Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 29. Juni 2016 - L 7 AS 380/16 B ER

bei uns veröffentlicht am29.06.2016
vorgehend
Sozialgericht München, S 52 AS 1136/16, 31.05.2016

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 31. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vom Antrags- und Beschwerdegegner (Bg) Unterhaltszahlungen nach der Haager Landkriegsordnung, hilfsweise nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 24.4.2016.

Der 1969 geb. Bf ist türkischer Staatsangehöriger und verheiratet. Er bewohnt mit seiner Ehefrau eine 116 m² große Vierzimmerwohnung, für die er nach eigenen Angaben einen monatlichen Mietzins von 960 EUR zzgl. 150 EUR Heizkosten zahlt. Zum 30.4.2015 wurde der Bf, der in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stand, gekündigt. Er bezog vom 1.5.2015 bis 23.4.2016 Arbeitslosengeld I in Höhe von 81,73 EUR kalendertäglich. Am 29.2.2016 beantragte der Bf vom Bg Unterhaltszahlungen nach der Haager Landkriegsordnung, hilfsweise nach SGB II. Mit Schreiben vom 19.4.2016, das dem Bf persönlich ausgehändigt wurde, forderte der Bg verschiedene Unterlagen an, u. a. die ausgefüllte Anlage EK, VM und WEP, Kontoauszüge der letzten 3 Monate vor Antragstellung sowie der aktuelle Stand von Sparbüchern, Sparbriefen, Bausparverträgen, Aktien, Wertpapieren und Lebensversicherungspolicen mit aktuellen Rückkaufswerten und eingezahlten Beiträgen. Das Schreiben enthielt ferner den Hinweis auf die Möglichkeit der Leistungsversagung bei Verletzung der Mitwirkungspflicht gemäß § 66 SGB I, wenn die genannten Unterlagen nicht bis zum 10.5.2016 vorgelegt würden. Mit Schreiben vom 12.5.2016 wurde an die Vorlage der Unterlagen erinnert und Frist zur Nachholung bis zum 26.5.2016 gesetzt. Dieser Aufforderung kam der Bf nicht nach. Am 12.5.2016 stellte der Bf Eilantrag beim Sozialgericht München. Er begehre für die Zeit ab 24.4.2016 Unterhaltszahlungen nach der Haager Landkriegsordnung, Kapitel II, Art. 7, hilfsweise nach SGB II. Die Haager Landkriegsordnung sei weiterhin gültiges Vertragsrecht. Das sog. „ Deutsche Reich“ sei 1945 nicht untergegangen und bestehe weiterhin. Die Bundesrepublik in Deutschland sei nur ein Verwaltungskonstrukt der Besatzungsmächte. Der Besatzungszustand bestehe weiterhin. Ein Friedensvertrag sei nicht geschlossen worden. Seine noch anhängige Kündigungsschutzklage gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber habe gute Aussichten auf Erfolg. Der Bg zwinge ihn in eine kleinere Wohnung mit günstigerer Miete und verweigere somit die Mietzahlung für seine jetzige Wohnung. Es drohe eine Wohnungskündigung und Obdachlosigkeit. Es gebe keinen Staat „Bundesrepublik Deutschland“ und somit auch keine Beamte. Den Mitarbeitern des Bg fehle daher die Legitimation. Sie hätten sich strafbar gemacht. Sein Anspruch bestehe grundsätzlich alleine schon dadurch, dass er jahrelang mit Höchstbeiträgen in das System eingezahlt habe. Der Bg erwiderte am 17.5.2016, dass die angeforderten Unterlagen leistungserheblich seien. Ohne diese sei eine Entscheidung über den Leistungsanspruch der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich. Es liege allein in der Sphäre des Bf, durch Vorlage der geforderten Unterlagen eine Entscheidung über den Antrag vom 29.2.2016 zu ermöglichen. Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund seien nicht erkennbar.

