Bundesgerichtshof Urteil, 28. März 2001 - 3 StR 551/00

bei uns veröffentlicht am28.03.2001

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 551/00
vom
28. März 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. März
2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Kutzer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Winkler,
Pfister,
von Lienen
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwältin bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 4. Juli 2000 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn Fällen, davon in sechs Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von diesen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt ist, hat keinen Erfolg.
Die Auslegung der Revisionsbegründungsschrift vom 16. Oktober 2000 ergibt, daß sich das Rechtsmittel lediglich gegen den Schuldspruch wegen Totschlags und gegen die Gesamtfreiheitsstrafe richtet. Es hat keinen Erfolg.
1. Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
Der in den Niederlanden lebende Angeklagte belieferte den später getöteten B. in der Zeit von Mai bis Juli 1999 in zehn Fällen mit Marihuana
in Mengen von etwa 300 bis 1000 Gramm, wobei die Übergabe der Drogen entweder in einer Sporttasche oder in einer braunen oder blauen Kunststofftonne erfolgte. Darüber hinaus standen beide in Verhandlungen über die Gründung einer Firma zum Umschlag von Transportpaletten von Litauen nach England, wobei offen blieb, ob es sich dabei um eine Scheinfirma für den Schmuggel unversteuerter Zigaretten von Litauen nach England handelte. Am frühen Morgen des 23. Juli 1999 gegen fünf Uhr fuhr der Angeklagte zusammen mit seinem mit einer Pistole, einem Messer und einem Totschläger bewaffneten "Bodyguard" Bo. zu einem telefonisch vereinbarten Treffen mit B. an einem einsamen Feldweg in der Nähe von Bremerhaven. Dort wurde B. mit mindestens vier Pistolenschüssen, achtzehn Messerstichen und Schlägen auf den Hinterkopf mit einem Totschläger oder ähnlichem Schlagwerkzeug getötet, wobei Bo. die Pistolenschüsse abgegeben hatte, aber offen blieb, wer dem Opfer die Stich- und Schlagverletzungen beigebracht hatte. Beide Beteiligte flüchteten in die Niederlande ; während Bo. untergetaucht ist, konnte der Angeklagte festgenommen und ausgeliefert werden. Er hat sich zunächst dahin eingelassen, B. habe das Treffen lebend verlassen und müsse das Opfer dritter Personen, etwa aus der litauischen Zigarettenmafia oder eines "Andre" aus Amsterdam, mit dem er Probleme gehabt habe, gewesen sein.
Am 7. Hauptverhandlungstag hat der Angeklagte seine Einlassung geändert und angegeben, daß B. bei dem Treffen von Bo. für ihn völlig überraschend und ohne erkennbaren Grund getötet worden sei, ohne daß er habe eingreifen können. Das "geschäftliche" Gespräch zuvor sei problemlos verlaufen.
Demgegenüber ist die Strafkammer zu der Überzeugung gelangt, daß es zwischen dem Angeklagten und B. zu einem Streit wegen der Sporttasche und der blauen Kunststofftonne gekommen ist, in dessen Verlauf B. wegen seines "Fehlverhaltens" auf Grund eines zwischen dem Angeklagten und seinem "Bodyguard" zuvor gefaßten gemeinschaftlichen Tatentschlusses getötet worden ist, wobei Bo. in Gegenwart und mit Zustimmung des Angeklagten gehandelt hatte.
2. Die Verfahrensrüge ist unzulässig. Der Beschwerdeführer macht mit der Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO geltend, die Ermittlungsakten gegen den Mittäter Bo. hätten beigezogen werden müssen, weil sich aus ihr "möglicherweise" Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, daß auch er in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen sei. Damit fehlt es an der für eine zulässige Aufklärungsrüge erforderlichen Angabe einer bestimmten Beweistatsache , zu der die vermißte Beweiserhebung hätte führen sollen, ebenso wie an einer hinreichenden Bezeichnung des Beweismittels und an einer Angabe der Umstände, durch die sich der Tatrichter zu der Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen (vgl. BGHR StPO § 344 II 2 Aufklärungsrüge 7). Dazu hätte dargelegt werden müssen, welche konkreten, näher zu bezeichnenden Urkunden in diesen Ermittlungsakten welche Tatsachen ergeben hätten oder zumindest welche Umstände dem Tatrichter Anhaltspunkte für eine sich aus den Ermittlungsakten ergebende Verstrickung desBo. in weitere kriminelle Machenschaften hätten geben können (BGHR aaO).
3. Die Sachrüge ist unbegründet, insbesondere die tatrichterliche Beweiswürdigung der Strafkammer rechtlich nicht zu beanstanden.
