitätspflichten von vornherein eine Kontrastierung mit den entgegenstehenden Grundrechten der kirchlichen Arbeitnehmer gefallen lassen, die durch Gewichtung der auf dem Spiel stehenden Verfassungsrechtsgüter, durch Berücksichtigung ihrer Wechselwirkung und schließlich durch Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit dem Ziel der Herstellung praktischer Konkordanz zu erfolgen habe. Soweit zur kirchlichen Autonomie auch die Befugnis gehöre, verbindlich zu bestimmen, welches die wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre seien, was als (schwerer) Verstoß gegen diese anzusehen sei, sowie ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätspflichten eingreifen solle, bedürfe dies mit Blick auf kollidierendes Verfassungsrecht einer Relativierung, wenn es - wie in diesem Fall - nicht um Arbeitsrechtsverhältnisse gehe, die in spezifischer Weise durch den religiösen Auftrag und Glauben geprägt seien. Je mehr das jeweilige Arbeitsverhältnis durch den religiösen Auftrag und Glauben geprägt sei und, umgekehrt, je weniger sich das jeweilige Arbeitsverhältnis von vergleichbaren beruflichen Tätigkeiten bei nicht-kirchlichen Arbeitgebern unterscheide, könne sich die kirchliche Autonomie mehr oder weniger gegenüber Grundrechtspositionen des kirchlichen Arbeitnehmers durchsetzen.

66

Allein aus seiner leitenden Stellung könnten hinsichtlich der persönlichen Pflicht zur Identifikation mit der katholischen Glaubens- oder Sittenlehre nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an diejenigen Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse einen spezifisch religiösen Bezug aufwiesen. Andernfalls würden eine unverhältnismäßige Begünstigung der Selbstgesetzlichkeit der Kirche und eine nicht zu rechtfertigende Relativierung des staatlichen Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG begründet. Schließlich könne bei der Interessenabwägung nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die römisch-katholische Kirche zunehmend den Wiederverheirateten öffne und auch die Eucharistie für diese Gruppe nicht mehr ausschließe.

67

c) Für die römisch-katholische Kirche hat das Kommissariat der deutschen Bischöfe eine Stellungnahme des Direktors des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Prof. Dr. Ansgar Hense, vorgelegt und sich inhaltlich zu Eigen gemacht. Dieser schließt sich den Ausführungen der Beschwerdeführerin im Ergebnis an und vertieft ihre Argumentation.

68

Die Verfassung gewährleiste nicht nur das karitative Wirken der Kirchen als eine ihrer Lebens- und Wesensäußerungen, sondern auch die grundsätzlich autonome Ausgestaltung der kircheneigenen Angelegenheiten im Rahmen der für alle geltenden Gesetze. Die Verwirklichung des Religiösen beschränke sich dabei nicht nur auf eine bloß spirituelle, liturgische Seite, sondern erstrecke sich gleichermaßen auf den religiösen Dienst in und an der Welt und umfasse auch die organisatorischen Voraussetzungen, die nach dem jeweiligen kirchlichen Selbstverständnis erforderlich seien, um diesen religiösen Dienst erfüllen zu können. Weder objektive noch gesellschaftlich vorherrschende Maßstäbe dürften diese definieren, da das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gerade die Abwehr solch fremdbestimmter Vorgänge verfassungsrechtlich verbürge. Aus diesem Grund werde das staatliche Individualarbeitsrecht partiell modifiziert. Im Rahmen des Willkürverbots, der guten Sitten und des ordre public sei es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausschließlich den Kirchen überlassen, die konkreten Loyalitätspflichten festzulegen, die nach dem jeweiligen Selbstverständnis erforderlich seien, und diese auch nach ihrer Bedeutung für das kirchliche Selbstverständnis zu gewichten. Dies beinhalte auch das Recht, darüber zu entscheiden, ob und - bejahendenfalls - welche Abstufungen der Loyalitätspflichten vorgenommen werden sollten. In der römisch-katholischen Kirche sei dies in Gestalt der Grundordnung geschehen. Bei der konkreten Abwägung durch die weltlichen Gerichte im Rahmen des Kündigungsschutzrechts werde die kirchliche Bewertung des Loyalitätsverstoßes nicht zur quantité négligeable, sondern sei die maßgebliche Richtschnur für die Bewertung. Mit diesen Grundsätzen stehe die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 nicht in Einklang, weil das Gericht eine eigene Bewertung kirchlicher Maßstäbe vornehme und es letzten Endes unterlasse, einen Abwägungsprozess lege artis durchzuführen.

69

d) Der Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R. schließt sich ebenfalls den Ausführungen der Beschwerdeführerin an. Er betont, dass seine Situation zwar nicht mit den Organisationsstrukturen der Großkirchen verglichen werden könne. Dennoch seien die in der täglichen Arbeit auftretenden Fragen im Judentum vergleichbar.

70

Die verfassungsrechtliche Absicherung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts resultiere auch aus dem Erfordernis, eine uneingeschränkte Religionsausübung im Sinne des Grundgesetzes zu gewährleisten. Dies sei aber nur möglich, wenn Religionsgemeinschaften gerade im arbeitsrechtlichen Bereich frei darin seien, ihre eigenen religiösen Regeln als Grundvoraussetzung für ein Arbeitsverhältnis vorzugeben. Diese religiösen Regeln könnten höchst unterschiedlich ausgestaltet sein, seien jedoch im Rahmen der Religionsfreiheit durch die staatlichen Stellen zu akzeptieren, solange gültige Gesetze nicht verletzt und Menschen anderer Religionszugehörigkeit nicht betroffen seien. Jeder Mitarbeiter, der sich unmittelbar bei einer Religionsgemeinschaft oder einer von dieser getragenen Einrichtung bewerbe, wisse darum, dass die Religionsgemeinschaft eigene religiöse Regeln habe, zu deren Einhaltung er verpflichtet sei. Gehöre ein Bewerber darüber hinaus noch der betreffenden Religionsgemeinschaft an, sei es ihm umso mehr bewusst, dass er mit Eingehung des Beschäftigungsverhältnisses zusätzliche Loyalitätsverpflichtungen übernehme.

71

Im Falle der jüdischen Gemeinschaften in Deutschland sei daher Grundlage der arbeitsvertraglichen Bindungen, die jüdische Religion und Kultur in Deutschland zu leben und zu fördern sowie sozial bedürftige Juden in allen Bereichen zu unterstützen. Dabei seien die religiösen Erfordernisse schon bei Abschluss des Beschäftigungsverhältnisses zu berücksichtigen, da nur auf diese Weise gewährleistet werden könne, dass jeder Mitarbeiter in seinem Aufgabenbereich in die religiöse Dimension der jüdischen Gemeinschaft eingebunden sei. Die Bereitschaft hierzu sei ein wesentliches Kriterium für die Mitarbeiterauswahl und werde bei Abschluss von Beschäftigungsverhältnissen vorrangig berücksichtigt. Für eine fruchtbare Zusammenarbeit innerhalb der Religionsgemeinschaft sei es unverzichtbar, dass alle Mitarbeiter - insbesondere die jüdischen - sich des höheren Zwecks und des allgemeinen religiösen Zusammenhangs ihrer Tätigkeit bewusst seien.

72

e) Der Marburger Bund e.V. (Bundesverband) erachtet die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis für aussichtslos.

73

aa) Er tritt allgemein der Privilegierung kirchlicher Einrichtungen entgegen. Einrichtungen der Caritas oder Diakonie, die wie die Beschwerdeführerin in marktüblicher Weise in der Gesundheitswirtschaft agierten, dürften keine kirchlichen Sonderrechte in Anspruch nehmen. Wenn die Beschwerdeführerin die Richtungsentscheidung getroffen habe, am Wirtschaftsleben teilzunehmen, müsse sie sich unbeschadet ihrer Motivlage an denselben Maßstäben messen lassen, die auch für vergleichbare Klinikträger Geltung beanspruchten. Die unter Berufung auf die Loyalitätsobliegenheiten in Anspruch genommene Möglichkeit, die Maßstäbe für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses selbst festzulegen und durch Berufung auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht der Überprüfung durch weltliche Gerichte im Einzelfall zu entziehen, führe zu "strukturellen Defiziten" und erheblichen arbeitsmarktlichen Verwerfungen.

74

Gerade der Vergleich zu dem kollektivrechtlichen Arbeitsrechtsregelungsmechanismus belege die Widersprüchlichkeit des Handelns kirchlich getragener Einrichtungen. Während auf dem Dritten Weg vereinbarte Arbeitsbedingungen nach dem Willen der kirchlichen Einrichtungen durch Einbeziehung in die jeweiligen Arbeitsverträge für die Gesamtheit der Dienstgemeinschaft Geltung beanspruchen könnten, erachteten sie es im Gegensatz hierzu jedoch für zulässig, hinsichtlich der individualarbeitsrechtlich festgesetzten Loyalitätsobliegenheiten nach Konfession zu unterscheiden und an katholische Mitarbeiter strengere Loyalitätsanforderungen zu stellen. Für eine derartige Differenzierung bestehe nach weltlichen Maßstäben keine Rechtfertigung. Zudem liege gerade im Falle der Beschwerdeführerin ein faktischer Sanktionsverzicht durch ihr vorangegangenes Verhalten vor. Es sei anzunehmen, dass ein in der Vergangenheit "in allen Fällen generell geduldetes Verhalten" - hier die Wiederheirat - unbeschadet seiner grundsätzlichen kanonischen Wertung zu einem gewissen liberalen Verständnis bei Betroffenen und Dritten und der Erwartung entsprechenden Umgangs mit zukünftigen gleichartigen Sachverhalten geführt habe.

75

bb) Das Bundesarbeitsgericht habe mit seiner Entscheidung nicht die Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts verkannt. Die Einschätzung der Beschwerdeführerin, die Sachgerechtigkeit einer aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht folgenden Wertentscheidung unterliege nicht der Beurteilung durch das jeweils erkennende Gericht, lasse ein in Anbetracht der kanonischen Rechtstradition zwar nachvollziehbares, in der Sache jedoch unzutreffendes Verständnis des grundgesetzlich geschützten Rechtsschutzinteresses erkennen. Um sicherzustellen, dass die betroffene Kündigungsentscheidung nicht auf willkürlicher Grundlage zustande gekommen sei, stelle sich die Inbezugnahme zum grundlegenden moralischen Regelwerk der kirchlichen Einrichtung und ihrem bisherigen Verhalten in vergleichbar gelagerten Fällen als unumgänglich dar. Dies gelte umso mehr, als es die Beschwerdeführerin selbst in der Hand habe, bestimmte arbeitsrechtliche Sanktionen ohne Ermessensspielräume als zwingende Folge eines Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zu definieren und auszugestalten. Schon aus diesem Grund müssten die weltlichen Gerichte ermächtigt sein, die Stringenz und Konsistenz des bisherigen Verhaltens einer kirchlichen Einrichtung in vergleichbaren Fällen in ihre Betrachtungen einzustellen. Anderenfalls beschränke sich der gerichtliche Entscheidungsspielraum auf eine rein formale Überprüfung, die weder den Anforderungen des deutschen Kündigungsschutzrechts noch den europa- und völkerrechtlichen Vorgaben gerecht werde.

76

f) Die übrigen Äußerungsberechtigten und sachverständigen Dritten haben von einer Stellungnahme abgesehen.

77

2. Die Beschwerdeführerin und der Kläger des Ausgangsverfahrens haben von der Möglichkeit zur weiteren Äußerung nach Kenntnis der eingegangenen Stellungnahmen Gebrauch gemacht. Sie bekräftigen ihre jeweiligen Auffassungen und vertiefen ihren Vortrag. Nach Mitteilung der Beschwerdeführerin ist das durch den Kläger des Ausgangsverfahrens angestrengte kirchengerichtliche Verfahren zur Annullierung seiner ersten Ehe in zwei Instanzen erfolglos geblieben. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat hierzu keine weiteren Angaben gemacht.

78

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Senat bei der Entscheidungsfindung vorgelegen.

B.

79

Die Verfassungsbeschwerde ist nur zulässig, soweit sie sich gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts wendet. Im Übrigen genügt ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG), da sie sich ausschließlich mit der Revisionsentscheidung, nicht jedoch mit den Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts auseinandersetzt.

C.

80

Soweit sie zulässig ist, ist die Verfassungsbeschwerde begründet.

I.

81

Umfang und Grenzen der Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer in mit der Kirche verbundenen Organisationen und Einrichtungen und deren Überprüfung durch die staatlichen Arbeitsgerichte bestimmen sich nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung, WRV) und der korporativen Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (1.). Die staatlichen Gerichte haben auf einer ersten Prüfungsstufe zunächst im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der verfassten Kirche zu überprüfen, ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt (2.a.). Auf einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann unter dem Gesichtspunkt der Schranken des "für alle geltenden Gesetzes" eine Gesamtabwägung vorzunehmen, in der die - im Lichte des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen verstandenen - kirchlichen Belange und die korporative Religionsfreiheit mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und deren in den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen enthaltenen Interessen auszugleichen sind. Die widerstreitenden Rechtspositionen sind dabei jeweils in möglichst hohem Maße zu verwirklichen (2.b.). Ob die Arbeitsgerichte den Einfluss der Grundrechte ausreichend beachtet haben, unterliegt gegebenenfalls der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Für den Fall, dass Grundrechtsbestimmungen unmittelbar ausgelegt und angewandt werden, hat es dabei Reichweite und Grenzen der Grundrechte zu bestimmen und festzustellen, ob Grundrechte und Verfassungsbestimmungen ihrem Umfang und Gewicht nach in verfassungsrechtlich zutreffender Weise berücksichtigt worden sind (3.). Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geben insoweit keinen Anlass zu Modifikationen der Auslegung des Verfassungsrechts (4.).

82

1. Die Grundentscheidung der Verfassung für ein freiheitliches Religions- und Staatskirchenrecht wird durch Verfassungsgewährleistungen sichergestellt, deren inhaltliche Schutzbereiche sich teilweise überschneiden und hierdurch wechselseitig ergänzen. In ihrer Zusammenschau sind sie unterschiedliche Akzentuierungen derselben verfassungsrechtlich gewährten Freiheit (vgl. Isensee, in: Festschrift für Klaus Obermayer, 1986, S. 203 <205>).

83

a) Die durch Art. 140 GG inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung sind vollgültiges Verfassungsrecht und von gleicher Normqualität wie die sonstigen Verfassungsbestimmungen (vgl. BVerfGE 19, 206 <219>; 19, 226 <236>; 111, 10 <50>). Sie sind - mit Selbststand gegenüber der korporativen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG - untrennbarer Bestandteil des Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes, welches das für eine freiheitliche Demokratie wesentliche Grundrecht der Religionsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt in den Katalog der Grundrechte übernommen und es so gegenüber der Weimarer Reichsverfassung erheblich gestärkt hat (vgl. BVerfGE 102, 370 <387 m.w.N.>). Beide Gewährleistungen bilden ein organisches Ganzes (vgl. BVerfGE 70, 138 <167>; 125, 39 <80>; Listl, in: ders./Pirson , Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 14 S. 439 <444 f.>), wobei Art. 4 Abs. 1 und 2 GG den leitenden Bezugspunkt des deutschen staatskirchenrechtlichen Systems darstellt (vgl. BVerfGE 102, 370 <393>).

84

Zwischen der Glaubensfreiheit und den inkorporierten Normen der Weimarer Reichsverfassung besteht eine interpretatorische Wechselwirkung (vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 1. Aufl. 2011, § 119, S. 1167). Die Weimarer Kirchenartikel sind einerseits funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt (vgl. BVerfGE 42, 312 <322>; 102, 370 <387>; 125, 39 <74 f., 80>) und in dessen Lichte auszulegen, da sie das Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche regeln (Art. 137 Abs. 1 WRV). Sie enthalten in Gestalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 137 Abs. 3 WRV) und verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkte zu den Grundsätzen der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates und der Parität der Religionen und Bekenntnisse (vgl. BVerfGE 102, 370 <390, 393 f.>) die Grundprinzipien des staatskirchenrechtlichen Systems des Grundgesetzes. Andererseits wird der Gewährleistungsgehalt des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG in Verbindung mit den inkorporierten Artikeln der Weimarer Reichsverfassung institutionell konkretisiert und ergänzt (BVerfGE 99, 100<119>, vgl. auch BVerfGE 33, 23 <30 f.>; 42, 312 <322>; 83, 341 <354 f.>; 125, 39 <77 f.>; vgl. auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 1. Aufl. 2011, § 119, S. 1167). Die Weimarer Kirchenartikel sind also auch ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit der korporierten Religionsgesellschaften (vgl. BVerfGE 125, 39 <79>; vgl. auch BVerfGE 102, 370 <387>, zu Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV und BVerfGE 99, 100<119 ff.>, zu Art. 138 Abs. 2 WRV).

85

Soweit sich die Schutzbereiche der inkorporierten statusrechtlichen Artikel der WRV und der korporativen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG überlagern (vgl. BVerfGE 42, 312 <322>; 66, 1 <22>; zu verbleibenden Unterschieden etwa von Campenhausen, HStR VII, 3. Aufl. 2009, § 157, Rn. 125 m.w.N.), geht Art. 137 Abs. 3 WRV als speziellere Norm Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit vor, als er das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften der Schranke des für alle geltenden Gesetzes unterwirft (zur sog. Schrankenspezialität in diesem Fall s. Morlok, in: Dreier , GG, 3. Aufl. 2013, Art. 4, Rn. 109). Bei dem Ausgleich der gegenläufigen Interessen ist aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist.

86

b) Aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4, 137 Abs. 1 WRV, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 2 GG folgt eine Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität, die Grundlage des modernen, freiheitlichen Staates ist. In einem Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gelingen, wenn der Staat selbst in Glaubens- und Welt-anschauungsfragen Neutralität bewahrt (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; vgl. auch BVerfGE 102, 370 <383>; 105, 279 <294>).

87

Die Pflicht zur staatlichen Neutralität in weltanschaulich-religiösen Fragen ist jedoch nicht im Sinne eines Gebots kritischer Distanz gegenüber der Religion zu verstehen (vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2. Aufl. 2012, § 4 Rn. 90) und darf auch mit religiöser und weltanschaulicher Indifferenz nicht gleichgesetzt werden (vgl. von Campenhausen, in: Listl/Pirson , Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 2, S. 47 <78>). Das Verhältnis zwischen Kirchen und Staat ist vielmehr gekennzeichnet durch wechselseitige Zugewandtheit und Kooperation (vgl. BVerfGE 42, 312 <330>) und ist weniger im Sinne einer strikten Trennung, sondern eher im Sinne einer Zuordnung und Zusammenarbeit von Staat und Kirchen auf der Basis grundrechtlicher Freiheit zu verstehen.

88

Über ihre Funktion als Beeinflussungsverbot (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <300>) und als Identifikationsverbot (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 30, 415 <422>; 33, 23 <28>; 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <299 f.>; 123, 148 <178>) hinaus verwehrt es die Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität dem Staat auch, Glauben und Lehre einer Kirche oder Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. BVerfGE 33, 23 <29>; 108, 282 <300>). Die individuelle und korporative Freiheit, das eigene Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und innerer Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, würde entleert, wenn der Staat bei hoheitlichen Maßnahmen uneingeschränkt seine eigene Wertung zu Inhalt und Bedeutung eines Glaubenssatzes an die Stelle derjenigen der verfassten Kirche setzen und seine Entscheidungen auf dieser Grundlage treffen könnte.

89

Jede Auseinandersetzung staatlicher Stellen mit Zielen und Aktivitäten einer Kirche oder Religionsgemeinschaft muss dieses Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität wahren (vgl. BVerfGE 105, 279 <294>). Die Regelung genuin religiöser oder weltanschaulicher Fragen, die parteiergreifende Einmischung in die Überzeugungen, Handlungen und die Darstellung Einzelner oder religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften sind dem Staat mangels Einsicht und geeigneter Kriterien untersagt (vgl. BVerfGE 12, 1 <4>; 41, 65 <84>; 72, 278 <294>; 74, 244 <255>; 93, 1 <16>; 102, 370 <394>; 108, 279 <300>). Fragen der Lehre, der Religion und des kirchlichen Selbstverständnisses gehen den Staat grundsätzlich nichts an. Er ist vielmehr verpflichtet, auf die Grundsätze der Kirchen und Religionsgemeinschaften Rücksicht zu nehmen und keinen eigenen Standpunkt in der Sache des Glaubens zu formulieren (von Campenhausen, in: Listl/Pirson , Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 2, S. 47 <78>). Die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung hat er zu respektieren.

90

c) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist in Art. 137 Abs. 3 WRV besonders hervorgehoben. Danach ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Diese Garantie erweist sich als notwendige, rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hin-zufügt (vgl. BVerfGE 53, 366 <401>). Sie gilt für Kirchen und sonstige Religions-gesellschaften unabhängig von ihrem rechtlichen Status (vgl. auch Art. 137 Abs. 7 WRV).

91

aa) Träger des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sind nicht nur die Kirchen selbst entsprechend ihrer rechtlichen Verfasstheit, sondern alle ihr in bestimmter Weise zugeordneten Institutionen, Gesellschaften, Organisationen und Einrichtungen, wenn und soweit sie nach dem glaubensdefinierten Selbstverständnis der Kirchen (zur Berücksichtigung von Selbstverständnissen als Mittel zur Sicherung der Menschenwürde und der Freiheitsrechte, vgl. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 282 <293 ff.> und S. 426 <431 ff.>) ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, Auftrag und Sendung der Kirchen wahrzunehmen und zu erfüllen (vgl. BVerfGE 46, 73 <85 ff.>; 53, 366 <391>; 57, 220 <242>; 70, 138 <162>).

92

(1) Der Schutz des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bezieht sich dabei nicht nur auf die der Kirche zugeordnete Organisation im Sinne einer juristischen Person, sondern erstreckt sich auch auf die von dieser Organisation getragenen Einrichtungen, also auf die Funktionseinheit, durch die der kirchliche Auftrag seine Wirkung entfalten soll (vgl. BVerfGE 53, 366 <398 f.>). Dies gilt unbeschadet der Rechtsform der einzelnen Einrichtung auch dann, wenn der kirchliche Träger sich privatrechtlicher Organisationsformen bedient (vgl. BVerfGE 46, 73 <85 ff.>; 53, 366 <391>; 57, 220 <242>; 70, 138 <162>). Die durch das Grundgesetz gewährleistete Freiheit der Kirche vom Staat schließt ein, dass sie sich zur Erfüllung ihres Auftrags grundsätzlich auch der Organisationsformen des staatlichen Rechts bedienen kann, ohne dass dadurch die Zugehörigkeit der auf einer entsprechen- den Rechtsgrundlage gegründeten Einrichtung zur Kirche aufgehoben wird (vgl. BVerfGE 57, 220 <243>).

93

(2) Nicht jede Organisation oder Einrichtung, die in Verbindung zur Kirche steht, unterfällt indes dem Privileg der Selbstbestimmung. Voraussetzung einer wirksamen Zuordnung ist vielmehr, dass die Organisation oder Einrichtung teilnimmt an der Verwirklichung des Auftrages der Kirche, im Einklang mit dem Bekenntnis der verfassten Kirche steht und mit ihren Amtsträgern und Organwaltern in besonderer Weise verbunden ist (BVerfGE 46, 73 <87>; 70, 138 <163 ff.>).

94

Von daher ist für eine sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV) berufende Organisation oder Einrichtung unabdingbar, dass die religiöse Zielsetzung das bestimmende Element ihrer Tätigkeit ist. Ganz überwiegend der Gewinnerzielung dienende Organisationen und Einrichtungen können demgegenüber das Privileg der Selbstbestimmung nicht in Anspruch nehmen, da bei ihnen der enge Konnex zum glaubensdefinierten Selbstverständnis aufgehoben ist. Dies gilt vor allem für Einrichtungen, die wie andere Wirtschaftssubjekte auch am marktwirtschaftlichen Geschehen teilnehmen und bei welchen der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte religiöse Auftrag der Kirche oder Religionsgemeinschaft in der Gesamtschau der Tätigkeiten gegenüber anderen - vorwiegend gewinnorientierten - Erwägungen erkennbar in den Hintergrund tritt.

95

bb) Das Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses (vgl. BVerfGE 70, 138 <164> unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, 236 <249>; 53, 366 <399>; 57, 220 <243>; vgl. auch BVerfGE 99, 100 <125>) und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen (vgl. BVerfGE 53, 366 <399>). Unter die Freiheit des "Ordnens" und "Verwaltens" fällt dementsprechend auch die rechtliche Vorsorge für die Wahrnehmung kirchlicher Dienste durch den Abschluss entsprechender Arbeitsverträge (vgl. BVerfGE 70, 138 <165>; BVerfGK 12, 308 <330>; vgl. auch: Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 <730>).

96

Der Staat erkennt die Kirchen in diesem Sinne als Institutionen mit dem originären Recht der Selbstbestimmung an, die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten (vgl. BVerfGE 18, 385 <386>; 19, 1 <55>; 30, 415 <428>; 42, 312 <321 f., 332>; 46, 73 <94>; 57, 220 <244>; 66, 1 <19>; BVerfGK 14, 485 <486>). Dies gilt - unabhängig von der Rechtsform der Organisation - auch dann, wenn die Kirchen sich zur Erfüllung ihres Auftrags und ihrer Sendung privatrechtlicher Formen bedienen (BVerfGE 46, 73 <85 ff.>; 70, 138 <162>) und wenn die Tätigkeiten und getroffenen Maßnahmen in den weltlichen Bereich hineinwirken (vgl. BVerfGE 42, 312 <334 f.>). Die Kirchen bestimmen selbst, frei und autonom darüber, welche Dienste sie in welchen Rechtsformen ausüben wollen und sind nicht auf spezifisch kanonische oder kirchenrechtliche Gestaltungsformen beschränkt. Religiöse Orden oder das Kirchenbeamtentum, die spezifischem Kirchenrecht unterliegen, stellen insofern zwar originäre, aber auch nur mögliche Varianten und Formen kirchlicher Dienste dar.

97

Die Kirchen können sich der jedermann offen stehenden privatautonomen Gestaltungsformen bedienen, Dienstverhältnisse begründen und nach ihrem Selbstverständnis ausgestalten. Die im Selbstbestimmungsrecht der Kirchen enthaltene Ordnungsbefugnis gilt insoweit nicht nur für die kirchliche Ämterorganisation (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV), sondern ist ein allgemeines Prinzip für die Ordnung des kirchlichen Dienstes (vgl. BVerfGE 70, 138 <164 f.>). Sie berechtigt zur Organisation der Tätigkeit einschließlich der Aufrechterhaltung einer internen Organisationsstruktur, zur Auswahl ihrer Angestellten und zur Festlegung der religiösen Grundsätze, welche die Grundlage ihrer Tätigkeiten sein sollen.

98

d) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 32, 98 <106>; 44, 37 <49>; 83, 341 <354>; 108, 282 <297>; 125, 39 <79>). Dieses beinhaltet notwendigerweise neben der Freiheit des Einzelnen zum privaten und öffentlichen Bekenntnis seiner Religion oder Weltanschauung (vgl. nur BVerfGE 24, 236 <245>; 69, 1 <33 f.>; 108, 282 <297>) auch die Freiheit, sich mit anderen aus gemeinsamem Glauben oder gemeinsamer weltanschaulicher Überzeugung zusammenzuschließen (vgl. BVerfGE 42, 312 <323>; 53, 366 <387>; 83, 341 <355>; 105, 279 <293>).

99

aa) Die durch den Zusammenschluss gebildete Vereinigung genießt das Recht zu religiöser oder weltanschaulicher Betätigung, zur Verkündigung des Glaubens, zur Verbreitung der Weltanschauung sowie zur Pflege und Förderung des jeweiligen Bekenntnisses (vgl. BVerfGE 19, 129 <132>; 24, 236 <246 f.>; 53, 366 <387>; 105, 279 <293>). Dieser Schutz steht nicht nur Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu, sondern auch von diesen selbstständigen oder unselbstständigen Vereinigungen, wenn und soweit sich diese die Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Zweck der Vereinigung gerade auf die Erreichung eines solchen Zieles gerichtet ist und eine hinreichende institutionelle Verbindung zu einer Religionsgemeinschaft besteht (vgl. BVerfGE 24, 236 <246 f.>).

100

bb) Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative Ausübung von Religion und Weltanschauung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der "Religionsausübung" durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGE 24, 236 <246>).

101

Zwar hat der Staat grundsätzlich verfassungsrechtliche Begriffe nach neutralen, allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten zu interpretieren (vgl. BVerfGE 24, 236 <247 f.>). Wo aber die Rechtsordnung gerade das religiöse oder weltanschauliche Selbstverständnis des Grundrechtsträgers voraussetzt, wie dies bei der Religionsfreiheit der Fall ist, würde der Staat die Eigenständigkeit der Kirchen und ihre nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV verfassungsrechtlich verankerte Selbständigkeit verletzen, wenn er bei der Auslegung der sich aus dem Bekenntnis ergebenden Religionsausübung das Selbstverständnis nicht berücksichtigen würde (vgl. BVerfGE 18, 385 <386 f.>; 24, 236 <248>; 108, 282 <298 f.>). Die Formulierung des kirchlichen Proprium obliegt so allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt.

102

cc) Nach dem Selbstverständnis der christlichen Kirchen umfasst die Religionsausübung nicht nur den Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes, sondern auch die Freiheit zur Entfaltung und Wirksamkeit des christlichen Sendungsauftrages in Staat und Gesellschaft. Dazu gehört insbesondere das karitative Wirken, das eine wesentliche Aufgabe für den Christen ist und von den Kirchen als religiöse Grundfunktion verstanden wird (vgl. BVerfGE 53, 366 <393>; siehe auch BVerfGE 24, 236 <246 ff.>; 46, 73 <85 ff.>; 57, 220 <242 f.>; 70, 138 <163>). Die tätige Nächstenliebe ist als solche eines der Wesensmerkmale der Kirche (vgl. Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. II, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665). Sie geht von der Zuwendung gegenüber Kranken und Benachteiligten ohne Rücksicht auf Konfession, Bedürftigkeit oder sozialen Status aus. Christliche Organisationen und Einrichtungen versehen die Aufgabe der Krankenpflege daher im Sinne einer an christlichen Grundsätzen ausgerichteten umfassenden medizinischen, pastoralen und seelsorgerlichen Behandlung und verwirklichen damit Sendung und Auftrag ihrer Kirche im Geist ihrer Religiosität und im Einklang mit dem Bekenntnis.

