Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juni 2009 - 5 StR 206/09

bei uns veröffentlicht am24.06.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 206/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juni 2009

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 16. Februar 2009 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes sowie wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist offensichtlich unbegründet. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
2
1. Die wegen der Verlesung eines falschen Anklagesatzes (aus der Anklageschrift vom 5. November 2008 statt der Anklageschrift vom 25. November 2008) erhobene Verfahrensrüge ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn die Revision hat den Anklagesatz aus der Anklageschrift vom 5. November 2008 weder beigefügt noch seinem wesentlichen Inhalt nach mitgeteilt. Dessen Kenntnis war aber für die Prüfung unerlässlich, ob zwischen den beiden Anklageschriften so große Abweichungen bestehen, dass die Verlesung des falschen Anklagesatzes den Zweck nicht erfüllt hätte, die Teilnehmer an der Hauptverhandlung mit dem Gegenstand der Verhandlung und mit den Grenzen bekannt zu machen, in denen sich diese und die Urteilsfindung zu bewegen haben (vgl. BGH NJW 1982, 1057).
3
2. Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Diebstahls. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, dass ein Angestellter Alleingewahrsam am Inhalt eines in den Räumen seines Arbeitgebers befindlichen Tresors hat. Dies ist der Fall, wenn ihm eine Stellung zukommt, die nach Aufgaben und Verantwortung der eines alleinverantwortlichen Kassierers vergleichbar ist (BGHR StGB § 246 Abs. 1 Alleingewahrsam 1 m.w.N.). Hierfür bestehen nach den Urteilsgründen keine Anhaltspunkte. Danach wurde dem Angeklagten lediglich „im Verlauf des Monats April 2008 die Aufgabe übertragen …, am 26. April 2008 – einem Samstag – nach Geschäftsschluss als letzter Mitarbeiter den Frischemarkt S. zu verlassen und die Geschäftsräume abzuschließen“ (UA S. 10). Allein die mit der Anwesenheit im Ladengeschäft verbundene faktische Zugriffsmöglichkeit auf einen Tresorschlüssel und in der Folge auch auf den Tresor ist indessen nicht geeignet, den Alleingewahrsam des Angeklagten zu begründen. Dass der Angeklagte entsprechend dem Vortrag der Revision auch die (im Tresor befindlichen) „Tageseinnahmen zählen und nach Ladenschluss zurecht legen sollte, dass diese am folgenden Tag zur Bank gebracht werden“, lässt sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, genauso wenig, dass er zumindest berechtigten Zugang zum Tresor hatte. Ohne Begründung einer qualifizierten Pflichtenstellung im vorgenannten Sinn war das Landgericht auch nicht gehalten, sich mit den Gewahrsamsverhältnissen im Einzelnen auseinanderzusetzen.
4
3. Die vom Landgericht vorgenommene Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten begegnet u. a. deswegen Bedenken, weil das Landgericht eine Trinkmengenberechnung unterlassen hat, obwohl sie nach den Feststellungen möglich gewesen wäre (BGH StV 1993, 519; vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 29; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 5 StR 57/09). Auch wäre wegen der Wechselwirkung des vom Angeklagten nach den Feststellungen zusätzlich aufgenommenen Kokains mit dem Alkohol die Hinzuziehung eines Sachverständigen angezeigt gewesen. Ohne dass es auf die – methodisch bedenklichen (vgl. BGHSt 7, 359, 360; BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2008 – 2 StR 386/08; je m.w.N.) – Hilfserwägungen des Landgerichts zur Strafrahmenwahl (UA S. 18) ankäme, kann der Senat jedoch wegen der – angesichts des Gewichts der durch den Angeklagten begangenen Taten – nahezu unvertretbar milden Strafe sicher ausschließen , dass ein neues Tatgericht bei Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB zu einer niedrigeren Einzel- und Gesamtfreiheitsstrafe gelangen könnte.
Basdorf Brause Schaal Schneider König

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafgesetzbuch - StGB | § 246 Unterschlagung


(1) Wer eine fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zueignet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. (2) Ist in

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Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Mai 2009 - 5 StR 57/09

bei uns veröffentlicht am 26.05.2009

5 StR 57/09 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 26. Mai 2009 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen versuchten Totschlags u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Mai 2009 beschlossen: Auf die Revisionen der Angeklagten wird das

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Wer eine fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zueignet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.

