Bundesfinanzhof Urteil, 07. Aug. 2018 - VII R 20/17

ECLI:ECLI:DE:BFH:2018:U.070818.VIIR20.17.0
bei uns veröffentlicht am07.08.2018

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19. April 2017  4 K 1821/15 Z aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte in den Jahren 2008 bis 2010 Rundstäbe aus Hartmetall in das Zollgebiet der Union ein. Sie meldete die in den Handelsrechnungen als "cemented carbide rods" bezeichneten Waren mit der Unterpos. 8209 00 80 der Kombinierten Nomenklatur (KN) an; die Zollstellen fertigten die Waren antragsgemäß zum freien Verkehr ab.

2

Die Rundstäbe bestanden aus einer Mischung von Wolframcarbid mit einem Anteil von Kobalt als Bindemittel. Sie wurden gesintert und anschließend feingeschliffen. Die Stäbe hatten unterschiedliche Längen, meist zwischen 100 und 300 mm, und unterschiedliche Durchmesser zwischen 2 und 40 mm. Sie verfügten über einen gleich bleibenden runden Querschnitt mit flachen Stabenden und besaßen in einigen Fällen einen bis drei Kühlkanäle. Die Klägerin verkaufte die Rundstäbe verschiedenen Werkzeugherstellern, die die Stäbe in weiteren Bearbeitungsprozessen zu Werkzeugen für die spanabhebende Bearbeitung von Metallen weiterverarbeiteten.

3

Im Rahmen einer Außenprüfung kam der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) zu dem Ergebnis, die Rundstäbe seien in die Unterpos. 8113 00 90 KN einzureihen. In die Pos. 8209 KN gehörten ausschließlich Waren, die als Formstücke für Werkzeuge einsetzbar seien.

4

Das HZA erhob Zoll mit Bescheiden vom 17. Januar 2011 und vom 26. Mai 2011 nach. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

5

Das Finanzgericht (FG) urteilte, das HZA habe die Klägerin zu Recht in Anspruch genommen. Der Pos. 8113 KN seien Cermets und Waren daraus zuzuweisen. Eine Einreihung der streitgegenständlichen Hartmetallstäbe in die Pos. 8209 KN sei nicht möglich, weil die in der Pos. 8209 KN genannten Waren aus Cermets für Werkzeuge bestimmt sein müssten, d.h. sie müssten bei der Herstellung von Werkzeugen verwendet werden, auf die sie aufgeschweißt, aufgelötet oder in die sie eingespannt würden. Eine Verwendung zur Herstellung als Werkzeug sei jedoch nicht gegeben, wenn dazu aus den Hartmetallstäben aus Cermets selbst Werkzeuge hergestellt würden.

6

Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin vor, die Hartmetallstäbe entsprächen dem Wortlaut der Pos. 8209 KN, weil es sich um ungefasste Cermets-Rundstäbe handele, die für Werkzeuge bestimmt seien. Weder dem Wortlaut der Pos. 8209 KN noch den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) zu Pos. 8209 sei zu entnehmen, die in Pos. 8209 KN einzureihenden Waren würden ausschließlich bei der Herstellung von Werkzeugen verwendet und dürften nicht selbst Werkzeug sein.

7

Aufgrund der Beschaffenheitsmerkmale sei alleiniger Verwendungszweck der Waren die Bestimmung als Werkzeug.

Entscheidungsgründe

II.

8

Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Einreihung der eingeführten Waren in die Pos. 8113 KN unter Ausschluss der Pos. 8209 KN hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar weisen die Hartmetallstäbe die Merkmale der als Auffangposition ausgestalteten Pos. 8113 KN auf, weil es sich nach den Feststellungen des FG um Waren aus Cermets handelt. Doch hat das FG im zweiten Rechtsgang zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats auch die Merkmale der spezielleren Pos. 8209 KN vorliegen.

9

1. Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen der KN und den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind, und nach den Allgemeinen Vorschriften (AV) für die Auslegung der KN. Daneben gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System Erläuterungen und Einreihungsavise (Tarifavise), die ebenso wie die Erläuterungen zur KN ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen sind (vgl. Senatsurteile vom 21. Februar 2017 VII R 2/15, BFH/NV 2017, 1066, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2017, 275; vom 26. September 2017 VII R 17/16, BFH/NV 2018, 249, ZfZ 2018, 139; Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- GROFA vom 22. März 2017 C-435/15 und C-666/15, EU:C:2017:232, ZfZ 2017, 163; Vario Tek vom 5. März 2015 C-178/14, EU:C:2015:152; Metherma vom 27. November 2008 C-403/07, EU:C:2008:657, ZfZ 2009, 15). Auf den Verwendungszweck einer Ware darf abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (Senatsurteile in BFH/NV 2018, 249, ZfZ 2018, 139; vom 8. November 2016 VII R 9/15, BFHE 256, 286, ZfZ 2017, 103). Entscheidend ist dabei, ob sich der Verwendungszweck in den objektiven Eigenschaften und Merkmalen der Ware niedergeschlagen hat und er der Ware innewohnt (Senatsurteile in BFH/NV 2018, 249, ZfZ 2018, 139, und in BFHE 256, 286, ZfZ 2017, 103; EuGH-Urteil GROFA, EU:C:2017:232, ZfZ 2017, 163).

10

2. Die Pos. 8209 KN erfasst u.a. "Stäbchen (...) und ähnliche Formstücke (...), nicht gefasst, aus Cermets".

11

a) Bei den streitgegenständlichen Hartmetallstäben handelt es sich nach den Feststellungen des FG um ungefasste Waren aus Cermets.