103

Die von der Verfassung anerkannte und dem kirchlichen Selbstverständnis entsprechende Zuordnung der karitativen Tätigkeit zum Sendungsauftrag der Kirche wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass andere Einrichtungen und anders ausgerichtete Träger im Sozialbereich ähnliche Zwecke verfolgen und - rein äußerlich gesehen - Gleiches verwirklichen wollen (vgl. BVerfGE 53, 366 <399> unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, 236 <249>; vgl. auch BVerfGK 12, 308 <330>). Die religiöse Dimension ist insoweit das bestimmende Element der karitativen und diakonischen Tätigkeit, das sie von äußerlich vergleichbaren Tätigkeiten unterscheidet. Es ist das spezifisch Religiöse der karitativen und diakonischen Tätigkeit, das den Umgang mit Kranken und Benachteiligten prägt und der seelsorgerlichen und pastoralen Begleitung eine hervorgehobene Bedeutung beimisst.

104

Dem steht nicht entgegen, dass diese Ausrichtung im modernen säkularen Staat angesichts religiöser Pluralisierung und "Entkirchlichung" der Gesellschaft schwierig zu vermitteln ist, zumal nicht in allen Bereichen von Caritas und Diakonie hinreichend Christen zur Verfügung stehen, die diesen Auftrag als an die eigene Person gerichteten Heilsauftrag begreifen und umsetzen. So müssen verstärkt nichtchristliche Arbeitnehmer - auch in leitenden Positionen - in Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen eingesetzt werden. Dies allein muss jedoch weder zu einem Rückzug der Kirchen aus den in Rede stehenden Bereichen führen noch dazu, dass der geistlich theologische Auftrag und die Sendung nicht mehr erkennbar sind (vgl. etwa: Bethel, Gemeinschaft verwirklichen - Unsere Vision und unsere strategischen Entwicklungsschwerpunkte 2011 bis 2016, v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel, Bielefeld 2011, S. 8 ff.).

105

Dieser gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation kann durch Struktur und Ausformung der christlichen Dienstgemeinschaft ausreichend Rechnung getragen werden. Die christlichen Kirchen kennen viele Formen christlichen Dienens: Öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnisse, Zugehörigkeit zu besonderen geistlichen Gemeinschaften wie Orden und Diakonissengemeinschaften oder eben auch nach staatlichem Recht - privatautonom - begründete Arbeitsverhältnisse. Spezifisches Kennzeichen für all diese Formen ist es, dem biblischen Auftrag zur Verkündigung und zur tätigen Nächstenliebe nachzukommen. Der Dienst in der christlichen Gemeinde ist Auftrag und Sendung der Kirche und umfasst idealiter den Menschen in all seinen Bezügen in Familie, Freizeit, Arbeit und Gesellschaft. Dieses Verständnis ist die Grundlage für die kirchlichen Anforderungen an die Gestaltung des Dienstes und die persönliche Lebensführung, die in den Loyalitätsobliegenheiten ihren Ausdruck finden. Gemeinschaft in diesem Sinne bedeutet nach christlichem Glauben gemeinsame Verantwortung für das Wirken der Kirche und in der Kirche und ihren Einrichtungen. Dieses Leitbild des Umgangs aller Dienstangehörigen prägt Verhalten und Umgang untereinander und mit den anvertrauten Kranken und Benachteiligten. Vorwiegend ökonomische Interessenmaximierung ist damit nicht vereinbar.

106

e) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht steht nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV, auch soweit sich der Schutzbereich mit demjenigen der korporativen Religionsfreiheit überlagert, unter dem Vorbehalt des für alle geltenden Gesetzes (sog. Schrankenspezialität, vgl. oben Rn. 85). Die Formel "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" kann jedoch nicht im Sinne des allgemeinen Gesetzesvorbehalts in einigen Grundrechtsgarantien verstanden werden (vgl. BVerfGE 42, 312 <333>). Vielmehr ist der Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck bei der Entfaltung und Konturierung der Schrankenbestimmung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 53, 366 <400 f.>). Beim Ausgleich der gegenläufigen Interessen ist daher der Umstand zu beachten, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist.

107

aa) Deshalb ergibt sich aus dem Umstand, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nur "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" gegeben ist, gerade nicht, dass jegliche staatliche Rechtsetzung, sofern sie nur aus weltlicher Sicht von der zu regelnden Materie her als vernünftig und verhältnismäßig erscheint, ohne weiteres in den den Kirchen, ihren Organisationen und Einrichtungen von Verfassungs wegen zustehenden Autonomiebereich eingreifen könnte (vgl. BVerfGE 53, 366 <404>; 72, 278 <289>). Die selbständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten ist den Kirchen, ihren Organisationen und Einrichtungen von der Verfassung garantiert, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihrer religiösen und diakonischen Aufgabe, ihren Grundsätzen und Leitbildern auch im Bereich von Organisation, Normsetzung und Verwaltung umfassend nachkommen zu können (vgl. BVerfGE 53, 366 <404>).

108

bb) Zu dem "für alle geltenden Gesetz" im Sinne des Art. 140 GG in Ver-bindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV, unter dessen Vorbehalt die inhaltliche Gestaltungsfreiheit des kirchlichen Arbeitgebers für die auf Vertragsebene begründeten Arbeitsverhältnisse steht, zählen die Regelungen des allgemeinen Kündigungsschutzes (vgl. BVerfGE 70, 138 <166 f.>; Ehlers, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 140/Art. 137 WRV, Rn. 14; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140/Art. 137 WRV, Rn. 49). Sie tragen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der objektiven Schutzpflicht des Staates gegenüber den wechselseitigen Grundrechtspositionen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer Rechnung (vgl. BVerfGE 84, 133 <146 f.>; 85, 360 <372 f.>; 92, 140 <150>; 97, 169 <175 f.>; BVerfGK 1, 308 <311>; 8, 244 <246>).

109

cc) Die in diesen Vorschriften enthaltenen Generalklauseln bedürfen der Ausfüllung im konkreten Einzelfall. Im Privatrechtsverkehr entfalten die Grundrechte ihre Wirkkraft als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen durch das Medium der Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen, damit vor allem auch durch die zivilrechtlichen Generalklauseln (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 f.>; 42, 143 <148>; 103, 89 <100>). Der Staat hat insoweit die Grundrechte des Einzelnen zu schützen und vor Verletzung durch andere zu bewahren (vgl. nur BVerfGE 103, 89 <100>). Den staatlichen Gerichten obliegt es, den grundrechtlichen Schutz im Wege der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts zu gewähren und im Einzelfall zu konkretisieren.

110

(1) Die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt deren Zugehörigkeit zu den "eigenen Angelegenheiten" der Kirche nicht auf (vgl. BVerfGE 53, 366 <392>; 70, 138 <165>). Arbeits- und Kündigungsschutzgesetze sind daher einerseits im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung zugunsten der kirchlichen Selbstbestimmung auszulegen (Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV). Das bedeutet nicht nur, dass die Religionsgesellschaft Gestaltungsspielräume, die das dispositive Recht eröffnet, voll ausschöpfen darf. Auch bei der Handhabung zwingender Vorschriften sind Auslegungsspielräume, soweit erforderlich, zugunsten der Religionsgesellschaft zu nutzen (vgl. BVerfGE 83, 341 <356>), wobei dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht zuzumessen ist (vgl. BVerfGE 53, 366 <401>, unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, 236 <246>; 44, 37 <49 f.>).

111

(2) Andererseits darf dies nicht dazu führen, dass Schutzpflichten des Staates gegenüber den Arbeitnehmern (Art. 12 Abs. 1 GG) und die Sicherheit des Rechtsverkehrs vernachlässigt werden (vgl. BVerfGE 83, 341 <356>). Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV sichert insoweit mit Rücksicht auf das zwingende Erfordernis friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirchen (vgl. BVerfGE 42, 312 <330 ff., 340>) sowohl das selbständige Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen als auch den staatlichen Schutz der Rechte anderer und für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter. Dieser Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Zweck der gesetzlichen Schrankenziehung ist durch eine entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 46, 73 <95>; 53, 366 <400 f.>; 66, 1 <22>; 70, 138 <167>; 72, 278 <289>; BVerfGK 12, 308 <333>).

112

2. Bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten über Loyalitätsobliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer haben die staatlichen Gerichte den organischen Zusammenhang von Statusrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und Grundrecht (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) im Rahmen einer zweistufigen Prüfung zu beachten und umzusetzen.

113

a) Ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt, müssen die staatlichen Gerichte auf einer ersten Prüfungsstufe einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der Kirche unterziehen. Dabei dürfen sie die Eigenart des kirchlichen Dienstes - das kirchliche Proprium - nicht außer Acht lassen.

114

aa) Die Formulierung des kirchlichen Proprium obliegt allein und ausschließlich den verfassten Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt. Ebenso sind für die Frage, welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, allein die von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäbe von Belang. Demgegenüber kommt es weder auf die Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen Einrichtungen - bei denen die Meinungsbildung von verschiedensten Motiven beeinflusst sein kann - noch auf diejenige breiter Kreise unter den Kirchengliedern oder etwa gar einzelner, bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter an (vgl. BVerfGE 70, 138 <166>).

115

Im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts können die verfassten Kirchen festlegen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre" sind, was als Verstoß gegen diese anzusehen ist und welches Gewicht diesem Verstoß aus kirchlicher Sicht zukommt (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>). Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine "Abstufung" der Loyalitätsobliegenheiten eingreifen soll, ist eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>).

116

bb) Über die entsprechenden Vorgaben der verfassten Kirche dürfen sich die staatlichen Gerichte nicht hinwegsetzen. Im Rahmen der allgemeinen Justizgewährungspflicht sind sie lediglich berechtigt, die Darlegungen des kirchlichen Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. In Zweifelsfällen haben sie die einschlägigen Maßstäbe der verfassten Kirche durch Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden oder, falls dies ergebnislos bleibt, durch ein kirchenrechtliches oder theologisches Sachverständigengutachten aufzuklären.

117

(1) Religiöse Zielsetzung und institutionelle Verbindung der Organisation oder Einrichtung zur verfassten Amtskirche, ihren Organen und Amtswaltern und die bruchlose Übereinstimmung von geistlich-theologischem Auftrag und dessen Ausführung im praktischen Wirtschaftsleben müssen hiernach objektiv erkennbar sein und einer - den von der verfassten Kirche vorgegebenen glaubensspezifischen Parametern folgenden - Plausibilitätskontrolle standhalten (vgl. Ehlers, in: Sachs , GG, 7. Aufl. 2014, Art. 140, Rn. 6; Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 <727 f.>).

118

(2) Ist durch den kirchlichen Arbeitgeber plausibel dargelegt, dass nach gemeinsamer Glaubensüberzeugung, Dogmatik, Tradition und Lehre der verfassten Kirche ein bestimmtes Handeln oder eine Tätigkeit und daran geknüpfte Loyalitätsobliegenheiten Gegenstand, Teil oder Ziel von Glaubensregeln sind (vgl. als Beispiel hierfür: Bethel, Grundsätze für Zusammenarbeit und Führung in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Bielefeld 2012), darf der Staat das so umschriebene glaubensdefinierte Selbstverständnis der Kirche nicht nur nicht unberücksichtigt lassen; er hat es vielmehr seinen Wertungen und Entscheidungen zugrunde zu legen, so lange es nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen steht (vgl. dazu BVerfGE 70, 138 <168>, wo auf die Grundprinzipien der Rechtsordnung abgestellt wurde, wie sie im allgemeinen Willkürverbot [Art. 3 Abs. 1 GG] und in den Begriffen der "guten Sitten" [§ 138 Abs. 1 BGB] und des ordre public [Art. 6 EGBGB] ihren Niederschlag gefunden haben; vgl. ferner BVerfGE 102, 370 <392 ff.>). Einer darüber hinaus gehenden Bewertung solcher Glaubensregeln hat sich der Staat zu enthalten (vgl. BVerfGE 33, 23 <30>; 104, 337 <355>), denn darin entfaltet sich nicht nur die statusrechtliche Sicherung nach Art. 137 Abs. 3 WRV, sondern vor allem auch die Schutzwirkung der Religionsfreiheit von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

119

(3) Dies gilt in besonderem Maße im Hinblick auf Loyalitätserwartungen der Kirche und eine etwaige Abstufung von Loyalitätsobliegenheiten. Hat die Kirche oder Religionsgemeinschaft sich in Ausübung ihrer korporativen Religionsfreiheit dazu entschieden, ein bestimmtes Verhalten wegen des Verstoßes gegen tragende Glaubenssätze als Loyalitätsverstoß zu werten, ein anderes aber nicht, und hat sie diese Maßgabe zum Gegenstand eines Arbeitsvertrags gemacht, so ist es den staatlichen Gerichten grundsätzlich untersagt, diese autonom getroffene und von der Verfassung geschützte Entscheidung zu hinterfragen und zu bewerten. Gleiches gilt, soweit die Kirche oder Religionsgemeinschaft die Loyalitätsobliegenheiten auf Arbeitnehmer in bestimmten Aufgabenbereichen beschränkt oder nur auf solche kirchlichen Arbeitnehmer erstreckt hat, die ihrem Glauben angehören. Den staatlichen Gerichten ist es insoweit verwehrt, die eigene Einschätzung über die Nähe der von einem Arbeitnehmer bekleideten Stelle zum Heilsauftrag und die Notwendigkeit der auferlegten Loyalitätsobliegenheit im Hinblick auf Glaubwürdigkeit oder Vorbildfunktion innerhalb der Dienstgemeinschaft an die Stelle der durch die verfasste Kirche getroffenen Einschätzung zu stellen (vgl. auch BVerfGE 70, 138 <167>; 83, 341 <356>; so auch im Ergebnis: Isensee, in: Festschrift für Klaus Obermayer, 1986, S. 203 <214 f.>; Richardi, in: ders./Wlotzke/Wißmann/Oetker, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 328 Rn. 24; Plum, NZA 2011, S. 1194 <1200>; Fahrig/Stenslik, EuZA 5 <2012>, S. 184 <194 f.>; Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, S. 225 <230>; Walter, ZevKR 57 <2012>, S. 233 <240>; Pötters/Kalf, ZESAR 2012, S. 216 <218>; Magen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 41 <43 ff.>).

120

b) Auf einer zweiten Prüfungsstufe haben die Gerichte sodann die Selbstbestimmung der Kirchen den Interessen und Grundrechten der Arbeitnehmer in einer offenen Gesamtabwägung gegenüberzustellen.

121

aa) Dies setzt die positive Feststellung voraus, dass der Arbeitnehmer sich der ihm vertraglich auferlegten Loyalitätsanforderungen und der Möglichkeit arbeitsrechtlicher Sanktionierung von Verstößen bewusst war oder hätte bewusst sein müssen. Die Unannehmbarkeit einer Loyalitätsanforderung (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>) ist gegeben, wenn Inhalt und Reichweite der dem kirchlichen Arbeitnehmer auferlegten Obliegenheiten sowie die sich aus einem Verstoß möglicherweise ergebenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen nicht mit hinreichender Bestimmtheit erkennbar sind, so dass der kirchliche Arbeitnehmer sich außer Stande sieht, sein Handeln an den Loyalitätsanforderungen seines Arbeitgebers zu orientieren. Die nach freiem Willen getroffene Entscheidung eines Grundrechtsberechtigten, eine partielle Beschränkung seiner Freiheitsrechte durch Eingehung eines Arbeitsverhältnisses mit einem kirchlichen Arbeitgeber zu dessen Voraus-setzungen hinzunehmen, setzt notwendigerweise das Bewusstsein über den Umfang der Selbstbindung voraus (vgl. hierzu auch: Isensee, in: Festschrift für Klaus Obermayer, 1986, S. 203 <206 f.>; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 140 Rn. 27). Diese Voraussetzung ist nicht mehr erfüllt, wenn sich etwa Inhalt und Reichweite der einzuhaltenden Verhaltensregeln nur mithilfe detaillierter Kenntnisse des Kirchenrechts und der Glaubens- und Sittenlehre feststellen lassen, die vom Arbeitnehmer auch bei gesteigerten Erwartungen wegen der Konfession oder der konkreten Stellung nicht verlangt werden können (vgl. zur Relevanz des letztgenannten Umstands und zur Abgrenzung auch: EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 71).

122

Das Erfordernis der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit steht einer Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln (vgl. etwa Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrO: "Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre") in Arbeitsverträgen und der Verweisung auf Dienstordnungen nicht grundsätzlich entgegen. Im Zweifel ist der kirchliche Arbeitgeber jedoch gehalten, abstrakte Begrifflichkeiten zum Verständnis des Arbeitnehmers im Rahmen der individualvertraglichen Vereinbarung zu konkretisieren (vgl. hierzu auch: Böckel, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 57 <58>).

123

Das Maß im Einzelfall zulässiger Abstrahierung korrespondiert dabei mit dem Umfang der nach Einschätzung der Kirche im Hinblick auf das konkrete Arbeitsverhältnis erforderlichen Loyalitätserwartungen: Bei Personen, die aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Stellung erhöhten Loyalitätsanforderungen unterworfen werden, sind in aller Regel auch Kenntnisse der kirchlichen Lehre Teil des beruflichen Anforderungsprofils und können durch den Arbeitgeber bei der Formulierung der Loyalitätserwartungen vorausgesetzt werden. Führt die Unkenntnis eines derartigen Arbeitnehmers zu einer Obliegenheitsverletzung, weil er sich über die Illoyalität seines Verhaltens nicht im Klaren ist, obschon er es hätte sein müssen, rechtfertigt dies eine andere Beurteilung als in Konstellationen, in denen Kenntnisse der kirchlichen Lehre und der einschlägigen kirchengesetzlichen Vorgaben auch aus Sicht der Kirche nicht ohne weiteres erwartet werden können.

124

bb) Im Rahmen des sich hieran anschließenden Abwägungsvorgangs sind die kollidierenden Rechtspositionen - dem Grundsatz der praktischen Konkordanz entsprechend - in möglichst hohem Maße in ihrer Wirksamkeit zu entfalten. Sie sind einander im Sinne einer Wechselwirkung verhältnismäßig zuzuordnen, das heißt, das einschränkende arbeitsrechtliche Gesetz muss im Lichte der Bedeutung des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG betrachtet werden, wie umgekehrt die Bedeutung kollidierender Rechte des Arbeitnehmers im Verhältnis zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gewichtet werden muss.

125

Dem Selbstverständnis der Kirche ist dabei ein besonderes Gewicht beizumessen (vgl. hierzu auch: BVerfGE 53, 366 <401>; 66, 1 <22>; 70, 138 <167>; 72, 278 <289>; BVerfGK 12, 308 <333>), ohne dass die Interessen der Kirche die Belange des Arbeitnehmers dabei prinzipiell überwögen. Das staatliche Arbeitsrecht lässt "absolute Kündigungsgründe" nicht zu; eine Verabsolutierung von Rechtspositionen ist der staatlichen Rechtsordnung jenseits des Art. 1 Abs. 1 GG fremd. Entsprechend entbindet selbst ein erkennbar schwerwiegender Loyalitätsverstoß die staatlichen Arbeitsgerichte nicht von der Pflicht zur Abwägung der kirchlichen Interessen mit den Belangen des Arbeitnehmers. Die Arbeitsgerichte haben jedoch auch bei der Abwägung die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Gewichtung vertraglicher Loyalitätsobliegenheiten zugrunde zu legen (BVerfGE 70, 138 <170 ff.>).

126

3. Ob diese Abwägung verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, kann gegebenenfalls Gegenstand verfassungsgerichtlicher Kontrolle sein. Das Bundesverfassungsgericht ist zum Eingreifen gegenüber den Fachgerichten jedoch nur dann berufen, wenn diese tragende Elemente des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und der korporativen Religionsfreiheit einerseits oder Grundrechte des Arbeitnehmers andererseits verkennen.

127

4. Diese Maßstäbe stehen in Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. bereits: EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86). Die durch die Konvention begründeten objektiven Schutzpflichten des Staates aus Art. 11 Abs. 1 EMRK in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 EMRK und das sich hieraus ergebende Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften einerseits und die entgegenstehenden Rechtspositionen der kirchlichen Arbeitnehmer andererseits verlangen - in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben - eine Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls. Die durch die Konvention begründete Neutralitätspflicht des Staates in religiösen Angelegenheiten untersagt den staatlichen Stellen hierbei ebenfalls eine eigenständige Bewertung und Gewichtung von Glaubensinhalten.

128

a) Die Europäische Menschenrechtskonvention ist als Auslegungshilfe bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes heranzuziehen. Dies verlangt allerdings keine schematische Parallelisierung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Vielmehr werden deren Wertungen im Sinne eines möglichst schonenden Einpassens in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechts- system aufgenommen (vgl. BVerfGE 111, 307 <315 ff.>; 128, 326 <366 ff.>; 131, 268 <295 f.>).

129

Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 128, 326 <371>). Zudem darf sie nicht dazu führen, dass der Grundrechtsschutz nach dem Grundgesetz eingeschränkt wird; das schließt auch die Europäische Menschenrechtskonvention durch Art. 53 EMRK ihrerseits aus (vgl. BVerfGE 111, 307 <317>; 128, 326 <371>, jeweils m.w.N.). Dieses Rezeptionshemmnis kann vor allem in - wie hier - mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen relevant werden, in denen das "Mehr" an Freiheit für einen Grundrechtsträger zugleich ein "Weniger" für einen anderen bedeutet (vgl. BVerfGE 128, 326 <371>).

130

b) Art. 9 Abs. 1 EMRK schützt neben der individuellen Religionsfreiheit auch ihre korporative Seite (vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, Handkommentar, 3. Aufl. 2011, Art. 9 Rn. 10, m.w.N). Da die Kirchen und Religionsgemeinschaften traditionell in der Form organisierter Strukturen existieren, deren autonomer Bestand für die Vielfalt in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar ist und die Glaubensfreiheit in ihrem Kerngehalt berührt, muss Art. 9 Abs. 1 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Lichte des Art. 11 Abs. 1 EMRK ausgelegt werden. Unter diesem Blickwinkel bedingt die Glaubensfreiheit des Einzelnen auch den Schutz der rechtlich verfassten Kirchen und Religionsgemeinschaften vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen im Hinblick sowohl auf religiöse als auch auf organisatorische Fragen. Ohne diesen Schutz der Organisation nach Maßgabe des religiösen Selbstverständnisses durch die Konvention wäre auch die effektive Wahrnehmung der individuellen Religionsfreiheit beeinträchtigt (vgl. zu alledem: EGMR (GK), Hasan u. Chaush v. Bulgarien, Urteil vom 26. Oktober 2000, Nr. 30985/96, § 62; EGMR, Metropolitan Church of Bessarabia u.a. v. Moldawien, Urteil vom 13. Dezember 2001, Nr. 45701/99, § 118; EGMR, Holy Synod of the Bulgarian Orthodox Church (Metropolitan Inokentiy) v. Bulgarien, Urteil vom 22. Januar 2009, Nr. 412/03 u.a., § 103; EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 136; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 127).

131

aa) Das Autonomierecht beinhaltet das Recht der Kirche oder Religionsgemeinschaft, nach ihren Rechtssätzen und nach ihrem Ermessen auf ein Verhalten ihrer Mitglieder zu reagieren, das eine Bedrohung für den Zusammenhalt, die Glaubwürdigkeit oder die Einheit der Gemeinschaft bedeutet (vgl. hierzu: EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 165; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 128). Daneben ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt, dass aus dem Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften auch deren Befugnis erwächst, ihren Arbeitnehmern und den die Gemeinschaft repräsentierenden Personen ein gewisses Maß an Loyalität abzuverlangen (vgl. hierzu bereits: EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86; sowie: EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 131, m.w.N.). Voraussetzung ist, dass von einer Verletzung der konkreten Loyalitätsanforderung nach Einschätzung der Kirche oder Religionsgemeinschaft eine substantielle Gefahr für den Zusammenhalt, die Glaubwürdigkeit oder die Einheit der Gemeinschaft ausginge, die mit der Loyalitätsanforderung verbundene Beschränkung nicht über das erforderliche Maß hinausreicht und keinen sachfremden Zwecken dient, die nicht in der Wahrnehmung des religiösen Auftrags begründet liegen; dies hat die Kirche oder Religionsgemeinschaft im Einzelfall darzulegen (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132).

132

bb) Unter diesen Bedingungen können auch Beschränkungen konventionsrechtlich geschützter Rechtspositionen des Arbeitnehmers gerechtfertigt sein; insoweit ist Art. 11 Abs. 1 EMRK in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 EMRK generell geeignet, als Schranke für diese Konventionsrechte zu dienen und die objektive Schutzpflicht des Staates zu begrenzen oder gar zu verdrängen (vgl. hierzu: EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, §§ 43 ff.; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, §§ 133 ff., jeweils zu Art. 8 Abs. 1 EMRK; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45, zu Art. 9 Abs. 1 EMRK).

133

Da die vertragliche Unterwerfung unter die Loyalitätserwartungen jedoch auf einer freiwilligen Entscheidung des kirchlichen Arbeitnehmers beruht (vgl. bereits EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86), ist Voraussetzung hierfür grundsätzlich, dass der Inhalt der Loyalitätserwartung und die mit einem Verstoß einhergehenden Rechtsfolgen für den Arbeitnehmer vorhersehbar sind (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 117). Für die Beurteilung der Vorhersehbarkeit ist auf die Konfession des Arbeitnehmers (vgl. hierzu: EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50) und - in besonderem Maße - die von dem kirchlichen Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall bekleidete Stellung innerhalb der Organisation abzustellen (vgl. hierzu: EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 119).

134

cc) Der konkreten Stellung des Arbeitnehmers innerhalb der religiösen Organisation oder einer ihrer selbständigen Einrichtungen (vgl. hierzu EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86, zum Fall eines Assistenzarztes in einem von einer Stiftung der römisch-katholischen Kirche getragenen Krankenhaus; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 44, zum Fall einer Erzieherin in von protestantischen Kirchengemeinden getragenen Kindertagesstätten) und dem Inhalt der ihm übertragenen Aufgaben kommt bei Beurteilung des zulässigen Umfangs der Loyalitätsobliegenheiten und der Vereinbarkeit von Sanktionsmaßnahmen aufgrund von Loyalitätsverstößen im Rahmen der Abwägungsentscheidung besonderes Gewicht zu (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 131, m.w.N.). Eine bereits von der Kirche oder Religionsgemeinschaft vorgenommene Abstufung von Loyalitätsobliegenheiten nach der Konfession oder beruflichen Stellung des Arbeitnehmers ist daher mit der Konvention nicht nur vereinbar, sondern im Zweifelsfall sogar geboten (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50, zur Abstufung aufgrund der Konfession; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 46; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 119, jeweils zur Abstufung aufgrund der Stellung). Hierdurch trägt die Kirche oder Religionsgemeinschaft ihrer Pflicht Rechnung, nur die aus ihrer Sicht zur Abwendung substantieller Risiken für den Zusammenhalt, die Glaubwürdigkeit oder die Einheit der Gemeinschaft unabweisbaren Einschränkungen konventionsrechtlich geschützter Rechtspositionen ihrer Arbeitnehmer vorzunehmen (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132).

135

c) Maßgeblich für die Beurteilung des notwendigen Inhalts der besonderen Loyalitätsanforderungen und des Gewichts von Verstößen hiergegen ist auch nach der Konvention der Standpunkt der Kirche oder Religionsgemeinschaft. Er ist von den staatlichen Stellen im Rahmen ihres Handelns grundsätzlich zugrunde zu legen (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 68; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45). Diese Beschränkung der Einschätzungsgewalt staatlicher Stellen wurzelt in dem konventionsrechtlichen Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften (Art. 11 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 9 Abs. 1 EMRK) und der staatlichen Neutralitätspflicht in religiösen Angelegenheiten. Sie untersagt über die bereits genannten Gewährleistungsinhalte des Autonomierechts hinaus der staatlichen Gewalt auch, kraft eigener Einschätzung darüber zu befinden, ob religiöse Glaubensüberzeugungen oder die Mittel zum Ausdruck solcher Glaubensüberzeugungen legitim sind (vgl. EGMR, Manoussakis v. Griechenland, Urteil vom 26. September 1996, Nr. 18748/91, § 47; EGMR, Jehovah's Witnesses of Moscow u.a. v. Russland, Urteil vom 10. Juni 2010, Nr. 302/02, § 141; EGMR, Church of Jesus Christ of the Latter-Day Saints v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 4. März 2014, Nr. 7552/09, § 29).

136

d) Dennoch muss die staatliche Gewalt den Standpunkt der Kirche und Religionsgemeinschaft vom Inhalt einer Loyalitätsanforderung und dem Gewicht eines Verstoßes ihrem Handeln nicht gänzlich ungeprüft zugrunde legen (vgl. hierzu auch: EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 69); von der konventionsrechtlichen Neutralitätspflicht in religiösen Angelegenheiten ist der Staat in bestimmten Ausnahmefällen entbunden (vgl. EGMR (GK), Hasan u. Chaush v. Bulgarien, Urteil vom 26. Oktober 2000, Nr. 30985/96, §§ 62, 78; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 129).

137

aa) Die staatlichen Gerichte haben sicherzustellen, dass die kirchlichen Arbeitgeber im Einzelfall keine unannehmbaren Anforderungen an ihre Arbeitnehmer richten (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45 f.). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Loyalitätsobliegenheit oder deren Gewichtung im Kündigungsfall gegen Grundprinzipien der Rechtsordnung verstößt (vgl. EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45 f.), auf willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132) oder wenn die Zugrundelegung des nach kirchlichem Selbstverständnis erlassenen Rechtsakts durch das staatliche Gericht auch unter Berücksichtigung des entgegenstehenden Interesses des kirchlichen Arbeitgebers im Ergebnis zu einer offensichtlichen Verletzung eines Konventionsrechts in seinem Kerngehalt führt (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132). Letzteres ist auch dann anzunehmen, wenn durch die Loyalitätserwartung der Schutzbereich eines abwägungsfesten Konventionsrechts (vgl. Art. 15 Abs. 2 EMRK) berührt wird.

