Schwerbehinderung: Keine Einladung des Schwerbehinderten zum Bewerbungsgespräch bei Fehlen der Voraussetzung

bei uns veröffentlicht am23.07.2015
Zusammenfassung des Autors
Ein öffentlicher Arbeitgeber muss schwerbehinderte Bewerber nicht zum Bewerbungsgespräch einladen, wenn diese nicht arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind.
Er darf eine wegen Altersteilzeit frei gewordene Stelle begrenzt für Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte ausschreiben.

Diese Entscheidung traf das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein im Fall einer Universität. Diese hatte eine durch Altersteilzeit frei gewordene Stelle nur für arbeitslos Gemeldete oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte ausgeschrieben. Nur dadurch hatte sie Anspruch auf Fördermittel nach dem Altersteilzeitgesetz. Der fachlich für die Stelle zweifelsfrei geeignete Bewerber bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung. Auf Nachfrage stellte er klar, dass er nicht arbeitslos und auch nicht von Arbeitslosigkeit bedroht sei. Daraufhin berücksichtigte ihn die Universität im Auswahlverfahren nicht weiter. Der Bewerber hielt dies für eine Diskriminierung wegen seiner Behinderung. Er verlangte deshalb mit seiner Klage eine Entschädigung in Höhe von mindestens 30.000 EUR.

Das LAG hat die Entschädigungsklage abgewiesen. Die Universität habe den Bewerber nicht benachteiligt. Der gesetzliche Schwerbehindertenschutz zwinge einen öffentlichen Arbeitgeber nicht dazu, fachlich geeignete Menschen mit Behinderung zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn diese andere formale Bewerbervoraussetzungen nicht erfüllen. Auch ein öffentlicher Arbeitgeber dürfe bei Stellenausschreibungen den Bewerberkreis auf Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte und damit nach dem Altersteilzeitgesetz Förderbare beschränken. Dies folgt aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes (GG) und verstößt nicht gegen das in Art. 33 Abs. 2 GG verankerte Prinzip der Bestenauslese.


Die Entscheidung im Einzelnen lautet:

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.3.2015, (Az.: 3 Sa 371/14):

Der gesetzlich normierte Schwerbehindertenschutz, vor allem der in § 82 S 2SGB IX geregelte Anspruch führt nicht dazu, dass Menschen mit Behinderung auch dann vom öffentlichen Arbeitgeber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen, wenn sie zwar nach dem Anforderungsprofil fachlich geeignet sind, aber andere im Anforderungsprofil festgelegte formale Bewerbervoraussetzungen nicht erfüllen.

Die Beschränkung des Bewerberkreises auf Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte und damit nach § 3 Abs. 1 Ziff. 2a AltersteilzeitG Förderbare ist, aus dem Sozialstaatsprinzip folgend, auch für Stellenausschreibungen im öffentlichen Dienst zulässig Sie verstößt nicht gegen das in Art. 33 Abs. 2GG verankerte Prinzip der Bestenauslese.


Tatbestand

Die Parteien streiten über Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche des Klägers, der sich wegen seiner Behinderung benachteiligt sieht.

Der Kläger, dessen Muttersprache Französisch ist, arbeitet seit Oktober 2010 als angestellter Übersetzer und ist darüber hinaus Lehrbeauftragter/Lehrkraft für Französisch am Romanischen Institut der Universität H. Er ist Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 80. Die Beklagte ist als Universität eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts.

Am 21. Januar 2014 schrieb die Beklagte die Stelle einer/eines wissenschaftlichen Mitarbeiterin/Mitarbeiters mit überwiegender Tätigkeit in der Lehre in Vollzeit, befristet für einen Zeitraum von zwei Jahren aus. In der Ausschreibung heißt es auszugsweise wie folgt:

"Da die Stelle aufgrund eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses der Vorgängerin nach zu besetzen ist, kommt nur die Einstellung einer/eines arbeitslos Gemeldeten bzw. von Arbeitslosigkeit Bedrohten in Betracht."

