Bundesgerichtshof Urteil, 01. Okt. 2004 - V ZR 330/03

01.10.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 330/03 Verkündet am:
1. Oktober 2004
W i l m s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat im schriftlichen Verfahren auf
Grund der bis zum 27. August 2004 eingegangenen Schriftsätze durch den
Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel und die Richter Tropf,
Dr. Lemke, Dr. Gaier und Dr. Schmidt-Räntsch

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 13. November 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger verkaufte im Dezember 1999 ein landwirtschaftliches Anwesen an die Beklagten. Diese müssen nach den Behauptungen des Klägers für den Kaufpreis und weitere vereinbarte Leistungen lediglich 400.000 DM auf-
wenden, während die verkauften Grundstücke nebst mitveräußertem Inventar einen Wert von mindestens 800.000 DM haben sollen. Der Kläger hält den Kaufvertrag wegen Wuchers, zumindest aber als wucherähnliches, sittenwidriges Geschäft für nichtig. Nach Aufhebung eines ersten Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht hat er zudem behauptet, er habe sich bei Vertragsschluß in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden, der eine freie Willensbildung ausgeschlossen habe. Die Nichtigkeit der Vereinbarungen sei deshalb unabhängig von der Frage der Sittenwidrigkeit gegeben. Der Kläger verlangt von den Beklagten in erster Linie, seiner Wiedereintragung als Grundstückseigentümer zuzustimmen, hilfsweise, die Rückauflassung der Grundstücke an ihn. Mit dem nach Zurückverweisung der Sache erlassenen Urteil hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die - von dem Senat zugelassene - Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht geht von der Wirksamkeit des Kaufvertrages aus. Zwar sei ein grobes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zu bejahen, die hierauf gestützte Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch erschüttert. Damit seien Sittenwidrigkeit und Wucher ausgeschlossen. Auf seine Geschäftsunfähigkeit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses habe sich der Kläger selbst nicht berufen.

Dies hält in einem wesentlichen Punkt revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

II.


Die Revision rügt mit Erfolg, daß das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers übergangen hat, er sei sowohl zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 6. Dezember 1999 als auch bei der Nachtragsbeurkundung am 12. Dezember 1999 nicht geschäftsfähig gewesen.
1. Allerdings hatte der Kläger sein Vorbringen zunächst auf eine Nichtigkeit des Kaufvertrages wegen Wuchers oder wegen Sittenwidrigkeit auf Grund eines wucherähnlichen Geschäfts beschränkt. Nur in diesem Zusammenhang hat der Kläger behauptet, er sei physisch und psychisch nicht in der Lage gewesen, sachgerechte Entscheidungen zu treffen. Dies hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 7. Dezember 2000 vor dem Berufungsgericht klargestellt. Nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht hat der Kläger indessen seinen Vortrag erweitert und im Schriftsatz vom 5. März 2003 ausdrücklich und unter Beweisantritt behauptet , er sei im maßgeblichen Zeitraum nicht geschäftsfähig gewesen. Dieses neue Vorbringen hat das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Andernfalls wäre der Hinweis des Berufungsgerichts nicht verständlich , der Kläger habe sich auf seine Geschäftsunfähigkeit "selbst nicht berufen." Zudem ergibt sich die Nichtberücksichtigung dieses Vorbringens daraus, daß der Tatbestand des Berufungsurteils - abgesehen von einer pauschalen Bezugnahme auf die gewechselten Schriftsätze - nicht über die Sachverhaltsdarstellung in dem zuvor ergangenen Urteil des Senats hinausgeht,
bei der die erst später aufgestellte neue Behauptung noch keine Erwähnung finden konnte.
2. Die Nichtberücksichtigung dieses neuen Vorbringens durch das Berufungsgericht stellt einen Verfahrensfehler dar. Da der Vortrag in zulässiger Weise in den Rechtsstreit eingebracht worden ist, hätte er nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO Beachtung finden müssen. Nach der Zurückverweisung an das Berufungsgericht sind die Parteien nur nach den allgemeinen Vorschriften - hier auf Grund der Präklusionsbestimmungen der §§ 527, 528 ZPO a.F. (§ 26 Nr. 5 EGZPO) - an neuem Vorbringen im Berufungsverfahren gehindert (vgl. MünchKomm-ZPO/Wenzel, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 563 Rdn. 6). Ob die Voraussetzungen für eine Zurückweisung des Vorbringens gegeben waren , bedarf keiner Entscheidung; denn der Senat vermag die von dem Berufungsgericht unterlassene Präklusion nicht nachzuholen (vgl. BGH, Urt. v. 13. Dezember 1989, VIII ZR 204/82, NJW 1990, 1302, 1304).
3. Der Verfahrensfehler des Berufungsgerichts ist für dessen Entscheidung ursächlich geworden. Bleibt - wie hier - Vorbringen unberücksichtigt, so genügt für die Ursächlichkeit der Rechtsverletzung bereits die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung des Berufungsgerichts (Senat, Urt. v. 18. Juli 2003, V ZR 187/02, NJW 2003, 3205, 3206). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt; denn sollte der Kläger seine fehlende Geschäftsfähigkeit beweisen können, wäre die Klage wegen der Nichtigkeit der Willenserklärungen des Klägers (§ 104 Nr. 2, § 105 BGB) bereits im Hauptantrag begründet.
4. Das Berufungsurteil kann demnach keinen Bestand haben (§ 562 ZPO). Wegen der Notwendigkeit weiterer Feststellungen ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
5. Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem weiteren Verfahren vorbehalten. Für die Revisionsinstanz hält der Senat die Voraussetzungen des § 8 GKG a.F. (§ 72 Nr. 1 GKG n.F.) für gegeben.
Wenzel Tropf Lemke Gaier Schmidt-Räntsch

