Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Dez. 2007 - X ZB 30/07

04.12.2007
vorgehend
Amtsgericht Beckum, 12 C 38/07, 26.04.2007
Landgericht Münster, 9 S 99/07, 18.07.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 30/07
vom
4. Dezember 2007
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Dr. Melullis, den Richter Scharen, die Richterinnen Ambrosius und Mühlens
und den Richter Prof. Dr. Meier-Beck
am 4. Dezember 2007

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 18. Juli 2007 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.000,-- € festgesetzt.

Gründe:


1
I. Nachdem ihr Kraftfahrzeug wegen eines technischen Defekts liegengeblieben war, beauftragte die Klägerin die Beklagte mit der Erstellung eines Befundes und eines Kostenvoranschlags. Mit der von der Beklagten ohne ihre Zustimmung durchgeführten Reparatur war die Klägerin nicht einverstan- den, weshalb die Beklagte die von ihr eingebauten Teile wieder ausbaute. Zur Herausgabe des Fahrzeugs war die Beklagte nur gegen Zahlung eines für den Befund berechneten Betrages von 180,64 € bereit.
2
Die Klägerin hat die Beklagte auf Herausgabe des Fahrzeugs in Anspruch genommen.
3
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin verworfen.
4
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
5
II. Die nach § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
6
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet; das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Unrecht verworfen.
7
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, der wirtschaftliche Wert der Beschwer der Klägerin, der für die Zulässigkeit ihrer Berufung maßgeblich sei, betrage der Wertung des § 6 ZPO entsprechend lediglich 180,64 €. Der Streitwert einer Herausgabeklage bemesse sich zwar grundsätzlich nach dem Wert der herauszugebenden Sache. Werde der Streit jedoch wirtschaftlich nur um den Bestand eines vom Besitzer geltend gemachten Pfandrechts geführt, bestimme der Wert dieses Pfandrechts den Wert des Rechtsstreits. Unerheblich sei, dass die Beklagte vor der Herausgabe des Fahrzeugs möglicherweise "Standgebühren" in Höhe von 2.080,12 € geltend machen werde; diese seien von der Beklagten prozessual nicht geltend gemacht worden und dementsprechend nicht Gegenstand der amtsgerichtlichen Entscheidung.
8
2. Das findet keinen Anhalt im Gesetz und hält der Nachprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht stand.
9
Nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist die Berufung nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € übersteigt. Beschwerdegegenstand ist derjenige Teil der Beschwer, dessen Beseitigung die Berufung erstrebt (Musielak /Ball, ZPO, 5. Aufl., § 511 Rdn. 18). Für die Beschwer des mit der Klage abgewiesenen Klägers ist grundsätzlich der Wert der Klageforderung maßgeblich (BGHZ 140, 335, 338). Dieser entspricht im Streitfall dem Wert des herausverlangten Kraftfahrzeugs, den das Amtsgericht mit 1.000 € angenommen hat. Das Berufungsgericht lässt nicht erkennen, von dieser Schätzung abweichen zu wollen. Da die Klägerin den erstinstanzlichen Antrag mit der Berufung in vollem Umfang weiterverfolgt hat, bleibt der Wert des Beschwerdegegenstands nicht hinter dem Wert der Klageforderung zurück.
10
Auch aus § 6 Satz 1 ZPO ergibt sich für den Streitfall nichts anderes. Vielmehr wird, wenn es auf den Besitz einer Sache ankommt, nach dieser Vorschrift der Wert durch den Wert der Sache bestimmt. Zwar wird, insbesondere für den Gebührenstreitwert, für den § 48 Abs. 1 GKG die Anwendung des § 6 ZPO anordnet, in Rechtsprechung und Literatur erörtert, ob eine Orientierung am wirtschaftlichen Interesse des Beklagten geboten ist, wenn der Wert der von diesem geltend gemachten Gegenrechte wesentlich hinter dem Wert der herausverlangten Sache zurückbleibt (s. die Nachweise bei Musielak/Ball aaO § 3 Rdn. 29, § 6 Rdn. 4 f.). Abgesehen von dem Bedenken, solche Überlegungen auf den Rechtsmittelstreitwert zu übertragen und damit den Rechtsschutz des Klägers zu verkürzen, rechtfertigt dies jedoch die Bemessung eines unter 600 € liegenden Streitwerts hier schon deshalb nicht, weil nicht feststeht, dass das Interesse der Beklagten geringer als das Herausgabeinteresse der Klägerin zu bewerten ist. Denn es kommt, wie das Berufungsgericht ausdrücklich ausführt, in Betracht, dass diese weitere Gegenansprüche erhebt; auch der Rechtsbeschwerdeerwiderung ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Ob solche weiteren Gegenansprüche im Prozess geltend gemacht worden sind, ist unerheblich, da das Amtsgericht die Klage uneingeschränkt abgewiesen hat.
Melullis Scharen Ambrosius
Meier-Beck Mühlens
Vorinstanzen:
AG Beckum, Entscheidung vom 26.04.2007 - 12 C 38/07 -
LG Münster, Entscheidung vom 18.07.2007 - 9 S 99/07 -

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Referenzen - Gesetze

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 511 Statthaftigkeit der Berufung


(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. (2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn1.der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder2.das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zu

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 48 Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten


(1) In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten richten sich die Gebühren nach den für die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels geltenden Vorschriften über den Wert des Streitgegenstands, soweit nichts anderes bestimmt i

Zivilprozessordnung - ZPO | § 6 Besitz; Sicherstellung; Pfandrecht


Der Wert wird bestimmt: durch den Wert einer Sache, wenn es auf deren Besitz, und durch den Betrag einer Forderung, wenn es auf deren Sicherstellung oder ein Pfandrecht ankommt. Hat der Gegenstand des Pfandrechts einen geringeren Wert, so ist dieser

Referenzen

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

Der Wert wird bestimmt: durch den Wert einer Sache, wenn es auf deren Besitz, und durch den Betrag einer Forderung, wenn es auf deren Sicherstellung oder ein Pfandrecht ankommt. Hat der Gegenstand des Pfandrechts einen geringeren Wert, so ist dieser maßgebend.

(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt.

(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder
2.
das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.

(3) Der Berufungskläger hat den Wert nach Absatz 2 Nr. 1 glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf er nicht zugelassen werden.

(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und
2.
die Partei durch das Urteil mit nicht mehr als 600 Euro beschwert ist.
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

Der Wert wird bestimmt: durch den Wert einer Sache, wenn es auf deren Besitz, und durch den Betrag einer Forderung, wenn es auf deren Sicherstellung oder ein Pfandrecht ankommt. Hat der Gegenstand des Pfandrechts einen geringeren Wert, so ist dieser maßgebend.

(1) In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten richten sich die Gebühren nach den für die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels geltenden Vorschriften über den Wert des Streitgegenstands, soweit nichts anderes bestimmt ist. In Musterfeststellungsklagen nach Buch 6 der Zivilprozessordnung und in Rechtsstreitigkeiten aufgrund des Unterlassungsklagengesetzes darf der Streitwert 250 000 Euro nicht übersteigen.

(2) In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Der Wert darf nicht über eine Million Euro angenommen werden.

(3) Ist mit einem nichtvermögensrechtlichen Anspruch ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Anspruch, und zwar der höhere, maßgebend.

Der Wert wird bestimmt: durch den Wert einer Sache, wenn es auf deren Besitz, und durch den Betrag einer Forderung, wenn es auf deren Sicherstellung oder ein Pfandrecht ankommt. Hat der Gegenstand des Pfandrechts einen geringeren Wert, so ist dieser maßgebend.