Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Nov. 2011 - 2 StR 112/11

23.11.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 112/11
vom
23. November 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betruges
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 23. November 2011 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 20. August 2010 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Die Rüge, das Landgericht habe die §§ 249 Abs. 2, 250, 251 Abs. 1 StPO durch Verlesen von Vernehmungsprotokollen diverser Zeugen verletzt, weil die Verteidigerin des Angeklagten K. ihr ursprüngliches Einverständnis nach der Anordnung der Beweiserhebung durch den Vorsitzenden, aber vor der Verlesung widerrufen hatte, ist unbegründet. Sie geht hinsichtlich der Mehrzahl der betreffenden Zeugen, die das Landgericht zusätzlich in der Hauptverhandlung vernommen hat, bereits ins Leere, da deren Vernehmung nicht durch die Verlesung einer Niederschrift im Sinne von § 251 Abs. 1 StPO "ersetzt" wurde. Soweit einzelne Vernehmungsprotokolle verlesen wurden, ohne dass das Gericht die Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen hat, kann dahinstehen, ob ein Widerruf des Einverständnisses - wie die Revision meint - bis zur Verlesung der Niederschrift noch möglich ist, oder ob - wie der Generalbundesanwalt geltend macht - eine Bindung an diese Prozesshandlung bereits mit der Anordnung der Beweisverwendung nach § 251 Abs. 4 StPO eintritt. Denn das Landgericht hat die Niederschriften dieser Vernehmungen im Urteil nicht verwertet, so dass der Senat jedenfalls ausschließen kann, dass das Urteil auf dem gerügten Verfahrensfehler beruht.
Im Übrigen erscheint das Vorgehen des Landgerichts, die zwar der Strafkammer, nicht aber dem erkennenden Spruchkörper angehörende Richterin "zur Entlastung" des Berichterstatters "ebenfalls mitschreiben" zu lassen, unter dem Blickwinkel eines möglichen - hier von den Revisionen nicht gerügten - Verstoßes gegen § 261 StPO nicht unbedenklich. Anders als Ton- und Filmaufnahmen, die als Gedächtnisstütze des Gerichts grundsätzlich zulässig sind (vgl. Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. 2011 § 169 GVG Rn. 11), sind Auswahl und Inhalt der Mitschrift von Vorgängen in der Hauptverhandlung von den subjektiven Wahrnehmungen und Bewertungen des betreffenden Richters geprägt. Es handelt sich dabei um einen höchstpersönlichen Akt, der den "Inbegriff der Verhandlung" aufbereitet und konkretisiert und die Grundlage für die Beratung und Urteilsfassung bildet. In dieser Funktion obliegt die Anfertigung von Mitschriften gemäß § 261 StPO allein den Mitgliedern des erkennenden Gerichts und kann nicht auf Dritte delegiert werden.
Fischer Appl Schmitt Berger Eschelbach

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Referenzen - Gesetze

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 249 Führung des Urkundenbeweises durch Verlesung; Selbstleseverfahren


(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind. (2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen

Strafprozeßordnung - StPO | § 251 Urkundenbeweis durch Verlesung von Protokollen


(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden, 1. wenn der Angeklagte einen Vert

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(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.