Bundesfinanzhof Urteil, 18. Sept. 2018 - VII R 32/17

ECLI:ECLI:DE:BFH:2018:U.180918.VIIR32.17.0
bei uns veröffentlicht am18.09.2018

Tenor

Auf die Revision des Hauptzollamts wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 22. November 2016 4 K 1319/14 Z aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) meldete zwischen April und Oktober 2010 Speichermodule aus Taiwan unter der Unterpos. 8521 90 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Die Zollstelle nahm die Zollanmeldungen an und fertigte die Waren antragsgemäß ab.

2

Die Speichermodule bestanden aus einer Platine mit den Außenmaßen 32 x 68 mm mit Prozessor, Signalelektronik, A/D-Wandler und Videokompressionstechnik mit darauf angebrachten Steckern sowie einem SD-Kartenschacht mit daran angebrachten Kabeln mit Steckverbindung und besonderen, eigens für die Klägerin angebrachten Anschlüssen. Ein Gehäuse und Bedienelemente waren nicht vorhanden. Das Modul diente zur Bild- und Tonaufzeichnung von Audio-, Video- und Bilddateien in den Formaten MPEG4 und AFS und zur Umwandlung und Wiedergabe dieser Dateien in sichtbarer und hörbarer Form zur Verwendung in der Videoinspektionstechnik.

3

Am 10. April 2013 beantragte die Klägerin eine teilweise Erstattung des Zolls, weil die Speichermodule nach ihrer Auffassung in die Pos. 8522 KN einzureihen seien. Dies lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) mit Bescheid vom 31. Oktober 2013 ab.

4

Das Finanzgericht (FG) bejahte den Erstattungsanspruch, weil die Module als Teile, erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für Geräte der Pos. 8521 KN bestimmt, in die Pos. 8522 KN einzureihen seien. Sie seien auch, da sie für die Funktion eines Videogeräts zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe der Pos. 8521 KN unerlässlich seien, Teil eines solchen Geräts. Nach Anm. 2 Buchst. b zu Abschn. XVI KN scheide eine Einreihung in die Pos. 8521 KN aus. Die Module verfügten auch nicht bereits über die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware. Dabei sei die unvollständige oder unfertige Ware mit der Ware zu vergleichen, die mit ihrer Verwendung entstehen solle, also dem Videoinspektionskamerasystem.

5

Zur Begründung seiner Revision weist das HZA darauf hin, das FG habe die Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XVI KN nicht vorrangig vor der Anm. 2 Buchst. b zu Abschn. XVI KN berücksichtigt und die Module zu Unrecht in die Pos. 8522 KN und nicht in die Pos. 8521 KN eingereiht. Der richtige Bezugspunkt für einen Vergleich der Ware mit einer vollständigen Ware sei die im Positionswortlaut der Pos. 8521 KN beschriebene Ware, also ein Videogerät und nicht das Videoinspektionskamerasystem. Das Modul weise alle für eine Videoaufzeichnung bzw. -wiedergabe erforderlichen Komponenten und damit die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines vollständigen Videogeräts der Pos. 8521 KN auf.

6

Nach Auffassung der Klägerin ist die Einordnung der Module als unvollständige Ware durch das FG revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Abgesehen davon handele es sich bei den Modulen wegen des Fehlens eines vergleichbaren äußerlichen Erscheinungsbildes und der Funktionen eines vollständigen Videogeräts nicht um eine unvollständige Ware der Pos. 8521 KN, sondern um ein Teil eines Geräts der Pos. 8521 KN, das in die Pos. 8522 KN einzureihen sei.

Entscheidungsgründe

II.

7

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Einreihung der streitgegenständlichen Module in die Pos. 8522 KN als Teile, erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für Geräte der Pos. 8521 KN bestimmt, hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

8

1. Das FG hat zunächst zutreffend erkannt, dass die Module nicht als vollständige Waren im Sinne der KN angesehen werden können, die bereits als solche vom Wortlaut einer Position erfasst werden (vgl. Allgemeine Vorschrift für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur --AV-- 1). Vielmehr sind die eingeführten Waren Teile von Videoinspektionskamerasystemen. Unabhängig davon, ob diese --wie die Klägerin meint-- in die Pos. 8521 KN oder --wofür die Durchführungsverordnung (EU) 2016/1761 der Kommission vom 28. September 2016 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2016, Nr. L 269/9) spricht-- als Videokameraaufnahmegerät in die Pos. 8525 KN einzureihen sind, handelt es sich bei einem Videoinspektionskamerasystem um eine Maschine des Abschnitts XVI KN, der u.a. Maschinen, Apparate, mechanische Geräte und elektrotechnische Waren sowie Fernseh-, Bild- und Tonaufzeichnungsgeräte erfasst. Zu diesem Abschnitt gehören u.a. alle elektrischen Maschinen, Apparate, Geräte und Vorrichtungen sowie Teile davon (Erläuterung zum Harmonisierten System --ErlHS-- 01.0 zu Abschnitt XVI).