Allein dem Tatrichter ist die Aufgabe übertragen, ohne Bindung an Beweisregeln eigenverantwortlich zu prüfen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Geschehen überzeugen kann (BGHSt 10, 208, 209). Beachtet er dabei die ihm gezogenen Grenzen, so hat das Revisionsgericht die so gewonnene Überzeugung hinzunehmen (vgl. Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 51 m.w.Nachw.). Auch die Revisionsbegründung hat nicht aufgezeigt, daß die Beweiswürdigung rechtlich fehlerhaft, insbesondere widersprüchlich, unklar oder nicht erschöpfend ist oder gegen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. Engelhardt aaO).
Dabei hat die Strafkammer ihrer Überzeugung von der mittäterschaftlichen Beteiligung des Angeklagten insbesondere folgende getroffene Feststellungen zugrunde gelegt: - Bo. war nur der "Bodyguard" des Angeklagten und an den illegalen Geschäften zwischen diesem und dem späteren Opfer B. nicht beteiligt. Ein Motiv für ein Vorgehen gegen B. bei "geschäftlichen" Differenzen hatte somit der Angeklagte, nicht aber Bo. s elbst, zumal auch keine Anhaltspunkte für sonstige Streitpunkte zwischen Bo. und B. gegeben waren. - Der Angeklagte hatte Kenntnis von der Bewaffnung des Bo. . Die sich über eine längere Zeit erstreckende Tat erfolgte in seiner Gegenwart nach einer Verabredung an einsamer Stelle zu ungewöhnlicher Zeit, ohne daß er dagegen eingeschritten wäre. - Zwischen dem Angeklagten und B. war es zu geschäftlichen Differenzen gekommen, die mit der Rückgabe der Drogentransportbehälter Sporttasche und blaue Kunststofftonne zu tun hatten, ohne daß hierzu nähere Ein-
zelheiten hätten geklärt werden können. Deswegen ist es bei dem Treffen zu einem Streit zwischen beiden gekommen. - An der Lenkradhülle des allein vom Angeklagten geführten Fahrzeugs fanden sich Schmauchspuren, die mit denen der Einschußstellen am Opfer übereinstimmten. - Nach der Tat flohen der Angeklagte und Bo. gemeinsam in dem vom Angeklagten gesteuerten Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit und ausgeschalteter Fahrzeugbeleuchtung. Unterwegs ermöglichte es der Angeklagte, daß ein Teil der Tatwaffen und das dem Opfer weggenommene Handy in ein Gewässer geworfen werden konnte. - Der Angeklagte hat im Ermittlungsverfahren zunächst eine falsche Einlassung gegeben und diese am 7. Hauptverhandlungstag durch eine in sich unglaubwürdige und an das bisherige Beweisergebnis angepaßte Darstellung ersetzt.
Diese Umstände stellen eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Gewinnung der tatrichterlichen Überzeugung, die Tötung von B. bei einer "geschäftlichen Besprechung" mit dem Angeklagten als dessen alleiniger Geschäftspartner sei nicht durch ein eigenmächtiges, allein von diesem zu vertretendes Handeln seines Sicherheitsbegleiters Bo. , sondern auf Grund eines zuvor gefaßten gemeinschaftlichen Entschlusses mit seiner Zustimmung und in seiner unmittelbaren Gegenwart erfolgt. In diesem Zusammenhang stellt es auch nicht nur eine bloße Vermutung dar, wenn die Strafkammer aus folgenden Umständen die Überzeugung gewonnen hat, zwischen dem Angeklagten und B. sei es zu "geschäftlichen" Differenzen gekommen , die Anlaß der Abstrafungsaktion für sein "Fehlverhalten" gewesen sei: - B. rief am Abend vor der Tat seinen Bekannten Y. an und erklärte ihm, daß er Probleme habe, er benötige "dringend" die an ihn über-
lassene Sporttasche und blaue Kunststofftonne, da "die nicht länger irgendwo warten würden". Zwei Stunden später rief B. wieder bei ihm an und drängte erneut auf die Rückgabe der Gegenstände, erhielt sie jedoch nicht. - B. erschien seiner Lebensgefährtin an diesem Abend "still und bedrückt". - Im weiteren Verlauf des Abends fragte er telefonisch bei seinem Bekannten O. an, ob die "Tasche schon gepackt" sei und suchte ihn anschließend auf, um eine ihm einige Tage zuvor übergebene Tasche zurückzuerhalten , hatte aber auch dabei keinen Erfolg. Gegenüber seinem Bekannten S. äußerte er in diesem Zusammenhang, daß er noch einen Termin habe. - Anschließend traf er seine Bekannten Ro. und R. , denen er berichtete , daß er einen Anruf erhalten habe, wonach ein Geschäft "geplatzt" sei, wobei er einen unruhigen und nervösen Eindruck machte. - In der gleichen Nacht gegen drei Uhr erhielt der Angeklagte einen Telefonan- ruf von einem "Milo" oder "Miro", in dem er zu dem Treffen bestellt wurde. Milo ist der Vorname des Bo. .
Auf Grund dieser Umstände durfte das Tatgericht ohne Rechtsfehler zum Ergebnis kommen, daß B. am Tattag ein ernsthaftes "geschäftliches" Problem hatte, daß sich dieses auf seine kriminellen Machenschaften mit dem Angeklagten und das mit ihm erwartete Treffen bezogen hatte und daß dieses Anlaß für das Vorgehen gegen ihn gewesen war.
Kutzer Miebach Winkler Pfister von Lienen

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Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 28. März 2001 - 3 StR 551/00 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Referenzen

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.