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Referenzen - Gesetze

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 563 Zurückverweisung; eigene Sachentscheidung


(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 562 Aufhebung des angefochtenen Urteils


(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 104 Geschäftsunfähigkeit


Geschäftsunfähig ist:1.wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,2.wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorüberge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 528 Bindung an die Berufungsanträge


Der Prüfung und Entscheidung des Berufungsgerichts unterliegen nur die Berufungsanträge. Das Urteil des ersten Rechtszuges darf nur insoweit abgeändert werden, als eine Abänderung beantragt ist.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 72 Übergangsvorschrift aus Anlass des Inkrafttretens dieses Gesetzes


Das Gerichtskostengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975 (BGBl. I S. 3047), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 5 des Gesetzes vom 12. März 2004 (BGBl. I S. 390), und Verweisungen hierauf sind weiter anzuwenden 1. in Recht

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 8 Strafsachen, Bußgeldsachen


In Strafsachen werden die Kosten, die dem verurteilten Beschuldigten zur Last fallen, erst mit der Rechtskraft des Urteils fällig. Dies gilt in gerichtlichen Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten entsprechend.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 105 Nichtigkeit der Willenserklärung


(1) Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig. (2) Nichtig ist auch eine Willenserklärung, die im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 527 Vorbereitender Einzelrichter


(1) Wird der Rechtsstreit nicht nach § 526 dem Einzelrichter übertragen, kann das Berufungsgericht die Sache einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Vorbereitung der Entscheidung zuweisen. In der Kammer für Handelssachen ist Einzelrichter der V

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(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Wird der Rechtsstreit nicht nach § 526 dem Einzelrichter übertragen, kann das Berufungsgericht die Sache einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Vorbereitung der Entscheidung zuweisen. In der Kammer für Handelssachen ist Einzelrichter der Vorsitzende; außerhalb der mündlichen Verhandlung bedarf es einer Zuweisung nicht.

(2) Der Einzelrichter hat die Sache so weit zu fördern, dass sie in einer mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erledigt werden kann. Er kann zu diesem Zweck einzelne Beweise erheben, soweit dies zur Vereinfachung der Verhandlung vor dem Berufungsgericht wünschenswert und von vornherein anzunehmen ist, dass das Berufungsgericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag.

(3) Der Einzelrichter entscheidet

1.
über die Verweisung nach § 100 in Verbindung mit den §§ 97 bis 99 des Gerichtsverfassungsgesetzes;
2.
bei Zurücknahme der Klage oder der Berufung, Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch oder Anerkenntnis des Anspruchs;
3.
bei Säumnis einer Partei oder beider Parteien;
4.
über die Verpflichtung, die Prozesskosten zu tragen, sofern nicht das Berufungsgericht gleichzeitig mit der Hauptsache hierüber entscheidet;
5.
über den Wert des Streitgegenstandes;
6.
über Kosten, Gebühren und Auslagen.

(4) Im Einverständnis der Parteien kann der Einzelrichter auch im Übrigen entscheiden.

Der Prüfung und Entscheidung des Berufungsgerichts unterliegen nur die Berufungsanträge. Das Urteil des ersten Rechtszuges darf nur insoweit abgeändert werden, als eine Abänderung beantragt ist.

Geschäftsunfähig ist:

1.
wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,
2.
wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.

(1) Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig.

(2) Nichtig ist auch eine Willenserklärung, die im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird.

(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

In Strafsachen werden die Kosten, die dem verurteilten Beschuldigten zur Last fallen, erst mit der Rechtskraft des Urteils fällig. Dies gilt in gerichtlichen Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten entsprechend.

Das Gerichtskostengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975 (BGBl. I S. 3047), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 5 des Gesetzes vom 12. März 2004 (BGBl. I S. 390), und Verweisungen hierauf sind weiter anzuwenden

1.
in Rechtsstreitigkeiten, die vor dem 1. Juli 2004 anhängig geworden sind; dies gilt nicht im Verfahren über ein Rechtsmittel, das nach dem 1. Juli 2004 eingelegt worden ist;
2.
in Strafsachen, in gerichtlichen Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten und nach dem Strafvollzugsgesetz, wenn die über die Kosten ergehende Entscheidung vor dem 1. Juli 2004 rechtskräftig geworden ist;
3.
in Insolvenzverfahren, Verteilungsverfahren nach der Schifffahrtsrechtlichen Verteilungsordnung und Verfahren der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung für Kosten, die vor dem 1. Juli 2004 fällig geworden sind.