Mit E-Mail vom 03. Februar 2014 bewarb sich der Kläger auf die vorgenannte Stelle.

Am 12. Februar 2014 teilte die Sekretärin des Romanischen Seminars dem Kläger per E-Mail mit, seine Bewerbung könne nur dann berücksichtigt werden, wenn er den Nachweis erbringe, dass er arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sei.

Mit Antwortmail vom gleichen Tage wies der Kläger darauf hin, dass er nicht arbeitslos bzw. von Arbeitslosigkeit bedroht, aber anerkannter Schwerbehinderter sei.

Die Beklagte erwiderte am 14. Februar 2014 auszugsweise wie folgt:

da bereits in der Ausschreibung deutlich gemacht wurde, dass die ausgeschriebene Position mit einer Person besetzt werden soll, die die Voraussetzungen des § 3 Nr. 2a) Altersteilzeitgesetz erfüllt, hat die C. in zulässiger Weise den Personenkreis, der für eine Einstellung in Betracht kommt, eingeschränkt.

Unter allen Bewerberinnen und Bewerbern, die neben den anderen genannten Kriterien auch diese Voraussetzung mitbringen, sind schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber selbstverständlich auch weiterhin vorrangig zu berücksichtigen, insbesondere zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Dies gilt aber nicht, wenn eine Bewerberin oder ein Bewerber die genannte Voraussetzung nicht erfüllt.
..."

Der Kläger wurde in der Folgezeit im Auswahlverfahren nicht weiter berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 03. April 2014 machte er Entschädigungsansprüche geltend. Die Beklagte wies diese mit Schreiben vom 14. April 2014 unter Hinweis auf die Begrenzung des Bewerberkreises auf Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte zurück.

Mit seiner am 03.07.2014 eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein gemäß Sitzungsprotokoll vom 22.07.2014 ausdrücklich auf § 15 Abs. 2AGG und auch auf § 15 Abs. 1AGG gestütztes Ziel weiter.

Der Kläger hat stets die Ansicht vertreten, die Beklagte habe den Bewerberkreis nicht wirksam auf Personen begrenzen können, die arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht seien. Damit werde gegen den in Art. 33GG festgelegten Grundsatz der Bestenauslese sowie gegen den gesetzlich normierten Schwerbehindertenschutz verstoßen. Weder das Altersteilzeitgesetz noch wirtschaftliche Erwägungen könnten den vorrangigen Schwerbehindertenschutz und die in Art. 33GG festgeschriebene Vorgabe, bei Einstellungen ausschließlich von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ausgehen zu müssen, aushebeln. Der Kläger sei jedenfalls mittelbar diskriminiert worden. Im Übrigen habe die Beklagte gegen § 82SGB IX verstoßen, da der Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei. Dies sei ein ausreichendes Indiz für eine Diskriminierung i. S. v. § 22AGG. Ihm stehe ein Entschädigungsbetrag i. H. v. mindestens EUR 30.000,00 zu. Dieser Betrag stelle nach dem Gesetzgebungsverfahren zum AGG den Mindestwert dar. Es bedürfe einer wirksamen und abschreckenden Sanktion.

Die Beklagte hat gemeint, die Eingrenzung des Bewerberkreises auf Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte liege innerhalb ihrer Organisationsfreiheit. Sie sei auf die Förderung durch die Arbeitsagentur angewiesen und habe die Haushaltsgrundsätze gemäß § 7 LHO Schleswig-Holstein zu beachten. Die Beschränkung des Bewerberkreises im Sinne von § 3 Abs. 1 Ziff. 2 AltersteilzeitG sei zulässig. Jedenfalls habe sie den Kläger nicht wegen der Schwerbehinderung benachteiligt und auch nicht benachteiligen wollen. Allein maßgeblich für ihr Auswahlvorgehen sei ihre Ausschreibung gewesen. Nur daran habe sie sich halten wollen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 19.09.2014 abgewiesen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand, Anträge und Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen. Gegen diese dem Kläger am 07.10.2014 zugestellte Entscheidung hat er am 07.11.2014 Berufung eingelegt, die nach Fristverlängerung bis zum 08.01.2015 am 08.01.2015 begründet wurde.