138

Nicht ausreichend ist hingegen, dass die Loyalitätsobliegenheit lediglich den Schutzbereich anderer Konventionsrechte tangiert. Dies würde nicht nur das konventionsrechtliche Autonomierecht der Kirchen (Art. 11 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 9 Abs. 1 EMRK) entwerten, sondern auch den Abwägungsprozess verkürzen, wodurch der konventionsrechtlich gebotene gerechte Ausgleich zwischen mehreren - privaten - Interessen (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, §§ 45, 52; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 40, 47) verhindert würde. Die Entscheidung darüber, ob dem Interesse des kirchlichen Arbeitgebers an der selbstbestimmten Verwirklichung seiner religiösen Grundsätze im Arbeitsrecht oder dem Interesse des kirchlichen Arbeitnehmers an dem konventionsrechtlich geschützten, jedoch illoyalen Verhalten der Vorrang einzuräumen ist, ist erst im Wege der Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen zu treffen (vgl. hierzu auch: Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, S. 55 <62>).

139

bb) Inwieweit das Autonomierecht der Kirchen als Schranke entgegenstehender Konventionsrechte wirkt (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 60), ist auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Positionen und aller sie beeinflussenden Faktoren auf den Einzelfall zu bestimmen (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 68; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, §§ 132, 148). Da den Staat insoweit hinsichtlich beider Konventionsrechte objektive Schutzpflichten treffen und der Schutz der einen Rechtsposition notwendigerweise zur Beeinträchtigung des entgegenstehenden Rechts führt, räumt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Konventionsstaaten einen weiten Einschätzungsspielraum ein (vgl. EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 160; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 123).

140

Dennoch werden die Konventionsstaaten ihren objektiven Schutzpflichten im Einzelfall nur gerecht, wenn sie eine eingehende und alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Abwägung der durch die Kündigung tangierten Rechtspositionen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer vornehmen (vgl. EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 159; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 123).

141

Hierzu zählen unter anderem das Bewusstsein des Arbeitnehmers für die begangene Loyalitätspflichtverletzung (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 72; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 44, 46; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, §§ 141, 146), die Freiwilligkeit der Bindung an höhere Loyalitätsobliegenheiten (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 135), die öffentlichen Auswirkungen der Loyalitätspflichtverletzung (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 72), das Interesse des kirchlichen Arbeitgebers an der Wahrung seiner Glaubwürdigkeit (vgl. EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 44, 46; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 137), die Position des Arbeitnehmers in der Einrichtung, die Schwere des Loyalitätspflichtverstoßes in den Augen der Kirche sowie die zeitliche Dimension des Loyalitätsverstoßes (vgl. jeweils EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 48), das Interesse des Arbeitnehmers an der Wahrung seines Arbeitsplatzes (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 67), sein Alter, seine Beschäftigungsdauer (vgl. jeweils EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 48; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 44) und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 73; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 144).

142

cc) Im Rahmen der Interessenabwägung hat das staatliche Gericht allerdings stets die konventionsrechtlich geschützte Neutralitätspflicht in religiösen Angelegenheiten zu wahren (vgl. EGMR, Manoussakis v. Griechenland, Urteil vom 26. September 1996, Nr. 18748/91, § 47; EGMR, Jehovah's Witnesses of Moscow u.a. v. Russland, Urteil vom 10. Juni 2010, Nr. 302/02, § 141; EGMR, Church of Jesus Christ of the Latter-Day Saints v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 4. März 2014, Nr. 7552/09, § 29). Aus diesem Grund muss es bei der Gewichtung religiös geprägter Abwägungselemente (z.B. spezifische Nähe der Tätigkeit des Arbeitnehmers zum Verkündigungsauftrag) den Standpunkt der verfassten Kirche und Religionsgemeinschaft seiner Entscheidung zugrunde legen, sofern es hierdurch nicht in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung gelangt (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 67; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45).

143

dd) Soweit der Gerichtshof in einem Urteil beanstandet hat, die nationalen Gerichte hätten die Frage der Nähe der vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag der Kirche nicht geprüft, sondern offenbar ohne weitere Nachprüfungen den Standpunkt des kirchlichen Arbeitgebers in dieser Frage übernommen (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 67), war dies den besonderen Umständen des Einzelfalls geschuldet und rechtfertigt deshalb keine abweichende Beurteilung vorstehender konventionsrechtlicher Maßstäbe.

144

Eine Lesart der Entscheidungsgründe, die eine eigenständige staatliche Bewertung der Nähe einer Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag erfordern würde, liefe Gefahr, in unauflösbaren Widerspruch zur sonstigen Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, §§ 43, 51; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, §§ 57, 60; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 40, 45) bei Loyalitätsobliegenheiten im kirchlichen Arbeitsverhältnis zu geraten und das konventionsrechtlich garantierte Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften in seinem Kernbestand zu entwerten. Auch bliebe ungeklärt, warum der Gerichtshof sich einerseits auf die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts aus der Entscheidung vom 4. Juni 1985 (BVerfGE 70, 138 ff.) bezogen hat, ohne deren Vereinbarkeit mit der Konvention in Zweifel zu ziehen (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, §§ 35, 68) andererseits aber die Überprüfung kirchlicher Selbstverständnisse in weitem Umfang von den staatlichen Arbeitsgerichten verlangen würde. Eine solche Interpretation stünde letztlich auch der Rezeption in die nationale Verfassungsordnung entgegen, weil sie den Grundrechtsschutz innerhalb eines mehrpoligen Grundrechtsverhältnisses einseitig zu Lasten eines Beteiligten beschränken würde (vgl. auch Plum, NZA 2011, S. 1194 <1200>).

II.

145

Nach diesen Maßstäben verstößt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, da die bei der Anwendung des § 1 Abs. 2 KSchG vorgenommene Interessenabwägung dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht der Beschwerdeführerin nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.

146

1. Der persönliche Anwendungsbereich von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV ist zu Gunsten der Beschwerdeführerin eröffnet. Sie hat in Anbetracht der vorrangig religiösen Zielsetzung ihres Handelns und ihrer institutionellen Verbindung zur römisch-katholischen Kirche an deren kirchlichem Selbstbestimmungsrecht teil. Zwar ist weder die Beschwerdeführerin selbst noch das in ihrer Trägerschaft befindliche V.-Krankenhaus Teil der amtskirchlichen Organisation. Beide haben jedoch teil an der Verwirklichung von Auftrag und Sendung der Kirche im Geist katholischer Religiosität, im Einklang mit dem Bekenntnis und in Legitimation durch die Amtsträger der römisch-katholischen Kirche.

147

a) Die durch die Beschwerdeführerin wahrgenommene Aufgabe der Krankenbehandlung und -pflege stellt sich als Teil des Sendungsauftrages der römisch-katholischen Kirche dar. Sie ist als karitative Tätigkeit auf die Erfüllung der aus dem Glauben erwachsenden Pflicht zum Dienst am Mitmenschen und damit auf die Wahrnehmung einer kirchlichen Grundfunktion gerichtet (vgl. BVerfGE 53, 366 <393>; siehe auch: BVerfGE 24, 236 <246 ff.>; 46, 73 <85 ff.>; 57, 220 <242 f.>; 70, 138 <163>).

148

In der Staatspraxis der Bundesrepublik Deutschland ist die karitative Tätigkeit in den Kirchenverträgen und Konkordaten als legitime Aufgabe der Kirchen ausdrücklich anerkannt und den Kirchen die Berechtigung dazu gewährleistet worden (vgl. BVerfGE 24, 236 <248>; 53, 366 <393>, jeweils m.w.N.). Zu dieser karitativen Tätigkeit gehört die kirchlich getragene Krankenpflege, die in langer katholischer Tradition steht. Ihr entspricht die Organisation des kirchlichen Krankenhauses und die auf sie gestützte, an christlichen Grundsätzen ausgerichtete, auch pastorale und seelsorgerische Zuwendung umfassende Hilfeleistung für den Patienten (vgl. BVerfGE 53, 366 <393>).

149

b) An der Erfüllung dieses kirchlichen Auftrags hat die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer bekenntnismäßigen und organisatorischen Verbundenheit mit der römisch-katholischen Kirche Anteil. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der Regelungen des Gesellschaftsvertrages.

150

c) Im Fall der Beschwerdeführerin tritt die religiöse Dimension nicht in einem Maße gegenüber rein ökonomischen Erwägungen in den Hintergrund, das geeignet wäre, die Prägung durch das glaubensdefinierte Selbstverständnis in Frage zu stellen. Die Regelungen des Gesellschaftsvertrags der Beschwerdeführerin vom 6. August 2003, die als verbindlich anerkannten Vorgaben der Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1996 in der Fassung vom 27. März 2001 und die enge Verbindung der Beschwerdeführerin zum Verbund Katholischer Kliniken D. stehen einer vorrangig auf Vermögensmehrung ausgerichteten Aufgabenwahrnehmung der von ihr getragenen Einrichtungen entgegen. Allein das Ziel der Erwirtschaftung eines wirtschaftlichen Ergebnisses, das die Substanz der vorhandenen Einrichtungen und Arbeitsplätze sichert und eine sinnvolle Weiterentwicklung ermöglicht, ist für sich genommen noch nicht geeignet, die im Übrigen klar erkennbare religiöse Prägung ihres Handelns zu verdrängen.

151

2. Die Auferlegung besonderer Loyalitätsobliegenheiten gegenüber dem Kläger des Ausgangsverfahrens war vom Gewährleistungsinhalt des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV umfasst. Durch den Verweis auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993 (GrO) sowie § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrages vom 12. Oktober 1999 ist das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe wirksam und vorhersehbar zum Inhalt des Arbeitsvertrages geworden (nachfolgend a) und b)). Diese Loyalitätsanforderungen stehen ebenso wie ihre Abstufung nach Konfession und Stellung im Einklang mit den Maßstäben der verfassten römisch-katholischen Kirche. Sie erlegen dem Kläger des Ausgangsverfahrens keine unannehmbaren oder gegen grundlegende verfassungsrechtliche Gewährleistungen verstoßenden Obliegenheiten auf (nachfolgend c)).

152

a) Die Regelungen der Grundordnung einschließlich derer zum Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe sowie zu der Abstufung von Loyalitätserwartungen und arbeitsrechtlichen Sanktionen nach Konfession und Stellung des Arbeitnehmers sind von der Gesamtheit der katholischen Bischöfe in Deutschland übereinstimmend verabschiedet und promulgiert und damit für ihren jeweiligen Bereich als kirchliches Gesetz in Kraft gesetzt worden (vgl. Can. 391 § 1 CIC). Zweifel über den Inhalt der Maßstäbe der verfassten Kirche, denen seitens der staatlichen Gerichte durch entsprechende Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden zu begegnen gewesen wäre (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>), liegen deshalb nicht vor.

153

b) Inhalt und Reichweite der dem Kläger des Ausgangsverfahrens auferlegten Obliegenheiten sowie die sich aus einem Verstoß möglicherweise ergebenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen waren für ihn mit hinreichender Bestimmtheit erkennbar, so dass er in der Lage war, sein Verhalten hieran auszurichten. Eine Unannehmbarkeit der an ihn gerichteten Loyalitätserwartungen wegen mangelnder Vorhersehbarkeit scheidet aus.

154

aa) Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrO formuliert die für alle katholischen Mitarbeiter geltenden Loyalitätsobliegenheiten, indem er die Beachtung und Anerkennung der "Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre" verlangt. Im Vergleich zu den nichtkatholischen christlichen Mitarbeitern (vgl. Art. 4 Abs. 2 GrO) und nichtchristlichen Mitarbeitern (vgl. Art. 4 Abs. 3 GrO) werden katholische Mitarbeiter - zu denen der Kläger des Ausgangsverfahrens zählt - damit gesteigerten Loyalitätsanforderungen unterworfen. Hiermit korrespondiert, dass in der Regel nur katholische Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die im leitenden Dienst ausgeübt werden, betraut werden dürfen (vgl. Art. 3 Abs. 2 GrO).

155

Art. 4 Abs. 1 Satz 3 GrO enthält für leitende Mitarbeiter eine weitere Steigerung der Loyalitätsobliegenheiten. Durch Verweis auf Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrO wird diesen "das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre" abverlangt, das in besonderem Maße auch die Beachtung und Anerkennung der katholischen Glaubenssätze im außerdienstlichen Bereich umfasst. Die in der Präambel des Arbeitsvertrages ebenfalls zur Grundlage des Arbeitsverhältnisses erklärte "Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen" vom 5. November 1996 in der Fassung vom 27. März 2001 stellt in Abschnitt A Ziff. 6 klar, dass unter anderem die Abteilungsärzte (Chefärzte) als leitende Mitarbeiter im Sinne der Grundordnung zu gelten haben.

156

Art. 5 GrO regelt die arbeitsrechtliche Sanktionierung von Loyalitätsverstößen und stellt in Absatz 1 Satz 3 klar, dass auch die einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung nach erfolgloser Ausschöpfung milderer Maßnahmen sowie unter Berücksichtigung der Schwere des Loyalitätsverstoßes in Betracht kommt. In Form von Regelbeispielen benennt Art. 5 Abs. 2 GrO bestimmte Loyalitätsverstöße, die aus Sicht der Kirche im Regelfall derart schwerwiegend sind, dass sie grundsätzlich geeignet sind, eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen zu rechtfertigen; hierdurch werden zugleich die in Art. 4 GrO auferlegten Loyalitätsobliegenheiten - wenn auch nicht abschließend - konkretisiert. Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 2 GrO benennt als schwerwiegenden Loyalitätsverstoß ausdrücklich den "Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe".

157

Für die durch Art. 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 GrO gesteigerten Loyalitätsanforderungen unterworfenen Mitarbeiter stellt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO klar, dass die vorstehend genannten, generell als Kündigungsgrund in Betracht kommenden Verstöße die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung in aller Regel ausschließen, wenn sie von einem leitenden Mitarbeiter begangen werden. Ein Absehen von der Kündigung soll ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn schwerwiegende Umstände des Einzelfalls die Kündigung als unangemessen erscheinen lassen (vgl. Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO).

158

bb) Für den Kläger des Ausgangsverfahrens, der als Chefarzt zur Gruppe der leitenden Mitarbeiter zählt, war demnach bereits bei Vertragsschluss aufgrund der in Bezug genommenen Regelungen der Grundordnung erkennbar, dass ein Loyalitätsverstoß durch Eingehung einer zweiten Ehe im Hinblick auf den Bestand seiner nach kirchlichem Recht geschlossenen ersten Ehe im Regelfall die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses als arbeitsrechtliche Sanktion nach sich ziehen würde. Tatbestand und Rechtsfolge eines derartigen Loyalitätsverstoßes waren zudem durch § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrages konkretisiert. Dem Kläger des Ausgangsverfahrens war danach bei der Entscheidung, die hiermit verbundene partielle Beschränkung seiner Freiheitsrechte durch Eingehung des Arbeitsverhältnisses mit der Beschwerdeführerin zu deren Konditionen hinzunehmen, der Umfang der damit eingegangenen Selbstbindung bewusst oder er hätte ihm jedenfalls bewusst sein müssen. Dies gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass nach dem in der Grundordnung zum Ausdruck kommenden Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche an einen katholischen Arbeitnehmer mit leitenden Aufgaben wegen seiner Konfession und der konkret bekleideten Stellung gesteigerte Erwartungen im Hinblick auf die Kenntnis der kirchlichen Lehre als Teil des beruflichen Anforderungsprofils gestellt werden können (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 71).

159

c) Weder die Loyalitätsobliegenheit als solche noch die arbeitsrechtliche Sanktionierung von Verstößen aufgrund der Konfession einerseits und der leitenden Stellung andererseits ist verfassungsrechtlich zu beanstanden.

160

aa) Die durch Art. 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 GrO auferlegte und durch Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 2 GrO konkretisierte Loyalitätserwartung an die Mitarbeiter der römisch-katholischen Kirche, den nach katholischem Verständnis besonderen Charakter der kirchenrechtlich geschlossenen Ehe als dauerhaften und unauflöslichen Bund zwischen Mann und Frau zu respektieren und zu schützen, ist auf grundlegende und durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Glaubenssätze der römisch-katholischen Kirche rückführbar.

161

bb) Auch die Abstufung der Loyalitätsobliegenheiten nach der Konfession des kirchlichen Arbeitnehmers mit ihrer grundlegenden Kategorisierung nach Katholiken (Art. 4 Abs. 1 GrO), Nichtkatholiken (Art. 4 Abs. 2 GrO) und Nichtchristen (Art. 4 Abs. 3 GrO) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 4. Juni 1985 die beson-dere Bedeutung von Loyalitätserwartungen gegenüber Mitgliedern der eigenen Kirche anerkannt (vgl. BVerfGE 70, 138 <166>). Denn für die Kirchen kann ihre Glaubwürdigkeit davon abhängen, dass gerade ihre Mitglieder, die in ein Arbeitsverhältnis zu ihnen treten, die kirchliche Ordnung - auch in ihrer Lebensführung - respektieren. Die Abstufung knüpft zudem an die differenzierte Bindungswirkung des kanonischen Rechts an. Durch das katholische Kirchenrecht auferlegte Pflichten gelten ausschließlich für Katholiken (vgl. Can. 11 CIC).

162

cc) Die in Art. 4 Abs. 1 Satz 3, Art. 5 Abs. 3 GrO vorgesehene Verschärfung der Loyalitätsobliegenheiten von Arbeitnehmern in leitender Stellung ist ebenfalls von der Verfassung gedeckt. Leitende Arbeitnehmer nehmen Funktionen wahr, die hohe Bedeutung für Bestand, Entwicklung, Struktur und Umsetzung der vorgegebenen Ziele der kirchlichen Einrichtung haben. Ihnen kommt eine besondere Verantwortung für die Wahrung des spezifisch religiösen Charakters und damit der Erfüllung von Sendung und Auftrag der Kirche zu. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die außerkirchliche als auch die innerkirchliche Öffentlichkeit (vgl. Dütz, NJW 1994, S. 1369 <1371, 1373>).

163

3. Das Bundesarbeitsgericht hat im Rahmen der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG bei der Gewichtung der Interessen der Beschwerdeführerin Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV) verkannt. Es hat auf der ersten Stufe eine eigenständige Bewertung religiös vorgeprägter Sachverhalte vorgenommen und seine eigene Einschätzung der Bedeutung der Loyalitätsobliegenheit und des Gewichtes eines Verstoßes hiergegen an die Stelle der kirchlichen Einschätzung gesetzt, obschon diese anerkannten kirchlichen Maßstäben entspricht und nicht mit grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen in Widerspruch steht. Auf diese Weise hat es die Unwirksamkeit der Kündigung mit einem vermeintlich leichteren Gewicht der Rechtsposition der Beschwerdeführerin begründet - deren Bestimmung jedoch allein Sache der verfassten römisch-katholischen Kirche gewesen wäre -, statt ein besonders hohes Gewicht der Gegenposition des Klägers des Ausgangsverfahrens in die Abwägung einzubringen (vgl. auch: Reichold/Hartmeyer, AP Nr. 92 zu § 1 KSchG 1969, Bl. 1675 ff.; Pötters, EzA § 611 BGB 2002 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 21, S. 15 ff.; Magen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 41 <48 ff.>; Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, S. 225 <230>).

164

a) Soweit das Bundesarbeitsgericht zu Lasten der Beschwerdeführerin darauf abstellt, dass nach Art. 3 Abs. 2 GrO auch nichtkatholische Personen mit leitenden Aufgaben betraut werden können und die römisch-katholische Kirche es daher offenbar nicht als zwingend erforderlich erachte, Führungspositionen an das Lebenszeugnis für die katholische Sittenlehre zu knüpfen (BAG, Urteil vom 8. September 2011, S. 14 UA (Rn. 41)), liegt hierin eine unzulässige eigene Bewertung der Schwere des Loyalitätsverstoßes. Das Gericht überprüft die in Ausübung der Kirchenautonomie getroffene Abstufung von Loyalitätsobliegenheiten (vgl. BVerfGE 70, 138 <167 f.>) nach Konfession und Stellung im Allgemeinen und erachtet sie anhand seiner eigenen - säkularen - Maßstäbe als widersprüchlich.

165

aa) Die römisch-katholische Kirche hat in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts bei der flächendeckenden Promulgation der Grundordnung festgelegt, dass der kirchliche Arbeitgeber in der Regel leitende Aufgaben nur einer Person übertragen kann, die katholischen Glaubens ist (vgl. Art. 3 Abs. 2 GrO). In diesem Fall unterliegt der Mitarbeiter nicht nur den nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrO für alle katholischen Mitarbeiter geltenden Loyalitätsobliegenheiten, sondern erfährt aufgrund seiner Leitungsposition auch die in Art. 4 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 GrO enthaltene weitere Verschärfung der an ihn gerichteten Loyalitätserwartungen. Im Falle des Verstoßes gegen diese Anforderungen sieht Art. 5 Abs. 3 GrO als Regelfall die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor, erachtet den Loyalitätsverstoß also als besonders schwerwiegend. Hiervon ist die Beschwerdeführerin auch im vorliegenden Fall ausgegangen.

166

bb) Diese Einschätzung stellt das Bundesarbeitsgericht dadurch infrage, dass es auf die in der Grundordnung offengehaltene Möglichkeit verweist, leitende Aufgaben - im Ausnahmefall (vgl. hierzu etwa Ziff. 3 der "Ausführungsrichtlinien und Hinweise zur Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" der Diözese Münster vom 1. April 1994) - auch nichtkatholischen christlichen Mitarbeitern zu übertragen. Zudem erachtet das Bundesarbeitsgericht unter Übergehung der kirchlichen Einschätzung zwei Tatbestände als vergleichbar, die für die römisch-katholische Kirche von ganz unterschiedlichem Gewicht sind: Für ihre Glaubwürdigkeit, die Integrität der Dienstgemeinschaft und die Vertrauensbasis der Mitarbeiterschaft hat es ein signifikant anderes Gewicht, ob in Ausnahmefällen in leitenden Funktionen auch Personen beschäftigt werden, die aus kirchenrechtlichen Gründen von Beginn an nur verminderten Loyalitätsobliegenheiten unterliegen oder ob Personen weiterbeschäftigt werden müssen, die gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zur katholischen Kirche bevorzugt diese Positionen erhalten haben und daher erhöhten Loyalitätsbindungen unterliegen, diese aber bewusst brechen und damit nicht nur gegen ihre arbeitsvertraglichen Obliegenheiten, sondern auch gegen ihre Pflichten als Mitglied der Kirche verstoßen.

167

b) Auch soweit das Bundesarbeitsgericht aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit mehrfach auch Chefärzte weiterbeschäftigt habe, die als Geschiedene erneut geheiratet hatten, auf ein vermindertes Kündigungsinteresse geschlossen hat, setzt es seine Einschätzung der Gewichtigkeit des durch den Kläger des Ausgangsverfahrens begangenen Loyalitätsverstoßes an die Stelle der verfassten Kirche, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein.

168

aa) Dies gilt zunächst, soweit das Bundesarbeitsgericht auch nichtkatholische geschiedene Chefärzte in seine Betrachtung eingestellt hat. Das Gericht stellt wiederum die Abstufung von Loyalitätsanforderungen nach der Konfession des Stelleninhabers insgesamt in Frage. Dabei setzt es sich über die bereits im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 enthaltene Vorgabe hinweg, wonach auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine "Abstufung" der Loyalitätsobliegenheiten eingreifen soll, eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit ist (vgl. BVerfGE 70, 138 <167 f.>).

169

bb) Nichts anderes gilt, soweit das Bundesarbeitsgericht auf die Weiterbeschäftigung katholischer Chefärzte nach ihrer Wiederheirat verweist. Das Bundesarbeitsgericht wäre von Verfassungs wegen nur dann zu einer eigenständigen Gewichtung des Loyalitätsverstoßes des Klägers des Ausgangsverfahrens entgegen der kirchlichen Einschätzung ermächtigt gewesen, wenn es durch die Anwendung der kirchlicherseits vorgegebenen Kriterien mit den grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen in Widerspruch geraten wäre. Dies ist nicht der Fall. Insbesondere ist die durch die Beschwerdeführerin vorgenommene hohe Gewichtung des Loyalitätsverstoßes seitens des Klägers des Ausgangsverfahrens auch in Anbetracht der Fälle, in denen katholischen Chefärzten nach Wiederverheiratung nicht gekündigt worden war, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. auch Reichold/Hartmeyer, AP Nr. 92 zu § 1 KSchG 1969, Bl. 1675 <1678>).

170

(1) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf im Urteil vom 1. Juli 2010, an die das Bundesarbeitsgericht gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG in Verbindung mit § 559 Abs. 1 ZPO gebunden ist, waren in der Vergangenheit lediglich zwei katholische Chefärzte nach erneuter Heirat weiterbeschäftigt worden. Im ersten Fall erfuhr die Beschwerdeführerin von der Wiederverheiratung des Chefarztes erst einen Monat vor dessen altersbedingtem Ausscheiden und sah in Anbetracht dieses Umstands von einer Kündigung ab. Im zweiten Fall lag der sachgerechte Grund für die abweichende Vorgehensweise der Beschwerdeführerin in der zwischenzeitlich deutlich geänderten innerkirchlichen Rechtslage und der daraus sich ergebenden Vorhersehbarkeit einer Kündigung im Falle einer Wieder- heirat.

171

(2) Verfassungsrechtlich nicht haltbar ist daher auch die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts, gerade hieraus lasse sich für den Fall des Klägers des Ausgangsverfahrens der Rückschluss ziehen, dass die Beschwerdeführerin das Ethos ihrer Organisation durch eine differenzierte Handhabung bei der Anwendung und Durchsetzung ihres legitimen Loyalitätsbedürfnisses selbst nicht zwingend gefährdet sah. Einerseits beruht sie auf der wenig überzeugenden Prämisse, dass Kompromissbereitschaft aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ein Nachweis dafür sei, dass der kompromittierte Wert nicht hoch eingeschätzt werde (vgl. Magen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 41 <49 f.>). Andererseits basiert sie auf der unzutreffenden Annahme, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht falle bei der Abwägung nur dann ins Gewicht, wenn es - auch unter Überspielung der eigenen Grundsätze - seitens der Kirchen ausnahmslos durchgesetzt werde. Ein derartiger "Kündigungsautomatismus", den das Bundesarbeitsgericht der Beschwerdeführerin abzuverlangen scheint, ist jedoch nicht nur dem deutschen Kündigungsschutzrecht fremd, sondern steht auch im Widerspruch zu verfassungsrechtlichen (vgl. BVerfGE 70, 138 <166 f.>) wie konventionsrechtlichen Vorgaben (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51).

172

c) Auch die Annahme des Bundesarbeitsgerichts, die Beschwerdeführerin habe nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bereits seit längerem von dem ehelosen Zusammenleben des Klägers mit seiner späteren zweiten Ehefrau gewusst was erkennen lasse, dass die Beschwerdeführerin ihre Glaubwürdigkeit nicht durch jeden Loyalitätsverstoß eines Mitarbeiters als erschüttert ansehe (vgl. BAG, Urteil vom 8. September 2011, S. 14 UA (Rn. 43)), verfehlt die verfassungsrechtlichen Anforderungen und verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV (zu Fragen des Vertrauensschutzes, vgl. Rn. 181). Das Bundesarbeitsgericht setzt sich über den Maßstab der verfassten Kirche hinweg, indem es das Leben in kirchlich ungültiger Ehe mit dem Leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gleichsetzt und aus der vermeintlich bestehenden Gleichwertigkeit beider Tatbestände Rückschlüsse auf eine das Kündigungsinteresse der Beschwerdeführerin verringernde Inkonsistenz der arbeitsrechtlichen Gewichtung und Sanktionierung von Loyalitätsverstößen zieht (vgl. auch Pötters, EzA § 611 BGB 2002 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 21, S. 15<18>; Reichold/Hartmeyer, AP Nr. 92 zu § 1 KSchG 1969, Bl. 1675 <1678>).

173

aa) Die Grundordnung als relevanter Maßstab der verfassten Kirche sieht - neben anderen Tatbeständen - nur den Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe als ausreichend schwerwiegenden Loyalitätsverstoß an, der eine Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigen kann (Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 2 GrO) und bei leitenden Arbeitnehmern nach Einschätzung der Kirche im Regelfall auch rechtfertigt (Art. 5 Abs. 3 GrO). Diese scharfe Sanktionierung des Loyalitätsverstoßes beruht auf dem besonderen sakramentalen Charakter der Ehe und dem für das katholische Glaubensverständnis zentralen Dogma der Unauflöslichkeit des gültig geschlossenen Ehebandes zu Lebzeiten.

174

Das ehelose Zusammenleben mit einem anderen Partner trotz fortbestehender Ehe hat nach dem Maßstab der verfassten römisch-katholischen Kirche demgegenüber eine andere Qualität. Zwar entspricht die nichteheliche Lebensgemeinschaft neben einer weiterbestehenden Ehe ebenfalls nicht dem Ethos der römisch-katholischen Kirche. Die katholischen Diözesanbischöfe haben jedoch in Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und in Ausfüllung der durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 den Kirchen überlassenen Spielräume entschieden, diesem Glaubenssatz mit Wirkung für das weltliche Arbeitsverhältnis nicht dasselbe Gewicht zuzumessen wie dem Verbot der erneuten Heirat zu Lebzeiten des ursprünglichen Ehepartners. Die Beschwerdeführerin betont in diesem Zusammenhang, dass erst durch die Wiederheirat der Loyalitätsverstoß eine neue Qualität erreiche, indem der Bruch mit der nach kirchlichem Recht weiterhin gültigen Ehe offiziell dokumentiert und perpetuiert werde (vgl. hierzu bereits: Rüfner, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 66, S. 901 <923>). Die Wiederverheiratung schaffe zugleich einen kaum mehr änderbaren Dauerzustand, während der Ehebruch - obschon nach der Lehre der Kirche eindeutig missbilligt - durch ein zukünftiges Unterlassen korrigierbar sei und daher noch die Möglichkeit bestehe, dass die eheliche Lebensgemeinschaft wieder hergestellt werde.

175

bb) Dieses in der Grundordnung zum Ausdruck gebrachte und für die welt-lichen Gerichte grundsätzlich bindende Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche, dass gerade der Bruch des sakramentalen Bandes durch eine erneute Heirat einen "wesentlichen Grundsatz der Glaubens- und Sittenlehre" für die römisch-katholische Kirche verletzt und hierin ein besonders schwerwiegender Loyalitätsverstoß zu erblicken ist, ist plausibel und beruht in Anbetracht des Vorstehenden nicht auf einem Verstoß gegen grundlegende verfassungsrechtliche Gewährleistungen, so dass es durch die staatlichen Gerichte ihren Entscheidungen zugrunde zu legen gewesen wäre.

