Amtsgericht Hagen Urteil, 17. Mai 2015 - 71 Ls-720 Js 37/14 - 7/14 [e]
Tenor
I.
Der Angeklagte P wird wegen fahrlässiger Tötung tateinheitlich mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.
II.
Ihm wird die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von 4 Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
III.
Der Angeklagte B wird freigesprochen.
IV.
Der Angeklagte P trägt die Kosten des Verfahrens, die Auslagen der Nebenklage sowie seine eigenen notwendigen Auslagen, soweit er verurteilt wurde; soweit der Angeklagte B freigesprochen wurde fallen die Kosten des Verfahrens einschließlich seiner notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last.
Angewandte Vorschriften: §§ 222, 229, 52, 69, 69a StGB.
1
Gründe
2(bezüglich des Angeklagten B abgekürzt gemäß § 267 Abs. 5 StPO)
3Der 23 Jahre alte Angeklagte P ist zur Zeit nicht berufstätig, nach eigenen Angaben beabsichtigt er, im September diesen Jahres ein Studium des internationalen Managements aufzunehmen. Um seinen Lebensunterhalt sicherzustellen, arbeitet er zur Zeit im Familienbetrieb seiner Eltern, einem Dolmetscherbüro, in Teilzeittätigkeit mit. Unterstützungsleistungen aus öffentlichen Kassen erhält er nicht. Der Angeklagte ist ledig, Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern bestehen nicht. Er ist deutscher Staatsangehöriger und hält sich seit seiner Geburt in I ständig in der Bundesrepublik Deutschland auf.
4Strafrechtlich ist der Angeklagte P in der Vergangenheit wie folgt in Erscheinung getreten:
51.
6Durch Entscheidung der Staatsanwaltschaft Hagen vom 30.10.2007 wurde in einem Verfahren wegen Körperverletzung gemäß § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung abgesehen.
72.
8Durch Entscheidung der Staatsanwaltschaft Hagen vom 08.11.2007 wurde in einem Verfahren wegen Körperverletzung von einer Verfolgung gemäß § 45 Abs. 2 JGG abgesehen.
93.
10Durch Urteil des Jugendrichters des Amtsgerichts Hagen vom 12.10.2010 wurde er wegen Körperverletzung in zwei Fällen mit einer jugendrichterlichen Weisung belegt.
11Straßenverkehrsordnungsrechtlich ist der Angeklagte P in der Vergangenheit wie folgt in Erscheinung getreten:
121.
13Durch Bußgeldbescheid vom 22.04.2014 wurde er wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 39 km/h mit einer Geldbuße von 120,00 Euro belegt.
142.
15Durch Bußgeldbescheid vom 20.06.2014 wurde er wegen der unerlaubten Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons als Führer eines Kraftfahrzeuges mit einer Geldbuße von 85,00 Euro belegt.
16In den späten Abendstunden des 29.06.2013 befuhr die Zeugin Z als Fahrerin des Personenkraftwagens der Marke Renault Twingo mit dem amtlichen Kennzeichen D- die Bundesautobahn 1, von Düsseldorf kommend, nach Hagen. In dem Fahrzeug befanden sich außer der Fahrerin ihr damaliger Freund, der Angeklagte P, auf dem Beifahrersitz und die Zeugen B1 und B2 sowie die später verstorbene E auf der Rückbank. Der Personenkraftwagen war nur für die Beförderung von vier Personen zugelassen und die drei auf der Rückbank befindlichen Personen waren während der Fahrt nicht angeschnallt. Kurz bevor der Personenkraftwagen die spätere Unfallstelle erreichte, herrschte in ihm zwischen der Zeugin Z und dem Angeklagten P eine getrübte Stimmung, da sich zwischen ihnen zuvor ein Streit entwickelt hatte. Hintergrund dieses Streites war, dass die Zeugin Z erfahren hatte, dass der Angeklagte P am Vortage ohne sie in Düsseldorf gewesen war; diesen Umstand auf Nachfrage ihr gegenüber aber abstritt.
17Aufgrund dieser Unehrlichkeit war die Zeugin Z verstimmt und sprach nicht mit dem Angeklagten P.