Der Kläger wiederholt, ergänzt und vertieft im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen. Er sei als Bewerber geeignet und infolge der Nichtberücksichtigung im Bewerbungsverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden. Eine beschränkte Ausschreibung auf Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte habe nicht erfolgen dürfen.

Der Kläger beantragt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel, Az. öD 2 Ca 1194 c/14 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, eine angemessene Entschädigung, deren Höhe ins Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch EUR 30.000,00 nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen und das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist der Beschwer nach statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden.

Die Berufung ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt zu. Er hat schon dem Grunde nach keinen Entschädigungsanspruch nach § 15AGG, ebenso wenig einen Schadensersatzanspruch. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die überzeugende, ausführliche Urteilsbegründung verwiesen. Lediglich ergänzend wird Folgendes ausgeführt:

Ein Anspruch auf angemessene Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2AGG steht dem Kläger nicht zu.

Als Bewerber ist der Kläger nach § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3AGG "Beschäftigter" und fällt damit in den persönlichen Geltungsbereich des AGG. Dabei spielt es keine Rolle, ob er für die ausgeschriebene Rolle objektiv geeignet ist. Auf die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung kommt es nicht an.

Die Beklagte ist als "Arbeitgeberin" passiv legitimiert. Sie ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts eine juristische Person und sie beschäftigt Arbeitnehmer. Arbeitgeber eines Bewerbers ist der, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis gebeten hat.

Der Entschädigungsanspruch ist rechtzeitig geltend gemacht worden.

Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7AGG. § 15 Abs. 2AGG enthält nur eine Rechtsfolgenregelung. Für die Anspruchsvoraussetzungen ist auf § 15 Abs. 1AGG zurückzugreifen. Es gilt die Indizienbeweislastregel des § 22AGG. Eine unzulässige Benachteiligung kann bereits dann vorliegen, wenn einer der in § 1AGG genannten Gründe, zu denen auch eine Behinderung gehört, Bestandteil eines Motivbündels war, das die streitgegenständlichen Entscheidungen und Handlungen beeinflusst hat. Auf schuldhaftes Handeln oder eine Benachteiligungsabsicht kommt es dabei nicht an.

Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1AGG genannten verpönten Merkmals eine weniger günstige Behandlung erleidet als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde, bei der das verpönte Merkmal nicht vorliegt, wobei die sich nachteilig auswirkende Maßnahme direkt an das verbotene Merkmal anknüpfen muss. Damit muss Kausalität gegeben sein. Allein das Vorliegen eines Diskriminierungsmerkmals i. S. d. § 1AGG reicht für die Annahme eines Kausalzusammenhangs grundsätzlich nicht aus. Es muss eine Anknüpfung der Handlung des Benachteiligenden an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommen. Dafür muss es Umstände geben, die einen Anhaltspunkt für einen Zusammenhang zwischen Erklärung/Handeln und Diskriminierungsmerkmal liefern. Hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteil und dem verpönten Merkmal ist in § 22AGG eine Beweislastregelung getroffen worden. Der Beschäftigte muss Indizien vortragen und notfalls beweisen, die seine Benachteiligung wegen eines in § 1AGG genannten Grundes vermuten lassen. Das ist dann der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmales erfolgt ist. Die Würdigung des Tatsachengerichts erfolgt dabei nach § 286 Abs. 1 Satz 1ZPO.

Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Maßnahmen, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen oder Personengruppen, bei denen die in § 1AGG genannten Merkmale nicht vorliegen, in besonderer Weise benachteiligen können,. Dies gilt jedoch nicht, wenn ein sachlicher Grund die Ungleichbehandlung rechtfertigt und die eingesetzten Mittel erforderlich und angemessen sind. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung soll verhindern, dass Vorwände gesucht werden, nach scheinbar neutralen Kriterien zu unterscheiden, um dann letztendlich doch die verbotene Entscheidung zu realisieren. Eine mittelbare Diskriminierung ist ausgeschlossen, wenn die Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Dies ist dann der Fall, wenn ein rechtmäßiges Ziel verfolgt wird und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Auch für das Fehlen eines sachlichen Grundes trägt der Betroffene die Darlegungs- und Beweislast.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist ein Entschädigungsanspruch des Klägers nicht gegeben.

Der Kläger hat zwar als ohne Vorstellungsgespräch nicht berücksichtigter schwerbehinderter Bewerber eine weniger günstige Behandlung als die arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit bedrohten Bewerber erfahren. Er war jedoch nach der maßgeblichen Stellenausschreibung nicht geeignet. Grund für die Erfolglosigkeit der Bewerbung war nicht seine Behinderung, sondern der Umstand, dass er eine Einstellungsvoraussetzung nicht erfüllt. Er war weder arbeitslos noch von Arbeitslosigkeit bedroht. Das war kausal für die Nichtberücksichtigung, nicht seine Behinderung.

Die von der Beklagten vorgegebene Einstellungsvoraussetzung ist auch rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte durfte sie als Voraussetzung für die Stellenbesetzung wählen.

Nach dem in Art. 33 Abs. 2GG verankerten Prinzip der Bestenauslese hat zwar jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Dies dient dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes, dessen fachliches Niveau und rechtliche Integrität gewährleistet werden sollen. Zugleich wird damit dem rechtlichen Interesse des Bewerbers an einem angemessenen beruflichen Fortkommen Rechnung getragen und ein grundrechtsgleiches Recht auf rechtsfehlerfreie Einbeziehung in die Auswahlentscheidung begründet. Daraus folgen auch Bindungen für den Entscheidungsspielraum des Dienstherrn bei seiner vorgelagerten Entscheidung, welcher Personenkreis für die Stellenbesetzung angesprochen werden soll.

Art 33 Abs.2 GG eröffnet aber keinen unbegrenzten Anspruch auf Verschaffung einer Stelle bei einem öffentlichen Arbeitgeber. Vielmehr obliegt es dem Dienstherrn im Rahmen seiner Organisations- und Personalhoheit, das von ihm gewünschte Anforderungsprofil festzulegen. Da Stellenbesetzungen auch von organisatorischen, personalwirtschaftlichen und personalpolitischen Erwägungen des Dienstherrn wesentlich mit beeinflusst werden, muss ihm ein weitgefasster Spielraum zugebilligt werden, ob er eine Stelle überhaupt besetzt und welchen Personenkreis er dafür in Betracht ziehen soll. Das dem Dienstherrn zustehende Organisationsermessen muss allerdings willkürfrei ausgeübt werden. Das heißt, dass Beschränkungen des Bewerberkreises auf einem sachlich vertretbaren Grund beruhen müssen. Der Arbeitgeber darf nicht durch willkürlich gewählte Anforderungen den Schutz des AGG faktisch beseitigen.

Die von der Beklagten festgelegte Einstellungsvoraussetzung ist sachlich gerechtfertigt. Sie trägt dem gesetzgeberischen Willen Rechnung, Arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit Bedrohten ein Beschäftigungsverhältnis zu verschaffen. Insoweit handelt es sich zweifelsfrei um einen sachlichen, dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20GG entspringenden Grund, den der nationale Gesetzgeber explizit ausweislich § 3 Abs. 1 Ziff. 2a AltersteilzeitG ausdrücklich fördert. Gleichzeitig trägt die Beklagte durch die von ihr gewählte Anforderung dem auch vom öffentlichen Arbeitgeber zu beachtenden Gebot der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit Rechnung, indem sie die mögliche staatliche Förderung in Anspruch nimmt und so Gelder für andere Bereiche frei hält.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist der ebenfalls gesetzlich normierte Schwerbehindertenschutz nicht per se vorrangig gegenüber der dem Sozialstaatsprinzip entspringenden Aufgabe, arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen einen Arbeitsplatz zu geben. Der Schwerbehindertenschutz kommt dann allenfalls im Bewerberfeld der Arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit Bedrohten vorrangig zum Tragen, wenn sich ein Mensch mit Behinderung unter den Bewerbern befindet. So hat es auch die Beklagte ausweislich ihres an den Kläger gerichteten Schreibens vom 14. Februar 2014 gesehen. Eine unmittelbare Diskriminierung schwerbehinderter Menschen durch die streitbefangene Einstellungsvoraussetzung ist daher nicht ersichtlich. Die notwendige Kausalität fehlt zudem.