176

Dies hat das Bundesarbeitsgericht missachtet und zugleich die Einschätzung der römisch-katholischen Kirche über die für sie relevanten Loyalitätsobliegenheiten dadurch relativiert, dass es aus der Tatsache, dass ein nach Einschätzung des Gerichts vermeintlich gleichwertiger Loyalitätsverstoß nicht konsequent geahndet wird, auf eine generelle Duldung auch anderer Pflichtverletzungen und eine Vernachlässigung der diesen zugrunde liegenden Prinzipien geschlossen hat. Indem das Bundesarbeitsgericht hierdurch die Kenntnis der Beschwerdeführerin von einem nach Einschätzung der verfassten Kirche qualitativ andersartigen und unbedeutenderen Loyalitätsverstoß zum Anlass nimmt, ihr Interesse an der arbeitsrechtlichen Ahndung des aus ihrer Sicht schwerwiegenderen Loyalitätsverstoßes des Klägers des Ausgangsverfahrens in Frage zu stellen, hat es die auf Grundlage ihrer katholischen Glaubensgrundsätze durch die Kirche gebildete Abstufung der Loyalitätsobliegenheiten und arbeitsrechtlichen Sanktionierungen nivelliert und dem in Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Beschwerdeführerin nicht in dem gebotenen Umfang Rechnung getragen.

III.

177

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Bundesarbeitsgericht wird bei der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG die praktische Konkordanz zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und der korporativen Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) auf Seiten der Beschwerdeführerin und dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) sowie dem Gedanken des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) auf Seiten des Klägers des Ausgangsverfahrens herzustellen haben (vgl. hierzu BVerfGE 89, 214 <232>; 97, 169 <176>).

178

1. Art. 6 Abs. 1 GG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts (vgl. BVerfGE 6, 55 <71 f.>; 6, 386 <388>; 9, 237 <248>; 22, 93 <98>; 24, 119 <135>; 61, 18 <25>; 62, 323 <329>; 76, 1 <41, 49>; 105, 313 <346>; 107, 205 <212 f.>; 131, 239 <259>). Er stellt Ehe und Familie als die Keimzelle jeder menschlichen Gemeinschaft unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung (vgl. BVerfGE 6, 55 <72>; 55, 114 <126>; 105, 313 <346>) und garantiert eine Sphäre privater Lebensgestaltung, die staatlicher Einwirkung entzogen ist (stRspr., vgl. BVerfGE 21, 329 <353>; 61, 319 <346 f.>; 99, 216 <231>; 107, 27 <53>). Zum Gehalt der Ehe, wie er sich ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Änderungen ihrer rechtlichen Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung bekommen hat, gehört, dass sie die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ist, begründet auf freiem Entschluss unter Mitwirkung des Staates (vgl. BVerfGE 10, 59 <66>; 29, 166 <176>; 62, 323 <330>; 105, 313 <345>; 115, 1 <19>; 121, 175 <193>; 131, 239 <259>), in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander stehen (vgl. BVerfGE 37, 217 <249 ff.>; 103, 89 <101>; 105, 313 <345>) und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens frei entscheiden können (vgl. BVerfGE 39, 169 <183>; 48, 327 <338>; 66, 84 <94>; 105, 313 <345>).

179

Maßgeblich aus Sicht des Grundgesetzes ist dabei das Bild einer "verweltlichten" bürgerlich-rechtlichen Ehe (vgl. BVerfGE 31, 58 <82 f.>), das durch das christliche Eheverständnis traditionell geprägt, aber mit diesem nicht inhaltlich identisch ist. Da die konstitutiven Merkmale einer Ehe und die Gründe ihrer Aufhebung in der kirchlichen und der staatlichen Rechtsordnung nicht kongruent sind, können daher Bestand und Fortbestand einer Ehe aus Sicht des Staates und aus Sicht der Kirche unterschiedlich beurteilt werden (vgl. Pirson, in: Listl/ders., Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 28, S. 787 <798>). Zwar ist auch nach dem deutschen Eherecht die Ehe eine auf Lebenszeit geschlossene Gemeinschaft (vgl. § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB), sie ist jedoch im Gegensatz zu der nach katholischem Ritus geschlossenen Ehe nicht unauflöslich, sondern kann unter den im Gesetz normierten Voraussetzungen geschieden werden, wodurch die Ehegatten ihre Eheschließungsfreiheit wiedererlangen (vgl. BVerfGE 10, 59 <66>; 31, 58 <82>; 53, 224 <245, 250>). Aus diesem Grund kann eine nach einer vorherigen Scheidung geschlossene Ehe verfassungsrechtlich nicht geringer bewertet werden als die Erstehe (vgl. BVerfGE 55, 114 <128 f.>; 66, 84 <93>; 68, 256 <267 f.>; 108, 351 <364>).

180

2. Bisher hat das Bundesarbeitsgericht lediglich festgestellt, dass der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG zu Gunsten des Klägers des Ausgangsverfahrens und seiner zweiten Ehefrau eröffnet ist und dass der Schutz von Ehe und Familie daher - ebenso wie die Wertungen aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 12 EMRK - im Wege mittelbarer Drittwirkung bei der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG Berücksichtigung zu finden hat. Es hat jedoch bisher nicht dargelegt, weshalb diese Rechtspositionen, die begrifflich bei ausnahmslos jeder Kündigung wegen Wiederverheiratung betroffen sind, gerade im vorliegenden Fall in einem Maße tangiert sind, das es rechtfertigen würde, den Interessen des Klägers des Ausgangsverfahrens den Vorrang vor den Interessen der Beschwerdeführerin einzuräumen. Der Hinweis auf die Eröffnung des Schutzbereichs kann für sich genommen hierfür nicht ausreichen, da anderenfalls die in Ausübung des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts festgelegte Loyalitätsobliegenheit entwertet (vgl. auch: Joussen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 27 <38>) und ein Vorrang von Art. 6 Abs. 1 GG gegenüber den kirchlichen Rechtspositionen vermutet würde, der verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Andererseits reicht dieser Hinweis auch nicht, um der für den Kläger des Ausgangsverfahrens und seiner jetzigen Ehefrau aus der Situation erwachsenden emotionalen Zwangslage gerecht zu werden. Das Bundesarbeitsgericht wird daher - gegebenenfalls nach Ermöglichung ergänzender Tatsachenfeststellungen - eine eingehende und alle wesentliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Abwägung der durch die Kündigung tangierten Rechtspositionen der Beschwerdeführerin und des Klägers des Ausgangsverfahrens vorzunehmen haben.

181

3. Das Bundesarbeitsgericht wird auch den Gedanken des Vertrauensschutzes insoweit zu würdigen haben, als § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrages in Abweichung von der Grundordnung unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich von Verstößen gegen kirchliche Grundsätze - Verstoß gegen das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe einerseits und Verstoß gegen das Verbot des Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft andererseits - nicht vorsieht und die individualvertragliche Abrede besonderes Vertrauen des Arbeitnehmers ausgelöst haben könnte.

182

4. Ferner wird es zu beachten haben, dass die Freiwilligkeit der Eingehung von Loyalitätsobliegenheiten durch den kirchlichen Arbeitnehmer im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist (vgl. BAG, Urteil vom 25. April 2013 - 2 AZR 579/12 - juris, Rn. 32; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010 Nr. 1620/03, § 71; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011 Nr. 18136/02, § 46) und dem Arbeitgeber nach einem einmaligen Fehlverhalten die Fortführung des Arbeitsverhältnisses eher zugemutet werden kann als in Konstellationen, in denen er dauerhaft mit dem illoyalen Verhalten des Arbeitnehmers konfrontiert wird (vgl. BAG, Urteil vom 25. Mai 1988 - 7 AZR 506/87 - juris, Rn. 27; hierzu auch: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. Januar 2001 - 1 BvR 619/92 -, juris, Rn. 8 f.).

D.

183

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Dies erscheint auch in Anbetracht des durch die Beschwerdeführerin noch vollständig erreichbaren (fachgerichtlichen) Rechtsschutzziels nicht als unangemessen.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Ungeachtet der Vorschrift des Artikels 31 bleiben Bestimmungen der Landesverfassungen auch insoweit in Kraft, als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 dieses Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

(2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.

Tenor

1. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 4 Absatz 1 und Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 140 des Grundgesetzes und Artikel 137 Absatz 3 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung). Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.

3. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin ein Drittel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Frage, in welchem Umfang die arbeitsvertragliche Festlegung glaubensbezogener Loyalitätserwartungen durch einen kirchlichen Arbeitgeber und die Gewichtung eines durch den Arbeitnehmer hiergegen begangenen Verstoßes im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens der eigenständigen Überprüfung und Beurteilung seitens der staatlichen Gerichte zugänglich sind.

I.

2

1. Die Arbeit im sozial-karitativen Sektor, vor allem in der Kranken- und Altenpflege, der Behindertenbetreuung sowie der Kinder- und Jugenderziehung stellt neben der Verkündigung des Evangeliums und der Feier der Eucharistie einen Tätigkeitsschwerpunkt der christlichen Kirchen dar. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt dabei entweder unmittelbar durch kirchliche Untergliederungen oder durch rechtlich verselbständigte Vereinigungen und Einrichtungen, die überwiegend in den Wohlfahrtsverbänden der Caritas (römisch-katholische Kirche) und der Diakonie (evangelische Landeskirchen) zusammengeschlossen sind. Die Wohlfahrtsverbände und die einzelnen Träger der Einrichtungen sind regelmäßig als juristische Personen des Privatrechts organisiert. Deren ideelle und organisatorische Verbindungen zur jeweiligen Kirche werden meist durch Satzungsbestimmungen geregelt, die die inhaltliche und personelle Ausrichtung auf die verfasste Kirche festlegen.

3

Seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist die Zahl der kirchlichen Arbeitnehmer sprunghaft angewachsen. Ursachen dieser Entwicklung sind zum einen die gesellschaftlich bedingte Ausweitung kirchlich getragener Tätigkeiten, vor allem im Bereich der Wohlfahrtspflege, die eine zunehmende Professionalisierung der Mitarbeiter erforderte, zum anderen die kontinuierlich abnehmende Zahl der Angehörigen von Orden und ähnlichen Gemeinschaften, die früher zahlreiche Sozial- und Bildungseinrichtungen betrieben hatten (vgl. Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 <672 f.>). Aufgrund dieser Entwicklung erwies es sich für die Kirchen als unausweichlich, in großem Umfang auch fremdkonfessionelle und nichtchristliche Arbeitnehmer in den kirchlichen Dienst einzubeziehen, um den steigenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften zu decken.

4

2. Der Gesamtheit des kirchlichen Dienstes liegt nach dem Selbstverständnis der christlichen Kirchen das Leitbild der Dienstgemeinschaft zugrunde (vgl. hierzu bereits: BVerfGE 53, 366 <403 f.>; 70, 138 <165>). Es beschreibt die kirchenspezifische Besonderheit ihres Dienstes, die sich auf ein Gemeinschaftsverhältnis zwischen kirchlichem Arbeitgeber und kirchlichem Arbeitnehmer bezieht und auf die religiöse Bindung des Auftrags kirchlicher Einrichtungen gerichtet ist. Grundgedanke der Dienstgemeinschaft ist die gemeinsam getragene Verantwortung aller im kirchlichen Dienst Tätigen - sei es als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, leitend oder untergeordnet, verkündigungsnah oder unterstützend - für den Auftrag der Kirche (vgl. Keßler, in: Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 461 <465>).

5

Nach dem Selbstverständnis der Kirchen erfordert der Dienst am Herrn die Verkündigung des Evangeliums (Zeugnis), den Gottesdienst (Feier) und den aus dem Glauben erwachsenden Dienst am Mitmenschen (Nächstenliebe). Wer in Einrichtungen tätig wird, die der Erfüllung eines oder mehrerer dieser christlichen Grunddienste zu dienen bestimmt sind, trägt demnach dazu bei, dass diese Einrichtungen ihren Teil am Heilswerk Jesu Christi leisten und damit den Sendungsauftrag seiner Kirche erfüllen können (vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 6. Aufl. 2012, § 4 Rn. 10; Zweites Vatikanisches Konzil, Apostolicam Actuositatem <"Dekret über das Laienapostolat">, Art. 2, zum römisch-katholischen Verständnis).

6

3. Zum Schutz der Integrität der Dienstgemeinschaft und zur Wahrung der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung in der Öffentlichkeit nehmen kirchliche Arbeitgeber für sich in Anspruch, arbeitsvertraglich gegenüber ihren Arbeitnehmern besondere Loyalitätserwartungen einzufordern, um die Beachtung der tragenden Grundsätze ihrer jeweiligen Glaubens- und Sittenlehre zu gewährleisten.

7

a) Diese sogenannten Loyalitätsobliegenheiten begründen nicht vertragliche Nebenpflichten in Bezug auf die Erbringung der rechtsgeschäftlich zugesagten Dienstleistung, sondern betreffen allgemein das - auch außerdienstliche - Verhalten des Arbeitnehmers (vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 6. Aufl. 2012, § 6 Rn. 24, m.w.N.). Ihnen fehlt regelmäßig die "Qualität erzwingbarer Rechtspflichten" (BVerfGE 70, 138 <141>). Ihre Missachtung durch den Arbeitnehmer führt jedoch unter Umständen dazu, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem illoyalen Mitarbeiter für den kirchlichen Arbeitgeber unzumutbar wird und ihn zur Kündigung berechtigt.

8

b) Inhalt und Umfang der arbeitsrechtlichen Loyalitätsobliegenheiten können sich über die gesetzlichen Kündigungsvorschriften auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses auswirken. Im Falle der Verletzung einer Loyalitätsobliegenheit kommt sowohl eine ordentliche (§ 1 Abs. 1 KSchG) als auch eine außerordentliche (§ 626 Abs. 1 BGB) Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht. Ab Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich unter sukzessiver Aufgabe früherer Ansätze in der Rechtsprechung (vgl. BAGE 2, 279 ff.) eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der die Festlegung besonderer Loyalitätsobliegenheiten nur noch für solche kirchlichen Arbeitnehmer möglich sein sollte, deren Tätigkeit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem kirchlichen Verkündigungsauftrag stand (vgl. BAG, Urteil vom 25. April 1978 - 1 AZR 70/76 -, juris, Rn. 33; Urteil vom 4. März 1980 - 1 AZR 125/78 -, juris, Rn. 26; Urteil vom 14. Oktober 1980 - 1 AZR 1274/79 -, juris, Rn. 43 ff.; Urteil vom 21. Oktober 1982 - 2 AZR 591/80 -, juris, Rn. 36 f.; Urteil vom 23. März 1984 - 7 AZR 249/81 -, juris, Rn. 39; Urteil vom 31. Oktober 1984 - 7 AZR 232/83 -, juris, Rn. 32). Die Feststellung, ob eine solche "kirchenspezifische" Tätigkeit im konkreten Einzelfall vorlag, sollte hierbei - in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Kündigung von Tendenzträgern in Tendenzbetrieben - der vollumfänglichen Überprüfung durch die staatlichen Arbeitsgerichte unterliegen (vgl. nur: BAG, Urteil vom 14. Oktober 1980 - 1 AZR 1274/79 -, juris, Rn. 45; Urteil vom 21. Oktober 1982 - 2 AZR 591/80 -, juris, Rn. 36 f.).

9

c) Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat durch Beschluss vom 4. Juni 1985 (BVerfGE 70, 138 ff.) festgestellt, dass diese arbeitsgerichtliche Rechtsprechung gegen das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) verstößt und den verfassten Kirchen grundsätzlich die verbindliche Entscheidung darüber zugesprochen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre" sind und was als - gegebenenfalls schwerer - Verstoß gegen diese anzusehen ist. An diese Einschätzung seien die Arbeitsgerichte gebunden, es sei denn, sie begäben sich dadurch in Widerspruch "zu Grundprinzipien der Rechtsordnung" (so BVerfGE 70, 138 <168>; vgl. auch: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. Januar 2001 - 1 BvR 619/92 -, juris; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 7. März 2002 - 1 BvR 1962/01 -, juris).

10

d) Für die römisch-katholische Kirche verabschiedete die Gesamtheit der deutschen (Erz-)Bischöfe am 22. September 1993 eine Fortschreibung der "Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst" (nachfolgend: Erklärung) sowie die "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" (nachfolgend: Grundordnung, GrO), durch die in Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts die verfassungsgerichtlich anerkannten Freiräume durch eine eigene kirchenrechtliche Regelung in einer zugleich rechts- und sozialstaatlichen Anforderungen genügenden Weise ausgefüllt werden sollten (vgl. Dütz, NJW 1994, ,S. 1369 <1369>). Ausgehend vom Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft setzt die Grundordnung die grundlegenden Aussagen der Erklärung zur Eigenart des kirchlichen Dienstes, zu den Anforderungen an Träger und Leitung kirchlicher Einrichtungen sowie an die Mitarbeiter, zur Koalitionsfreiheit und zum besonderen Regelungsverfahren zur Beteiligung der Mitarbeiter an der Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse (sogenannter Dritter Weg) sowie zum gerichtlichen Rechtsschutz normativ um.

11

Die wesentlichen Vorschriften der Grundordnung betreffend die Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten und die arbeitsrechtliche Ahndung von Verstößen hiergegen lauten:

Art. 1. Grundprinzipien des kirchlichen Dienstes

Alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen tragen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann (Dienstgemeinschaft). Alle Beteiligten, Dienstgeber sowie leitende und ausführende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, müssen anerkennen und ihrem Handeln zugrunde legen, dass Zielsetzung und Tätigkeit, Organisationsstruktur und Leitung der Einrichtung, für die sie tätig sind, sich an der Glaubens- und Sittenlehre und an der Rechtsordnung der katholischen Kirche auszurichten haben.

Art. 3. Begründung des Arbeitsverhältnisses

(1) Der kirchliche Dienstgeber muss bei der Einstellung darauf achten, dass eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter die Eigenart des kirchlichen Dienstes bejahen. Er muss auch prüfen, ob die Bewerberin und der Bewerber geeignet und befähigt sind, die vorgesehene Aufgabe so zu erfüllen, dass sie der Stellung der Einrichtung in der Kirche und der übertragenen Funktion gerecht werden.

(2) Der kirchliche Dienstgeber kann pastorale, katechetische sowie in der Regel erzieherische und leitende Aufgaben nur einer Person übertragen, die der katholischen Kirche angehört.

(…)

(5) Der kirchliche Dienstgeber hat vor Abschluss des Arbeitsvertrages durch Befragung und Aufklärung der Bewerberinnen und Bewerber sicherzustellen, dass sie die für sie nach dem Arbeitsvertrag geltenden Loyalitätsobliegenheiten (Art. 4) erfüllen.

Art. 4. Loyalitätsobliegenheiten

(1) Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Insbesondere im pastoralen, katechetischen und erzieherischen Dienst sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind, ist das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erforderlich. Dies gilt auch für leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(2) Von nichtkatholischen christlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Wahrheiten und Werte des Evangeliums achten und dazu beitragen, sie in der Einrichtung zur Geltung zu bringen.

(…)

(4) Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen. Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden.

Art. 5. Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten

(1) Erfüllt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr, so muss der Dienstgeber durch Beratung versuchen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter diesen Mangel auf Dauer beseitigt. Im konkreten Fall ist zu prüfen, ob schon ein solches klärendes Gespräch oder eine Abmahnung, ein formeller Verweis oder eine andere Maßnahme (z. B. Versetzung, Änderungskündigung) geeignet sind, dem Obliegenheitsverstoß zu begegnen. Als letzte Maßnahme kommt eine Kündigung in Betracht.

(2) Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht die Kirche insbesondere folgende Loyalitätsverstöße als schwerwiegend an:

- Verletzungen der gemäß Art. 3 und 4 von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter zu erfüllenden Obliegenheiten, insbesondere Kirchenaustritt, öffentliches Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z.B. hinsichtlich der Abtreibung) und schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen,

- Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe,

- Handlungen, die kirchenrechtlich als eindeutige Distanzierungen von der katholischen Kirche anzusehen sind, vor allem Abfall vom Glauben (Apostasie oder Häresie gemäß Can. 1364 § 1 iVm. Can. 751 CIC), Verunehrung der heiligen Eucharistie (Can. 1367 CIC), öffentliche Gotteslästerung und Hervorrufen von Haß und Verachtung gegen Religion und Kirche (Can. 1369 CIC), Straftaten gegen die kirchlichen Autoritäten und die Freiheit der Kirche (insbesondere gemäß den Can. 1373, 1374 CIC).

(3) Ein nach Abs. 2 generell als Kündigungsgrund in Betracht kommendes Verhalten schließt die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung aus, wenn es begangen wird von pastoral, katechetisch oder leitend tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind. Von einer Kündigung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen.

(4) Wird eine Weiterbeschäftigung nicht bereits nach Abs. 3 ausgeschlossen, so hängt im Übrigen die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung von den Einzelfallumständen ab, insbesondere vom Ausmaß einer Gefährdung der Glaubwürdigkeit von Kirche und kirchlicher Einrichtung, von der Belastung der kirchlichen Dienstgemeinschaft, der Art der Einrichtung, dem Charakter der übertragenen Aufgabe, deren Nähe zum kirchlichen Verkündigungsauftrag, von der Stellung der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters in der Einrichtung sowie von der Art und dem Gewicht der Obliegenheitsverletzung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Lehre der Kirche bekämpft oder sie anerkennt, aber im konkreten Fall versagt.

(5) (…) Im Fall des Abschlusses einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe scheidet eine Weiterbeschäftigung jedenfalls dann aus, wenn sie unter öffentliches Ärgernis erregenden oder die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigenden Umständen geschlossen wird (z. B. nach böswilligem Verlassen von Ehepartner und Kindern).

12

e) Vergleichbare Regelungen existieren in den meisten evangelischen Landeskirchen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat nach dem Vorbild der Grundordnung die "Richtlinie über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonischen Werkes der EKD" vom 1. Juli 2005 erlassen.

II.

13

1. Die Beschwerdeführerin ist kirchliche Trägerin des katholischen V.-Krankenhauses in D. Seit dem 1. Januar 2000 beschäftigt sie dort den katholischen Kläger des Ausgangsverfahrens (nachfolgend: Kläger) als Chefarzt der Abteilung ... Dessen durchschnittliches Bruttogehalt betrug zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung ... Euro monatlich.

14

a) Der Dienstvertrag vom 12. Oktober 1999 betont in seiner Präambel die nach katholischem Verständnis zwischen allen in einer kirchlichen Einrichtung Tätigen bestehende Dienstgemeinschaft, die von den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre getragen werden soll und verweist zur Ausgestaltung dessen auf die Grundordnung sowie weitere außervertragliche Regelungen:

Grundlage des Vertrages

Das V.-Krankenhaus ist ein katholisches Krankenhaus.

Mit diesem Krankenhaus erfüllt der Träger eine Aufgabe der Caritas als eine Lebens- und Wesensäußerung der Katholischen Kirche. Mitarbeiter im Krankenhaus leisten deshalb ihren Dienst im Geist christlicher Nächstenliebe. Dienstgeber und alle Mitarbeiter des Krankenhauses bilden ohne Rücksicht auf ihre Tätigkeit und Stellung eine Dienstgemeinschaft, die vom Dienstgeber und allen Mitarbeitern die Bereitschaft zu gemeinsam getragener Verantwortung und vertrauensvoller Zusammenarbeit fordert und ohne Einhaltung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre keinen Bestand haben kann.

In Anerkennung dieser Grundlage und unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.93 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 222), der Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 05.11.96 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 321), der Satzung des Krankenhauses und dem Organisationsstatut in den jeweils geltenden Fassungen wird folgendes vereinbart: (…)

15

b) § 10 des Dienstvertrages enthält nähere Bestimmungen über die Dauer und Beendigung des Arbeitsverhältnisses:

§ 10 Vertragsdauer

(1) Der Dienstvertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.

(…)

(4) Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB bleibt unberührt. Als wichtige Gründe zählen u. a. insbesondere:

1. (…)

2. ein grober Verstoß gegen kirchliche Grundsätze, z. B. Erklärung des Kirchenaustritts, Beteiligung an einer Abtreibung, Leben in kirchlich ungültiger Ehe oder eheähnlicher Gemeinschaft.

16

c) In der Präambel des Dienstvertrages wird auf die Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1996 in der Fassung vom 27. März 2001 Bezug genommen. Diese bestimmt in Buchstabe A Ziffer 6 Satz 2 die Dienststellung als Abteilungsarzt als leitende Aufgabe im Sinne der Grundordnung:

A. Zuordnung zur Kirche

6. Für den Träger ist die auf der Grundlage der Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst erlassene "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993" nebst Änderungen und Ergänzungen verbindlich. Als leitend tätige Mitarbeiter im Sinne der genannten Grundordnung gelten die Mitglieder der Krankenhausbetriebsleitung und die Abteilungsärzte. (…)

17

2. a) Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und zu Beginn des Dienstverhältnisses war der Kläger nach katholischem Ritus in erster Ehe verheiratet. Ende 2005 trennten sich die Ehepartner. Zwischen 2006 und 2008 lebte der Kläger mit einer neuen Lebensgefährtin zusammen. Nach den späteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war dieses ehelose Zusammenleben dem damaligen Geschäftsführer der Beschwerdeführerin spätestens seit Herbst 2006 bekannt. Anfang 2008 wurde die erste Ehe des Klägers nach staatlichem Recht geschieden.

18

b) Im August 2008 heiratete der Kläger seine Lebensgefährtin standesamtlich. Hiervon erfuhr die Beschwerdeführerin im November 2008. Eine kirchenrechtliche Annullierung der ersten Ehe war bis zu diesem Zeitpunkt nicht ausgesprochen worden.

19

c) In der Folgezeit fanden zwischen der Beschwerdeführerin und dem Kläger mehrere Gespräche über die Auswirkungen seiner zweiten Heirat auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses statt. Hierbei teilte der Kläger der Beschwerdeführerin mit, dass er ein kirchengerichtliches Verfahren zur Annullierung seiner ersten Ehe beantragt habe. Er beabsichtige nicht, die eheliche Gemeinschaft mit seiner ersten Ehefrau wiederherzustellen. Nach Anhörung der bestehenden Mitarbeitervertretung kündigte die Beschwerdeführerin das Arbeitsverhältnis im März 2009 ordentlich mit Wirkung zum 30. September 2009.

20

3. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht D. Mit Urteil vom 30. Juli 2009 - 6 Ca 2377/09 - stellte das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst worden sei und verurteilte die Beschwerdeführerin zur Weiterbeschäftigung des Klägers.

21

Das Arbeitsgericht vertrat die Auffassung, dass bis zum Abschluss des schwebenden Annullierungsverfahrens vor der kirchlichen Gerichtsbarkeit nicht feststehe, ob dem Kläger durch die Eheschließung ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß vorzuwerfen sei. Zwar habe der Kläger unstreitig das Verbot der neuen Ehe während eines schwebenden Annullierungsverfahrens (Can. 1085 § 2 CIC) missachtet. Ein Verstoß gegen diese - nach Auffassung des Gerichts als bloße Ordnungsvorschrift zu qualifizierende - Vorgabe sei jedoch in der Grundordnung nicht als schwerwiegender Loyalitätsverstoß genannt und damit ungeeignet, einen Grund für die verhaltensbedingte Kündigung darzustellen. In Anbetracht dessen sei die Kündigung auch als unverhältnismäßig anzusehen. Es sei der Beschwerdeführerin zuzumuten gewesen, die Entscheidung über das Annullierungsverfahren vor Ausspruch der Kündigung abzuwarten.

22

4. Die hiergegen von der Beschwerdeführerin eingelegte Berufung wurde durch das Landesarbeitsgericht D. mit Urteil vom 1. Juli 2010 - 5 Sa 996/09 - zurückgewiesen.

23

a) Das Gericht nahm zwar an, dass das Verhalten des Klägers grundsätzlich einen geeigneten Kündigungsgrund darstelle. Insbesondere könne sich dieser entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht auf das schwebende Annullierungsverfahren berufen. Auch ein Verstoß gegen Can. 1085 § 2 CIC sei generell geeignet, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.

24

b) Allerdings falle die im Rahmen des § 1 Abs. 2 KSchG gebotene Interessenabwägung zu Lasten der Beschwerdeführerin aus. Diese habe den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht ausreichend beachtet und den Kläger hierdurch in unzulässiger Weise benachteiligt. Nach den Feststellungen der Kammer habe die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit zumindest zwei geschiedenen Chefärzten katholischer Konfession nach Wiederverheiratung nicht gekündigt. Dabei sei es unbeachtlich, dass einer der Fälle bereits 30 Jahre zurückliege und in dem anderen Fall die Kündigung nur unterblieben sei, weil die zweite Ehe des Arbeitnehmers erst einen Monat vor dessen altersbedingtem Ausscheiden aus dem Dienst bekannt geworden sei. Das Verhalten der Beschwerdeführerin zeige jedenfalls, dass sie in der Vergangenheit offenbar bereit gewesen sei, vergleichbare Verstöße unter bestimmten Umständen zu tolerieren.

25

c) Zudem habe die Beschwerdeführerin ihr Kündigungsrecht verwirkt. Es sei ihr verwehrt, sich auf den Kündigungsgrund der ungültigen zweiten Ehe zu berufen, da sie jahrelang den gleichwertigen Kündigungsgrund des "Lebens in eheähnlicher Gemeinschaft" akzeptiert oder zumindest toleriert habe. Der Kläger habe in Anbetracht der Untätigkeit der Beschwerdeführerin über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren darauf vertrauen können, dass sein privates Verhalten zu keinerlei arbeitsrechtlichen Sanktionen mehr führen und die Beschwerdeführerin auf einen gleichwertigen Loyalitätsverstoß ("ungültige Ehe") ebenfalls nicht mit einer Kündigung reagieren werde.

26

5. Die Revision der Beschwerdeführerin zum Bundesarbeitsgericht wies dieses durch Urteil vom 8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - zurück.