18Nachdem die Zeugin Z mit dem von ihr gefahrenen Personenkraftwagen gegen 22.15 Uhr die Auffahrt Volmarstein passiert hatte und sich kurz vor der Volmarsteiner Talbrücke befand, griff der Angeklagte P ihr in das Lenkrad und zog in heftiger Weise an ihm. Hierdurch bracht der Personenkraftwagen aus und fuhr über mehrere Fahrspuren der Bundesautobahn und schleuderte schließlich auf die Leitplanke zu.
19Da die Zeugin Z laut schrie, dass sie das Fahrzeug nicht mehr halten könnte, versuchte nunmehr der Angeklagte P durch erneutes Greifen an das Lenkrad, den Wagen wieder einzufangen, was ihm jedoch nicht gelang, so dass das Fahrzeug gegen die Mittelleitplanke prallte und von dort wieder auf die Fahrbahn zurückgeschleudert wurde. Hierdurch öffnete sich die Heckklappe des Wagens und die drei hinten sitzenden Personen, die Zeugen B1 und B2 sowie die später Getötete E, wurden auf die Fahrbahn der Bundesautobahn geschleudert, wobei die später Getötete E auf der linken Richtungsfahrbahn, der Zeuge B2 auf der mittleren und der Zeuge B1 auf der rechten Fahrbahn zum Liegen kamen.
20Nachdem der von der Zeugin Z gesteuerte Personenkraftwagen zum Stillstand gekommen war, verließ der Angeklagte P den Wagen, um den herausgeschleuderten Personen Hilfe zu leisten. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die später Getötete E noch lebte und dabei war, sich aufzurichten, wandte er sich den Zeugen B1 und B2 zu. In diesem Moment passierte ein Personenkraftwagen die Unfallstelle, in dem er zwischen der später Getöteten E auf der linken Fahrbahn und dem Zeugen B2 auf der mittleren Fahrspur hindurch fuhr, die beiden auf der Fahrbahn liegenden Personen allerdings nicht berührte. Hinter diesem, von der Zeugin A1 (früher P1) gesteuerten Personenkraftwagen folgte einige Sekunden später der vom Angeklagten B gesteuerte Personenkraftwagen der Marke Mercedes Benz auf der linken Richtungsfahrbahn nach und überrollte die auf diesem Fahrstreifen befindliche Z E. Zu Gunsten des Angeklagten B kann nicht ausgeschlossen werden, dass ihm die Sicht auf den Unfall und auf die auf der Fahrbahn liegenden Personen durch den vorausfahrenden Personenkraftwagen der Zeugin A1 lange Zeit versperrt war und der Angeklagte B erst freie Sicht auf die Unfallstelle bekam, als er sich ihr bereits so weit genähert hatte, dass ihm ein rechtzeitiges Reagieren und rechtzeitiges Anhalten nicht mehr möglich war. Durch das Überrollen durch den Personenkraftwagen des Angeklagten B erlitt die Z E multiple Verletzungen, die sofort zu ihrem Tode führten.
21Bei dem absichtlichen Griff des Angeklagten P in das Lenkrad des von der Zeugin Z gesteuerten Personenkraftwagen handelte dieser aufgrund der vorausgegangenen Auseinandersetzung mit der Zeugin absichtlich, allerdings nahm er die schweren Folgen, nämlich den Tod und die Verletzung von Personen, nicht billigend in Kauf, da er sich selbst in dem Personenkraftwagen befand, sondern verfolgte die Absicht, die Zeugin Z zu erschrecken und war sich hierbei aber darüber bewusst, dass ein derartiges Handeln, nämlich ein Reißen an dem Lenkrad eines Personenwagens bei hoher Geschwindigkeit die Gefahr eines Unfalls mit schwerwiegenden Folgen für die Fahrzeuginsassen in sich birgt.
22Der Zeuge B1 erlitt infolge des Unfalles Schnittwunden im Rücken und Nacken, die anschließend 10 Tagen stationär im Krankenhaus behandelt werden mussten. Der Zeuge B2 befand sich aufgrund einer erlittenen Platzwunde am Hinterkopf und einer Nasenbeinfraktur nach dem Unfall eine Woche stationär im Krankenhaus.
23Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf den uneidlichen Aussagen der Zeugen Z, B1, B2, K, A1 (früher P1), P2, T, P3, G, U, B3, E1, M, B4 und POK L, den Sachverständigengutachten der medizinischen Sachverständigen Dr. med. T1 und des Kraftfahrzeugsachverständigen Dipl.-Ing. X sowie der Einlassung des Angeklagten P, soweit ihr gefolgt werden konnte.
24Während der Angeklagte B in der Hauptverhandlung von seinem Recht, zu schweigen, Gebraucht gemacht hat, hat der Angeklagte P in seiner Einlassung in der Hauptverhandlung die Begehung der festgestellten Tat in Abrede gestellt.
25Im Einzelnen hat der Angeklagte P bekundet, dass er bei der Fahrt von Düsseldorf nach Hagen als Beifahrer in dem von der Zeugin Z gesteuerten Personenkraftwagen der Marke Renault Twingo mit dem amtlichen Kennzeichen D- gesessen habe. Auf dem Rücksitz des Personenkraftwagens hätten sich die später Getötete E und die Zeugen B1 und B2 befunden. Sie seien von Düsseldorf von einer Geburtstagsfeier gekommen und hätten nach Hagen gewollt. Erwähnenswerte Besonderheiten hätten es an dem Tag nicht gegeben; insbesondere sei es nicht zu einem Streit zwischen ihm und seiner Freundin, der Fahrerin Z, gekommen. Es sei ihm unerklärlich, wie es zu dem Unfall gekommen kommen konnte. Als sie sich nach Passieren der Autobahnauffahrt Volmarstein der Volmarsteiner Talbrücke genähert hätten, sei der Wagen ohne erkennbaren Grund ausgebrochen. Ein Grund für dieses Ausbrechen sei für ihn nicht erkennbar gewesen, allerdings sei die Zeugin Z sehr schnell gefahren. Das Fahrzeug sei dann über die Autobahn geschossen und sei schließlich auf die Leitplanke zugesteuert. In diesem Moment habe er zum Lenkrad gegriffen, um den Wagen einzufangen, was ihm allerdings nicht gelungen sei, so dass das Fahrzeug gegen die Leitplanke geprallt sei. Von der Leitplanke sei es abgeprallt und erneut über die verschiedenen Fahrbahnen der Autobahn geschleudert. Schließlich sei die Heckklappe des Wagens aufgesprungen und die drei auf dem Rücksitz sitzenden Personen seien herausgeschleudert worden. Als der Wagen schließlich in Gegenrichtung zum Stillstand gekommen sei, sei er ausgestiegen, um nach den
26herausgeschleuderten Mitfahrern zu sehen. Zunächst habe er festgestellt, dass die später Getötete E bereits dabei war, sich zu erheben und er habe sich den beiden männlichen Mitfahrern B1 und B2 zugewendet. In diesem Moment sei ein Personenkraftwagen zwischen dem auf der mittleren Fahrspur liegenden Zeugen B2 und der auf der linken Fahrspur liegenden später Getöteten E hindurch gefahren, habe aber keinen der beiden überfahren. Diesem Fahrzeug sei ein weiterer Personenkraftwagen nachgefolgt, der die immer noch auf der linken Fahrbahn befindliche E überrollt habe. Das von der Zeugin Z geschilderte Greifen an das Lenkrad, das den Wagen zum Ausbrechen gebracht haben soll, habe es nicht gegeben. Dies sei von der Zeugin ebenso frei erfunden wie ihre Aussage, dass er sich zuvor mit ihr über eine Fahrt am Vortage nach Düsseldorf gestritten habe. Es habe auch kurz vor dem Unfall kein Schweigen zwischen ihm und seiner Freundin, der Zeugin Z, gegeben. Vielmehr sei zwischen ihnen und den weiteren Mitfahrern auf der Rückbank gescherzt worden. Er habe noch bemerkt, dass die Zeugin recht schnell fahre, wobei allerdings eine genaue Ablesung der gefahrenen Geschwindigkeit nicht möglich war, da der Tachometer des Fahrzeuges nicht funktioniert habe.
27Soweit der Angeklagte P die Tat in Abrede stellt, ist er jedoch durch die uneidlichen Aussagen der Zeugen Z, B1, B2, K, A1, P2, T, P3, G, U, B3, E1, M und L sowie den Gutachten der Sachverständigen Dr. med. T1 und Dipl.-Ing. X ihrer Begehung überführt.