(2) Ist in den Fällen des Absatzes 1 die Sache dem Täter anvertraut, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(3) Der Versuch ist strafbar.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5 StR 57/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Mai 2009 beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 16. Juli 2008 in den Strafaussprüchen mit den jeweils zugehörigen Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
Die weitergehenden Revisionen werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Es wird davon abgesehen, den Angeklagten durch ihre Rechtsmittel entstandene Kosten und Auslagen aufzuerlegen. Sie haben jedoch die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die drei zur Tatzeit jugendlichen Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, den Angeklagten R. darüber hinaus wegen gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung in drei Fällen und Unterschlagung, zu Jugendstrafen von vier Jahren und vier Monaten (R. ), drei Jahren und drei Monaten (W. ) sowie drei Jahren (T. ) verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Das Landgericht hat zu der gemeinsamen Tat folgende Feststellungen getroffen:
3
Die alkoholisierten Angeklagten im Alter zwischen 15 und 17 Jahren beschlossen am frühen Neujahrsmorgen 2008 nach einer teilweise gemeinsam verbrachten Silvesternacht, sich mit einer anderen Person zu „fetzen“. Sie befanden sich zu diesem Zeitpunkt an einem U-Bahnhof in Hamburg. Gegen 7.00 Uhr erschien dort der ihnen bis dahin unbekannte Nebenkläger, der in der Nacht Flaschen gesammelt hatte und auf dem Heimweg war. Obwohl alle Angeklagten erkannten, dass der Nebenkläger jede Auseinandersetzung vermeiden wollte, umringten sie ihn, gaben ihm Kopfstöße, schlugen ihn auf den Hinterkopf und traten ihn mit Anlauf in den Rücken. Nachdem der Nebenkläger durch die Schläge zu Boden gegangen war, traten ihn die Angeklagten wechselseitig und wiederholt mit beschuhten Füßen „heftig“ gegen den Oberkörper und Kopf, wobei sie seinen Tod billigend in Kauf nahmen. Schließlich ergriff der Angeklagte W. mit Billigung der beiden anderen Angeklagten eine Wodkaflasche und schlug den Nebenkläger bei fortbestehendem Tötungsvorsatz damit mehrfach mit voller Wucht ins Gesicht. Die Angeklagten ließen den schwer Verletzten zurück und begaben sich nach Hause. Dieser erlitt gravierende Gesichtsverletzungen, u. a. eine Orbitaboden - und Jochbeintrümmerfraktur, eine Quetschung des Augapfels, Platzwunden und einen Ohrteilabriss. Angesichts der massiven Gewalteinwirkung war es lediglich dem Zufall zu verdanken, dass es nicht zu lebensgefährlichen Verletzungen seines Gehirns gekommen war.
4