12

b) Die eingeführten Waren sind auch Stäbe i.S. des Zolltarifs. Stäbe sind nach der Unterpositionsanmerkung 1 des Kapitels 81 i.V.m. Anmerkung 1 Buchst. d zu Kapitel 74 (...) massive Erzeugnisse, nicht in Rollen, mit über die gesamte Länge gleich bleibendem Querschnitt. Als Stangen (Stäbe) gelten auch gegossene oder gesinterte Erzeugnisse (...). Diese Voraussetzungen erfüllen die eingeführten Waren nach den Feststellungen des FG.

13

c) Nach dem Wortlaut der Pos. 8209 KN muss es sich um "Stäbchen (...) für Werkzeuge" handeln.

14

aa) Diese Formulierung in Pos. 8209 KN umfasst sowohl die Herstellung eines Werkzeugs mit dem Stäbchen, die Herstellung eines Werkzeugs aus dem Stäbchen und auch die Verwendung des noch weiter verarbeiteten Stäbchens als Werkzeug. Aus dem Wortlaut folgt nicht, die Stäbchen müssten zur Herstellung von Werkzeugen dienen. Die Formulierung "für" ein Werkzeug im Positionswortlaut schränkt den Verwendungszweck in keine Richtung ein.

15

bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den ErlHS zu Pos. 8209 KN. Die Erläuterungen sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des Senats lediglich ein nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel (Senatsurteil in BFH/NV 2018, 249, ZfZ 2018, 139; EuGH-Urteil GROFA, EU:C:2017:232, ZfZ 2017, 163).

16

Zudem folgt aus den Erläuterungen nicht die vom FG angenommene Beschränkung des Verwendungszwecks. Zwar werden nach den ErlHS zu Pos. 8209 KN die Formstücke "in sehr großem Maße bei der Herstellung von Werkzeugen verwendet, auf die sie aufgeschweißt, aufgelötet oder in die sie eingespannt werden" und können auch "auf andere Weise für ihre Verwendung als Werkzeugbelag zugerichtet sein" (ErlHS zu Pos. 8209 KN, Rz 02.0). Allerdings ist dies nach dem Wortlaut nicht die einzige in Betracht kommende Verwendungsmöglichkeit, sondern auch eine andere Verwendung denkbar und möglich.

17

d) Im zweiten Rechtsgang hat das FG zu prüfen, ob aus den objektiven Eigenschaften und Merkmalen der eingeführten Ware ihr Verwendungszweck als Werkzeug im oben dargestellten weiten Sinn folgt und ihr i.S. der EuGH-Rechtsprechung innewohnt. Dabei hat das FG sowohl das Material, die Form, die erfolgte Bearbeitung durch Sintern und Schleifen, die Härte und die Biegefestigkeit der eingeführten Waren zu berücksichtigen, also u.a. die in den ErlHS zu Pos. 8209 KN, Rz 01.0 und 02.0 aufgeführten maßgeblichen Kriterien. Unklar ist geblieben, ob das FG festgestellt hat, die eingeführten Waren könnten auf Grund ihrer Materialbeschaffenheit nur für die spätere Herstellung von Werkzeugen verwendet werden, oder ob dies lediglich die Wiedergabe des klägerischen Vortrags ist.

18

Auch hat das FG ausgehend von seinem Verständnis des Positionswortlauts der Pos. 8209 KN keine Feststellungen getroffen, ob sich aus dem teilweisen Vorhandensein von Kühlkanälen der Verwendungszweck der Rundstäbe als Werkzeug ergibt. Das FG hat die Kühlkanäle nur hinsichtlich der Rechtsfrage geprüft, ob insoweit die Beschaffenheitsmerkmale einer fertigen Ware der Pos. 8209 KN erkennbar sind. Die Anwendung der AV 2 Buchst. a ist nicht erforderlich, wenn nach der im zweiten Rechtsgang durchzuführenden Prüfung aus den Kühlkanälen unmittelbar auf den Verwendungszweck der Hartmetallstäbe "für Werkzeug" geschlossen werden kann.

19

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.

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Finanzgerichtsordnung - FGO | § 126


(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft der Bundesfinanzhof sie durch Beschluss. (2) Ist die Revision unbegründet, so weist der Bundesfinanzhof sie zurück. (3) Ist die Revision begründet, so kann der Bundesfinanzhof 1. in der Sache selbs

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 118


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Soweit im Fall des § 33 Abs. 1 Nr. 4 die Vorschriften dieses Unterabschnitts durch Landesgesetz für anwendbar erklärt werden, ka

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 143


(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. (2) Wird eine Sache vom Bundesfinanzhof an das Finanzgericht zurückverwiesen, so kann diesem die Entscheid

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(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft der Bundesfinanzhof sie durch Beschluss.

(2) Ist die Revision unbegründet, so weist der Bundesfinanzhof sie zurück.

(3) Ist die Revision begründet, so kann der Bundesfinanzhof

1.
in der Sache selbst entscheiden oder
2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Der Bundesfinanzhof verweist den Rechtsstreit zurück, wenn der in dem Revisionsverfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat.

(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs zugrunde zu legen.

(6) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit der Bundesfinanzhof Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Das gilt nicht für Rügen nach § 119 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Soweit im Fall des § 33 Abs. 1 Nr. 4 die Vorschriften dieses Unterabschnitts durch Landesgesetz für anwendbar erklärt werden, kann die Revision auch darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Landesrecht beruhe.

(2) Der Bundesfinanzhof ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im Übrigen ist der Bundesfinanzhof an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden.

(2) Wird eine Sache vom Bundesfinanzhof an das Finanzgericht zurückverwiesen, so kann diesem die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen werden.