9

Der Begriff "Teil" setzt voraus, dass es ein Ganzes gibt, für dessen Funktionieren das Teil unabdingbar ist. Das mechanische oder elektrische Funktionieren der Maschine muss von diesem Teil abhängen (Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- Rohm Semiconductor vom 20. November 2014 C-666/13, EU:C:2014:2388, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2015, 94, Rz 45 f.; Data I/O vom 15. Mai 2014 C-297/13, EU:C:2014:331, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2014, 194, Rz 35, und G.E. Security vom 25. Februar 2016 C-143/15, EU:C:2016:115, ABlEU 2016, Nr. C 145, 12, Rz 60 ff.).

10

Im Streitfall hängt das Funktionieren des Videoinspektionskamerasystems von den Modulen ab, weil diese zur Bild- und Tonaufzeichnung in Dateiform sowie zur Umwandlung und zur Wiedergabe dieser Dateien in sichtbarer und hörbarer Form zur Verwendung in der Videoinspektionstechnik dienen.

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2. Die Einreihung von Teilen von Waren des Abschnitts XVI KN richtet sich nach der Anmerkung 2 zu diesem Abschnitt.

12

a) Nach der vorrangig anzuwendenden Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XVI KN sind Teile, die sich als Waren einer Position des Kapitels 84 oder 85 KN (ausgenommen u.a. Pos. 8522 KN) darstellen, dieser Position zuzuweisen, ohne Rücksicht darauf, für welche Maschinen sie bestimmt sind. Maschinenteile, die als eigenständige Waren von diesen Positionen erfasst werden, können somit nicht in die Positionen eingereiht werden, die in dem Klammerzusatz in Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XVI KN genannt sind, hier in die Pos. 8522 KN (vgl. EuGH-Urteil Data I/O, EU:C:2014:331, ZfZ 2014, 194, Rz 44 und 45, zu Pos. 8473 KN). Die Pos. 8522 KN ist also als Auffangposition anzusehen und daher im Verhältnis zu den Positionen, die eine Einreihung eines Maschinenteils als eigenständige Ware ermöglichen, subsidiär (vgl. EuGH-Urteil Data I/O, EU:C:2014:331, ZfZ 2014, 194, Rz 49, zu Pos. 8473 KN). Stellt sich somit ein Teil als Ware einer Position des Abschnitts XVI KN dar, ist es nach eigener Beschaffenheit einzureihen, auch wenn es eigens zur Verwendung als Teil einer bestimmten Maschine hergestellt worden ist (vgl. ErlHS 31.2 zu Abschnitt XVI).

13

b) Verfügt eine Ware noch nicht über alle Beschaffenheitsmerkmale der in Kapitel 84 oder 85 KN genannten Waren, ist die AV 2 Buchst. a anzuwenden. Danach gilt jede Anführung einer Ware in einer Position auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware hat. Auf die Funktionsfähigkeit der Ware kommt es dabei nicht an (vgl. Senatsbeschluss vom 23. September 2009 VII B 37/09, BFH/NV 2010, 84).

14

Bei der fertigen Ware, mit der das Teil verglichen werden muss, handelt es sich dabei nicht um die Ware, für die das Teil bestimmt ist (hier das Videoinspektionskamerasystem), weil es nach der Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XVI KN ausdrücklich nicht darauf ankommt, für welche Maschine das Teil bestimmt ist. Erst bei der --allerdings erst nachrangig anzuwendenden-- Anm. 2 Buchst. b zu Abschn. XVI KN ist die Bestimmung des Teils maßgeblich. Im Rahmen der Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XVI KN ist vielmehr auf eine Ware im Sinne einer Position des Kapitels 84 oder 85 KN abzustellen mit ihren objektiven Merkmalen, wie sie in der KN beschrieben wird (vgl. auch ErlHS 54.1 zu Abschnitt XVI, die auf die jeweilige Stelle des Abschnitts XVI Bezug nimmt).