27

a) Entgegen der Auffassung des Klägers dürfte das Kündigungsrecht der Beschwerdeführerin nicht verwirkt sein, da eine Kündigung mit "illoyaler" Verspätung nicht vorliege. Die Beschwerdeführerin habe nach Kenntnis von der Wiederverheiratung noch das in der Grundordnung vorgesehene Beratungsgespräch mit dem Kläger durchführen und verschiedene Gremien (Aufsichtsrat, Generalvikariat) beteiligen müssen. Es sei nicht zu beanstanden, dass sie angesichts der weitreichenden Folgen dabei umsichtig und ohne Hast vorgegangen sei. Letztlich komme es auf eine etwaige Verwirkung des Kündigungsrechts indes nicht an. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

28

b) Der Kläger habe allerdings durch die Wiederverheiratung gegen seine Loyalitätsobliegenheit aus dem Arbeitsvertrag (§ 10 Abs. 4 Nr. 2) und gegen die darin in Bezug genommene Grundordnung (Art. 5 Abs. 2 GrO) verstoßen.

29

Das Verlangen der Beschwerdeführerin nach Einhaltung der Vorschriften der katholischen Glaubens- und Sittenlehre stehe im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Zwar könne sich der Kläger auf das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie auf den Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) berufen, die auch die Freiheit umfassten, eine zweite Ehe nach staatlichem Recht einzugehen. Dabei stehe die private Lebensgestaltung in der Regel außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers und werde durch arbeitsvertragliche Pflichten nur insoweit eingeschränkt, wie sich das private Verhalten auf den betrieblichen Bereich auswirke und dort zu Störungen führe. Diese Grundrechte könnten jedoch zu Gunsten des ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV) eingeschränkt werden, auf das sich die Beschwerdeführerin als der Kirche zugeordnete karitative Einrichtung berufen könne. Die Festlegung bestimmter Loyalitätsanforderungen in einem Arbeitsvertrag durch den kirchlichen Arbeitgeber stelle eine Ausübung des "verfassungskräftigen" Selbstbestimmungsrechts dar. Die Frage, welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richte sich nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben, die verbindlich bestimmen könnten, welche Schwere einzelnen Loyalitätsverstößen zukomme und ob innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätsanforderungen stattfinde. Die Arbeitsgerichte hätten die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung einzelner Loyalitätsanforderungen zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirche anerkenne, hierüber selbst zu befinden.

30

Durch die Eingehung seiner zweiten Ehe habe der Kläger den Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe verletzt. Dieser zähle zu den wesentlichen Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre. Für "leitend tätige" Mitarbeiter scheide nach der maßgeblichen kirchlichen Vorgabe (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO) eine Weiterbeschäftigung in diesem Falle aus.

31

c) Die nach § 1 Abs. 2 KSchG gebotene Abwägung der beiderseitigen Interessen führe jedoch zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführerin die Fortführung des Arbeitsverhältnisses zumutbar sei.

32

aa) Zu ihren Gunsten wiege die unverkennbare Schwere des Loyalitätsverstoßes. Die Beschwerdeführerin habe als katholische Einrichtung das vom Grundgesetz gestützte Recht, auch als solche zu wirken und in Erscheinung zu treten. Sie verstehe ihr karitatives Tun im Sinne der Erfüllung eines religiösen Auftrages. Nach der katholischen Sittenlehre sei die Unauflöslichkeit der Ehe Teil der umfassenden, nicht verfügbaren und einheitlichen Auffassung vom Menschen als Geschöpf Gottes. Dass sich Menschen aufgrund einer sie verbindenden religiösen Auffassung zusammenfänden und ihre Angelegenheiten nach Maßstäben ordnen könnten, die nicht vom Staat oder der jeweils herrschenden öffentlichen Meinung über die Natur des Menschen korrigiert werden dürften, werde auch durch Art. 9 und 11 EMRK geschützt.

33

bb) In seinem Gewicht entscheidend geschwächt werde das Interesse der Beschwerdeführerin an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses jedoch durch drei Umstände, aus denen hervorgehe, dass sie selbst die Auffassung vertrete, einer ausnahmslosen Durchsetzung ihrer sittlichen Ansprüche zur Wahrung ihrer Glaubwürdigkeit nicht immer zu bedürfen.

34

(1) So könne die Beschwerdeführerin erstens nach Art. 3 Abs. 2 GrO auch nichtkatholische Personen mit leitenden Tätigkeiten betrauen. Die Beschwerdeführerin sei insofern durch die Grundordnung nicht gezwungen, ihr "Wohl und Wehe" bedingungslos mit dem Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter für die katholische Sittenlehre zu verknüpfen.

35

(2) Durch diese Rechtslage sei es zweitens auch zu erklären, dass die Beschwerdeführerin mehrfach Chefärzte beschäftigt habe beziehungsweise noch beschäftige, die als Geschiedene erneut geheiratet hätten. Es handele sich hierbei überwiegend um nichtkatholische Arbeitnehmer und katholische Arbeitnehmer in besonderen Lebenslagen, denen gegenüber sie von vornherein nicht die strenge Befolgung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verlange. Hierin liege zwar - in Abweichung von der Einschätzung des Landesarbeitsgerichts - kein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Andererseits werde hierdurch aber deutlich, dass die Beschwerdeführerin das Ethos ihrer Organisation durch eine differenzierte Handhabung bei der Anwendung und Durchsetzung ihres legitimen Loyalitätsbedürfnisses selbst nicht zwingend gefährdet sehe.

36

(3) Drittens habe die Beschwerdeführerin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den nach dem Vertrag der Parteien der Wiederverheiratung gleichwertigen Verstoß des ehelosen Zusammenlebens des Klägers seit Herbst 2006 gekannt und hingenommen. Dies zeige, dass sie selbst ihre moralische Glaubwürdigkeit nicht ausnahmslos bei jedem Loyalitätsverstoß als erschüttert betrachte.

37

cc) Jedenfalls sei der Beschwerdeführerin die Weiterbeschäftigung des Klägers dann zumutbar, wenn dessen Belange gegen die ihren abgewogen würden. Zugunsten des Klägers falle sein durch Art. 8 und 12 EMRK geschützter Wunsch in die Waagschale, in einer bürgerlichen Ehe mit seiner jetzigen Frau zu leben. Freilich habe der Kläger als Katholik durch den Vertragsschluss mit der Beschwerdeführerin in die Einschränkung seines Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingewilligt; die Nichterfüllung seiner religiösen Pflichten geschehe jedoch nicht aus einer ablehnenden oder gleichgültigen Haltung heraus. Der Kläger habe seine ethischen Pflichten nicht in Abrede gestellt und sich zu keinem Zeitpunkt gegen die kirchliche Sittenlehre ausgesprochen oder ihre Geltung oder Zweckmäßigkeit in Zweifel gezogen. Im Gegenteil versuche er, den ihm nach kanonischem Recht verbliebenen Weg zur kirchenrechtlichen Legalisierung seiner Ehe zu beschreiten.

III.

38

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin Verletzungen von Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV.

39

1. Die Arbeitsgerichte hätten in ihren Entscheidungen die Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und des Rechts auf freie Religionsausübung verkannt.

40

a) Nach den Grundsätzen des deutschen Religionsverfassungs- und Staatskirchenrechts dürften staatliche Gerichte nicht bewerten, ob ein bestimmtes Verhalten tatsächlich von der jeweiligen Religion gefordert werde oder nicht. Allein die Kirchen selbst könnten bestimmen, was die jeweilige Glaubensüberzeugung gebiete. Umgekehrt dürfe dies von einem staatlichen Gericht auch nicht verlangt werden, da es anderenfalls seine religiöse Neutralität, die ebenfalls Verfassungsrang genieße, verlieren würde.

41

Entsprechend sei es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 (BVerfGE 70, 138 ff.) nicht Sache der staatlichen Arbeitsgerichte, sondern obliege im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts allein der jeweiligen Kirche, aus ihren religiösen Überzeugungen heraus selbst festzulegen, welche Loyalitätserwartungen sie an ihre Mitarbeiter stelle, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordere und welches Gewicht ein Loyalitätsverstoß habe. Die durch die Kirche insoweit verbindlich festgelegten Loyalitätsanforderungen und die Gewichtung von Verstößen hiergegen seien durch die staatlichen Gerichte nur darauf zu überprüfen, ob die Grundprinzipien der Rechtsordnung diesen entgegenstünden. Eine eigenständige Gewichtung der Loyalitätsverstöße sei ihnen jedoch verwehrt. Die von den Arbeitsgerichten vorzunehmende Abwägung habe sich folglich auf die der Kündigung entgegenstehenden Belange aus der Sphäre des jeweiligen Arbeitnehmers zu beschränken.

42

b) Die angegriffene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts werde diesen Anforderungen nicht gerecht. Das Revisionsurteil wiege im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht das Selbstbestimmungsrecht mit gegenläufigen Rechtspositionen des Arbeitnehmers ab, sondern bestimme - abweichend von den kirchenrechtlichen Maßstäben - selbst das Gewicht des Loyalitätsverstoßes und damit das Kündigungsinteresse der Kirche. Eine Abwägung mit den Interessen des Klägers finde nur oberflächlich am Ende des Urteils statt. Damit verstecke das Gericht hinter seiner Abwägungsentscheidung eine eigene Bewertung kirchenrechtlicher Maßstäbe, von denen es inhaltlich grundlegend abweiche.

43

aa) Eine unzulässige Abweichung von den kirchenrechtlichen Maßstäben liege zunächst darin, dass das Bundesarbeitsgericht als Ausgangspunkt des Abwägungsvorgangs darauf abstelle, ob durch das Verhalten des Klägers die Glaubwürdigkeit der Kirche in der Öffentlichkeit leide.

44

Schutzgut des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und der Religionsfreiheit sei jedoch nicht vorrangig das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit, sondern die religiöse Überzeugung und die Freiheit, nach dieser zu leben. Das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit sei hiervon nur ein untergeordneter Teilaspekt. Entscheidend sei vielmehr, ob es mit den Zielen der Kirche vereinbar sei, wenn ein (leitender) Mitarbeiter erkennbar in Widerspruch zu den Überzeugungen und Lehren der Kirche lebe. Dies gefährde das Wesen der Dienstgemeinschaft, die Grund und Grenze der Besonderheiten der Zweckbestimmung des kirchlichen Dienstes darstelle. Daher wende sich die Kirche auch unabhängig von der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit gegen Loyalitätsverstöße, weil diese ihr Wirken und die Integrität des kirchlichen Dienstes in Frage stellten.

45

bb) Zudem sei es unzulässig, in die Abwägung zugunsten des Klägers einzustellen, das Gewicht des Interesses der Beschwerdeführerin an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses werde entscheidend dadurch geschwächt, dass sie auch Nichtkatholiken in leitenden Positionen beschäftige und insofern offensichtlich nicht gezwungen sei, eine Führungsfunktion gleichsam bedingungslos mit dem Lebenszeugnis für die katholische Sittenlehre zu verknüpfen.

46

Dies verkenne die kirchenrechtlichen Vorgaben der Grundordnung. Ob diese sachgerecht seien, dürfe das weltliche Gericht nicht hinterfragen. Entscheidend sei allein, dass die Kirche für die Mitarbeit an ihrem Sendungsauftrag nur Personen zulassen wolle, die sich mit ihren Zielen identifizieren könnten. Die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts sei zudem in sich widersprüchlich. Einerseits erkenne es - rechtlich zutreffend - an, dass die Kirche gegenüber nichtkatholischen Mitarbeitern nicht dieselben Loyalitätserwartungen formulieren könne wie gegenüber Katholiken. Andererseits schließe es aus dieser Ungleichbehandlung, dass die römisch-katholische Kirche ihre Grundsätze nicht mehr ernst nehme.

47

cc) Ebenso sei es unzulässig, darauf abzustellen, dass die Beschwerdeführerin in anderen Fällen der Wiederverheiratung von (nichtkatholischen) Chefärzten nicht den Schritt der Kündigung gegangen sei.

48

Auch hier habe das Bundesarbeitsgericht die in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in den kirchengesetzlichen Regelungen angelegte Differenzierung zwischen Katholiken und Nichtkatholiken verkannt. Nur für den katholischen Mitarbeiter sei die Ehe ein Sakrament. Daher stelle sich bei diesem das Eingehen einer ungültigen Ehe als deutlich schwererer Loyalitätsverstoß dar. Indem das Bundesarbeitsgericht die Wiederverheiratung von katholischen und nichtkatholischen Mitarbeitern auf eine Ebene stelle, relativiere es die Einschätzung der Kirche über die Schwere der durch den Kläger begangenen Pflichtverletzung.

49

dd) Ferner setze sich das Bundesarbeitsgericht über kirchenrechtliche Maßstäbe hinweg, wenn es die Wiederheirat mit dem Leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gleichsetze.

50

Damit verkenne das Bundesarbeitsgericht, dass es sich bei der Wiederheirat um eine Pflichtverletzung von besonders schwerwiegender und endgültiger Qualität handele, die weit über das bloße ehelose Zusammenleben hinausgehe. Das Kirchenrecht unterscheide dies ausdrücklich, indem Art. 5 Abs. 2 GrO nur den Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe explizit als besonders schwerwiegenden Verstoß und eigenständigen Kündigungsgrund formuliere. Zwar entspreche auch die nichteheliche Lebensgemeinschaft außerhalb einer weiterbestehenden gültigen Ehe nicht dem Ethos der römisch-katholischen Kirche. Durch die Wiederheirat erreiche der Loyalitätsverstoß jedoch eine neue Qualität: Der Bruch mit der nach kirchlichem Recht weiterhin gültigen Ehe werde offiziell dokumentiert und perpetuiert. An diese, dem kirchlichen Selbstverständnis entspringende Unterscheidung sei auch das weltliche Gericht gebunden.

51

ee) Schließlich werde die Schwere des Loyalitätsverstoßes entgegen der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht dadurch gemindert, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens sich nicht vom katholischen Glauben abgewendet habe.

52

Auch durch diesen Gesichtspunkt der Abwägungsentscheidung korrigiere das Gericht die kirchenrechtlich zutreffende Einschätzung, dass die Wiederheirat einen schweren Loyalitätsverstoß darstelle, nach seiner eigenen Einschätzung und stelle sich in die Position der Kirche. Hierzu sei es nicht befugt. Zudem verkenne es, dass schon der objektive Tatbestand der Wiederheirat einen Loyalitätsverstoß darstelle, ohne dass es auf eine innere Abkehr von den Werten der Kirche ankomme. Diese würde, läge sie vor, sogar einen zusätzlichen, von der Wiederheirat unabhängigen Loyalitätsverstoß darstellen. Dies mache auch die Systematik der Grundordnung deutlich, indem sie die Apostasie und Häresie sowie verschiedene Formen des öffentlichen Eintretens gegen tragende Grundsätze der Kirche als Loyalitätsverstöße definiere, die alternativ zur Wiederheirat eine Kündigung rechtfertigen könnten. Auch habe allein die Einleitung eines Annullierungsverfahrens nach kirchenrechtlichen Maßstäben keine rechtfertigende oder schuldmindernde Bedeutung.

53

c) Auf diesen Verstößen gegen Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV beruhe das Urteil. Jede der durch das Gericht vorgenommenen Gewichtungen sei schon für sich ein tragendes Element der Abwägungsentscheidung; spätestens in der Zusammenschau seien sie notwendige Bedingung für die Erfolglosigkeit der Revision der Beschwerdeführerin. Dies gelte umso mehr, als keine Abwägung im eigentlichen Sinne - also mit den Interessen des Klägers - stattfinde.

54

2. Eine andere Bewertung sei auch nicht vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geboten.

55

a) Grundsätzlich seien die Europäische Menschenrechtskonvention und die hierzu ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zwar von den nationalen Gerichten so weit wie möglich bei der Rechtsanwendung zu berücksichtigen. Eine schematische Parallelisierung sei hingegen nicht erforderlich. Gerade im Bereich der Religionsfreiheit sei bei der Rezeption der Europäischen Menschenrechtskonvention in die innerstaatliche Rechtsordnung Augenmaß angebracht. Der Gerichtshof habe in seiner jüngeren Rechtsprechung wiederholt zu erkennen gegeben, dass er bereit sei, unterschiedliche Konzeptionen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu akzeptieren. So habe der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 6. Dezember 2011 (Baudler u.a. v. Deutschland) einen ausgeprägten Schutz des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts anerkannt und es als mit Art. 6 EMRK vereinbar angesehen, dass ein staatlicher Rechtsweg zur Überprüfung rein innerkirchlicher Angelegenheiten in Deutschland nicht bestehe.

56

Zudem sei zu berücksichtigen, dass es sich im vorliegenden Falle um ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis handele, bei dem ein "Mehr" an Freiheit für einen Grundrechtsträger zugleich ein "Weniger" für einen anderen bedeute. Diese Grundrechtskollision wirke als Rezeptionshemmnis, zumal auch die Menschenrechtskonvention selbst eine Einschränkung des Grundrechtsschutzes auf Grundlage ihrer Garantien verbiete (Art. 53 EMRK).

57

b) Aber auch die zum kirchlichen Arbeitsrecht ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte selbst erfordere keine Abkehr von den durch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 4. Juni 1985 entwickelten Maßstäben.

58

aa) In der Entscheidung Obst v. Deutschland vom 23. September 2010 habe der Gerichtshof den Ansatz des deutschen Arbeitsrechts gebilligt, bei der Bewertung der Schwere des Loyalitätsverstoßes auf die Bedeutung ehelicher Treue für die den Arbeitnehmer kündigende Kirche abzustellen. Auch habe der Gerichtshof es als zulässig erachtet, dass die Kirchen gegenüber ihren Angestellten weitergehende Loyalitätspflichten als andere Arbeitgeber definieren würden.

59

bb) Gleiches gelte hinsichtlich der Entscheidung Siebenhaar v. Deutschland vom 3. Februar 2011.

60

cc) Schließlich stehe die Entscheidung Schüth v. Deutschland vom 23. September 2010 diesem Maßstab nicht entgegen, wenn auch der Gerichtshof im konkreten Einzelfall zur Konventionswidrigkeit der deutschen Gerichtsurteile gelangt sei. Der Gerichtshof habe lediglich die unzureichende Abwägung der Fachgerichte mit den Rechtspositionen des Arbeitnehmers beanstandet, die tatsächlich nur oberflächlich und ohne inhaltliche Konkretisierungen vorgenommen worden sei. Zudem sei der konkrete Abwägungsvorgang unzureichend dargelegt worden. Weitergehende Anforderungen an den Abwägungsprozess, etwa eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Loyalitätsanforderungen oder gar deren volle gerichtliche Kontrolle, seien durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte jedoch nicht aufgestellt worden.

IV.

61

1. Die Verfassungsbeschwerde wurde dem Bundesministerium der Justiz, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, dem Kommissariat der deutschen Bischöfe, dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R., dem Marburger Bund e.V. (Bundesverband) und dem Kläger des Ausgangsverfahrens zugestellt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

62

a) Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts verteidigt die angefochtene Revisionsentscheidung vom 8. September 2011. Der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts habe aus § 1 Abs. 2 KSchG in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung der übrigen Senate des Gerichts ein zweistufiges Prüfprogramm abgeleitet, nach dem eine Kündigung aus in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Gründen im Anwendungsbereich des KSchG nur dann sozial gerechtfertigt sei, wenn der Arbeitnehmer für die vertraglich geschuldete Tätigkeit ungeeignet sei oder eine Vertragspflicht erheblich verletzt habe (erste Stufe) und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheine (zweite Stufe).

63

Auf beiden Stufen habe der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts in Übereinstimmung mit den verfassungsgerichtlichen Vorgaben und unter Orientierung an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das kirchliche Selbstbestimmungsrecht angemessen berücksichtigt. Dies gelte auch für die Abwägungsentscheidung, in die das Selbstbestimmungsrecht als abwägungserheblicher Belang eingestellt worden sei. Diese Vorgehensweise erlaube differenzierte Abwägungsergebnisse, die im konkreten Einzelfall zu Lasten der Beschwerdeführerin erfolgt seien. Dies zeige auch der Vergleich zur Entscheidung vom 25. April 2013 (- 2 AZR 579/12 - NZA 2013, S. 1131 ff.), in der der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts im Falle des Kirchenaustritts festgestellt habe, dass die Kündigung eines im verkündigungsnahen Bereich eingesetzten kirchlichen Arbeitnehmers gerechtfertigt gewesen sei. In diesem Einzelfall habe die Abwägung dazu geführt, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit des kirchlichen Arbeitnehmers sowie dessen Beschäftigungsdauer und Lebensalter hinter das Selbstbestimmungsrecht des kirchlichen Arbeitgebers zurückzutreten habe, weil der gekündigte Arbeitnehmer nicht nur in einzelnen Punkten kirchlichen Loyalitätsanforderungen nicht mehr gerecht geworden sei, sondern sich durch den Austritt insgesamt von der kirchlichen Glaubensgemeinschaft losgesagt habe.

64

b) Der gemäß § 94 Abs. 3 BVerfGG am Verfahren beteiligte Kläger des Ausgangsverfahrens ist der Auffassung, dass der Verfassungsbeschwerde kein Erfolg zu bescheiden sei.

65

Es genüge zur Wahrung der geschützten Verfassungsrechtspositionen des Arbeitnehmers nicht, nur bei einem Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung eine Einschränkung der kirchlichen Autonomie zuzulassen und dementsprechend bei der im Kündigungsschutzprozess vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen die autonom von den Kirchen bestimmte Gewichtung der Loyalitätspflichten zu betonen. Vielmehr müssten sich die kirchliche Autonomie und speziell die ihren Arbeitnehmern abverlangten Loyalitätspflichten von vornherein eine Kontrastierung mit den entgegenstehenden Grundrechten der kirchlichen Arbeitnehmer gefallen lassen, die durch Gewichtung der auf dem Spiel stehenden Verfassungsrechtsgüter, durch Berücksichtigung ihrer Wechselwirkung und schließlich durch Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit dem Ziel der Herstellung praktischer Konkordanz zu erfolgen habe. Soweit zur kirchlichen Autonomie auch die Befugnis gehöre, verbindlich zu bestimmen, welches die wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre seien, was als (schwerer) Verstoß gegen diese anzusehen sei, sowie ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätspflichten eingreifen solle, bedürfe dies mit Blick auf kollidierendes Verfassungsrecht einer Relativierung, wenn es - wie in diesem Fall - nicht um Arbeitsrechtsverhältnisse gehe, die in spezifischer Weise durch den religiösen Auftrag und Glauben geprägt seien. Je mehr das jeweilige Arbeitsverhältnis durch den religiösen Auftrag und Glauben geprägt sei und, umgekehrt, je weniger sich das jeweilige Arbeitsverhältnis von vergleichbaren beruflichen Tätigkeiten bei nicht-kirchlichen Arbeitgebern unterscheide, könne sich die kirchliche Autonomie mehr oder weniger gegenüber Grundrechtspositionen des kirchlichen Arbeitnehmers durchsetzen.

66

Allein aus seiner leitenden Stellung könnten hinsichtlich der persönlichen Pflicht zur Identifikation mit der katholischen Glaubens- oder Sittenlehre nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an diejenigen Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse einen spezifisch religiösen Bezug aufwiesen. Andernfalls würden eine unverhältnismäßige Begünstigung der Selbstgesetzlichkeit der Kirche und eine nicht zu rechtfertigende Relativierung des staatlichen Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG begründet. Schließlich könne bei der Interessenabwägung nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die römisch-katholische Kirche zunehmend den Wiederverheirateten öffne und auch die Eucharistie für diese Gruppe nicht mehr ausschließe.

67

c) Für die römisch-katholische Kirche hat das Kommissariat der deutschen Bischöfe eine Stellungnahme des Direktors des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Prof. Dr. Ansgar Hense, vorgelegt und sich inhaltlich zu Eigen gemacht. Dieser schließt sich den Ausführungen der Beschwerdeführerin im Ergebnis an und vertieft ihre Argumentation.

68

Die Verfassung gewährleiste nicht nur das karitative Wirken der Kirchen als eine ihrer Lebens- und Wesensäußerungen, sondern auch die grundsätzlich autonome Ausgestaltung der kircheneigenen Angelegenheiten im Rahmen der für alle geltenden Gesetze. Die Verwirklichung des Religiösen beschränke sich dabei nicht nur auf eine bloß spirituelle, liturgische Seite, sondern erstrecke sich gleichermaßen auf den religiösen Dienst in und an der Welt und umfasse auch die organisatorischen Voraussetzungen, die nach dem jeweiligen kirchlichen Selbstverständnis erforderlich seien, um diesen religiösen Dienst erfüllen zu können. Weder objektive noch gesellschaftlich vorherrschende Maßstäbe dürften diese definieren, da das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gerade die Abwehr solch fremdbestimmter Vorgänge verfassungsrechtlich verbürge. Aus diesem Grund werde das staatliche Individualarbeitsrecht partiell modifiziert. Im Rahmen des Willkürverbots, der guten Sitten und des ordre public sei es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausschließlich den Kirchen überlassen, die konkreten Loyalitätspflichten festzulegen, die nach dem jeweiligen Selbstverständnis erforderlich seien, und diese auch nach ihrer Bedeutung für das kirchliche Selbstverständnis zu gewichten. Dies beinhalte auch das Recht, darüber zu entscheiden, ob und - bejahendenfalls - welche Abstufungen der Loyalitätspflichten vorgenommen werden sollten. In der römisch-katholischen Kirche sei dies in Gestalt der Grundordnung geschehen. Bei der konkreten Abwägung durch die weltlichen Gerichte im Rahmen des Kündigungsschutzrechts werde die kirchliche Bewertung des Loyalitätsverstoßes nicht zur quantité négligeable, sondern sei die maßgebliche Richtschnur für die Bewertung. Mit diesen Grundsätzen stehe die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 nicht in Einklang, weil das Gericht eine eigene Bewertung kirchlicher Maßstäbe vornehme und es letzten Endes unterlasse, einen Abwägungsprozess lege artis durchzuführen.

69

d) Der Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R. schließt sich ebenfalls den Ausführungen der Beschwerdeführerin an. Er betont, dass seine Situation zwar nicht mit den Organisationsstrukturen der Großkirchen verglichen werden könne. Dennoch seien die in der täglichen Arbeit auftretenden Fragen im Judentum vergleichbar.

70

Die verfassungsrechtliche Absicherung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts resultiere auch aus dem Erfordernis, eine uneingeschränkte Religionsausübung im Sinne des Grundgesetzes zu gewährleisten. Dies sei aber nur möglich, wenn Religionsgemeinschaften gerade im arbeitsrechtlichen Bereich frei darin seien, ihre eigenen religiösen Regeln als Grundvoraussetzung für ein Arbeitsverhältnis vorzugeben. Diese religiösen Regeln könnten höchst unterschiedlich ausgestaltet sein, seien jedoch im Rahmen der Religionsfreiheit durch die staatlichen Stellen zu akzeptieren, solange gültige Gesetze nicht verletzt und Menschen anderer Religionszugehörigkeit nicht betroffen seien. Jeder Mitarbeiter, der sich unmittelbar bei einer Religionsgemeinschaft oder einer von dieser getragenen Einrichtung bewerbe, wisse darum, dass die Religionsgemeinschaft eigene religiöse Regeln habe, zu deren Einhaltung er verpflichtet sei. Gehöre ein Bewerber darüber hinaus noch der betreffenden Religionsgemeinschaft an, sei es ihm umso mehr bewusst, dass er mit Eingehung des Beschäftigungsverhältnisses zusätzliche Loyalitätsverpflichtungen übernehme.

71

Im Falle der jüdischen Gemeinschaften in Deutschland sei daher Grundlage der arbeitsvertraglichen Bindungen, die jüdische Religion und Kultur in Deutschland zu leben und zu fördern sowie sozial bedürftige Juden in allen Bereichen zu unterstützen. Dabei seien die religiösen Erfordernisse schon bei Abschluss des Beschäftigungsverhältnisses zu berücksichtigen, da nur auf diese Weise gewährleistet werden könne, dass jeder Mitarbeiter in seinem Aufgabenbereich in die religiöse Dimension der jüdischen Gemeinschaft eingebunden sei. Die Bereitschaft hierzu sei ein wesentliches Kriterium für die Mitarbeiterauswahl und werde bei Abschluss von Beschäftigungsverhältnissen vorrangig berücksichtigt. Für eine fruchtbare Zusammenarbeit innerhalb der Religionsgemeinschaft sei es unverzichtbar, dass alle Mitarbeiter - insbesondere die jüdischen - sich des höheren Zwecks und des allgemeinen religiösen Zusammenhangs ihrer Tätigkeit bewusst seien.

72

e) Der Marburger Bund e.V. (Bundesverband) erachtet die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis für aussichtslos.

73

aa) Er tritt allgemein der Privilegierung kirchlicher Einrichtungen entgegen. Einrichtungen der Caritas oder Diakonie, die wie die Beschwerdeführerin in marktüblicher Weise in der Gesundheitswirtschaft agierten, dürften keine kirchlichen Sonderrechte in Anspruch nehmen. Wenn die Beschwerdeführerin die Richtungsentscheidung getroffen habe, am Wirtschaftsleben teilzunehmen, müsse sie sich unbeschadet ihrer Motivlage an denselben Maßstäben messen lassen, die auch für vergleichbare Klinikträger Geltung beanspruchten. Die unter Berufung auf die Loyalitätsobliegenheiten in Anspruch genommene Möglichkeit, die Maßstäbe für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses selbst festzulegen und durch Berufung auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht der Überprüfung durch weltliche Gerichte im Einzelfall zu entziehen, führe zu "strukturellen Defiziten" und erheblichen arbeitsmarktlichen Verwerfungen.

74

Gerade der Vergleich zu dem kollektivrechtlichen Arbeitsrechtsregelungsmechanismus belege die Widersprüchlichkeit des Handelns kirchlich getragener Einrichtungen. Während auf dem Dritten Weg vereinbarte Arbeitsbedingungen nach dem Willen der kirchlichen Einrichtungen durch Einbeziehung in die jeweiligen Arbeitsverträge für die Gesamtheit der Dienstgemeinschaft Geltung beanspruchen könnten, erachteten sie es im Gegensatz hierzu jedoch für zulässig, hinsichtlich der individualarbeitsrechtlich festgesetzten Loyalitätsobliegenheiten nach Konfession zu unterscheiden und an katholische Mitarbeiter strengere Loyalitätsanforderungen zu stellen. Für eine derartige Differenzierung bestehe nach weltlichen Maßstäben keine Rechtfertigung. Zudem liege gerade im Falle der Beschwerdeführerin ein faktischer Sanktionsverzicht durch ihr vorangegangenes Verhalten vor. Es sei anzunehmen, dass ein in der Vergangenheit "in allen Fällen generell geduldetes Verhalten" - hier die Wiederheirat - unbeschadet seiner grundsätzlichen kanonischen Wertung zu einem gewissen liberalen Verständnis bei Betroffenen und Dritten und der Erwartung entsprechenden Umgangs mit zukünftigen gleichartigen Sachverhalten geführt habe.