Hierauf entgegnete der Bf, dass der Bg die angeforderten Unterlagen nicht benötige und er diese auch nicht vorlegen werde. Mit Beschluss vom 31.5.2016 wurde der Eilantrag als unbegründet abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft. Um die Hilfebedürftigkeit des Bf prüfen zu können, benötige der Bg einen Überblick über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse auch der Ehefrau gemäß §§ 7,9 SGB II. Der Bf sei zur Mitwirkung nach § 60 SGB I verpflichtet. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stelle es keine unzumutbare und unangemessene Anforderung dar, Auskunft über den Bestand an Konten und die Kontenbewegungen durch Vorlage von Kontoauszügen zu geben. Obwohl dem Bf deutlich gemacht worden sei, dass die Unterlagen für die Prüfung seines Antrags notwendig seien, habe er sich ohne Grund geweigert, die Nachweise zu erbringen. Damit könne nicht festgestellt werden, ob der Antragsteller überhaupt hilfebedürftig sei. Gegen diesen Beschluss legte der Bf am 13.6.2016 Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht ein. Im Wesentlichen wiederholte er seine bisherige Begründung. Auf die gerichtliche Aufforderung vom 21.6.2016, u. a. lückenlose Kontoauszüge ab 1.1.2016 vorzulegen, und dem Hinweis, dass er ansonsten mit einer Zurückweisung der Beschwerde rechnen müsse, erklärte der Bf mit Schreiben vom 24.6.2016, dass er dieser Aufforderung nicht nachkommen werde. Der Bf beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts München vom 31.5.2016 aufzuheben und den Bg vorläufig zu verpflichten, ihm für die Zeit ab 24.4.2016 Unterhaltszahlungen nach der Haager Landkriegsordnung, hilfsweise nach SGB II zu gewähren.

Der BG beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Er hält den Beschluss des Sozialgerichts in der Sache für zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und des Bg Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht München den Eilantrag des Bf als unbegründet abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch im Sinne eines materiellrechtlichen Anspruches ist nicht glaubhaft. Der Senat weist die Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen: Der Bf weigert sich auch in der Beschwerdeinstanz ohne erkennbar wichtigen Grund, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenzulegen, obwohl ihm dazu mit gerichtlichem Schreiben vom 21.6.2016 unter Hinweis auf die Notwendigkeit und die möglichen Rechtsfolgen erneut Gelegenheit gegeben worden ist. Anders als der Bf meint, ergibt sich ein Leistungsanspruch nicht bereits aus der Tatsache, dass er in der Vergangenheit Sozialversicherungsbeiträge entrichtet hat. Denn die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II sind, anders als das Arbeitslosengeld I, steuerfinanziert und gerade nicht beitragsfinanziert. Entgegen der Auffassung des Bf bietet Artikel 7 der Anlage zur Haager Landkriegsordnung vom 18.10.1907, RGBl I 1910, 107 ff. keine Anspruchsgrundlage für das geltend gemachte Begehren. Danach haben Kriegsgefangene gegenüber der Regierung, in deren Gewalt sie sich befinden, Anspruch auf Unterhalt. Der Bf gehört nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis der Kriegsgefangenen. Vielmehr steht es dem Bf frei, jederzeit die Bundesrepublik zu verlassen und in das (existierende) Land seiner Wahl zu reisen. Außerdem ist der Bg zur Ausführung von Art. 7 Haager Landkriegsordnung nicht befugt. Ihm obliegt allein der Vollzug des SGB II. Er ist nicht Anspruchsgegner und daher nicht passivlegitimiert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

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Referenzen - Gesetze

Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 29. Juni 2016 - L 7 AS 380/16 B ER zitiert 7 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 177


Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialger

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 60 Angabe von Tatsachen


(1) Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat 1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen,2. Änderungen

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(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittl

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 142


(1) Für Beschlüsse gelten § 128 Abs. 1 Satz 1, die §§ 134 und 138, nach mündlicher Verhandlung auch die §§ 129, 132, 135 und 136 entsprechend. (2) Beschlüsse sind zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über einen

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(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.

(2) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Pflegebedürftigkeit, wegen Arbeitsunfähigkeit, wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 bis 65 nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß deshalb die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen.

(3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.

(1) Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat

1.
alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen,
2.
Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen,
3.
Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen.
Satz 1 gilt entsprechend für denjenigen, der Leistungen zu erstatten hat.

(2) Soweit für die in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Angaben Vordrucke vorgesehen sind, sollen diese benutzt werden.

(1) Für Beschlüsse gelten § 128 Abs. 1 Satz 1, die §§ 134 und 138, nach mündlicher Verhandlung auch die §§ 129, 132, 135 und 136 entsprechend.

(2) Beschlüsse sind zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über einen Rechtsbehelf entscheiden. Beschlüsse über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und über einstweilige Anordnungen (§ 86b) sowie Beschlüsse nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache sind stets zu begründen. Beschlüsse, die über ein Rechtsmittel entscheiden, bedürfen keiner weiteren Begründung, soweit das Gericht das Rechtsmittel aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Ausfertigungen der Beschlüsse sind von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.