Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Sept. 2019 - 2 ARs 229/19

bei uns veröffentlicht am24.09.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 ARs 229/19
2 AR 172/19
vom
24. September 2019
in der Bewährungssache
gegen
Vertreten durch: Rechtsanwalt
Az.: 1 Ws 276/19 Oberlandesgericht Oldenburg
270 Js 59961/13 Staatsanwaltschaft Bremen
13 BRs 21/19 Landgericht Osnabrück - StVK Lingen -
ECLI:DE:BGH:2019:240919B2ARS229.19.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Verurteilten am 24. September 2019 beschlossen:
Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 14 StPO wird abgelehnt.

Gründe:


I.

1
1. Das Landgericht Lüneburg – Strafvollstreckungskammer – führt seit dem 26. November 2015 die Bewährungsaufsicht über den Verurteilten aus einem Urteil des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal.
2
Mit Schreiben vom 17. Oktober 2017 übersandte das Amtsgericht Syke dem Landgericht Lüneburg eine neue Anklage gegen den Verurteilten wegen Betruges in 20 Fällen zur Kenntnis.
3
Mit Schreiben vom 19. November 2018, eingegangen beim Landgericht Lüneburg am 28. November 2018, teilte die Staatsanwaltschaft Verden mit, dass der Verurteilte vom Amtsgericht Syke durch Urteil vom 31. Januar 2018, rechtskräftig seit dem 19. September 2018, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt wurde.
4
Seit dem 13. Januar 2019 wird diese neue Strafe gegen den Verurteilten in der Justizvollzugsanstalt Lingen vollstreckt.
5
In einem Vermerk vom 25. Februar 2019 führt die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg aus, dass aufgrund der Nachverurteilung ein Widerruf der Bewährung in Betracht käme. Für diese Entscheidung sei aufgrund der zwischenzeitlichen Inhaftierung des Verurteilten in Lingen gemäß § 462a StPO nunmehr die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit Sitz am Amtsgericht Lingen zuständig. Eine Vorbefaßtheit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit der Frage des Widerrufs der Bewährung läge nicht vor, weil ein solcher vor einer Versendung des Bewährungsheftes an die Staatsanwaltschaft Bremen am 23. Oktober 2017 und auch bislang nicht beantragt worden sei.
6
Die Staatsanwaltschaft Bremen beantragte daraufhin beim Landgericht Lüneburg mit Schreiben vom 1. März 2019, die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB zu widerrufen. Zur Frage der gerichtlichen Zuständigkeit verhielt sie sich nicht.
7
Mit Beschluss vom 15. März 2019 hat das Landgericht Lüneburg die Bewährungsaufsicht an die Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit Sitz am Amtsgericht Lingen abgegeben, mit Verfügung vom 22. März 2019 wurde die Bewährungssache dort übernommen.
8
Mit Beschluss vom 30. April 2019 hat das Landgericht Osnabrück – Strafvollstreckungskammer mit dem Sitz in Lingen – die dem Verurteilten bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung nach vorheriger Anhörung widerrufen.
9
Mit Anwaltsschriftsatz vom 4. Juni 2019 hat der Verurteilte gegen den vorgenannten Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt.
10
2. Mit Beschluss vom 8. August 2019 hat das Oberlandesgericht Oldenburg die Sache gemäß § 14 StPO dem Bundesgerichthof vorgelegt, mit dem Anliegen, das für den Bewährungswiderruf zuständige Gericht zu bestimmen. Das Oberlandesgericht führt aus, es beabsichtige, den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück aufzuheben und den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Bremen wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit Sitz in Lingen sei örtlich nicht zuständig gewesen. Durch die Übersendung der Anklageschrift sei die Strafvollstreckungskammer des Landgericht Lüneburg bereits mit dem Widerruf der Strafaussetzung befasst gewesen; die so begründete örtliche Zuständigkeit sei durch die Aufnahme des Verurteilten in die Justizvollzugsanstalt Lingen am 13. Januar 2019 nicht beendet worden.
11
Das Oberlandesgericht sieht sich indes an der beabsichtigten Entscheidung gehindert, weil diese zu einem Stillstand des Verfahrens führen würde. Das aus seiner Sicht zuständige Landgericht Lüneburg habe bereits aktenkundig gemacht, dass es sich für nicht zuständig halte. Es läge damit ein negativer Kompetenzkonflikt vor, welcher vom Bundesgerichthof als gemeinschaftlichem oberen Gericht zu entscheiden sei.

II.