28Die Zeugin Z hat in ihrer Vernehmung bekundet, dass sie am späten Abend des 29.06.2013 mit ihrem Personenkraftwagen der Marke Renault Twingo mit dem amtlichen Kennzeichen D- die Bundesautobahn 1 in Fahrtrichtung Hagen befahren habe. Auf dem Beifahrersitz des Personenkraftwagens habe sich der Angeklagte P und auf der Rückbank die Zeugen B1 und B2 sowie die später Getötete E befunden. Zwischen ihr und ihrem Freund, dem Angeklagten P, habe während der Fahrt eine schlechte Stimmung geherrscht, da sie erfahren hatte, dass er am Vortage ohne sie in Düsseldorf gewesen sei; diesen Umstand ihr gegenüber jedoch auf Nachfrage der Wahrheit zuwider abgestritten hatte. Weiterhin habe er den Zeugen B1, von dem sie zuvor von dem Aufenthalt des Angeklagten P am Vortage in Düsseldorf erfahren hatte, eingeschüchtert, so dass dieser wieder
29von seiner Behauptung, der Angeklagte P sei am Vortage in Düsseldorf gewesen, abgerückt sei. Aus diesem Grunde habe zwischen ihr und dem Angeklagten P während der Fahrt „Funkstille“ geherrscht. Nachdem sie gegen 22.15 Uhr die Autobahnauffahrt Volmarstein passiert hatte und sich mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h – 120 km/h der Volmarsteiner Talbrücke näherte, habe der Angeklagte P vom Beifahrersitz aus plötzlich ihr in das Lenkrad gegriffen und heftig an ihm gezogen. Daraufhin sei der Personenkraftwagen ausgebrochen und über die drei Richtungsspuren der Autobahn geschleudert. Sie habe laut aufgeschrien, dass sie das Fahrzeug nicht mehr halten könne. Kurz bevor der Wagen gegen die Mittelleitplanke geprallt sei, habe der Angeklagte P ihr erneut in das Lenkrad gegriffen, nunmehr aber um den Wagen einzufangen. Dies sei ihm jedoch nicht gelungen und das Fahrzeug sei gegen die Mittelleitplanke geprallt und anschließend wieder über die drei Richtungsfahrbahnen geschleudert. Hierdurch habe sich die Heckklappe geöffnet und die drei auf dem Rücksitz sitzenden Personen seien aus dem Wagen geschleudert worden. Der Zeuge B1 sei auf der rechten, der Zeuge B2 auf der mittleren und die später Getötete E auf der linken Richtungsfahrbahn zu liegen gekommen. Nachdem das von ihr gefahrene Fahrzeug zum Stillstand gekommen war, habe sie beobachten können, wie die später Getötete E versucht habe, sich zu erheben. Danach habe ein Personenkraftwagen die Unfallstelle passiert und sei zwischen der später Getöteten E auf dem linken Fahrstreifen und dem Zeugen B2 auf der mittleren Fahrbahn durchgefahren. Diesem Wagen sei ein weiteres Fahrzeug nachgefolgt und habe die Getötete E überrollt. Es sei für sie klar erkennbar gewesen, dass der erste Griff des Angeklagten P in ihr Lenkrad mit Absicht geschehen sei. Zwar gehe sie davon aus, dass er die sich aus diesem Reißen an dem Lenkrad ergebenen Folgen nicht gewollt habe, sondern dass lediglich von ihm beabsichtigt gewesen sei, sie aufgrund des vorangegangenen Streites zu erschrecken.
