Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Jan. 2004 - VI ZB 45/02

bei uns veröffentlicht am27.01.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 45/02
vom
27. Januar 2004
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Januar 2004 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederich-
sen und die Richter Stöhr und Zoll

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluß der 5. Zivilkammer (Einzelrichterin) des Landgerichts Gera vom 17. Juni 2002 aufgehoben. Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 2.300,61 gesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger verfolgt aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte. Seine Klage wurde der Beklagten am 2. Oktober 2001 durch Niederlegung bei der Post zugestellt. Aufgrund eines entsprechenden Verfahrensantrages des Klägers erging mangels Anzeige der Verteidigungsbe-
reitschaft unter dem 25. Oktober 2001 Versäumnisurteil, welches der Beklagten wiederum durch Niederlegung am 29. Oktober 2001 zugestellt wurde. Nach Zustellung eines Streitwertbeschlusses vom 14. November 2001 bestellten sich die Rechtsanwälte der Beklagten und legten mit Schriftsatz vom 19. November 2001 (vorsorglich) Einspruch gegen ein etwa ergangenes Versäumnisurteil ein und beantragten mit Schriftsatz vom 30. November 2001, eingegangen per Telefax am selben Tag, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil. Die Beklagte hat unter Vorlage einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung vorgetragen, daß sie sich in der Zeit vom 1. Oktober bis einschließlich 30. Oktober 2001 wegen Krankheit und Urlaub nicht an ihrem Wohnort befunden habe. Während ihrer Abwesenheit sei der Briefkasten von ihren Eltern geleert worden, welche eine Niederlegungsbenachrichtigung aber nicht vorgefunden hätten. Das Amtsgericht hat den Einspruch der Beklagten als unzulässig verworfen. Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten durch Beschluß der Einzelrichterin vom 17. Juni 2002 zurückgewiesen und gegen seine Entscheidung die Rechtsbeschwerde zugelassen. Zwar sei das Wiedereinsetzungsgesuch zulässig, weil fristgerecht eingelegt, jedoch habe die Beklagte nicht glaubhaft gemacht, ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der Einspruchsfrist gehindert gewesen zu sein. Gegen diese Beurteilung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie ihr Wiedereinsetzungsbegehren weiterverfolgt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO statthaft und führt zur Aufhebung der angefochtenen Einzelrichterentscheidung, weil sie unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen ist. Die Einzelrichterin durfte nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der von ihr bejahten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der Kammer übertragen müssen. Mit ihrer Entscheidung hat sie die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache dem Kollegium als dem gesetzlichen zuständigen Richter entzogen. Dieser Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters hat der Senat von Amts wegen zu beachten und die Sache an die Einzelrichterin zurückzuverweisen , die den angefochtenen Beschluß erlassen hat (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit dem Beschluß vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02 - NJW 2003, 1254 = BGHZ 154, 200). Wegen der durch die Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 8 GKG Gebrauch. Sollte die Einzelrichterin nach erneuter Prüfung der Rechtssache dieser weiterhin grundsätzliche Bedeutung beimessen und sie gemäß § 568 Satz 2
Nr. 2 ZPO der Kammer zur Entscheidung übertragen, so wird diese Gelegen- heit haben, sich mit den sachlichen Argumenten der Rechtsbeschwerde gegen die Beurteilung der Einzelrichterin auseinander zu setzen.
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll

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Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Jan. 2004 - VI ZB 45/02 zitiert 4 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 568 Originärer Einzelrichter


Das Beschwerdegericht entscheidet durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Der Einzelrichter überträgt das Verfahren dem Beschwerdegericht zur

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 8 Strafsachen, Bußgeldsachen


In Strafsachen werden die Kosten, die dem verurteilten Beschuldigten zur Last fallen, erst mit der Rechtskraft des Urteils fällig. Dies gilt in gerichtlichen Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten entsprechend.

Referenzen

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

Das Beschwerdegericht entscheidet durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Der Einzelrichter überträgt das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung, wenn

1.
die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder
2.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden.

In Strafsachen werden die Kosten, die dem verurteilten Beschuldigten zur Last fallen, erst mit der Rechtskraft des Urteils fällig. Dies gilt in gerichtlichen Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten entsprechend.