12
Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt: „Die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 14 StPO liegen nicht vor. Erforderlich ist, dass zwischen mehreren Gerichten ein Streit über die Zuständigkeit besteht. Ein negativer Kompetenzkonflikt liegt vor, wenn sämtliche mit derselben Sache befassten Gerichte sich für unzuständig halten. Es ist nur dann nach § 14 StPO zu verfahren, wenn zwischen den Gerichten „Streit“ besteht, d.h. wenn mindestens zwei Entscheidungen anfechtbar sind (KK-StPO/Scheuten, 8. Aufl. 2019, StPO § 14 Rn. 1). Daran fehlt es hier: Das Landgericht Lüneburg hat lediglich in einem Vermerk niedergelegt, dass es sich für unzuständig hält (s.o. I 10). Ob dieser Vermerk in einen anfechtbaren Beschluss umgedeutet werden könnte, kann dahinstehen, denn nach Aktenlage gibt es - noch - keinen Dissens zwischen den mit derselben Sache befassten Gerichten. Das Landgericht Lüneburg und das Landgericht Osnabrück sind sich vielmehr einig, dass das Landgericht Osnabrück für den Bewährungswiderruf zuständig ist. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat demgegenüber lediglich erklärt, wie es zu entscheiden beabsichtigt, in der Sache indes noch nicht entschieden. Eine bloße Beschlussabsicht kann einen negativen Kompetenzkonflikt aber nicht begründen. Dies ergibt sich auch nicht aus dem über die Kommentierung in Löwe/Rosenberg vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Beschluss des Senates vom 14. Oktober 1975 (2 ARs 292/75; BGHSt 26, 212), denn dort hatten beide beteiligten Amtsgerichte eine Zuständigkeit bereits verneint, als das auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin mit der Sache befasste Landgericht die Akte dem Bundesgerichtshof zugeleitet hat. Sollte nach einer etwaigen Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Osnabrück - Strafvollstreckungskammer mit dem Sitz in Lingen - vom 30. April 2019 (s.o. I 13) und erneuter Befassung des Landgerichts Lüneburg dort trotz der zutreffenden Begründung des Oberlandesgerichts Oldenburg, welche in dem Vermerk vom 25. Februar 2019 nicht berücksichtigt wurde, eine Zuständigkeit verneint werden, kann das Bewährungsheft zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes erneut vorgelegt werden. Ein Stillstand des Verfahrens ist damit nicht zu befürchten.“
13
Dem schließt sich der Senat an.
Franke RiBGH Dr. Appl ist Zeng krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Franke Grube Schmidt

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Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Sept. 2019 - 2 ARs 229/19 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 462a Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer und des erstinstanzlichen Gerichts


(1) Wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt, so ist für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte z

Strafprozeßordnung - StPO | § 14 Zuständigkeitsbestimmung durch das gemeinschaftliche obere Gericht


Besteht zwischen mehreren Gerichten Streit über die Zuständigkeit, so bestimmt das gemeinschaftliche obere Gericht das Gericht, das sich der Untersuchung und Entscheidung zu unterziehen hat.

Referenzen

Besteht zwischen mehreren Gerichten Streit über die Zuständigkeit, so bestimmt das gemeinschaftliche obere Gericht das Gericht, das sich der Untersuchung und Entscheidung zu unterziehen hat.

(1) Wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt, so ist für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befaßt wird, aufgenommen ist. Diese Strafvollstreckungskammer bleibt auch zuständig für Entscheidungen, die zu treffen sind, nachdem die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unterbrochen oder die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafvollstreckungskammer kann einzelne Entscheidungen nach § 462 in Verbindung mit § 458 Abs. 1 an das Gericht des ersten Rechtszuges abgeben; die Abgabe ist bindend.

(2) In anderen als den in Absatz 1 bezeichneten Fällen ist das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig. Das Gericht kann die nach § 453 zu treffenden Entscheidungen ganz oder zum Teil an das Amtsgericht abgeben, in dessen Bezirk der Verurteilte seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat; die Abgabe ist bindend. Abweichend von Absatz 1 ist in den dort bezeichneten Fällen das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig, wenn es die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten hat und eine Entscheidung darüber gemäß § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches noch möglich ist.

(3) In den Fällen des § 460 entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges. Waren die verschiedenen Urteile von verschiedenen Gerichten erlassen, so steht die Entscheidung dem Gericht zu, das auf die schwerste Strafart oder bei Strafen gleicher Art auf die höchste Strafe erkannt hat, und falls hiernach mehrere Gerichte zuständig sein würden, dem Gericht, dessen Urteil zuletzt ergangen ist. War das hiernach maßgebende Urteil von einem Gericht eines höheren Rechtszuges erlassen, so setzt das Gericht des ersten Rechtszuges die Gesamtstrafe fest; war eines der Urteile von einem Oberlandesgericht im ersten Rechtszuge erlassen, so setzt das Oberlandesgericht die Gesamtstrafe fest. Wäre ein Amtsgericht zur Bildung der Gesamtstrafe zuständig und reicht seine Strafgewalt nicht aus, so entscheidet die Strafkammer des ihm übergeordneten Landgerichts.

(4) Haben verschiedene Gerichte den Verurteilten in anderen als den in § 460 bezeichneten Fällen rechtskräftig zu Strafe verurteilt oder unter Strafvorbehalt verwarnt, so ist nur eines von ihnen für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen zuständig. Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. In den Fällen des Absatzes 1 entscheidet die Strafvollstreckungskammer; Absatz 1 Satz 3 bleibt unberührt.

(5) An Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges, wenn das Urteil von einem Oberlandesgericht im ersten Rechtszuge erlassen ist. Das Oberlandesgericht kann die nach den Absätzen 1 und 3 zu treffenden Entscheidungen ganz oder zum Teil an die Strafvollstreckungskammer abgeben. Die Abgabe ist bindend; sie kann jedoch vom Oberlandesgericht widerrufen werden.

(6) Gericht des ersten Rechtszuges ist in den Fällen des § 354 Abs. 2 und des § 355 das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen worden ist, und in den Fällen, in denen im Wiederaufnahmeverfahren eine Entscheidung nach § 373 ergangen ist, das Gericht, das diese Entscheidung getroffen hat.

Besteht zwischen mehreren Gerichten Streit über die Zuständigkeit, so bestimmt das gemeinschaftliche obere Gericht das Gericht, das sich der Untersuchung und Entscheidung zu unterziehen hat.