Zur Frage der Schuldfähigkeit stellt die sachverständig beratene Strafkammer fest, dass alle drei Angeklagten im Laufe der Silvesternacht – beginnend am späten Nachmittag bzw. frühen Abend – an verschiedenen Orten und in wechselnder Gesellschaft, zumeist mit anderen Jugendlichen, Alkohol „in nicht feststellbaren Mengen“ konsumierten (UA S. 12). Gegen 2.00 Uhr waren sie auf einer Party zusammengetroffen, auf der sie weiter Alkohol tranken. Gemeinsam fuhren sie schließlich am frühen Morgen zur Wohnung des Angeklagten R. , aßen dort Brötchen und tranken Wodka (UA S. 13), bevor sie die Tat begingen. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich zudem die Feststellung entnehmen, dass die Angeklagten „in jener Nacht recht viel Alkohol getrunken“ hatten (UA S. 53). In ihrer Schuldfähigkeit seien sie allerdings nicht beeinträchtigt gewesen (UA S. 16). Eine Berechnung des Blutalkoholgehalts unternimmt die Strafkammer unter Hinweis auf die jeweils ungenauen und im Laufe des Verfahrens wechselnden Einlassungen der Angeklagten zum Alkoholgenuss vor der Tat nicht (UA S. 46).
5
2. Die Revisionen der Angeklagten sind jeweils bereits mit der Sachrüge teilweise erfolgreich. Die Beweiswürdigung, mit der die Strafkammer bei allen Angeklagten eine alkoholbedingt erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB verneint hat, begegnet durchgreifenden sachlichrechtlichen Bedenken, da sie lückenhaft ist (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt).
6
a) Die Urteilsgründe offenbaren nicht, von welchen Anknüpfungs- und Zusatztatsachen die Strafkammer in Bezug auf den Alkoholkonsum der Angeklagten ausgegangen ist. Vielmehr erschöpft sich ihre Beweiswürdigung in der Wiedergabe des Sachverständigengutachtens (UA S. 45 – 56) einschließlich der vom Sachverständigen zugrunde gelegten unterschiedlichen Angaben der Angeklagten und Zeugen. Es fehlen eigene Feststellungen der für die Steuerungsfähigkeit maßgeblichen Tatsachen durch das Landgericht; es nimmt keine eigene Würdigung der Einlassungen und Zeugenaussagen zum Trinkverhalten der Angeklagten vor (UA S. 48, 50, 51), sondern gibt lediglich die Würdigung des Sachverständigen wieder:
7
Die in verschiedenen Verfahrensstadien abgegebenen Einlassungen seien aus Sicht des Sachverständigen ungenau und inkonstant (UA S. 46). Sie ließen eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration daher nicht zu. Die Aussagen der Zeugen vermittelten „in ihrer Gesamtheit das Bild, dass die Angeklagten in jener Nacht recht viel Alkohol getrunken hätten“. Jedoch sei- http://www.juris.de/jportal/portal/t/e7x/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=5&numberofresults=6&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE008802307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 5 - en keine Auswirkungen zu beobachten gewesen, die auf eine hochgradige Alkoholisierung hindeuteten (UA S. 53). Die vom Sachverständigen mitgeteilte Ungenauigkeit der Angaben der Angeklagten stehe, „unabhängig von ihrer Zuverlässigkeit“, jeder Schätzung und Bewertung entgegen (UA S. 48, 50,