75

bb) Das Bundesarbeitsgericht habe mit seiner Entscheidung nicht die Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts verkannt. Die Einschätzung der Beschwerdeführerin, die Sachgerechtigkeit einer aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht folgenden Wertentscheidung unterliege nicht der Beurteilung durch das jeweils erkennende Gericht, lasse ein in Anbetracht der kanonischen Rechtstradition zwar nachvollziehbares, in der Sache jedoch unzutreffendes Verständnis des grundgesetzlich geschützten Rechtsschutzinteresses erkennen. Um sicherzustellen, dass die betroffene Kündigungsentscheidung nicht auf willkürlicher Grundlage zustande gekommen sei, stelle sich die Inbezugnahme zum grundlegenden moralischen Regelwerk der kirchlichen Einrichtung und ihrem bisherigen Verhalten in vergleichbar gelagerten Fällen als unumgänglich dar. Dies gelte umso mehr, als es die Beschwerdeführerin selbst in der Hand habe, bestimmte arbeitsrechtliche Sanktionen ohne Ermessensspielräume als zwingende Folge eines Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zu definieren und auszugestalten. Schon aus diesem Grund müssten die weltlichen Gerichte ermächtigt sein, die Stringenz und Konsistenz des bisherigen Verhaltens einer kirchlichen Einrichtung in vergleichbaren Fällen in ihre Betrachtungen einzustellen. Anderenfalls beschränke sich der gerichtliche Entscheidungsspielraum auf eine rein formale Überprüfung, die weder den Anforderungen des deutschen Kündigungsschutzrechts noch den europa- und völkerrechtlichen Vorgaben gerecht werde.

76

f) Die übrigen Äußerungsberechtigten und sachverständigen Dritten haben von einer Stellungnahme abgesehen.

77

2. Die Beschwerdeführerin und der Kläger des Ausgangsverfahrens haben von der Möglichkeit zur weiteren Äußerung nach Kenntnis der eingegangenen Stellungnahmen Gebrauch gemacht. Sie bekräftigen ihre jeweiligen Auffassungen und vertiefen ihren Vortrag. Nach Mitteilung der Beschwerdeführerin ist das durch den Kläger des Ausgangsverfahrens angestrengte kirchengerichtliche Verfahren zur Annullierung seiner ersten Ehe in zwei Instanzen erfolglos geblieben. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat hierzu keine weiteren Angaben gemacht.

78

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Senat bei der Entscheidungsfindung vorgelegen.

B.

79

Die Verfassungsbeschwerde ist nur zulässig, soweit sie sich gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts wendet. Im Übrigen genügt ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG), da sie sich ausschließlich mit der Revisionsentscheidung, nicht jedoch mit den Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts auseinandersetzt.

C.

80

Soweit sie zulässig ist, ist die Verfassungsbeschwerde begründet.

I.

81

Umfang und Grenzen der Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer in mit der Kirche verbundenen Organisationen und Einrichtungen und deren Überprüfung durch die staatlichen Arbeitsgerichte bestimmen sich nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung, WRV) und der korporativen Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (1.). Die staatlichen Gerichte haben auf einer ersten Prüfungsstufe zunächst im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der verfassten Kirche zu überprüfen, ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt (2.a.). Auf einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann unter dem Gesichtspunkt der Schranken des "für alle geltenden Gesetzes" eine Gesamtabwägung vorzunehmen, in der die - im Lichte des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen verstandenen - kirchlichen Belange und die korporative Religionsfreiheit mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und deren in den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen enthaltenen Interessen auszugleichen sind. Die widerstreitenden Rechtspositionen sind dabei jeweils in möglichst hohem Maße zu verwirklichen (2.b.). Ob die Arbeitsgerichte den Einfluss der Grundrechte ausreichend beachtet haben, unterliegt gegebenenfalls der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Für den Fall, dass Grundrechtsbestimmungen unmittelbar ausgelegt und angewandt werden, hat es dabei Reichweite und Grenzen der Grundrechte zu bestimmen und festzustellen, ob Grundrechte und Verfassungsbestimmungen ihrem Umfang und Gewicht nach in verfassungsrechtlich zutreffender Weise berücksichtigt worden sind (3.). Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geben insoweit keinen Anlass zu Modifikationen der Auslegung des Verfassungsrechts (4.).

82

1. Die Grundentscheidung der Verfassung für ein freiheitliches Religions- und Staatskirchenrecht wird durch Verfassungsgewährleistungen sichergestellt, deren inhaltliche Schutzbereiche sich teilweise überschneiden und hierdurch wechselseitig ergänzen. In ihrer Zusammenschau sind sie unterschiedliche Akzentuierungen derselben verfassungsrechtlich gewährten Freiheit (vgl. Isensee, in: Festschrift für Klaus Obermayer, 1986, S. 203 <205>).

83

a) Die durch Art. 140 GG inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung sind vollgültiges Verfassungsrecht und von gleicher Normqualität wie die sonstigen Verfassungsbestimmungen (vgl. BVerfGE 19, 206 <219>; 19, 226 <236>; 111, 10 <50>). Sie sind - mit Selbststand gegenüber der korporativen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG - untrennbarer Bestandteil des Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes, welches das für eine freiheitliche Demokratie wesentliche Grundrecht der Religionsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt in den Katalog der Grundrechte übernommen und es so gegenüber der Weimarer Reichsverfassung erheblich gestärkt hat (vgl. BVerfGE 102, 370 <387 m.w.N.>). Beide Gewährleistungen bilden ein organisches Ganzes (vgl. BVerfGE 70, 138 <167>; 125, 39 <80>; Listl, in: ders./Pirson , Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 14 S. 439 <444 f.>), wobei Art. 4 Abs. 1 und 2 GG den leitenden Bezugspunkt des deutschen staatskirchenrechtlichen Systems darstellt (vgl. BVerfGE 102, 370 <393>).

84

Zwischen der Glaubensfreiheit und den inkorporierten Normen der Weimarer Reichsverfassung besteht eine interpretatorische Wechselwirkung (vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 1. Aufl. 2011, § 119, S. 1167). Die Weimarer Kirchenartikel sind einerseits funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt (vgl. BVerfGE 42, 312 <322>; 102, 370 <387>; 125, 39 <74 f., 80>) und in dessen Lichte auszulegen, da sie das Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche regeln (Art. 137 Abs. 1 WRV). Sie enthalten in Gestalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 137 Abs. 3 WRV) und verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkte zu den Grundsätzen der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates und der Parität der Religionen und Bekenntnisse (vgl. BVerfGE 102, 370 <390, 393 f.>) die Grundprinzipien des staatskirchenrechtlichen Systems des Grundgesetzes. Andererseits wird der Gewährleistungsgehalt des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG in Verbindung mit den inkorporierten Artikeln der Weimarer Reichsverfassung institutionell konkretisiert und ergänzt (BVerfGE 99, 100<119>, vgl. auch BVerfGE 33, 23 <30 f.>; 42, 312 <322>; 83, 341 <354 f.>; 125, 39 <77 f.>; vgl. auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 1. Aufl. 2011, § 119, S. 1167). Die Weimarer Kirchenartikel sind also auch ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit der korporierten Religionsgesellschaften (vgl. BVerfGE 125, 39 <79>; vgl. auch BVerfGE 102, 370 <387>, zu Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV und BVerfGE 99, 100<119 ff.>, zu Art. 138 Abs. 2 WRV).

85

Soweit sich die Schutzbereiche der inkorporierten statusrechtlichen Artikel der WRV und der korporativen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG überlagern (vgl. BVerfGE 42, 312 <322>; 66, 1 <22>; zu verbleibenden Unterschieden etwa von Campenhausen, HStR VII, 3. Aufl. 2009, § 157, Rn. 125 m.w.N.), geht Art. 137 Abs. 3 WRV als speziellere Norm Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit vor, als er das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften der Schranke des für alle geltenden Gesetzes unterwirft (zur sog. Schrankenspezialität in diesem Fall s. Morlok, in: Dreier , GG, 3. Aufl. 2013, Art. 4, Rn. 109). Bei dem Ausgleich der gegenläufigen Interessen ist aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist.

86

b) Aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4, 137 Abs. 1 WRV, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 2 GG folgt eine Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität, die Grundlage des modernen, freiheitlichen Staates ist. In einem Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gelingen, wenn der Staat selbst in Glaubens- und Welt-anschauungsfragen Neutralität bewahrt (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; vgl. auch BVerfGE 102, 370 <383>; 105, 279 <294>).

87

Die Pflicht zur staatlichen Neutralität in weltanschaulich-religiösen Fragen ist jedoch nicht im Sinne eines Gebots kritischer Distanz gegenüber der Religion zu verstehen (vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2. Aufl. 2012, § 4 Rn. 90) und darf auch mit religiöser und weltanschaulicher Indifferenz nicht gleichgesetzt werden (vgl. von Campenhausen, in: Listl/Pirson , Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 2, S. 47 <78>). Das Verhältnis zwischen Kirchen und Staat ist vielmehr gekennzeichnet durch wechselseitige Zugewandtheit und Kooperation (vgl. BVerfGE 42, 312 <330>) und ist weniger im Sinne einer strikten Trennung, sondern eher im Sinne einer Zuordnung und Zusammenarbeit von Staat und Kirchen auf der Basis grundrechtlicher Freiheit zu verstehen.

88

Über ihre Funktion als Beeinflussungsverbot (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <300>) und als Identifikationsverbot (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 30, 415 <422>; 33, 23 <28>; 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <299 f.>; 123, 148 <178>) hinaus verwehrt es die Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität dem Staat auch, Glauben und Lehre einer Kirche oder Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. BVerfGE 33, 23 <29>; 108, 282 <300>). Die individuelle und korporative Freiheit, das eigene Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und innerer Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, würde entleert, wenn der Staat bei hoheitlichen Maßnahmen uneingeschränkt seine eigene Wertung zu Inhalt und Bedeutung eines Glaubenssatzes an die Stelle derjenigen der verfassten Kirche setzen und seine Entscheidungen auf dieser Grundlage treffen könnte.

89

Jede Auseinandersetzung staatlicher Stellen mit Zielen und Aktivitäten einer Kirche oder Religionsgemeinschaft muss dieses Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität wahren (vgl. BVerfGE 105, 279 <294>). Die Regelung genuin religiöser oder weltanschaulicher Fragen, die parteiergreifende Einmischung in die Überzeugungen, Handlungen und die Darstellung Einzelner oder religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften sind dem Staat mangels Einsicht und geeigneter Kriterien untersagt (vgl. BVerfGE 12, 1 <4>; 41, 65 <84>; 72, 278 <294>; 74, 244 <255>; 93, 1 <16>; 102, 370 <394>; 108, 279 <300>). Fragen der Lehre, der Religion und des kirchlichen Selbstverständnisses gehen den Staat grundsätzlich nichts an. Er ist vielmehr verpflichtet, auf die Grundsätze der Kirchen und Religionsgemeinschaften Rücksicht zu nehmen und keinen eigenen Standpunkt in der Sache des Glaubens zu formulieren (von Campenhausen, in: Listl/Pirson , Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 2, S. 47 <78>). Die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung hat er zu respektieren.

90

c) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist in Art. 137 Abs. 3 WRV besonders hervorgehoben. Danach ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Diese Garantie erweist sich als notwendige, rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hin-zufügt (vgl. BVerfGE 53, 366 <401>). Sie gilt für Kirchen und sonstige Religions-gesellschaften unabhängig von ihrem rechtlichen Status (vgl. auch Art. 137 Abs. 7 WRV).

91

aa) Träger des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sind nicht nur die Kirchen selbst entsprechend ihrer rechtlichen Verfasstheit, sondern alle ihr in bestimmter Weise zugeordneten Institutionen, Gesellschaften, Organisationen und Einrichtungen, wenn und soweit sie nach dem glaubensdefinierten Selbstverständnis der Kirchen (zur Berücksichtigung von Selbstverständnissen als Mittel zur Sicherung der Menschenwürde und der Freiheitsrechte, vgl. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 282 <293 ff.> und S. 426 <431 ff.>) ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, Auftrag und Sendung der Kirchen wahrzunehmen und zu erfüllen (vgl. BVerfGE 46, 73 <85 ff.>; 53, 366 <391>; 57, 220 <242>; 70, 138 <162>).

92

(1) Der Schutz des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bezieht sich dabei nicht nur auf die der Kirche zugeordnete Organisation im Sinne einer juristischen Person, sondern erstreckt sich auch auf die von dieser Organisation getragenen Einrichtungen, also auf die Funktionseinheit, durch die der kirchliche Auftrag seine Wirkung entfalten soll (vgl. BVerfGE 53, 366 <398 f.>). Dies gilt unbeschadet der Rechtsform der einzelnen Einrichtung auch dann, wenn der kirchliche Träger sich privatrechtlicher Organisationsformen bedient (vgl. BVerfGE 46, 73 <85 ff.>; 53, 366 <391>; 57, 220 <242>; 70, 138 <162>). Die durch das Grundgesetz gewährleistete Freiheit der Kirche vom Staat schließt ein, dass sie sich zur Erfüllung ihres Auftrags grundsätzlich auch der Organisationsformen des staatlichen Rechts bedienen kann, ohne dass dadurch die Zugehörigkeit der auf einer entsprechen- den Rechtsgrundlage gegründeten Einrichtung zur Kirche aufgehoben wird (vgl. BVerfGE 57, 220 <243>).

93

(2) Nicht jede Organisation oder Einrichtung, die in Verbindung zur Kirche steht, unterfällt indes dem Privileg der Selbstbestimmung. Voraussetzung einer wirksamen Zuordnung ist vielmehr, dass die Organisation oder Einrichtung teilnimmt an der Verwirklichung des Auftrages der Kirche, im Einklang mit dem Bekenntnis der verfassten Kirche steht und mit ihren Amtsträgern und Organwaltern in besonderer Weise verbunden ist (BVerfGE 46, 73 <87>; 70, 138 <163 ff.>).

94

Von daher ist für eine sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV) berufende Organisation oder Einrichtung unabdingbar, dass die religiöse Zielsetzung das bestimmende Element ihrer Tätigkeit ist. Ganz überwiegend der Gewinnerzielung dienende Organisationen und Einrichtungen können demgegenüber das Privileg der Selbstbestimmung nicht in Anspruch nehmen, da bei ihnen der enge Konnex zum glaubensdefinierten Selbstverständnis aufgehoben ist. Dies gilt vor allem für Einrichtungen, die wie andere Wirtschaftssubjekte auch am marktwirtschaftlichen Geschehen teilnehmen und bei welchen der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte religiöse Auftrag der Kirche oder Religionsgemeinschaft in der Gesamtschau der Tätigkeiten gegenüber anderen - vorwiegend gewinnorientierten - Erwägungen erkennbar in den Hintergrund tritt.

95

bb) Das Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses (vgl. BVerfGE 70, 138 <164> unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, 236 <249>; 53, 366 <399>; 57, 220 <243>; vgl. auch BVerfGE 99, 100 <125>) und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen (vgl. BVerfGE 53, 366 <399>). Unter die Freiheit des "Ordnens" und "Verwaltens" fällt dementsprechend auch die rechtliche Vorsorge für die Wahrnehmung kirchlicher Dienste durch den Abschluss entsprechender Arbeitsverträge (vgl. BVerfGE 70, 138 <165>; BVerfGK 12, 308 <330>; vgl. auch: Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 <730>).

96

Der Staat erkennt die Kirchen in diesem Sinne als Institutionen mit dem originären Recht der Selbstbestimmung an, die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten (vgl. BVerfGE 18, 385 <386>; 19, 1 <55>; 30, 415 <428>; 42, 312 <321 f., 332>; 46, 73 <94>; 57, 220 <244>; 66, 1 <19>; BVerfGK 14, 485 <486>). Dies gilt - unabhängig von der Rechtsform der Organisation - auch dann, wenn die Kirchen sich zur Erfüllung ihres Auftrags und ihrer Sendung privatrechtlicher Formen bedienen (BVerfGE 46, 73 <85 ff.>; 70, 138 <162>) und wenn die Tätigkeiten und getroffenen Maßnahmen in den weltlichen Bereich hineinwirken (vgl. BVerfGE 42, 312 <334 f.>). Die Kirchen bestimmen selbst, frei und autonom darüber, welche Dienste sie in welchen Rechtsformen ausüben wollen und sind nicht auf spezifisch kanonische oder kirchenrechtliche Gestaltungsformen beschränkt. Religiöse Orden oder das Kirchenbeamtentum, die spezifischem Kirchenrecht unterliegen, stellen insofern zwar originäre, aber auch nur mögliche Varianten und Formen kirchlicher Dienste dar.

97

Die Kirchen können sich der jedermann offen stehenden privatautonomen Gestaltungsformen bedienen, Dienstverhältnisse begründen und nach ihrem Selbstverständnis ausgestalten. Die im Selbstbestimmungsrecht der Kirchen enthaltene Ordnungsbefugnis gilt insoweit nicht nur für die kirchliche Ämterorganisation (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV), sondern ist ein allgemeines Prinzip für die Ordnung des kirchlichen Dienstes (vgl. BVerfGE 70, 138 <164 f.>). Sie berechtigt zur Organisation der Tätigkeit einschließlich der Aufrechterhaltung einer internen Organisationsstruktur, zur Auswahl ihrer Angestellten und zur Festlegung der religiösen Grundsätze, welche die Grundlage ihrer Tätigkeiten sein sollen.

98

d) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 32, 98 <106>; 44, 37 <49>; 83, 341 <354>; 108, 282 <297>; 125, 39 <79>). Dieses beinhaltet notwendigerweise neben der Freiheit des Einzelnen zum privaten und öffentlichen Bekenntnis seiner Religion oder Weltanschauung (vgl. nur BVerfGE 24, 236 <245>; 69, 1 <33 f.>; 108, 282 <297>) auch die Freiheit, sich mit anderen aus gemeinsamem Glauben oder gemeinsamer weltanschaulicher Überzeugung zusammenzuschließen (vgl. BVerfGE 42, 312 <323>; 53, 366 <387>; 83, 341 <355>; 105, 279 <293>).

99

aa) Die durch den Zusammenschluss gebildete Vereinigung genießt das Recht zu religiöser oder weltanschaulicher Betätigung, zur Verkündigung des Glaubens, zur Verbreitung der Weltanschauung sowie zur Pflege und Förderung des jeweiligen Bekenntnisses (vgl. BVerfGE 19, 129 <132>; 24, 236 <246 f.>; 53, 366 <387>; 105, 279 <293>). Dieser Schutz steht nicht nur Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu, sondern auch von diesen selbstständigen oder unselbstständigen Vereinigungen, wenn und soweit sich diese die Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Zweck der Vereinigung gerade auf die Erreichung eines solchen Zieles gerichtet ist und eine hinreichende institutionelle Verbindung zu einer Religionsgemeinschaft besteht (vgl. BVerfGE 24, 236 <246 f.>).

100

bb) Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative Ausübung von Religion und Weltanschauung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der "Religionsausübung" durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGE 24, 236 <246>).

101

Zwar hat der Staat grundsätzlich verfassungsrechtliche Begriffe nach neutralen, allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten zu interpretieren (vgl. BVerfGE 24, 236 <247 f.>). Wo aber die Rechtsordnung gerade das religiöse oder weltanschauliche Selbstverständnis des Grundrechtsträgers voraussetzt, wie dies bei der Religionsfreiheit der Fall ist, würde der Staat die Eigenständigkeit der Kirchen und ihre nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV verfassungsrechtlich verankerte Selbständigkeit verletzen, wenn er bei der Auslegung der sich aus dem Bekenntnis ergebenden Religionsausübung das Selbstverständnis nicht berücksichtigen würde (vgl. BVerfGE 18, 385 <386 f.>; 24, 236 <248>; 108, 282 <298 f.>). Die Formulierung des kirchlichen Proprium obliegt so allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt.

102

cc) Nach dem Selbstverständnis der christlichen Kirchen umfasst die Religionsausübung nicht nur den Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes, sondern auch die Freiheit zur Entfaltung und Wirksamkeit des christlichen Sendungsauftrages in Staat und Gesellschaft. Dazu gehört insbesondere das karitative Wirken, das eine wesentliche Aufgabe für den Christen ist und von den Kirchen als religiöse Grundfunktion verstanden wird (vgl. BVerfGE 53, 366 <393>; siehe auch BVerfGE 24, 236 <246 ff.>; 46, 73 <85 ff.>; 57, 220 <242 f.>; 70, 138 <163>). Die tätige Nächstenliebe ist als solche eines der Wesensmerkmale der Kirche (vgl. Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. II, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665). Sie geht von der Zuwendung gegenüber Kranken und Benachteiligten ohne Rücksicht auf Konfession, Bedürftigkeit oder sozialen Status aus. Christliche Organisationen und Einrichtungen versehen die Aufgabe der Krankenpflege daher im Sinne einer an christlichen Grundsätzen ausgerichteten umfassenden medizinischen, pastoralen und seelsorgerlichen Behandlung und verwirklichen damit Sendung und Auftrag ihrer Kirche im Geist ihrer Religiosität und im Einklang mit dem Bekenntnis.

103

Die von der Verfassung anerkannte und dem kirchlichen Selbstverständnis entsprechende Zuordnung der karitativen Tätigkeit zum Sendungsauftrag der Kirche wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass andere Einrichtungen und anders ausgerichtete Träger im Sozialbereich ähnliche Zwecke verfolgen und - rein äußerlich gesehen - Gleiches verwirklichen wollen (vgl. BVerfGE 53, 366 <399> unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, 236 <249>; vgl. auch BVerfGK 12, 308 <330>). Die religiöse Dimension ist insoweit das bestimmende Element der karitativen und diakonischen Tätigkeit, das sie von äußerlich vergleichbaren Tätigkeiten unterscheidet. Es ist das spezifisch Religiöse der karitativen und diakonischen Tätigkeit, das den Umgang mit Kranken und Benachteiligten prägt und der seelsorgerlichen und pastoralen Begleitung eine hervorgehobene Bedeutung beimisst.

104

Dem steht nicht entgegen, dass diese Ausrichtung im modernen säkularen Staat angesichts religiöser Pluralisierung und "Entkirchlichung" der Gesellschaft schwierig zu vermitteln ist, zumal nicht in allen Bereichen von Caritas und Diakonie hinreichend Christen zur Verfügung stehen, die diesen Auftrag als an die eigene Person gerichteten Heilsauftrag begreifen und umsetzen. So müssen verstärkt nichtchristliche Arbeitnehmer - auch in leitenden Positionen - in Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen eingesetzt werden. Dies allein muss jedoch weder zu einem Rückzug der Kirchen aus den in Rede stehenden Bereichen führen noch dazu, dass der geistlich theologische Auftrag und die Sendung nicht mehr erkennbar sind (vgl. etwa: Bethel, Gemeinschaft verwirklichen - Unsere Vision und unsere strategischen Entwicklungsschwerpunkte 2011 bis 2016, v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel, Bielefeld 2011, S. 8 ff.).

105

Dieser gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation kann durch Struktur und Ausformung der christlichen Dienstgemeinschaft ausreichend Rechnung getragen werden. Die christlichen Kirchen kennen viele Formen christlichen Dienens: Öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnisse, Zugehörigkeit zu besonderen geistlichen Gemeinschaften wie Orden und Diakonissengemeinschaften oder eben auch nach staatlichem Recht - privatautonom - begründete Arbeitsverhältnisse. Spezifisches Kennzeichen für all diese Formen ist es, dem biblischen Auftrag zur Verkündigung und zur tätigen Nächstenliebe nachzukommen. Der Dienst in der christlichen Gemeinde ist Auftrag und Sendung der Kirche und umfasst idealiter den Menschen in all seinen Bezügen in Familie, Freizeit, Arbeit und Gesellschaft. Dieses Verständnis ist die Grundlage für die kirchlichen Anforderungen an die Gestaltung des Dienstes und die persönliche Lebensführung, die in den Loyalitätsobliegenheiten ihren Ausdruck finden. Gemeinschaft in diesem Sinne bedeutet nach christlichem Glauben gemeinsame Verantwortung für das Wirken der Kirche und in der Kirche und ihren Einrichtungen. Dieses Leitbild des Umgangs aller Dienstangehörigen prägt Verhalten und Umgang untereinander und mit den anvertrauten Kranken und Benachteiligten. Vorwiegend ökonomische Interessenmaximierung ist damit nicht vereinbar.

106

e) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht steht nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV, auch soweit sich der Schutzbereich mit demjenigen der korporativen Religionsfreiheit überlagert, unter dem Vorbehalt des für alle geltenden Gesetzes (sog. Schrankenspezialität, vgl. oben Rn. 85). Die Formel "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" kann jedoch nicht im Sinne des allgemeinen Gesetzesvorbehalts in einigen Grundrechtsgarantien verstanden werden (vgl. BVerfGE 42, 312 <333>). Vielmehr ist der Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck bei der Entfaltung und Konturierung der Schrankenbestimmung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 53, 366 <400 f.>). Beim Ausgleich der gegenläufigen Interessen ist daher der Umstand zu beachten, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist.

107

aa) Deshalb ergibt sich aus dem Umstand, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nur "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" gegeben ist, gerade nicht, dass jegliche staatliche Rechtsetzung, sofern sie nur aus weltlicher Sicht von der zu regelnden Materie her als vernünftig und verhältnismäßig erscheint, ohne weiteres in den den Kirchen, ihren Organisationen und Einrichtungen von Verfassungs wegen zustehenden Autonomiebereich eingreifen könnte (vgl. BVerfGE 53, 366 <404>; 72, 278 <289>). Die selbständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten ist den Kirchen, ihren Organisationen und Einrichtungen von der Verfassung garantiert, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihrer religiösen und diakonischen Aufgabe, ihren Grundsätzen und Leitbildern auch im Bereich von Organisation, Normsetzung und Verwaltung umfassend nachkommen zu können (vgl. BVerfGE 53, 366 <404>).

108

bb) Zu dem "für alle geltenden Gesetz" im Sinne des Art. 140 GG in Ver-bindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV, unter dessen Vorbehalt die inhaltliche Gestaltungsfreiheit des kirchlichen Arbeitgebers für die auf Vertragsebene begründeten Arbeitsverhältnisse steht, zählen die Regelungen des allgemeinen Kündigungsschutzes (vgl. BVerfGE 70, 138 <166 f.>; Ehlers, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 140/Art. 137 WRV, Rn. 14; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140/Art. 137 WRV, Rn. 49). Sie tragen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der objektiven Schutzpflicht des Staates gegenüber den wechselseitigen Grundrechtspositionen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer Rechnung (vgl. BVerfGE 84, 133 <146 f.>; 85, 360 <372 f.>; 92, 140 <150>; 97, 169 <175 f.>; BVerfGK 1, 308 <311>; 8, 244 <246>).

109

cc) Die in diesen Vorschriften enthaltenen Generalklauseln bedürfen der Ausfüllung im konkreten Einzelfall. Im Privatrechtsverkehr entfalten die Grundrechte ihre Wirkkraft als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen durch das Medium der Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen, damit vor allem auch durch die zivilrechtlichen Generalklauseln (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 f.>; 42, 143 <148>; 103, 89 <100>). Der Staat hat insoweit die Grundrechte des Einzelnen zu schützen und vor Verletzung durch andere zu bewahren (vgl. nur BVerfGE 103, 89 <100>). Den staatlichen Gerichten obliegt es, den grundrechtlichen Schutz im Wege der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts zu gewähren und im Einzelfall zu konkretisieren.

110

(1) Die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt deren Zugehörigkeit zu den "eigenen Angelegenheiten" der Kirche nicht auf (vgl. BVerfGE 53, 366 <392>; 70, 138 <165>). Arbeits- und Kündigungsschutzgesetze sind daher einerseits im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung zugunsten der kirchlichen Selbstbestimmung auszulegen (Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV). Das bedeutet nicht nur, dass die Religionsgesellschaft Gestaltungsspielräume, die das dispositive Recht eröffnet, voll ausschöpfen darf. Auch bei der Handhabung zwingender Vorschriften sind Auslegungsspielräume, soweit erforderlich, zugunsten der Religionsgesellschaft zu nutzen (vgl. BVerfGE 83, 341 <356>), wobei dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht zuzumessen ist (vgl. BVerfGE 53, 366 <401>, unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, 236 <246>; 44, 37 <49 f.>).

111

(2) Andererseits darf dies nicht dazu führen, dass Schutzpflichten des Staates gegenüber den Arbeitnehmern (Art. 12 Abs. 1 GG) und die Sicherheit des Rechtsverkehrs vernachlässigt werden (vgl. BVerfGE 83, 341 <356>). Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV sichert insoweit mit Rücksicht auf das zwingende Erfordernis friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirchen (vgl. BVerfGE 42, 312 <330 ff., 340>) sowohl das selbständige Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen als auch den staatlichen Schutz der Rechte anderer und für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter. Dieser Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Zweck der gesetzlichen Schrankenziehung ist durch eine entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 46, 73 <95>; 53, 366 <400 f.>; 66, 1 <22>; 70, 138 <167>; 72, 278 <289>; BVerfGK 12, 308 <333>).

112

2. Bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten über Loyalitätsobliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer haben die staatlichen Gerichte den organischen Zusammenhang von Statusrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und Grundrecht (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) im Rahmen einer zweistufigen Prüfung zu beachten und umzusetzen.

113

a) Ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt, müssen die staatlichen Gerichte auf einer ersten Prüfungsstufe einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der Kirche unterziehen. Dabei dürfen sie die Eigenart des kirchlichen Dienstes - das kirchliche Proprium - nicht außer Acht lassen.