15

Die AV 2 Buchst. a regelt die Tarifierung einer unvollständigen Ware und die Frage, wann sie trotz ihrer Unvollständigkeit wie eine vollständige Ware angesehen werden kann. Darüber hinaus stellt die AV 2 Buchst. a nicht auf die vorgesehene Nutzung einer Ware, sondern auf deren objektive Beschaffenheit und Eigenschaften ab (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 84).

16

Die Beantwortung der Frage, ob eine unvollständige Ware bereits die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen Ware i.S. der AV 2 Buchst. a Satz 1 hat, ist im Einzelfall aufgrund der objektiven Beschaffenheit und Eigenschaften der Ware unter Heranziehung vornehmlich der tariflichen, ggf. aber auch von außertariflichen Erkenntnisquellen zu bestimmen, und erfordert auf dieser Grundlage eine tatrichterliche Würdigung und einen wertenden Vergleich der festgestellten Beschaffenheitsmerkmale und Eigenschaften der unvollständigen Ware mit denjenigen der vollständigen Ware, die revisionsrechtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob sie gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze verstößt (Senatsurteil vom 19. Dezember 2006 VII R 8/06, BFH/NV 2007, 1368).

17

3. Die Module sind keine vollständigen Waren einer Position des Kapitels 84 oder 85 KN, weil ihnen noch Bestandteile wie z.B. die SD-Karte als für die Speicherung notwendiger Teil (vgl. Pos. 8521 KN) fehlen.

18

Ob die Module jedoch bereits die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines Videogeräts der Pos. 8521 KN aufweisen und somit unter Anwendung der Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XVI KN i.V.m. AV 2 Buchst. a dennoch nach eigener Beschaffenheit eingereiht werden können, hat das FG fehlerhaft geprüft, denn es hat bei der Prüfung der AV 2 Buchst. a das Videoinspektionskamerasystem als Vergleichsware herangezogen und nicht ein Videogerät i.S. der Pos. 8521 KN.

19

Darüber hinaus hat das FG nicht die Ware in dem Zustand betrachtet, wie sie von der Klägerin eingeführt wurde. Vielmehr hat es die Module in zusammengesetzten elektronischen Schaltungen und damit in Kombination mit einer weiteren Platine, die über Anschlüsse für Bedien- und Steuerelemente verfügt, untersucht. Zu tarifieren ist im Streitfall jedoch allein das von der Klägerin eingeführte Speichermodul.

20

4. Das FG hat im zweiten Rechtsgang zu prüfen, ob die von der Klägerin eingeführten Module bereits über die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines Videogeräts zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe i.S. der Pos. 8521 KN verfügen. Ob diese --wie der SD-Kartenschacht-- später tatsächlich verwendet werden, ist dabei nicht entscheidend. Es kommt in diesem Zusammenhang allein darauf an, welche Beschaffenheitsmerkmale bei der Ware vorhanden sind. Das Fehlen der SD-Karte führt nicht zwingend dazu, dass die Einreihung als vollständige Ware verneint werden muss (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 84, zum Fehlen einer lediglich in den dafür vorgesehenen Schacht einzuführenden Festplatte). Erst wenn eine Einreihung nach der Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XVI KN nicht möglich ist, darf das FG auf die Anm. 2 Buchst. b zu Abschn. XVI KN zurückgreifen.

21

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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Finanzgerichtsordnung - FGO | § 126


(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft der Bundesfinanzhof sie durch Beschluss. (2) Ist die Revision unbegründet, so weist der Bundesfinanzhof sie zurück. (3) Ist die Revision begründet, so kann der Bundesfinanzhof 1. in der Sache selbs

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 143


(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. (2) Wird eine Sache vom Bundesfinanzhof an das Finanzgericht zurückverwiesen, so kann diesem die Entscheid

Referenzen

(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft der Bundesfinanzhof sie durch Beschluss.

(2) Ist die Revision unbegründet, so weist der Bundesfinanzhof sie zurück.

(3) Ist die Revision begründet, so kann der Bundesfinanzhof

1.
in der Sache selbst entscheiden oder
2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Der Bundesfinanzhof verweist den Rechtsstreit zurück, wenn der in dem Revisionsverfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat.

(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs zugrunde zu legen.

(6) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit der Bundesfinanzhof Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Das gilt nicht für Rügen nach § 119 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden.

(2) Wird eine Sache vom Bundesfinanzhof an das Finanzgericht zurückverwiesen, so kann diesem die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen werden.