30Im Ergebnis hat das Gericht nicht die geringsten Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Z zum Tathergang und seiner Vorgeschichte. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin verkennt das Gericht nicht, dass sie sich erst lange Zeit nach dem Unfall über die Nebenklägervertreterin unter Schilderung des vorstehend wiedergegebenen Tatherganges an die Ermittlungsbehörden gewandt hat. Auch war bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung deutlich erkennbar, dass die zwischenzeitlich nicht mehr mit dem Angeklagten P, sondern
31mit dem Zeugen U befreundete Zeugin eine nicht unerhebliche Belastungstendenz zum Nachteil ihres ehemaligen Freundes P aufweist. Zu Gunsten des Angeklagten P ist sicher auch zu unterstellen, dass die Zeugin Z nach der Tat gegenüber Bekannten und Verwandten andere Angaben zum Hergang und zum Grund des Unfalles gemacht hat oder zumindest die tatsächliche Ursache des Unfalls, nämlich das Reißen des Angeklagten P am Lenkrad des Fahrzeuges, verschwiegen hat. Gleichwohl bestehen nicht die geringsten Zweifel an der Richtigkeit der vorstehend wiedergegebenen Aussage der Zeugin, da sich ihre Richtigkeit aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Kraftfahrzeugsachverständigen Dipl.-Ing. X ergibt.
32Der Kraftfahrzeugsachverständige X hat in seinem mündlichen Gutachten ausgeführt, dass er einen technischen Defekt an dem Kraftfahrzeug als Grund für sein Ausbrechen ausschließen kann. Selbst wenn das Fahrzeug etwas überladen gewesen sein sollte und mit einer höheren Geschwindigkeit fuhr, sei das plötzliche Ausbrechen nur dann erklärbar, wenn eine erhebliche Gewalt von außen auf den Wagen eingewirkt hätte. Dies könne ein Anstoß durch ein anderes Fahrzeug oder einen größeren Gegenstand oder ein Wildtier gewesen sein. Da sich eine derartige Schadensursache durch die übereinstimmenden Aussagen der Zeugen Z, B1 und B2 sowie der Einlassung des Angeklagten P ausschließen lasse und ein technischer Fehler an dem Fahrzeug nicht vorhanden war, dränge sich die Aussage der Zeugin Z, es sei plötzlich am Lenkrad des Fahrzeuges gerissen worden, als Grund für das Ausbrechen des Fahrzeuges nahezu auf. Diese Aussage der Zeugin Z liefere die direkt nach dem Unfall nicht vorhandene Erklärung für das Ausbrechen des Kraftfahrzeuges und damit des Unfalles. Das Gericht hat nicht den geringsten Zweifel an der Richtigkeit an den Feststellungen des Sachverständigen X, der sein Gutachten in schlüssiger Weise und nachvollziehbar erstattet hat.
33Nach allem bestehen für das Gericht nicht die geringsten Zweifel an der Aussage des Zeugin Z zum Tathergang und seiner Vorgeschichte, Zweifel werden auch nicht durch die Aussagen der Zeugen B1 und B2 geweckt. Vielmehr ist das Gericht davon überzeugt, dass die Zeugen B1 und B2 in ihrer Vernehmung vorsätzlich die Unwahrheit gesagt haben, um den Angeklagten P vor einer Bestrafung zu bewahren.
34Die Zeugen B1 und B2 haben in ihren Vernehmungen in auffälliger Weise in übereinstimmender Form bekundet, dass die Zeugin Z mit dem Personenkraftwagen kurz vor seinem Ausbrechen sehr schnell gefahren sei. Beim Ausbrechen des Personenkraftwagens seien sie allerdings nicht aufmerksam gewesen und hätten nicht auf die Fahrvorgänge geachtet. Zu diesem Zeitpunkt will der Zeuge B1 mit seinem Mobiltelefon beschäftigt gewesen sein und der Zeuge B2 will entweder geschlafen oder einen „Blackout“ gehabt haben. Aus diesen Gründen könnten sie nicht bestätigen, dass der Angeklagte P der Fahrerin, der Zeugin Z ins Lenkrad gegriffen habe, hiervon hätten sie nichts mitbekommen. Erst nachdem der Wagen ausgebrochen war, hätten sie ihre Aufmerksamkeit auf den Fahrvorgang gerichtet und schließlich gesehen, wie der Angeklagte P kurz vor dem Aufprall auf die Leitplanke oder kurz nach diesem Aufprall das Lenkrad ergriffen habe, um das Kraftfahrzeug wieder einzufangen.