114

aa) Die Formulierung des kirchlichen Proprium obliegt allein und ausschließlich den verfassten Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt. Ebenso sind für die Frage, welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, allein die von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäbe von Belang. Demgegenüber kommt es weder auf die Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen Einrichtungen - bei denen die Meinungsbildung von verschiedensten Motiven beeinflusst sein kann - noch auf diejenige breiter Kreise unter den Kirchengliedern oder etwa gar einzelner, bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter an (vgl. BVerfGE 70, 138 <166>).

115

Im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts können die verfassten Kirchen festlegen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre" sind, was als Verstoß gegen diese anzusehen ist und welches Gewicht diesem Verstoß aus kirchlicher Sicht zukommt (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>). Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine "Abstufung" der Loyalitätsobliegenheiten eingreifen soll, ist eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>).

116

bb) Über die entsprechenden Vorgaben der verfassten Kirche dürfen sich die staatlichen Gerichte nicht hinwegsetzen. Im Rahmen der allgemeinen Justizgewährungspflicht sind sie lediglich berechtigt, die Darlegungen des kirchlichen Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. In Zweifelsfällen haben sie die einschlägigen Maßstäbe der verfassten Kirche durch Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden oder, falls dies ergebnislos bleibt, durch ein kirchenrechtliches oder theologisches Sachverständigengutachten aufzuklären.

117

(1) Religiöse Zielsetzung und institutionelle Verbindung der Organisation oder Einrichtung zur verfassten Amtskirche, ihren Organen und Amtswaltern und die bruchlose Übereinstimmung von geistlich-theologischem Auftrag und dessen Ausführung im praktischen Wirtschaftsleben müssen hiernach objektiv erkennbar sein und einer - den von der verfassten Kirche vorgegebenen glaubensspezifischen Parametern folgenden - Plausibilitätskontrolle standhalten (vgl. Ehlers, in: Sachs , GG, 7. Aufl. 2014, Art. 140, Rn. 6; Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665 <727 f.>).

118

(2) Ist durch den kirchlichen Arbeitgeber plausibel dargelegt, dass nach gemeinsamer Glaubensüberzeugung, Dogmatik, Tradition und Lehre der verfassten Kirche ein bestimmtes Handeln oder eine Tätigkeit und daran geknüpfte Loyalitätsobliegenheiten Gegenstand, Teil oder Ziel von Glaubensregeln sind (vgl. als Beispiel hierfür: Bethel, Grundsätze für Zusammenarbeit und Führung in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Bielefeld 2012), darf der Staat das so umschriebene glaubensdefinierte Selbstverständnis der Kirche nicht nur nicht unberücksichtigt lassen; er hat es vielmehr seinen Wertungen und Entscheidungen zugrunde zu legen, so lange es nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen steht (vgl. dazu BVerfGE 70, 138 <168>, wo auf die Grundprinzipien der Rechtsordnung abgestellt wurde, wie sie im allgemeinen Willkürverbot [Art. 3 Abs. 1 GG] und in den Begriffen der "guten Sitten" [§ 138 Abs. 1 BGB] und des ordre public [Art. 6 EGBGB] ihren Niederschlag gefunden haben; vgl. ferner BVerfGE 102, 370 <392 ff.>). Einer darüber hinaus gehenden Bewertung solcher Glaubensregeln hat sich der Staat zu enthalten (vgl. BVerfGE 33, 23 <30>; 104, 337 <355>), denn darin entfaltet sich nicht nur die statusrechtliche Sicherung nach Art. 137 Abs. 3 WRV, sondern vor allem auch die Schutzwirkung der Religionsfreiheit von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

119

(3) Dies gilt in besonderem Maße im Hinblick auf Loyalitätserwartungen der Kirche und eine etwaige Abstufung von Loyalitätsobliegenheiten. Hat die Kirche oder Religionsgemeinschaft sich in Ausübung ihrer korporativen Religionsfreiheit dazu entschieden, ein bestimmtes Verhalten wegen des Verstoßes gegen tragende Glaubenssätze als Loyalitätsverstoß zu werten, ein anderes aber nicht, und hat sie diese Maßgabe zum Gegenstand eines Arbeitsvertrags gemacht, so ist es den staatlichen Gerichten grundsätzlich untersagt, diese autonom getroffene und von der Verfassung geschützte Entscheidung zu hinterfragen und zu bewerten. Gleiches gilt, soweit die Kirche oder Religionsgemeinschaft die Loyalitätsobliegenheiten auf Arbeitnehmer in bestimmten Aufgabenbereichen beschränkt oder nur auf solche kirchlichen Arbeitnehmer erstreckt hat, die ihrem Glauben angehören. Den staatlichen Gerichten ist es insoweit verwehrt, die eigene Einschätzung über die Nähe der von einem Arbeitnehmer bekleideten Stelle zum Heilsauftrag und die Notwendigkeit der auferlegten Loyalitätsobliegenheit im Hinblick auf Glaubwürdigkeit oder Vorbildfunktion innerhalb der Dienstgemeinschaft an die Stelle der durch die verfasste Kirche getroffenen Einschätzung zu stellen (vgl. auch BVerfGE 70, 138 <167>; 83, 341 <356>; so auch im Ergebnis: Isensee, in: Festschrift für Klaus Obermayer, 1986, S. 203 <214 f.>; Richardi, in: ders./Wlotzke/Wißmann/Oetker, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 328 Rn. 24; Plum, NZA 2011, S. 1194 <1200>; Fahrig/Stenslik, EuZA 5 <2012>, S. 184 <194 f.>; Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, S. 225 <230>; Walter, ZevKR 57 <2012>, S. 233 <240>; Pötters/Kalf, ZESAR 2012, S. 216 <218>; Magen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 41 <43 ff.>).

120

b) Auf einer zweiten Prüfungsstufe haben die Gerichte sodann die Selbstbestimmung der Kirchen den Interessen und Grundrechten der Arbeitnehmer in einer offenen Gesamtabwägung gegenüberzustellen.

121

aa) Dies setzt die positive Feststellung voraus, dass der Arbeitnehmer sich der ihm vertraglich auferlegten Loyalitätsanforderungen und der Möglichkeit arbeitsrechtlicher Sanktionierung von Verstößen bewusst war oder hätte bewusst sein müssen. Die Unannehmbarkeit einer Loyalitätsanforderung (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>) ist gegeben, wenn Inhalt und Reichweite der dem kirchlichen Arbeitnehmer auferlegten Obliegenheiten sowie die sich aus einem Verstoß möglicherweise ergebenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen nicht mit hinreichender Bestimmtheit erkennbar sind, so dass der kirchliche Arbeitnehmer sich außer Stande sieht, sein Handeln an den Loyalitätsanforderungen seines Arbeitgebers zu orientieren. Die nach freiem Willen getroffene Entscheidung eines Grundrechtsberechtigten, eine partielle Beschränkung seiner Freiheitsrechte durch Eingehung eines Arbeitsverhältnisses mit einem kirchlichen Arbeitgeber zu dessen Voraus-setzungen hinzunehmen, setzt notwendigerweise das Bewusstsein über den Umfang der Selbstbindung voraus (vgl. hierzu auch: Isensee, in: Festschrift für Klaus Obermayer, 1986, S. 203 <206 f.>; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 140 Rn. 27). Diese Voraussetzung ist nicht mehr erfüllt, wenn sich etwa Inhalt und Reichweite der einzuhaltenden Verhaltensregeln nur mithilfe detaillierter Kenntnisse des Kirchenrechts und der Glaubens- und Sittenlehre feststellen lassen, die vom Arbeitnehmer auch bei gesteigerten Erwartungen wegen der Konfession oder der konkreten Stellung nicht verlangt werden können (vgl. zur Relevanz des letztgenannten Umstands und zur Abgrenzung auch: EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 71).

122

Das Erfordernis der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit steht einer Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln (vgl. etwa Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrO: "Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre") in Arbeitsverträgen und der Verweisung auf Dienstordnungen nicht grundsätzlich entgegen. Im Zweifel ist der kirchliche Arbeitgeber jedoch gehalten, abstrakte Begrifflichkeiten zum Verständnis des Arbeitnehmers im Rahmen der individualvertraglichen Vereinbarung zu konkretisieren (vgl. hierzu auch: Böckel, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 57 <58>).

123

Das Maß im Einzelfall zulässiger Abstrahierung korrespondiert dabei mit dem Umfang der nach Einschätzung der Kirche im Hinblick auf das konkrete Arbeitsverhältnis erforderlichen Loyalitätserwartungen: Bei Personen, die aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Stellung erhöhten Loyalitätsanforderungen unterworfen werden, sind in aller Regel auch Kenntnisse der kirchlichen Lehre Teil des beruflichen Anforderungsprofils und können durch den Arbeitgeber bei der Formulierung der Loyalitätserwartungen vorausgesetzt werden. Führt die Unkenntnis eines derartigen Arbeitnehmers zu einer Obliegenheitsverletzung, weil er sich über die Illoyalität seines Verhaltens nicht im Klaren ist, obschon er es hätte sein müssen, rechtfertigt dies eine andere Beurteilung als in Konstellationen, in denen Kenntnisse der kirchlichen Lehre und der einschlägigen kirchengesetzlichen Vorgaben auch aus Sicht der Kirche nicht ohne weiteres erwartet werden können.

124

bb) Im Rahmen des sich hieran anschließenden Abwägungsvorgangs sind die kollidierenden Rechtspositionen - dem Grundsatz der praktischen Konkordanz entsprechend - in möglichst hohem Maße in ihrer Wirksamkeit zu entfalten. Sie sind einander im Sinne einer Wechselwirkung verhältnismäßig zuzuordnen, das heißt, das einschränkende arbeitsrechtliche Gesetz muss im Lichte der Bedeutung des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG betrachtet werden, wie umgekehrt die Bedeutung kollidierender Rechte des Arbeitnehmers im Verhältnis zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gewichtet werden muss.

125

Dem Selbstverständnis der Kirche ist dabei ein besonderes Gewicht beizumessen (vgl. hierzu auch: BVerfGE 53, 366 <401>; 66, 1 <22>; 70, 138 <167>; 72, 278 <289>; BVerfGK 12, 308 <333>), ohne dass die Interessen der Kirche die Belange des Arbeitnehmers dabei prinzipiell überwögen. Das staatliche Arbeitsrecht lässt "absolute Kündigungsgründe" nicht zu; eine Verabsolutierung von Rechtspositionen ist der staatlichen Rechtsordnung jenseits des Art. 1 Abs. 1 GG fremd. Entsprechend entbindet selbst ein erkennbar schwerwiegender Loyalitätsverstoß die staatlichen Arbeitsgerichte nicht von der Pflicht zur Abwägung der kirchlichen Interessen mit den Belangen des Arbeitnehmers. Die Arbeitsgerichte haben jedoch auch bei der Abwägung die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Gewichtung vertraglicher Loyalitätsobliegenheiten zugrunde zu legen (BVerfGE 70, 138 <170 ff.>).

126

3. Ob diese Abwägung verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, kann gegebenenfalls Gegenstand verfassungsgerichtlicher Kontrolle sein. Das Bundesverfassungsgericht ist zum Eingreifen gegenüber den Fachgerichten jedoch nur dann berufen, wenn diese tragende Elemente des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und der korporativen Religionsfreiheit einerseits oder Grundrechte des Arbeitnehmers andererseits verkennen.

127

4. Diese Maßstäbe stehen in Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. bereits: EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86). Die durch die Konvention begründeten objektiven Schutzpflichten des Staates aus Art. 11 Abs. 1 EMRK in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 EMRK und das sich hieraus ergebende Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften einerseits und die entgegenstehenden Rechtspositionen der kirchlichen Arbeitnehmer andererseits verlangen - in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben - eine Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls. Die durch die Konvention begründete Neutralitätspflicht des Staates in religiösen Angelegenheiten untersagt den staatlichen Stellen hierbei ebenfalls eine eigenständige Bewertung und Gewichtung von Glaubensinhalten.

128

a) Die Europäische Menschenrechtskonvention ist als Auslegungshilfe bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes heranzuziehen. Dies verlangt allerdings keine schematische Parallelisierung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Vielmehr werden deren Wertungen im Sinne eines möglichst schonenden Einpassens in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechts- system aufgenommen (vgl. BVerfGE 111, 307 <315 ff.>; 128, 326 <366 ff.>; 131, 268 <295 f.>).

129

Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 128, 326 <371>). Zudem darf sie nicht dazu führen, dass der Grundrechtsschutz nach dem Grundgesetz eingeschränkt wird; das schließt auch die Europäische Menschenrechtskonvention durch Art. 53 EMRK ihrerseits aus (vgl. BVerfGE 111, 307 <317>; 128, 326 <371>, jeweils m.w.N.). Dieses Rezeptionshemmnis kann vor allem in - wie hier - mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen relevant werden, in denen das "Mehr" an Freiheit für einen Grundrechtsträger zugleich ein "Weniger" für einen anderen bedeutet (vgl. BVerfGE 128, 326 <371>).

130

b) Art. 9 Abs. 1 EMRK schützt neben der individuellen Religionsfreiheit auch ihre korporative Seite (vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, Handkommentar, 3. Aufl. 2011, Art. 9 Rn. 10, m.w.N). Da die Kirchen und Religionsgemeinschaften traditionell in der Form organisierter Strukturen existieren, deren autonomer Bestand für die Vielfalt in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar ist und die Glaubensfreiheit in ihrem Kerngehalt berührt, muss Art. 9 Abs. 1 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Lichte des Art. 11 Abs. 1 EMRK ausgelegt werden. Unter diesem Blickwinkel bedingt die Glaubensfreiheit des Einzelnen auch den Schutz der rechtlich verfassten Kirchen und Religionsgemeinschaften vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen im Hinblick sowohl auf religiöse als auch auf organisatorische Fragen. Ohne diesen Schutz der Organisation nach Maßgabe des religiösen Selbstverständnisses durch die Konvention wäre auch die effektive Wahrnehmung der individuellen Religionsfreiheit beeinträchtigt (vgl. zu alledem: EGMR (GK), Hasan u. Chaush v. Bulgarien, Urteil vom 26. Oktober 2000, Nr. 30985/96, § 62; EGMR, Metropolitan Church of Bessarabia u.a. v. Moldawien, Urteil vom 13. Dezember 2001, Nr. 45701/99, § 118; EGMR, Holy Synod of the Bulgarian Orthodox Church (Metropolitan Inokentiy) v. Bulgarien, Urteil vom 22. Januar 2009, Nr. 412/03 u.a., § 103; EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 136; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 127).

131

aa) Das Autonomierecht beinhaltet das Recht der Kirche oder Religionsgemeinschaft, nach ihren Rechtssätzen und nach ihrem Ermessen auf ein Verhalten ihrer Mitglieder zu reagieren, das eine Bedrohung für den Zusammenhalt, die Glaubwürdigkeit oder die Einheit der Gemeinschaft bedeutet (vgl. hierzu: EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 165; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 128). Daneben ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt, dass aus dem Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften auch deren Befugnis erwächst, ihren Arbeitnehmern und den die Gemeinschaft repräsentierenden Personen ein gewisses Maß an Loyalität abzuverlangen (vgl. hierzu bereits: EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86; sowie: EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 131, m.w.N.). Voraussetzung ist, dass von einer Verletzung der konkreten Loyalitätsanforderung nach Einschätzung der Kirche oder Religionsgemeinschaft eine substantielle Gefahr für den Zusammenhalt, die Glaubwürdigkeit oder die Einheit der Gemeinschaft ausginge, die mit der Loyalitätsanforderung verbundene Beschränkung nicht über das erforderliche Maß hinausreicht und keinen sachfremden Zwecken dient, die nicht in der Wahrnehmung des religiösen Auftrags begründet liegen; dies hat die Kirche oder Religionsgemeinschaft im Einzelfall darzulegen (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132).

132

bb) Unter diesen Bedingungen können auch Beschränkungen konventionsrechtlich geschützter Rechtspositionen des Arbeitnehmers gerechtfertigt sein; insoweit ist Art. 11 Abs. 1 EMRK in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 EMRK generell geeignet, als Schranke für diese Konventionsrechte zu dienen und die objektive Schutzpflicht des Staates zu begrenzen oder gar zu verdrängen (vgl. hierzu: EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, §§ 43 ff.; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, §§ 133 ff., jeweils zu Art. 8 Abs. 1 EMRK; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45, zu Art. 9 Abs. 1 EMRK).

133

Da die vertragliche Unterwerfung unter die Loyalitätserwartungen jedoch auf einer freiwilligen Entscheidung des kirchlichen Arbeitnehmers beruht (vgl. bereits EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86), ist Voraussetzung hierfür grundsätzlich, dass der Inhalt der Loyalitätserwartung und die mit einem Verstoß einhergehenden Rechtsfolgen für den Arbeitnehmer vorhersehbar sind (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 117). Für die Beurteilung der Vorhersehbarkeit ist auf die Konfession des Arbeitnehmers (vgl. hierzu: EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50) und - in besonderem Maße - die von dem kirchlichen Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall bekleidete Stellung innerhalb der Organisation abzustellen (vgl. hierzu: EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 119).

134

cc) Der konkreten Stellung des Arbeitnehmers innerhalb der religiösen Organisation oder einer ihrer selbständigen Einrichtungen (vgl. hierzu EKMR, Rommelfänger v. Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86, zum Fall eines Assistenzarztes in einem von einer Stiftung der römisch-katholischen Kirche getragenen Krankenhaus; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 44, zum Fall einer Erzieherin in von protestantischen Kirchengemeinden getragenen Kindertagesstätten) und dem Inhalt der ihm übertragenen Aufgaben kommt bei Beurteilung des zulässigen Umfangs der Loyalitätsobliegenheiten und der Vereinbarkeit von Sanktionsmaßnahmen aufgrund von Loyalitätsverstößen im Rahmen der Abwägungsentscheidung besonderes Gewicht zu (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 131, m.w.N.). Eine bereits von der Kirche oder Religionsgemeinschaft vorgenommene Abstufung von Loyalitätsobliegenheiten nach der Konfession oder beruflichen Stellung des Arbeitnehmers ist daher mit der Konvention nicht nur vereinbar, sondern im Zweifelsfall sogar geboten (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50, zur Abstufung aufgrund der Konfession; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 46; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 119, jeweils zur Abstufung aufgrund der Stellung). Hierdurch trägt die Kirche oder Religionsgemeinschaft ihrer Pflicht Rechnung, nur die aus ihrer Sicht zur Abwendung substantieller Risiken für den Zusammenhalt, die Glaubwürdigkeit oder die Einheit der Gemeinschaft unabweisbaren Einschränkungen konventionsrechtlich geschützter Rechtspositionen ihrer Arbeitnehmer vorzunehmen (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132).

135

c) Maßgeblich für die Beurteilung des notwendigen Inhalts der besonderen Loyalitätsanforderungen und des Gewichts von Verstößen hiergegen ist auch nach der Konvention der Standpunkt der Kirche oder Religionsgemeinschaft. Er ist von den staatlichen Stellen im Rahmen ihres Handelns grundsätzlich zugrunde zu legen (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 68; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45). Diese Beschränkung der Einschätzungsgewalt staatlicher Stellen wurzelt in dem konventionsrechtlichen Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften (Art. 11 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 9 Abs. 1 EMRK) und der staatlichen Neutralitätspflicht in religiösen Angelegenheiten. Sie untersagt über die bereits genannten Gewährleistungsinhalte des Autonomierechts hinaus der staatlichen Gewalt auch, kraft eigener Einschätzung darüber zu befinden, ob religiöse Glaubensüberzeugungen oder die Mittel zum Ausdruck solcher Glaubensüberzeugungen legitim sind (vgl. EGMR, Manoussakis v. Griechenland, Urteil vom 26. September 1996, Nr. 18748/91, § 47; EGMR, Jehovah's Witnesses of Moscow u.a. v. Russland, Urteil vom 10. Juni 2010, Nr. 302/02, § 141; EGMR, Church of Jesus Christ of the Latter-Day Saints v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 4. März 2014, Nr. 7552/09, § 29).

136

d) Dennoch muss die staatliche Gewalt den Standpunkt der Kirche und Religionsgemeinschaft vom Inhalt einer Loyalitätsanforderung und dem Gewicht eines Verstoßes ihrem Handeln nicht gänzlich ungeprüft zugrunde legen (vgl. hierzu auch: EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 69); von der konventionsrechtlichen Neutralitätspflicht in religiösen Angelegenheiten ist der Staat in bestimmten Ausnahmefällen entbunden (vgl. EGMR (GK), Hasan u. Chaush v. Bulgarien, Urteil vom 26. Oktober 2000, Nr. 30985/96, §§ 62, 78; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 129).

137

aa) Die staatlichen Gerichte haben sicherzustellen, dass die kirchlichen Arbeitgeber im Einzelfall keine unannehmbaren Anforderungen an ihre Arbeitnehmer richten (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45 f.). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Loyalitätsobliegenheit oder deren Gewichtung im Kündigungsfall gegen Grundprinzipien der Rechtsordnung verstößt (vgl. EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45 f.), auf willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132) oder wenn die Zugrundelegung des nach kirchlichem Selbstverständnis erlassenen Rechtsakts durch das staatliche Gericht auch unter Berücksichtigung des entgegenstehenden Interesses des kirchlichen Arbeitgebers im Ergebnis zu einer offensichtlichen Verletzung eines Konventionsrechts in seinem Kerngehalt führt (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 132). Letzteres ist auch dann anzunehmen, wenn durch die Loyalitätserwartung der Schutzbereich eines abwägungsfesten Konventionsrechts (vgl. Art. 15 Abs. 2 EMRK) berührt wird.

138

Nicht ausreichend ist hingegen, dass die Loyalitätsobliegenheit lediglich den Schutzbereich anderer Konventionsrechte tangiert. Dies würde nicht nur das konventionsrechtliche Autonomierecht der Kirchen (Art. 11 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 9 Abs. 1 EMRK) entwerten, sondern auch den Abwägungsprozess verkürzen, wodurch der konventionsrechtlich gebotene gerechte Ausgleich zwischen mehreren - privaten - Interessen (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, §§ 45, 52; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 40, 47) verhindert würde. Die Entscheidung darüber, ob dem Interesse des kirchlichen Arbeitgebers an der selbstbestimmten Verwirklichung seiner religiösen Grundsätze im Arbeitsrecht oder dem Interesse des kirchlichen Arbeitnehmers an dem konventionsrechtlich geschützten, jedoch illoyalen Verhalten der Vorrang einzuräumen ist, ist erst im Wege der Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen zu treffen (vgl. hierzu auch: Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, S. 55 <62>).

139

bb) Inwieweit das Autonomierecht der Kirchen als Schranke entgegenstehender Konventionsrechte wirkt (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 60), ist auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Positionen und aller sie beeinflussenden Faktoren auf den Einzelfall zu bestimmen (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 68; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, §§ 132, 148). Da den Staat insoweit hinsichtlich beider Konventionsrechte objektive Schutzpflichten treffen und der Schutz der einen Rechtsposition notwendigerweise zur Beeinträchtigung des entgegenstehenden Rechts führt, räumt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Konventionsstaaten einen weiten Einschätzungsspielraum ein (vgl. EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 160; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 123).

140

Dennoch werden die Konventionsstaaten ihren objektiven Schutzpflichten im Einzelfall nur gerecht, wenn sie eine eingehende und alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Abwägung der durch die Kündigung tangierten Rechtspositionen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer vornehmen (vgl. EGMR (GK), Sindicatul "Păstorul cel Bun" v. Rumänien, Urteil vom 9. Juli 2013, Nr. 2330/09, § 159; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 123).

141

Hierzu zählen unter anderem das Bewusstsein des Arbeitnehmers für die begangene Loyalitätspflichtverletzung (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 72; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 44, 46; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, §§ 141, 146), die Freiwilligkeit der Bindung an höhere Loyalitätsobliegenheiten (vgl. EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 135), die öffentlichen Auswirkungen der Loyalitätspflichtverletzung (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 72), das Interesse des kirchlichen Arbeitgebers an der Wahrung seiner Glaubwürdigkeit (vgl. EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 44, 46; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 137), die Position des Arbeitnehmers in der Einrichtung, die Schwere des Loyalitätspflichtverstoßes in den Augen der Kirche sowie die zeitliche Dimension des Loyalitätsverstoßes (vgl. jeweils EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 48), das Interesse des Arbeitnehmers an der Wahrung seines Arbeitsplatzes (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 67), sein Alter, seine Beschäftigungsdauer (vgl. jeweils EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 48; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 44) und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 73; EGMR (GK), Fernández Martínez v. Spanien, Urteil vom 12. Juni 2014, Nr. 56030/07, § 144).

142

cc) Im Rahmen der Interessenabwägung hat das staatliche Gericht allerdings stets die konventionsrechtlich geschützte Neutralitätspflicht in religiösen Angelegenheiten zu wahren (vgl. EGMR, Manoussakis v. Griechenland, Urteil vom 26. September 1996, Nr. 18748/91, § 47; EGMR, Jehovah's Witnesses of Moscow u.a. v. Russland, Urteil vom 10. Juni 2010, Nr. 302/02, § 141; EGMR, Church of Jesus Christ of the Latter-Day Saints v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 4. März 2014, Nr. 7552/09, § 29). Aus diesem Grund muss es bei der Gewichtung religiös geprägter Abwägungselemente (z.B. spezifische Nähe der Tätigkeit des Arbeitnehmers zum Verkündigungsauftrag) den Standpunkt der verfassten Kirche und Religionsgemeinschaft seiner Entscheidung zugrunde legen, sofern es hierdurch nicht in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung gelangt (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 67; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, § 45).

143

dd) Soweit der Gerichtshof in einem Urteil beanstandet hat, die nationalen Gerichte hätten die Frage der Nähe der vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag der Kirche nicht geprüft, sondern offenbar ohne weitere Nachprüfungen den Standpunkt des kirchlichen Arbeitgebers in dieser Frage übernommen (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 67), war dies den besonderen Umständen des Einzelfalls geschuldet und rechtfertigt deshalb keine abweichende Beurteilung vorstehender konventionsrechtlicher Maßstäbe.

144

Eine Lesart der Entscheidungsgründe, die eine eigenständige staatliche Bewertung der Nähe einer Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag erfordern würde, liefe Gefahr, in unauflösbaren Widerspruch zur sonstigen Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, §§ 43, 51; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, §§ 57, 60; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Nr. 18136/02, §§ 40, 45) bei Loyalitätsobliegenheiten im kirchlichen Arbeitsverhältnis zu geraten und das konventionsrechtlich garantierte Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften in seinem Kernbestand zu entwerten. Auch bliebe ungeklärt, warum der Gerichtshof sich einerseits auf die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts aus der Entscheidung vom 4. Juni 1985 (BVerfGE 70, 138 ff.) bezogen hat, ohne deren Vereinbarkeit mit der Konvention in Zweifel zu ziehen (vgl. EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, §§ 35, 68) andererseits aber die Überprüfung kirchlicher Selbstverständnisse in weitem Umfang von den staatlichen Arbeitsgerichten verlangen würde. Eine solche Interpretation stünde letztlich auch der Rezeption in die nationale Verfassungsordnung entgegen, weil sie den Grundrechtsschutz innerhalb eines mehrpoligen Grundrechtsverhältnisses einseitig zu Lasten eines Beteiligten beschränken würde (vgl. auch Plum, NZA 2011, S. 1194 <1200>).

II.

145

Nach diesen Maßstäben verstößt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, da die bei der Anwendung des § 1 Abs. 2 KSchG vorgenommene Interessenabwägung dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht der Beschwerdeführerin nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.

146

1. Der persönliche Anwendungsbereich von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV ist zu Gunsten der Beschwerdeführerin eröffnet. Sie hat in Anbetracht der vorrangig religiösen Zielsetzung ihres Handelns und ihrer institutionellen Verbindung zur römisch-katholischen Kirche an deren kirchlichem Selbstbestimmungsrecht teil. Zwar ist weder die Beschwerdeführerin selbst noch das in ihrer Trägerschaft befindliche V.-Krankenhaus Teil der amtskirchlichen Organisation. Beide haben jedoch teil an der Verwirklichung von Auftrag und Sendung der Kirche im Geist katholischer Religiosität, im Einklang mit dem Bekenntnis und in Legitimation durch die Amtsträger der römisch-katholischen Kirche.

147

a) Die durch die Beschwerdeführerin wahrgenommene Aufgabe der Krankenbehandlung und -pflege stellt sich als Teil des Sendungsauftrages der römisch-katholischen Kirche dar. Sie ist als karitative Tätigkeit auf die Erfüllung der aus dem Glauben erwachsenden Pflicht zum Dienst am Mitmenschen und damit auf die Wahrnehmung einer kirchlichen Grundfunktion gerichtet (vgl. BVerfGE 53, 366 <393>; siehe auch: BVerfGE 24, 236 <246 ff.>; 46, 73 <85 ff.>; 57, 220 <242 f.>; 70, 138 <163>).

148

In der Staatspraxis der Bundesrepublik Deutschland ist die karitative Tätigkeit in den Kirchenverträgen und Konkordaten als legitime Aufgabe der Kirchen ausdrücklich anerkannt und den Kirchen die Berechtigung dazu gewährleistet worden (vgl. BVerfGE 24, 236 <248>; 53, 366 <393>, jeweils m.w.N.). Zu dieser karitativen Tätigkeit gehört die kirchlich getragene Krankenpflege, die in langer katholischer Tradition steht. Ihr entspricht die Organisation des kirchlichen Krankenhauses und die auf sie gestützte, an christlichen Grundsätzen ausgerichtete, auch pastorale und seelsorgerische Zuwendung umfassende Hilfeleistung für den Patienten (vgl. BVerfGE 53, 366 <393>).

149

b) An der Erfüllung dieses kirchlichen Auftrags hat die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer bekenntnismäßigen und organisatorischen Verbundenheit mit der römisch-katholischen Kirche Anteil. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der Regelungen des Gesellschaftsvertrages.