Auch eine mittelbare Diskriminierung liegt nicht vor. Es besteht keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte die Einstellungsvoraussetzung gewählt hat, um einen Vorwand für die Nichteinstellung von Menschen mit Behinderung zu haben. Im Gegenteil: Die Beklagte hat, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, den Kläger in Kenntnis seiner Behinderung ausdrücklich nochmals befragt, ob er arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sei. Das zeigt gerade, dass die Beklagte insoweit ergebnisoffen war. Eine etwaige Ungleichbehandlung ist auch hier durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Die Beklagte verfolgte sowohl unter Sozialstaatsgesichtspunkten als auch unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten ein rechtmäßiges Ziel. Die gewählten Mittel zur Erreichung dieses Ziels waren angemessen und erforderlich. Letztendlich fehlt aber auch in diesem Zusammenhang wiederum jeglicher Anhaltspunkt für eine etwaige Kausalität zwischen der Schaffung der Einstellungsvoraussetzung, der Nichtberücksichtigung und der Behinderung des Klägers.

Die Beklagte hat den Kläger bei der Stellenbesetzung nicht berücksichtigt, weil sie sich an die eigenen Einstellungsvoraussetzungen gehalten hat. Es besteht daher keinerlei Indiz dafür, dass die Behinderung des Klägers ursächlich für seine Erfolglosigkeit bei der Bewerbung war. Allein aus dem Vorliegen des Diskriminierungsmerkmals "Behinderung" i. S. d. § 1AGG ergibt sich kein Indiz für die Annahme eines Kausalzusammenhangs. Es sind hier keinerlei Umstände gegeben, die einen Anhaltspunkt für einen Zusammenhang zwischen Erklärung und Handeln der Beklagten und dem beim Kläger vorliegenden Diskriminierungsmerkmal liefern. Hiervon ist die Kammer im Rahmen der Würdigung aller Umstände nach § 286ZPO überzeugt.

Daher ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der Kläger nicht zu einem Bewerbungsgespräch geladen worden ist, kein Indiz für eine Diskriminierung wegen seiner Behinderung.

Ausführungen zum Fehlen jeglicher schlüssigen Begründung für die Höhe des geltend gemachten Entschädigungsanspruches erübrigen sich deshalb.

Ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 15 Abs. 1AGG besteht aus den o. g. Gründen ebenfalls nicht. Auf die Ausführungen unter Ziff. 5 bis Ziff. 7. wird verwiesen.

Aus den genannten Gründen war der Berufung der Erfolg versagt. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz und/oder Entschädigung besteht nicht.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.

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(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
2.
die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten,
3.
Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu diesen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten.
Als Beschäftigte gelten auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis sowie die Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist.

(2) Arbeitgeber (Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen) im Sinne dieses Abschnitts sind natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die Personen nach Absatz 1 beschäftigen. Werden Beschäftigte einem Dritten zur Arbeitsleistung überlassen, so gilt auch dieser als Arbeitgeber im Sinne dieses Abschnitts. Für die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten tritt an die Stelle des Arbeitgebers der Auftraggeber oder Zwischenmeister.

(3) Soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft, gelten die Vorschriften dieses Abschnitts für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände, entsprechend.