Bundesgerichtshof Urteil, 11. Apr. 2001 - 3 StR 534/00

11.04.2001

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 534/00
vom
11. April 2001
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Anstiftung zum Mord u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. April
2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Kutzer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Winkler,
Dr. Boetticher,
von Lienen
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 3. Juli 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen. Die Kosten dieses Rechtsmittels sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Anstiftung zum Mord und wegen Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Eröffnungsbeschluß ist insoweit fehlerhaft, als er die Sache der Großen Strafkammer anstelle der tatsächlich zuständigen Schwurgerichtskammer (§ 74 Abs. 2 Nr. 4 GVG (vgl. Siolek in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 74 Rdn. 8)) zuwies. Darin liegt zwar ein Verstoß gegen die funktionelle Zu-
ständigkeit nach § 74 e GVG. Dieser ist aber nicht gerügt, § 338 Nr. 4, § 6 a StPO. Mit ihren Revisionen rügen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Der Angeklagte erhebt darüber hinaus mehrere Verfahrensrügen. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist unbegründet, das Rechtsmittel des Angeklagten hat dagegen Erfolg.
Revision der Staatsanwaltschaft Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den Strafausspruch beschränkten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die mildernde Berücksichtigung der Tatsache, daß der Zeuge B. v on vornherein nicht bereit war, an einer Straftat des Angeklagten teilzunehmen und die Tat des Angeklagten deshalb von Anfang an objektiv betrachtet nicht gefährlich gewesen sei. Das Rechtsmittel ist unbegründet. Zutreffend weist der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift darauf hin, daß bei Taten nach § 30 StGB neben dem Gewicht der verabredeten Tat sowohl der Grad der objektiven Rechtsgutsgefährdung als auch die subjektiv aufgewendete kriminelle Energie des Täters berücksichtigt werden muß (vgl. BGHR StGB § 30 Abs. 1 Satz 2 Strafzumessung 1). Zu Recht hat daher die Strafkammer neben anderen Strafzumessungserwägungen das in der Tat enthaltene geringe Bedrohungspotential strafmildernd berücksichtigt.
Revision des Angeklagten 1. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge der Verletzung des letzten Wortes, § 258 Abs. 2 2. Halbs., Abs. 3 StPO, Erfolg. Auf die übrigen Verfahrensrügen und die Sachrüge kommt es daher nicht an. Der Rüge liegt ausweislich der Sitzungsniederschrift folgender Verfahrensablauf zugrunde: In der Hauptverhandlung vom 30. Juni 2000 hielten die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger ihre Schlußvorträge. Die Staatsanwaltschaft beantragte dabei, den Haftverschonungsbeschluß aufzuheben und den Haftbefehl in Vollzug zu setzen. Der Angeklagte hatte das letzte Wort. Nach Beratung erließ die Strafkammer einen den Antrag der Staatsanwaltschaft ablehnenden Beschluß, bejahte inzidenter den dringenden Tatverdacht und verschärfte die Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO. Dem Angeklagten wurde aufgegeben, seinen Bundespersonalausweis und seinen Reisepaß bei der Polizei Stadthagen zu hinterlegen. Zur Begründung führte die Strafkammer an, mit den Auflagen werde die Fluchtgefahr ausreichend herabgemildert. Anschließend wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Sie wurde am 3. Juli 2000 mit der Verkündung des Urteils fortgesetzt. Dieses Verfahren war rechtsfehlerhaft. Nach Verkündung des Beschlusses am 30. Juni 2000 hätte dem Angeklagten erneut das letzte Wort gewährt werden müssen, weil die Strafkammer damit wieder in die Verhandlung eingetreten war. Zwar kann die Haftentscheidung grundsätzlich auch nach dem Urteil oder außerhalb der Hauptverhandlung verkündet werden. Wählt aber die Strafkammer das vorliegende Vorgehen, so liegt ein Wiedereintritt in die Verhandlung jedenfalls dann vor, wenn das Gericht in der verkündeten Zwischenentscheidung den dringenden Tatverdacht inzidenter bekräftigt und eine
Verschärfung der Haftauflagen anordnet (vgl. BGHR StPO § 258 III Wiedereintritt 8 m.w.Nachw.). Der Verfahrensverstoß führt zur Aufhebung des Urteils. Der Senat kann nicht ausschließen, daß der den Tatvorwurf bestreitende Angeklagte sich im Falle der Gewährung des letzten Wortes anders zu den Tatvorwürfen eingelassen , ggf. ein Geständnis abgelegt hätte, um eine Strafmilderung zu erreichen. 2. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung auf folgendes hin: Kommt es für die Verwertung einer Urkunde auf deren genauen Wortlaut an, so ist sie, auch wenn sie bereits in Augenschein genommen worden ist, grundsätzlich durch Verlesung gemäß § 249 StPO in die Hauptverhandlung einzuführen (vgl. BGH NStZ 2001, 161; StV 1999, 359). Kutzer Miebach Winkler Boetticher von Lienen

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Referenzen - Gesetze

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Strafprozeßordnung - StPO | § 116 Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls


(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werd

Strafgesetzbuch - StGB | § 30 Versuch der Beteiligung


(1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft. Jedoch ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. § 23 Abs. 3 gilt entsprechend. (

Strafprozeßordnung - StPO | § 249 Führung des Urkundenbeweises durch Verlesung; Selbstleseverfahren


(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind. (2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen

Strafprozeßordnung - StPO | § 258 Schlussvorträge; Recht des letzten Wortes


(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. (2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort. (3) Der A

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 74


(1) Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte des ersten Rechtszuges zuständig für alle Verbrechen, die nicht zur Zuständigkeit des Amtsgerichts oder des Oberlandesgerichts gehören. Sie sind auch zuständig für alle Straftaten, bei denen eine höhe

Referenzen

(1) Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte des ersten Rechtszuges zuständig für alle Verbrechen, die nicht zur Zuständigkeit des Amtsgerichts oder des Oberlandesgerichts gehören. Sie sind auch zuständig für alle Straftaten, bei denen eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist oder bei denen die Staatsanwaltschaft in den Fällen des § 24 Abs. 1 Nr. 3 Anklage beim Landgericht erhebt.

(2) Für die Verbrechen

1.
des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge (§ 176d des Strafgesetzbuches),
2.
des sexuellen Übergriffs, der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 des Strafgesetzbuches),
3.
des Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches),
4.
des Totschlags (§ 212 des Strafgesetzbuches),
5.
(weggefallen)
6.
der Aussetzung mit Todesfolge (§ 221 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
7.
der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 des Strafgesetzbuches),
8.
der Entziehung Minderjähriger mit Todesfolge (§ 235 Abs. 5 des Strafgesetzbuches),
8a.
der Nachstellung mit Todesfolge (§ 238 Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
9.
der Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
10.
des erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge (§ 239a Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
11.
der Geiselnahme mit Todesfolge (§ 239b Abs. 2 in Verbindung mit § 239a Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
12.
des Raubes mit Todesfolge (§ 251 des Strafgesetzbuches),
13.
des räuberischen Diebstahls mit Todesfolge (§ 252 in Verbindung mit § 251 des Strafgesetzbuches),
14.
der räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§ 255 in Verbindung mit § 251 des Strafgesetzbuches),
15.
der Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306c des Strafgesetzbuches),
16.
des Herbeiführens einer Explosion durch Kernenergie (§ 307 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches),
17.
des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge (§ 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
18.
des Mißbrauchs ionisierender Strahlen gegenüber einer unübersehbaren Zahl von Menschen (§ 309 Abs. 2 und 4 des Strafgesetzbuches),
19.
der fehlerhaften Herstellung einer kerntechnischen Anlage mit Todesfolge (§ 312 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
20.
des Herbeiführens einer Überschwemmung mit Todesfolge (§ 313 in Verbindung mit § 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
21.
der gemeingefährlichen Vergiftung mit Todesfolge (§ 314 in Verbindung mit § 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
22.
des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer mit Todesfolge (§ 316a Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
23.
des Angriffs auf den Luft- und Seeverkehr mit Todesfolge (§ 316c Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
24.
der Beschädigung wichtiger Anlagen mit Todesfolge (§ 318 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
25.
einer vorsätzlichen Umweltstraftat mit Todesfolge (§ 330 Abs. 2 Nr. 2 des Strafgesetzbuches),
26.
der schweren Gefährdung durch Freisetzen von Giften mit Todesfolge (§ 330a Absatz 2 des Strafgesetzbuches),
27.
der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge (§ 340 Absatz 3 in Verbindung mit § 227 des Strafgesetzbuches),
28.
des Abgebens, Verabreichens oder Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch mit Todesfolge (§ 30 Absatz 1 Nummer 3 des Betäubungsmittelgesetzes),
29.
des Einschleusens mit Todesfolge (§ 97 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes)
ist eine Strafkammer als Schwurgericht zuständig. § 120 bleibt unberührt.

(3) Die Strafkammern sind außerdem zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung gegen die Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts.

(1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft. Jedoch ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. § 23 Abs. 3 gilt entsprechend.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften.

(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich

1.
die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der Strafverfolgungsbehörde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle zu melden,
2.
die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde zu verlassen,
3.
die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen,
4.
die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen.

(2) Der Richter kann auch den Vollzug eines Haftbefehls, der wegen Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt ist, aussetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß sie die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindern werden. In Betracht kommt namentlich die Anweisung, mit Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keine Verbindung aufzunehmen.

(3) Der Richter kann den Vollzug eines Haftbefehls, der nach § 112a erlassen worden ist, aussetzen, wenn die Erwartung hinreichend begründet ist, daß der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und daß dadurch der Zweck der Haft erreicht wird.

(4) Der Richter ordnet in den Fällen der Absätze 1 bis 3 den Vollzug des Haftbefehls an, wenn

1.
der Beschuldigte den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt,
2.
der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder sich auf andere Weise zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, oder
3.
neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen.

(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.

(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.

(3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.