35Das Gericht hat nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Zeugen B1 und B2 vorsätzlich die Unwahrheit gesagt haben. Bei ihren Vernehmungen war deutlich erkennbar, dass sie in abgesprochener Form eine Aussage tätigten, um den Angeklagten P vor einer Bestrafung zu bewahren. Es drängte sich bei ihren Vernehmungen auf, dass beide mit der Erwähnung der (zu) hohen Fahrgeschwindigkeit des Fahrzeuges dem Gericht einen Grund für das Ausbrechen des Fahrzeuges suggerieren wollten. Auch ihre Angaben zu den Gründen, aus denen sie zum Zeitpunkt des Ausbrechens des Fahrzeuges abgelenkt waren und deshalb nicht mitbekamen, warum das Fahrzeug ins Schleudern geraten ist, waren offensichtlich von dem Bestreben getragen, zu dem entscheidenden Moment, nämlich dem Reißen des Angeklagten P am Lenkrad des Fahrzeuges, nichts sagen zu müssen. Das Gericht ist daher der sicheren Überzeugung, dass bei den Aussagen dieser beiden Zeugen nur ihre Schilderungen zu denen von ihnen selbst erlittenen Verletzungen, wie vorstehend in den Feststellungen wiedergegeben, zutreffend sind.
36Der Zeuge POK L hat in seiner Vernehmung bekundet, dass er mit mehreren Kollegen den Unfall aufgenommen habe. Zum Zeitpunkt des Unfalles sei die Fahrbahn trocken gewesen. Die aus dem Personenkraftwagen herausgeschleuderte Frau sei von einem nachfolgenden Personenkraftwagen überrollt worden und es sei auch für einen Laien erkennbar gewesen, dass die Frau tot war. Gründe für den
37Unfall, insbesondere einen technischen Schaden an dem Kraftfahrzeug oder eine
38Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit, die an der Unfallstelle 130 km/h betragen habe, seien nicht festgestellt worden.
39Die medizinische Sachverständige Dr. med. T1 hat in ihrem Gutachten schlüssig und nachvollziehbar aufgeführt, dass die Getötete E aufgrund des Überrollens durch den Personenkraftwagen zu Tode gekommen sei und aufgrund multipler Verletzungen sofort nach dem Überrollen gestorben sei. Sie könne ausschließen, dass die tödlichen Verletzungen bereits infolge des Herausschleuderns aus dem Personenkraftwagen eingetreten seien, da von mehreren Zeugen beobachtet worden sei, dass die Getötete nach dem Herausschleudern aus dem Personenkraftwagen der Marke Renault Twingo noch versucht habe, sich wieder zu erheben. Dies hätten die Verletzungen, die zu ihrem Tode geführt haben, nicht zugelassen.
40Die Zeugin A1 hat in ihrer Vernehmung glaubhaft bekundet, dass sie vor dem Erreichen der Volmarsteiner Talbrücke bemerkt habe, dass kurz zuvor ein Unfall geschehen sei und Personen auf der Fahrbahn lagen. Trotz einer Vollbremsung habe sie ihr Fahrzeug nicht mehr anhalten können und sei zwischen zwei Personen durchgefahren, wobei eine auf der linken Richtungsfahrbahn und die zweite auf der mittleren Fahrbahn gelegen habe. Nach dem Passieren der Unfallstelle habe sie rechts angehalten und sehen können, wie das Fahrzeug, das ihr nachgefolgt war, über die auf der linken Richtungsfahrbahn liegende Frau fuhr und ihren Kopf überrollte. Sie habe sich der Unfallstelle auf der mittleren Fahrspur mit rund 100 km/h genähert und die Unfallstelle aufgrund der Vollbremsung mit 50 km/h bis 60 km/h passiert.
41Der Zeuge P2, der Beifahrer in dem von der Zeugin A1 gefahrenen Personenkraftwagen, hat in seiner Vernehmung die Aussage der Zeugin A1 bestätigt.
42Der Zeuge T hat in seiner Vernehmung glaubhaft bekundet, dass er kurz vor dem Unfall im Bereich der Autobahnauffahrt Volmarstein das Fahrzeug der Zeugin Z überholt habe. Zu diesem Zeitpunkt sei der Renault Twingo rund 100 km/h gefahren.
43Der Zeuge Dr. M hat in seiner Vernehmung glaubhaft bekundet, dass er am Unfalltage die Autobahn 1 in Fahrtrichtung Hagen befahren habe und kurz vor der Volmarsteiner Talbrücke den Unfall des Renault Twingo beobachten konnte.