51).


8
b) Das Revisionsgericht vermag anhand der dokumentierten Beweiswürdigung nicht zu überprüfen, welche Angaben der Angeklagten zum Alkoholkonsum dem Tatgericht glaubhaft erschienen oder jedenfalls nicht zu widerlegen waren und ob vor diesem Hintergrund rechtsfehlerfrei von einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration abgesehen werden durfte. Von einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration ist ein Tatgericht nicht schon dann entbunden, wenn die Angaben des Angeklagten zum konsumierten Alkohol nicht exakt sind (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 23). Vielmehr ist diese aufgrund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes auch dann vorzunehmen, wenn die Einlassung des Angeklagten sowie gegebenenfalls die Bekundungen von Zeugen zwar keine sichere Berechnungsgrundlage ergeben, jedoch eine ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholgenusses ermöglichen (BGH StV 1993, 519; vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 29).
9
Die durch die Strafkammer mitgeteilten Einlassungen der Angeklagten waren als Berechnungsgrundlage auch nicht offensichtlich ungeeignet. Sämtliche Angeklagten benannten konkrete Alkoholika und noch eingrenzbare Mengen sowie ungefähre Zeitpunkte des Konsums in der Tatnacht.
10
Ob die Angaben der Angeklagten zu ihrem Trinkverhalten allerdings glaubhaft waren, hat das Tatgericht, gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe, zu klären. Es muss die Einlassung eines Angeklagten zu seinem Alkoholgenuss vor der Tat, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine unmittelbaren Beweise gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen. Vielmehr ist es ihm unbenommen, Trinkmengenangaben des Angeklagten http://www.juris.de/jportal/portal/t/d3a/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=2&numberofresults=3&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE090032768&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/d3a/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=2&numberofresults=3&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE090032768&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint - 6 - – auch durch sachverständige Hilfe – als unglaubhaft einzustufen, wenn es dafür durch die Beweisaufnahme gewonnene Gründe hat, welche seine Auffassung argumentativ tragen (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2005 – 3 StR 500/04; vgl. BGH NStZ 2007, 266; vgl. auch Nack GA 2009, 201, 206). Dabei wird im vorliegenden Fall auch zu berücksichtigen sein, dass in der persönlichen Vorgeschichte aller Angeklagten vor dem Hintergrund ihrer familiären Erfahrungen (UA S. 6, 8 und 10) übermäßiger Alkoholkonsum eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat (UA S. 7, 9 und 11). Lassen sich die Angaben nicht widerlegen, so muss das Tatgericht angeben, von welchem höchstmöglichen Blutalkoholwert es ausgeht und auf welchen Berechnungsgrundlagen (Alkoholmenge, Trinkzeit, Körpergröße und -gewicht des Angeklagten , Alkoholabbauwert, Resorptionsdefizit) es diesen feststellt.
11
c) Das Landgericht lässt zudem wesentliche Umstände unerörtert, die für die Beurteilung des Grades der Alkoholisierung der Angeklagten von Bedeutung sein können:
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aa) Der Sachverständige hat seine – vom Landgericht geteilte – Überzeugung , dass bei den Angeklagten keine hochgradige Alkoholisierung vorlag , wesentlich auf die Auswertung der Aussagen von Zeugen, zumeist Trinkgefährten oder anderen Partyteilnehmern, gestützt, die u. a. das Verhalten der Angeklagten auf der Party als „normal“, „keinesfalls volltrunken … allerdings lauter und lustiger“ „gut angeheitert, aber ohne besondere Auffälligkeiten“ geschildert haben (UA S. 53). Bei einer eigenen Würdigung dieser Aussagen hätte das Landgericht prüfen müssen, inwieweit die Zeugen das Verhalten der Angeklagten vor dem Hintergrund einer übermütigen, alkoholbeeinflussten Partystimmung schilderten. Insbesondere wären eine Alkoholisierung der Zeugen in Bedacht zu nehmen und deren Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Bewertung des Verhaltens der Angeklagten zu erörtern gewesen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 72, 73).
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bb) Im Rahmen der Wiedergabe des Sachverständigengutachtens wird erwähnt, lediglich die Zeugin K. , bei der der Angeklagte W. nach der Tat gegen 7.30 Uhr klingelte, um ihre Tochter zu sprechen, habe den Eindruck gewonnen, dass er „volltrunken“ gewesen sei. Ihre Wahrnehmung hält der Sachverständige indes nicht für aussagekräftig, weil die Zeugin nur über die Gegensprechanlage mit dem Angeklagten gesprochen habe und eine verwaschene Sprache („lallen“) schon ab einer Blutalkoholkonzentration von 1 Promille auftreten könne. Es fehlt hier indes eine Auseinandersetzung mit dem von der Zeugin bekundeten Umstand, dass der Angeklagte sie „beschimpfte“, nachdem sie sich geweigert hatte, ihre Tochter zu wecken (UA S. 44). Auch dieses Verhalten gegenüber der Mutter eines Mädchens, für das sich der Angeklagte interessierte, kann Rückschlüsse auf den Grad seiner Alkoholisierung zulassen.