150

c) Im Fall der Beschwerdeführerin tritt die religiöse Dimension nicht in einem Maße gegenüber rein ökonomischen Erwägungen in den Hintergrund, das geeignet wäre, die Prägung durch das glaubensdefinierte Selbstverständnis in Frage zu stellen. Die Regelungen des Gesellschaftsvertrags der Beschwerdeführerin vom 6. August 2003, die als verbindlich anerkannten Vorgaben der Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1996 in der Fassung vom 27. März 2001 und die enge Verbindung der Beschwerdeführerin zum Verbund Katholischer Kliniken D. stehen einer vorrangig auf Vermögensmehrung ausgerichteten Aufgabenwahrnehmung der von ihr getragenen Einrichtungen entgegen. Allein das Ziel der Erwirtschaftung eines wirtschaftlichen Ergebnisses, das die Substanz der vorhandenen Einrichtungen und Arbeitsplätze sichert und eine sinnvolle Weiterentwicklung ermöglicht, ist für sich genommen noch nicht geeignet, die im Übrigen klar erkennbare religiöse Prägung ihres Handelns zu verdrängen.

151

2. Die Auferlegung besonderer Loyalitätsobliegenheiten gegenüber dem Kläger des Ausgangsverfahrens war vom Gewährleistungsinhalt des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV umfasst. Durch den Verweis auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993 (GrO) sowie § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrages vom 12. Oktober 1999 ist das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe wirksam und vorhersehbar zum Inhalt des Arbeitsvertrages geworden (nachfolgend a) und b)). Diese Loyalitätsanforderungen stehen ebenso wie ihre Abstufung nach Konfession und Stellung im Einklang mit den Maßstäben der verfassten römisch-katholischen Kirche. Sie erlegen dem Kläger des Ausgangsverfahrens keine unannehmbaren oder gegen grundlegende verfassungsrechtliche Gewährleistungen verstoßenden Obliegenheiten auf (nachfolgend c)).

152

a) Die Regelungen der Grundordnung einschließlich derer zum Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe sowie zu der Abstufung von Loyalitätserwartungen und arbeitsrechtlichen Sanktionen nach Konfession und Stellung des Arbeitnehmers sind von der Gesamtheit der katholischen Bischöfe in Deutschland übereinstimmend verabschiedet und promulgiert und damit für ihren jeweiligen Bereich als kirchliches Gesetz in Kraft gesetzt worden (vgl. Can. 391 § 1 CIC). Zweifel über den Inhalt der Maßstäbe der verfassten Kirche, denen seitens der staatlichen Gerichte durch entsprechende Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden zu begegnen gewesen wäre (vgl. BVerfGE 70, 138 <168>), liegen deshalb nicht vor.

153

b) Inhalt und Reichweite der dem Kläger des Ausgangsverfahrens auferlegten Obliegenheiten sowie die sich aus einem Verstoß möglicherweise ergebenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen waren für ihn mit hinreichender Bestimmtheit erkennbar, so dass er in der Lage war, sein Verhalten hieran auszurichten. Eine Unannehmbarkeit der an ihn gerichteten Loyalitätserwartungen wegen mangelnder Vorhersehbarkeit scheidet aus.

154

aa) Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrO formuliert die für alle katholischen Mitarbeiter geltenden Loyalitätsobliegenheiten, indem er die Beachtung und Anerkennung der "Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre" verlangt. Im Vergleich zu den nichtkatholischen christlichen Mitarbeitern (vgl. Art. 4 Abs. 2 GrO) und nichtchristlichen Mitarbeitern (vgl. Art. 4 Abs. 3 GrO) werden katholische Mitarbeiter - zu denen der Kläger des Ausgangsverfahrens zählt - damit gesteigerten Loyalitätsanforderungen unterworfen. Hiermit korrespondiert, dass in der Regel nur katholische Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die im leitenden Dienst ausgeübt werden, betraut werden dürfen (vgl. Art. 3 Abs. 2 GrO).

155

Art. 4 Abs. 1 Satz 3 GrO enthält für leitende Mitarbeiter eine weitere Steigerung der Loyalitätsobliegenheiten. Durch Verweis auf Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrO wird diesen "das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre" abverlangt, das in besonderem Maße auch die Beachtung und Anerkennung der katholischen Glaubenssätze im außerdienstlichen Bereich umfasst. Die in der Präambel des Arbeitsvertrages ebenfalls zur Grundlage des Arbeitsverhältnisses erklärte "Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen" vom 5. November 1996 in der Fassung vom 27. März 2001 stellt in Abschnitt A Ziff. 6 klar, dass unter anderem die Abteilungsärzte (Chefärzte) als leitende Mitarbeiter im Sinne der Grundordnung zu gelten haben.

156

Art. 5 GrO regelt die arbeitsrechtliche Sanktionierung von Loyalitätsverstößen und stellt in Absatz 1 Satz 3 klar, dass auch die einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung nach erfolgloser Ausschöpfung milderer Maßnahmen sowie unter Berücksichtigung der Schwere des Loyalitätsverstoßes in Betracht kommt. In Form von Regelbeispielen benennt Art. 5 Abs. 2 GrO bestimmte Loyalitätsverstöße, die aus Sicht der Kirche im Regelfall derart schwerwiegend sind, dass sie grundsätzlich geeignet sind, eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen zu rechtfertigen; hierdurch werden zugleich die in Art. 4 GrO auferlegten Loyalitätsobliegenheiten - wenn auch nicht abschließend - konkretisiert. Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 2 GrO benennt als schwerwiegenden Loyalitätsverstoß ausdrücklich den "Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe".

157

Für die durch Art. 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 GrO gesteigerten Loyalitätsanforderungen unterworfenen Mitarbeiter stellt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO klar, dass die vorstehend genannten, generell als Kündigungsgrund in Betracht kommenden Verstöße die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung in aller Regel ausschließen, wenn sie von einem leitenden Mitarbeiter begangen werden. Ein Absehen von der Kündigung soll ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn schwerwiegende Umstände des Einzelfalls die Kündigung als unangemessen erscheinen lassen (vgl. Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO).

158

bb) Für den Kläger des Ausgangsverfahrens, der als Chefarzt zur Gruppe der leitenden Mitarbeiter zählt, war demnach bereits bei Vertragsschluss aufgrund der in Bezug genommenen Regelungen der Grundordnung erkennbar, dass ein Loyalitätsverstoß durch Eingehung einer zweiten Ehe im Hinblick auf den Bestand seiner nach kirchlichem Recht geschlossenen ersten Ehe im Regelfall die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses als arbeitsrechtliche Sanktion nach sich ziehen würde. Tatbestand und Rechtsfolge eines derartigen Loyalitätsverstoßes waren zudem durch § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrages konkretisiert. Dem Kläger des Ausgangsverfahrens war danach bei der Entscheidung, die hiermit verbundene partielle Beschränkung seiner Freiheitsrechte durch Eingehung des Arbeitsverhältnisses mit der Beschwerdeführerin zu deren Konditionen hinzunehmen, der Umfang der damit eingegangenen Selbstbindung bewusst oder er hätte ihm jedenfalls bewusst sein müssen. Dies gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass nach dem in der Grundordnung zum Ausdruck kommenden Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche an einen katholischen Arbeitnehmer mit leitenden Aufgaben wegen seiner Konfession und der konkret bekleideten Stellung gesteigerte Erwartungen im Hinblick auf die Kenntnis der kirchlichen Lehre als Teil des beruflichen Anforderungsprofils gestellt werden können (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 50; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 1620/03, § 71).

159

c) Weder die Loyalitätsobliegenheit als solche noch die arbeitsrechtliche Sanktionierung von Verstößen aufgrund der Konfession einerseits und der leitenden Stellung andererseits ist verfassungsrechtlich zu beanstanden.

160

aa) Die durch Art. 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 GrO auferlegte und durch Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 2 GrO konkretisierte Loyalitätserwartung an die Mitarbeiter der römisch-katholischen Kirche, den nach katholischem Verständnis besonderen Charakter der kirchenrechtlich geschlossenen Ehe als dauerhaften und unauflöslichen Bund zwischen Mann und Frau zu respektieren und zu schützen, ist auf grundlegende und durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Glaubenssätze der römisch-katholischen Kirche rückführbar.

161

bb) Auch die Abstufung der Loyalitätsobliegenheiten nach der Konfession des kirchlichen Arbeitnehmers mit ihrer grundlegenden Kategorisierung nach Katholiken (Art. 4 Abs. 1 GrO), Nichtkatholiken (Art. 4 Abs. 2 GrO) und Nichtchristen (Art. 4 Abs. 3 GrO) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 4. Juni 1985 die beson-dere Bedeutung von Loyalitätserwartungen gegenüber Mitgliedern der eigenen Kirche anerkannt (vgl. BVerfGE 70, 138 <166>). Denn für die Kirchen kann ihre Glaubwürdigkeit davon abhängen, dass gerade ihre Mitglieder, die in ein Arbeitsverhältnis zu ihnen treten, die kirchliche Ordnung - auch in ihrer Lebensführung - respektieren. Die Abstufung knüpft zudem an die differenzierte Bindungswirkung des kanonischen Rechts an. Durch das katholische Kirchenrecht auferlegte Pflichten gelten ausschließlich für Katholiken (vgl. Can. 11 CIC).

162

cc) Die in Art. 4 Abs. 1 Satz 3, Art. 5 Abs. 3 GrO vorgesehene Verschärfung der Loyalitätsobliegenheiten von Arbeitnehmern in leitender Stellung ist ebenfalls von der Verfassung gedeckt. Leitende Arbeitnehmer nehmen Funktionen wahr, die hohe Bedeutung für Bestand, Entwicklung, Struktur und Umsetzung der vorgegebenen Ziele der kirchlichen Einrichtung haben. Ihnen kommt eine besondere Verantwortung für die Wahrung des spezifisch religiösen Charakters und damit der Erfüllung von Sendung und Auftrag der Kirche zu. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die außerkirchliche als auch die innerkirchliche Öffentlichkeit (vgl. Dütz, NJW 1994, S. 1369 <1371, 1373>).

163

3. Das Bundesarbeitsgericht hat im Rahmen der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG bei der Gewichtung der Interessen der Beschwerdeführerin Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV) verkannt. Es hat auf der ersten Stufe eine eigenständige Bewertung religiös vorgeprägter Sachverhalte vorgenommen und seine eigene Einschätzung der Bedeutung der Loyalitätsobliegenheit und des Gewichtes eines Verstoßes hiergegen an die Stelle der kirchlichen Einschätzung gesetzt, obschon diese anerkannten kirchlichen Maßstäben entspricht und nicht mit grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen in Widerspruch steht. Auf diese Weise hat es die Unwirksamkeit der Kündigung mit einem vermeintlich leichteren Gewicht der Rechtsposition der Beschwerdeführerin begründet - deren Bestimmung jedoch allein Sache der verfassten römisch-katholischen Kirche gewesen wäre -, statt ein besonders hohes Gewicht der Gegenposition des Klägers des Ausgangsverfahrens in die Abwägung einzubringen (vgl. auch: Reichold/Hartmeyer, AP Nr. 92 zu § 1 KSchG 1969, Bl. 1675 ff.; Pötters, EzA § 611 BGB 2002 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 21, S. 15 ff.; Magen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 41 <48 ff.>; Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, S. 225 <230>).

164

a) Soweit das Bundesarbeitsgericht zu Lasten der Beschwerdeführerin darauf abstellt, dass nach Art. 3 Abs. 2 GrO auch nichtkatholische Personen mit leitenden Aufgaben betraut werden können und die römisch-katholische Kirche es daher offenbar nicht als zwingend erforderlich erachte, Führungspositionen an das Lebenszeugnis für die katholische Sittenlehre zu knüpfen (BAG, Urteil vom 8. September 2011, S. 14 UA (Rn. 41)), liegt hierin eine unzulässige eigene Bewertung der Schwere des Loyalitätsverstoßes. Das Gericht überprüft die in Ausübung der Kirchenautonomie getroffene Abstufung von Loyalitätsobliegenheiten (vgl. BVerfGE 70, 138 <167 f.>) nach Konfession und Stellung im Allgemeinen und erachtet sie anhand seiner eigenen - säkularen - Maßstäbe als widersprüchlich.

165

aa) Die römisch-katholische Kirche hat in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts bei der flächendeckenden Promulgation der Grundordnung festgelegt, dass der kirchliche Arbeitgeber in der Regel leitende Aufgaben nur einer Person übertragen kann, die katholischen Glaubens ist (vgl. Art. 3 Abs. 2 GrO). In diesem Fall unterliegt der Mitarbeiter nicht nur den nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrO für alle katholischen Mitarbeiter geltenden Loyalitätsobliegenheiten, sondern erfährt aufgrund seiner Leitungsposition auch die in Art. 4 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 GrO enthaltene weitere Verschärfung der an ihn gerichteten Loyalitätserwartungen. Im Falle des Verstoßes gegen diese Anforderungen sieht Art. 5 Abs. 3 GrO als Regelfall die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor, erachtet den Loyalitätsverstoß also als besonders schwerwiegend. Hiervon ist die Beschwerdeführerin auch im vorliegenden Fall ausgegangen.

166

bb) Diese Einschätzung stellt das Bundesarbeitsgericht dadurch infrage, dass es auf die in der Grundordnung offengehaltene Möglichkeit verweist, leitende Aufgaben - im Ausnahmefall (vgl. hierzu etwa Ziff. 3 der "Ausführungsrichtlinien und Hinweise zur Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" der Diözese Münster vom 1. April 1994) - auch nichtkatholischen christlichen Mitarbeitern zu übertragen. Zudem erachtet das Bundesarbeitsgericht unter Übergehung der kirchlichen Einschätzung zwei Tatbestände als vergleichbar, die für die römisch-katholische Kirche von ganz unterschiedlichem Gewicht sind: Für ihre Glaubwürdigkeit, die Integrität der Dienstgemeinschaft und die Vertrauensbasis der Mitarbeiterschaft hat es ein signifikant anderes Gewicht, ob in Ausnahmefällen in leitenden Funktionen auch Personen beschäftigt werden, die aus kirchenrechtlichen Gründen von Beginn an nur verminderten Loyalitätsobliegenheiten unterliegen oder ob Personen weiterbeschäftigt werden müssen, die gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zur katholischen Kirche bevorzugt diese Positionen erhalten haben und daher erhöhten Loyalitätsbindungen unterliegen, diese aber bewusst brechen und damit nicht nur gegen ihre arbeitsvertraglichen Obliegenheiten, sondern auch gegen ihre Pflichten als Mitglied der Kirche verstoßen.

167

b) Auch soweit das Bundesarbeitsgericht aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit mehrfach auch Chefärzte weiterbeschäftigt habe, die als Geschiedene erneut geheiratet hatten, auf ein vermindertes Kündigungsinteresse geschlossen hat, setzt es seine Einschätzung der Gewichtigkeit des durch den Kläger des Ausgangsverfahrens begangenen Loyalitätsverstoßes an die Stelle der verfassten Kirche, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein.

168

aa) Dies gilt zunächst, soweit das Bundesarbeitsgericht auch nichtkatholische geschiedene Chefärzte in seine Betrachtung eingestellt hat. Das Gericht stellt wiederum die Abstufung von Loyalitätsanforderungen nach der Konfession des Stelleninhabers insgesamt in Frage. Dabei setzt es sich über die bereits im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 enthaltene Vorgabe hinweg, wonach auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine "Abstufung" der Loyalitätsobliegenheiten eingreifen soll, eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit ist (vgl. BVerfGE 70, 138 <167 f.>).

169

bb) Nichts anderes gilt, soweit das Bundesarbeitsgericht auf die Weiterbeschäftigung katholischer Chefärzte nach ihrer Wiederheirat verweist. Das Bundesarbeitsgericht wäre von Verfassungs wegen nur dann zu einer eigenständigen Gewichtung des Loyalitätsverstoßes des Klägers des Ausgangsverfahrens entgegen der kirchlichen Einschätzung ermächtigt gewesen, wenn es durch die Anwendung der kirchlicherseits vorgegebenen Kriterien mit den grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen in Widerspruch geraten wäre. Dies ist nicht der Fall. Insbesondere ist die durch die Beschwerdeführerin vorgenommene hohe Gewichtung des Loyalitätsverstoßes seitens des Klägers des Ausgangsverfahrens auch in Anbetracht der Fälle, in denen katholischen Chefärzten nach Wiederverheiratung nicht gekündigt worden war, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. auch Reichold/Hartmeyer, AP Nr. 92 zu § 1 KSchG 1969, Bl. 1675 <1678>).

170

(1) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf im Urteil vom 1. Juli 2010, an die das Bundesarbeitsgericht gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG in Verbindung mit § 559 Abs. 1 ZPO gebunden ist, waren in der Vergangenheit lediglich zwei katholische Chefärzte nach erneuter Heirat weiterbeschäftigt worden. Im ersten Fall erfuhr die Beschwerdeführerin von der Wiederverheiratung des Chefarztes erst einen Monat vor dessen altersbedingtem Ausscheiden und sah in Anbetracht dieses Umstands von einer Kündigung ab. Im zweiten Fall lag der sachgerechte Grund für die abweichende Vorgehensweise der Beschwerdeführerin in der zwischenzeitlich deutlich geänderten innerkirchlichen Rechtslage und der daraus sich ergebenden Vorhersehbarkeit einer Kündigung im Falle einer Wieder- heirat.

171

(2) Verfassungsrechtlich nicht haltbar ist daher auch die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts, gerade hieraus lasse sich für den Fall des Klägers des Ausgangsverfahrens der Rückschluss ziehen, dass die Beschwerdeführerin das Ethos ihrer Organisation durch eine differenzierte Handhabung bei der Anwendung und Durchsetzung ihres legitimen Loyalitätsbedürfnisses selbst nicht zwingend gefährdet sah. Einerseits beruht sie auf der wenig überzeugenden Prämisse, dass Kompromissbereitschaft aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ein Nachweis dafür sei, dass der kompromittierte Wert nicht hoch eingeschätzt werde (vgl. Magen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 41 <49 f.>). Andererseits basiert sie auf der unzutreffenden Annahme, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht falle bei der Abwägung nur dann ins Gewicht, wenn es - auch unter Überspielung der eigenen Grundsätze - seitens der Kirchen ausnahmslos durchgesetzt werde. Ein derartiger "Kündigungsautomatismus", den das Bundesarbeitsgericht der Beschwerdeführerin abzuverlangen scheint, ist jedoch nicht nur dem deutschen Kündigungsschutzrecht fremd, sondern steht auch im Widerspruch zu verfassungsrechtlichen (vgl. BVerfGE 70, 138 <166 f.>) wie konventionsrechtlichen Vorgaben (vgl. EGMR, Obst v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Nr. 425/03, § 51).

172

c) Auch die Annahme des Bundesarbeitsgerichts, die Beschwerdeführerin habe nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bereits seit längerem von dem ehelosen Zusammenleben des Klägers mit seiner späteren zweiten Ehefrau gewusst was erkennen lasse, dass die Beschwerdeführerin ihre Glaubwürdigkeit nicht durch jeden Loyalitätsverstoß eines Mitarbeiters als erschüttert ansehe (vgl. BAG, Urteil vom 8. September 2011, S. 14 UA (Rn. 43)), verfehlt die verfassungsrechtlichen Anforderungen und verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV (zu Fragen des Vertrauensschutzes, vgl. Rn. 181). Das Bundesarbeitsgericht setzt sich über den Maßstab der verfassten Kirche hinweg, indem es das Leben in kirchlich ungültiger Ehe mit dem Leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gleichsetzt und aus der vermeintlich bestehenden Gleichwertigkeit beider Tatbestände Rückschlüsse auf eine das Kündigungsinteresse der Beschwerdeführerin verringernde Inkonsistenz der arbeitsrechtlichen Gewichtung und Sanktionierung von Loyalitätsverstößen zieht (vgl. auch Pötters, EzA § 611 BGB 2002 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 21, S. 15<18>; Reichold/Hartmeyer, AP Nr. 92 zu § 1 KSchG 1969, Bl. 1675 <1678>).

173

aa) Die Grundordnung als relevanter Maßstab der verfassten Kirche sieht - neben anderen Tatbeständen - nur den Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe als ausreichend schwerwiegenden Loyalitätsverstoß an, der eine Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigen kann (Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 2 GrO) und bei leitenden Arbeitnehmern nach Einschätzung der Kirche im Regelfall auch rechtfertigt (Art. 5 Abs. 3 GrO). Diese scharfe Sanktionierung des Loyalitätsverstoßes beruht auf dem besonderen sakramentalen Charakter der Ehe und dem für das katholische Glaubensverständnis zentralen Dogma der Unauflöslichkeit des gültig geschlossenen Ehebandes zu Lebzeiten.

174

Das ehelose Zusammenleben mit einem anderen Partner trotz fortbestehender Ehe hat nach dem Maßstab der verfassten römisch-katholischen Kirche demgegenüber eine andere Qualität. Zwar entspricht die nichteheliche Lebensgemeinschaft neben einer weiterbestehenden Ehe ebenfalls nicht dem Ethos der römisch-katholischen Kirche. Die katholischen Diözesanbischöfe haben jedoch in Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und in Ausfüllung der durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 den Kirchen überlassenen Spielräume entschieden, diesem Glaubenssatz mit Wirkung für das weltliche Arbeitsverhältnis nicht dasselbe Gewicht zuzumessen wie dem Verbot der erneuten Heirat zu Lebzeiten des ursprünglichen Ehepartners. Die Beschwerdeführerin betont in diesem Zusammenhang, dass erst durch die Wiederheirat der Loyalitätsverstoß eine neue Qualität erreiche, indem der Bruch mit der nach kirchlichem Recht weiterhin gültigen Ehe offiziell dokumentiert und perpetuiert werde (vgl. hierzu bereits: Rüfner, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 66, S. 901 <923>). Die Wiederverheiratung schaffe zugleich einen kaum mehr änderbaren Dauerzustand, während der Ehebruch - obschon nach der Lehre der Kirche eindeutig missbilligt - durch ein zukünftiges Unterlassen korrigierbar sei und daher noch die Möglichkeit bestehe, dass die eheliche Lebensgemeinschaft wieder hergestellt werde.

175

bb) Dieses in der Grundordnung zum Ausdruck gebrachte und für die welt-lichen Gerichte grundsätzlich bindende Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche, dass gerade der Bruch des sakramentalen Bandes durch eine erneute Heirat einen "wesentlichen Grundsatz der Glaubens- und Sittenlehre" für die römisch-katholische Kirche verletzt und hierin ein besonders schwerwiegender Loyalitätsverstoß zu erblicken ist, ist plausibel und beruht in Anbetracht des Vorstehenden nicht auf einem Verstoß gegen grundlegende verfassungsrechtliche Gewährleistungen, so dass es durch die staatlichen Gerichte ihren Entscheidungen zugrunde zu legen gewesen wäre.

176

Dies hat das Bundesarbeitsgericht missachtet und zugleich die Einschätzung der römisch-katholischen Kirche über die für sie relevanten Loyalitätsobliegenheiten dadurch relativiert, dass es aus der Tatsache, dass ein nach Einschätzung des Gerichts vermeintlich gleichwertiger Loyalitätsverstoß nicht konsequent geahndet wird, auf eine generelle Duldung auch anderer Pflichtverletzungen und eine Vernachlässigung der diesen zugrunde liegenden Prinzipien geschlossen hat. Indem das Bundesarbeitsgericht hierdurch die Kenntnis der Beschwerdeführerin von einem nach Einschätzung der verfassten Kirche qualitativ andersartigen und unbedeutenderen Loyalitätsverstoß zum Anlass nimmt, ihr Interesse an der arbeitsrechtlichen Ahndung des aus ihrer Sicht schwerwiegenderen Loyalitätsverstoßes des Klägers des Ausgangsverfahrens in Frage zu stellen, hat es die auf Grundlage ihrer katholischen Glaubensgrundsätze durch die Kirche gebildete Abstufung der Loyalitätsobliegenheiten und arbeitsrechtlichen Sanktionierungen nivelliert und dem in Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Beschwerdeführerin nicht in dem gebotenen Umfang Rechnung getragen.

III.

177

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Bundesarbeitsgericht wird bei der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG die praktische Konkordanz zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und der korporativen Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) auf Seiten der Beschwerdeführerin und dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) sowie dem Gedanken des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) auf Seiten des Klägers des Ausgangsverfahrens herzustellen haben (vgl. hierzu BVerfGE 89, 214 <232>; 97, 169 <176>).

178

1. Art. 6 Abs. 1 GG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts (vgl. BVerfGE 6, 55 <71 f.>; 6, 386 <388>; 9, 237 <248>; 22, 93 <98>; 24, 119 <135>; 61, 18 <25>; 62, 323 <329>; 76, 1 <41, 49>; 105, 313 <346>; 107, 205 <212 f.>; 131, 239 <259>). Er stellt Ehe und Familie als die Keimzelle jeder menschlichen Gemeinschaft unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung (vgl. BVerfGE 6, 55 <72>; 55, 114 <126>; 105, 313 <346>) und garantiert eine Sphäre privater Lebensgestaltung, die staatlicher Einwirkung entzogen ist (stRspr., vgl. BVerfGE 21, 329 <353>; 61, 319 <346 f.>; 99, 216 <231>; 107, 27 <53>). Zum Gehalt der Ehe, wie er sich ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Änderungen ihrer rechtlichen Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung bekommen hat, gehört, dass sie die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ist, begründet auf freiem Entschluss unter Mitwirkung des Staates (vgl. BVerfGE 10, 59 <66>; 29, 166 <176>; 62, 323 <330>; 105, 313 <345>; 115, 1 <19>; 121, 175 <193>; 131, 239 <259>), in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander stehen (vgl. BVerfGE 37, 217 <249 ff.>; 103, 89 <101>; 105, 313 <345>) und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens frei entscheiden können (vgl. BVerfGE 39, 169 <183>; 48, 327 <338>; 66, 84 <94>; 105, 313 <345>).

179

Maßgeblich aus Sicht des Grundgesetzes ist dabei das Bild einer "verweltlichten" bürgerlich-rechtlichen Ehe (vgl. BVerfGE 31, 58 <82 f.>), das durch das christliche Eheverständnis traditionell geprägt, aber mit diesem nicht inhaltlich identisch ist. Da die konstitutiven Merkmale einer Ehe und die Gründe ihrer Aufhebung in der kirchlichen und der staatlichen Rechtsordnung nicht kongruent sind, können daher Bestand und Fortbestand einer Ehe aus Sicht des Staates und aus Sicht der Kirche unterschiedlich beurteilt werden (vgl. Pirson, in: Listl/ders., Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 28, S. 787 <798>). Zwar ist auch nach dem deutschen Eherecht die Ehe eine auf Lebenszeit geschlossene Gemeinschaft (vgl. § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB), sie ist jedoch im Gegensatz zu der nach katholischem Ritus geschlossenen Ehe nicht unauflöslich, sondern kann unter den im Gesetz normierten Voraussetzungen geschieden werden, wodurch die Ehegatten ihre Eheschließungsfreiheit wiedererlangen (vgl. BVerfGE 10, 59 <66>; 31, 58 <82>; 53, 224 <245, 250>). Aus diesem Grund kann eine nach einer vorherigen Scheidung geschlossene Ehe verfassungsrechtlich nicht geringer bewertet werden als die Erstehe (vgl. BVerfGE 55, 114 <128 f.>; 66, 84 <93>; 68, 256 <267 f.>; 108, 351 <364>).

180

2. Bisher hat das Bundesarbeitsgericht lediglich festgestellt, dass der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG zu Gunsten des Klägers des Ausgangsverfahrens und seiner zweiten Ehefrau eröffnet ist und dass der Schutz von Ehe und Familie daher - ebenso wie die Wertungen aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 12 EMRK - im Wege mittelbarer Drittwirkung bei der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG Berücksichtigung zu finden hat. Es hat jedoch bisher nicht dargelegt, weshalb diese Rechtspositionen, die begrifflich bei ausnahmslos jeder Kündigung wegen Wiederverheiratung betroffen sind, gerade im vorliegenden Fall in einem Maße tangiert sind, das es rechtfertigen würde, den Interessen des Klägers des Ausgangsverfahrens den Vorrang vor den Interessen der Beschwerdeführerin einzuräumen. Der Hinweis auf die Eröffnung des Schutzbereichs kann für sich genommen hierfür nicht ausreichen, da anderenfalls die in Ausübung des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts festgelegte Loyalitätsobliegenheit entwertet (vgl. auch: Joussen, in: Kämper/Puttler , Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, 2013, S. 27 <38>) und ein Vorrang von Art. 6 Abs. 1 GG gegenüber den kirchlichen Rechtspositionen vermutet würde, der verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Andererseits reicht dieser Hinweis auch nicht, um der für den Kläger des Ausgangsverfahrens und seiner jetzigen Ehefrau aus der Situation erwachsenden emotionalen Zwangslage gerecht zu werden. Das Bundesarbeitsgericht wird daher - gegebenenfalls nach Ermöglichung ergänzender Tatsachenfeststellungen - eine eingehende und alle wesentliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Abwägung der durch die Kündigung tangierten Rechtspositionen der Beschwerdeführerin und des Klägers des Ausgangsverfahrens vorzunehmen haben.

181

3. Das Bundesarbeitsgericht wird auch den Gedanken des Vertrauensschutzes insoweit zu würdigen haben, als § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrages in Abweichung von der Grundordnung unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich von Verstößen gegen kirchliche Grundsätze - Verstoß gegen das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe einerseits und Verstoß gegen das Verbot des Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft andererseits - nicht vorsieht und die individualvertragliche Abrede besonderes Vertrauen des Arbeitnehmers ausgelöst haben könnte.

182

4. Ferner wird es zu beachten haben, dass die Freiwilligkeit der Eingehung von Loyalitätsobliegenheiten durch den kirchlichen Arbeitnehmer im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist (vgl. BAG, Urteil vom 25. April 2013 - 2 AZR 579/12 - juris, Rn. 32; EGMR, Schüth v. Deutschland, Urteil vom 23. September 2010 Nr. 1620/03, § 71; EGMR, Siebenhaar v. Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011 Nr. 18136/02, § 46) und dem Arbeitgeber nach einem einmaligen Fehlverhalten die Fortführung des Arbeitsverhältnisses eher zugemutet werden kann als in Konstellationen, in denen er dauerhaft mit dem illoyalen Verhalten des Arbeitnehmers konfrontiert wird (vgl. BAG, Urteil vom 25. Mai 1988 - 7 AZR 506/87 - juris, Rn. 27; hierzu auch: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. Januar 2001 - 1 BvR 619/92 -, juris, Rn. 8 f.).

D.

183

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Dies erscheint auch in Anbetracht des durch die Beschwerdeführerin noch vollständig erreichbaren (fachgerichtlichen) Rechtsschutzziels nicht als unangemessen.

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.

(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

(2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.