44Das vor ihm fahrende Fahrzeug sei wie ein Geschoß von links nach rechts über die Autobahn geschleudert und schließlich zum Stehen gekommen. Da er Personen liegend auf der Fahrbahn bemerkt habe, habe er das von ihm gefahrene Kraftfahrzeug zwischen der mittleren und rechten Fahrspur zum Anhalten gebracht, um die auf der Fahrbahn liegenden Personen vor dem nachfolgenden Autoverkehr zu schützen. Kurze Zeit später seien jedoch zwei weitere Personenkraftwagen im Bereich der linken Fahrspur durch die Unfallstelle gefahren. Nach seiner Erinnerung hätten beide Personenkraftwagen die auf der linken Richtungsfahrbahn liegende Person berührt. Bei dem ersten Kraftfahrzeug, das die Unfallstelle passiert habe, sei er sich einer Berührung nicht sicher, dass zweite Fahrzeug sei allerdings mit Sicherheit über die auf der Fahrbahn liegende Frau gefahren. Dieser Vorgang sei sehr schnell passiert und das zweite Fahrzeug sei dem ersten Fahrzeug wenige Sekunden später nachgefolgt.
45Die Aussagen der Zeugen K und B4 waren unergiebig, da der Zeuge K erst zu einem späteren Zeitpunkt nach dem Unfall zur Unfallstelle gekommen war und die Zeugin B4 als Ehefrau des Angeklagten B berechtigterweise von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat.
46Auch aus den Aussagen der restlichen Zeugen P3, G, U, B3 und E1 konnten für das Beweisergebnis keine verwertbaren Erkenntnisse gewonnen werden. Diese Zeugen wurden zu dem Inhalt von späteren Äußerungen der Zeugen B1 und Z1 über die Vorgänge in dem von der Zeugin Z gefahrenen Personenkraftwagen kurz vor seinem Ausbrechen vernommen. Aus ihren Aussagen wurde nochmals - wie schon bei der Vernehmung der Zeugin Z1 - deutlich, dass sich zwischen der Zeugin Z und dem Angeklagten P zwischenzeitlich seit der Tat aus der damals bestehenden Freundschaft eine Feindschaft entwickelt hat und die Bekannten- und Verwandtenkreise der Zeugin Z auf der einen Seite und des Angeklagten P auf der anderen Seite versuchen, durch Beeinflussung des Beweisergebnisses auf das vorliegende Verfahren Einfluss zu nehmen und es in die von ihnen jeweils gewünschte Richtung zu lenken. Aus diesem Grunde wurden die Aussagen dieser Zeugen bei der Beweiswürdigung durch das Gericht nicht verwertet.
47Aufgrund der getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte P wegen fahrlässiger Tötung tateinheitlich mit fahrlässiger Körperverletzung strafbar gemacht.
48Bei der Strafzumessung hat das Gericht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, wobei seine Jugendverfehlungen unberücksichtigt geblieben sind. Allerdings ließ sich nicht gänzlich übersehen, dass der Angeklagte bereits zweimal straßenverkehrs- ordnungsrechtlich auffällig geworden ist. Weiterhin fiel strafmildernd ins Gewicht, dass die Tat nunmehr schon etwas länger zurückliegt. Auch sprach für den Angeklagten, dass an dem tragischen Ausgang des Geschehens auch die Getötete und die verletzten Zeugen B1 und B2 eine geringe Mitschuld tragen, da weder die Getötete noch die Zeugen bei der Fahrt angegurtet waren.
49Dem gegenüber fiel strafschärfend ins Gewicht, dass der Angeklagte neben dem Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung tateinheitlich den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung zum Nachteil von zwei weiteren Personen verwirklicht hat. Insbesondere musste sich allerdings in erheblicher Weise strafschärfend auswirken, dass den Angeklagten ein Fahrlässigkeitsvorwurf trifft, der im obersten Bereich anzusiedeln sein dürfte. Seine Tathandlung stellt nicht nur eine sehr grobe Fahrlässigkeit dar, sondern ist als bewusste Fahrlässigkeit einzuordnen, so dass seine Tat fast an eine bedingte Vorsatztat heranreicht. Letztlich konnte auch nicht übersehen werden, dass der Angeklagte zumindest geduldet hat, dass die Zeugen B1 und B2 in der Hauptverhandlung Falschaussagen getätigt haben.
