Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Sept. 2011 - 5 StR 311/11
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die Revisionen der Nebenkläger H. J. , N. J. , O. J. , B. J. , Ol. J. , R. J. , D. J. und Re. J. gegen das vorbezeichnete Urteil werden aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.
Diese Beschwerdeführer haben jeweils die Kosten ihres Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
- 2
- 1. Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen des abgeurteilten Totschlags (Fall II.6 der Urteilsgründe) eine Einsatzstrafe von neun Jahren verhängt. Die Strafe hat es dem Regelstrafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Eine verminderte Schuldfähigkeit hat das Landgericht – sachverständig beraten – rechtsfehlerfrei abgelehnt; das Vorliegen eines minder schweren Falles hat es nach beiden Alternativen des § 213 StGB verneint.
- 3
- 2. Das Schwurgericht hat die Strafrahmenmilderung nach der zweiten Alternative des § 213 StGB indes mit unzureichender Begründung abgelehnt. Es stellt hierbei ausschließlich darauf ab, dass die Annahme eines sonstigen minder schweren Falles aufgrund des beim Tatopfer festgestellten Verletzungsbildes nicht in Betracht komme und es „zum anderen an entsprechenden Feststellungen“ fehle.
- 4
- Die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorzunehmende Gesamtwürdigung bei der Prüfung des Vorliegens eines minder schweren Falls fehlt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. November 2008 – 3 StR 484/08, NStZ-RR 2009, 139 und vom 5. Dezember 2007 – 5 StR 471/07, NStZ 2008, 338; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46 Rn. 85 mwN).
- 5
- 3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der im Fall II.6 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe. Die übrigen Einzelstrafen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können bestehen bleiben. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu der aufgehobenen Einzelstrafe können ebenfalls bestehen bleiben, weil lediglich ein Wertungsfehler vorliegt. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Senat hat dieses Urteil auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers durch Urteil vom 29. April 2009 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten wegen eines im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit begangenen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.
- 2
- Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es aus den zutreffenden Gründen der Antrags- schrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
- 3
- Der Strafausspruch hat keinen Bestand.
- 4
- Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zur Tatzeit an einer organisch bedingten Persönlichkeitsstörung litt. Dies bewirkte "eine erheblich verminderte Belastbarkeit bei den ständigen ehelichen Auseinandersetzungen". Nachdem der Angeklagte in der vorangegangenen Nacht kaum geschlafen hatte, wurde er durch erneuten Streit mit seiner Ehefrau von einem "gereizt affektiven Syndrom von tiefem Ausmaß mit Zorn, Hass und Ärger" praktisch "überrollt". Dies führte zu den Tötungshandlungen. Auch der dabei vorgenommene Wechsel des Tatmittels "trat hinter der Erkrankung und dem Affekt" zurück. Gleichwohl hat das Landgericht es als strafschärfend bewertet, "dass die Tötung durch eine besonders brutale, heftige und mehraktige Tatausführung gekennzeichnet war". Dies ist rechtsfehlerhaft.
- 5
- Das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung besagt zwar nicht, dass aus diesem Grund jede Mitberücksichtigung der genannten Tatmodalitäten unzulässig wäre (vgl. Senat, BGHR StGB § 21 Strafzumessung 2). Die Ausführungen der Strafkammer lassen aber besorgen, dass sie der Handlungsintensität zu großes Gewicht zuerkannt hat. Tatmodalitäten, die weniger Ausdruck einer sich frei entfaltenden verbrecherischen Energie, sondern Anzeichen für die Stärke einer seelischen Beeinträchtigung sind, dürfen einem vermindert Schuldfähigen nicht uneingeschränkt angelastet werden (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 105, 106). Der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass der Strafausspruch auf dem Rechtsfehler beruht.