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cc) Nicht gewürdigt hat das Landgericht ferner den in den wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen nicht erkennbar berücksichtigten Umstand, dass sich der Angeklagte R. , der zum Vorgeschehen und zur Tat Angaben gemacht hat, nach eigenem Bekunden nicht mehr daran erinnern konnte, morgens vor der Tat mit den übrigen Angeklagten in seiner Wohnung Brötchen gegessen und Wodka getrunken zu haben (UA S. 13). Auch dieser Umstand kann für die Beurteilung des Maßes der Alkoholisierung des Angeklagten Bedeutung haben.
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dd) Als entscheidendes Kriterium für die Rekonstruktion des physischen und psychischen Zustandes der Angeklagten zur Tatzeit sieht der Sachverständige das objektive Leistungsverhalten der Angeklagten bei der Tat, zu dessen Beurteilung er die Aussagen des Geschädigten und eines unbeteiligten Zeugen heranzieht, der das Geschehen teilweise von seiner dem Tatort gegenüber liegenden Wohnung beobachtet hat (UA S. 54 f.). Insoweit fehlt es ebenfalls an einer eigenen Würdigung der Aussagen beider Zeugen durch das Landgericht, bei der insbesondere deren Wahrnehmungssituationen und mögliche Belastungsmotive zu erörtern gewesen wären. http://www.juris.de/jportal/portal/t/e7x/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=5&numberofresults=6&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE008702307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 8 -
1616
ee) Schließlich dürfte auch das festgestellte motivlose und enthemmte Gewaltverhalten der – soweit ersichtlich – bislang nicht durch vergleichbare Gewaltdelikte auffällig gewordenen Angeklagten in die Beweiswürdigung zu § 21 StGB einzustellen sein.
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d) Der Senat hält es nach alledem für möglich und sogar für eher wahrscheinlich, dass eine rechtsfehlerfreie tatgerichtliche Würdigung zur Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB geführt hätte. Der Schuldspruch wird von diesem Rechtsfehler indes nicht berührt. Der Senat schließt insoweit aus, dass das neue Tatgericht zu Feststellungen gelangt, die die vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten im Sinne des § 20 StGB belegen könnten. Wenngleich die Verhängung von Jugendstrafen wegen Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) außer Frage steht (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2009 – 5 StR 31/09, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt ) und lediglich nicht sicher auszuschließen ist, dass die Bemessung von deren Höhe bei Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB milder ausgefallen wäre, hat der Senat – insoweit dem Antrag des Generalbundesanwalts zum Angeklagten T. auf eine Verfahrensrüge folgend – weitergehend den Strafausspruch aufgehoben, über den danach jeweils insgesamt neu zu befinden ist. Der Senat weist darauf hin, dass sich auch bei Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB für einzelne oder sämtliche Angeklagte im Rahmen der neuen Hauptverhandlung die hier aufgehobenen Strafaussprüche angesichts der durch die Tat zutage getretenen Erziehungsdefizite nicht außerhalb des Rahmens eines angemessenen Strafens bewegen.
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3. Den Schuldspruch berührende Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Auch die vom Generalbundesanwalt für durchgreifend erachtete Rüge des Angeklagten T. zur Nichtgewährung des letzten Wortes an seine erziehungsberechtigte Mutter (§ 258 Abs. 2, 3 StPO i.V.m. § 67 Abs. 1 JGG) könnte nicht zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils in größerem als dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang führen. Der Senat kann ausschließen, dass der Schuldspruch gegen den Angeklagten auf diesem Verfahrensfehler beruht (vgl. BGH StV 1992, 410).
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Ergänzend zur Stellungnahme des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Soweit die Angeklagten die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines gegen den Sachverständigen S. gerichteten Befangenheitsgesuchs (§ 74 StPO) beanstanden, ist diese Rüge bereits unzulässig. Die Revisionen versäumen es, sämtliche rügebegründende Tatsachen zum Gegenstand ihres Vortrags zu machen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit dem Befangenheitsgesuch wurde geltend gemacht, der Sachverständige habe die an ihn am achten Hauptverhandlungstag gerichtete Frage, ob ihm das jugendpsychiatrische Gutachten bekannt sei, wider besseren Wissens bejaht und sei deshalb aus der Sicht des verständigen Angeklagten als unwillig zur sorgfältigen Gutachtenerstattung anzusehen. Die Revisionen verschweigen indes, dass sämtlichen Verfahrensbeteiligten ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls bereits am ersten bzw. zweiten Hauptverhandlungstag die Gutachten des jugendpsychiatrischen Sachverständigen B. übergeben worden sind. Dieser Umstand war insbesondere für die im ablehnenden Beschluss erkennbare Überzeugung der Strafkammer vom tatsächlichen Geschehensablauf und von der Kenntnisnahme des Sachverständigen von Bedeutung.
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4. Angesichts der Bestätigung des Schuldspruchs kann der Senat trotz der Zurückverweisung der Hauptsache die auf § 74 JGG und § 473 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Kostenentscheidung bereits jetzt treffen.
Basdorf Schaal Schneider Dölp König

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.