50Nach Abwägung aller Gesichtspunkte, die für und die gegen den Angeklagten sprachen, war es schuld- und tatangemessen, ihn zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten zu verurteilen.
51Weiterhin hat der Angeklagte durch seine Tat gezeigt, dass er in einem außergewöhnlich hohen Maße charakterlich ungeeignet ist, als Inhaber einer Fahrerlaubnis am Straßenverkehr teilzunehmen. Ihm war daher die Fahrerlaubnis zu entziehen und sein Führerschein einzuziehen. Bei der Bemessung der zu verhängenden Sperrfrist für die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis war es unter Berücksichtigung der Schwere der Tat, ihren Folgen und den straßenverkehrs- ordnungsrechtlichen Vorbelastungen des Angeklagten angemessen, diese auf vier Jahre zu bemessen.
52Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 467, 472 Abs. 1 Satz 1 StPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Amtsgericht Hagen Urteil, 17. Mai 2015 - 71 Ls-720 Js 37/14 - 7/14 [e]
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Referenzen - Gesetze
Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.
(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.
(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.
(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.
(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.
(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen
- 1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c), - 1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d), - 2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316), - 3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder - 4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.
(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.
(2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.
(3) Das Mindestmaß der Sperre beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist.
(4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ 111a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.
(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. In die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(6) Im Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.
(7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.
(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.
(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.
(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.
(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.
(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen.
(2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Der Staatsanwalt regt die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 7 und 9 oder von Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn der Beschuldigte geständig ist und der Staatsanwalt die Anordnung einer solchen richterlichen Maßnahme für erforderlich, die Erhebung der Anklage aber nicht für geboten hält. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, bei Erteilung von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der Jugendliche ihnen nachgekommen ist. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden. § 47 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung.
(1) Die Kosten des Verfahrens hat der Angeklagte insoweit zu tragen, als sie durch das Verfahren wegen einer Tat entstanden sind, wegen derer er verurteilt oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung gegen ihn angeordnet wird. Eine Verurteilung im Sinne dieser Vorschrift liegt auch dann vor, wenn der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt wird oder das Gericht von Strafe absieht.
(2) Sind durch Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter belastender oder entlastender Umstände besondere Auslagen entstanden und sind diese Untersuchungen zugunsten des Angeklagten ausgegangen, so hat das Gericht die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten. Dies gilt namentlich dann, wenn der Angeklagte wegen einzelner abtrennbarer Teile einer Tat oder wegen einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen nicht verurteilt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für die notwendigen Auslagen des Angeklagten. Das Gericht kann anordnen, dass die Erhöhung der Gerichtsgebühren im Falle der Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters ganz oder teilweise unterbleibt, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten.
(3) Stirbt ein Verurteilter vor eingetretener Rechtskraft des Urteils, so haftet sein Nachlaß nicht für die Kosten.
(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.
(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er
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die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder - 2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.
(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.
(1) Die dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Auslagen sind dem Angeklagten aufzuerlegen, wenn er wegen einer Tat verurteilt wird, die den Nebenkläger betrifft. Die notwendigen Auslagen für einen psychosozialen Prozessbegleiter des Nebenklägers können dem Angeklagten nur bis zu der Höhe auferlegt werden, in der sich im Falle der Beiordnung des psychosozialen Prozessbegleiters die Gerichtsgebühren erhöhen würden. Von der Auferlegung der notwendigen Auslagen kann ganz oder teilweise abgesehen werden, soweit es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten.
(2) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, ein, so kann es die in Absatz 1 genannten notwendigen Auslagen ganz oder teilweise dem Angeschuldigten auferlegen, soweit dies aus besonderen Gründen der Billigkeit entspricht. Stellt das Gericht das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig ein, gilt Absatz 1 entsprechend.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für die notwendigen Auslagen, die einem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsen sind. Gleiches gilt für die notwendigen Auslagen eines Privatklägers, wenn die Staatsanwaltschaft nach § 377 Abs. 2 die Verfolgung übernommen hat.
(4) § 471 Abs. 4 Satz 2 gilt entsprechend.