Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Feb. 2010 - 4 StR 438/09

23.02.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 438/09
vom
23. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 23. Februar 2010 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 20. März 2009
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass die Angeklagten der versuchten Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig sind,
b) in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten der versuchten schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Den Angeklagten M. hat es deshalb zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten W. hat es eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt und ihn unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus einer Vorverurteilung und unter Einbeziehung der dortigen Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts; der Angeklagte M. beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte sich der Angeklagte W. in E. I. verliebt, die in den Bordellen ihres Zuhälters J. Ma. , der sie zum Zweck der sexuellen Ausbeutung aus Russland nach Deutschland gelockt hatte, der Prostitution nachging. Um mit der Zeugin I. eine gemeinsame Zukunft aufbauen zu können, vereinbarte der Angeklagte W. mit Ma. einen "Freikaufpreis" von 10.000 Euro; im Gegenzug sollte Ma. die "Rechte" an der Zeugin freigeben und ihm ihren Reisepass aushändigen. Nach der Zahlung und der Übergabe des russischen Reisepasses am 17. März 2006 erfuhr der Angeklagte W. von der Zeugin I. , dass dieser Pass abgelaufen war und dass sie, von Ma. getäuscht, diesem den gefälschten litauischen Reisepass, den dieser ihr nach Ablauf ihres Touristenvisums verschafft hatte, zurückgegeben hatte. Nunmehr fühlte sich der Angeklagte W. "abgezockt" und wollte sich das Geld notfalls unter Einsatz von Gewalt zurückholen. Zu diesem Zwecke begab er sich noch am selben Tage mit dem eingeweihten Angeklagten M. und mit weiteren Helfern zu Ma. und verschaffte seiner Rückzahlungsforderung gewaltsam Nachdruck, indem er den Angeklagten M. und einen der Helfer mit Axtstielen gegen Kopf und Oberkörper des Ma. einprügeln ließ. Nachdem es einer Zeugin gelungen war, um Hilfe zu rufen, flohen sie, ohne ihr Ziel erreicht zu haben.
3
2. Diese Feststellungen tragen zwar neben dem Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB, auch einen sol- chen wegen versuchter Nötigung gemäß § 240 Abs. 1, 2 und 3 StGB; sie rechtfertigen aber nicht die Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung, da die Angeklagten nicht in der Absicht handelten, sich (bzw. einen Dritten) zu Unrecht zu bereichern. Dem Angeklagten W. stand vielmehr gegen Ma. ein Anspruch auf Rückzahlung der 10.000 Euro zu; dass die Angeklagten irrtümlich vom Gegenteil ausgingen, mit der Folge, dass ein untauglicher Versuch in Betracht käme (BGHSt 42, 268), ist nicht festgestellt.
4
a) Der Rückzahlungsanspruch ergibt sich aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Die Zahlung war ohne rechtlichen Grund erfolgt, weil die Vereinbarung über den "Freikaufpreis" bereits nach ihrem Inhalt gegen die guten Sitten verstieß und deshalb gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig war. Der Vertrag behandelte die Zeugin I. als bloßes Objekt. Die Anerkennung ihrer persönlichen Freiheit durch Ma. , insbesondere ihrer Freiheit zur sexuellen Selbstbestimmung , war danach von einer Gegenleistung abhängig.
5
b) Der Rückzahlungsanspruch ist auch weder nach § 814 Alt. 1 BGB noch nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
6
§ 814 Alt. 1 BGB, wonach die Leistung nicht zurückgefordert werden kann, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war, ist hier nicht anwendbar, weil der Angeklagte W. erkennbar nicht freiwillig gezahlt hatte, sondern vielmehr unter Druck zur Vermeidung eines sonst drohenden Nachteils (BGH, Urt. vom 12. Juli 1995 - XII ZR 95/93 = NJW 1995, 3052, 3054). Ma. hatte schon in der Vergangenheit die Freiheit der I. in strafbarer Weise (§ 232 StGB) missachtet und er drohte sie ihr auch künftig streitig zu machen. Dies wollte der Angeklagte W. durch die Zahlung des "Freikaufpreises" verhindern.
7
Auch der Kondiktionsausschluss nach § 817 Satz 2 BGB greift nicht ein. Danach ist die Rückforderung der Leistung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden ein Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen ein gesetzliches Verbot zur Last fällt. Hier aber stand der Zweck der Zahlung - die Wiedergewinnung der Freiheit der Zeugin I. - im Einklang mit der Rechtsordnung. Dem Angeklagten W. ging es bei der Vereinbarung mit Ma. nicht darum, den von diesem betriebenen Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu perpetuieren (vgl. dazu OLG Köln, Urt. vom 19. Dezember 1997 - = NJW-RR 1998, 1518). Nach den Urteilsfeststellungen wollte er die Zeugin dem Einflussbereich ihres Zuhälters entziehen, um mit ihr eine gemeinsame Zukunft aufzubauen (UA 17).
8
3. Der Senat stellt den Schuldspruch um. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich die Angeklagten nicht anders als geschehen hätten verteidigen können. Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung der Strafaussprüche nach sich. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung geringere Strafen verhängt hätte. Wegen der Aufhebung der Einzelstrafe hat auch die bezüglich des Angeklagten W. erkannte Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand. Tepperwien Solin-Stojanović Ernemann Franke Mutzbauer

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher


(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen W

Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 240 Nötigung


(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Rechtswidrig ist die

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 817 Verstoß gegen Gesetz oder gute Sitten


War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat, so ist der Empfänger zur Herausgabe verpflichtet. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, we

Strafgesetzbuch - StGB | § 232 Menschenhandel


(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden i

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat, so ist der Empfänger zur Herausgabe verpflichtet. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt, es sei denn, dass die Leistung in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestand; das zur Erfüllung einer solchen Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt, wenn

1.
diese Person ausgebeutet werden soll
a)
bei der Ausübung der Prostitution oder bei der Vornahme sexueller Handlungen an oder vor dem Täter oder einer dritten Person oder bei der Duldung sexueller Handlungen an sich selbst durch den Täter oder eine dritte Person,
b)
durch eine Beschäftigung,
c)
bei der Ausübung der Bettelei oder
d)
bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen durch diese Person,
2.
diese Person in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft oder in Verhältnissen, die dem entsprechen oder ähneln, gehalten werden soll oder
3.
dieser Person rechtswidrig ein Organ entnommen werden soll.
Ausbeutung durch eine Beschäftigung im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b liegt vor, wenn die Beschäftigung aus rücksichtslosem Gewinnstreben zu Arbeitsbedingungen erfolgt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen solcher Arbeitnehmer stehen, welche der gleichen oder einer vergleichbaren Beschäftigung nachgehen (ausbeuterische Beschäftigung).

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person, die in der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Weise ausgebeutet werden soll,

1.
mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt oder
2.
entführt oder sich ihrer bemächtigt oder ihrer Bemächtigung durch eine dritte Person Vorschub leistet.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn

1.
das Opfer zur Zeit der Tat unter achtzehn Jahren alt ist,
2.
der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung wenigstens leichtfertig in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3.
der Täter gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.
In den Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn einer der in Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Umstände vorliegt.

(4) In den Fällen der Absätze 1, 2 und 3 Satz 1 ist der Versuch strafbar.

War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat, so ist der Empfänger zur Herausgabe verpflichtet. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt, es sei denn, dass die Leistung in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestand; das zur Erfüllung einer solchen Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.